Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2002
253-4
Das Geld in der modernen Cultur
121
2002
Georg Simmel
kod253-40221
Das Geld in der modernen Cultur Georg Simmel Wenn die Sociologie den Gegensatz der neueren Zeit, insbesondere gegen das Mittelalter, in eine Formel bringen wollte, so könnte sie es mit der folgenden versuchen. Im Mittelalter findet sich der Mensch in bindender Zugehörigkeit zu einer Gemeinde oder zu einem Landbesitz, zum Feudalverband oder zur Corporation; seine Persönlichkeit war eingeschmolzen in sachliche oder sociale Interessenkreise, und die letzteren wiederum empfingen ihren Charakter von den Personen, die sie unmittelbar trugen. Diese Einheitlichkeit hat die neuere Zeit zerstört. Sie hat einerseits die Persönlichkeit auf sich selbst gestellt und ihr eine unvergleichliche innere und äußere Bewegungsfreiheit gegeben; sie hat dafür andererseits den sachlichen Lebensinhalten eine ebenso unvergleichliche Objectivität verliehen: in der Technik, den Organisationen jeder Art, den Betrieben und Berufen gelangen mehr und mehr die eigenen Gesetze der Dinge zur Herrschaft und befreien sie von der Färbung durch Einzelpersönlichkeiten - wie unser Bild der Natur mehr und mehr die vermenschlichten Züge auszumerzen und sie einer objectiven Gesetzlichkeit anheimzugeben strebt. So hat die Neuzeit Subject und Object gegeneinander verselbstständigt, damit jedes die ihm eigene Entwicklung reiner und voller fände. Wie beide Seiten dieses Differenzirungs-Processes von der Geldwirthschaft getroffen werden, haben wir darzustellen. Das Verhältniß zwischen der Persönlichkeit und ihrem Besitz tritt innerhalb der deutschen Geschichte bis zur Höhe des Mittelalters in zwei charakteristischen Formen auf. In der Urzeit begegnet uns der Landbesitz als eine der Persönlichkeit als solcher zukommende Competenz, er fließt aus der persönlichen Zugehörigkeit des Einzelnen zu seiner Marktgemeinde. Schon im zehnten Jahrhundert indeß war diese Personalität des Besitzes verschwunden und nun umgekehrt alles persönliche Recht von dem Besitz an Grund und Boden abhängig geworden. In beiden Formen aber erhielt sich eine enge locale Verbindung zwischen der Person und dem Besitz. Zum Beispiel galt in der Genossenschaft der hörigen Hofgemeinde, in welcher der Lehenbesitz einer vollen Hufe zur Vollgenossenschaft berechtigte, derjenige dem Grundbesitzlosen gleich, der zwar eine Hufe besaß, aber außerhalb des Hofverbandes, dem er mit seiner Person angehörte. Umgekehrt mußte derjenige, welcher ein Gut innerhalb des Frohngemeindelandes besaß, ohne doch persönlich zu dieser Gemeinde zu gehören (Freie, Stadtbürger, Körperschaften usw.), einen Vertreter bestellen, der nun persönlich dem betreffenden Herrn des Stückes huldigte und Rechte und Pflichten des Hofgenossen übernahm. Solche Zusammengehörigkeit zwischen Personalität und dinglichen Beziehungen, wie sie jenen naturalwirthschaftlichen Zeiten eigen war, löst die Geldwirthschaft auf. Sie schiebt zwischen die Person und die bestimmt qualificirte Sache in jedem Augenblick die völlig objective, an sich qualitätlose Instanz des Geldes und Geldeswerthes. Sie stiftet eine Entfernung zwischen Person und Besitz, indem sie das Verhältniß zwischen Beiden zu einem vermittelten macht. Sie hat damit das frühere enge Zusammengehören des personalen und des localen Elementes bis zu dem Grade differenzirt, daß ich heute in Berlin meine Einkünfte aus amerikanischen K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Georg Simmel 222 Eisenbahnen, norwegischen Hypotheken und afrikanischen Goldminen empfangen kann. Diese fernwirkende Form des Besitzes, die wir heute als selbstverständlich hinnehmen, ist doch erst möglich geworden, seit das Geld trennend und verbindend zwischen Besitz und Besitzer getreten ist. Dadurch erzeugt das Geld auf der einen Seite eine früher unbekannte Unpersönlichkeit alles ökonomischen Thuns, andererseits eine ebenso gesteigerte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Person. Und ähnlich wie zum Besitz entwickelt sich das Verhältniß der Persönlichkeit zur Genossenschaft. Die mittelalterliche Corporation schloß den ganzen Menschen in sich ein; eine Zunft der Tuchmacher war nicht eine Association von Individuen, welche die bloßen Interessen der Tuchmacherei pflegte, sondern eine Lebensgemeinschaft in fachlicher, geselliger, religiöser, politischer und vielen sonstigen Hinsichten. Um so sachliche Interessen sich die mittelalterliche Association auch gruppiren mochte, sie lebte doch ganz unmittelbar in ihren Mitgliedern, und diese gingen rechtlos in ihr auf. Im Gegensatze zu dieser Einheitsform hat nun die Geldwirthschaft jene unzähligen Associationen ermöglicht, die entweder von ihren Mitgliedern nur Geldbeiträge verlangen oder auf ein bloßes Geldinteresse hinausgehen. Dadurch wird einerseits die reine Sachlichkeit in den Vornahmen der Association, ihr rein technischer Charakter, ihre Gelöstheit von personaler Färbung ermöglicht, andererseits das Subject von einengenden Bindungen befreit, weil es jetzt nicht mehr als ganze Person, sondern in der Hauptsache durch Hingeben und Empfangen von Geld mit dem Ganzen verbunden ist. Seit das Interesse des einzelnen Theilhabers, directer öder indirecter, in Geld ausdrückbar ist, hat sich dieses wie eine Isolirschicht zwischen das objective Ganze der Association und das subjective Ganze der Persönlichkeit geschoben - wie es sich zwischen den Besitz und den Besitzer geschoben hat - und hat Beiden eine neue Selbstständigkeit gegen einander und Ausbildungsfähigkeit geboten. Den Gipfel dieser Entwickelung stellt die Actien-Gesellschaft dar, deren Betrieb dem einzelnen Actionär völlig objectiv und unbeeinflußt gegenübersteht, während dieser seinerseits absolut nicht mit seiner Person, sondern nur mit einer Geldsumme an der Association betheiligt ist. Durch diese Unpersönlichkeit und Farblosigkeit, die dem Gelde im Gegensatze zu allen specifischen Werthen eigen ist und die sich im Laufe der Cultur immer steigern muß, weil es immer mehr und immer mannigfaltigere Dinge aufzuwiegen hat, durch diese Charakterlosigkeit gerade hat es unermeßliche Dienste geleistet. Denn damit läßt es eine Gemeinsamkeit der Action von solchen Individuen und Gruppen entstehen, die ihre Getrenntheit und Reservirtheit in allen sonstigen Punkten scharf betonen. Es wird damit eine ganz neue Linie durch die der Association zugängigen Lebensinhalte gelegt. Ich führe nur zwei Beispiele an, die mir die Feinheit der Grenze recht zu markiren scheinen, die das Geld zwischen der Vereinigung der Interessen einerseits und ihrer Getrenntheit andererseits ermöglicht. Nach 1848 bildeten sich in Frankreich Syndicate von Arbeiter-Associationen desselben Gewerkes, derart, daß jede ihren untheilbaren Fonds an dieses Syndicat ablieferte und so eine untheilbare gemeinsame Kasse zu Stande käme. Diese sollte namentlich Engros-Einkäufe ermöglichen, Darlehen gewähren usw. Diese Syndicate sollten aber durchaus nicht den Zweck haben, die theilhabenden Associationen zu einer einzigen zu vereinigen, sondern jede sollte ihre besondere Organisation beibehalten. Dieser Fall ist deshalb so bezeichnend, weil die Arbeiter damals in einer wahren Leidenschaft der Associations-Bildung befangen waren. Lehnten sie nun die hier so naheliegende Verschmelzung ausdrücklich ab, so müssen sie besonders starke Gründe für diese gegenseitige Reserve gehabt haben - und finden dabei die Möglichkeit, die dennoch vorhandene Einheit ihrer Interessen in jener Gemeinsamkeit des bloßen Geldbesitzes wirksam werden zu lassen. Und ferner: die Erfolge des Gustav-Adolph-Vereines, jener großen Gemeinschaft zur Unterstützung bedrängter evangelischer Gemeinden, wären unmöglich Das Geld in der modernen Cultur 223 gewesen, wenn nicht der objective Charakter der Geldbeiträge die confessionellen Unterschiede der Beitragenden verwischt hätte; aber indem dieses gemeinsame Werk von Lutheranern, Reformirten, Unirten - die zu keiner sonstigen Gemeinsamkeit zu bewegen gewesen wären - so möglich wurde, diente es zu einem idealen Bindemittel und stärkte das Gefühl unter all diesen, dennoch zusammen zu gehören. Man kann überhaupt sagen, daß der Gewerkverband, diese dem Mittelalter so gut wie unbekannte Organisationsart, die sozusagen das Unpersönliche von dem Individuum zu einer Action vereint, mit seinen ungeheuren Erfolgen erst durch das Geld möglich geworden ist, das uns die bisher einzige Möglichkeit einer Vereinigung unter absoluter Reserve alles Persönlichen und Specifischen gelehrt hat - eine Einigungsform, die uns heute vollkommen selbstverständlich ist, aber eine der ungeheuersten Wandlungen und Fortschritte in der Cultur darstellt. So soll man überhaupt, wenn man die trennende und entfremdende Wirkung des Geldverkehrs beklagt, doch das Folgende nicht vergessen. Durch die Nothwendigkeit, das Geld umzusetzen und definitive, concrete Werthe dafür zu halten, schafft das Geld eine äußerst starke Bindung zwischen den Mitgliedern desselben Wirthschaftskreises; gerade weil es nicht unmittelbar verbraucht werden kann, weist es auf die anderen Individuen hin, von denen man das eigentlich zu Verbrauchende dafür erlangen kann. So ist der moderne Mensch von unvergleichlich mehr Lieferanten und Bezugsquellen abhängig, als der altgermanische Vollfreie oder der spätere Hörige; seine Existenz steht in jedem Augenblicke auf hundert, durch Geldinteressen gestifteten Verbindungen, ohne die er so wenig fortexistiren könnte, wie das Glied eines organischen Wesens, das aus dem Kreislauf der Säfte ausgeschaltet wäre. Vor Allem wirkt zu dieser Verschlingung und Verwachsung des modernen Lebens unsere Arbeitstheilung, die sich im Zustande des Naturaltausches ersichtlich nicht über die dürftigsten Anfänge hinaus entwickeln konnte. Denn wie sollte man die Werthe der einzelnen Produkte gegen einander abmessen, so lange es noch kein gemeinsames Werthmaß für die allerverschiedensten Dinge und Qualitäten gab? Wie sollte sich der Tausch glatt und leicht vollziehen, so lange es noch kein Tauschmittel gab, das jede Differenz begleichen, in das man jedes Product umsetzen und das sich in jedes Produkt umsetzen konnte? Und indem das Geld so die Theilung der Produktion ermöglicht, bindet es die Menschen unweigerlich zusammen, denn nun arbeitet Jeder für den Andern, und erst die Arbeit Aller schafft die umfassende wirthschaftliche Einheit, welche die einseitige Leistung des Individuums ergänzt*. So ist es schließlich das Geld, das unvergleichlich mehr Verknüpfungen zwischen den Menschen stiftet, als sie je in den von den Associations-Romantikern gerühmtesten Zeiten des Feudalverbandes oder der gewillkürten Einung bestanden. Und endlich hat das Geld ein so umfassendes gemeinsames Interessen-Niveau für alle Menschen hergestellt, wie naturalwirthschaftliche Zeiten es absolut nicht konnten; mit ihm ist ein Boden unmittelbaren gegenseitigen Verstehens, eine Gleichheit der Direktiven gegeben, die außerordentlich viel dazu beitragen mußte, jene Vorstellung des Allgemein-Menschlichen zu erzeugen, die in der Kultur- und Sozialgeschichte seit dem vorigen Jahrhundert eine so große Rolle gespielt hat - gerade wie sie in der Kultur des Römerreiches auftauchte, als in ihm die Geldwirthschaft völlig durchgedrungen war. Allein wie das Geld überhaupt - das leuchtet wohl schon aus dem Gesagten hervor - eine ganz neue Proportion zwischen Freiheit und Bindung hat entstehen lassen, so hat die betonte Enge und Unvermeidlichkeit des Zusammenschlusses, die es bewirkt, die eigenthümliche Folge, andererseits doch der Individualität und dem Gefühl innerer Unabhängigkeit einen besonders weiten Spielraum zu eröffnen. Denn der Mensch jener früheren Wirthschaftsepochen stand zwar zu weit weniger Menschen in gegenseitiger Abhängigkeit, aber diese Georg Simmel 224 Wenigen waren individuell bestimmt und beharren, während wir heute zwar von dem Lieferanten überhaupt viel abhängiger sind, mit dem Einzelnen aber oft und beliebig wechseln: wir sind von jedem bestimmten sehr viel unabhängiger. Gerade ein solches Verhältniß muß einen starken Individualismus erzeugen, denn nicht die Isolirung Anderen gegenüber, sondern die Beziehung zu ihnen, aber ohne Rücksicht darauf, wer es gerade ist, ihre Anonymität, die Gleichgiltigkeit gegen ihre Individualität - das ist es, was die Menschen gegeneinander entfremdet und Jeden auf sich selbst zurückweist. Gegenüber den Zeiten, wo jede äußerliche Beziehung zu Anderen zugleich personalen Charakter trug, ermöglicht das Geldwesen so, entsprechend unserer Charakterisirung der Neuzeit, eine reinlichere Scheidung zwischen dem objektiven ökonomischen Thun des Menschen und seiner individuellen Färbung, seinem eigentlichen Ich das jetzt ganz aus jenen Beziehungen zurücktritt und sich aus ihnen mehr als je gleichsam auf seine innersten Schichten zurückziehen kann. Die Ströme der modernen Cultur ergießen sich in zwei scheinbar entgegengesetzte Richtungen: einerseits nach der Nivellirung, der Ausgleichung, der Herstellung immer umfassenderer socialer Kreise durch die Verbindung des Entlegensten unter gleichen Bedingungen, und andererseits auf die Herausarbeitung des Individuellsten hin, auf die Unabhängigkeit der Person, auf die Selbstständigkeit ihrer Ausbildung. Und beide Richtungen werden durch die Geldwirthschaft getragen, die einerseits ein ganz allgemeines, überall gleichmäßig wirksames Interesse, Verknüpfungs- und Verständigungsmittel, andererseits der Persönlichkeit die gesteigertste Reservirtheit, Individualisirung und Freiheit ermöglicht. Die letztere Folge bedarf noch eines Beweises. Die Ausdrückbarkeit und Ablösbarkeit der Leistungen durch Geld ist von jeher als ein Mittel und Rückhalt der persönlichen Freiheit empfunden worden. So bestimmte das classische römische Recht, daß Derjenige, der zu einer bestimmten Leistung verpflichtet ist, ihre Naturalerfüllung verweigern und sie auch gegen den Willen des Berechtigten durch Zahlung ihres Werthes in Geld solviren durfte. Hiermit war die Garantie gegeben, daß man alle persönlichen Verpflichtungen sich mit Geld abkaufen konnte, und im Hinblick darauf hat man jene Bestimmung als die Magna charta der persönlichen Freiheit im Gebiete des Privatsrechtes bezeichnet. In der gleichen Richtung erfolgte vielfach die Befreiung der Hörigen. Die hörigen Handwerker eines mittelalterlichen Herrenhofes zum Beispiel gelangten oft zur Freiheit, auf dem Wege, daß ihre Dienste erst beschränkt, dann fixirt und schließlich in eine Geldabgabe umgewandelt wurden. So wirkte es als ein kräftiger Fortschritt zur Freiheit, als die englischen Grafschaften, vom dreizehnten Jahrhundert an, ihre Verpflichtungen zur Stellung von Soldaten und Arbeitern durch Geldzahlungen ersetzen durften. So war unter den Bestimmungen Josephs II., durch die er die Emancipation der Bauern einleiten wollte, eine der wichtigsten, daß sie ihre Frohnen und Naturalleistungen durch Geldzinsungen ablösen konnten, ja mußten. Der Ersatz der Leistung durch die Geldabgabe entläßt die Persönlichkeit sofort aus der specifischen Fesselung, die jene Leistung ihr auferlegte: nicht mehr auf das unmittelbare persönliche Thun, sondern nur auf das unpersönliche Ergebniß desselben hat der Andere nun Anspruch; in der Geldzahlung giebt die Persönlichkeit nicht mehr sich selbst, sondern etwas, das von jeder inneren Beziehung zum Individuum gelöst ist. Aber gerade aus diesem Grunde kann der Ersatz einer Leistung durch Geld auch herabdrückend wirken. Die Entrechtung der Bundesgenossen Athens begann damit, daß sie ihre bisherigen Contingente von Schiffen und Mannschaften durch Geldzahlungen an Athen ablösten; diese scheinbare Befreiung ihrer nur mehr personalen Verpflichtung enthielt doch den Verzicht auf eigene politische Bethätigung, auf die Bedeutung, die man nur auf den Einsatz einer specifischen Leistung, auf die Entfaltung realer Kräfte hin beanspruchen darf. Das wird bei steigender Geldwirthschaft so häufig übersehen: daß in den Pflichten, die man Das Geld in der modernen Cultur 225 sich abkauft, oft noch Rechte und Bedeutsamkeiten stecken, weniger bemerkbare, die man zugleich mit jenen dahingiebt. Wie hier an das Geben von Geld, knüpft sich die gleiche Doppelheit der Folgen auch an das Nehmen von Geld, an den Verkauf. Einerseits empfindet man die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld als eine Befreiung. Mit Hilfe des Geldes können wir den Werth des Objectes in jede beliebige Form gießen, während er vorher in diese eine gebannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Conservirung und Fructificirung abhängig machte. Allein wie oft bedeutet nun gerade diese Freiheit zugleich Inhaltlosigkeit des Lebens und Lockerung seiner Substanz! Deshalb hat dieselbe Gesetzgebung des vorigen Jahrhunderts, welche die Geldablösung der bäuerlichen Dienste vorschrieb, doch den Herrschaften die zwangsweise Zugeldesetzung des Bauers verboten. Es schien zwar, als ob diesem gar kein Unrecht geschähe, wenn die Herrschaft ihm zu einem angemessenen Preise seine Rechte auf den Boden abkauft (um diesen zum Gutsfelde zu schlagen); allein in dem Lande steckte für den Bauern noch etwas ganz Anderes als der bloße Vermögenswerth: es war für ihn die Möglichkeit nützlichen Wirkens, ein Centrum der Interessen, ein richtunggebender Lebensinhalt, den er verlor, sobald er statt des Bodens nur seinen Werth in Geld besaß. Die häufigen Zugeldesetzungen des Bauers im vorigen Jahrhundert gaben ihm zwar eine momentane Freiheit, nahmen ihm aber das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Werth gibt: das feste Object persönlicher Bethätigung. Das ist wiederum das Bedenkliche einer auf Geld gestellten Cultur, wie die des späten Athen, des späten Rom, der modernen Welt: dadurch, daß immer mehr Dinge mit Geld bezahlt, durch Geld erreichbar werden, und dieses so als der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen hervortritt, übersieht man gar zu oft, daß auch die Objecte des wirthschaftlichen Verkehres noch Seiten haben, die nicht in Geld ausdrückbar sind; man glaubt gar zu leicht, in ihrem Geldwerthe ihr genaues, restloses Aequivalent zu besitzen. Hier liegt sicher ein tiefer Grund für den problematischen Charakter, für die Unruhe und Unbefriedigtheit unserer Zeit. Die qualitative Seite der Objecte büßt durch die Geldwirthschaft an psychologischer Betonung ein, die fortwährend erforderliche Abschätzung nach dem Geldwerthe läßt diesen schließlich als den einzig giltigen erscheinen, immer rascher lebt man an der spezifischen, ökonomisch nicht ausdrückbaren Bedeutung der Dinge vorüber, die sich nur durch jene dumpfen, so sehr modernen Gefühle gleichsam rächt: daß der Kern und Sinn des Lebens uns immer von neuem aus der Hand gleitet, daß die definitiven Befriedigungen immer seltener werden, daß das ganze Mühen und Treiben doch eigentlich nicht lohne. Ich will nicht behaupten, daß unsere Epoche sich schon ganz in solcher seelischen Verfassung befände; wo sie sich aber ihr nähert, da hängt es sicher mit der vorschreitenden Ueberdeckung der qualitativen Werthe durch einen blos quantitativen, durch das Interesse an einem bloßen Mehr oder Weniger zusammen - da doch die ersteren allein unsere Bedürfnisse endgiltig befriedigen. Und thatsächlich werden auch die Dinge selbst durch ihre Aequivalenz mit diesem für jedes Beliebige geltenden Tauschmittel in höherem Sinne entwerthet. Das Geld ist “gemein”, weil es das Aequivalent für All und Jedes ist; nur das Individuelle ist vornehm; was Vielem gleich ist, ist dem Niedrigsten unter diesem gleich und zieht deshalb auch das Höchste auf das Niveau des Niedrigsten herab. Das ist die Tragik jedes Nivellements, daß es unmittelbar zu dem Standorte des niedrigsten Elements hinführt. Denn immer kann das Höchste zu diesem herab, fast nie aber alles Niedrige zum höchsten Elemente hinaufsteigen. So leidet der eigenste Werth der Dinge unter der gleichmäßigen Umsetzbarkeit des Heterogensten in Geld, und mit Recht bezeichnet deshalb die Sprache das ganz Besondere und Ausgezeichnete als “unbezahlbar”. Nur der psychologische Reflex dieser Thatsache ist die “Blasirtheit” unserer Georg Simmel 226 wohlhabenden Stände. Weil sie jetzt ein Mittel besitzen, mit dem sie trotz seiner farblosen Immergleichheit das Mannigfaltigste und Speziellste erkaufen; weil ihnen damit die Frage, was es werth ist, mehr und mehr durch die Frage, wie viel es werth ist, verdrängt wird, muß die feine Empfindlichkeit für die spezifischen und individuellsten Reize der Dinge sich mehr und mehr zurückbilden. Das eben ist Blasirtheit, daß man auf die Abstufungen und Eigenheiten der Objekte nicht mehr mit einer entsprechenden Nuanzirung des Empfindens reagirt, sondern sie alle in einer gleichmäßigen und darum matten, keiner entschiedenen Schwingungsweite mehr zugängigen Färbung empfindet. Eben durch diesen Charakter aber, den das Geld immer mehr annehmen muß, je mehr Dinge es aufwiegt - also mit steigender Kultur - verliert es seine früher besessene Bedeutung in gewissen höheren Beziehungen; die Geldbuße z.B. hat ihr Gebiet eingeschränkt. Das altgermanische Recht sühnte die schwersten Verbrechen, bis zum Morde, mit Geld. Die Kirchenbuße konnte vom siebenten Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden, während die modernen Rechte die Geldstrafe auf die relativ leichten Vergehen beschränken. Das ist kein Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes: gerade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, könne es nicht mehr zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentlichste der Persönlichkeit getroffen werden soll, und nicht trotzdem man so gut wie Alles für Geld haben kann, sondern gerade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen Anforderungen, auf denen die Kirchenbuße ruhte, zu begleichen. In diesem Punkte begegnen sich charakteristisch zwei Hauptströmungen der geschichtlichen Entwicklung. Wenn der Mord in der primitiven Gesellschaft durch Geld gesühnt werden konnte, so bedeutete das einerseits, daß das Individuum als solches in seinem Werthe noch nicht so betont war, daß es noch nicht als so unvergleichbar und unersetzlich empfunden wurde, wie in späteren Zeiten, in denen es sich entschiedener und individualisirter aus der Gruppe heraushebt; andererseits bedeutet es, daß das Geld noch nicht so indifferent geworden war, noch nicht so jenseits aller qualitativen Bedeutung stand. Die vorschreitende Differenzirung der Menschen und die ebenso vorschreitende Indifferenz des Geldes begegnen sich, um die Sühnung des Mordes durch Geld unmöglich zu machen. In ähnlicher Richtung wie diese Abschleifung und Deteriorirung des Geldes durch den wachsenden Kreis seiner Aequivalente mündet eine zweite äußerst wichtige Folge des vorherrschenden Geldwesens: daß man das Geld, ein bloßes Mittel, andere Güter zu erlangen, als ein selbstständiges Gut empfindet; während es seine ganze Bedeutung nur als Uebergang, nur als Glied in der Reihe hat, die zu einem definitiven Zwecke und Genusse führt - wird die Reihe psychologisch an dieser Stufe abgebrochen, das Zweckbewußtsein macht am Geld Halt. Indem die Mehrzahl der modernen Menschen den größten Theil des Lebens hindurch den Gewinn von Geld als nächstes Strebeziel vor Augen haben muß, entsteht die Vorstellung, daß alles Glück und alle definitive Befriedigung des Lebens mit dem Besitze einer gewissen Summe Geldes solidarisch verbunden wäre: aus einem bloßen Mittel und einer Vorbedingung wächst es innerlich zu einem Endzwecke aus. Allein wenn dieses Ziel nun erreicht ist, so tritt unzähligemale jene tödtliche Langweile und Enttäuschung ein, die am auffälligsten an Geschäftsleuten zu beobachten ist, wenn sie sich nach Ersparung einer gewissen Summe in ein Rentierleben zurückgezogen haben; das Geld enthüllt sich nach Wegfall der Umstände, die das Werthbewußtsein sich darauf konzentriren ließen, in seinem wahren Charakter als bloßes Mittel, das unnütz und unbefriedigend wird, sobald das Leben darauf allein angewiesen ist - es ist eben nur die Brücke zu definitiven Werthen, und auf einer Brücke kann man nicht wohnen. Das Geld in der modernen Cultur 227 Diese Ueberwucherung der Zwecke durch die Mittel ist einer der Hauptzüge und eines der Hauptprobleme jeder höheren Kultur. Denn diese hat ihr Wesen darin, daß im Gegensatze zu primitiven Verhältnissen die Absichten der Menschen nicht mehr einfache, naheliegende, durch unmittelbare Aktion zu erreichende sind, sondern sie werden allmälig so schwierige, komplizirte, weitabliegende, daß es eines vielgliedrigen Aufbaues von Mitteln und Apparaten, eines vielstufigen Umweges vorbereitender Schritte für sie bedarf. Kaum je kann in höheren Verhältnissen der erste Schritt schon zum Ziele führen; und nicht nur eines Mittels bedarf es, sondern auch dieses ist oft genug nicht direkt zu erreichen, sondern es ist eine Vielheit von Mitteln, von denen eines immer das andere trägt, die schließlich im definitiven Zwecke münden. Um so näher aber liegt die Gefahr, in diesem Labyrinth von Mitteln stecken zu bleiben und über sie den Endzweck zu vergessen. So wird die Technik aller Lebensgebiete - das heißt doch das System bloßer Mittel und Werkzeuge - je verschlungener, kunstreicher, gegliederter sie ist, mehr und mehr als ein für sich befriedigender Endzweck empfunden, über den man nicht mehr hinausfragt. So ist die Festigkeit aller äußeren Sitten entstanden, die ursprünglich nur Mittel zu bestimmten sozialen Zwecken waren, aber als Eigenwerthe, sich selbst tragende Forderungen weiterbestehen, während jene Zwecke längst vergessen oder illusorisch geworden sind. Durch die moderne Zeit, insbesondere, wie es scheint, durch die neueste, geht ein Gefühl von Spannung, Erwartung, ungelöstem Drängen - als sollte die Hauptsache erst kommen, das Definitive, der eigentliche Sinn und Centralpunkt des Lebens und der Dinge. Das ist sicher der Gefühlserfolg jenes Ueberhandnehmens der Mittel, des Zwanges unserer komplizirten Lebenstechnik, Mittel auf Mittel zu bauen, bis die eigentlichen Zwecke, denen sie dienen sollen, weiter und weiter an den Horizont des Bewußtseins rücken und schließlich unter ihn versinken. Kein Element aber hat in diesem Prozesse breiteren Antheil als das Geld, niemals ist ein Objekt, das nur als Mittel Werth hat, mit solcher Energie, solcher Vollständigkeit und solchem Erfolge für den Gesammtstand des Lebens zu einem - scheinbar oder wirklich - für sich befriedigenden Strebensziele ausgewachsen. Die centrale Stellung, die das Geld durch das ungeheure Anwachsen des Kreises dadurch erreichbarer Objecte erhält, strahlt in vielerlei einzelne Charakterzüge des modernen Lebens hinein. Das Geld hat dem Einzelnen die Chance völliger Befriedigung seiner Wünsche in viel größere, versuchungsvollere Nähe gerückt. Es giebt die Möglichkeit, gleichsam mit einem Schlage zu gewinnen, was überhaupt begehrenswerth erscheint. Es schiebt zwischen den Menschen und seine Wünsche eine vermittelnde Stufe, einen erleichternden Mechanismus, und weil mit der Erreichtheit dieses Einen unzähliges Andere erreichbar wird, erregt es die Illusion, als sei alles dieses Andere leichter als sonst zu erreichen. Mit der Annäherung an das Glück aber wächst die Sehnsucht danach. Denn nicht das absolut Ferne und Versagte, sondern das Nichtbesessene, dessen Besitz näher und näher zu rücken scheint - wie es durch die Geldorganisation geschieht - das entzündet die größte Sehnsucht und Leidenschaft. Das ungeheure Glücksverlangen des modernen Menschen, wie es sich in Kant nicht weniger als in Schopenhauer, in der Social-Demokratie nicht weniger als im wachsenden Amerikanismus der Zeit ausspricht, ist offenbar an dieser Macht und diesem Erfolge des Geldes genährt. Die specifisch moderne “Begehrlichkeit” der Classen und der Individuen, mag man sie nun verdammen oder als Stimulus der Culturentwicklung begrüßen, konnte aufwachsen, weil es jetzt ein Schlagwort giebt, das alles Begehrenswerthe in sich verdichtet, einen Centralpunkt, den man, wie den Zauberschlüssel im Märchen, nur zu gewinnen braucht, um mit ihm zu allen Freuden des Lebens zu gelangen. Damit wird - und dies ist sehr bedeutsam - das Geld jenes unbedingte Ziel, dessen Erstrebung überhaupt in jedem Augenblicke principiell möglich ist, im Gegensatze zu den Georg Simmel 228 constanten Zielen, von denen nicht jedes zu jeder Zeit gewünscht wird oder erstrebt werden kann. Dadurch wird dem modernen Menschen ein fortwährender Stachel zur Thätigkeit gegeben, er hat nun ein Ziel, das als Pièce de résistance sofort eintritt, sobald andere Ziele ihm Raum lassen, es ist potentiell immer da. Daher die Unruhe, Fieberhaftigkeit, Pausenlosigkeit des modernen Lebens, dem im Gelde das unabstellbare Rad gegeben ist, das die Maschine des Lebens zum Perpetuum mobile macht. Schleiermacher hebt vom Christenthum hervor, daß es zuerst die Frömmigkeit, das Verlangen nach Gott zu einer dauernden Verfassung der Seele gemacht habe, während frühere Glaubensformen die religiöse Stimmung an bestimmte Zeiten und Orte geknüpft haben. So ist das Verlangen nach Geld die dauernde Verfassung, welche die Seele bei durchgeführter Geldwirthschaft aufweist. So kann der Psychologe überhaupt nicht achtlos an jener häufigen Klage vorbeigehen, daß das Geld der Gott unserer Zeit wäre. Er kann freilich bei ihr nur stehen bleiben und bedeutsame Beziehungen zwischen beiden Vorstellungen aufdecken, weil es das Privilegium der Psychologie ist, keine Blasphemien begehen zu können. Der Gottesgedanke hat sein tieferes Wesen darin, daß alle Mannigfaltigkeiten und Gegensätze der Welt in ihm zur Einheit gelangen, daß er nach dem schönen Worte des Nikolaus von Kusa, jenes merkwürdigen modernen Geistes im Ausgang des Mittelalters, die Coincidentia oppositorum ist. Aus dieser Idee, daß alle Fremdheiten und Unversöhntheiten des Seins in ihm ihre Einheit und Ausgleichung finden, stammte der Friede, die Sicherheit, der allumfassende Reichthum des Gefühles, das mit der Vorstellung Gottes und daß wir ihn haben, mitschwebt! Unzweifelhaft haben die Empfindungen, die das Geld erregt, auf ihrem Gebiete eine psychologische Aehnlichkeit mit diesem. Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdrucke und Aequivalent aller Werthe wird, erhebt es sich in ganz abstracter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objecte, es wird zu dem Centrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt thatsächlich auch das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Princips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblicke gewähren, sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. Diese Sicherheit und Ruhe, deren Gefühl der Besitz von Geld gewährt, diese Ueberzeugung, in ihm den Schnittpunkt der Werthe zu besitzen, enthält so rein psychologisch, sozusagen formal, den Gleichungspunkt, der jener Klage über das Geld als den Gott unserer Zeit die tiefere Begründung giebt. Aus der gleichen Quelle fließen anders gerichtete und mehr abseits gelegene Charakterzüge des modernen Menschen. Die Geldwirthschaft bringt die Nothwendigkeit fortwährender mathematischer Operationen im täglichen Verkehre mit sich. Das Leben vieler Menschen wird von solchem Bestimmen, Abwägen, Rechnen, Reduciren qualitativer Werthe auf quantitative ausgefüllt. Dies trägt sicher bei zu dem verstandesmäßigen, rechnenden Wesen der Neuzeit gegenüber dem mehr impulsiven, auf das Ganze gehenden, gefühlsmäßigen Charakter früherer Epochen. So mußte überhaupt eine viel größere Genauigkeit und Grenzbestimmtheit in die Lebensinhalte durch das Eindringen der Geldschätzung kommen, die jeden Werth bis in seine Pfennigdifferenzen hinein bestimmen und specifiziren lehrte. Wo die Dinge in ihrem unmittelbaren Verhältnisse zu einander gedacht werden - also nicht auf ihren Generalnenner Geld reducirt sind - da findet viel mehr Abrundung, Setzen von Einheit gegen Einheit statt. Die Exactheit, Schärfe, Genauigkeit in den ökonomischen Beziehungen des Lebens, die natürlich auf seine anderweitigen Inhalte abfärbt, hält mit der Ausbreitung des Geldwesens Schritt - freilich nicht zur Förderung des großen Styles in der Lebensführung. Und in demselben Sinne wirkt, die Ausbreitung der Geldwirthschaft verkündend, der immer wachsende Gebrauch von kleinem Geld. Bis 1759 gab die englische Bank keine Noten unter Das Geld in der modernen Cultur 229 20 Pfd. St. aus, seitdem ist sie auf 5 Pfd. St. heruntergegangen. Und was noch bezeichnender ist: ihre Noten liefen bis 1844 im Durchschnitt 51 Tage, ehe sie wieder zur Einlösung in kleineres Geld präsentirt wurden, im Jahre 1871 dagegen liefen sie nur noch 37 Tage - in 27 Jahren ist also das Bedürfniß nach kleinem Geld fast um ein Viertel seiner Intensität gestiegen. Die Thatsache, daß Jeder kleines Geld in der Tasche hat, mit dem er, oft nur momentaner Lockung folgend, allerhand Kleinigkeiten sofort einkaufen kann, muß Industrieen hervorrufen, die von diesen Möglichkeiten leben. Dies und überhaupt die Theilbarkeit des Geldes in kleinste Summen trägt sicher zu dem kleinen Styl in der äußeren, insbesondere der ästhetischen Ausgestaltung des modernen Lebens bei, zu der wachsenden Zahl von Kleinigkeiten, mit denen wir unser Leben behängen. Und jener Pünktlichkeit und Exaktheit, welche die Verbreitung des Geldwesens - etwa analog jener der Taschenuhren - den äußeren Beziehungen der Menschen verliehen hat, entspricht auf ethischem Gebiete keineswegs eine gewachsene innere Gewissenhaftigkeit. Das Geld vielmehr verleitet durch seinen ganz objectiven und indifferenten Charakter, durch den es sich der höchsten wie der niedrigsten Aktion gleichmäßig und innerlich beziehungslos darbietet, leicht zu einer gewissen Laxheit und Unbedenklichkeit des Handelns, die bei anderen als bloßen Geldaktionen oft durch die eigene Struktur der Objekte, durch das individuelle Verhältniß des Handelnden zu diesen gehemmt wird. So haben sich Personen von sonstiger persönlicher Ehrenhaftigkeit an den dunkelsten “Gründungen” betheiligt, und viele Menschen verfahren eher in reinen Geldangelegenheiten gewissenloser und zweideutiger, als daß sie in anderen Beziehungen sittlich Zweifelhaftes thäten. Dem schließlich gewonnenen Resultate, dem Geld, ist eben nichts von seinem Ursprung anzusehen, während andere Besitzthümer und Zustände, weil sie individueller, qualitätsreicher sind, entweder sachlich oder psychologisch ihre Ursprünge in sich tragen; man kann sie ihnen mehr ansehen, sie erinnern mehr daran. Ist die That dagegen erst in den großen Geldocean gemündet, so ist sie nicht mehr herauszuerkennen, und die Abflüsse desselben tragen nichts mehr von dem Charakter seiner Zuflüsse. Zurückkehrend von diesen einzelnen Folgen des Geldverkehres, schließe ich mit einer ganz allgemeinen Bemerkung über sein Verhältniß zu den tieferen Zügen und Motiven unserer Kultur. Wollte man den Charakter und die Größe des neuzeitlichen Lebens in eine Formel zusammenzufassen wagen, so könnte es diese sein: daß die Gehalte der Erkenntniß, des Handelns, der Idealbildung aus ihrer festen, substantiellen und stabilen Form in den Zustand der Entwicklung, der Bewegung, der Labilität übergeführt werden. Jeder Blick auf die unter unseren Augen vorgehenden Schicksale jener Lebensinhalte zeigt unverkennbar diese Linie ihrer Gestaltung: wir verzichten auf die unbedingten Wahrheiten, die aller Entwicklung entgegen wären, und geben unser Erkennen gerne fortwährender Umgestaltung, Vermehrung, Correktur preis - denn nichts Anderes heißt die fortwährende Betonung der Empirie auf allen Gebieten. Die Arten der Organismen gelten uns nicht mehr als ewige Schöpfungsgedanken, sondern als Durchgangspunkte einer in’s Unendliche strebenden Evolution. Bis in das Unbelebte hinab und bis in die höchsten geistigen Formationen hinauf erstreckt sich die gleiche Tendenz: die Starrheit der Materie lehrt uns moderne Naturwissenschaft in den rastlosen Wirbel kleinster Theile aufzulösen; die einheitlichen, jenseits alles Wechsels und Widerspruches der Dinge gegründeten Ideale früherer Zeiten erkennen wir in ihrer Abhängigkeit von geschichtlichen Bedingungen, in ihrer Anpassung an allen Wechsel dieser. Innerhalb der sozialen Gruppe werden die festen Abgrenzungen mehr und mehr gelöst, die Starrheit kastenähnlicher und ständischer Bindungen und Traditionen werden - mag es zum Segen oder zum Verderben sein - durchbrochen, und die Persönlichkeit kann durch eine wechselnde Mannigfaltigkeit von Lebenslagen cirkuliren, gleichsam das der Georg Simmel 230 Dinge in sich spiegelnd. Diesem großen und einheitlichen Lebensprozesse, den die geistige und soziale Kultur der Neuzeit in einen so entschiedenen Gegensatz gegen das Mittelalter wie gegen das Alterthum stellt, ordnet sich die Herrschaft des Geldes, ihn tragend und von ihm getragen, ein. Indem die Dinge ihr Aequivalent an einem völlig farblosen, jenseits aller spezifischen Bestimmtheit stehenden Tauschmittel finden, indem sie sich in jedem Augenblicke gegen ein solches umsetzen, werden sie gewissermaßen abgeschliffen und geglättet, ihre Reibungsflächen mindern sich, fortwährende Ausgleichungsprozesse vollziehen sich zwischen ihnen, ihre Cirkulation, Geben und Nehmen findet in einem ganz andern Tempo statt, wie in naturalwirthschaftlichen Zeiten, immer mehr Dinge, die jenseits des Tauschverkehrs zu stehen schienen, werden in seinen rastlosen Fluß hinabgezogen: ich erinnere nur, als an eines der krassesten Beispiele, an die Schicksale des Grundbesitzes seit der Herrschaft des Geldes. Derselbe Uebergang der Stabilität zur Labilität, der das gesammte moderne Weltbild charakterisirt, hat mit der Geldwirthschaft auch den ökonomischen Kosmos ergriffen, dessen Schicksale, wie sie einen Theil jener Bewegung bilden, zugleich ein Symbol und Spiegel der ganzen sind. Es kann hier nur auf den Hinweis ankommen, daß eine Erscheinung wie die Geldwirthschaft, so sehr sie rein ihren inneren Gesetzen zu gehorchen scheint, dennoch demselben Rhythmus folgt, der die Gesammtheit der gleichzeitigen Kulturbewegungen, auch der entlegensten, regulirt. Im Unterschiede von dem historischen Materialismus, der den gesammten Kulturprozeß von den ökonomischen Verhältnissen abhängig macht, kann die Betrachtung des Geldes uns lehren, daß von der Formung des Wirthschaftslebens zwar tiefgreifende Folgen auf den psychischen und kulturellen Stand der Periode ausgehen, daß aber andererseits diese Formung selbst doch ihren Charakter von den großen einheitlichen Strömungen des geschichtlichen Lebens empfängt, deren letzte Kräfte und Motive freilich das göttliche Geheimniß sind. Enthüllen aber diese Formgleichheiten und tiefe Zusammenhänge uns das Geldwesen als einen Zweig der gleichen Wurzel, die alle Blüthen unserer Kultur treibt, so mag man daraus einen Trost gegenüber den Klagen schöpfen, die gerade die Pfleger der geistigen und gemüthlichen Güter über die Auri sacra fames und über die Verwüstungen des Geldwesens erheben. Denn je mehr die Erkenntniß sich jener Wurzel nähert, desto ersichtlicher müssen die Beziehungen der Geldwirthschaft, wie zu den Schattenseiten, so doch auch zu dem Feinsten und Höchsten unserer Kultur hervortreten, so daß es, wie alle großen geschichtlichen Mächte, dem mythischen Speer gleichen mag, der die Wunden, die er schlägt, selbst zu heilen im Stande ist. Anmerkung * Die Geldentlohnung befördert die Arbeitstheilung, weil in der Regel nur eine einseitige Leistung mit Geld bezahlt wird: nur dem objektiven, von der Persönlichkeit gelösten Einzelprodukt entspricht dies qualitätlose, abstrakte Aequivalent. Für den gesammten Menschen mit all seiner Vielseitigkeit wird - wo keine Sklaverei besteht - kein Geld aufgewendet, vielmehr nur für die arbeitstheilige Leistung. Deshalb muß die Ausbildung dieser Hand in Hand mit der Verbreitung der Geldwirthschaft gehen. Aus dieser Thatsache erklären sich, beiläufig gesagt, die Mängel und Widersprüche des modernen Dienstbotenverhältnisses; denn hier wird thatsächlich noch ein ganzer Mensch mit der Totalität seiner Leistungen für Geld gekauft.