Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
253-4
Das Geld als Zeichen
121
2002
Kurt Singer
kod253-40243
Das Geld als Zeichen Kurt Singer Das Wesen der Chartalität Es scheint tief in der Natur des Verstandes begründet zu sein, daß er vor eine ungewohnte und überraschende Erscheinung gestellt zunächst geneigt ist, die Existenz des Neuen zu bestreiten, wenn aber diese Existenz nicht länger geleugnet werden kann, sie auf gewohnte und bekannte Dinge zurückzuführen. Es ist, als ob er eine eingeborene Abneigung hätte, den Schritt des Heute zu vernehmen, wenn er aus einer unerwarteten Richtung hörbar wird. So ist es im großen Leben des Geistes; so wird man auch, wo immer unternommen wird, den gegenwärtigen Zustand des Geldwesens darzustellen, fast ohne Ausnahme dem Versuch begegnen, die vorgefundene Geldverfassung nicht aus sich, sondern aus älteren Verfassungen zu erklären und nach deren Analogie zu deuten, weil diese Verfassungen leichter mit den herkömmlichen Begriffen erfaßbar scheinen als jene. Nach diesen herkömmlichen Anschauungen ist die Mark von jeher nur ein Name für eine bestimmte Metallmenge gewesen: eben die Menge Metall, die dank dem Münzfuß im baren Gelde enthalten ist. Der Zahlungsverkehr bedeutet dann die Hingabe von Gütern gegen bestimmte Metallmengen und die Messung des Güterwerts an dem Wert des Währungsstoffes. Eine solche Auffassung ist allenfalls verständlich, wenn die Geldverfassung wie in Deutschland vor Ausbruch des Krieges die Einlösung jedes Zahlungsmittels in Währungsmetall verbürgt, so daß auch die Banknoten und die übrigen nicht-baren (genauer: autogenischen) Zahlungsmittel aufgefaßt werden können als Träger eines Anspruchs auf eine bestimmte Metallmenge. Diese Theorie hält nun zwar, wie später darzulegen ist, auch einer solchen Verfassung gegenüber nicht stand, wenn man sich nicht mit läßlichen Umschreibungen des Sachverhalts begnügt. Sie erweist sich aber als durchaus unanwendbar, wo die Einlösung der autogenischen Zahlungsmittel in bares Geld aufgehoben ist, so daß jene zu definitivem oder gar zu valutarischem Geld aufrücken. Wie soll es in dieser Geldverfassung möglich sein, Güter in Gold zu schätzen und gegen Gold hinzugeben, wenn das Währungsgeld eines solchen Metallgehaltes entbehrt? Die herrschende Theorie antwortet, dieser Zustand sei eigentlich nur scheinhaft und in jedem Fall vorübergehend, er beruhe auf einem Fortwirken früherer Zustände und auf einer Vorwegnahme künftiger Reformen. Wenn man die uneinlösliche Banknote heute annähme und benutze wie früher die einlösbare, so diene sie eben als Ersatz des Goldes, als Stellvertretung und Surrogat. Jedermann müsse erwarten, daß die Einlösung in absehbarer Zeit wiederhergestellt werde, zu welchem Zweck große Goldbestände bei den Notenbanken aufgehäuft zu werden pflegten. Im Grunde also sei das Gold sowohl in der Form der Erinnerung wie in der Form der Hoffnung wirksam und irgendwie gegenwärtig. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Kurt Singer 244 Diese These gründet sich indessen auf eine Fiktion die nur leicht verschleiert ist. Niemand der heute in Banknoten zahlt, bedient sich ihrer, weil früher die notalen Zahlungsmittel in Goldgeld einlösbar waren. Niemand würde sich auch zu ihnen anders verhalten, wenn es sicher wäre, daß sie niemals wieder in Goldgeld eingelöst würden. Jene psychologische Stützung durch die angebliche Beziehung zum Golde ist also nicht ein Tatbestand, sondern nur ein Postulat durch das die alte Theorie um jeden Preis gerechtfertigt werden soll. Wem es nicht um eine bequeme Umdeutung der Dinge, sondern um das Verständnis der Wirklichkeit selber zu tun ist, wird aber als eine Art von Urphänomen die Tatsache anzuerkennen haben, daß die uneinloslichen autogenischen Zahlungsmittel auch dort die Funktion des valutarischen Geldes erfüllen können, wo sie nicht den Besitz einer bestimmten Goldmenge verbürgen. Die Theorie findet sich mit der Anerkennung dieses Phänomens vor die Frage gestellt, welche Momente denn jene autogenischen Zahlungsmittel zur Erfüllung der Geldfunktion befähigen. Um diese Frage zu beantworten, muß diese Funktion selber schärfer bestimmt werden als es bisher geschehen ist. Die ältere Literatur hat sehr weitläufige Betrachtungen über die Zahl und die Art der wesentlichen Funktionen des Geldes angestellt, ohne zu einer Verständigung darüber zu kommen. Einige Schriftsteller erklären das Geld als Tauschmittel, Wertmaß, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel. Einige Schriftsteller haben die Zahl der Funktionen vermehrt, andere eine geringere Zahl angenommen. Auch ist viel Streit darüber, welche Funktionen als primäre, unerläßliche und welche als sekundäre, abgeleitete bezeichnet werden müssen. Bei einem so kontroversen Zustand der Literatur wird man immer vermuten dürfen, daß das Problem selbst falsch gestellt war und daß man gut daran tut, einen neuen Ausgangspunkt zu wählen. Statt also wie die ältere Theorie nach den Funktionen des Geldes im Gesamtzusammenhang der neueren Marktwirtschaft im allgemeinen zu fragen und uns damit auf ein weites Feld zu begeben, auf dem die Stimmen der Rufenden sich oft nicht mehr zu erreichen scheinen, ziehen wir es vor, von der nächsten, einem jeden gegebenen Erfahrung des Alltags auszugehen. Wir zeigen ihm ein Geldzeichen, es sei nun eine Münze oder eine Banknote, und warten ab, was er für Fragen an uns stellt, um sich über die Verwendbarkeit dieses Dinges zu unterrichten. Es wird angenommen, daß wir es nicht mit dem Angehörigen eines Negerstammes zu tun haben, der mit dem Gebrauch des Geldes überhaupt nicht vertraut ist, oder mit einem Dogmatiker, der sich verpflichtet fühlt, seiner Theorie gemäß zu handeln, sondern mit einem nicht durch irgendwelche Theorien voreingenommenen Europäer. Wird dieser das Geldstück, auch wenn es aus Metall besteht, auf eine Wage legen, den Metallgehalt bestimmen und daraufhin erklären, das Geldstück hätte den oder jenen Wert für ihn ? Wird er nicht vielmehr fragen: wieviel gilt das Stück ? und wo kann ich damit zahlen ? Diese Fragen werden aber in gleicher Weise beim Goldgeld und beim Papiergeld gestellt und beantwortet werden müssen. Wenigstens in den neueren Geldverfassungen verhält sich der Zahlende zu dem Stück, mit dem gezahlt wird, durchaus in gleicher Weise, ob es sich um eine Münze oder ob es sich um einen Schein handelt. Den Keim, der in diesem Erlebnis gegeben ist, begrifflich und systematisch zu entfalten, ist die erste Aufgabe einer wirklich allgemeinen Theorie des Geldes. Er enthält in vorwissenschaftlicher Form den Hinweis darauf, daß der Begriff des Geldes den Begriff der Werteinheit und den Begriff der Zahlungsgemeinschaft vorausgesetzt, und zugleich die Anerkennung der Grundtatsache, daß das Geld eine gesellschaftlich-staatliche, überindividuelle Einrichtung ist: eine Sache, die nicht vom Belieben des Einzelnen abhängt, sondern von Gruppen oder Anstalten geregelt wird, ein Ding bei dessen Verwendung der Einzelne abhängig ist von den Normen und Maßnahmen einer irgendwie definierten Gesamtheit, die nicht notwendig die Das Geld als Zeichen 245 Form eines Verbandes anzunehmen braucht, aber in den letzten Jahrhunderten regelmäßig annimmt. Wenn wir so den geometrischen Ort des Geldes bestimmen als eine von einer Gemeinschaft (die sowohl ein Stamm wie ein Staat, eine Kommune, eine Priestergilde oder der Mitgliederkreis einer Handelskammer sein kann) geregelte Einrichtung, so wird damit natürlich nicht behauptet, daß der Wille eines Verbandes das Geldwesen unabhängig von allen äußeren Bedingungen nach seinem Belieben gestalten kann. Der Verband kann zweckwidrig handeln, er kann seine Kräfte überschätzen, er kann von falschen Voraussetzungen ausgehen, er kann Widerständen begegnen denen er sich wohl oder übel fügen muß, ja die ganze Institution kann durch Verschulden des Verbandes oder durch das Hereinbrechen übermächtiger Unglücksfälle gänzlich zusammenbrechen: in jedem Fall aber ist es der Verband der handelt oder leidet, und die Ereignisse werden unverständlich, wenn man sie auf ein anderes Subjekt beziehen wollte. Ebenso wie die Tatsache einer Revolution nichts gegen die Realität einer monarchischen Regierung vor Ausbruch der Revolution beweist, können Zerrüttungen der Geldverfassung, wie sie in Zeiten kritischer oder anarchischer Staatszustände entstehen, nicht als Beweis des “unstaatlichen” Charakters des Geldes gelten. Gerade die Geschichte solcher Geldwirren zeigt, wie notwendig dem Geldwesen die Regelung durch eine starke, klar und folgerichtig handelnde Herrschaftsmacht ist. Wenn aber allgemein vom staatlichen Charakter des Geldes geredet wird, so steht hier der Staat als wichtigster Vertreter aller der Zahlverbände, die das Geldwesen zu regeln übernommen haben. Auch die großen nichtstaatlichen Zahlverbände die mit der Entwicklung des Giro- Bankwesens große Bedeutung gewonnen haben, pflegen abhängig von den Normen der staatlichen Zahlungsgemeinschaft zu sein. Sie bauen sich in der Gegenwart ohne Ausnahme auf der Grundlage der staatlichen Geldverfassung auf. Noch einem zweiten Einwand ist hier zu begegnen. Wenn wir das Geld als Zahlungsmittel definieren, so bedeutet das nicht, daß wir den Prozeß des Zahlens an sich für wichtiger halten als den des Kaufens, Tauschens oder Wertens und noch weniger bedeutet es, daß uns die Jurisprudenz in die jener Begriff zu gehören scheint, wichtiger wäre als die Wissenschaft von den Formen der Wirtschaft und der Gesellschaft. Es ist durchaus nicht ein juristischer, sondern ein staats- und wirtschaftswissenschaftlicher Begriff des Zahlens, von dem wir ausgehen. Die Jurisprudenz erklärt zum Beispiel, daß für sie nur dort von Zahlung geredet werden könne, wo “gesetzliche Zahlungsmittel” in Erfüllung einer Verpflichtung hingegeben werden. Für die staatswissenschaftliche Betrachtungsweise ist der Geldbegriff notwendig anders abzugrenzen. Für sie besteht kein Zweifel darüber, daß auch das fakultative Geld ebenfalls rechtmäßig als Geld bezeichnet werden muß und daß die Hingabe solcher fakultativer Geldarten nicht als “Hingabe an Zahlungs Statt”, sondern als “Zahlung selbst” anzusehen ist. Da sich der Gläubiger mit der Annahme der fakultativen Geldarten in der Tat zu begnügen pflegt, falls nur die Stückelung der Geldzeichen seinen Wünschen entspricht, und da auch sonst die staatlich-wirtschaftlichen Folgen der Zahlung von fakultativem und obligatorischem Geld in Wirklichkeit die gleichen sind, würde für die staatswissenschaftliche Betrachtung durch die Ziehung einer Grenzlinie zwischen dieser und jener Handlung eine ganz unorganische Scheidung entstehen. Die Jurisprudenz mag bei ihrer Definition des Geldes auf ihrem eigenen Felde im Rechte sein. Es ist ihre Aufgabe, die Normen die von der rechtschaffenden Instanz einmal gesetzt sind, zu interpretieren, zu ordnen und zu systematisieren. Durch den Gehalt dieser Normen hält sie sich durchaus gebunden. Die Staatswissenschaft dagegen betrachtet die positiven Rechtsvorschriften nicht als etwas schlechthin Gegebenes, Hinzunehmendes, sondern als Auswirkungen eines konkreten staatlichen Willens; nicht als Kurt Singer 246 Anspruch, sondern als geschichtliche Realität; nicht als gesetzte Norm, sondern als geschaffene und wirkende, durch andere Realitäten bedingte Macht. Sie fragt nach den Zwecken denen das Gesetz dienen soll; nicht wie auch der Jurist nach den Absichten des Gesetzgebers fragt, um sich über den Sinn der Norm klar zu werden, sondern um beispielsweise zu untersuchen, ob die Befolgung eines Gesetzes auch die Wirkungen gehabt hat oder haben kann, die der Gesetzgeber von ihr erwartete, aus welchen historischen Ursachen das Gesetz entstanden ist und was es für den Fortgang der Staats- und Wirtschaftsgeschichte bedeutet. Der einzelne Rechtssatz wird von der Staatswissenschaft immer nur insoweit als Realität anerkannt, als seine Geltung in der Tat durchgesetzt wird, und wenn hier eine Einrichtung oder eine Sache schlechthin mit ihrem Rechtsbegriff bezeichnet wird, so geschieht das nicht, um ihren juristischen Aspekt als den einzig richtigen und allein wesentlichen hinzustellen, sondern weil die von der Rechtsordnung geschaffenen Begriffe vielfach der zweckmäßigste Ausgangspunkt auch für die staatswissenschaftliche Begriffsbildung sind, die sich freilich vorbehalten muß, Inhalt und Umfang jener Begriffe nach den Bedürfnissen ihres eigenen Weges mannigfaltig abzuändern. Auch darf darauf verwiesen werden, daß die Rechtsbegriffe selbst vielfach anders aussähen, wenn dem Gesetzgeber bessere Handhaben zur Erfassung der Gegenstände die durch ihn geregelt werden sollen, in Form einer staatswissenschaftlichen Theorie dieser Gegenstände zur Verfügung gestellt worden wären. Wenn hier also vom Zahlungswesen und von Zahlungsmitteln gesprochen wird, so ist darin nicht eingeschlossen, daß wir in irgendwelchen Paragraphen irgendeines Gesetzbuches den Sinn des Zahlungswesens dogmatisch festgestellt sähen. Wir gehen lediglich von der Erfahrung aus, daß das ganze staatlich-wirtschaftliche Getriebe dieser Zeit durchflochten wird von einem in steter Änderung befindlichen System von Forderungen und Schulden die auf allgemein gültige Werteinheiten lauten und durch Übertragung von Zahlungsmitteln die ebenfalls auf jene Werteinheiten lauten, getilgt werden können - ein System von Rechtsbeziehungen das der Regelung durch eine Rechtsordnung unterliegt, die den Wirtschaftenden ebenso als gegebene Realität entgegentritt wie der Stand der Technik oder die physiologischen Bedingungen der menschlichen Arbeit. Auch jeder Kauf kristallisiert, sobald er aus dem Stadium des Verhandelns und Erwägens herausgetreten ist und zu einem Abschluß gelangt, in einer Geldforderung aus, ja es definiert den Kauf im Gegensatz zum Tausch, daß bei jenem die Ware nicht gegen eine andere Ware hingegeben wird, sondern gegen ein allgemein gültiges Zahlungsmittel. Wollte man das Geld als Tauschmittel bezeichnen, weil die für die Theorie der kapitalistischen Wirtschaft wichtigsten Verkehrsvorgänge Marktvorgänge sind oder auf solche Vorgänge zurückgeführt werden können, so würde man gerade die Eigenart zugleich der Zahlung und des modernen Marktverkehrs - der eben auf der Ausschaltung des Tausches beruht - nicht treffen. Als der Krieg und mit ihm die Geldkrisis ausbrach, ist denn auch von niemand die Frage gestellt worden, ob das Papiergeld als Tauschmittel zu gebrauchen sei. Es wurde lediglich gefragt, ob man damit zahlen könne: d.h. ob es möglich sei, Warenschulden und Steuern, Kreditverpflichtungen und andere Geldverbindlichkeiten mit ihnen zu tilgen. Es drückte sich darin durchaus kein populäres Mißverständnis aus, sondern es wurde in diesen Erfahrungen nur der in unbewegten Zeiten leicht zu verschleiernde Sachverhalt eindringlicher deutlich, daß das Geld nur aus dieser Leistung begriffen werden kann. Niemand hat damals, außerhalb eines kleinen Kreises von Metallhändlern und anderen Gewerbetreibenden, irgendwelche Schätzungen angestellt, ob das valutarische Geld des Deutschen Reiches auch nach dem Übergang zur Notalverfassung noch so viel wert sei wie die Geltung anzeige und ob es also zweckmäßig sei, es weiter als Tauschmittel zu verwenden. Auch im Unterbewußtsein dürften Das Geld als Zeichen 247 solche Erwägungen nicht vorgegangen sein. Es wurde lediglich gefragt, ob das notale Geld tauglich zur Tilgung von Schulden sei und in welchem Maße. Die Antwort auf diese Frage wird in unserem Kulturkreise regelmäßig von der Rechtsordnung oder der Verwaltung des Zahlverbandes erwartet. Wenn das Papiergeld im Zahlungsverkehr ebenso wie vor der Aufhebung der Einlösbarkeit gegeben und genommen wird, so ist dafür entscheidend, daß nicht nur der Staat die Noten bei Zahlungen die an seine Kassen gerichtet sind annimmt, sondern daß die Rechtsordnung die Noten als obligatorisches Geld auch für Zahlungen der Privaten untereinander (parazentrische Zahlungen) bezeichnet. Die Schulden lauten auf Mark, die Scheine ebenfalls. Nachdem festgestellt worden ist, daß sie bei der Tilgung von Schulden nicht von Gläubiger abgelehnt werden können, ist für die Praxis des Zahlungsverkehrs das Geldproblem des Augenblicks gelöst. Für die Theorie aber eröffnet sich hier die Aufgabe: zu entwickeln, welche Eigenschaften es denn sind, die das stoffwertlose Geld zur Ausübung der Geldfunktion befähigen. Diese Frage löst sich nach den vorangegangenen Darlegungen in das Problem auf, wie Zahlungsmittel ohne Stoffwert zu Trägern von Werteinheiten werden können, die im Zahlungsverkehr als eine ebenso objektive feste und gültige Größe behandelt werden können, wie der Stoffwert metallischer Zahlungsmittel. Der Begriff des Geldes setzt durchaus den Begriff der Werteinheit voraus, einer Einheit, auf die die Zahlungen im Bereich eines staatlichen oder nichtstaatlichen Zahlverbandes bezogen werden, in der die Preise ausgedrückt wie die Schulden festgesetzt und die Kalkulationen des Unternehmers durchgeführt werden. Solange eine solche Werteinheit nicht besteht, kann nicht von einem Zahlungsmittel (Lytron) und von Schulden die darauf lauten (lytrische Schulden) gesprochen werden. Es gibt dann Verpflichtungen, ausgedrückt und zu tilgen in dieser oder jener Ware oder Leistung, aber nicht in einem allgemeinen Zahlungsmittel. Die herrschende Meinung nimmt an, daß dies der ursprüngliche Zustand des wirtschaftlichen Verkehrs gewesen sei. Bald werde Getreide gegen Vieh, bald Schmuck gegen Sklaven getauscht. Bilde sich dann in der Wirtschaftsgemeinschaft ein Tauschgut von besonderer Beliebtheit aus, so werden, argumentiert man weiter, die Wirtschaftenden es zweckmäßig finden, alle Schulden auf dieses allgemein beliebte Tauschgut zu stellen, weil dadurch die Übersicht über die Wertverhältnisse der Waren erleichtert und der Kreis möglicher Tauschhandlungen erweitert werde. Denn da ein solches allgemein beliebtes Tauschgut die absatzfähigste aller Waren sei, werde man sich eher zur Hingabe seiner Produkte gegen dieses Tauschgut entschließen als zur Hingabe gegen eine Ware, deren man nicht bedarf und deren Absatzfähigkeit unsicher ist. Als solches allgemeines Tauschgut trat nach der herrschenden Meinung in unserem Kulturkreis zuerst Vieh, dann Schmuck und endlich Edelmetall auf, das sich in dieser Stellung behauptete, weil seine leichte Teilbarkeit, sein hoher spezifischer Wert und seine verhältnismäßig große Unzerstörbarkeit es zum Geldstoff besonders geeignet machten. Solange nun eine Ware, wie zum Beispiel Silber, schlechthin als allgemeines Tauschgut sich bewährt, ist die Werteinheit in der Tat unschwer zu definieren als eine Einheit dieser Ware, zum Beispiel eine Gewichtseinheit Silber. Auch wenn das Metall in Barren und Münzen geformt, aber nach Gewicht im Zahlungsverkehr angenommen wird, wie es vielfach im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit festgestellt werden kann und heute noch im chinesischen Handel die Regel bildet, so ist auch hier die Werteinheit durch die Gewichtseinheit des Währungsmetalls definiert. Die Feststellung der Geltung der Zahlungsmittel erfolgt also durch Wägung und so kann die hier angewandte Art der Zahlung pensatorische Zahlung genannt werden. Der Zustand des Geldwesens, in dem ein Gut von realer Verwend- Kurt Singer 248 barkeit (Hyle) zum Zahlungsmittel wird, soll überhaupt als Authylismus bezeichnet werden; ist der Währungsstoff ein Metall, so wird von Autometallismus geredet. Das Metall kann hierbei entweder formlos (amorphisch) oder geformt (morphisch) gedacht werden. Auch bei morphischer Struktur der Zahlungsmittel ist pensatorische Zahlung möglich. Sie ist aber nicht notwendig mit ihr verbunden. Sobald aus dem Metall Stücke hergestellt werden, die eine vom Staat oder irgendeinem anderen Organ des Zahlverbandes bestimmte Form haben, ergibt sich eine andere Möglichkeit, die Geltung eines Zahlungsmittels erkennbar zu machen und eindeutig festzulegen, als die Wägung. Der Zahlverband kann nämlich auch verkünden, daß den hinreichend klar beschriebenen Stücken diese oder jene Geltung in Werteinheiten beigelegt werden soll. Wenn vorher die Mitglieder des Zahlverbandes gewohnt waren, in Pfund Silber zu rechnen und Schulden und Forderungen zu bemessen, so kann nun die Werteinheit selber, auch unter dem gewohnten Namen, fortbestehen, während nunmehr Schulden nicht mehr in jenem Metall zu tilgen sind, sondern in den neuen Zahlungsmitteln, deren Geltung vom Zahlverband proklamatorisch festgesetzt wird. Die Änderung des Zahlungswesens vollzieht sich aber auch bei einer Änderung der Werteinheit ohne weitere Schwierigkeit, wenn festgesetzt wird, wieviel Einheiten des neuen Systems gleich einer Einheit des alten gelten sollen. Die Herstellung einer solchen Beziehung nennen wir rekurrenten Anschluß. Ist vorher in der Mark Silber (als einem uralten Metallgewicht) gezahlt worden, von da an aber in Talern, so besteht der rekurrente Anschluß darin, daß festgesetzt wird, alle auf Mark Silber lautenden Schulden seien nunmehr in Talern zu tilgen, und zwar so, daß eine bestimmte Anzahl von Talern gleich einer Mark Silber gelten soll. Durch einen solchen rekurrenten Anschluß wird die neue Werteinheit historisch definiert. Beim Übergang von der pensatorischen Zahlung zur Zahlung in Stücken, deren Geltung nicht mehr durch Wägung, sondern durch Proklamation festgestellt wird, verwandelt sich notwendig der Sinn der Werteinheit. In jenem System war sie nicht nur an einen Stoff gebunden, sondern sie war real, d.h. als eine Einheit dieses Stoffes selbst definiert. Sollen die Zahlungsmittel nicht mehr pensatorisch, sondern proklamatorisch gelten, so wird die Werteinheit zu einem bloßen Namen und muß historisch durch rekurrenten Anschluß an eine frühere Geldverfassung definiert werden. Ein Rückschritt oder ein Verfallsmoment ist darin um so weniger zu sehen, als auch unter der Herrschaft des Systems der Wägung die Nominalität der Werteinheit sichtbar wurde, so bald man von einem Geldstoff zum anderen überging. Wenn nämlich der Zahlverband beschließt, das Pfund Silber statt des Pfundes Kupfer zum Zahlungsmittel zu erheben, so müssen auch hier die alten in die neuen Schulden durch rekurrenten Anschluß übergeführt werden: war ursprünglich die Schuld nur tilgbar durch Hingabe einer Gewichtsmenge Silber, so wird erkennbar, daß es auch in der früheren Verfassung nicht auf das Silber an sich ankam, sondern daß die Angabe jenes Gewichts nur ein Mittel war, um die Höhe der Schuld eindeutig festzulegen. Die Werteinheit spielt hier gleichsam die Rolle eines Koordinatensystems: alle Schätzungen werden durch Projektion auf dieses System ausgedrückt. Dadurch wird es möglich, auch die Verhältnisse der Warenpreise und der Schuldlasten untereinander festzulegen und vergleichbar zu machen. Wird das Koordinatensystem geändert, so bleiben die Beziehungen der Elemente zueinander unverändert: sie haben nur einen neuen Ausdruck erhalten. Wer Silber zu fordern hatte, erhält jetzt zwar Kupfer; ist aber einmal festgelegt, wie sich die Geltung des Kupfers zu der des Silbers verhalten soll, so ist damit auch das relative Verhältnis der Schulden untereinander geregelt, und zwar eindeutig. Daß dies möglich ist, liegt in dem Unterschied des Zahlungsmittels von allen anderen Gütern mit denen es die Wirtschaft zu tun hat begründet, denn, es definiert das Zahlungs- Das Geld als Zeichen 249 mittel, daß es nicht genommen wird wegen der Tauglichkeit seines Stoffes, irgendein menschliches Bedürfnis zu befriedigen, sondern wegen seiner Tauglichkeit zur Verwendung im Zahlungsverkehr: nicht um der realen, sondern um der zirkulatorischen Verwendung willen. Das Geld wird von dem Zahlenden nicht angesehen als ein zum Gebrauch nützliches Ding, sondern als ein zum Zahlen geeignetes: nicht als Träger eines Wertes, sondern als Verkörperung einer Geltung. Sein Dasein ist daher nicht abzuleiten aus der Urtatsache, daß wir Bedürfnisse haben und sie nur unter Aufwendung von Mühen und Kosten befriedigen können, sondern aus dem historischen Faktum, daß unser gesellschaftliches Leben durchzogen ist von jenem System der Schulden und Forderungen, die auf historisch definierte Werteinheiten lauten. Die Koexistenz und die Kontinuität dieser Vertragsverhältnisse die nicht nur als juristische Verpflichtungen wichtig sind, sondern vielleicht noch wichtiger als Grundlage aller wirtschaftlichen Berechnungen und Pläne, verleiht den Trägern jener abstrakten nominalen Werteinheit ihre wirtschaftliche Bedeutung. Stücke, deren Geltung nicht durch Wägung, sondern durch Proklamation festgestellt wird, nennen wir chartale Zahlungsmittel, wobei charta (Marke) eine bewegliche geformte Sache bedeutet, die von der Rechtsordnung als Träger einer bestimmten Bedeutung aufgefaßt wird. Beispiele solcher Marken waren schon vor dem Kriege in großer Fülle aufzuzeigen: Postwertzeichen, Theatergarderobemarken, Polizeierkennungsmarken und andere durch Rechtsordnung oder durch Konvention geschaffene Zeichen. Im Aufbau der Kriegswirtschaft hat die Verwendung von Marken eine nur in sozialistischen Utopien vorgeahnte Ausdehnung gewonnen. Die Nahrungsmittelmarken nehmen vielfach eine Zwischenstellung zwischen den chartalen Zahlungsmitteln und den früher bekannten Markentypen ein, indem sie ein Recht zum Bezug ganz bestimmter Güter verkörpern, das allerdings oft nur bedingt und mit verschiedenem Erfolge ausgeübt werden kann. Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß hinzugefügt werden, daß Proklamation nicht gleichbedeutend ist mit der Aufschrift der Münzen und Scheine. Diese Aufschriften dienen nur dazu, die eindeutige Kennzeichnung der Stücke möglich zu machen: ihr Inhalt ist für die juristische und wirtschaftliche Bedeutung der Stücke nicht immer erheblich. In Frankreich laufen Münzen fremder Staaten um, die dennoch französisches Geld sind, ebenso wie im Deutschen Reich jahrzehntelang Gulden österreichischen Gepräges deutsche Zahlungsmittel waren. Die deutschen Reichsbanknoten aber tragen noch heute den Aufdruck der zur Einlösung in Goldgeld zu ermächtigen scheint, obgleich diese Einlösung seit August 1914 eingestellt ist. Sie scheinen also provisorisches Geld, während sie in Wirklichkeit zu definitivem Geld geworden sind. Die Proklamation liegt allein in den Rechtssätzen, die den Gebrauch und die Geltung der Stücke regeln, nicht in ihrer stofflichen Beschaffenheit. Zu dieser gehört aber auch die Aufschrift der Münzen und Scheine. Es ist zweifellos möglich, die Stücke aus dem Zusammenhang der Rechtsordnung herauszureißen und sie allein nach ihrer natürlichen Beschaffenheit zu betrachten. Dies tut der Arbitrageur der die Münzen ins Ausland sendet, um Differenzen der Valutakurse zu seinem Vorteil auszunutzen, der Hersteller von Goldwaren und der Zahnarzt der den Münzen das Material zu Füllungen entnimmt. Diese Verwendungsmöglichkeiten stehen indes mit der Natur des Geldwesens in keinem inneren Zusammenhang. Auch alle übrigen Institutionen des Staates können aus einer nichtstaatlichen Perspektive betrachtet werden, ein Minister unter dem Aspekt der Verwandtschaft, eine fiskalische Kohlengrube als Lieferer von Brennkraft, ein dicker Schutzmann als Anlaß eines bescheidenen Humors. Wer aber wird das Wesen der Regierung, des Fiskus und der Polizei durch solche Beziehungen bestimmt oder auch nur mitbestimmt glauben ? Kurt Singer 250 Es ist möglich, daß der Staat die Geltung seiner Zahlungsmittel selbst erschüttert - indem er folgewidrig handelt. Er kann die epizentrische Annahme der von ihm geschaffenen Zahlungsmittel zur festgesetzten Geltung an seinen eigenen Kassen verweigern. Er wird dann allerdings, wie es in der französischen Revolution an den Assignaten und schon vorher unter John Law beobachtet worden ist, unverzüglich die Erfahrung machen, daß auch im Verkehr der Privaten die Geltung von Zahlungsmitteln denen die epizentrische Annahme entzogen ist, nicht aufrecht erhalten werden kann. Denn der Staat kann den einzelnen nicht zwingen, als Geld etwas anzuerkennen dessen Annahme er selbst verweigert. Daß der Staat aber nicht unlogisch handeln darf, bedeutet nicht, daß er dem Verkehr gegenüber, wie man zu sagen liebt, ohnmächtig ist. Die Erfahrungen der Assignatenzeit lehren vielmehr nur, daß es richtig ist, in der epizentrischen Annahme die im folgenden kurzweg Akzeptation genannt wird, das entscheidende Merkmal für die Abgrenzung des staatlichen Geldes zu sehen. Wollte sich aber der Verkehr ganz von dem Staat und von dem staatlichen Geldwesen befreien, so müßte er, falls nicht das Zahlungswesen der Anarchie anheimfallen soll, eine neue Zahlgemeinschaft ins Leben rufen. Ohne eine solche Gemeinschaft ist wohl eine Summe individueller Tauschakte möglich, nicht aber ein geordnetes Zahlungswesen das immer die Existenz einer Werteinheit und ihre Verkörperung in allgemein anerkannten Zahlungsmitteln voraussetzt, die von der Zentralstelle der Gemeinschaft zwar nicht immer geschaffen, wohl aber immer akzeptiert werden müssen: durch Recht oder durch Sitte. Am Anfang der Geldgeschichte freilich muß die Werteinheit einmal technisch als ein Gut, das kraft seiner stofflichen Natur zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse fähig ist, definiert gewesen sein. Der Sinn der Mark mag durch rekurrenten Anschluß an eine frühere, ebenfalls historisch definierte Werteinheit festgelegt sein. Am Beginn der Reihe aber muß ein Zahlungsmittel stehen, dessen Geltung nicht auf staatlicher Proklamation beruht und das nicht nur zirkulatorischer, sondern auch realer Verwendung fähig ist. Die Geltung würde in abstrakter Ungreifbarkeit verharren, wenn sie nicht einmal verankert gewesen wäre in dem Wert eines Gutes. Dies aber ist nur möglich in einer Verfassung des Zahlungswesens, wo ein solches Gut von der Rechtsordnung oder der Stammessitte schlechthin zum Zahlungsmittel erklärt worden ist: in einer Verfassung wo die Schulden nicht nur Nominalschulden, sondern Realschulden sind, festgesetzt und gezahlt in Vieh, Muscheln, Schmuck oder endlich in Edelmetallen. Der heutigen Verfassung des Zahlungswesens geht also notwendig ein Zustand voraus, in dem die Geltung des einzelnen Zahlmittels nicht aus einem Rechtssatz erschlossen zu werden braucht, sondern aus den Eigenschaften des Gutes unmittelbar festgestellt werden kann. Diese Zustände aber sind in Europa seit vielen Jahrhunderten überwunden. Auch wenn die Mark einmal ein Silbergewicht gewesen ist, so ist damit über die heutige Geltung der Markstücke oder über die Geltung der früheren Talerstücke nicht das Geringste ausgesagt. Gerade die Eigenart und die Bedeutung des heutigen Zahlungswesens kann nur verstanden werden, wenn anerkannt wird, daß über die Geltung der Stücke, sowohl der Münzen wie der Scheine, nicht die Wägung sondern der Befehl des Zahlverbandes entscheidet. Geht der heutigen Verfassung des Geldwesens eine Periode voraus, die wir als Authylismus bezeichnet und als eine Vorstufe der heutigen gedeutet haben, so sind jenseits der heutigen Geldverfassung Zahlungsmittel denkbar, die eine weitere Entwicklung über den bis jetzt erreichten Zustand hinaus zu verkörpern scheinen. Der bankmäßige girale Zahlungsverkehr zeigt, daß eine Zahlung im staatswissenschaftlichen Sinn auch dort möglich ist wo Schulden nicht mehr durch Übergabe von Stücken oder von Barren, sondern durch Übertragung von Guthaben, d.h. also von Forderungsrechten getilgt werden können, soweit diese Das Geld als Zeichen 251 schlechthin auf Werteinheiten einer Zahlungsgemeinschaft lauten, gegen die Zentralstelle der Zahlungsgemeinschaft gerichtet sind und von dieser als Zahlungsmittel anerkannt werden. Wie diese Guthaben entstehen, ist für die Erkenntnis der Struktur dieser Zahlungsart von minderer Bedeutung. Es ist möglich, daß der Bankkunde das Guthaben eingeräumt erhält gegen Einlieferung von Metall, gegen Einzahlung von staatlichem Geld oder durch Gewährung eines Kredites seitens der Bank. Die erste Methode wurde bei der im 17. Jahrhundert gegründeten Hamburger Girobank gewählt. Die beiden anderen sind in den neueren Bankverfassungen üblich, wobei vor dem Kriege in Deutschland die Anwendung der zweiten, in England und in den Vereinigten Staaten die Anwendung der dritten Entstehungsart vorherrschend war. Es ist augenscheinlich, daß der girale Zahlungsverkehr der durch Umschreibung in den Büchern der Bank bewirkt wird, nur unter Personen möglich ist die Zahlungen an die Bank zu leisten oder von ihr zu fordern haben, und zwar entweder auf Grund von Geschäften die mit der Bank abgeschlossen sind oder auf Grund von Geschäften der einzelnen Kunden der Bank untereinander. Diese Personen bilden eine private Zahlungsgemeinschaft, die sich ihre eigene Werteinheit schaffen kann, wie die Hamburger Girobank die Mark Banco, oder sich der vom Staat geschaffenen Werteinheit bedienen kann, wie es heute allgemein üblich ist. Die Zahlung wird eingeleitet durch einen Auftrag des Zahlenden an die Zentralstelle, dem Zahlungsempfänger einen bestimmten Betrag in Werteinheiten zu überweisen, d.h. ein Forderungsrecht das der Zahlende gegen die Bank besitzt, dem Zahlungsempfänger durch Umschreibung in den Büchern der Bank zu übertragen. Der Kreis der Bankkunden erweitert sich mit der Ausbreitung der wirtschaftlichen Zivilisation so sehr, daß in den angelsächsischen Ländern und in Hamburg heute alle erheblicheren Zahlungen auf giralem Wege geleistet werden können. Das staatliche Geld dessen Verwendung durch die Entwicklung des giralen Zahlungsverkehrs immer mehr auf den Bezirk des täglichen Kleinverkehrs beschränkt wird, steht zwischen diesen Polen der autometallistischen und der giralen Zahlung. Es hat mit der ersten gemein, daß das Zahlungsmittel nicht ein bloßer Rechtsanspruch, sondern ein sichtbares, tastbares Ding ist und daß die Zahlung also durch Übergabe dieses Dinges, nicht durch Anweisung an eine Zentralstelle bewirkt wird. Mit der Giralverfassung der Zahlungsmittel hat das Geld dagegen gemein, daß die Geltung der Zahlungsmittel nicht durch Wägung oder Messung gefunden werden kann, sondern durch Einsicht in die Rechtssätze des Zahlverbandes und daß entscheidend für die Anerkennung durch die Zahlungsgemeinschaft die Akzeptation bei der Zentralstelle des Verbandes ist. Die Giroguthaben sind Forderungen an die Bank als Zentralstelle des Zahlverbandes, die fähig sind, gegen Forderungen der Zentralstelle die gegen die Kunden gerichtet sind aufgerechnet zu werden, um so diese Forderungen zu tilgen. Ein verwandtes, wenn auch nicht gleiches Verhältnis, liegt bei den staatlichen Geldzeichen vor, die daran erkannt werden, daß sie bei gegen den Staat gerichteten (in unserer Terminologie: epizentrischen) Zahlungen angenommen werden müssen. Auch hier wirkt also das Zahlungsmittel als Gegenforderung die die Forderung der Zentralstelle zu tilgen fähig ist. Der Unterschied der beiden Methoden liegt aber darin, daß im ersten Fall die Gegenforderung eine absolute, unter allen Umständen durch Einräumung des Guthabens begründete ist, während sie im zweiten Fall nur dann auftritt, wenn die Zentralstelle eine Forderung an den Besitzer dieses Zahlungsmittels stellt; sie kann hier also nur als eventuale Gegenforderung bezeichnet werden. Durch diese Erweiterung des Begriffs der Gegenforderung die in der Jurisprudenz unbekannt war und erst durch Knapp eingeführt worden ist, wird es möglich, einen durchaus Kurt Singer 252 allgemeinen Begriff des Zahlungsmittels zu bilden, der auf die Zahlungen in Barren und Stücken, wie auf die Zahlungen durch Bankumschreibungen gleich anwendbar ist. Definiert man nämlich das Zahlungsmittel als übertragbare Verfügung über Werteinheiten, durch deren Übertragung an die Zentralstelle des Zahlverbandes der Inhaber eine mindestens eventuale Gegenforderung begründen kann, so ist in diesem Begriff nicht nur das Allgemeine ausgesprochen, das Barren, Stücken und Giralguthaben gemeinsam ist, sondern es ist auch darin der Grundgedanke sichtbar gemacht, der allem Zahlungswesen zugrunde liegt und der sich auf dem Wege von der Barrenzahlung zur Giralzahlung immer mehr von den stofflichen Resten seiner anfänglichen Verkörperung befreit: den Gedanken der Kompensation, dank dessen immer reinerer Verwirklichung das Zahlungsmittel schließlich zu einer Methode der gegenseitigen Ausgleichung und Aufrechnung von Forderungen und Gegenforderungen innerhalb einer Zahlungsgemeinschaft wird. Der Angelpunkt der Geschichte des Zahlungswesens ist die Ausbildung der Chartalität. Sie ist ein Erzeugnis des rechtsschöpferischen Denkens. Diesen Sinn hat der vielumstrittene Satz, mit dem Georg Friedrich Knapp seine “Staatliche Theorie” des Geldes beginnt: “Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung”. Dieser Satz sagt nichts anderes aus als etwa die Feststellung, daß der Pflug eine landwirtschaftliche, die Maschine eine industrielle Erfindung ist. Ohne die Einsicht in den chartalen Charakter der Münzen und Scheine wird kein wirklich allgemeiner Begriff des Geldes aufgestellt werden können, der beide Arten von Zahlungsmitteln umfaßt und von dem Kreis der übrigen Zahlungsmittel sondert. Die folgerichtigen Metallisten müssen die Werteinheit anders bei Barverfassung und anders bei Metallverfassung des Währungsgeldes erklären. Eine einheitliche Theorie ist erst durch die Erkenntnis der proklamatorischen Geltung aller chartalen Zahlungsmittel und die Anerkennung der historischen Definition der Werteinheit möglich. Das Bargeld erscheint von hier aus gesehen wie ein vom Autometallismus zum Chartalismus überleitendes Glied der Entwicklung, nicht als Endziel der Entwicklung selbst. Es verkörpert die Stufe, wo die pensatorische Geltung die für die autometallische Stufe typisch ist, in die proklamatorische Geltung die für die Chartalverfassung bezeichnend ist, übergeht. Mit jener Verfassung hat es die Möglichkeit einer realen Verwendung gemein, während doch die zirkulatorische Verwendung schon überwiegt und der Gedanke an den Gehalt der Stücke zurücktritt hinter die Begültigung der Stücke durch Rechtsbefehl - ebenso wie bei dem Notalgeld. Nur im ausländischen Zahlungsverkehr bewahrt das Bargeld eine Vorzugsstellung. Es macht unter gewissen Bedingungen eine automatische Regelung der Valutakurse möglich und pflegt daher dem Staat als die erwünschteste Form des Geldes zu erscheinen. Wer aber das Erwünschte nicht mit dem Wesentlichen gleichsetzt, wird das Wesen des Geldes nicht in einer erwünschten Eigenart einer einzelnen Geldart erblicken dürfen, sondern in der eigenartigen Struktur der Begültigung die allen Geldarten gemeinsam ist und die sie von anderen Arten der Zahlungsmittel unterscheidet: diese aber ist in dem Phänomen der Chartalität beschlossen. Dogmenhistorische Erörterungen liegen dem Ziele unseres Gedankenganges fern. Doch dürfen wir darauf verweisen, daß die Erkenntnis von der Markenhaftigkeit des Geldes nicht junger ist als die Theorie des Geldes selber. Im zweiten Buch der “Politeia” nennt Platon das Geld ein “symbolon”: dies aber bedeutet, wie die Philologie bestätigt, “immer etwas Konkretes, das etwas anderes vorstellt; das als realer Wert an sich nicht gelten soll, aber wogegen ein realer Wert eingetauscht wird”. Man erkennt in dieser Definition eines Gelehrten der ohne Kenntnis der geldtheoretischen Kontroversen sein Urteil allein auf die Interpretation antiker Texte gegründet hat, unschwer den reinen Begriff der Chartalität. Doch bleibt es denkwürdig, daß der Neuere bei der Bildung dieses Begriffs von der “charta”, der Urkunde, dem Mittel Das Geld als Zeichen 253 und Substrat ausgeht, während das antike Denken ihn von der lebendigen Mitte des Handelns aus bestimmt: das Wort “symballein”, von dem "symbolon” abgeleitet ist, bedeutet gleich dem lateinischer conicere das “Zusammenwerfen”, Konjizieren, ohne das ein sinnlich Greifbares nicht zum Zeichen und Ausweis für ein nicht sinnlich daran Aufzeigbares werden kann. Dies ist das erste Zeugnis des europäischen Denkens über das Geld. Es enthält nicht nur die Lehre von der Chartalität in keimhafter Verdichtung, sondern deutet auch über sie hinaus in umfassendere Räume in denen das Phänomen des Geldes erst seine volle Rundung erhält. Das Maß in dem sich die folgenden Jahrhunderte von der platonischen Grundeinsicht entfernt haben, bezeichnet auch hier das genaue Maß ihres Abirrens.
