eJournals Kodikas/Code 25/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
253-4

Das Geld als Zeichen

121
2002
Karl Bühler
kod253-40255
Das Geld als Zeichen Karl Bühler 1. Wer sich umblickt, findet die Formel des aliquid stat pro aliquo im Konzepte aller Theoretiker des Geldwesens; nur wird sie von den Anhängern der verschiedenen Schulen verschieden interpretiert. Unser Vorhaben, aus den für die Axiomatik der Geisteswissenschaften sehr aufschlußreichen Diskussionen über die Funktionen des Geldes das herauszuheben, was einer Definition des Zeichenbegriffs dienlich sein kann, führt geradenweges auf eine Kernfrage, die ungefähr so, wie wir sie nach dem Gang unserer Untersuchung selbst stellen müßten, von den Geld-Sachverständigen tatsächlich aufgeworfen worden ist. Ein nicht unbekanntes Buch legt schon in seinem Titel die These vor, um deren Prüfung es uns als erstes zu tun ist; es ist das Buch von Singer “Das Geld als Zeichen” (1920). Wir haben den Satz von der Zeichennatur der Sprache erläutert und machen uns von daher deutlich, welchen Sinn eine exakte Parallele dazu, im Satz von der Zeichennatur des Geldes haben müßte. Ich bin der Meinung, daß eine derart konstruierte Analogie die Funktion oder Funktionen des Geldes zum mindesten nicht erschöpfend, vielleicht überhaupt nicht im Wesentlichen zu treffen vermag. Doch das ist und bleibt zunächst die private Meinungsäußerung eines Sprachtheoretikers, der das Spezifische der Sprache, die er kennt, am Gelde, das er nicht in derselben Art kennt, über dessen Funktionen er sich aber bei einigen führenden Geldtheoretikern Aufschluß zu verschaffen versuchte, nicht wiederzufinden vermag. Kann sein, daß diese Informationen unzureichend waren. Könnte auch sein, daß sich die Parallele anders angelegt doch noch als durchführbar erweist. Doch so jedenfalls, wie ich sie bei Singer und Knapp angetroffen habe, führt sie den Logiker und Kenner der Sprache zu dem Ergebnis: das Geld fungiert als Stellvertreter, gewiß; und darüber gibt es, soweit ich sehen kann, keine Meinungsverschiedenheit bei den Theoretikern der verschiedenen Schulen. Das Geld fungiert als Stellvertreter; aber nicht so, daß die darin vorkommenden, sachgerecht implizierten Zeichenfunktionen in derselben Art wie bei der Sprache als dasjenige, um dessentwillen das Geld da ist, angesehen werden dürfen. Das Geld erhebt den Anspruch, daß seine stellvertretende Funktion als ein eigener Modus des Stellvertretens erkannt und von dem Modus der sprachlichen Stellvertretung und darüber hinaus vom Modus des Zeichenseins überhaupt, abgehoben wird. Wären wir weiter in der allgemeinen Sematologie, dann könnte die vorgelegte These vielleicht auf einem sehr einfachen Wege bewiesen werden. Nämlich auf dem Umweg über den leicht beweisbaren Obersatz, daß sich das gesamte Geldwesen der Menschheit (zum mindesten bis heute) als semantisch unfruchtbar (steril) erwiesen hat. Dürften wir daraus, geleitet von der einfachen Weisheit der Bibel ‘an den Früchten sollt ihr sie erkennen’, den Schluß ableiten, daß die Eigenfunktion des Geldes nicht im Bereiche des Zeichenseins liegen kann, dann wäre die Angelegenheit, soweit der Zeichentheoretiker darein verwickelt ist, in Ordnung gebracht. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Karl Bühler 256 Nun, der Stand der allgemeinen Sematologie ist nicht so, daß man auch nur versuchsweise derart vorgehen könnte; wir lassen also die Idee eines solchen Beweisganges von vornherein wieder fallen. Aber interessant ist das Faktum, das ich im Auge habe, für den Zeichentheoretiker trotzdem, weil er nach genügender Kenntnisnahme von dem Tatbestande weiß, daß ihn weder das mit vollem Rechte so genannte ‘Zeichengeld’ noch allgemeiner die am Gelde überhaupt vorkommenden und mehr oder minder systematisch auch gesetzten, gepflegten und praktisch verwendeten Kenn- und Unterscheidungszeichen auf etwas führen, was er nicht ebensogut anderwärts findet und zu studieren vermag. Man nehme zum Zweck der Prüfung eine Banknote in die Hand, ein beliebiges Stück jener Sorte oder Art von Geld, das man stoffwertloses oder Zeichengeld zu nennen pflegt, und stelle sich die Frage, ob an ihr oder auf ihr irgend etwas zu finden ist, was eine sonstwo nicht anzutreffende Form des Zeichenseins verrät. Auf den älteren Reichbanknoten stand in Worten “Die Reichsbank zahlt … in Gold …” und damit war eine bestimmte Indirektheit der Geldfunktion der Note ausgedrückt und definiert. Eine Indirektheit, die der Sematologe rein formal mit anderen, ihm wohlbekannten Verhältnissen vergleichen kann. Er denkt z.B. an die Tatsache, daß die Menschheit im Bereich des Sprachlichen indirekte Stellvertreter erfunden hat. Unsere Buchstabenschrift (Phonemschrift) ist ein solches System von indirekt stellvertretenden Symbolen. Denn die optischen Wortbilder eines gedruckten Textes, welche in der bekannten Weise so entstehen, daß der Setzer der Druckerei aus dem Setzkasten Lettern auswählt, im Rahmen zusammenstellt usw., diese optischen Wortbilder müssen “gelesen” d.h. in bestimmter Weise in die primäre, gesprochene Sprache transformiert werden, um ihren Endberuf zu erfüllen. Anders verhält es sich in diesem Punkte mit den ideographischen Zeichen der Chinesen, die eine direkte Symbolfunktion erfüllen und darum in merkwürdiger Art neben den Zeichen der Lautsprache stehen. Nun gut, es kommt uns hier auf diesen Unterschied nicht an; jedenfalls sind beide Systeme semantisch eigenartige Systeme. Kehren wir zur Buchstabenschrift allein zurück, so kann man an ihr zeigen, wie die Struktur der Lautsprache auch noch in diesem System von indirekten Symbolen zum Vorschein kommt. Die Menschheit hat in ihnen schöpferisch etwas erfunden, was noch am Indirekten die Struktur und die Eigenfunktion des Direkten, wenn auch wie durch einen Schleier, so doch in den Grundzügen unverkennbar deutlich werden läßt. Kurz gesagt: Die Zeichennatur der Sprache ist an dem sekundären System noch einmal abzulesen; das sekundäre System ist dem primären wenigstens in den Grundzügen auf den Leib zugeschnitten. Man muß und kann dies gegen die unbesonnene Überschätzung des Freiheitsgrades, den sich jedes historisch konservative Buchstabensystem der wandelbaren Lautsprache gegenüber erlauben darf und tatsächlich erlaubt, durchaus festhalten. Der Sematologe denkt noch an manches andere. Auch die Arithmetik und das praktische Umgehen mit Zahlen hat sich ein System von optischen Zeichen, die Ziffern und Operations-, Funktionszeichen, erfunden. Und wieder kommt an diesen optischen Zeichen die Eigenart des ganzen Gebietes zum Vorschein. Unsere arabischen Ziffernzeichen z.B. erhalten gemäß dem dekadischen Rechensystem, das wir benützen, auf dem Papier gruppenhaft neben einander gereiht, jede einen bestimmten Stellenwert, der in seiner Art eben nur für Zahlen möglich ist (dreihundertvierundzwanzig = 324). Nur noch zwei, um nicht zu ermüden: Die Musik schuf sich das sehr leistungsfähige System der optischen Notenzeichen und das symbolfrohe Mittelalter hat in seinem Wappenwesen ein wiederum ganz anderes Symbolsystem für Spezialzwecke entwickelt. Das letztere ist weder so universal noch so geschlossen wie z.B. die Notenschrift oder Buchstabenschrift. Aber man kann in ihm trotzdem die vom Logiker als Merkmale verwendeten Kennzeichen der komplexen Begriffe ‘eigenartiges Symbolsystem’ Das Geld als Zeichen 257 leicht auffinden. Die Heraldik kann ein Lexikon und eine Syntax des im Mittelalter üblichen Wappenwesens aufstellen. Sie kennt sogar, wenn ich recht sehe, solche diakritischen Momente an dem Ganzen des Wappens und an den “lexikalischen” Einheiten, die man mit Fug und Recht den Phonemen der Sprache, oder optisch ausgedrückt den Buchstaben, systematisch gleichordnen kann. Doch wozu das alles in einem Abschnitt über das ‘Zeichengeld’? Nun ja, der geldtheoretisch laienhafte Zeichentheoretiker, welcher von anderen Gebieten herkommt und von der “Zeichennatur des Geldes” sprechen hört, erwartet, gerade am Zeichengeld gebietscharakteristische Zeichen und Zeichenkomplexionen zu finden. Gleichviel, ob ihm dieses Zeichengeld durch den Aufdruck “zahlt in Gold” als indirekter Funktionär vorgestellt wird oder ob es nach Abwurf dieses Aufdrucks selbstherrlich neben den ganz oder halbwegs stoffwertvollen Gold- und Silbermünzen oder sogar mit dem Anspruch, als die letzte und reinste Inkarnation der Geldidee betrachtet zu werden, auftritt. Das Nebeneinander würde er ungefähr so wie das Faktum, daß ja die Chinesen auch neben die Lautsprache ein zweites System, die ideographischen Zeichen, gestellt haben, als Tatsache hinnehmen. Noch einmal: der Sematologe, der angezogen von der These der Zeichentheoretiker des Geldes das ganze Gebiet betreten hat, erwartet, daß das Geldwesen gerade am Zeichengeld die Gelegenheit nicht versäumt habe, sich als semantisch produktiv zu erweisen. Und diese Erwartung wird, wenigstens fürs erste, grundsätzlich enttäuscht. Denn alles, was an oder auf der Banknote an Zeichenmomenten entdeckt werden kann, ein sehr reicher und mannigfaltiger, raffiniert erdachter Apparat von Zeichen, ist restlos aus anderen Zeichenbereichen entlehnt und nur kunstgerecht für die Spezialbedürfnisse auf dem Stückchen Papier hier zusammengetragen oder ihm schon in der Papierfabrik eingegeben. Es steht wiederholt die Ziffer oder das Zahlwort in Buchstaben und die dazugehörige Geldeinheit im Wortbild darauf. Und sonst noch einiges an sprachlichen Zeichen, wodurch die Art der Note, der Akt der Wertverleihung an sie dokumentiert und (eventuell) ihre stellvertretende Funktion definiert wird. “Die Reichsbank zahlt … in Gold …” so hieß es früher. All das, ich wiederhole, in kurrender Nationalsprache. Und was sonst noch zu finden ist, sind entweder leicht erkennbare Diakritika zur Abhebung von anderen Noten und Papierstücken oder aber gehört es zu dem Inbegriff von Merkmalen, die man gehäuft bereitstellt für die praktisch so wichtige Echtheitsprobe und die individuelle Identifikation des Papierstückchens. Nun ja, das sind Finessen der Merkmalserfindung und Merkmalsanbringung, die gewiß kein Theoretiker als geldspezifisch ansehen wird. Ein ganz entfernter, armer Verwandter der Banknote, ihrer Funktion nach von bestimmtem Gesichtpunkte her bestimmt ein Negativ oder Spiegelbild zu ihr, die Briefmarke, weist da und dort noch alte oder neuerfundene Bild- und Wappenmomente auf; ebenso mag die Banknote mehr oder weniger davon an sich tragen. Auch das sind, sematologisch gesehen, nichts als Lehnzeichen. Übrigens: Von woher gesehen, imponiert die Briefmarke samt ihrer engeren Sippe, zu der man wohl rein formal auch Steuer- und Stempelmarken rechnen darf, als eine Art umgekehrter Banknote? Bei der Briefmarke wenigstens ist es ganz klar, daß die Post bei ihrer Ausgabe nicht verspricht, sie gegen Gold sondern mit einer Dienstleistung einzulösen. Doch lassen wir diesen Unterschied auf sich beruhen. Das Gemeinsame ist für unseren Zweck viel wichtiger. Man mag nur an die Briefmarke mitdenken, wenn über das Wesen des Geldes nachgedacht wird, weil an ihr, der Eintagsfliege mit dem kurzen Kreislauf, der zur Wertverleihung korrelative Akt der Entwertung coram publico vonstatten geht. Karl Bühler 258 2. Man muß sich also irgendwo neu belehren lassen über die Eigenfunktion des Geldes und hat die Wahl, ob man zuerst beim Rechtstheoretiker (Staatstheoretiker) oder beim Wirtschaftstheoretiker anklopfen will. Mir erscheint (ich weiß nicht ganz genau, warum) der Gang zum Wirtschaftler aussichtsreicher und ich will hier zunächst ein paar Gedanken niederschreiben, die dem Sprachtheoretiker beim Studium der besonders klaren und überzeugenden ersten Kapitel in dem Buche von Ludwig Mises “Theorie des Geldes und der Umlaufmittel” (2. Aufl. 1924) kommen können oder kommen müssen. Von da aus öffnet sich von selbst ein Übergang zu Simmels “Philosophie des Geldes”. Bei Mises und Simmel fand ich die, wie mich dünkt, tragfähige Grundlage für das rein logisch-vergleichende Unternehmen, auch die Funktion des Geldes zu einer Klärung des Zeichenbegriffes heranzuziehen. Was mir beim Studium der Geldtheorie von Mises sofort aufging und einleuchtet, war eine bestimmte Parallele des Ansatzes zu dem, was mir in der Sprachtheorie als die fruchtbarste Grundlegung erscheint. Man kann auf beiden Gebieten als ersten einen Bereich von Situationen abstecken, in denen dort die Sprache und hier das Geld überflüssig ist und darum nicht vorkommt. Vorkommt - das Wort im Sinne seiner zeitlosen Präsenzbedeutung genommen. Denn es handelt sich dabei nicht oder wenigstens nicht in erster Linie um die hypothetische Konstruktion einer vorsprachlichen und vorgeldlichen historischen Phase im Entwicklungsgang der Menschheit, sondern um Situationen, die man heute noch vorfindet und an konkreten Fällen studieren kann. Bei der Sprache ist es das Faktum der sprachfreien, der stummen Kooperation von Menschen (und Tieren), sind es soziale Situationen und in ihnen ein soziales Geschehen, das vom einfachsten Mit- und Für- und Nach- und Gegeneinander des handelnden Eingreifens der Partnerhände bis zur sublimsten und raffiniertesten gegenseitigen Steuerung des anscheinend verwickeltsten Gesamtverhaltens der Partnerpersönlichkeiten gehen kann, ohne daß darin und dafür ad hoc gesetzte und entgegengenommene Zeichen vorkommen und faßbar in Erscheinung treten müßten. Diese Handlungen stehen in der gemeinsamen Wahrnehmungssituation und in dem Rahmen des vorgegebenen Verständigungsbereichs der Partner für sich selbst und bedürfen keines anderen, das für sie steht; sie bedürfen keiner Hilfskonstruktion, sie bedürfen nicht der Ergänzung durch Daten, die durch Stellvertreter in das Sinngefüge der situationsimmanenten Daten hineingetragen würden, um hinreichend exakt und eindeutig verstanden zu werden. Es verriete nichts als einen glatten Unverstand wollte jemand an diese schlichte Feststellung eines jederzeit beobachtbaren Tatbestandes die Frage richten, ob denn nicht die Wahrnehmungen der Partner selbst schon von ihrer “Muttersprache” her eine Prägung erfahren haben und ob nicht schon in dem “vorgegebenen Verständigungsbereich” der Partner der ganze Inbegriff ihrer sprachlichen Bildung und ein gutes Stück ihres sprachlich gefaßten Wissensbesitzes enthalten sei. Natürlich ist sowohl das eine wie das andere richtig; aber das ist schlechthin […]