Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2002
253-4
Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? Das identitäts- und kulturstiftende Potential der Textsorte Geld - der Euro
121
2002
Monika Claßen
kod253-40317
Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? Das identitäts- und kulturstiftende Potential der Textsorte Geld - der Euro Monika Claßen Das oft leidenschaftliche, stets große Interesse, das den praktischen Fragen des Geldwesens und des Geldwerts gilt, erklärt sich ja nur daraus, dass sich im Geldwesen eines Volkes alles spiegelt, was dieses Volk will, tut, erleidet, ist, und dass zugleich vom Geldwesen eines Volkes ein wesentlicher Einfluss auf sein Wirtschaften und sein Schicksal überhaupt ausgeht. Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände. (Joseph Alois Schumpeter) (Sprenger 1991: i) 1. Was ist ein Text? Ist Geld ein Text? Die Antwort der traditionellen Textlinguistik 1 auf diese Frage fällt in der Regel negativ aus. Dies liegt meines Erachtens hauptsächlich daran, dass ihre Vertreter/ innen, wie z.B. Robert-Alain de Beaugrande und Wolfgang Ulrich Dressler, eine relativ enge Textauffassung vertreten. Ihre Textauffassung ist insofern eng, als nur Texte schriftlicher oder mündlicher Kommunikation untersucht werden. Texte hingegen, die sich aus sprachlichen und nicht-sprachlichen Zeichensystemen zusammensetzen, wie z.B. Werbung, Todesanzeigen und Geldscheine und -münzen, werden auf nur eine einzige Ebene reduziert, nämlich die des sprachlichen Zeichensystems. Die Ebene, die das nicht-sprachliche Zeichensystem repräsentiert, wird vernachlässigt bzw. ignoriert. Ziel dieses Beitrages ist es nun, das allgemein anerkannte prozedurale Textmodell Beaugrandes/ Dresslers so zu modifizieren, dass mit ihm komplexe Texte, also Texte, die aus verschiedenen Zeichensystemen bestehen - wobei mindestens eines davon sprachlicher Art ist - erfasst werden können. Beaugrande/ Dressler stellen sieben Textualitätskriterien (Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität, Intertextualität) auf, die alle erfüllt sein müssen, damit ein Text seiner kommunikativen Funktion gerecht wird. Eine genauere Betrachtung ihrer sieben Kriterien zeigt allerdings, dass die von ihnen postulierte Gleichgewichtung der verschiedenen Kriterien so nicht aufrecht erhalten werden kann. Darüber hinaus ist es notwendig, ganz unabhängig davon, ob man einfache oder komplexe Texte mit Beaugrandes/ Dresslers Kriterien untersuchen möchte, zwei weitere Kriterien zu berücksichtigen: nämlich Kulturalität und Materialität. 1.1 Kritik an Beaugrande/ Dressler Die Kritik an Beaugrande/ Dressler lässt sich an drei unterschiedlichen Stellen festmachen. Der erste Kritikpunkt betrifft Beaugrandes/ Dresslers Forderung, dass alle sieben ihrer K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Monika Claßen 318 Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Text seine kommunikative Funktion erfüllen kann. Beaugrande/ Dressler räumen zwar selbst ein, dass es häufig schwer ist, die Grenzlinie zwischen Texten und Nicht-Texten festzulegen (Beaugrande/ Dressler 1981: 118), gehen aber meines Erachtens zu wenig darauf ein, wie in solchen strittigen Fällen zu verfahren ist und welche Kriterien dann über die Textualität von Texten entscheiden. Ulla Fix beschäftigt sich in einem ihrer Aufsätze (1998a) genauer mit diesem Problem und weist darauf hin, dass das Kriterium der Kohäsion, das auf den ersten Blick den Eindruck vermittelt, als würde es allein auf der morphologisch-syntaktischen Ebene realisiert, vielmehr auch auf der lexikalischen Ebene verwirklicht wird (Fix 1998a: 165). Dies könne vor allem an Texten beobachtet werden, die von ihr als “grammatikarm” bezeichnet werden und sich vor allem in der Belletristik, insbesondere der Lyrik, finden lassen (Fix 1998a: 166). In diesen Texten wird Kohäsion nicht mehr auf der syntaktisch-morphologischen Ebene hergestellt, sondern über die Wortbedeutung. Die Frage, ob und inwieweit alle Textkriterien hundertprozentig erfüllt sein müssen und die Erkenntnisse von Fix sind für meine Überlegungen insofern von Bedeutung, als der Text Geld ähnliche Merkmale aufweist wie ein Gedicht oder andere belletristische Texte. Kohäsion entsteht bei Geldscheinen und -münzen nicht über die syntaktisch-morphologische Ebene, sondern über die Wortbedeutung. Die Struktur des Textes Geld lässt sich mit der Struktur mancher Gedichte vergleichen, die ebenfalls nur aus Wörtern, Wortgruppen und Zahlen bestehen, die wie oben beschrieben nur über die Wortbedeutung in kohäsive Verhältnisse zu bringen sind. Es lassen sich zwar auch vereinzelte Sätze finden, die z.B. auf die Strafbarkeit des Geldfälschens hinweisen oder die das Geld als offizielles Zahlungsmittel des entsprechenden Landes ausweisen, aber insgesamt lässt sich dies kaum mit einem zusammenhängenden Text, wie wir ihn z.B. aus der Zeitung oder anderen Zusammenhängen kennen, vergleichen. Wenn man also der Argumentation von Fix im Zusammenhang mit “grammatikarmen” Texten folgt, dann spricht nichts dagegen, ihre Argumentation auch in Verbindung mit Geldscheinen und -münzen geltend zu machen. Der zweite Kritikpunkt an dem Modell von Beaugrande/ Dressler steht im engen Zusammenhang mit dem ersten und betrifft die Gewichtung der unterschiedlichen Textkriterien. Neben der Tatsache, dass Beaugrande/ Dressler nur sehr oberflächlich darauf eingehen, dass nicht alle Kriterien im gleichen Maße erfüllt sein müssen, berücksichtigen sie ebenfalls nicht, dass das von ihnen angegebene Kriterium der Intertextualität sich auf einer anderen Ebene befindet als alle anderen Kriterien. Sie weisen darauf hin, dass ein Unterschied zwischen den ersten beiden Kriterien Kohäsion und Kohärenz, welche sie als textzentrierte Begriffe verstanden wissen wollen, und den restlichen fünf Kriterien, welche sie als verwenderzentriert bezeichnen, besteht (Beaugrande/ Dressler 1981: 8). Diese Unterscheidung halte ich für zutreffend und unproblematisch. Problematisch ist dahingegen, dass Beaugrande/ Dressler das Kriterium der Intertextualität auf der gleichen Ebene ansiedeln wie die übrigen vier verwenderzentrierten Kriterien. Meines Erachtens befindet es sich aber auf einer anderen Ebene als diese. Beaugrande/ Dressler definieren Intertextualität als “ganz allgemein, für die Entwicklung von TEXTSORTEN als Klasse von Texten mit typischen Mustern von Eigenschaften verantwortlich” (Beaugrande/ Dressler 1981: 13). Diese Eigenschaften eines Textes aber, die einem bestimmten Muster folgen, nach dem dieser Text einer bestimmten Textsorte zugeordnet wird, sind nichts anderes als seine spezielle Art der Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität und Situationalität. INTERTEXTUALITÄT 2 im Sinne von Textsorte beinhaltet also die anderen Kriterien und kann sich deshalb nicht auf der gleichen Ebene wie diese befinden. Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 319 Der dritte Kritikpunkt betrifft eine meiner Meinung nach notwendige Erweiterung des Modells von Beaugrande/ Dressler durch zwei weitere Kriterien, das der Materialität und das der Kulturalität. Diese beiden Kriterien sind von sehr unterschiedlicher Qualität und befinden sich dementsprechend auf unterschiedlichen Ebenen. Ich folge in meiner Argumentation in Bezug auf Kulturalität der Auffassung von Fix, wie diese sie in ihrem Aufsatz “Die erklärende Kraft von Textsorten. Textsortenbeschreibungen als Zugang zu mehrfach strukturiertem - auch kulturellem - Wissen über Texte” (1998b) entwickelt hat. Fix stellt dort Helmuth Feilke zitierend fest, dass “Textmusterwissen wie anderes sprachliches Wissen auch Teil eines ‘durch eine bestimmte Kommunikationsgemeinschaft hervorgebrachten Sprachwissens’ [ist], Teil einer von der Gemeinschaft geschaffenen und geprägten Kompetenz” (Fix 1998b: 16-17). Dieses Textmusterwissen ist geprägt durch das Phänomen Kultur und dementsprechend ist Kulturalität nach Fix Bestandteil jedes Textes, wohingegen andere Textkriterien nicht erfüllt sein müssen (Fix 1998b: 17). Kulturalität als Kriterium von Texten ist also Grundlage für alle Texte und damit das erste Prinzip von Texten, dem sich alle anderen unterordnen. Materialität als Textualitätskriterium befindet sich, wie alle anderen Kriterien auch, auf einer niedrigeren Ebene. Mit Materialität sind so unterschiedliche Dinge gemeint wie die Schrift eines Textes, seine Typografie, die möglicherweise verwendete Farbe, das verwendete Material, die Größe eines Textes, bei gesprochenen Texten die Lautstärke und Tonlage usw. Die Informationen, die im Materialitätskriterium enthalten sind, sind alle nicht-sprachlicher Art. Sie sind zwar teilweise Bestandteil sprachlicher Kommunikation, wie z.B. Schrift und Lautstärke, aber letztlich handelt es sich um nicht-sprachliche Zeichen. Ich werde anhand des Textes Geld zeigen, dass die Materialität Auswirkungen auf alle anderen Textkriterien hat und bei ihrer Umsetzung bzw. Interpretation eine wichtige Rolle spielt. Damit wäre die Materialität einerseits ein grundlegenderes Kriterium als die anderen, da es alle anderen Kriterien beeinflusst, andererseits wäre es aber immer noch dem Kriterium der INTERTEXTUALITÄT untergeordnet. Denn INTERTEXTUALITÄT heißt, dass eine bestimmte Textsorte vorliegt, die sich durch eine bestimmte Form von Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und eben auch Materialität von anderen Textsorten unterscheidet. 1.2 Die Entwicklung eines eigenen Textmodells in Anlehnung an Beaugrande/ Dressler Die bisherigen Überlegungen haben deutlich gemacht, dass es notwendig ist, das Modell Beaugrandes/ Dresslers zu überarbeiten und zu ergänzen. Dies soll nun im Folgenden geschehen. Dabei übernehme ich mit den oben angeführten Modifikationen die Kriterien Beaugrandes/ Dresslers, sowie die mit ihnen charakteristisch verbundenen Merkmale, wie z.B. Textzentriertheit, Verwenderzentriertheit usw. Das nun schon mehrfach erwähnte Kriterium der Kulturalität bildet den Ausgangspunkt für die übrigen Kriterien. Es besagt sehr grundsätzlich, dass es in einer Kultur Texte gibt. Darüber hinaus wird damit aber auch zum Ausdruck gebracht, dass es nicht in jeder Kultur die gleichen Texte gibt. Nicht alle Textsorten sind in allen Kulturen bekannt (vgl. Fix 1999). Die Textsorte Banknote ist z.B. nicht überall bekannt. Es gibt nach wie vor Kulturen, die ohne Geld wirtschaften bzw. die mit Gegenständen handeln, die für sie Geldfunktion haben, wie z.B. Muscheln, Perlen oder Lebensmittel. Der Terminologie Beaugrandes/ Dresslers folgend hat das Kriterium der Kulturalität folgende Eigenschaften: Es ist textsortenkonstituierend, Monika Claßen 320 d.h. auf dieser Ebene entscheidet sich, welche Textsorten es gibt. Darüber hinaus verfügt es über die Merkmale Text- und Verwenderzentriertheit und betrifft sowohl die Textproduktion als auch die Textrezeption. Damit sind alle Merkmale, die von Beaugrande/ Dressler in ihrem Modell im Zusammenhang mit ihren Textualitätskriterien angewandt werden, in Einklang mit dem neuen Kriterium der Kulturalität gebracht worden. Auf der nächst niedrigeren Ebene ist das darauffolgende Kriterium angesiedelt, nämlich das Kriterium der INTERTEXTUALITÄT. Damit erhält es in meinem Modell ein anderes Gewicht als bei Beaugrande/ Dressler, wo es den übrigen Textkriterien gleichgestellt ist. Da ich weiter oben schon für diese Unterscheidung argumentiert habe, gehe ich hier nur noch ganz kurz auf diesen Sachverhalt ein. Bei Beaugrande/ Dressler besagt Intertextualität zum einen, dass in einem Text Kohäsion und Kohärenz herrschen müssen; zum anderen gilt aber, dass ein Text dann intertextuell ist, d.h. einer Textsorte angehört, wenn er sich in seiner Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität und Situationalität (und Materialität) einem bestimmten Muster zuordnen lässt, das ihn von anderen Texten unterscheidet. Damit hat die INTERTEXTUALITÄT nach meinem Verständnis das Merkmal, textkonstituierend zu sein. Da die INTERTEXTUALITÄT, wie die Kulturalität, allen anderen Kriterien vorgeschaltet ist, gilt auch für sie, dass sie außerdem die Merkmale Text- und Verwenderzentriertheit hat und sowohl die Textproduktion wie die Textrezeption beeinflusst. Die textregulierenden Prinzipien Effizienz, Effektivität und Angemessenheit, die den Bewertungsmaßstab dafür bilden, ob ein Text, der zu einer bestimmten Textsorte gehört, adäquat umgesetzt ist, umgeben die INTERTEXTUALITÄT und die ihr nachfolgenden Textkriterien. Dabei wird die Auffassung davon, was effizient, effektiv und angemessen ist, durch die kulturellen Gegebenheiten bestimmt. In dem Kriterium INTERTEXTUALITÄT verbirgt sich also noch einmal der Aspekt der Kulturalität; allerdings handelt es sich diesmal um ein Merkmal und nicht um ein eigenständiges Kriterium. 3 Kulturalität als Merkmal von INTERTEXTUALITÄT gilt entsprechend für alle der INTERTEXTUALITÄT untergeordneten Kriterien. Vom Phänomen der INTERTEXTUALITÄT kommend, erreichen wir nun die nächste Ebene, auf der die Textkriterien von Beaugrande/ Dressler angesiedelt sind. Der abstrakten Beschreibung ihrer Merkmale, also text- oder verwenderzentriert usw., entspricht die konkrete Realisierung in einem Text. Jeder Text hat seine eigene Art von Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität usw., doch dabei folgt er immer einem Muster, sodass das INTERTEXTUALITÄTS-Kriterium erfüllt ist. Auf dieser Ebene findet die Textrealisation statt. Das Kriterium der Materialität ist den übrigen Textkriterien vorgeschaltet. Damit ist nicht gemeint, dass es wichtiger als die anderen Kriterien ist, sondern dass das Kriterium der Materialität eines Textes in alle übrigen Kriterien eingeschlossen ist bzw. diese beeinflusst. Dies wird bei der Anwendung der Textkriterien auf Geld im nächsten Kapitel deutlich werden. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, dass Materialität die Merkmale text- und verwenderzentriert hat und sowohl die Textproduktion als auch die Textrezeption betrifft. Neben Kulturalität, INTERTEXTUALITÄT und Materialität nehme ich, genau wie Beaugrande/ Dressler, folgende Textkriterien an: Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. Die nochmalige Nennung des Intertextualitätskriteriums ist kein Fehler, sondern hängt damit zusammen, dass ich es an dieser Stelle anders verstehe als Beaugrande/ Dressler. Intertextualität bedeutet an dieser Stelle zweierlei. Zum einen ist damit gemeint, dass Texte der gleichen Textsorte sich auf- Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 321 einander beziehen. Zum anderen ist darunter zu verstehen, dass Texte unterschiedlicher Textsorten zueinander einen Bezug herstellen. Alle übrigen Textkriterien verstehe ich genauso wie Beaugrande/ Dressler. Das bisher gesagte, lässt sich in einer Grafik wie folgt darstellen: Kulturalität textsortenkonstituierend textu. verwenderzentriert Textproduzent/ -in u. -rezipient/ -in Effizienz Angemessenheit Effektivität INTERTEXTUALITÄT textsortenkonstituierend textu. verwenderzentriert Textproduzent/ -in u. -rezipient/ -in Kulturalität Materialität textrealisierend textu. verwenderzentriert Textproduzent/ -in u. -rezipient/ -in Kohäsion textrealisierend textzentriert Kohärenz textrealisierend textzentriert Intentionalität textrealisierend verwenderzentriert Textrezipient/ -in Akzeptabilität textrealisierend verwenderzentriert Textrezipient/ -in Informativität textrealisierend verwenderzentriert Textrezipient/ -in Situationalität textrealisierend verwenderzentriert Textrezipient/ -in u. -produzent/ -in Intertextualität textrealisierend verwenderzentriert Textrezipient/ -in u. -produzent/ -in Monika Claßen 322 Die Quintessenz meiner Überlegungen ist nicht nur die nun hinlänglich erklärte Ergänzung durch die Kriterien Kulturalität und Materialität, sondern auch die Erkenntnis, dass die Frage nach der Textualität von Texten auf ganz unterschiedlichen Ebenen beantwortet wird. Da ist die Ebene der Textsortenkonstituierung, die der Kulturalität entspricht. Ihr folgt die Ebene der Textkonstituierung, die mit dem Kriterium der INTERTEXTUALITÄT verbunden ist. Die schon begonnene Fokussierung mündet nun in die Ebene der Textrealisation, die ihren Ausdruck in den sieben Kriterien von Beaugrande/ Dressler und dem Kriterium der Materialität findet. 1.3 Geld als TEXT. Anwendung der Textkriterien auf Geld Da ich an anderer Stelle (Claßen 2000) schon erläutert habe, wie sich die Textkriterien auf den TEXT 4 Geld anwenden lassen, werde ich an dieser Stelle in verkürzter Form auf ihre Anwendung eingehen und insbesondere diejenigen Kriterien betrachten, die ich neu eingeführt habe, also Kulturalität, INTERTEXTUALITÄT und Materialität. K ULTURALITÄT Das Kriterium der Kulturalität besagt im Zusammenhang mit TEXTEN, dass die entsprechende Textsorte entweder bekannt ist oder nicht. Für die meisten heute existierenden Kulturen, gilt, dass der TEXT Geld, in Form von Geldscheinen und -münzen, bekannt ist, und somit das Kulturalitätskriterium erfüllt ist. I NTERTEXTUALITÄT INTERTEXTUALITÄT meint, dass ein TEXT über bestimmte Merkmale verfügt, die ihn von anderen TEXTEN unterscheiden, sodass er sich einer bestimmten Textsorte zuordnen lässt. Die INTERTEXTUALITÄT des TEXTES Geld lässt sich letztlich nur dadurch beweisen, dass die übrigen Textkriterien betrachtet werden. Auf diese Art und Weise lässt sich zum einen die Frage klären, ob überhaupt ein TEXT gegeben ist, und zum anderen, was diesen TEXT gegenüber anderen TEXTEN auszeichnet, sodass er sich einem bestimmten Textmuster zuordnen lässt. Mit der Hinwendung zu den Textkriterien Materialität, Kohäsion, Kohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Situationalität, Informativität und Intertextualität begeben wir uns auf die Ebene der Textrealisation, auf der es immer um einen konkreten TEXT geht, in diesem Fall um den 100-DM-Schein. M ATERIALITÄT und K OHÄSION Der Einfluss der Materialität auf die Kohäsion ist nur ein mittelbarer, indem z.B. ein bestimmtes Wort immer groß geschrieben wird oder eine andere Farbe hat oder in einer anderen Schrift gesetzt ist usw. In der Regel dürften aber ungewöhnliche kohäsive Verhältnisse im Sinne von ungewöhnlicher Materialität nicht dazu führen, dass ein TEXT aufgrund dieser nicht mehr als kohäsiv wahrgenommen wird. Auf der Schriftebene würde nur Großschreibung oder nur Kleinschreibung irritieren, aber deshalb würde ein Text der Schriftebene nicht als weniger kohäsiv bewertet werden. Er ist vielmehr so, dass eine besondere Form der Materialität ein Indikator dafür ist, dass damit etwas Bestimmtes betont werden soll. Für die Schrift auf den deutschen Geldscheinen lässt sich sagen, dass es auffällig ist, dass zwei sehr unterschiedliche Schrifttypen verwendet wurden: zum einen wurde eine serifenlose Antiqua und zum anderen die Frakturschrift verwendet, die auch als deutsche Schrift bezeichnet wird. Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 323 Abb. 1: 100-DM-Schein (Rekto/ Verso) herausgegeben durch die Deutsche Bundesbank (74 x 154 mm) Die Wahl der Frakturschrift für das Wort Banknote hatte vermutlich nicht nur kulturelle Gründe, sondern lässt sich auch damit begründen, dass diese Schrift ein weiteres Sicherheitsmerkmal darstellte, da es wesentlich schwieriger ist, eine gelungene Fälschung des Wortes Banknote in Frakturschrift herzustellen, als ein Wort zu fälschen, das in serifenloser Schrift gesetzt ist. Die Materialität entscheidet zwar nicht über die Kohäsivität eines Textes, beinhaltet aber sehr wohl Informationen, die die Kohäsion erleichtern oder erschweren können bzw. die richtungsweisend für die übrigen Kriterien sein können. M ATERIALITÄT und K OHÄRENZ Der TEXT Geld wird nur dann als kohärent wahrgenommen, wenn das Konzept Geld bekannt ist. Zu dem Konzept Geld gehört nicht nur das Wissen um seine Funktionsweise, sondern Monika Claßen 324 auch das Wissen darum, welche Erscheinungsformen es hat, d.h. welche Formen der Materialität es annehmen kann. Papiergeld z.B. besteht nicht einfach aus normalem Papier beliebiger Größe, sondern aus speziellem Papier bestimmter Größe. Es wird nicht willkürlich bedruckt, sondern die Geldscheine einer Währung folgen immer einem bestimmten Muster. Die Mustervorgaben erfolgen dabei durch die jeweilige Bundesbank (vgl. Deutsche Bundesbank 1995: 137-147) bzw. im Falle des Euro durch die Europäische Zentralbank und enthalten genaue Vorgaben über die Aufteilung, das Format, die Farben, die Drucktechnik usw. M ATERIALITÄT und I NTENTIONALITÄT Die Intention der das Geld emittierenden Geldinstitute ist nicht nur, einen kohäsiven und kohärenten TEXT zu schaffen, sondern auch, einen TEXT zu produzieren, der sich von TEXTEN einer anderen oder der gleichen Textsorte unterscheidet, der von den Textrezipierenden akzeptiert wird und der fälschungssicher ist (vgl. Deutsche Bundesbank 1995: 11-12). Dieser Intention wird erst Genüge geleistet, wenn die Möglichkeiten der Materialität völlig ausgeschöpft werden. Wenn Geldscheine nur aus einer Schriftebene bestünden, könnte nicht im gleichen Maße, wie das bei dem komplexen TEXT Geld der Fall ist, der sich aus Schrift- und Bildebene zusammensetzt, die Unterscheidbarkeit, Fälschungssicherheit und Identifikation gewährleistet werden. Die Reduzierung des TEXTES Geld auf die Schriftebene führt unweigerlich dazu, dass er dadurch in seiner Funktionalität eingeschränkt wird. Erst durch das Zusammenspiel von Schrift- und Bildebene funktionieren Geldscheine und -münzen als offizielles Zahlungsmittel; denn nur dadurch erhalten die Textrezipient/ -innen die Sicherheit, dass es sich bei dem TEXT Geld um einen wertbeständigen Gegenstand handelt, der mit gutem Gewissen akzeptiert werden kann. M ATERIALITÄT und A KZEPTABILITÄT Ebenso wie das Kriterium der Intentionalität lässt sich das Kriterium der Akzeptabilität nicht in seiner vollen Bandbreite erfassen, wenn nur die Schriftebene als Text wahrgenommen wird. Erst die Kombination von Bild- und Schriftebene machen den TEXT Geld für die Rezipierenden akzeptabel. Den Rezipientinnen und Rezipienten geht es ja nicht nur darum, einen kohäsiven und kohärenten Text vorzufinden, sondern gerade im Zusammenhang mit Geld, das ein Wertaufbewahrungsmittel ist, haben sie ein Interesse daran, dass es ein gut geschütztes Wertaufbewahrungsmittel ist, welches sich nicht ohne weiteres fälschen lässt. Da Geldscheine sehr unterschiedliche Werte repräsentieren, von 5 bis zu 500 EUR, ist es außerdem im Interesse der Textrezipierenden, dass sie sich leicht unterscheiden lassen. Beiden Bedürfnissen wird durch die Materialität Genüge getan, die sich vor allem in der Größe der Geldscheine, der Materialwahl, der unterschiedlichen Farbgebung und der Verwendung von speziellen Sicherheitsmerkmalen wie Kinegrammen und Sicherheitsfäden äußert. M ATERIALITÄT und I NFORMATIVITÄT Allein die Schriftebene betrachtet, ist der Informationsgrad des TEXTES Geld sehr gering. Die einzige Information, die sich auf der Schriftebene von Geldschein zu Geldschein innerhalb einer Währung unterscheidet, ist die Angabe des jeweiligen Wertes. Alle anderen Informationen wie Verfasser, Unterschrift usw. bleiben gleich. Der Informationswert steigt sofort an, wenn man die Bildebene hinzunimmt und die Materialität des TEXTES berücksichtigt. Im Gegensatz zur Schriftebene ändert sich die Information der Bildebene von Geldschein zu Geldschein. Es gibt keine Währung, deren Geldscheine in allen Stückelungen vollkommen gleich sind. Die Schriftebene gewährt Einblick in den monetären Wert einer Währung, die Bildebene dahingegen in die ideellen und kulturellen Werte einer Gesellschaft. Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 325 Abb. 2: 10-DM-Schein (Rekto/ Verso) herausgegeben durch die Bank deutscher Länder 1948 M ATERIALITÄT und S ITUATIONALITÄT Die Situation, in der der TEXT Geld verwendet wird, sieht in der Regel so aus, dass man schnell entscheiden können muss, ob das, was einem als Geld angeboten wird, wirklich echtes Geld ist und ob es dem Wert entspricht, den man erwartet. Diese Entscheidung wird wesentlich durch die Materialität des TEXTES Geld erleichtert, denn es ist für uns leichter, den TEXT Geld nicht nur anhand der Schriftebene zu unterscheiden, sondern auch im Zusammenhang mit seiner Größe, Farbe und seinem Material. All dies musste im Zusammenhang mit dem Euro neu gelernt werden, um sich vor gefälschtem Geld zu schützen. M ATERIALITÄT und I NTERTEXTUALITÄT Das Kriterium der Materialität in Bezug auf Intertextualität lässt sich vor allem am Design von Währungen festmachen und betrifft damit vor allem die Bildebene. Intertextualität lässt sich zwar auch an der Schriftebene feststellen, wird dort aber nicht durch Materialität beeinflusst. Sie besteht in der Regel darin, dass Währungsnamen übernommen werden, wie z.B. Kanadischer oder Australischer Dollar usw. in Anlehnung an den US-Dollar. Dahingegen lässt sich auf der Bildebene der Einfluss der Materialität eindeutig nachweisen. Monika Claßen 326 Abb. 3: Trinkgeld® (Rekto) der Firma VÜNDEC (75 x 170 mm) Wenn man sich z.B. den 10-DM-Schein von 1948 ansieht, erkennt man ganz deutlich, dass sich die Designer des Geldscheines am Aussehen des US-Dollars orientiert haben. Die Farbwahl und die räumliche Aufteilung des Geldscheines erinnern sehr stark an diesen. Die Erklärung für dieses Phänomen dürfte darin zu sehen sein, dass die Bank der deutschen Länder als Vorläuferin der Deutschen Bundesbank eine Institution war, die durch die Alliierten nach dem Krieg geschaffen wurde. Darüber hinaus wurden die Scheine von der American Banknote Company in New York gedruckt. Ganz deutlich wird die Rolle der Materialität dann, wenn es zum Textsortenwechsel kommt, d.h. wenn auf die Textsorte Geld durch eine andere Textsorte Bezug genommen wird. Dieses Beispiel zeigt einen 1000-DM-Schein, der sich bei näheren Betrachtungen als ein Verpackungsmaterial für ein Lebensmittel entpuppt. Dass es sich bei diesem 1000-DM- Schein nicht um echtes Geld handelt, wird sowohl auf der Schriftebene als auch auf der Bildebene deutlich gemacht, denn beide sind mehr oder weniger stark verändert worden. Wesentlich schneller erhält man aber über die Echtheit des “Geldes” Klarheit, wenn man es anfasst, da es nicht aus Papier, sondern aus Plastik hergestellt ist. 2. Das identitäts- und kulturstiftende Potential der Textsorte Geld 2.1 Geld als Nationalsymbol - der Euro Geld, oder besser die Währung eines Landes, ist eines von mehreren nationalen Symbolen. Dazu gehören nach Sasha Weitman außerdem die Nationalflagge, der Name eines Landes, die Bezeichnung des Regierungssystems, die Nationalhymne, nationale Personifikationen, nationale Gedenkstätten, nationale Uniformen und ihre Embleme, die nationale Geschichte, das Motto einer Nation, die Gestaltung nationaler Briefmarken, die Beschriftung von Geldmünzen, nationale Feiertage und nationale Auszeichnungen, Preise und Ehrungen (Weitman 1973: 365). 5 Weitman untersucht in seinem Aufsatz die Nationalflaggen von 137 Staaten und wendet dabei fünf Kriterien an: 1. die Proportionsverhältnisse (Länge : Breite); 2. die verwen- Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 327 deten Farben; 3. die räumliche Aufteilung der Fahne (vertikale oder horizontale Streifen usw.); 4. das Erfassen eines auf der Fahne abgebildeten Gegenstandes und seine Anordnung auf der Fahne und 5. die genaue Beschreibung des Gegenstandes (Weitman 1973: 334). Weitman unterscheidet die Analyseergebnisse in allgemeine und besondere Eigenschaften, die hier aus Platzgründen nur punktuell wiedergegeben werden. Zu den allgemeinen Eigenschaften von Nationalflaggen gehört z.B. ihre Unzerstörbarkeit/ Unsterblichkeit und ihre Heiligkeit. Die Unzerstörbarkeit/ Unsterblichkeit von Flaggen wird zum einen daran deutlich, dass sie aus ausgesprochen widerstandsfähigem Material gefertigt sind, sodass sie jedem Wetter widerstehen und lange benutzt werden können. Zum anderen ist es verboten, Flaggen mit Toten zu begraben und sollten sie doch von Wetter und Zeit ausgegerbt sein, so werden sie nicht einfach weggeworfen, sondern verbrannt (Weitman 1973: 336-337). Ihre Heiligkeit äußert sich darin, dass es für den Umgang mit ihnen eine Etikette gibt, die genau beschreibt, wann, wo und wie welche Fahnen verwendet werden dürfen. In den USA - genau wie in Deutschland - werden Verstöße gegen die Fahnenetikette als Verstöße gegen den Staat gewertet und entsprechend bestraft (Weitman 1973: 337). Zu den besonderen Eigenschaften von Fahnen zählt Weitman die Einmaligkeit, die Gleichheit und Normalität sowie die Zugehörigkeit, die durch die Fahnenproportionen, die Farbwahl, die Feldaufteilung usw. bestimmt werden. Mit Einmaligkeit ist gemeint, dass keine zwei Fahnen gleich sind. Sie unterscheiden sich in mindestens einem Punkt, sei es die Farbwahl, die Feldaufteilung oder die Proportionen (Weitman 1973: 338). Die Eigenschaft der Gleichheit/ Normalität steht im auffälligen Gegensatz zur Eigenschaft der Einmaligkeit, denn einerseits gilt, dass es keine zwei gleichen Fahnen gibt, und andererseits ähneln sie sich sehr. Weitman erklärt sich die Konformität in der Gestaltung von Fahnen so, dass damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass man “dazugehört”. Die Fahne als nationalstaatliches Symbol ist anerkannt und wenn man selbst als Nationalstaat anerkannt werden will, benutzt man gängige Symbole, durch die die eigene Nationalstaatlichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Die Eigenschaft Zugehörigkeit besagt schließlich, dass sich trotz aller Unterschiedlichkeit bestimmte Fahnen einander mehr ähneln als andere. Weitman erklärt sich dieses Phänomen mit der geokulturellen Nähe der jeweiligen Staaten zueinander (Weitman 1973: 347). 6 Wenn die Kategorien Weitmans auf Geldscheine und -münzen auch nicht im Verhältnis 1 : 1 zu übertragen sind und ihre Untersuchung sich als wesentlich umfangreicher erweisen würde, da es sich um einen komplexeren TEXT handelt, so lassen sich doch einige Parallelen ziehen. Es fällt z.B. auf, dass Geldscheine und -münzen sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit sehr ähneln. Es gibt keine Währung, deren Geldscheine nicht rechteckig sind und deren Münzen nicht mehr oder weniger rund sind. Es gibt zwar Unterschiede zwischen den kleinsten bzw. größten Scheinen einer Währung und denen einer anderen Währung, aber diese halten sich in Grenzen. Bezüglich ihres Formates lassen sich die Geldscheine von Währungen in drei Gruppen einteilen: in diejenigen Währungen, deren Geldscheine alle die gleiche Größe haben, unabhängig von ihrem Nennwert, in diejenigen Währungen, deren Geldscheine proportional zu ihrem Nennwert größer werden und in diejenigen Währungen, deren Geldscheine die gleiche Formathöhe haben, aber in der Länge variieren (Monestier 1982: 43). An dieser Stelle sei noch auf wenigstens eine weitere Ähnlichkeit bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit hingewiesen, die vor allem die Schriftebene des Geldes betrifft, nämlich die Währungsbezeichnung. Dieter W. Portmann, der Übersetzer des Buches Banknoten der Welt von Martin Monestier, hat sich die Mühe gemacht, die dort aufgeführten Währungen nach ihrer Namenszugehörigkeit auszuzählen und ist dabei zu dem erstaunlichen Ergebnis gekommen, dass nicht einmal die Hälfte der 166 aufgeführten Währungen einen eigenen Namen Monika Claßen 328 Abb. 4: 1-Dollar-Schein (Rekto) herausgegeben durch die Central Bank of Trinidad and Tobago haben. Die häufigste Währungsbezeichnung ist der Franc oder Franken, gefolgt vom Dollar, dem Pfund und der Peseta und dem Peso (Monestier 1982: 1-2). Davon abweichende Währungsnamen orientieren sich häufig am Namen des eigenen Landes, wie z.B. der Afghani, der Leone oder der Zaire oder sie orientieren sich an den Namen für das Land wichtiger historischer Persönlichkeiten, wie z.B. der Sucre Equadors oder der Bolívar Venezuelas (Monestier 1982: 3). 7 Die geokulturelle Nähe und damit die gemeinsame kulturgeschichtliche Vergangenheit dürften der Grund dafür sein, dass verschiedene Währungen gleiche Währungsbezeichnungen und ähnliches Design haben. Gerade die Währungsbezeichnungen Pfund, Franc und Peseta erklären sich damit, dass es sich bei denjenigen Ländern, die diese Währungsbezeichnung führen, um ehemalige englische, französische oder spanische Kolonien handelt. Doch diese Erklärung greift nicht im Zusammenhang mit dem US-Dollar, sind die USA doch nicht im gleichen Maße Kolonialmacht gewesen, wie das bei den anderen Ländern der Fall gewesen ist. Im Fall des US-Dollars ist auffällig, dass einzelne Währungen, die nach ihm benannt sind, sich nicht nur auf die Übernahme des Namens beschränkt haben, sondern sich auch im Design am US-Dollar orientiert haben. Im Fall des 1-Dollar-Scheins von Trinidad und Tobago lässt sich sogar noch eine dritte Ebene eröffnen, nämlich durch die Abbildung Elisabeth II., der Königin von England. Auf der einen Seite hat man sich bei der Gestaltung des Geldscheines an dem Design des Nachbarn USA orientiert, andererseits wollte man wohl die historischen Wurzeln als englische Kolonie und Mitglied des Commonwealth of Nations zum Ausdruck bringen. Für die Verwendung der Währungsbezeichnung Dollar und die grafische Ähnlichkeit einzelner Währungen mit dem US-Dollar gibt es meiner Meinung nach noch eine weitere Erklärung, nämlich, dass der US-Dollar symbolträchtiger ist als andere Währungen. Die Benennung der eigenen Währung nach dem Dollar ist der Versuch, an dem Prestige des US- Dollars als der Welthandelswährung zu partizipieren. Dass es sich bei Geld um ein Nationalsymbol handelt, lässt sich außer an dem bisher Gesagten noch an zwei weiteren Sachverhalten nachvollziehen: zum einen an der Tatsache, dass in den Veröffentlichungen der Nationalbanken und in anderen Schriften von ihm als einem Prestigeobjekt bzw. der Visitenkarte des eigenen Landes oder tatsächlich sogar als Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 329 einem Nationalsymbol die Rede ist (Abrams 1995: iv; Deutsche Bundesbank 1995: 8 und 11-12; Poggenpohl 1995: 281-282; Monestier 1983: 63). Zum anderen macht sich die Tatsache, dass die Währung eines Landes ein Nationalsymbol ist, immer dann bemerkbar, wenn neue Banknoten oder gar eine ganze Banknotenserie herausgegeben wird. Aktuellstes Beispiel dafür ist die neue europäische Gemeinschaftswährung, der Euro. An anderer Stelle (Claßen 2000: 401) habe ich darauf hingewiesen, dass die Schrift- und Bildebene des TEXTES Geld über das Konzept Wert miteinander verbunden sind. Auf der Schriftebene wird der Nennwert des Geldscheines dargestellt und auf der Bildebene wird das dargestellt, was als kulturgeschichtlich wertvoll erachtet wird. Entsprechend finden sich auf Geldscheinen Abbildungen von historischen Persönlichkeiten, typischen Landschaftsstrichen oder bekannten nationalen Gebäuden. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie für das jeweilige Land charakteristisch sind und damit repräsentativen Charakter haben. Der Euro zeichnet sich auf den ersten Blick in seinem Design durch das genau Gegenteil aus, nämlich dadurch, völlig unkonkret zu sein und keine speziellen oder charakteristischen Werte zu repräsentieren. Abb. 5: 100-EUR-Schein (Rekto/ Verso) herausgegeben durch die Europäische Zentralbank 2002 (82 x 147 mm) Monika Claßen 330 Als die Europäische Zentralbank 1995 den Wettbewerb für die Gestaltung der neuen euro päischen Währung ausschrieb, gab sie zwei Themen vor: 1. Zeitalter und Stile in Europa und 2. ein abstrakt modernes Design. Das erste Thema, Zeitalter und Stile in Europa, hat sich schließlich durchgesetzt. Alle Banknoten zeigen auf den Rekta Fenster oder Türen und auf den Versa Brücken, die verschiedenen Stilepochen zugeordnet werden können. Dabei war es von größter Wichtigkeit, dass keines der Fenster, keine der Türen oder der Brücken sich mit einem real existierenden Fenster, einer real existierenden Tür oder Brücke in Verbindung bringen lässt. Kein an der Währungsunion beteiligtes Land sollte sich durch ein einseitig nationales Design bevor- oder benachteiligt fühlen, deshalb sollten die Abbildungen zwar einerseits die typischen Merkmale der jeweiligen Epoche tragen, aber keinesfalls mit einem bestimmten nationalen Gebäude identifizierbar sein. Ein detailverliebtes Design wie es sich bei den deutschen Geldscheinen hat finden lassen, ist bei den Euro-Geldscheinen nicht möglich gewesen (vgl. Claßen (2000)). Doch erscheint es bei näherem Betrachten ungerecht, die Euro-Scheine als “antiseptisch” zu bezeichnen, wie das ein Angestellter der Deutschen Bundesbank getan hat. Es gilt, sich vor Augen zu halten, welche Rahmenvorgaben den Designer/ -innen des Euro gemacht worden sind und welche Geschichte der Euro hat. Das Euro-Design ist nicht nur der Neutralität verpflichtet, sondern ihr geradezu ausgeliefert, denn im Gegensatz zu anderen Währungen kann sich der Euro nicht auf irgendeine Vorgängerwährung berufen und an ihr anknüpfen. Der Euro ist eine Währung, die keine Vergangenheit hat und somit in noch viel größerem Maße als andere Währungen um das Vertrauen der Bürger/ -innen werben muss, als das sowieso schon der Fall ist. Gérard Caron, einer der Berater der Europäischen Zentralbank bezüglich des Euro-Designs, formuliert das wie folgt: The jury’s choice has been more conservative, and there are some good reasons about this choice: being too modern the euro banknotes won’t be considered as a banknote, but as a picture or illustration! Don’t forget that this money has no background, no past, no tradition: a non traditional money represented by a non traditional design would be too risky. 8 Caron verweist damit auf einen Aspekt, der wesentlicher Bestandteil des Banknotendesigns ist, nämlich in den Entwürfen neuer Banknoten alten Vorbildern zu folgen, falls es sich dabei um erfolgreiche Vorbilder gehandelt hat (Deutsche Bundesbank 1995: 11-12). In dem Fall, dass eine Währung z.B. durch Inflation einen hohen Wert- und Vertrauensverlust erlitten hat, ist man stets bemüht, die nachfolgenden Banknoten möglichst anders zu gestalten, sodass sie nicht in Verbindung mit ihren Vorgängerinnen gebracht werden. Hat sich eine Währung dahingegen als stabil und kaufkräftig erwiesen, so wird versucht, das Design im Großen und Ganzen beizubehalten, damit das ihr entgegengebrachte Vertrauen nicht erschüttert wird. Für den Euro gibt es, wie schon gesagt, keine Vorlage, auf die er sich berufen kann, denn es hat noch nie eine europäische Gemeinschaftswährung gegeben. Aus diesem Grund war es notwendig, bei seinem Design einerseits einen neuen Weg zu beschreiten, indem man erstmalig das Design für eine Gemeinschaftswährung schuf, und andererseits einen Bezug zu traditionellen Währungen herstellte, um so das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen. 9 Den Bürger/ -innen wird es sicherlich leichter fallen, die neue Währung zu akzeptieren, wenn diese mit ihrer Kenntnis davon, wie Geld auszusehen und sich anzufühlen hat - linguistisch gesprochen mit ihrem Textmusterwissen - zu großen Teilen übereinstimmt. Nun stellte sich allerdings die Frage, welchen gemeinsamen kulturellen Wert man auf der Bildebene darstellen kann, der gleichzeitig allgemeingültig und doch speziell genug sein soll, um über genug Aussagekraft zu verfügen. Robert Kalina, der die Entwürfe für die heutigen Euro-Geldscheine angefertigt hat, hat die in allen europäischen Staaten gleicher- Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 331 maßen zu findenden Architekturstile als kleinsten gemeinsamen kulturellen Nenner entdeckt und setzte sich deshalb mit seinen Entwürfen im Wettbewerb durch. Nun ließe sich vielleicht sagen, dass es in gewisser Weise ein Gemeinplatz ist auf das gemeinsame europäische architektonische Erbe zu verweisen, schließlich hat jede und jeder schon einmal im Urlaub im Ausland eine romanische, gotische oder barocke Kirche gesehen, wie sie oder er sie auch aus der Heimat kennt. Doch Angelika Trachtenberg, eine weitere Expertin des Beratungsgremiums der Europäischen Zentralbank für das Design des Euro, entkräftet diesen Vorwurf, indem sie auf den kommunikativen bzw. semiotischen Wert von Architektur hinweist: Der Gestaltung gelingt es, aus der verbindenden kulturellen europäischen Vergangenheit in eine gemeinsame europäische Zukunft aufzubrechen. Der Zukunftsaspekt ist das Wichtige. Denn europäische Identität ist zur Zeit ja nicht wirklich vorhanden, darum sollte es im Design auch nicht vorgespiegelt werden. […] Ganz besonders die Symbolik der Brücke ist hier wichtig. Brücken verbinden Menschen, verbinden Kontinente, verbinden Epochen, verbinden Länder. Und genau so sind die Brücken der Entwürfe inszeniert. […] Das wichtigste Attribut des Euros ist “verbindend”. Vergangenheit mit Zukunft, Länder, Menschen, Kontinente. Ein weiteres wichtiges Attribut ist “sich öffnen” (so wie man Fenster öffnet), sich öffnen für neue Herausforderungen der Zukunft, für neue Gedanken; dazu gehört ganz sicherlich auch WIR-Denken statt übertriebenes, nationales Statusbewußtsein. […] Es geht um ein neues europäisches Bewußtsein, um eine WIR-Identität und nicht um eingegrenztes Schrebergartendenken. Aus diesem Grund war es auch richtig, nationale Individualitäten zu vermeiden. Es wäre nicht möglich gewesen, 15 europäische Länder im gleichen Ausmaß zu befriedigen. Darum ist das Thema der Persönlichkeiten der Vergangenheit irrelevant, da nicht entscheidbar und nicht gerecht. Vielleicht gibt es in 10 Jahren “Europäer”, Träger der neuen zukünftigen Gemeinsamkeit, die dies wieder ermöglichen. Der Symbolgehalt des Euro speist sich also nicht - im Gegensatz zu allen anderen Währungen - aus dem, was einmal war, sondern aus dem, was sein wird bzw. sein soll. Niemals zuvor ist es vorgekommen, dass Staaten freiwillig auf ihre Währungshoheit verzichtet haben, ist diese doch Zeichen für die Souveränität eines Staates und bedeutet bis zu einem gewissen Grad wirtschaftliche Unabhängigkeit. Deshalb mutet es auch befremdend an, wenn wir hören, dass ein Land wie Argentinien sehr ernsthaft darüber nachgedacht hat, seine Währung durch den US-Dollar zu ersetzen (Hellmann 1999: 29). In dieser Situation wird es ganz deutlich, dass die Währung eines Landes tatsächlich ein Nationalsymbol ist. Allerdings scheinen die verschiedenen Nationalsymbole, über die ein Land verfügt, von sehr unterschiedlicher Qualität zu sein. Die Landesflagge oder Nationalhymne auf der einen Seite und die landeseigenen Briefmarken und Geldscheine auf der anderen Seite haben einen unterschiedlichen Symbolgehalt. Für die ersteren gibt es eine Etikette und sie sind in rituelle Handlungen eingebunden. Für den Umgang mit Briefmarken und Geldscheine lässt sich ein solches Verhalten nicht feststellen, obwohl es auch für sie bestimmte Gesetzesvorschriften gibt, die das Fälschen von Geld- und Wertzeichen unter Strafe stellen (Strafgesetzbuch 1999: 770-785). Ein weiteres Indiz dafür, dass die Flagge eines Landes und nicht die Währung eines Landes als ein Symbol für es wahrgenommen wird, ist die Tatsache, dass bei Demonstrationen, die sich gegen dieses Land richten, nicht etwa dessen Geldscheine hochgehalten und womöglich verbrannt werden, sondern dessen Fahne. Geldscheine, Briefmarken usw. werden offensichtlich so lange mehr als Gebrauchsgegenstände denn als Nationalsymbol wahrgenommen, so lange ihre alltägliche Funktionsweise, z.B. durch die Veränderung ihres Designs, nicht in Frage gestellt wird. Die Nationalhymne oder die Landesfahne scheinen dahingegen von vornherein nicht als Gebrauchsgegenstände wahrgenommen zu werden, Monika Claßen 332 sondern über sakrosankte Eigenschaften zu verfügen. Dies liegt natürlich auch daran, dass die verschiedenen Symbole in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet werden. Briefmarken und Geld sind Teil unseres alltäglichen Lebens, wohingegen die Nationalhymne und die Landesfahne nur zu besonderen Anlässen eine Rolle in unserem Leben spielen. 2.2 Geld als Kommunikationsmedium - antisemitische Geldscheine Die Kommunikativität von Geld ist nur seine sekundäre Funktion. Seine primäre Funktion ist dreigeteilt. Es ist 1. Zahlungsmittel, 2. Recheneinheit und 3. Wertaufbewahrungsmittel. Die Funktion, sowohl Kommunikationsals auch Propagandamittel zu sein, lässt sich in unterschiedlichem Maße auf der Schrift- und Bildebene von Geld feststellen. Die Schriftebene besteht in der Regel aus einer sehr neutralen, wenn auch wichtigen Nachricht, nämlich dem Wert des jeweiligen Geldscheins oder -stücks. Die “Botschaft” der Bildebene ist einerseits einfach und andererseits komplex: einfach insofern, als auf der Bildebene Personen, Ereignisse oder Gegenden abgebildet werden, die sich alle unter dem Begriff “kultureller-Werteines-Landes” zusammenfassen lassen; komplex, weil es je nach Währung sehr unterschiedliche Sachverhalte sind, die als wertvoll angesehen werden. Für die antisemitischen Geldscheine, die in zwei große Gruppen zu unterteilen sind, lassen sich zwei unterschiedliche Kommunikationsstrategien feststellen. Das antisemitische Notgeld, das nach dem Ersten Weltkrieg bis 1922 gedruckt wurde, folgt, da es sich um Geldersatz handelte, dem Textmuster Geldschein, sodass die Textbestandteile denjenigen eines “richtigen” Geldscheines entsprechen, wohingegen die antisemitische Botschaft ausschließlich durch die Bildebene vermittelt wird. Bei den antisemitisch überdruckten Geldscheinen wird ein mehr oder weniger wertlos gewordener Geldschein als Medium für die antisemitische Botschaft verwendet. Die meisten antisemitisch überdruckten Geldscheine stammen aus dem Jahr 1923, sind aber wohlmöglich später überdruckt worden. Ihre zeitliche und geografische Bestimmung ist ausgesprochen schwierig, da sie selbst nur sehr selten Auskunft darüber geben. Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 333 Abb. 6: Antisemitisches Notgeld (Rekto) herausgegeben durch die Stadt Sternberg 1922 (97 x 128 mm) Monika Claßen 334 Abb. 7: 1000-Mark-Reichsbanknote mit antisemitischem Aufdruck auf dem Verso (85 x 165 mm) Für die meisten der antisemitischen Notgeldscheine gilt, dass sie grafisch - im Gegensatz zu den überdruckten Inflationsscheinen - relativ aufwendig gestaltet sind. Zu den in dieser Beziehung aufwendigsten gehören die 100-Pfennig-Scheine der Stadt Sternberg aus dem Jahr 1921. Für diese wurden offensichtlich Holzschnitte von 1492 als Vorlage benutzt, die einen alten und gängigen Vorwurf gegen die Juden zum Thema haben, nämlich die Hostienschändung (Graus 1997: 46-49). Neben der Themenwahl ist auch die Darstellung der Juden als Personen auf allen antisemitischen Geldscheinen sehr ähnlich und folgt bestimmten stereotypen Vorstellungen, die sich vor allem an der Physiognomie (Bock/ Filipschack 1997: 29-31) und dem gedrungenen Körperbau (Weissberg 1999: 279) festmachen lassen. Im Großen und Ganzen scheint es so gewesen zu sein, dass zumindest von staatlicher Seite kein Einwand gegen diese Scheine vorgebracht wurde, wobei in diesem Zusammenhang wiederum berücksichtigt werden muss, dass das Notgeld in der Regel nur für einen sehr begrenzten geografischen Raum gültig war, d.h. aus der Duldung antisemitischer Geldscheine durch die lokalen Behörden lässt sich nicht gleichzeitig schließen, dass auch die nächst höheren Instanzen mit dieser Art von Notgeld einverstanden waren. Antisemitisch überdruckte Geldscheine sind laut Wolfgang Haney wesentlich häufiger vertreten als antisemitisches Notgeld. Haney verfügt über die wohl umfangreichste Sammlung dieser Arten von Geldscheinen in Deutschland. Er geht davon aus, dass es vielleicht insgesamt 200 bis 220 verschiedene Motive für antisemitisch überdruckte Geldscheine gibt, wobei diese Angaben in gewisser Weise irreführend sind, da jeder Aufdruck, und sei er auch wortgleich mit dem Aufdruck eines anderen Scheins, als eigenes Motiv gezählt wird, wenn er sich nur in Typografie oder Schrift unterscheidet. In den seltensten Fällen lassen sich die antisemitisch überdruckten Geldscheine genau datieren. Die Geldscheine, die verwendet wurden, sind zwar alle aus dem Jahr 1923, daraus kann aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch die Aufdrucke aus diesem Jahr stammen. Es spricht einiges dafür, dass Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 335 Abb. 8: 1-Millionen-Mark Reichsbanknote mit antisemitischem Aufdruck auf dem Verso diese auch in späteren Jahren noch angebracht wurden. So besitzt Haney eine Postkarte des Leipziger Papierwarenhändlers Emil B. Böhme, der seinem Parteigenossen Hermann Richter im Jahr 1938 mitteilt, dass er sich nun wieder im Besitz der Freifahrkarten nach Jerusalem und Moskau befindet und diese wieder über ihn erworben werden können. Damit ist zwar noch nicht bewiesen, dass antisemitisch bedruckte Geldscheine auch noch wesentlich später als 1923 zu Propagandazwecken verwendet wurden, aber diese briefliche Benachrichtigung lässt zumindest vermuten, dass einige der antisemitischen Aufdrucke auch noch aus späteren Jahren stammen. Das “Nationalsozialistische Glaubensbekenntnis” ist nicht nur interessant, weil es sich eines bekannten Textes bedient, sondern weil sich an ihm auch zeigen lässt, welche Intentionen mit den antisemitisch überdruckten Geldscheinen verfolgt wurden. In erster Linie war dies sicherlich die Verunglimpfung der jüdischen Bevölkerung, aber darüber hinaus auch die Aufforderung, eine bestimmte politische Partei zu wählen. Neben solchen Aufdrucken finden sich auf anderen Scheinen auch Aufdrucke, die dazu aufrufen, den Völkischen Beobachter zu kaufen. 10 Daraus lässt sich schließen, dass diese Geldscheine gar nicht mehr als Zahlungsmittel wahrgenommen wurden, sondern als Flugblatt und insofern haben wir den seltenen Fall, dass die Zahlungsfunktion des Geldes durch die sekundäre Funktion, Kommunikationsbzw. Propagandamittel zu sein, überdeckt wird. Allerdings ist seine Funktion, Zahlungsmittel zu sein, nicht völlig aus dem Blick geraten, denn mit den aufgedruckten Texten wurde häufig ein direkter Bezug zu ihr hergestellt. Man denke nur an den Spruch: “Das Gold, das Silber und den Speck nahm uns der Jud’ und ließ uns diesen Dreck! ”, wie er sich auf der “Fahrkarte nach Jerusalem” (vgl. Abb. 7) findet. 3. Zusammenfassung Die Frage, ob es sich bei Geldscheinen und -münzen um einen Text handelt, ist eindeutig mit “Ja” zu beantworten. Die- Monika Claßen 336 sem einfachen “Ja” liegen allerdings einige sehr grundsätzliche Überlegungen zugrunde, die in der traditionellen Textlinguistik zu wenig beachtet werden: 1. In einer adäquaten Auseinandersetzung mit TEXTEN muss ihre Komplexität erfasst und ernst genommen werden. Nicht-sprachliche Bestandteile dürfen nicht als bloßes Beiwerk betrachtet werden, sondern müssen als essenzielle Bestandteile des komplexen TEXTES wahrgenommen werden. Komplexe TEXTE sind Texte, die sich nicht nur auf das sprachliche Zeichensystem beschränken, sondern auch andere, nicht-sprachliche Zeichensysteme beinhalten. Wenn man eines der verschiedenen an einem komplexen TEXT beteiligten Zeichensysteme vernachlässigt, dann erfasst man den in Frage stehenden Text nur unzureichend. 2. Die Erfassung von Äußerungen als komplexe TEXTE lässt sich ohne weiteres mit bestehenden Textauffassungen in Einklang bringen, bedarf allerdings einer Reinterpretation und Ergänzung, wie das prozedurale Textmodell von Beaugrande/ Dressler zeigt. 2.1 Die Analyse des Modells von Beaugrande/ Dressler hat gezeigt, dass die von ihnen angeführten Textualitätskriterien sich sowohl auf sprachliche als auch nicht-sprachliche Zeichensysteme anwenden lassen. Allerdings ist auch offenbar geworden, dass ihr Kriterienkatalog sinnvollerweise um zwei weitere Kriterien erweitert werden muss - nämlich Kulturalität und Materialität - und dass die von Beaugrande/ Dressler postulierte Gleichgewichtung der Kriterien so nicht aufrecht zu erhalten ist. 3. Erst durch die Analyse von Geldscheinen und -münzen als komplexer TEXT wird das ihnen innewohnende identitäts- und kulturstiftende Potential deutlich. Dieses Potential ist kaum auf der Schriftebene enthalten, sondern findet sich größtenteils auf der Bildebene, denn hier werden die kulturellen und ideellen Werte des jeweiligen Landes repräsentiert. 3.1 Im Zusammenhang mit dem Euro ergibt sich die überraschende Erkenntnis, dass die dort abgebildeten Werte sich nicht, wie bei allen anderen Währungen, auf die Vergangenheit beziehen, also auf berühmte Persönlichkeiten, historische Begebenheiten usw. verweisen, sondern auf die Zukunft verweisen und zum Ausdruck bringen, wie Europa einmal sein soll. 3.2 Schließlich ist durch die Unterscheidung der verschiedenen an einem Text beteiligten Zeichensysteme eine genauere Analyse der sekundären Funktion von Geld, nämlich Kommunikations- und Propagandamittel zu sein, möglich. Im Fall des antisemitischen Notgeldes findet die Kommunikation bzw. die Propaganda über die Bildebene statt, wohingegen die antisemitisch überdruckten Geldscheine sich der Schriftebene bedienen. Ist Geld ein Text und was hat es uns zu sagen? 337 Abbildungsnachweis Die Abbildungen, die hier nicht aufgeführt sind, befinden sich in meinem eigenen Besitz. Abbildung 2: Kranister (1989: 229). Abbildung 4: Monestier (1982: 368). Abbildung 6-8: Sammlung Wolfgang Haney, Berlin. Literatur Abrams, Richard K. 1995: The design and printing of bank notes. Considerations when introducing a new currency. [IMF Working Paper Nr. 26] Beaugrande, Robert-Alain de; Wolfgang Ulrich Dressler 1981: Einführung in die Textlinguistik. Tübingen: Niemeyer. [Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft; 28] Bock, Gabriele; Wolfgang Filipschack 1997: “Elemente des Judenstereotyps in Massenmedien”, in: Dichanz, Horst; Nadine Hauer; Peter Hölzle; Imme Horn (Hgg.). Antisemitismus in Medien. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 28-31. Claßen, Monika 2000: “Geld als Text”, in: Fix, Ulla; Hans Wellmann (Hg.). Bild im Text - Text und Bild. Heidelberg: C. Winter, 399-407. 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Fix verdeutlicht in diesem Aufsatz am Beispiel von Wohnungsanzeigen in Deutschland und Russland, inwiefern die Bewertung eines Textes als effizient, effektiv und angemessen stark von den kulturellen Gegebenheiten abhängt. 4 Wenn ich im Folgenden von dem TEXT Geld spreche, so meine ich damit das komplexe Zeichensystem Geld, das sich aus einer Schriftebene, die im Alltag als Text bezeichnet wird, und einer Bildebene zusammensetzt. Diese Unterscheidung scheint mir insofern notwendig zu sein, als mit dem Begriff Text in der Regel nur mündliche und schriftliche Äußerungen assoziiert werden. Es wird sich zeigen, das der TEXT Geld seine volle Funktionsfähigkeit nur dann erfüllt, wenn sowohl die Schriftals auch die Bildebene berücksichtigt werden. Dementsprechend meint das normal geschriebene Wort Text das, was in der Regel unter Text verstanden wird, nämlich einen mündlich oder schriftlich verfassten Text. Diese Trennung der beiden Begriffe “TEXT” und “Text” ist allerdings nur dort notwendig, wo komplexe TEXTE untersucht werden, die sich aus unterschiedlichen Zeichensystemen zusammensetzen. In Kapitel 2, in dem es um das kultur- und identitätsstiftende Potential des Textes Geld geht, verwende ich die Normalschreibung, da dort Textualität nur von sekundärer Bedeutung ist. Im Fall von Komposita mit dem Wort TEXT verzichte ich auf die Großschreibung, es heißt also dann nicht TEXTkriterien, TEXTsorte usw. 5 In Deutschland gehören folgende Dinge zu den rechtlich geschützten Nationalsymbolen: die Farben, die Flagge, das Wappen und die Hymne der Bundesrepublik Deutschland (§ 90 a StGB) und inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsbezeichnungen (§ 132 a StGB). 6 Man sehe sich nur die Fahnen der skandinavischen Länder an, die sich alle für die gleiche Feldaufteilung entschieden haben, nämlich ein Kreuz, das um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht ist und so die Fahne in vier Rechtecke aufteilt. 7 Antonio José de Sucre y de Alcalá (1795-1830) und Simón de Bolívar (1783-1830) waren Generäle, die gegen die spanische Zentralgewalt Südamerikas kämpften. 8 Diese und folgende Antworten entstammen einem Fragebogen, den ich den verschiedenen Mitgliedern des Beratungsgremiums der Europäischen Zentralbank zugeschickt habe. 9 In Bezugnahme auf Weitmans Überlegungen bezüglich der Ähnlichkeit von Flaggen bzw. Geldscheinen, scheint es mir interessant zu sein, dass offensichtlich ganz bewusst kein grafischer Bezug zum US-Dollar gesucht worden ist. Der Euro ist eben eine europäische Währung und keine amerikanische Währung. 10 Neben antisemitisch überdruckten Geldscheinen gibt es laut Haney auch Geldscheine, die von Sozialisten und Kommunisten bedruckt wurden und zur Wahl ihrer Parteien aufriefen.
