Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2002
253-4
Die Dreigliedrigkeit der Repräsentanz. Ein Beitrag Georg Simmels zur Semiotik des Geldes
121
2002
Klaus Frerichs
kod253-40355
Die Dreigliedrigkeit der Repräsentanz Ein Beitrag Georg Simmels zur Semiotik des Geldes Klaus Frerichs Der auf dem berühmten, 1514 entstandenen Werk von Quentin Massys dargestellte ‘Goldwäger’ oder ‘Geldwechsler’, unter dessen - mit Verlaub gesagt - Patrozinium dieses Kolloquium stattfindet, bestimmt mit der geldwirtschaftlich gebotenen Objektivität nicht nur den Goldgehalt der Münzen, sondern zugleich die Relation des auf der Münze angegebenen Gehalts zu dem tatsächlichen. Er überprüft ein Zeichen, indem er das Bezeichnete abwägend objektiviert. In der dabei ermittelten Differenz wird das Wesen des Geldes erkennbar - nicht im Unterschied zwischen dem angegebenen und dem gewogenen Wert, sondern in der so aufscheinenden Differenz zwischen der Münze als einem Zeichen und derselben Münze als einem bezeichneten Ding. Georg Simmels Philosophie des Geldes ist eine Theorie dieser Differenz, genauer: eine Theorie der wechselnden Formen, welche die Differenz zwischen dem Geld als einem Zeichen versus dem Geld als einem bezeichneten Ding annimmt und in denen sie den geldwirtschaftlich handelnden Subjekten erscheint. Ich möchte es daher - in zwei Rekonstruktionsschritten - unternehmen, Simmels Theorie als einen bemerkenswerten Beitrag zur Semiotik des Geldes darzustellen. Ein solcher Zugang liegt schon deshalb nahe, weil Simmel in mannigfachen Formulierungen die Entfaltung des Geldes als fortschreitende ‘Symbolisierung des Wertes’, als Werden des Geldes ‘zum reinen Symbol’ beschreibt und genau daran die These von der zunehmenden ‘Vergeistigung des Geldes’ knüpft. Zugang über Marx In der Thematisierung des Geldes als ‘Zeichen seiner selbst’ ist Simmel gewiß nicht originell. Er kannte das Problem u.a. aus dem Kapital von Marx und wohl auch aus dessen älterer, in diesem Punkte ausführlicheren Arbeit Zur Kritik der politischen Ökonomie. 1 In beiden Schriften hat Marx die Symbolwerdung des Geldes als Wesenszug geldwirtschaftlicher Entwicklung dargestellt. Die sog. Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, posthum publizierte Vorstudien zur Kritik von 1859, bezeugen, wie sehr sich Marx mit dem Problem gequält hat, warum Geld überhaupt zu einem ‘bloßen Symbol’ werden kann, ja muß. Auch in Zur Kritik der politischen Ökonomie behandelt Marx die semiotischen Aspekte des Geldes sehr eingehend und in Auseinandersetzung mit der gesamten Tradition der ökonomischen Theoriebildung, wobei er - in seinem Gesamtwerk selten genug - sogar allgemeine, nur mittelbar mit der Geldthematik verbundene Reflexionen zum Charakter von Zeichen anstellt. (Am Rande sei angemerkt, daß Marx und Simmel bei der Erörterung des Zusammenhanges von Geld und Zeichen ein und dasselbe Beispiel - Ersatz von Fellen durch bestempelte Fellspitzen als Tauschmittel im alten Rußland - verwenden, wenn auch mit leicht unterschied- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 25 (2002) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Klaus Frerichs 356 lichen Akzentsetzungen. 2 Ich muß den wirklich Simmelkundigen die Nachprüfung überlassen, woher Simmel das Exempel bezogen hat. Sollte sich nachweisen lassen, daß er gerade diese und die angrenzenden Passagen aus Zur Kritik der politischen Ökonomie gekannt hat, wären noch weitere Übereinstimmungen in den Gedankenführungen der beiden Denker eher verständlich.) Im ersten Band des Kapital, den Simmel sicherlich gründlich gelesen hat, stellt Marx erneut die Frage nach der Transformation des Geldes in ein reines Symbol und beantwortet sie sowohl apodiktisch als auch vermeintlich abschließend: Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentiert, die, wie alle andren Warenquanta, auch Wertquanta, ist es Wertzeichen. - Es fragt sich schließlich, warum das Gold durch bloße wertlose Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann? Es ist aber […] nur […] ersetzbar, soweit es in seiner Funktion als Münze oder Zirkulationsmittel isoliert oder verselbständigt wird […] [Die vom Papiergeld ersetzbare Minimalmasse Gold] haust beständig in der Zirkulationssphäre, funktioniert fortwährend als Zirkulationsmittel und existiert daher ausschließlich als Träger dieser Funktion […] Daher genügt auch die bloß symbolische Existenz des Geldes in einem Prozeß, der es beständig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein funktionelles Dasein absorbiert sozusagen sein materielles. […] es funktioniert nur noch als Zeichen seiner selbst und kann daher auch durch Zeichen ersetzt werden. Nur bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen objektiv gesellschaftlichen Gültigkeit, und diese erhält das Papiersymbol durch den Zwangskurs. 3 Der Text dürfte die Nähe der Simmelschen Argumentation zu der von Marx unverkennbar machen, insbesondere hinsichtlich der Redeweisen von dem funktionellen versus dem materiellen Dasein des Geldes und dessen in dieser Trennung begründeter ‘bloß symbolischer Existenz’. An der Wendung, Papiergeld sei nur insofern Wert-Zeichen, als es Goldquanta repräsentiere, ist allerdings der wesentliche Unterschied der Perspektiven ebenso deutlich abzulesen. Dennoch bietet der Marxsche Text einen guten Zugang zur spezifischen Geldtheorie von Simmel, indem er eine eigentümliche Metapher anbietet, die bei Marx keine weitere Explikation erfährt, für Simmel aber geradezu als Leitmotiv gedient haben könnte. Ich meine den Satz: “Sein [des Geldes] funktionelles Dasein absorbiert sozusagen sein materielles.” Der distanzierend halbherzige Ausdruck “sozusagen”, für Marxens ansonsten herbe Diktion eher ungewöhnlich, deutet auf Ambivalenz gegenüber einer Einsicht, die zum roten Faden der Marxschen Gedankenführung mehr quer denn längs liegt. Nicht Repräsentanz und damit Differenz, sondern Absorption wird zum Modell eines Verhältnisses, das für die Geldtheorie zentral ist: des Verhältnisses von Symbol und Symbolisiertem. Der Wechsel vom Repräsentanzzum Absorptions-Modell kann jedoch auch so vollzogen werden, daß man von der traditionellen Repräsentanztheorie des Symbols - aliquid stat pro aliquo - ausgeht und den Prozeß des stare pro selbst als eine immanente Umkehrung der Repräsentanz begreift. An anderer Stelle hat Marx diese Umkehrung beschrieben; in den ‘Aphorismen über das Geld’ heißt es prägnant: “Das Geld ist ursprünglich der Repräsentant aller Werte; in der Praxis dreht sich die Sache um, und alle realen Produkte und Arbeiten werden die Repräsentanten des Geldes”. 4 Doch wie die Absorptions-Metapher, so ist auch die Denkfigur der Umkehrung für die Leitlinie der Geld-Theorie von Marx folgenlos geblieben. Der genuine Beitrag Simmels zur Theorie des Geldes und in eins zur allgemeinen Semiotik könnte vorläufig so verstanden werden, daß er genau diesen Bruch in der theoretischen Tradition vertieft, indem er die Repräsentanztheorie des Geldes und dabei des Symbols allgemein zu einer Theorie der tendenziellen Absorption des Symbolisierten durch das Symbol Die Dreigliedrigkeit der Repräsentanz 357 weiterdenkt. In seiner Sprache läßt sich der Absorptionsprozeß als eine ‘Rückwirkung des Vertretenden (der Vertretung, wie Simmel häufig sagt) auf das Vertretene’ formulieren. Dies entspricht der allgemeinen Kritik Simmels am Denken in einbahnig-linearen Beziehungsmustern und seiner Präferenz für das Grundmodell der Wechselwirkung. In der Philosophie des Geldes findet sich eine eigentümliche Passage, die sich wie eine Antwort auf den zuvor zitierten Marx-Text liest: Man kann sagen, daß der Wert des Geldes immer mehr von seinem terminus a quo auf seinen terminus ad quem übergeht, und daß so das Metallgeld, in bezug auf die psychologische Vergleichgültigung seines Materialwertes, mit dem Papiergeld auf einer Stufe steht. Man darf die materiale Wertlosigkeit dieses letzteren nicht deshalb als irrelevant erklären, weil es nur eine Anweisung auf Metall wäre. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß selbst ein völlig ungedecktes Papiergeld doch immer als Geld gewertet wird. Denn wenn man auch auf den politischen Zwang hinweisen wollte, der allein solchem Papiergeld seinen Kurs verschaffte [wie es Marx tut, K.F.], so heißt das ja gerade, daß andere Gründe als der der unmittelbaren und materialen Verwertung einem bestimmten Stoff den Geldwert verleihen können und jetzt tatsächlich verleihen. 5 Genau im Anschluß an diese Zurückweisung des Theorems, Papiergeld habe Wert nur als Stellvertreter des Gold-(Metall-)Geldes, formuliert Simmel seine eigene Leitthese, das Symbol wirke auf das Symbolisierte zurück; er tut dies in der Sprache der traditionellen Repräsentanztheorie: Der steigende Ersatz des baren Metallgeldes durch Papiergeld und die mannigfaltigen Formen des Kredits wirken unvermeidlich auf den Charakter jenes selbst zurück - ungefähr wie im Persönlichen jemand, der sich fortwährend durch andere vertreten läßt, schließlich keine andere Schätzung erfährt, als die seinen Vertretern gebührende. 6 Erster Rekonstruktionsschritt: der Verweisungskreis Wenn wir diese Denkfigur auf die Grundformel der Repräsentanz - aliquid stat pro aliquo - anwenden, dann ergibt sich ein Interpretationsschema, das uns zu einer Überprüfung und Erweiterung genau dieser Grundformel nötigen wird: Dasjenige etwas (aliquid), das für etwas anderes (aliquo) steht, es vertritt, hat zunächst nur eine gleichsam parasitäre Bedeutung (der Ausdruck “Bedeutung” meint hier und im folgenden nicht die Zeichen-Bedeutung, sondern soviel wie “soziale Funktion”). Als Vertretung ist es der Schatten des Vertretenen; es partizipiert nur an der Eigenbedeutung, die das Vertretene außerhalb der Repräsentanz-Beziehung hat. In dieser Form der Repräsentanz ist aliquid vollständig durch seine Verweisung auf aliquo charakterisiert. Symbole, deren Wesen darin zu bestehen scheint, daß man durch sie hindurch auf das Symbolisierte sieht, weisen häufig auch eine Gestaltähnlichkeit oder, in Simmels Worten, Form-Gleichheit mit aliquo auf. Für die Geschichte des Geldes exemplifiziert Simmel dies u.a. an milesischen Bronzemünzen, welche die Gestalt von Fischen haben: Nun wird angenommen, daß jenes Fischervolk ursprünglich den Thunfisch als Tauscheinheit benutzte und es […] bei Einführung der Münze nötig fand, den Wert je eines Thunfisches in einer Münze darzustellen, die durch die Gleichheit ihrer Form diese Gleichwertigkeit und Ersetzbarkeit unmittelbar versinnlichte - während man an anderen Stellen, weniger nachdrücklich und doch auf das äußerliche Sichentsprechen nicht verzichtend, auf die Münze nur das Bild des Klaus Frerichs 358 Gegenstandes (Ochse, Fisch, Axt) prägte, der in der Tauschepoche die Grundeinheit bildete und dessen Wert eben die Münze darstellte. 7 Nun vollzieht sich aber - wie von Simmel am Beispiel einer Person erläutert, die sich ständig von anderen vertreten läßt - durch permanente und verallgemeinerte Repräsentanz eine sukzessive Umkehrung der Verweisung. Es entsteht dabei ein Verweisungskreis, der sowohl aus der Position von aliquo als auch aus der von aliquid beschrieben werden muß. Wenn Simmel sagt, der ständig durch andere Vertretene genieße schließlich keine Wertschätzung außer derjenigen, die seine Verteter erfahren, dann ist dies allgemein so zu formulieren, daß nunmehr aliquo eben keine Bedeutung mehr außerhalb der Repräsentanz-Beziehung zukommt. Aliquo verweist auf aliquid zurück und ist, wenn wir uns den Prozeß vollendet denken, eben nur noch dasjenige etwas, das von jenem etwas vertreten wird. Die Umkehrung der Verweisung ist auch eine Umkehrung der Bedeutung - die von aliquo ist nun parasitär, sie erschöpft sich darin, daß aliquo in aliquid seine Vertretung findet. Aus der Sicht von aliquid, also des Symbols, führt der Verweisungskreis zu einer seltsamen Struktur, die sich bezeichnenderweise nur tautologisch darstellen läßt: Aliquid vertritt aliquo als etwas, das von aliquid vertreten wird. Es verweist durch aliquo hindurch auf sich selbst zurück. Genau diese Struktur der Selbstbezüglichkeit klingt schon bei Marx an, wenn er das Geld als ‘Zeichen seiner selbst’ bestimmt. Doch erst bei Simmel wird der Verweisungskreis halbexplizit, halb-implizit zum Interpretationsschema für den Prozeß, den das Geld sowohl durchmacht als auch betreibt. Das entfaltete Geld bildet, mit einem trefflichen Ausdruck von Simmel gesagt, das Paradigma eines ‘sekundären Symbols’. Die Entwicklung von einem stoffwertigen über ein stoffwertloses, aber stoffwertgedecktes zu einem stoffwertlosen und nicht-stoffwertgedeckten Geld - letzteres wäre mit Simmel positiv als ein ‘formwertiges’ Geld zu bestimmen - stellt sich aus dieser Sicht als Entwicklung von einer unmittelbaren über eine symbolisch vermittelte zu einer symbolisch verdichteten oder absorbierten Bedeutung dar. Denn ein ‘sekundäres’ Symbol hat die Bedeutung des Symbolisierten gleichsam aufgesogen und in seiner eigenen Gestalt eine neue Existenz gegeben. Als, so Simmel, ‘bloßes Symbol’ hat es das Symbolisierte mit sich zusammengeschlossen. Damit kommen wir aber zu dem paradoxen Resultat, daß gerade ein ‘bloßes’, ein ‘sekundäres’ Symbol gar nicht mehr als Symbol bestimmt werden kann - sofern man sich weiterhin von der Vorstellung leiten lassen will, ein Symbol lebe von der Verweisung auf etwas anderes als es selbst. Schon aus der Tatsache, daß der Verweisungskreis von der Position aus, die aliquid in ihm einnimmt, nur tautologisch zu beschreiben ist - es vertritt etwas, dessen Sein darin besteht, von ihm vertreten zu werden - können wir entnehmen, wie der Prozeß der Rückverweisung notwendigerweise in eine Selbstaufhebung der Repräsentanz mündet: Sobald sich der Verweisungskreis schließt, schrumpft er gleichsam zu dem Punkt zusammen, in dem sich das Symbolisierte und das Symbol treffen. Indem aber die Differenz zwischen aliquo und aliquid, die nur noch als zwei Aspekte einer Sache erscheinen, aufgehoben wird, erlischt auch die traditionell verstandene Repräsentanz, die immer nur als Beziehung zweier ‘etwasse’ bestehen kann. Was als unmittelbare Einheit von Sein und Bedeutung beginnt, dann das Symbol als Schatten des Symbolisierten hervorbringt, führt über die allmähliche Absorption des Symbolisierten durch das Symbol zu einer neuen Einheit von Sein und Bedeutung. Sekundäre Symbole wie das ungedeckte Papiergeld haben gerade den Symbolcharakter abgestreift, indem sie sich des Symbolisierten bemächtigt haben. Sie sind neue Realitäten, die nicht länger etwas vertreten (repräsentieren), sondern an dessen Stelle Die Dreigliedrigkeit der Repräsentanz 359 getreten sind. Gegen Marx, aber mit Simmel könnten wir sagen, daß sich das Papiergeld gerade auf dem Wege der Vertretung des Goldgeldes jenem gegenüber vollkommen verselbständigt hat. Papiergeld ist demnach kein Symbol mehr, sondern eine vermittelte Wirklichkeit, deren Bedeutung darin besteht, daß sie einmal eine symbolische gewesen ist. Simmel hat die Selbstaufhebung des so gefaßten Symbols, die es im Prozeß der Repräsentanz vollzieht und erleidet, sehr genau gesehen. Er hat daraus aber gefolgert, der Verweisungskreis dürfe sich niemals schließen. Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem ‘substanziellen Eigenwert des Geldes und seinem bloß funktionellen und symbolischen Wesen’ beschreibt er deshalb wie folgt: […] immer mehr ersetzt das zweite den ersteren, während irgendein Maß dieses ersteren noch immer vorhanden sein muß, weil bei absoluter Vollendung dieser Entwicklung auch der Funktions- und Symbolcharakter des Geldes seinen Halt und seine zweckmäßige Bedeutung einbüßen würde. 8 Für den traditionell bestimmten Symbolcharakter des Geldes gilt dies, wie soeben dargestellt wurde, in der Tat. Wir dürften jedoch heute ergänzen, daß sich der Funktionswert des Geldes gerade durch die Aufhebung des derart verstandenen Symbolcharakters vollendet. Das Geld gewinnt erst so eine seinem Begriff - eine Funktion nicht zu haben, sondern zu sein - adäquate Gestalt. Allenfalls könnten wir das voll entfaltete Geld als das Negativ eines Symbols bestimmen, da es nunmehr eine Existenzform angenommen hat, in der - gemäß dem zitierten Marxschen Aphorismus - alle Produkte und Arbeiten als seine Repräsentanten erscheinen. Zweiter Rekonstruktionsschritt: die dreigliedrige Struktur des Symbols Eine Rekonstruktion der Simmelschen Gedankenführung sollte sich allerdings nicht an Wendungen und Textpassagen orientieren, die uns verleiten, Simmels Argumentation die traditionelle Repräsentanz-Formel zu unterlegen. Die in der Philosophie des Geldes enthaltene Theorie des Symbols muß vielmehr dem Gang der Argumentation - unabhängig auch von dem, was Simmel selbst darüber zu sagen weiß - entnommen werden. Der obige Versuch, Simmels Beschreibung der Transformation des Geldes in ein nicht mehr konvertierbares Papiergeld gemäß einer zweigliedrigen Repräsentanz-Formel (aliquid pro aliquo) nachzuvollziehen, hat jedoch schon zu Formulierungen genötigt, die an eben dieser vermeintlichen Zweigliedrigkeit des Symbolischen zweifeln lassen. De facto macht Simmel in seinen Überlegungen von einer dreigliedrigen Strukturformel des Symbols Gebrauch: Aliquid repräsentiert (vertritt) aliquo niemals in indifferenter Weise, sondern so, daß aliquo attributiv bestimmt wird; die Repräsentanz charakterisiert aliquo als etwas und entfaltet dabei eine qualifizierende oder auch ‘dequalifizierende’ Wirkung auf aliquo. Die vollständige Strukturformel lautet: Etwas wird von etwas als etwas repräsentiert; mit leichter Akzentverschiebung, aber unter Beibehaltung der Struktur formuliert: Etwas wird als etwas von etwas repräsentiert. Von dieser vervollständigten Grundformel aus lassen sich die Entwicklungsprozesse des Geldes - und damit auch die von Marx inspirierte Absorptions-Metapher - besser verstehen. Der ‘steigende Ersatz des baren Metallgeldes durch Papiergeld’, an dem Simmel die Rückwirkung des Vertretenden auf das Vertretene und Marx die Selbstbezüglichkeit des Geldes verdeutlicht, ist nunmehr so zu beschreiben: Das Papiergeld repräsentiert Goldquanta - in der Formulierung von Marx gesagt -, aber diese Repräsentanz hat charakterisierende und qualifizierende Wirkung; das Papiergeld repräsentiert die Goldquanta gerade nicht als Gold-Quanta, Klaus Frerichs 360 sondern als Gold-Quanta, als rein quantitativ bestimmtes Zirkulationsmittel. Im Papiergeld verselbständigt sich die Zirkulationsfunktion des Metall-(Gold-)Geldes gegenüber seinem ‘materiellen Dasein’, weil die Repräsentanz durch Papiergeld das Metallgeld gleichsam entstofflicht, das Metall nur noch als ‘Träger einer Funktion’ erscheinen läßt - einer Funktion, die auch von anderen Stoffen und Dingen getragen werden könnte. Die vermeintliche Rückwirkung des Vertretenden auf das Vertretene ist in der Repräsentanz selbst bereits enthalten. Jedes Symbol ist die Herauslösung und tendenziell auch Verselbständigung eines Moments, einer Daseinsweise des Symbolisierten, das vom Symbol eben nicht nur ‘vertreten’, sondern in eins als ein so-und-so bestimmtes etwas charakterisiert wird. Die Symbolwerdung des Geldes, das Werden des Geldes zum reinen oder bloßen Symbol, beruht auf einer fortschreitenden Vertretung substanzwertigen Geldes durch substanzarmes oder gar -loses Geld, das genau diejenigen funktionalen Qualitäten des substanzwertigen Geldes in sich verdichtet, die vom Substanzwert vollkommen unabhängig sind. Das Papiergeld repräsentiert das Metallgeld als eine rein funktionale Entität. 9 Das repräsentierte Metall- (Gold-)Geld fällt dadurch in die Seinsweise eines ‘Schatzes’, eines Hortes hochwertiger Güter zurück. Indem somit die substantiellen und die funktionalen Qualitäten des Metallgeldes, die in ihm nahezu ununterscheidbar verschmolzen sind, im Prozeß der Repräsentanz gegenständlich auseinandertreten, wird allererst sinnfällig erfahrbar, daß Metall-Geld gerade nicht als Metall-Geld seinen Dienst leistet. Deshalb kann - doppelsinnig gesagt - das Papiergeld die Funktion des Metallgeldes übernehmen: es als funktionale Entität vertreten und eben dadurch endlich auch ablösen. Allein die dreigliedrige Repräsentanz-Formel macht also verständlich, warum Simmel den funktionalen und den symbolischen Charakter des entfalteten Geldes wiederholt in einem Atemzuge nennt. Denn im Prozeß der Repräsentanz löst sich das Geld von seiner materiellen Bindung; pari passu wird es reine Funktion, weil das Symbol den Substanzwert in den Hintergrund rückt, und reines Symbol, weil das Geld schließlich nicht mehr als substantielle, sondern nur noch als funktionale Entität wahrgenommen und behandelt wird. Anmerkungen 1 Vgl. Marx 1971, bes. S. 87-101. 2 Vgl. Marx 1971, S. 85f.; Simmel 1989, S. 169. 3 Marx 1970, S. 142f. 4 Marx o. J., S. 67f. 5 Simmel 1989, S. 158. 6 Simmel 1989, S. 158. 7 Simmel 1989, S. 160; Hervorhebung im Original. 8 Simmel 1989, S. 196. 9 Es ist von größtem theoretischen und theoriehistorischen Interesse, daß bereits von dem ‘Rationalisten’ Leibniz eine Theorie des (sprachlichen) Denkens entwickelt worden ist, deren Modell das Repräsentanz-Verhältnis des Papiergeldes zum Metallgeld bildet. Wegen der außergewöhnlichen Bedeutung und des geringen Bekanntheitsgrades des Textes seien die wichtigsten Passagen ausführlich zitiert: “[…] gleichwie man in großen Handels- Städten, auch im Spiel und sonsten, nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zeddel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet; also thut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge […] wenn man im Reden und auch selbst im Gedenken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildniß von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen müssen, auch den Lauf der Gedanken nothwendig hemmen […] Daher braucht man oft die Wort als Ziffern, oder als Rechen-Pfennige, an statt der Bildnisse und Sachen, bis man Stufenweise zum Facit schreitet, Die Dreigliedrigkeit der Repräsentanz 361 und beym Vernunft-Schluß zur Sache selbst gelanget. Woraus erscheinet, wie ein Großes daran gelegen, daß die Worte als Vorbilde und gleichsam als Wechsel-Zeddel des Verstandes wohl gefasset, wohl unterschieden, zulänglich, häufig, leichtfließend und angenehm seyn.” (Leibniz 1966, S. 520f.). Die Worte vertreten die ‘Bildnisse der Dinge’ gemäß der Leibnizschen Konzeption nicht primär als Bildnis der Dinge - hinsichtlich ihres gegenständlichen Bezugs -, sondern als Bildnisse der Dinge - hinsichtlich ihrer Beziehung untereinander, ihrer Verknüpfungs-Funktion in Denkprozessen, bei denen ‘man stufenweise zum Fazit schreitet’. Die Worte (Wörter) vertreten also die Bilder als (denk-)funktionale Entitäten. Literatur Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache, in: ders.: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übers. von A. Buchenau, durchgesehen u. mit Einleitung u. Erläuterungen hg. von Ernst Cassirer. Band 2. 3. Auflage. Hamburg 1966 [1924]. Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Frankfurt/ M., Wien o. J. [Nachdruck der Moskauer Ausgabe von 1939 und 1941]. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. l. Band. Berlin 1970 (MEW, Band 23). Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie, in: MEW, Band 13, S. 3-160. Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Hg. von David P. Frisby und Klaus Christian Köhnke. Frankfurt/ M. 1989. (Georg Simmel Gesamtausgabe. Hg. von Otthein Rammstedt; Band 6).