eJournals Kodikas/Code 26/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
263-4

'Er tanzte nur einen Winter'

121
2003
Nicola Kaminski
kod263-40185
‘Er tanzte nur einen Winter’ Versfußbewegung vor/ nach der Schlacht am Weißen Berg Nicola Kaminski S ERENUS . Der Vers hat schrecklich viel Füsse. P ETER S QUENTZ . So kan er desto besser gehen. Andreas Gryphius, Absurda Comica Oder Herr Peter Squentz Die Sylben kurtz und lang gleich auff einander lauffen/ Jambi Die kurtzen zwiefach sich zusammen nimmer hauffen/ Dactili Ludwig von Anhalt-Köthen, Wenige anleitung zue der Deutzschen Reim-kunst In den Teutschen Poemata des Martin Opitz, herausgekommen in Straßburg im Jahr 1624, findet man - an durchaus nicht exponierter Stelle - unter dem Titel An den Cupidinem das folgende Gedicht: O Du Gott der süssen Schmertzen/ Warumb daß man dich so blindt Vberal gemahlet findt? Es geht schwer ein meinem Hertzen/ Nun du seyest ohn Gesicht/ Jch kans aber glauben nicht. Sichstu nicht/ wie kanstu wissen/ Wo dein Pfeil hinfliegen soll? Blinde sehen sonst nicht wohl/ Du kanst fein gerade schiessen/ Nun du seyest/ etc. Die in Püschen vmbher ziehen/ Die in wüsten Wäldern sein/ Können doch der Liebes-Pein/ Vnd den Pfeilen nit entfliehen/ Nun du seyest/ etc. Die das weite Meer durchjagen/ Müssen fühlen deine stärck/ Jst das blinder Leuthe Werck? Soll ich recht die Warheit sagen; Nun 1 du/ etc. Gingstu nicht die enge Strassen Jn das Himmlische Gebew/ Gantz allein ohn alle schew/ Dörfftest Jovem auch anfassen? Nun du/ etc. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 26 (2003) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Nicola Kaminski 186 ´ ´ Kontest du nicht Pluto finden Jn der tieffen Höllen Schlundt/ Jn dem finsteren Abgrundt/ Jhn zuschiessen dich erwinden? Nun du seyest/ etc. Du wilt keine Klage wissen/ Auch von denen/ die durch dich Seind verwundet jnniglich/ Thust all jhre Klag außschlissen/ Blindt bistu wol nicht: Jch glaub Daß du seyst gewaltig taub. 2 Liest man diesen Text aus der gewohnten Retrospektive, von der längst ins kollektive rhythmische Empfinden übergegangenen metrischen Gesetzgebung des Buches von der Deutschen Poeterey im gleichen Jahr 1624 her, so stellen sich mit großer Selbstverständlichkeit trochäisch alternierende, akzentuierende Verse ein: “Ó Du Gótt der sü ssen Schmértzen/ | Wárumb dáß man dích so blíndt” usw. Nun ist dem Opitzschen Gedicht aber unter der Titelzeile auch noch eine Melodieangabe beigefügt: “Auff die Courante: Si c’est pour mon pucelage”. 3 Damit betritt ein konkurrierendes metrisches Paradigma den poetischen Plan, denn die Courante, beliebtester französischer Hoftanz des 17. Jahrhunderts, 4 wird von Anfang an ungeradtaktig notiert und, so schreibt 1612 Michael Praetorius im Vorwort der Tanzsammlung Terpsichore, “auff einen gar geschwinden Tact mensuriret”, ja in der tänzerischen Ausführung gar “gesprungen”. 5 Entsprechend ist auch die von Opitz namhaft gemachte Courante Si c’est pour mon pucelage, die sich unter der Bezeichnung “Air de Court” im 1603 erschienenen Thesaurus harmonicus des Jean-Baptiste Besard findet, im 3 / 2 -Takt notiert. 6 Für das Gedicht An den Cupidinem ergäbe sich unter diesen ‘tänzerischen’ Vorzeichen demnach eine ganz andere Prosodie in “Springereimen”, 7 daktylischen Maßen, wie sie sich nach der strengen Alternationsvorschrift des Buches von der Deutschen Poeterey freilich von vornherein zu verbieten scheint: 8 Ó Du Gott dér süssen Schmértzèn/ Wárumb daß mán dich so blíndt Vberal gémahlet fíndt? És geht schwer eín meinem Hértzèn/ Nún du seyést ohn Gesícht/ Jch kans abér glauben nícht. “Hilff Gott das sind treffliche Vers”, möchte man mit dem Prinzen Serenus aus Gryphius’ Schimpfspiel Herr Peter Squentz ausrufen. 9 Denn wiewohl sie nicht eben “nach Art der alten Pritschmeister Reymen” 10 klingen, sträubt sich vorderhand doch alles gegen einen derartigen Vortrag, wie er durch die Annoncierung des Gedichts als ‘auff eine Courante’ zu singendes Tanzlied geboten scheint. Im folgenden soll Opitz’ Text keiner Gedichtinterpretation unterzogen werden; vielmehr möchte ich ihn, ausgehend von dem soeben skizzierten widersprüchlichen Befund, zum Ort einer symptomatischen Lektüre machen, an dem sich ein grundlegender poetologischer Paradigmenwechsel abzeichnet. Sichtbar werden soll in doppelter Perspektivierung ein metrisches Vexierbild, welches, gespiegelt an der Opitzschen Versreform, das Davor und das Danach im Blick des Lesers archiviert - jenes im Zeichen der Courante, des gesprungenen französischen “dance for the kings”, 11 dieses im Zeichen der oranischen Heeresreform, mit der auch eine (freilich ganz anders geartete) Tanzbewegung korreliert, der Marsch. Die diskursive Zäsur aber, die den Liedtext metrisch umspringen läßt, ist aufs Jahr, ‘Er tanzte nur einen Winter’ 187 ja auf den Tag genau zu datieren: auf den 8. November 1620 nämlich, die vernichtende Niederlage Friedrichs V., des nachmaligen ‘Winterkönigs’, in der Schlacht am Weißen Berg. Drei diskursive Felder sind folglich aufgerufen, von denen her Opitz’ Lied lesbar zu machen ist und die in der nachfolgenden Darstellung ihrerseits in einer Art Reigen intermittierend um den Text konstelliert werden sollen: ein poetikgeschichtliches, ein kultursemiotisches (Codierungen von ‘Tanz’) und ein militärgeschichtliches. Eröffnen soll den Reigen - nicht nur weil für Versreform und Tanz ein erster Lektürehorizont bereits angedeutet ist, sondern weil ihm diskursgeschichtlich tatsächlich der Stellenwert eines ‘Auftakts’ zukommt - der Krieg. Oder eigentlich zunächst seine Vorgeschichte: eine dynastische Hochzeit, somit ein Ereignis von staatspolitischer Relevanz, das in die Zuständigkeit eines durchaus nicht blinden Cupido fällt. Krieg - vor/ nach 1620 Als am 14. Februar 1613 in der königlichen Kapelle in Whitehall der pfälzische Kurfürst Friedrich V. und die englische Prinzessin Elisabeth, Tochter von König Jakob I., vermählt wurden, da unterlag dieser Heirat ein eminent politischer Subtext: “the ideological subtext of alliances for autonomy”. 12 Friedrich stand als erster Kurfürst im Reich an der Spitze der 1608 gegründeten protestantischen Union, unterhielt enge Beziehungen zu den französischen Hugenotten, hatte über seine Mutter Verwandtschaft in die niederländische Republik - keine schlechte Partie, selbst für eine Königstochter. Umgekehrt versprach jene englische Königstochter den politischen Projektemachern in der Pfalz (so jedenfalls glaubte man diese Allianz pfälzischerseits verstanden zu haben) die ganze finanzielle und militärische Macht ihres Vaters, sollte es mit dem Kaiser zum Bruch kommen. Entsprechend wurde in London wie in Heidelberg diese Verbindung als Hochzeit von Themse und Rhein gefeiert - poetisch, theatralisch, in Ballettvorstellungen. Denn als Friedrich im Herbst 1613 nach Heidelberg zurückkehrte, wurde die Heimführung der Braut kaum minder prachtvoll inszeniert als im England eines Shakespeare, John Donne, Inigo Jones. 13 In der Folgezeit verwandelte man den Heidelberger Hof in ein Spiegelbild der Londoner Hofhaltung, holte französische Gartenarchitektur und englische Fest-, Theater- und Tanzkultur in die Pfalz, ja die neue Kurfürstin hielt sich sogar eine eigene englische Schauspieltruppe, “The Queen’s Men”. Gleichzeitig arbeitete man in Heidelberg planvoll - und verstärkt, seit man einen so mächtigen Verbündeten auf seiner Seite wußte - auf die entscheidende Auseinandersetzung mit Habsburg hin, mit dem Ziel eines unabhängigen Gegen-Reiches, vielleicht gar eines protestantischen Kaisers. Da kam die dem pfälzischen Kurfürsten im Sommer 1619 angetragene böhmische Königswürde eben recht. Die Entscheidung aber fand fast genau ein Jahr nach Friedrichs Krönung zum König von Böhmen statt, eben an jenem 8. November 1620 am Weißen Berg nahe Prag: eine militärhistorisch wenig bedeutende, kaum zwei Stunden währende Schlacht, 14 in der die böhmischen Truppen schon bald haltlos die Flucht ergriffen und mit ihrer panischen Rückzugsbewegung kurz darauf auch die königliche Familie und den gesamten Prager Hof ansteckten. Bedeutsam hingegen ist diese Schlacht in symbolischer Hinsicht: als vorläufiger Schlußstrich unter die pfälzisch-böhmische Bewegung, die politische Utopie eines von Habsburg unabhängigen protestantischen ‘Deutschland’. Versagt hatte vor allem die pfälzische Allianzpolitik. Hatte man sich doch zum einen in den internationalen Alliierten, besonders England, getäuscht, die weder finanziell noch militärisch halfen, als es in Böhmen kriegerischer Ernst wurde, zum anderen aber hatte man die innerprotestantische Uneinigkeit Nicola Kaminski 188 unterschätzt, nicht damit gerechnet, daß die Lutheraner einen calvinistischen König von Böhmen (Union hin oder her) kaisertreu im Stich lassen würden. Aus war es aber natürlich auch mit der königlichen Heidelberger Hofhaltung, mit den Festen, Tänzen, Theateraufführungen. Die Pfalz wurde von spanischen Truppen verwüstet, die berühmte Bibliotheca Palatina in den Vatikan entführt, und der ‘Winterkönig’ blieb, seiner Kurwürde entledigt, zeitlebens im Exil. Poeterey - vor/ um 1620 In jenes im Zeichen der englisch-pfälzischen Hochzeit politisch und kulturell aufblühende Heidelberg, das Heidelberg v o r der Katastrophe, kommt 1619 auch der junge Opitz - mit Empfehlungsschreiben und sogar einer ersten Sammlung seiner poetischen Früchte 15 ebenso wohlversehen wie durch das geistige Klima des in kryptocalvinistischem Geist geleiteten Beuthener Gymnasiums mental vorbereitet. 16 Schon bald gehört er dem politisch engagierten intellektuellen Zirkel um Georg Michael Lingelsheim und Julius Wilhelm Zincgref an und huldigt Anfang 1620 dem neugewählten König in einer lateinischen Oratio ad Serenissimum ac Potentissimum Principem Fridericum Regem Bohemiae. Vor allem aber entstehen in dieser Heidelberger Atmosphäre bis längstens Anfang Oktober 1620, 17 als Opitz die Pfalz angesichts der anrückenden spanischen Truppen fluchtartig in Richtung Niederlande verläßt, seine Teutschen Poemata, darunter auch das auf die Courante Si c’est pour mon pucelage zu singende Lied An den Cupidinem. Als bereits zur Publikation vorbereitetes Konvolut verbleiben sie in der Obhut Zincgrefs, gelangen jedoch aufgrund der Kriegswirren, der Belagerung und Besetzung Heidelbergs 1622 und Zincgrefs schwieriger persönlicher Situation ohne Anstellung und dauerhaften Wohnsitz erst 1624 zum Druck. Daß diese Ausgabe sich in unmittelbarer Tuchfühlung mit der aktuellen Entwicklung auf dem Feld der “Heidelberg politics” situiert, 18 zeigt die Vorrede des Herausgebers Zincgref 19 ebenso an wie Opitz’ Elegie Vber des Hochgelehrten vnd weitberümbten Danielis Heinsij Niderländische Poemata. 20 Am deutlichsten aber räumt das pointiert an den Schluß der Opitzschen Gedichte gestellte Gebet/ daß Gott die Spanier widerumb vom Rheinstrom wolle treiben. 1620 21 als (lokal wie zeitlich) ‘letztes Wort’ jeden Zweifel über den politischen Standpunkt seines lyrischen Sprechers aus. Tanz - vor 1620 Im März 1616 wird am Stuttgarter Hof - in Anwesenheit beinahe der gesamten protestantischen Union - “fürstliche kindtauf” gefeiert. Für die noch im selben Jahr unter dem Titel Triumf erscheinende Festbeschreibung 22 ebenso wie für die Festchoreographie zeichnet als Autor Georg Rodolf Weckherlin verantwortlich. Den politischen Subtext aber (tatsächlich geht es nämlich mitnichten um den Täufling) stiftet gleich mit dem ersten Satz jener “herrliche triumf”, den “vor wenig jahren” des “reichs erster Churfürst/ zu ehren seiner damahl ankommenden königlichen gemahlin/ in seiner weitbekanten stat Haydelberg gehalten” 23 - die kurfürstliche Hochzeit 1613 im Zeichen einer politics of alliance. Kaum nötig zu erwähnen, daß Friedrich und Elisabeth den Feierlichkeiten als Ehrengäste und Taufpaten beiwohnen (selbstverständlich wird das “junge printzlin” denn auch “Friderich genant” 24 ), ja daß Weckherlin seine Festbeschreibung für die des Deutschen nicht mächtige Prinzessin eigens ‘Er tanzte nur einen Winter’ 189 Abb. 1: Esaias van Hulsen: Repræsentatio der Fvrstlichen Avfzvg vnd Ritterspil. So der Dvrchlevchtig Hochgeborn Fvrst vnd Herr, Herr Johan Friderich Hertzog zu Württemberg, vnd Teeckh […] beÿ […] Fürstlicher kindtauffen, denn 10. biß auff denn 17 Martij, Anno 1616. […] gehalten, zweiter Kupferstich, unpaginiert (Exemplar der UB Tübingen). ins Englische übersetzt. 25 Den ersten Abend aber beschließt eine aufwendige Tanz-performance im neuen Lusthaus des Stuttgarter Schlosses (Abb. 1), welche die pfälzische Allianzpolitik zunächst in choreographische, dann in poetische Textur transformiert und daraus im Zeichen des Tanzes eine poetics of alliance gewinnt. Zuerst, so beschreibt das dritte Kapitel des Triumf (“Von dem balleth”), wird “das gehör mit einer/ nicht weniger lieblichen/ dan seltzamen music eingenommen”, sodann sieht man vnversehens […] eine thür eröfnen/ dardurch vier sehr grosse/ doch auch wolgebildete häupter/ je eines nach dem andern/ eingiengen/ vnd war ein jedes so groß/ das sich sechs personen darinnen vnverhinderlich verhalten/ vnd damit spacieren konten. Jn dem ersten waren drey gegen Nidergang; in dem andern drey gegen Mitnacht; in dem dritten drey gegen Aufgang; vnd in dem letzten (welches ein Mohr) so vil gegen Mittag ligende nationen. Nach dem nun dise köpf vor allen zusehern zweymahl herumb vnd nu gerad gegen den Printzen über (denen sie/ naigende zumahl jhre wunderbarliche nasen gegen der erden/ ehr erzaigeten) sich neben einander gesetzet: hat jhre music aufgehöret/ vnd kam auß dem ersten kopf ein lautenist/ einem Engelländischen schifman gleich/ gantz roht angezogen/ welcher dem/ der dieselbige nation deutete/ zu dantz spihlete. Diser war gezieret wie sich die Engelländische herren/ vor vngefahrlich zwaintzig jahren klaideten. Sein hut weiß/ mit silber gestickt/ mit einer weissen feder/ vnd sonsten sein klaid ein weiß-silberin stuck. Er dantzte eine gaillard/ nach derselben lands-art. Als er nu nahe bey den fürsten war/ kam auß dem kopf ein wilder Schotländer mit seinem trommenschläger/ zu dessen straich er auf Schottisch dantzte. Vnd alsbald der Engelländer jhne zu sich nahen sahe/ fieng er an gegen jhm auf gleiche weiß zudantzen/ vnd verfügte sich diser auf eine/ jener auf die andere seiten/ in dem eben auß dem ersten kopf ein Jrrländischer harpfenist erschiene/ welchem ein Jrrländer nachdantzte/ vnd also die zween erste auch jhme gleich zu dantzen verursachte. Auß dem andern kopf zog ein Frantzösischer geiger/ zu dessen spihl ein Nicola Kaminski 190 Frantzoß in leibfarben atlas geklaidet eine curanten dantzete. Auf disen kam der Teutsche/ mit einem braiten bart vnd bareth/ in rohten dafetin außgezogenen wammes vnd hosen/ vnd mit ecklenschuhen/ hupfende nach seines pfeifers spihl vnd nach vnsers lands gebrauch. Ein Lappenländer mit einer rawen bärenhaut/ seines lands-art nach/ angezogen/ habend einen stab in der hand/ tummelte sich in seinem dantz/ welchen jhme ein anderer greulicher Lapponier mit einer posaunen bliesse. 26 Und so fort. Es folgen aus dem dritten Kopf ein spanischer Tänzer mit einem “pandorist[en]”, ein italienischer mit einem “Citharisten” und ein polnischer, dem ein “sackpfeifer” aufspielt; der vierte fördert einen Mohren mit einem Tamburinspieler, einen Türken mit einem “schalmeyer” und “endlich […] de[n] Jndianer” zutage, welcher auch nacket/ gemahlet/ mit einer von federn gemachten haubtzier/ vnd einem federn mantel (wie die Americaner gehen) herauß gerüstet/ sich nach dem thon/ welchen jhm sein spihlman mit einem sehr grossen horn aufspihlete/ ergötzte. Da er nu in der ailf vorher dantzenden nationen gesicht kam/ fiengen sie alle an/ jhm/ der sich ab jhrer vnderschidligkeit verwunderte/ nachzufolgen: vnd alsdan vnder jhnen einen all-gemeinen dantz (welchen jhre zwölf spihlleut zusamen stimmeten) gar wunderbarlich vnd artlich zuverrichten. 27 Unter den Augen der versammelten protestantischen Fürsten setzen weltumspannend zwölf Nationaltänzer aus allen vier Himmelsrichtungen ‘inter-nationale’ alliance in Szene. 28 Und die Spielregeln dieser tänzerischen Kettenreaktion werden in einer Art Tanzpoetik sogleich nachgereicht: Vnd ist zuwissen/ das je eine nation der andern dantz nachgefolget/ das also der Engelländer/ als der erste/ auf die jhme nachkommende ailf: der Schotländer auf zehen: der Jrrländer auf neun: der Frantzos auf acht: vnd gleicher weiß die übrige/ auf die jhnen volgende arten nach-gedantzet haben. Vnd dises war als der eingang zu dem rechten balleth/ welches eben dise nationen (deren jede sich in der andern zuspieglen pfleget) bald in spiegler verklaidet/ hierauf folgender gestalt verbrachten. 29 Die tanzpoetologischen Schlüsselbegriffe heißen ‘nach-dantzen’ und ‘sich spieglen’. Denn zwar bringen die nacheinander in Landestracht auftanzenden Nationen jeweils auch einen landestypischen National-Tanz zur Darstellung, doch ist der Tanzschritt ihnen nicht fest auf den Leib geschrieben. Vielmehr löst im fortwährend sich verändernden ‘Nach-dantz’ Nationalidentität als statisches Konzept sich auf, wird überführt in unabschließbare wechselseitige Spiegelung. Nur konsequent, daß die zwölf Tänzer sich denn auch buchstäblich in “spiegler” verwandeln. Bis hierhin ist das unter Weckherlins Regie gebotene Spektakel choreographische Umsetzung der pfälzischen Allianzpolitik; in einer nächsten Etappe aber wird diese performance getanzter Spiegelung und spiegelnden Tanzes umgemünzt in Poesie höchsten Kunstanspruchs. Überreicht wird nämlich nun - nachdem den Übergang ein zweistimmig zu einer “süsse[n] music” gesungenes, “den dantz erklärendes liedlein” gemacht hat 30 - “der Princessin/ […] wie auch dem Churfürsten/ den Fürstin/ Fräwlin/ vnd dan den andern fürsten/ grafen/ herren vnd adelichem frawenzimmer […] volgendes sonnet/ in Teutscher/ Engelländischer/ oder Frantzösischer sprach/ nach jhrem willen”: Die spiegelmacher an das Frawenzimmer. Nymfen/ deren anblick mit wunderbarem schein Kan vnser hertz zugleich hailen oder versehren; Vnd deren angesicht/ ein spiegel aller ehren/ Vns erfüllet mit forcht/ mit hofnung/ lust/ vnd pein: ‘Er tanzte nur einen Winter’ 191 Wir bringen vnsern kram von spiegeln klar vnd rein/ Mit bit/ jhr wollet euch zuspieglen nicht beschweren: Die spiegel/ welche vns ewere schönheit lehren/ Lehren euch auch zumahl barmhertziger zusein. So gelieb es euch nun/ mit lieblichen anblicken Erleuchtend gnädiglich vnsern leuchtenden dantz/ Vnd spieglend euch in vns/ vns spiegler zu erquicken: Wan aber vngefehr ewerer augen glantz Vns gar entfreyhen solt/ so wollet vns zugeben/ Das wir in ewerm dienst fürhin stehts mögen leben. 31 Daß die Festgesellschaft sich nicht länger auf dem Boden des Stuttgarter Lusthauses bewegt, sondern programmatisch auf der Tanzfläche der Poesie und somit im Ressort des Poeten Weckherlin, signalisiert die Textualität dieses ersten deutschsprachigen Sonetts, 32 das ausdrücklich als “schrift verlesen” 33 wird. Konzeptionell hingegen bleibt diese voropitzische ‘deutsche Poeterey’ der getanzten politics of alliance aufs entschiedenste verpflichtet. Anders nämlich, als acht Jahre später in Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey kodifiziert, weist das Sonett der “spiegelmacher” keine alternierend akzentuierende Prosodie vor, vielmehr romanisch-silbenzählende Verse bei freier Betonung - versifikatorisch um 1616 der dernier cri. 34 Für das Reimschema dagegen hat - ungeachtet des ‘romanischen’ Druckbildes - nicht die romanische Sonettform mit ihrer Gliederung in zwei Quartette und zwei Terzette Modell gestanden, sondern die englische Spielart, das sogenannte Shakespeare-Sonett, bestehend aus drei Quartetten und abschließendem Reimpaar. 35 Kein Wunder, möchte man denken, immerhin hat der junge Weckherlin mehrere Jahre in England verbracht. Doch die Sache liegt komplexer. Denn in der für die pfälzische Kurfürstin angefertigten englischen Übersetzung des Triumf folgt das nun englische Sonett T HE L OOKING -G LASSE -M AKERS TO THE L ADIES 36 gerade nicht der englischen Coupletform, sondern hat in romanischer Manier zwei Terzette. Im Licht des vorausgegangenen Nationen-Balletts wird diese polyglotte Inszenierung lesbar als europäischer ‘Wechselsatz’, der die verschiedenen poetologischen Traditionen kombinatorisch verschränkt, ‘alliiert’: ein deutsches Poem in französisch gebauten Alexandrinern, die sich zu einem Sonett nach englischem Vorbild zusammenreimen - ein englisches Gedicht aus gleichfalls französischen Alexandrinern, zusammengefügt zu einem Sonett italienischer Bauart - ein ‘frantzösisches’, das der Neugier des Lesers vorenthalten bleibt, seiner Phantasie jedoch nach Vorgabe des (selbstverständlich) “eine curanten dantze[nden]” und dann (durchaus nicht selbstverständlich) dem Deutschen ‘nachdantzenden’ Franzosen 37 jeden nur erdenklichen Spielraum läßt. Damit aber wird Weckherlins performance deutscher Wörter, die in romanisch-alexandrinischem ‘Tanzschritt’ und in englischer ‘Formation’ das sonettistische Parkett betreten, der pfälzischen Allianzpolitik buchstäblich zum poetischen Spiegel, ihr Autor zum ‘Spiegelmacher’ höherer Ordnung. Und umgekehrt zeichnen die ursprünglich national codierten, im ‘Nachdantz’ jedoch spiegelnd zu ‘inter-nationalen’ Allianzen transformierten Fußbewegungen des Balletts der englisch-französischen Versfußbewegung des deutschen Gedichts exakt den Schritt vor. Exemplarisch vorgeführt wird diese wechselseitige Spiegelung von politics of alliance und poetics of alliance an den zwölf Tänzern selbst. Zunächst Repräsentanten von zwölf Nationen, die die ‘Inter-nationalität’ der Welt und deren universelle Allianzfähigkeit zur Anschauung bringen, dann jene geheimnisvollen “spiegelmacher”, in welcher Eigenschaft sie das von poetischer Allianz zeugende Sonett verantworten, werden sie am Ende nicht nur selbst auf ihre politische Identität Nicola Kaminski 192 transparent, sondern beginnen auch tanzend zu schreiben. “Dise dantzende spiegler/ die alle von des Wirtembergischen hofes Fürsten vnd riterschaft wahren”, damit schließt das Kapitel, schriben außtruckenlich durch jhres dantzes figuren/ jhrer Churf. Gn. Gn. (denen zu sonderlichen ehren alles beschahe) zween namen E LJSABETH vnd F RJDERJCH / vnd vollendeten zumahl jhren gläntzenden dantz mit gleicher zierligkeit vnd leichten förtigkeit. 38 Aus der mimetisch-ikonisch getanzten Botschaft ‘inter-nationaler’ Allianz ist der Schriftzug “E LJSABETH vnd F RJDERJCH ” geworden - von fürstlichen Füßen getanzte Unterzeichnung des protestantischen Unionsbündnisses unter kurpfälzischer Führung im Verbund mit England auch für die Zukunft. Poeterey - vor/ nach 1620 Opitz war 1616 in Stuttgart nicht anwesend. Wäre er es gewesen, so hätte er - das bezeugen seine frühen deutschsprachigen Gedichte ebenso wie der poetologische Erstling von 1617, Aristarchus sive De Contemptu Linguæ Teutonicæ, mit seiner Anleitung zu “Gallico more” gebauten deutschen Versen 39 - wohl kaum anders gedichtet. 40 Und virtuell, als Leser, war er es natürlich doch, denn selbstverständlich stand Weckherlins Triumf in der berühmten Bibliotheca Palatina in der Heidelberger Stiftskirche. 41 In Tuchfühlung kommen die beiden Poeten aber noch direkter, buchstäblich zwischen zwei Buchdeckeln, und zwar unter Federführung von Julius Wilhelm Zincgref. Zincgref nämlich hatte 1624 unter dem Titel Martini Opicii Teutsche Poemata nicht nur dessen in Heidelberg hinterlassene deutsche Gedichte bis Oktober 1620 und die ihm im Druck erreichbaren Jugendschriften bis 1622 herausgebracht; Zincgref hatte dieser Opitz-Ausgabe mit unverhohlenem Stolz auch einen über sechzigseitigen “anhang Mehr auserleßener geticht anderer Teutscher Pöeten” 42 angefügt, in dem Heidelberger Dichter zweier Generationen vertreten sind, aber auch Straßburger, Schlesier sowie mit immerhin acht Gedichten Georg Rodolf Weckherlin, darunter zwei aus dem Triumf. Komplementär zu der im Triumf choreographisch entworfenen poetics of alliance formiert sich hier auf regionaler Ebene eine rechte Poeten-Allianz - wie das ‘inter-nationale’ Ballett durchaus bunt, heterogen, n i c h t uniform und doch einhellig bezogen auf das Heidelberger Zentrum. 43 Ausgerechnet Opitz aber, der als ‘Poetenkönig’ neidlos an die Spitze dieser Ausgabe Gestellte, 44 erhebt Einspruch, verurteilt noch 1624 im Buch von der Deutschen Poeterey die Teutschen Poemata aufs schärfste und ersetzt sie im Folgejahr durch eine autorisierte Sammlung Deutscher Poemata. 45 In dieser neuen, in Bücher abgeteilten Ausgabe regiert ein teils thematisch, teils nach Gattungen verfahrendes Ordnungsprinzip, eine ganze Reihe von Gedichten erscheint nicht mehr, die anderen sind, zum Teil grundlegend, umgearbeitet; unter ihnen ist auch das Lied An den Cupidinem. Was ist geschehen? 46 Die von Zincgref 1624 herausgegebenen Teutschen Poemata lassen sich, wie skizziert, sehr genau in den Koordinaten jener poetics of alliance begreifen, wie sie als Spiegel der pfälzischen Allianzpolitik poetisch reflexiv Weckherlins Triumf entwirft. Eben darin aber betreten sie die (literatur)geschichtliche Bühne - Zincgrefs eigenen Wechsel auf Zukunft, die angehängten Gedichte “anderer mehr teutschen Poeten” möchten dem Leser “zu einem Muster vnnd Fürbilde” dienen, “wornach du dich in deiner Teutschen Poeterei hinfüro etlicher massen zu regulieren”, 47 Lügen strafend - markant post festum. Denn jene um Friedrich V. zentrierte Allianz gibt es seit der Schlacht am Weißen Berg nicht mehr, ebensowenig wie die 1622 von den Spaniern zerstörte kurpfälzische Residenz oder den Heidelberger Dichterkreis der Jahre 1619/ 20. 48 Auf das Konzept einer poetics of alliance war “hinfüro” ‘Er tanzte nur einen Winter’ 193 eine “Teutsche Poeterei” folglich nicht mehr zu gründen. Das diskursive Gebot der Stunde heißt vielmehr: Strategiewechsel. Krieg - vor/ um 1620 Im Jahr 1566 hatten gegen die spanische Besatzungsmacht gerichtete Unruhen das niederländische “Staatsgründungsexperiment” auf den Weg gebracht, dessen Gelingen durch die faktische Anerkennung der ‘Staten Generael der Vereenichde Nederlanden’ als völkerrechtliches Subjekt spätestens 1609 besiegelt wurde. 49 Um 1590 folgt, nachdem in den ersten zwanzig Jahren des Unabhängigkeitskrieges die Spanier den Niederländern militärisch überlegen waren, 50 unter der Ägide des Prinzen Moritz von Oranien und seiner Vettern Wilhelm Ludwig und Johann von Nassau eine der weitreichendsten Neuerungen der Zeit: die oranische Heeresreform. Ihr Impetus war ein genuin humanistisch-philologischer Gang ad fontes, zu den griechischen und römischen Militärschriftstellern, und deren produktive Rezeption nach den Bedürfnissen der eigenen Gegenwart; den Anstoß dazu hatten 1589 die Politicorum seu civilis doctrinae libri VI des Leidener Philologen Justus Lipsius gegeben. 51 Das “unbestrittene Herzstück” der Reform aber bildet die “militaris disciplina”. 52 Unermüdliches Exerzieren ist demnach angesagt, und dessen erstes Gebot lautet, so Wilhelm Dilich 1607 in seinem Kriegsbuch, “daß man im Marchiren in Schritt und Tritt Gleichheit halte/ ja in serie & jugo, Reihen und Gliedern/ die Sträcke in acht nehme/ keiner dem andern in jugis vorschreite/ oder in seriebus zur Seiten außschreite”. 53 Schon die spätantike Epitoma rei militaris des bei den Oraniern hoch gehandelten Vegetius hat dazu einen “schönen locum”: “Nihil magis in itinere vel in acie custodiendum est, quàm ut omnes milites incedendi ordinem servent, quod aliter fieri non potest, nisi assiduo exercitio ambulare celeriter & æqualiter discant.” In Dilichs Übersetzung: “Jm Treffen und Fortmarchiren ist nichts mehrer in acht zu nehmen/ dann daß die Soldaten rechtschaffene Ordnung halten/ welches dann besser nicht zu bewerckstelligen/ als wann sie zuvorhero durch alltägliche Ubung geschwind und fein gerad/ und gleich einher zu gehen/ und ihren March ordentlich zu halten/ gelernet”. 54 Nach Deutschland wurde diese neue, auf Drill und Disziplin setzende “Schola militaris” 55 schon in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts vermittelt. Neben Dilich, der im Auftrag des hessischen Landgrafen Moritz tätig war, ist der wichtigste Militärschriftsteller der neuen Schule Johann Jacobi von Wallhausen, 56 dessen Alphabetum pro tyrone pedestri oder der Soldaten zu Fuß jhr A.B.C., Kriegskunst zu Fuß, Kriegskunst zu Pferdt, Manuale militare, Ritterkunst, Romanische Kriegskunst, Archiley Kriegskunst, Künstliche Picquen- Handlung und andere mehr 1615, 1616, 1617 in kurzen Abständen erschienen und vielfach wiederaufgelegt wurden. An das neue ‘niederländische Wesen’ glaubte nach eigenem Bekunden auch Christian von Anhalt, Feldherr in der Schlacht am Weißen Berg; 57 immerhin war Moritz von Oranien der Onkel Friedrichs V. Gleichwohl war man - ungeachtet des Modellcharakters, den der “nordniederländische Staatsgründungskrieg” für den böhmischen hatte 58 - am 8. November 1620 der modernen Taktik bestenfalls halbherzig gefolgt. 59 Zwar hatte der königliche Befehlshaber sein Heer im Sinne der neuen Theorie in kleinen Truppenkörpern mit viel Bewegungsspielraum aufgestellt; 60 doch verstand man die daraus resultierende Flexibilität nicht zu nutzen. Weder verfügten die schlecht besoldeten, demoralisierten böhmischen und ungarischen Soldaten über hinreichende Ausbildung und Disziplin, noch besaß ihr Feldherr die nötige Entschlossenheit und Koordinationsgabe zu einer souverän geführten militärischen Operation. Die vielleicht entscheidende Chance zu Beginn der Nicola Kaminski 194 Schlacht, den bayerischen Heeresverband, der vorab unter Tilly die Brücke über die Scharka überschritten hatte, anzugreifen, ehe die kaiserlichen Truppen nachsetzen konnten, aber vergab Christian von Anhalt auf Anraten des Grafen Hohenlohe, 61 eines unbeirrbaren Verfechters der alten Schule, der für den neuen niederländischen Drill nur Spott und Verachtung übrig hatte. 62 Tanz - nach 1620 “Schon von Carol Magni zeiten hero/ sonderlich in den letzten 500. Jahren” habe man, schreibt Zincgref in seiner Vorrede zu den Teutschen Poemata (um das ehrwürdige Alter adliger Bemühung um die Künste zu erweisen), “nach weise der Römer vnd der Grichen diese dreyfache Exercitia oder Vbungen zu Hoff im schwang geführet/ Ritterspiel/ Fechtkunst vnd die Music”. 63 Und im Anhang “anderer mehr teutschen Poeten” 64 findet sich - ein Jahr vor dem Tod des Prinzen - Weckherlins Lobgesang. Von Herren Mauritzen Fürsten zu Vranien/ Grafen von Nassaw, der den oranischen Heeresreformer in zehnmal variiertem Refrain als “Ruhm”, “Spiegel”, “wahre[n] Text”, “Lehrbuch” und “Beispiel für Fürsten vnd Soldaten” feiert. 65 Doch sowenig Zincgrefs ritterliche “Exercitia” der neuen oranischen ‘Ritterkunst’ verpflichtet sind, 66 sowenig folgt Weckherlins Ode in ihrer metrischen Performanz dem Vorbild des Gepriesenen: “Jhr Ménschen báwet eínen Témpel/ | Für dén/ der áller Fü rsten Rúhm/ | Der áller Sóldatén exémpel” 67 - alternierend-akzentuierender Gleichschritt ist da, spätestens mit der dritten Zeile, nur um den Preis prosodischer Vergewaltigung der romanisch freibetonenden Verse zu halten. Das Postulat solcher ‘inter-disziplinären’ Interferenzen geht an der geschichtlichen Wirklichkeit gleichwohl nicht vorbei. Schon 1607 hatte Dilich in seinem auf humanistischem Fundament fußenden Kriegsbuch zur unverzichtbaren Voraussetzung einer Aktualisierung des antiken ordo incedendi gemacht, “daß die Trommenschläger den Schlag recht halten/ als nach welchem der Soldat tantzen muß”. 68 Mit diesem ‘Tantz’ ist aber natürlich keine Courante gemeint, auch kein deutscher ‘Hupff Auff’, sondern - das stellt die nachgereichte Begründung “Dann wo das nicht geschiehet können die Soldaten nicht recht marchiren” 69 unmißverständlich klar - der durch Taktschlag regulierte Marschtritt. Nicht von ungefähr setzt sich um dieselbe Zeit das moderne Taktsystem durch. 70 Auf der Schwelle vom Sprechen ü b e r den Reformator Moritz von Oranien zur rhythmischen Performanz des auch nach seinem Tod weiterlebenden “Marchiren[s]” in gleichem “Schritt und Tritt” 71 aber stehen die Nederduytschen Poemata des Leidener Philologen Daniel Heinsius. Erschienen 1616, ein Vierteljahrhundert nach der oranischen Heeresreform und sieben Jahre nach der vorerst erfolgreich gegen Spanien behaupteten Staatlichkeit der jungen Republik, formulieren sie zwar ein emphatisches Bekenntnis zur niederländischen Unabhängigkeit; 72 auf Prinz Moritz und seinen einzigen Sieg in offener Feldschlacht (bei Nieuwpoort 1600) kommt die Rede jedoch nicht. 73 Ihr epochales Novum machen die Nederduytschen Poemata als spezifisch ‘duytsches’ in Abgrenzung gegen die gesamte Romania nicht auf thematischem Feld geltend, sondern in einer neuartigen, freiheitlich codierten Versfußbewegung. “Daer wy nochtans connen toonen”, wertet die Vorrede die bislang im Vergleich mit Italien, Frankreich und Spanien “alleen ondancbaer tegen ons landt, ondancbaer tegen onse sprake” sich erzeigenden niederländischen Poeten auf, “dat jae self de voornaemste Fransoysen inde hare veel fauten begaen hebben, niet lettende op den toon ende mate vande vvoorden, die zy merckelicken gevvelt doen.” 74 Kein Zweifel, die demgegenüber diszipliniert nach “toon ende mate”, Akzent und ‘Er tanzte nur einen Winter’ 195 Takt, im Gleichschritt sich bewegenden niederländischen Wörter sind durch die oranische Schule gegangen. Eben darin archivieren sie rhythmisch die militärische Überlegenheit der reformierten niederländischen Truppen über die ungefügen spanischen “Tercios” oder “Gewalthaufen”. 75 Wenn Martin Opitz ein Jahr nach seiner Flucht aus Heidelberg und dem anschließenden Aufenthalt in Leiden diese Formulierung in die Vorrede zu seiner Übersetzung von Heinsius’ Lof-sanck van Iesvs Christvs übernimmt, dann scheint die musikalische Bedeutungskomponente von “toon ende mate” 76 verlorengegangen. “Auff den thon vnd das maß der Syllaben/ darinnen nicht der minste theil der ziehrligkeit bestehet/ habe ich”, schreibt er 1621 in routiniertem understatement, “wie sonsten/ auch hier genawe achtung gegeben: wiewol denselben auch die Frantzosen selber offtmals gewalt thun”. 77 Tatsächlich kehrt die als metrisch-musikalischer Takt (als “mate”) poetisch diskursivierte, vom “Schlag” des “Trommenschläger[s]” gleichmäßig skandierte oranische Fußbewegung, der veränderten politischen und militärischen Lage entsprechend, 78 wieder auf ihr eigentliches Feld zurück. Eröffnet wird die Vorrede nämlich durch eine Reminiszenz an Janus Gruter, Opitz’ aus den Niederlanden stammenden Heidelberger Mentor; der hatte ihn bei seinen ersten Übersetzungsversuchen aus dem Niederländischen zur Veröffentlichung ermuntert und ihm in einem lateinischen Epigramm den mythischen Ehrentitel eines “Mercurius […] alter et alter Amor” angeboten. Opitz’ Reaktion verrät jedoch ein Gespür für die diskursive Zäsur, welche die Schlacht am Weißen Berg seither irreversibel zwischen der Heidelberger Zeit und dem Jahr 1621 gezogen hat: “Jch bin aber der gedancken/ es seyen diese vngewaffnete Götter vnter dem wilden schall der Heertrompetten vnd gerausche der Waffen/ mit dem gantz Deutschlandt nun eine geraume zeit erfüllet gewesen/ nichts nütze.” 79 Jetzt, nach der Niederlage am 8. November 1620, spielt eine andere Musik, die Marschmusik der Oranier, nach der Soldaten tanzen können. Für “vngewaffnete Götter” wie Cupido ist es 1621 sowenig an der Zeit wie für die Courante. Poeterey - nach 1620 Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey, Manifest des diskursgeschichtlich gebotenen Strategiewechsels, hatte die im gleichen Jahr 1624 erschienenen und doch durch eine Kluft davon getrennten Teutschen Poemata in aller Öffentlichkeit zu Makulatur erklärt. Zugleich aber erläßt es die neue poetische Marschrichtung im kompromißlosen Habitus eines oranischen Exerzierreglements. Denn wenn jene Zincgrefsche Sammlung, die unter Opitz’ Namen ihrerseits unbedingte Novität auf dem Buchmarkt beanspruchte, 80 dazu imstande war, in ihrer charakteristischen Heterogenität sogar noch die Lof-sanck-Übersetzung samt Vorrede zu integrieren, 81 dann bedurfte es offenbar deutlicherer Worte, ja eines ganz anderen Tons. Wie Wilhelm Ludwig von Nassau in einem Brief an Moritz von Oranien besonderes Gewicht auf größtmögliche Unmißverständlichkeit der Kommandoworte legt, 82 so lautet das Herzstück der Opitzschen Reform nunmehr in unzweideutigem Klartext: Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen/ welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Jambus ist dieser: Erhalt vns Herr bey deinem wort. Nicola Kaminski 196 Der folgende ein Trochéus: Mitten wir im leben sind. Dann in dem ersten verse die erste sylbe niedrig/ die andere hoch/ die dritte niedrig/ die vierde hoch/ vnd so fortan/ in dem anderen verse die erste sylbe hoch/ die andere niedrig/ die dritte hoch/ etc. außgesprochen werden. 83 Nicht mehr Tanzlieder sind jetzt angesagt, sondern alternierend im 4 / 4 -Takt notierte protestantische Kampflieder, 84 auch der die deutsche Kunstdichtung nach 1624 regelrecht uniformierende Alexandriner besteht aus jambischen Viertaktern. 85 Mit dieser Marschvorschrift, der nach den Elementarbewegungen flankierend weitere Anweisungen zum Exerzieren größerer Einheiten folgen 86 (eben des Alexandriners, des vers commun, des Sonetts, des Quatrains, auch der Ode), ist die in den Nederduytschen Poemata gezogene nationale Frontlinie aktualisiert auch auf dem Feld der “Deutschen Poeterey” eingetragen: germanische Akzentuation gegen romanisches Silbenzählen, somit auch gegen die mit der Romania alliierten ‘Welschverse’ 87 eines Weckherlin, Zincgref, ja selbst des Opitz v o r der Schlacht am Weißen Berg. Zugleich weht aber ein schärferer Wind. Denn die Situation des protestantischen Deutschland nach dem 8. November 1620 ist von derjenigen der niederländischen Republik im Jahr 1616 grundlegend verschieden - hie ein politisch, ökonomisch, militärisch florierendes Staatsgebilde, dessen Motor nicht zuletzt ein freies reformiertes Bekenntnis ist, dort ein zersplittertes, wirtschaftlich darniederliegendes, von der habsburgischen Gegenreformation und fremden Kriegsvölkern überzogenes Schlachtfeld. ‘Deutschland’ kann man das eigentlich gar nicht nennen. Opitz aber spricht von ‘Deutschland’, ja er erkühnt sich, offensiv gegen die Romania gerichtet, sogar zu einer symbolisch aufgeladenen Kriegsgeste: “vnd ich bin der tröstlichen hoffnung”, steht da zu lesen, “es werde […] auch die Deutsche [Poesie]/ zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt/ von stattlichen gemütern allso außgevbet werden/ das vnser Vaterland Franckreich vnd Jtalien wenig wird bevor dörffen geben.” 88 Und dann entwirft der selbsternannte ‘Fähnrich’ die “Deutsche Poeterey” im Medium poetischen Sprechens förmlich als Schlachtfeld. Des schweren Krieges last den Deutschland jetzt empfindet/ Vnd das Gott nicht vmbsonst so hefftig angezündet Den eifer seiner macht/ auch wo in solcher pein Trost her zue holen ist/ soll mein getichte sein 89 - mit diesen Eingangsversen des 1620/ 1621, unter dem Eindruck der Schlacht am Weißen Berg, geschriebenen, aber noch nicht publizierten Trostgedichtes in Widerwertigkeit deß Krieges eröffnet Opitz sein “newe[s] feldt” 90 . Wohl gemerkt: nicht im aktuell-thematischen Horizont, sondern in dezidiert poetologischer Perspektive - um ein regelrechtes Exempel für das Proömium eines “Heroisch[en] getichte[s]” 91 zu geben. Denn “diese wüste bahn”, “dieses newe feldt”, worauf der Sprecher als erster “den fuß” stellen will, 92 meint zwar auch, kontextuell vielleicht sogar primär, das militärisch “verwüstete Deutschland”. 93 Poetologisch aber wird als “wüste bahn” und “newe[s] feldt” eine poetische terra incognita konstituiert, auf der aus der flächendeckenden Verwüstungserfahrung als poetisches Subjekt das ‘empfindende Deutschland’ geboren wird. Damit ist nicht weniger als ein ästhetischer Imperativ formuliert: die realgeschichtlichen Gegebenheiten auf dem Feld der “Deutschen Poeterey” umzukehren, oranisch gedrillte deutsche Wörter in einen poetologischen ‘Er tanzte nur einen Winter’ 197 ´ Unabhängigkeitskrieg gegen die übermächtige Romania zu führen. Darum werden einerseits die “Lateinische[n]/ Frantzösische[n]/ Spanische[n] vnnd Welsche[n] wörter”, die seit “kurtzen Jharen” allenthalben “in den text vnserer rede geflickt werden”, rigoros ausgewiesen; 94 andererseits sind und bleiben es aber weiterhin romanische Formen, in welche die künftige “Deutsche Poeterey” zu bringen ist. Allerdings unterliegt das Verhältnis zur Romania jetzt einer neuen Semantik: nicht poetisch-poetologische Allianz, wie sie Weckherlins Sonett der “spiegelmacher” ‘inter-national’ mustergültig ‘vorgedantzt’ hatte, sondern nationalpoetische Besetzung “außländische[n]” 95 Terrains, im alternierenden Gleichschritt marschierende deutsche Wörter, die auf dem Feld etwa eines Ronsardschen Sonetts ihre Fahne aufstecken. Auf einem solcherart definierten ‘Schlachtfeld’ geht es nun aber schlechterdings nicht an, daß deutsche Wörter, unbekümmert um “toon ende mate”, einer französischen Courante ‘nachdantzen’. Gleichwohl muß das Lied An den Cupidinem das Feld nicht räumen, darf 1625 in den Deutschen Poemata vielmehr in der Abteilung “Oden oder Gesänge” Platz finden. Freilich: ohne seinen den ‘ungewaffneten’ (oder doch nicht kriegstauglich gewaffneten) Gott identifizierenden Titel und ohne die anstößige Melodieangabe “Auff die Courante: Si c’est pour mon pucelage”. 96 Statt dessen erscheint der Text jetzt unter signifikant neuer Überschrift: “Fast aus dem Holländischen”. 97 Das ist nicht nur dem Gedicht und seiner nun unzweideutig alternierenden Versfußbewegung ohne weiteres abzunehmen, es entspricht auch den philologischen Fakten. Tatsächlich nämlich geht Opitz’ Lied nicht direkt auf die französische Courante aus Besards Thesaurus zurück, sondern ist die Übersetzung eines anonymen Liedes aus der Sammlung Den Bloem-Hof Van de Nederlantsche Ieught, das als Melodie seinerseits jenes Si c’est pour mon pucelage nennt. Der Bloem-Hof allerdings ist schon 1608, acht Jahre v o r den Nederduytschen Poemata, herausgekommen, die in ihm enthaltenen Gedichte marschieren durchaus noch nicht einheitlich nach “toon ende mate”, 98 und die Opitzsche Vorlage ist im Liedtitel als Courante sogar eigens ausgewiesen. 99 Eben dieses Aus-der-Reihe-Tanzen, der Flirt mit dem französischen Courante-Schritt werden dem Lied An den Cupidinem aber nun im Zeichen des “Holländischen”, oranischer Reform, gründlich ausgetrieben, ja es wird regelrecht ein Exempel statuiert. Von insgesamt 42 Versen können in der neuen Fassung nicht mehr als elf bestehen, die anderen, darunter der Refrain, werden metrisch durchexerziert. “Es geht schwer ein meinem Hertzen”, lautete 1624, eigentlich aber v o r dem 8. November 1620, die erste Zeile, die n a c h 1620 auch metrisch nur mehr schwer eingehen will, u n t e r dem anachronistisch oktroyierten Gleichschritt mit dem viel eingängigeren Dreiertakt der Courante kokettiert. 1625 heißt der Vers, exakten Marschtritt um semantische Transparenz eintauschend, “Jch befind’ es nicht im Hertzen”. 100 Und nicht nur Opitz’ ‘voropitzischer’ Courante ergeht es so. Der metrischen Disziplinierung im Zeichen der oranischen Heeresreform vermögen sich auch die Gedichte Weckherlins nicht zu entziehen, wenn sie denn “hinfüro” 101 im versreformierten Deutschland ein Publikum haben wollen. Entsprechend setzt 1641 in den Gaistlichen und Weltlichen Gedichten das Sonett der “spiegelmacher an das Frawenzimmer” seine Versfüße folgsam im neuen, alternierend-akzentuierenden Schritt. 102 Nur die letzte Zeile, traditioneller Ort pointierter Zuspitzung, wartet unverhofft mit einer Pointe auf. Widersetzt sie sich doch nicht nur markant gegenmetrisch dem jambisch alternierenden Reglement (“So tröste beederseits Euch dér Krantz/ Vns die Schántz”), 103 sondern leistet sich obendrein noch den in der Opitzschen Poetik verpönten Binnenreim 104 - ausgerechnet auf die seinerzeit ‘triumfale’ Losung “Dantz”. Nicola Kaminski 198 Tanz - nach 1620 Von der letzten Strophe des Liedes An den Cupidinem, die die petrarkistische Pointe vom nicht blinden (und somit wahllos zielenden), sondern tauben (und darum gefühllosen) Cupido bringt, bleibt in der oranisch reformierten Neufassung so gut wie nichts übrig: Du wilt keine Klage wissen/ Du wilst keine Klage kennen/ Auch von denen/ die durch dich Keine Bitte nimpst du an/ Seind verwundet jnniglich/ Alles ist vmbsonst gethan: Thust all jhre Klag außschlissen/ Blinde sind die dich blind nennen; Blindt bistu wol nicht: Jch glaub Dieses geht mir besser ein/ Daß du seyst gewaltig taub. Daß du trefflich taub must seyn. 105 Ausgemustert werden dabei zwei ‘daktylische’ Wörter: “jnniglich” und “außschlissen”. Der abschreckende Beispielvers des Buches von der Deutschen Poeterey zu diesem Kapitel lautet “Venus die hat Juno nicht vermocht zue obsiegen”, und zu verdammen ist eine solche um “toon ende mate” sich nicht scherende Versifikation deshalb, weil Venus vnd Juno Jambische/ vermocht ein Trochéisch wort sein soll: obsiegen aber/ weil die erste sylbe hoch/ die andern zwo niedrig sein/ hat eben den thon welchen bey den lateinern der dactylus hat/ der sich zueweilen (denn er gleichwol auch kan geduldet werden/ wenn er mit vnterscheide gesatzt wird) in vnsere sprache/ wann man dem gesetze der reimen keine gewalt thun wil/ so wenig zwingen leßt/ als castitas, pulchritudo vnd dergleichen in die lateinischen hexametros vnnd pentametros zue bringen sind. 106 Aber auch im ursprünglichen Lied wären “jnniglich” und “außschlissen” nicht daktylisch zu skandieren gewesen. Vielmehr übt der ungeradtaktige Courante-Schritt erst recht gegenmetrische “gewalt” aus, was zu frappant mißgebildeten Versfüßen führt (“jnniglích”, “außschlíssèn”). Dann ist aber die Frage, wie überhaupt Courante-Rhythmus und metrische Gestalt im Lied An den Cupidinem zueinander in Beziehung stehen sollen. Die verblüffende Antwort heißt: aus der Perspektive v o r 1624 (oder eigentlich 1620) stehen sie in keinerlei Beziehung, die silbenzählende Metrik der romanischen Sprachen ist bei der Vertonung betonungsneutral. 107 Entsprechend bleibt in Besards Thesaurus die Relation zwischen Melodie und Text, Note und Silbe innerhalb der Liedzeilen denn auch durchaus unbestimmt, stellen melismatische Folgen nicht die Ausnahme dar (Abb. 2). Die Notwendigkeit, sich rhythmisch zwischen Wort- und Satzakzent des Liedtextes (“toon”) und musikalischem Takt der Melodie (“mate”) zu entscheiden, tritt überhaupt erst in dem Moment auf, da das Zusammenfallen von “toon ende mate” Gesetz wird. Von nun an muß ein Gedicht, das sich rhythmisch zur Courante bekennt, seine Füße so setzen, daß der natürliche Sprachakzent daktylisch fällt. Dem regelmäßig akzentuierenden Prinzip der Opitzschen Versreform können selbst erklärte Anti-Opitzianer wie Johannes Plavius sich nicht entziehen, der 1630 unter dem Titel Courante oder drähe-tantz folgendes Lied veröffentlicht: Gedencket/ wie kräncket vnd lencket einn doch Die lieb’ vnd jhr trübe-betrübetes 108 joch! Vor dacht’ ich; wer macht mich: wer achtt mich/ mit fug/ Wie Plato/ wie Cato/ wie Crates/ so klug/ Nu reisst meinen sinn/ Als ich nu werd’ inn’/ Jn liebe die liebe beliebete -hin. So zwinget/ so dringet/ so bringet vns weh Mit tücken/ mit blicken/ mit stricken in d’eh. ‘Er tanzte nur einen Winter’ 199 Abb. 2: Jean-Baptiste Besard: Thesaurus harmonicus divini Laurencini Romani, nec non praestantissimorum musicorum, qui hoc seculo in diversis orbis partibus excellunt, selectissima omnis generis cantus in testudine modulamina continens […]. Köln 1603 (ND Genf 1975), fol. 68 r . Nicola Kaminski 200 Vor wust’ ich von lust nicht/ drumb must’ ich in frewd’ Jn singen/ in klingen hinbringen die zeit: Mein hertze/ von schmertzen/ von kertzen befreyt/ War einig/ alleinig vnd schleunig geneigt Zu der musen konst/ Die ich achte donst/ Aus liebe der lieben beliebeten gonst So zwinget/ so dringet/ so bringet vns weh Mit schmertzen/ mit schertzen/ mit hertzen in d’eh. Vor dacht’ ich/ was acht’ ich die macht vnd die krafft Der liebe/ da üben betrüben verschafft/ Vor dacht’ ich/ verlacht mich/ verachtt mich Amor/ So lehrt mich/ so neert mich/ so ehrt mich davor 109 Aller Musen schaar/ Den ich gantz vnd gar Jm leben gar eben ergeben/ fürwar. Nu zwinget/ nu dringet/ nu bringet mich weh Gantz völlig/ gutwillig vnd billich in d’eh. O krone nu schone/ belohne mir nun/ Jn frewden mein leiden/ mein meiden mein thun Es mehret-/ es neeret-/ Es mehrtsich in mir Durch bangen/ gefangen verlangen nach dir. O mein ander ich/ Der ich williglich Mein leben gar eben ergeben/ sieh mich Ernewe/ befrey’ vnd erfrewe mein weh/ So spring’ ich mit singen vnd klingen in d’eh. 110 Der prosodische Affront ist nicht zu übersehen. Provokant weist die Courante ihre verbotenen daktylischen Versfüße vor, 111 zu allem Überfluß wird jeder Daktylus durch Binnenreim auch noch eigens untermalt. Um jedoch überhaupt Rebellion gegen die oranische Alternationsvorschrift artikulieren zu können, muß das Gedicht sich eben auf jene von Opitz zum entscheidenden Differenzkriterium erhobene germanische Akzentuation einlassen. Seltsam unentschieden, ja geradezu zwiegesichtig geben sich freilich die jeweils binnenreimlosen Kurzverse. Sind sie in der ersten Strophe - “Nu reísst meinen sínn/ | Als ích nu werd’ ínn’” - noch ohne weiteres daktylisch zu lesen, so beginnt in der zweiten mit “Zu dér musen kónst/ | Die ích achte dónst” die Lektüre bereits zu stolpern, um in der dritten bei “Allér Musen scháar” vollends aus dem Tritt zu geraten. Offenbar plaziert die Courante inmitten einer binnenreimbeschwingten Umgebung von “Springereimen” metrische Stolpersteine, die den Leser, will er dem nach dem 8. November 1620 unumgänglichen Prinzip der Akzentuation treu bleiben, zu metrischer Relektüre nötigen. Und zwar, erstaunlich genug, nach trochäisch alternierendem Muster, dem sämtliche Kurzzeilen sich anstandslos fügen: “Nú reisst meínen sínn/ | Áls ich nú werd’ ínn’”, “Zú der músen kónst/ | Díe ich áchte dónst”, “Áller Músen scháar”, und so fort. Indem aber das Bewegungskontinuum des “drähe-tantz[es]” jeweils in der Strophenmitte aus dem Takt gerät, werden die im Tanz sich verheddernden Füße zum spiegelnden Zerrbild jener metrischen Disziplinierung, die Opitz an seiner eigenen Courante exekutiert hatte. 112 Die Zukunft der “Deutschen Poeterey” steht gleichwohl im Zeichen von “toon ende mate”. Und in dieser Perspektive erwächst der inhaltlichen Pointe des Liedes An den Cupidi- ‘Er tanzte nur einen Winter’ 201 nem n a c h dem Winter 1620 nun auch diskursive Signifikanz. “Jch schwere”, hatte 1618 das lyrische Ich in einem Opitzschen Hochzeitsgedicht beteuert, “daß Venus zu mir kam (es ist noch nicht ein Jahr) | […] | Sie bat/ ich wolt’ jhr Kindt lassen bey mir einkehren/ | Vnd es die Teutsche Sprach/ so gut ich’s wiste/ lehren”. 113 Daß es freilich um den prospektiven ‘Lehrer’ kaum besser steht als um den ‘Lehrling’ Cupido, verraten konterkarierend die durchaus nicht ‘duytsch’ spurenden Alexandriner. Das klingt auch in den Teutschen Poemata nicht wesentlich anders: “Sie wolte”, heißt es dort, “daß jhr Sohn hier bey mir solte bleiben/ | Vnd vnser Teutsche Sprach auffs best ichs wüste treiben”. 114 Und selbst in den reformierten Deutschen Poemata bleibt der muttersprachliche Erziehungsauftrag noch holprig. 115 Offenbar fehlt es dem Schüler an rechter Begabung zur oranischen Marschdisziplin, und die Courante im Bloem-Hof wußte auch schon, warum: “Blinden houden doch gheen maet.” 116 N a c h dem 8. November 1620 läßt sich die Diagnose nun aber noch treffender formulieren: Wie soll man oranisch exerzieren mit einem, der “gewaltig taub” ist? Um ein letztes Mal dem Krieg das Wort zu erteilen: “Assuefaciendi sunt copiae”, schreibt Aelian, antike Lieblingsautorität der Oranier, tam pedestres quam equestres partim voce, partim signis, quae visu percipi valeant, ut rem apte ac opportune, quam quisque exigat usus, possit expedire. […] Certiora sunt ea, quae voce indicantur […]. 117 Entsprechend geben im oranischen Exerzierreglement denn auch die hörbaren “woorden van commandementen” 118 den Ton an. Anmerkungen 1 Verbessert aus “Nu”. 2 Martin Opitz: Teutsche Pöemata vnd Aristarchus Wieder die verachtung Teutscher Sprach […]. Straßburg 1624 (ND Hildesheim/ New York 1975), S. 56f. 3 Ebd., S. 56. 4 Vgl. Marliese Glück: Courante. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, begründet von Friedrich Blume. Zweite, neubearbeitete Ausgabe hg. v. Ludwig Finscher. Sachteil. Bd. 2. Kassel u.a. 1995, Sp. 1029 -1035, hier Sp. 1031, die Marin Mersennes Harmonie universelle (Paris 1636) zitiert: “La Courante est la plus frequente des toutes les dances pratiquées en France”. 5 Ebd., Sp. 1030. Zum Tempo der Courante ausführlich Uwe Kraemer: Die Courante in der deutschen Orchester- und Klaviermusik des 17. Jahrhunderts. Diss. Hamburg 1968, S. 58 - 65, zur tänzerischen Ausführung Karl Heinz Taubert: Höfische Tänze. Ihre Geschichte und Choreographie. Mainz 1968, S. 97-109. 6 Jean-Baptiste Besard: Thesaurus harmonicus divini Laurencini Romani, nec non praestantissimorum musicorum, qui hoc seculo in diversis orbis partibus excellunt, selectissima omnis generis cantus in testudine modulamina continens […]. Köln 1603 (ND Genf 1975), fol. 68 r . 7 So werden die Daktylen etwa bei den Pegnitzschäfern vielfach bezeichnet, vgl. z.B. Johann Klaj: Geburtstag Deß Friedens […]. In: Johann Klaj. Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften. Hg. v. Conrad Wiedemann. Tübingen 1968, S. [111]. 8 Vgl. Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Nach der Edition von Wilhelm Braune neu hg. v. Richard Alewyn. Tübingen 1963, S. 37f. 9 Andreas Gryphius: Absurda Comica Oder Herr Peter Squentz. Schimpfspiel. Kritische Ausgabe. Hg. v. Gerhard Dünnhaupt und Karl-Heinz Habersetzer. Stuttgart 1983, S. 27. 10 Ebd. 11 Vgl. Wendy Hilton: A Dance for the Kings. The 17th-Century French Courante. Its Character, Step-Patterns, Metric and Proportional Foundations. In: Early Music 5 (1977), S. 161-172. Nicola Kaminski 202 12 Das hat Jane O. Newman: Marriages of Convenience. Patterns of Alliance in Heidelberg Politics and Opitz’s Poetics. In: MLN 100 (1985), S. 537-576, im Anschluß an Frances A. Yates: The Rosicrucian Enlightenment. London/ Boston, Mass. 1972, bes. S. 1-29, gezeigt. Die nachfolgende Skizze stützt sich vor allem auf diese beiden Arbeiten. Zitat: Newman, S. 544. 13 Aufwendig dokumentiert in: Beschreibung Der Reiß: Empfahung deß Ritterlichen Ordens: Volbringung des Heyraths: vnd glücklicher Heimführung: Wie auch der ansehnlichen Einführung: gehaltener Ritterspiel vnd Frewdenfests: Des Durchleuchtigsten/ Hochgebornen Fürsten vnd Herrn/ Herrn Friederichen deß Fünften/ Pfaltzgraven bey Rhein/ […] Mit der auch Durchleuchtigsten/ Hochgebornen Fürstin/ Vnd Königlichen Princessin/ Elisabethen/ deß Großmechtigsten Herrn/ Herrn I ACOBI deß Ersten Königs zu GroßBritannien Einigen Tochter. Mit schönen Kupfferstücken gezieret. Heidelberg 1613 (Mikrofiche-Ausgabe des Exemplars der Bibliotheca Palatina). 14 Vgl. die realpolitische Einschätzung bei Konrad Repgen: Dreißigjähriger Krieg. In: ders.: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen. Hg. v. Franz Bosbach und Christoph Kampmann. Paderborn 1998, S. 291-318, hier S. 293. 15 Dieser Widmungsband für den neulateinischen Dichter und Bibliothekar der Palatina Janus Gruter ist zugänglich in: Martin Opitz. Jugendschriften vor 1619. Faksimileausgabe des Janus Gruter gewidmeten Sammelbandes mit den handschriftlichen Ergänzungen und Berichtigungen des Verfassers. Hg. v. Jörg-Ulrich Fechner. Stuttgart 1970; vgl. auch das Nachwort des Herausgebers, S. 1*-17*. 16 Vgl. dazu Heinz Entner: Zum Kontext von Martin Opitz’ Aristarchus. In: Germanica Wratislaviensia 47 (1982), S. 3 -58. 17 Zum terminus ante quem für Opitz’ Redaktion der Teutschen Poemata vgl. Janis Little Gellinek: Die weltliche Lyrik des Martin Opitz. Bern 1973, S. 11 sowie S. 272, Anm. 3. 18 Darin weicht meine Lektüre von derjenigen Newmans (Anm. 12) grundsätzlich ab, die die strukturelle Affinität von “Heidelberg politics” und “Opitz’s poetics” auf das erst 1624 geschriebene Buch von der Deutschen Poeterey beziehen möchte, wo dieser ‘subtext of alliance’ aber gerade nicht mehr virulent ist. 19 Vgl. Zincgrefs ausdrückliche Engführung von Nationalsprache (bzw. -literatur) und Nationalpolitik in der Feststellung, es sei “nicht ein geringeres Joch […]/ von einer außländischen Sprach/ als von einer außländischen Nation beherrschet vnd Tyrannisiret [zu] werden”, Teutsche Poemata (Anm. 2), fol.): ( 2 v . 20 Insofern Opitz die vergebliche Belagerung Leidens durch die Spanier 1574 poetisch mit den 1616 unter republikanischen Vorzeichen erschienenen Nederduytschen Poemata des Daniel Heinsius verschränkt und so in seinem Schlußbekenntnis zu ‘hochdeutscher’ Nachfolge implizit auch für politische Orientierung am Freiheitskampf der niederländischen Generalstaaten votiert, vgl. ebd., S. 9f. 21 Ebd., S. 104. 22 Triumf Newlich bey der F. kindtauf zu Stutgart gehalten. Beschriben Durch G. Rodolfen Weckherlin. Stuttgart 1616. Zitiert wird nach folgender Ausgabe: Ludwig Krapf / Christian Wagenknecht (Hgg.): Stuttgarter Hoffeste. Texte und Materialien zur höfischen Repräsentation im frühen 17. Jahrhundert. Tübingen 1979, S. 3 -186. 23 Ebd., S. 15. 24 Ebd., S. 19 und 21. 25 Die Übersetzung ist gleichfalls noch 1616 unter dem Titel Trivmphall Shevvs Set forth lately at Stutgart im selben Verlag erschienen. Krapf/ Wagenknecht bieten die englische Fassung im Paralleldruck mit der deutschen. 26 Weckherlin (Anm. 22), S. 23/ 25. 27 Ebd., S. 25/ 27. 28 Dabei wird die topographische Geographie überlagert von einer politisch semantisierten, besonders augenfällig für das Personal des vorgeblich aus dem Osten kommenden Kopfes: Allein die Polen vermögen dieser Zuordnung zu entsprechen, während Spanien und Italien zum ‘Osten’ nur dann sinnvoll gerechnet werden können, wenn damit das ‘Ostenreich’, Österreich, eben der habsburgisch-katholische Machtbereich gemeint ist. Diese in der Inszenierung angelegte ‘Lagersemantik’ wird jedoch demonstrativ überspielt. 29 Weckherlin (Anm. 22), S. 27. 30 Ebd. 31 Ebd., S. 29. 32 Vgl. Silvia Weimar-Kluser: Die höfische Dichtung Georg Rudolf Weckherlins. Bern/ Frankfurt a.M. 1971, S. 48. Von “ein[em] der frühesten deutschsprachigen Sonette” spricht Thomas Borgstedt: Topik des Sonetts. Eine pragmatische Gattungskonzeption. Tübingen (im Druck; Ms., S. 218) mit Rücksicht auf vereinzelte Vorläufer des 16. Jahrhunderts. 33 Weckherlin (Anm. 22), S. 29. ‘Er tanzte nur einen Winter’ 203 34 Vgl. dazu Christian Wagenknecht: Weckherlin und Opitz. Zur Metrik der deutschen Renaissancepoesie. Mit einem Anhang: Quellenschriften zur Versgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. München 1971, S. 20 -24, der von der “‘ratio nova’ der deutschen Renaissancepoesie” spricht (S. 20). 35 Vgl. Leonard Wilson Forster: Georg Rudolf Weckherlin. Zur Kenntnis seines Lebens in England. Basel 1944, S. 25. 36 Weckherlin (Anm. 22), S. 28. 37 Ebd., S. 25. 38 Ebd., S. 31. 39 Der Aristarchus wird zitiert nach der Ausgabe von Fechner (Anm. 15), S. [65]-[90], hier S. [83]. Ein metrisches Gesetz nach romanischem Vorbild, das ebensogut auf den Weckherlinschen Triumf gemünzt sein könnte, wird wenig später formuliert: “Observandus saltem accurate syllabarum numerus, ne longiores duo versus tredecim, breviores duodecim syllabas excedant: quarum in his ultima longo semper tono; in illis molli & fugiente quasi producenda est. Et ˜ attendendum, ut ubique sexta ab initio syllaba dictione integra claudatur, & versus ibi veluti intersecetur. Est & aliud genus, quod Franci Vers communs appellant, decem ac undecim syllabarum, quod post quartam respirat semper & interquiescit” (S. [86]f.). 40 Vgl. Wagenknecht (Anm. 34), S. 23f., der auch auf die derselben romanischen Prosodie verpflichteten Alexandriner hinweist, die Tobias Hübner 1613 zur Beschreibung Der Reiß (Anm. 13) auf die Heidelberger Hochzeit beigesteuert hatte. 41 Vgl. die 1990 von Saur, München, produzierte Microfiche-Ausgabe des Triumf nach dem Exemplar der Bibliotheca Palatina. 42 Teutsche Poemata (Anm. 2), Titelblatt. Der Anhang umfaßt S. 161-224. 43 Zur Charakterisierung der im Anhang versammelten Poeten vgl. Dieter Mertens: Zu Heidelberger Dichtern von Schede bis Zincgref. In: ZfdA 103 (1974), S. 200 -241, hier S. 226 -236. 44 Diese Pionierleistung streicht Zincgref in seiner Vorrede zu den Teutschen Poemata (Anm. 2), fol.): ( 3 r / ): ( 3 v , deutlich heraus: “Vnser Opitius, welcher vns recht gewiesen/ was vor ein grosser vnderschied zwischen einem Poeten vnd einem Reimenmacher oder Versificatoren sey/ hat es gewagt/ das Eiß gebrochen/ vnd den new ankommenden Göttinen [den Musen] die Furth mitten durch den vngestümmen Strom Menschlicher Vrtheil vorgebahnet/ also daß sie jetzo nicht minder mit vnserer/ als vor diesem mit anderer Völcker Zungen der werthen Nachkommenheit zusprechen […]”. 45 Vgl. Opitz (Anm. 8), S. 21f., zu seinen “deutschen Poematis, die vnlengst zue Straßburg auß gegangen”: “Welches buches halben/ das zum theil vor etlichen jahren von mir selber/ zum theil in meinem abwesen von andern vngeordnet vnd vnvbersehen zuesammen gelesen ist worden/ ich alle bitte denen es zue gesichte kommen ist/ sie wollen die vielfältigen mängel vnd irrungen so darinnen sich befinden/ beydes meiner jugend/ (angesehen das viel darunter ist/ welches ich/ da ich noch fast ein knabe gewesen/ geschrieben habe) vnnd dann denen zuerechnen/ die auß keiner bösen meinung meinen gueten namen dadurch zue erweitern bedacht gewesen sein. Jch verheiße hiermitt/ ehestes alle das jenige/ was ich von dergleichen sachen bey handen habe/ in gewiße bücher ab zue theilen/ vnd zue rettung meines gerüchtes/ welches wegen voriger vbereileten edition sich mercklich verletzt befindet/ durch offentlichen druck jederman gemeine zu machen.” Der vollständige Titel der versprochenen Neuausgabe lautet denn auch unmißverständlich: Acht Bücher, Deutscher Poematum durch Jhn selber heraus gegeben/ auch also vermehret vnnd vbersehen/ das die vorigen darmitte nicht zu uergleichen sindt. 46 Die gängigen Erklärungen dieses symbolischen Autodafés, teils metrischer Art (Opitz habe inzwischen Klarheit über seine metrischen Grundsätze gewonnen, woran gemessen die Heidelberger Gedichte aus der Zeit bis Herbst 1620 nicht durchgängig hätten bestehen können), teils politischer Art (Gedichte wie das Gebet/ daß Gott die Spanier widerumb vom Rheinstrom wolle treiben waren nicht mehr opportun), etwa bei Günter Häntzschel: “Die Keusche Venus mit den gelerten Musis”. Martin Opitz in Heidelberg. In: Klaus Manger / Gerhard vom Hofe (Hgg.): Heidelberg im poetischen Augenblick. Die Stadt in Dichtung und bildender Kunst. Heidelberg 1987, S. 45 - 81, hier S. 50f. 47 Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 161. 48 Vgl. Erich Trunz: Nachwort des Herausgebers. In: Martin Opitz: Geistliche Poemata 1638. Hg. v. Erich Trunz. Tübingen 2 1975, S. 1*-28*, hier S. 13*: “Als im Oktober 1620 ein habsburgisches Heer sich der Stadt näherte, ging der Kreis um Lingelsheim auseinander. Zincgref floh nach Frankfurt, dann nach Straßburg. Dorthin ging auch Lingelsheim. Barth fuhr nach Leipzig, Hamilton nach der Schweiz, Opitz nach Holland.” Weckherlin, so wäre zu ergänzen, war bereits und blieb nun vollends in England. 49 Vgl. dazu Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg. Frankfurt a.M. 1992, S. 63 -74; Zitat: S. 74. Nicola Kaminski 204 50 Vgl. Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Bd. 4: Neuzeit. Berlin/ New York 2000 (zuerst Berlin 1920), S. 197; zur oranischen Heeresreform insgesamt S. 197-220. 51 Vgl. Wolfgang Reinhard: Humanismus und Militarismus. Antike-Rezeption und Kriegshandwerk in der oranischen Heeresreform. In: Franz Josef Worstbrock (Hg.): Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus. Weinheim 1986, S. 185 -204, hier S. 191-193, und Gerhard Oestreich: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform [1953]. In: Ders.: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969, S. 11-34. 52 Vgl. Burkhardt (Anm. 49), S. 70, sowie Reinhard (Anm. 51), S. 199. Grundlegend Werner Hahlweg: Die Heeresreform der Oranier und die Antike. Studien zur Geschichte des Kriegswesens der Niederlande, Deutschlands, Frankreichs, Englands, Italiens, Spaniens und der Schweiz vom Jahre 1589 bis zum Dreißigjährigen Kriege. Berlin 1941. 53 Dilich verfaßte sein Kriegsbuch aufgrund eigenen Studiums der oranischen Heeresreform in den Niederlanden sowie auf Anregung des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel, der selbst zu den ersten Verfechtern der Reform auf deutschem Boden gehörte. Hier zitiert nach der erst posthum erschienenen erweiterten Neubearbeitung aus den 40er Jahren: Wilhelm Dilich: Kriegsbuch darin die Alte und Newe Militia aller örter vermehret, eigentlich beschriben und allen kriegsnewlingen, Baw- und Büchsenmeistern, zu nutz publicirett. Frankfurt a.M. 1689, Teil II, S. 80. Vgl. dazu Hahlweg (Anm. 52), S. 154 -157. 54 Dilich (Anm. 53), Teil II, S. 81. 55 Ebd., Teil I, S. 93. 56 Wallhausen, der 1617 Direktor der von Johann von Nassau in Siegen gegründeten Kriegsschule war, steht auch mit seiner Biographie für die Geburt des neuen oranischen Heerwesens aus dem Geist humanistischer Philologie ein; war er doch, bevor er 1599 nach einem Duell von der Marburger Universität in die Niederlande floh und dort die militärische Laufbahn einschlug, für den Pfarrberuf vorgesehen. Vgl. dazu Ulrich Wendland: Zur Lebensgeschichte des Danziger Hauptmanns Johann Jacobi von Wallhausen. In: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins 35 (1936), S. 81-92. Zu Wallhausen ferner Werner Hahlweg: Einleitung. In: Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen. Bearbeitet von Werner Hahlweg. Mit zahlreichen Abbildungen hg. v. der Historischen Kommission für Nassau. Wiesbaden 1973, S. 1*-54*, hier S. 22*-24*. 57 Vgl. Delbrück (Anm. 50), S. 259f. 58 Burkhardt (Anm. 49), S. 74. 59 Vgl. dazu Delbrück (Anm. 50), S. 250 -260. 60 Dazu Reinhard (Anm. 51), S. 197f. 61 Delbrück (Anm. 50), S. 251f. 62 Vgl. ebd., S. 204: “Die alten Kriegsmänner, auch der Graf Hohenlohe, der militärische Mentor des Prinzen Moritz [von Oranien], lachten und spotteten über solche Künste, die in ernster Schlacht doch verwehen würden”. 63 Teutsche Poemata (Anm. 2), fol.): ( 4 r . 64 Ebd., S. 161. 65 Ebd., S. 196f. - Moritz von Oranien starb 1625 im Alter von 57 Jahren. “In seinen letzten Lebensjahren konnte M. nicht mehr an seine früheren militärischen Erfolge anknüpfen.” Georg Schmidt: Moritz Graf von Nassau- Katzenelnbogen, Prinz von Oranien. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 18. Berlin 1997, S. 139 -141, hier S. 141. Weckherlins Ode erschien zuerst 1619 in seinem Andern Buch Oden vnd Gesäng; vgl. Georg Rodolf Weckherlin. Gedichte. Ausgewählt und hg. v. Christian Wagenknecht. Stuttgart 1972, S. 46 - 48. 66 Diesem alten, ‘ritterlichen’ Paradigma entspricht auch die Bündelung von Unterweisung im (höfischen) Tanz, Musikunterricht und Ausbildung der Prinzen im Fechten und Reiten in der Hand des Tanzmeisters. Ingrid Brainard: Der Höfische Tanz. Darstellende Kunst und Höfische Repräsentation. In: August Buck u.a. (Hgg.): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Bd. II. Hamburg 1981, S. 379 -394, hier S. 382. 67 Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 196, Str. 1, V. 1-3. 68 Dilich (Anm. 53), Teil II, S. 80. 69 Ebd. 70 Vgl. Siegfried Kross: Geschichte des deutschen Liedes. Darmstadt 1989, S. 16f. 71 Dilich (Anm. 53), Teil II, S. 80. 72 Besonders deutlich im Widmungspoem von Heinsius’ Freund Petrus Scriverius, der die Nederduytschen Poemata auch herausgegeben hat; darin entwirft er die durch Heinsius repräsentierte “Neerlandsche Poësy” als Produkt einer unüberwindlich indigenen “Duytsche[n] tael” im Kontrast zu “Vranckrijck”, das “genootdruckt ‘Er tanzte nur einen Winter’ 205 zijnen hals in’t Roomsche iuck” gesteckt habe: “VVy houden onse tael, vvy sijn noch even coen. | Maer Vranckrijck is verheert, en houdt niet op van pralen: | Zy dencken niet vvaer haer de naem komt vande VValen. | Ist niet, om dat haer spraeck by minsten ende meest | Gevvisselt en vervvaelt vvel eertijdts is gevveest? | O Galli sonder gall, ghy liet u soo manieren! | Daer tegen sijn vvy noch gebleven Batavieren, | Geen dienstbaerheyt gevvent: en op een vrijen grondt | Ist dat vvy noch van outs behouden onsen mondt: | Van niemandt niet gesnoert, van niemant niet gebonden, | Iae in het minste niet van yemandt oock geschonden. | VVech, vvech uytheemsch gedrocht. de Vlaemsche soete maecht | Die sal vvel schicken, dat zy Hollandt vvel-behaecht”. Daniel Heinsius: Nederduytsche Poemata. Faksimiledruck nach der Erstausgabe von 1616. Hg. und eingeleitet von Barbara Becker-Cantarino. Bern/ Frankfurt a.M. 1983, “Voor-reden”, S. 11 und 12. Derselben Tonart sind auch die ersten drei Gedichte von Heinsius selbst verpflichtet: Op de doot ende treffelicke victorie van de mannelicken helt I ACOB H EEMSKERCK , Admirael, begraven binnen Amsterdam, Aen Leyden und Op het belech van O OSTENDE , ebd. S. 3 -13. 73 Vgl. Barbara Becker-Cantarino: Einleitung, ebd., S. 11*-84*, hier S. 44*; hingegen verfaßte Heinsius 1625 eine lateinische Gedenkrede auf Moritz von Oranien, die sich großer Beliebtheit erfreute (ebd., S. 19*). 74 Ebd., “Voor-reden”, S. 6. 75 Zur spanischen Truppenorganisation, die bis zur oranischen Heeresreform die effektivste Europas war, vgl. Reinhard (Anm. 51), S. 189: “Die spanische Armee war in Kompanien von 120 bis 150 Mann und Regimenter von 1200 bis 1500 Mann gegliedert. Taktische Einheit war der ‘Tercio’ in Gestalt eines quadratischen Gewalthaufens von Spießträgern, dem an den Seiten oder den Ecken die Arkebusiere, die Büchsenschützen, beigegeben waren. Dieses Gebilde war schwer zu schlagen und nach allen Seiten gleichmäßig gedeckt, wegen seiner Schwerfälligkeit aber primär von defensivem Charakter. Außerdem konnte die unter Umständen beträchtliche Feuerkraft in dieser Aufstellung nicht voll ausgenutzt werden. Sie hatte aber den Vorteil, daß ungeübte Spießträger leicht zu integrieren waren. Es gab ja keine eigentliche Ausbildung, sowenig wie eine Uniform […].” 76 Vgl. Cornelis Kiel: Etymologicum Teutonicæ Linguæ: sive Dictionarium Teutonico-Latinum […]. Editio tertia, prioribus auctior & correctior. Antwerpen 1594, S. 302. Demnach bedeutet “Maete” (worauf man von “Mate” verwiesen wird) zwar allgemein “Mensura, modus, modulus, metrum, mensus, proportio, numerus, moderatio, temperamentum. ger. maß”, zugleich wird aber auch das spezielle Lemma “maete/ slagh van den sanck. Modi, moduli, mensura cantus” notiert. Vgl. auch Thesaurus Theutonicæ Linguæ. Schat der Neder-duytscher spraken […]. Antwerpen 1573, fol. f 4 v : “Mate des sangs. Mesure de musique. Modulatio”. “Toon” wird bei Kiel als “Tonus, sonus, tenor, accentus, numerus” erklärt (S. 562). Den Hinweis auf die musikalische Konnotation von “mate” verdanke ich Maik Bozza (Tübingen). 77 Martin Opitz: Dan. Heinsii Lobgesang Jesu Christi des einigen vnd ewigen Sohnes Gottes: Auß dem Holländischen in Hoch-Deutsch gebracht. Görlitz 1621. Zitiert nach: Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hg. v. George Schulz-Behrend. Bd. I: Die Werke von 1614 bis 1621. Stuttgart 1968, S. 267-390, hier S. 275. Das anstelle dieser Vorrede in den Deutschen Poemata 1625 der Übersetzung vorangestellte lateinische Widmungsgedicht, welches die Überschrift jedoch bereits auf den 1. Januar 1620 datiert, hatte, bezogen auf den Versuch metrischer Nachbildung der niederländischen Vorlage, noch um Nachsicht geworben: “Da veniam, Batavae decus et laus unica terrae, | Excidit a numeris si mea cura tuis.” Ebd., S. 277, V. 5f. 78 Das gilt nicht nur für die deutschen Verhältnisse, sondern auch für die niederländische Republik; war der 1609 auf zwölf Jahre geschlossene Waffenstillstand mit Spanien, währenddessen Heinsius sowohl die Nederduytschen Poemata als auch den Lof-sanck van Iesvs Christvs veröffentlicht hatte, doch bereits im April 1621 abgelaufen. Die der Vorrede vorangestellte Widmung an Caspar Kirchner ist datiert “zu außgange des M DC XXI. Jahres” (ebd., S. 273). 79 Ebd., S. 273f., hier S. 274. 80 “Der gleichen in dieser Sprach Hiebevor nicht auß kommen”, heißt es auf dem Titelblatt der Teutschen Poemata (Anm. 2) im Anschluß an die Aufzählung der enthaltenen Werke samt Anhang. 81 Ebd., S. 118 -142, direkt nach dem Aristarchus mit seiner Empfehlung “Gallico more” gebauter Verse (S. 112). Zincgref legte seinem Abdruck offenkundig die 1621 erschienene Einzelausgabe zugrunde. 82 Vgl. die erste und die dritte Prämisse des Exerzierens im Brief des Grafen Wilhelm Ludwig von Nassau an Prinz Moritz von Oranien am 8. Dezember 1594: “Erstlick, dat geen soldaten te sprecken behoort, om die bevelen desto beter te verstaen. […] Ten derden, dat voor al in het gebieden het species moet voorgenoemt werden, om te mijden die confusie. Exempli gratia: Als ick segge: ‘Keert u rechts om’, sal die soldaet wegen het woort ‘keren’, so haest ‘slinx om keren’, aleer hij verstanden hefte ofte verwacht heft te hooren het woort rechts om. Maer segge ick erst het species: ‘Rechts om keert u’, weet ende verstaet die soldaet, dat hij rechtsom wat doen Nicola Kaminski 206 sal ende verwachtet het bevel, het sij dan, dat hij sich keren, swencken off in die gleder off rijen treden sal ofte die gleder ofte rijen swencken sal.” Zitiert nach Hahlweg (Anm. 52), S. 255 -264, hier S. 259. 83 Opitz (Anm. 8), S. 37f. 84 Das gilt insbesondere für das erste der beiden zitierten Lieder Martin Luthers, das Kinderlied/ Zu singen/ wider die zween Ertzfeinde Christi vnd seiner heiligen Kirchen/ den Bapst vnd Türcken, auf dessen Eingangszeile sich der antipapistische Appell “Vnd steur des Bapsts vnd Türcken Mord” reimt. Martin Luther: Die deutschen geistlichen Lieder. Hg. v. Gerhard Hahn. Tübingen 1967, S. 53, Nr. 35. Im Duktus klingt das gar nicht so anders als das Gebet/ daß Gott die Spanier widerumb vom Rheinstrom wolle treiben. 1620 in den Teutschen Poemata; entscheidend ist aber, daß der militante Kampfimpetus jetzt ästhetisch - metrisch - diskursiviert wird. 85 Vgl. Andreas Heusler: Deutsche Versgeschichte. Mit Einschluß des altenglischen und altnordischen Stabreimverses. Bd. 3. Berlin 2 1956, S. 162f., der den Alexandriner als “Achttakterlangzeile” bzw. als “Langzeile aus zwei Viertaktern” bestimmt. Die neuerdings übliche, nur die positiv realisierten Hebungen zählende Auffassung des Alexandriners als eines sechshebigen Jambus (so etwa Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung. München 2 1989, S. 63f. und S. 127) nimmt in Kauf, daß die obligatorische Mittelzäsur sowie das (klingende oder stumpfe) Versende damit ihre Hörbarkeit einbüßen. 86 Zum oranischen Exerzierreglement und seinem Fortschreiten “von der Ausbildung des einzelnen Mannes bis zum Exerzieren der größten Truppenverbände einer Waffe” vgl. Hahlweg (Anm. 52), S. 113 -119; Zitat: S. 113, Anm. 271. Besonders verblüffend etwa die Strukturanalogie zwischen dem von den Oraniern favorisierten chorischen Kontremarsch (vgl. dazu Reinhard [Anm. 51], S. 195f.) und der Reimordnung der Sestine. 87 Zum Begriff und seiner Problematik vgl. Wagenknecht (Anm. 34), S. 27. 88 Opitz (Anm. 8), S. 14. 89 Ebd., S. 18. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 17. 92 Ebd., S. 18. 93 Diese Formulierung wählt 1636 Gryphius’ Sonett Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes. 94 Opitz (Anm. 8), S. 24f. 95 Ebd., S. 25. 96 Überhaupt verschwinden in den Deutschen Poemata die Melodieangaben aus den Gedichttiteln; vgl. dagegen Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 52 (“Auff die Melodey: Kehr vmb mein Seel/ etc.”), S. 89 (“Vff die Melodey/ Aupres du bord de Seine”), S. 92 (“Ein anders [Lied]/ auff die Melodey/ Allons dans ce boccage”), S. 100 (“Liedt/ im thon: Ma belle je vous prie”), S. 101f. (“Vff die weiße: Angelica die Edle” sowie, darauf bezogen, “Palinodie oder widerruff deß vorigen Lieds”). 97 Martin Opitz. Gesammelte Werke. Kritische Ausgabe. Hg. v. George Schulz-Behrend. Bd. II: Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil. Stuttgart 1979, S. 673 - 675, hier S. 673. 98 Vgl. die Bemerkung zur literaturgeschichtlichen Situation vor Heinsius in Scriverius’ “Voor-reden” (Anm. 72), S. 6f.: “Gelijck [wie die nicht auf “toon ende mate” achtenden Franzosen] oock meest de onse, die tot noch toe eenich gedicht in haer moeders tale geschreven ende uytgegeven hebben.” Auch das übernimmt Opitz in die Vorrede zur Lof-sanck-Übersetzung: “von vns aber noch fast keiner/ meines wissens/ sich darauff [auf “den thon vnd das maß der Syllaben”] verstanden”, Opitz (Anm. 77), S. 275. Zur metrischen “Uneinheitlichkeit” des Bloem-Hof und zum Nebeneinander von “Alte[m] und Neue[m] […] in ungeordneter Vielfalt” vgl. Ulrich Bornemann: Anlehnung und Abgrenzung. Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts. Assen/ Amsterdam 1976, S. 41, sowie ausführlich L.M. van Dis: Inleiding. In: Den Bloem-hof van de Nederlantsche ieught. Naar de drukken van 1608 en 1610 uitgegeven, ingeleid en geannoteerd door L.M. van Dis met medewerking van Jac. Smit. Amsterdam/ Antwerpen 1955, S. V-XVII, bes. S. VI-XIII. Bemerkenswert ist zum einen die konzeptuelle Ähnlichkeit mit den Teutschen Poemata und insbesondere ihrem Anhang, zum anderen, daß “Opitz bis auf wenige Ausnahmen nur solche Gedichte übersetzt, die im neuen Stil verfasst sind” (Bornemann, S. 41); das Cupido-Gedicht zählt zu diesen Ausnahmen. 99 Bloem-hof (Anm. 98), S. 24f. Titel und Untertitel (bzw. Melodieangabe) des Liedes lauten schlicht: “Courante. Si cest pour mon pucellage”. 100 Opitz (Anm. 97), S. 673. 101 Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 161. 102 Auch die ursprünglich englische Formation mit abschließendem Couplet ist jetzt zugunsten zweier Terzette in romanischer (und durch Opitz kanonisierter) Manier aufgegeben, vgl. Opitz (Anm. 8), S. 41- 43. ‘Er tanzte nur einen Winter’ 207 ¯ ¯ ¯ ¯ 103 Georg Rodolf Weckherlin: Gaistliche und Weltliche Gedichte. Amsterdam 1641, S. 273. 104 Vgl. Opitz (Anm. 8), S. 39. 105 Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 57, und Opitz (Anm. 97), S. 674f. 106 Opitz (Anm. 8), S. 38. 107 Kross (Anm. 70), S. 16. Sowie freilich Text und Melodie im gesungenen Lied aufeinandertreffen, bedeutet das in der Praxis einer akzentuierenden Sprache, daß der musikalische Rhythmus den Sprachakzent unterwirft. Vgl. das von Gary C. Thomas: Dance Music and the Origins of the Dactylic Meter. In: Daphnis 16 (1987), S. 107-146, hier S. 136f., zitierte Beispiel von Johann Hermann Scheins Madrigal Die Vöglein singen aus dem Jahr 1624, dessen erste acht Zeilen nach den rhythmischen Vorgaben einer Galliard-Melodie folgendermaßen zu singen sind: “Díe Vöglein síngèn, | Díe Tierlein spríngèn, | Díe Lüftlein saúsèn, | Díe Bächlein braúsèn, | Díe Bäumlein láchèn. | Díe Felsen kráchèn, | Díe Schäflein weídèn, | Aúf grüner Heídèn”. 1645 gibt der Dichter und Komponist Martin Rinckart in einem analogen Fall als Begründung ausdrücklich an: “Denn daß es also nothwendig müsse gezeichnet und gemessen werden/ das erfordern und weisen die Noten/ und dero Klang und Gesang/ und nicht anders” (ebd., S. 136, Anm. 45). 108 Verbessert aus “betrübtes”. 109 Verbessert aus “davor.”. 110 Zitiert nach Heinrich Kindermann (Hg.): Danziger Barockdichtung. Leipzig 1939, S. 58f. 111 Und zwar, wie Bornemann (Anm. 98), S. 192, zu Recht betont, “trotz Opitz’ Gebot und noch vor Zesens und Buchners Segen” seit den ausgehenden 30er Jahren. 112 Zugleich bietet Plavius’ Courante mit ihrer Kombination von daktylischen und trochäischen Versfüßen auch ein musikalisches Lösungsmodell an. Gilt doch für die Musik, daß sie “sowohl alternierende Sprachbetonung im dreiteiligen Takt (als Folge von Länge und Kürze) als auch daktylische und anapästische Metren im geraden Takt umzusetzen” vermag (Kross [Anm. 70], S. 16). Entsprechend stellt Marin Mersennes Harmonie universelle 1636 zur (auftaktigen) Courante fest, sie lasse die Tanzenden “courir souz un air mesuré par le pied Iambique u -“ (zitiert nach Hilton [Anm. 11], S. 172, Anm. 9), und Raoul Auger Feuillet präzisiert in seiner Chorégraphie von 1700, sie messe “deux Pas pour chaque Mesure, dont le premier occupe les deux premiers temps de la mesure & le deuxième Pas n’occupe que le troisième temps” (ebd., S. 166). Für Opitz’ Lied An den Cupidinem ergäbe sich demnach - ebenso wie für die Kurzzeilen von Plavius’ Courante - der Ausweg ungeradtaktigalternierender, da quantitierender Prosodie: “O Du Gott der süssen Schmertzen” usf. Mit oranischem Marschschritt hat das freilich nicht mehr viel zu tun; nicht umsonst hatte das Buch von der Deutschen Poeterey die Einführung der akzentuierenden Metrik strikt mit der Abschaffung des (antiken) Quantitierens verknüpft. In diesem Horizont stellt die vorgeblich in der Opitz-Nachfolge vollzogene Akkreditierung des Daktylus durch Buchner, Zesen u.a. tatsächlich eher einen Schulterschluß mit dem Opitzgegner Plavius dar, insofern sie unter dem Deckmantel der Akzentuation im Rückgriff auf quantitierende Schrittmessung den militärischen Gleichschritt der Versreform tänzerisch unterläuft; vgl. dazu ausführlich Thomas (Anm. 107). 113 Auff Herren Matthei Ruttarti/ vnd Jungfraw Annæ Namßlerin Hochzeit. In: Opitz (Anm. 77), S. 92-94, hier S. 92, V. 17, 19 und 21f. 114 Teutsche Poemata (Anm. 2), S. 2. 115 Vgl. Opitz (Anm. 97), S. 602, V. 21f.: “Jhr Wille war/ jhr Sohn der solte bey mir bleiben/ | Vnd vnsre Deutsche Sprach’ auffs best’ ich wüste treiben”. 116 Bloem-hof (Anm. 98), S. 24, Str. 2, V. 3. 117 Lateinische Übersetzung der Taktik des Ailianos von Theodoros Gazes, Leiden 1592. Zitiert nach Hahlweg (Anm. 52), S. 197-230, hier S. 222. 118 Exerzierreglement für die niederländische Infanterie unter Moritz von Oranien 1610. Zitiert nach ebd., S. 287-291, hier S. 287.