Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2003
263-4
Tanz, Geschlecht, Identität
121
2003
Dagmar Schmauks
kod263-40319
Tanz, Geschlecht, Identität Dagmar Schmauks 1. Einleitung Die Verwandlung von Lebewesen ist ein Topos zahlreicher Erzählungen in allen Kulturen. Zeus entführt Europa in Gestalt eines Stiers, die sieben bösen Brüder verwandeln sich zur Strafe für ihre Ungezogenheit in die sieben Raben des gleichnamigen Märchens, und Gregor Samsa wird über Nacht zu einem riesigen Käfer. Textuelle Medien können es der Phantasie des Lesers überlassen, sich die Teilschritte solcher Verwandlungen vorzustellen, während die visuellen Medien selten darauf verzichten, sie - zunehmend computergestützt - im Detail vorzuführen. Jeder kennt suggestive Beispiele: der Kiefer des Helden stülpt sich vor, seine Zähne werden lang und spitz, die Haut bedeckt sich mit zottigem Fell, die Hände verkrümmen sich zu Klauen, und die Gestalt des Werwolfs wird sichtbar. Auch in vielen Ritualen vom Schamanismus bis zur Eucharistie ist der Gedanke der Verwandlung grundlegend. In diesem Artikel geht es um Verwandlungen, die eine Person absichtlich bewirkt, indem sie die Aufmachungs- und Verhaltenskodes des “Zielobjekts” übernimmt. Der Wunsch nach solchen Verwandlungen hat vielfältige Ursachen, von denen es abhängt, mit welchen Methoden die Verwandlung bewerkstelligt wird und wie ihr Ergebnis beschaffen sein soll. Einige besonders wichtige Einteilungskriterien sind die folgenden: • vorübergehende vs. dauerhafte Verwandlung, • spielerische vs. ernsthafte Verwandlung, und • als solche signalisierte vs. heimlich vorgenommene Verwandlung. Ausgangspunkt des Artikels ist eine kleine Tanzszene, in der eine Frau eine Spieldosen- Ballerina imitiert, also die Grenze zwischen dem Belebten und dem Unbelebten spielerisch überschreitet (Abschnitt 2). In anderen Fällen spielt ein Schauspieler eine andere Person, die auch das jeweils andere Geschlecht haben kann. Abschnitt 3 stellt dar, wie komplex solche Verwandlungen sind, denn aus Sicht des Betrachters sind sie nur dann glaubwürdig, wenn außer den statischen Zeichensystemen (Kleidung, Make-Up, Haartracht usw.) auch die dynamischen (Stimme, Mimik, Gestik usw.) in gleichgerichteter Weise manipuliert werden. Andererseits muss der Akteur den semiotischen Unterschied zwischen “sich” und seiner Rolle bewusst offenhalten, also erkennbar jemand sein, der erkennbar etwas anderes darstellt. Denn sobald dieser Unterschied nicht mehr auszumachen ist, liegt der völlig anders geartete Fall der absichtlichen Täuschung vor, von dem in Abschnitt 4 einige Fälle skizziert werden. Abschließend untersucht Abschnitt 5 einen besonderen Fall von Verwandlung, nämlich den so genannten “Geschlechtswechsel” als Zeichenprozess. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 26 (2003) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Dagmar Schmauks 320 2. Die “Urszene” Den ersten Auslöser für die folgenden Überlegungen erhielt ich im Sommer 1995 in Salzburg (vgl. Schmauks 1995). Wer sich damals durch die Touristenscharen erfolgreich bis in die Getreidegasse durchgekämpft hatte, traf mit etwas Glück in der Nähe von Mozarts Geburtshaus auf Miriam’s Music-Show, die ihn für muhende Plüschkühe und allzuviele Mozartkugeln entschädigte. Die kleine Ein-Frau-Show dauerte nur wenige Minuten und ist rasch beschrieben: eine als Spieldosen-Ballerina verkleidete Frau tanzt zu Spieldosenmusik, steigt von ihrem Podest herab, geht ein paar Schritte und treibt dabei ihren Schabernack mit den Zuschauern, der nicht nur überaus reizvoll ist, sondern auch Anlass für spannende semiotische Überlegungen bietet. Der Rahmen für diese Überlegungen wird bereits durch die Angabe “Miriam’s Music- Show” festgelegt, die der Zuschauer auf einem Plakat über dem Tanzpodest lesen konnte. Er erfährt, wie die Akteurin heißt (“Miriam”), dass es sich um eine Aufführung handelt (“Show”) und welcher Art diese Aufführung ist (“Music”). Die Situation scheint auf den ersten Blick trivial: Der Zuschauer sieht eine Frau, die als mechanische Puppe auftritt, die wiederum eine Frau simuliert. Um den Reiz dieser Vorführung zu erhellen, wird im Folgenden zunächst die allgemeine Struktur von mehrstufigen Darstellungen und anschließend der Sonderfall der Verwechslungen von Belebtem und Unbelebtem skizziert. Sobald vielfältige Darstellungsverfahren bereitstehen, sind mehrstufige Darstellungen möglich, die dem Rezipienten besondere Verstehensleistungen abfordern. Die einfachste Variante sind Darstellungsketten ohne Verzweigungen. Ein einprägsames Beispiel hierzu sind die vielfältigen Umsetzungen von Dürers Zeichnung Betende Hände (1508). Die unterste Ebene sind hier die abgebildeten menschlichen Hände selbst, wobei es unerheblich ist, ob Dürer mit einem Modell oder aus der Erinnerung gearbeitet hat. Vor allem nach dem 2. Weltkrieg wurde Dürers Zeichnung als eine “wahre Ikone der Deutschen” (Decker 1989: 282), die “in Zeiten kollektiver Identitätskrisen eine Orientierungshilfe zu geben vermochte” (ebenda 284), zur Vorlage zahlloser Reliefdarstellungen, die als Wandschmuck gedacht waren. Einige Reliefs imitieren Edelmetalle wie Silber oder Bronze einschließlich der typischen Bearbeitungsspuren, so dass der Hintergrund wie gehämmert wirkt, andere sind Kunststoffabgüsse von geschnitzten Modellen. Alle diese Beispiele geben also die zweidimensionale Zeichnung als dreidimensionales Relief wieder. Eine weitere Stufe fügt Decker (1989) selbst hinzu, denn durch die Photos der Reliefs kehrt die Darstellung wieder zur ursprünglichen Zweidimensionalität zurück. Semiotisch wesentlich komplexer sind Darstellungsketten mit Verzweigungen. Ein wohlbekanntes Beispiel hierfür sind gestellte Urlaubsphotos, auf denen eine Person den Ort der Aufnahme auf einer ausgebreiteten Landkarte zeigt. Auf solchen Photos ist die Landschaft nämlich zweifach zu sehen: als Darstellung erster Stufe im Hintergrund des Photos, und als Darstellung zweiter Stufe auf der vom Photo abgebildeten Landkarte. Während in der Reihe <Landschaft - Landkarte - Photo> alle beteiligten Objekte unterschiedlichen Objekttypen angehören, liegt die Besonderheit der hier untersuchten Music-Show darin, dass in der Reihe <Frau - Puppe - Frau> der Objekttyp <Frau> zweimal auftritt. Dennoch liegt semiotisch gesehen keine Rückkehr zum Ausgangspunkt vor, weil für jede Ebene bestimmte Verweisbezüge charakteristisch sind. Das Erkennen dieser Mehrstufigkeit bewirkt, dass man die Aktivitäten der Akteurin Miriam nicht als normale Handlungen (gehen, winken, zwinkern) interpretiert, sondern als Darstellungen von Darstellungen solcher Handlungen. Tanz, Geschlecht, Identität 321 Um diese Zweistufigkeit besser zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick auf die filminterne Konstellation des Spielfilms Victor - Victoria (Blake Edwards 1982), in dem ebenfalls der Ausgangszustand nur scheinbar wiederhergestellt wird. Die Heldin des Films, die arbeitslose Schauspielerin Victoria (gespielt von Julie Andrews), gibt vor, der Mann Victor zu sein, der wiederum in einem Nachtclub als Damenimitator auftritt. Durch diese “Rückkehr zum Ausgangsgeschlecht” herrscht aber keineswegs Aufrichtigkeit, vielmehr verursacht die zweifache Manipulation der eigenen Geschlechtsrolle eine Vielzahl von emotionalen Turbulenzen. Da dem Show-Publikum nur die zweite Vorspiegelung bekannt ist, Victoria aber emotional eine heterosexuelle Frau bleibt, kommt es zu gegenläufigen Missverständnissen. Einerseits erhält sie in ihrer Rolle als (attraktiver) Mann unerwünschte Anträge sowohl von Frauen als auch von homosexuellen Männern, andererseits wird ihre eigene Zuneigung zu einem machohaften Gangsterboss nicht erwidert, da dieser sie zwar als Frau attraktiv fand, sich aber degoutiert (vor sich selbst schaudernd? ) von ihr abwendet, sobald sie sich nach ihrem Auftritt (scheinbar) als Mann zu erkennen gibt. Da der von Victoria begehrte Mann jedoch relativ früh ihr wahres Geschlecht herausfindet, wird im Film nicht die radikale Frage gestellt, ob das Geschlecht des Anderen für die erotische Liebe nicht belanglos ist. Für das Film-Publikum besteht der Witz darin, dass es von Anfang an auch die erste Vorspiegelung kennt, die dem Show-Publikum verborgen bleibt. Als weiterer Rahmen kommt die filmexterne Konstellation hinzu, in der Julie Andrews die mehrschichtige Gestalt <Victor - Victoria> spielt (siehe Abbildung 1). filmintern filmextern dargestellte Sängerin dem Show-Publikum bekannte Vorspiegelung Damenimitator Victor Julie Andrews dem Film-Publikum bekannte Vorspiegelung arbeitslose Schauspielerin Victoria Abb. 1: Die semiotische Struktur des Films Victor - Victoria. Dagmar Schmauks 322 Im Gegensatz zu den Vorspiegelungen Victorias, die innerhalb des menschlichen Bereichs bleiben, tut Miriam so, als sei sie eine Spieldosen-Ballerina, also etwas Unbelebtes. Obwohl die Unterscheidung von Belebtem und Unbelebtem noch elementarer ist als die in Victor - Victoria spielerisch manipulierte Geschlechtlichkeit, wird auch sie in zahlreichen Verwirrspielen in Frage gestellt. Unklare Fälle lösen starke Emotionen aus, deren Art von der jeweiligen Situation abhängt. Für eine genauere Beschreibung solcher Verwechslungen erweist es sich als hilfreich, die Termini “falsch positiv” und “falsch negativ” aus der medizinischen Diagnostik zu übernehmen. Wird zum Beispiel das Blut eines Patienten auf bestimmte Viren hin untersucht, so gibt es insgesamt vier Fälle. In den beiden unproblematischen wird das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein der Viren korrekt nachgewiesen. Problematisch sind demgegenüber die beiden Abweichungen zwischen dem wirklichen Zustand und dem Befund: im falsch positiven Fall gibt der Test fälschlicherweise das Vorhandensein von Viren an, während er im falsch negativen Fall ihr Vorhandensein übersieht (bzw. fälschlicherweise ihr Nichtvorhandensein behauptet). Wenn gefragt wird, ob ein Gegenstand lebendig ist, so erweist sich in falsch positiven Fällen etwas vermeintlich Lebendiges bei genauerer Prüfung als unbelebt. Hier betrachtet werden allerdings nur Fälle, in denen etwas Lebendiges in anderem Material nachgeahmt wurde (zum übergeordneten Problem des Verwechslung von Original und Darstellung vgl. Schmauks 2001); das ganz anders gelagerte Problem der Todesfeststellung mit ihren heute oft nur noch instrumentell nachweisbaren Kriterien wird ausgeklammert. Das entscheidende Kriterium hier ist die Tatsache, dass eine Reaktion auf unsere Interaktionsversuche ausbleibt: die vermeintliche Katze ist nur ein “naturgetreues” Spieltier aus Plüsch, und die von uns in einem schlecht beleuchteten Laden um Hilfe gebetene vermeintliche Verkäuferin ist nur eine Schaufensterpuppe. Umgekehrt erweist sich in falsch negativen Fällen etwas vermeintlich Lebloses als lebendig, wobei das Kriterium hier in Eigenbewegungen oder Lautäußerungen besteht. Wie stark uns dies beunruhigt, hängt unter anderem von den beteiligten Sinnesmodalitäten ab. Bei bloßem Sichtkontakt sind wir nur fasziniert, etwa wenn wir erstmals Blattheuschrecken in einem Terrarium sehen. Manchmal werden Fehlannahmen ganz gezielt zuerst suggeriert und dann widerlegt, etwa im Pariser Musée Grévin, an dessen Kasse ein bretonischer Bauer steht, der erkennbar eine Wachsfigur ist, während im Halbdunkel der Innenräume eine vermeintliche Replik dieser Figur unvermittelt den geschockten Besucher anspricht. Manche Scherzartikel oszillieren eine Weile zwischen beiden Deutungen, etwa die haarige Spinne, die zwar spontan als Nachahmung erkannt wird, sich dann aber doch bewegt, so dass wir erst nach Entdecken ihres Antriebssystems endgültig beruhigt sind. Berührungskontakte mit dem nur scheinbar Leblosen können tiefes Entsetzen auslösen, denn es widerspricht unseren grundlegendsten Überzeugungen, dass unbelebte Objekte (einschließlich von Pflanzen) sich plötzlich heftig bewegen. Zum Glück für unsere geistige Gesundheit finden wir in der Regel eine Erklärung, die in unser Weltbild passt: der in unserer Hand “zappelnde” Pflanzenteil ist eine Samenschote des Springkrauts, und der sich beim Herausziehen heftig “sträubende” Holzsplitter in unserer Haut ist eine Zecke. Was aber würden wir tun, wenn unser Schreibtisch wirklich (und nicht nur im Traum) aus dem Zimmer stelzen oder ein Buch mit Flügelschlag durchs Fenster verschwinden würde? Wie tief die Differenz von Leben und Tod mit unserer Körperlichkeit zusammenhängt, wird durch die Tatsache belegt, dass Eigenbewegung zum Fetisch werden kann, und zwar ebenfalls in ernsthaften und spielerischen Varianten. Bei Fesselungsspielen wird je nach Tanz, Geschlecht, Identität 323 Besetzung der eigenen Rolle völlige Kontrolle oder völlige Unterwerfung angestrebt, während im pathologischen Extremfall der Nekrophilie ein Partner gesucht wird, der gar keinen Einfluss ausüben kann. Das Grauen vor dem vermeintlichen Lebendigwerden von Objekten löst sich also auf, sobald die zugrundeliegende Fehlannahme erkannt wird. Im umgekehrten Fall des Übergangs vom Leben zum Tod gibt es diesen Trost nicht. Wer könnte je den Moment vergessen, da ein Mensch, den wir zuvor noch als warm und atmend erfahren haben, in den Bereich der toten Objekte überwechselt? Aber selbst dieser Schmerz bewirkt nicht unbedingt, dass wir die grundlegende Grenze aufheben möchten. Hinsichtlich der Frage, ob Tote auferstehen sollen, legen die Erzählungen von Lazarus und Jairi Töchterlein die entgegengesetzte Antwort nahe wie einschlägige Gruselstories. Das Schaudern vor Vampiren, Zombies und anderen Untoten hat letztlich dieselbe Quelle wie das flüchtige Unbehagen beim Essen, wenn das Wiener Schnitzel auf unserem Teller vorübergehend das Bild eines lebenden Kälbchens hervorruft. 3. Schauspielerische Verwandlung als Zeichenprozess Nach diesen Vorüberlegungen kann nun im Detail herausgearbeitet werden, wie Miriam ihre “Verwandlung” in eine Spieldosen-Ballerina bewirkt. Wie jeder Schauspieler muss sie die statischen und dynamischen Merkmale des Dargestellten übernehmen, um aus Sicht des Zuschauers glaubwürdig zu wirken. Solche Verwandlungen können unter anderem danach gegliedert werden, wie groß der “ontische Abstand” zwischen dem Schauspieler und seiner Rolle ist. In den meisten Theaterstücken stellt er einen anderen (realen oder fiktionalen) Menschen dar, der ein anderes Alter oder das jeweils andere Geschlecht haben oder auch (textintern) in einer anderen Epoche angesiedelt sein kann. In allen Fällen besteht die Verwandlung darin, die Aufmachungs- und Verhaltenskodes der dargestellten Person zu übernehmen (vgl. Posner 1994). Vergleichsweise einfach ist dies bei den statischen Zeichensystemen wie Kleidung, Make-Up und Haartracht, die mit Hilfe von kostümkundlichen Quellen rekonstruierbar sind. Wesentlich anspruchsvoller ist es, die dynamischen Zeichensysteme in gleichgerichteter Weise zu manipulieren. Der Mensch verfügt ohne weitere Hilfsmittel über zwei Zeichensysteme, die ausschließlich mit dem Körper produziert werden, nämlich über das verbale und das nonverbale Verhalten. Das verbale wird vokal-motorisch durch die Stimme produziert, das nonverbale rein motorisch durch Körperbewegungen. Diese werden noch einmal in Teilbereiche gegliedert, etwa nach den beteiligten Körperteilen in Mimik, Blickverhalten und Gestik. Weitere Bereiche wie Berührungs- und Distanzverhalten gehen von Konstellationen mehrerer Objekte aus. Einschlägige sprachliche Beschreibungen unterscheiden verschiedene Stufen der Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle. Im neutralen Fall “spielt” jemand eine Rolle nur, bei tiefer gehender Identifikation “geht er in seiner Rolle auf”. Ein Schauspieler kann jedoch nicht nur andere Menschen “verkörpern”, sondern auch Tiere, Pflanzen oder Außerirdische. Ein Grenzfall ist die Darstellung von etwas Unbelebtem. Sie ist nur dann eine schauspielerische Herausforderung, wenn sich das betreffende Objekt in irgendeiner Weise “verhält”, also Bewegungen oder Laute produziert. Ein Paradebeispiel, nämlich die Darstellung einer Spieldosen-Ballerina, liegt in Miriams Show vor. Im Unterschied zum Show-Publikum im Film Victor - Victoria werden die Zuschauer hier nicht über die Identität der Heldin getäuscht. Bereits das Plakat stellt eine Aufführung in Dagmar Schmauks 324 Aussicht (vgl. Abschnitt 2), ebenso Miriams Ballettkostüm, und ihr sichtbares Umhergehen vor der Show lässt keinen Zweifel daran, dass sie ein echter Mensch ist. Die “Verwandlung” in eine Spieldosen-Ballerina setzt ein, sobald Miriam auf ihrem Podest steht und die Spieldosenmusik erklingt. Spieldosen besitzen einen aufziehbaren Antrieb, dessen Wirkungsweise einen mechanischen Eindruck in beiden produzierten Zeichensystemen bewirkt: dem Stakkotahaften der Musik entsprechen die ruckartigen Bewegungen der Tanzpuppe. Der Reiz der Darstellung besteht semiotisch gesehen darin, dass gerade die Simulation des Mechanischen eine besondere Körperbeherrschung erfordert, und dass die sichtbaren Zeichen der beteiligten Zeichensysteme in scharfem Kontrast zueinander stehen. Während der Aufführung ist der Körper der Tänzerin mehrdeutig: Die Textur ihrer Haut signalisiert Jugend, der grazile Körperbau Anmut, die trainierte Skelettmuskulatur Geschmeidigkeit, so dass das Puppenhafte wie eine Verkleidung wirkt. Umgekehrt ist es gerade die mechanische Bewegung, die vollendete Körperbeherrschung signalisiert und damit wieder gesteigerte Lebendigkeit (vgl. Abbildung 2). Um diese Leistung zu würdigen, muss man die “mechanischen” Körperbewegungen noch genauer betrachten. Bei der Simulation einer Tanzpuppe müssen nicht nur deren ruckartige Bewegungen simuliert werden, sondern auch die eingeschränkten Freiheitsgrade der Gelenke. Dies verlangt eine technische Perfektion bis hin zur Kontrolle von Reflexen, die man normalerweise für nicht aufhebbar ansieht. Während sich etwa beim normalen Gehen der Fuß automatisch und scheinbar stufenlos dem Boden anschmiegt, muss hier auch die Bewegung des Fußes ruckartig und mit gestreckt gehaltener Fußsohle erfolgen. Ebenso schwierig ist es, den Lidschlag zu unterdrücken und die Mimik starr zu halten, selbst wenn in der Umgebung etwas Unvorhergesehenes geschieht. Gerade bei Mimik und Blickverhalten aber zeigt sich eine weitere semiotische Diskrepanz, denn hier wird das Puppenhaft-Mechanische manchmal - und zwar durchaus in Abhängigkeit von der Situation - durch das Menschlich-Absichtsvolle durchbrochen. Der Blick ist in der Regel nicht fokussiert, so dass der Zuschauer nicht den Eindruck hat, als Person ins Auge gefasst zu werden. Andererseits zwinkert Miriam manchmal, was in zwischenmenschlichen Begegnungen immer eine sehr nachdrückliche Form der Kontaktaufnahme ist. Das Ambivalente dieses Zwinkerns wird noch dadurch gesteigert, dass übliche Tanzpuppen gar nicht über ein Blickverhalten verfügen. Die mechanische Art der Bewegung wird also von der Schauspielerin kreativ auf Bereiche ausgedehnt, in denen die Mechanik selbst kein Vorbild bereitstellt. Auch wenn Miriam - wenn auch ohne Mimik und Blickkontakt - einem Kind ein Winken zukommen lässt, wird klar, dass hier kein hochdifferenzierter Roboter mit der Fähigkeit zum Bildverstehen agiert, sondern ein Mensch mit all seinen Wahlmöglichkeiten. Und wenn sie sich den am hingerissensten starrenden Mann aussucht, ruckartig aber lockend die Hand nach ihm ausstreckt, nur um seinen Versuch eines Händedrucks mit dem Zeigen einer langen Nase zu verspotten, wird der Eindruck einer lebendigen und sehr kapriziösen Frau unabweisbar. Tanz, Geschlecht, Identität 325 körperliche Zeichen Bedeutung Textur der Haut Jugend Körperbau Anmut Skelettmuskulatur Trainiertheit Körperbeherrschung “mechanische Bewegung” - keine Mimik - kein Blickkontakt - kein Fuß-Boden-Reflex - ruckartige Bewegungen - eingeschränkte Freiheitsgrade der Gelenke Spieldosen-Ballerina Interaktionsverhalten - Zwinkern - Winken - Verspotten kapriziöse Frau Abb. 2: Körperliche Zeichen in Miriam’s Music-Show. Ferner ist noch festzustellen, dass es auf beiden Ebenen um etwas Typisches und nicht um etwas Individuelles geht. Die Schauspielerin stellt eine typische Tanzpuppe dar, und diese Tanzpuppe wiederum eine typische Frau. Auf jeder der beiden Ebenen könnte zwar auch Individuelles dargestellt werden, seine Identifikation würde aber ein umfangreicheres enzyklopädisches Wissen beim Zuschauer erfordern. Zum einen könnte die Schauspielerin eine bestimmte Puppe verkörpern, etwa die Automatenfrau Olimpia aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann, zum anderen könnte die Puppe in Analogie zu den Wachsfiguren bei Madame Tussaud als bestimmte prominente Persönlichkeit aufgemacht sein. Eine weitere Vertauschung wird sichtbar, wenn man geistig noch einen Schritt zurücktritt und sich selbst als Zuschauer mitdenkt. Dann nämlich erweist sich die vorgebliche Puppe in ihrer sinnlichen Präsenz als das einzige wirklich lebendige Element der Szene, während die passiv konsumierenden Zuschauer plötzlich wie Automaten wirken, von denen etliche gleichzeitig und gleichgerichtet das gleiche Programm zur Herstellung eines Urlaubsvideos abspulen. Folglich erweist sich auch die eigene Rolle als ambivalent: als passiv, weil man nur beobachtet, und als aktiv, weil man die verschiedenen Differenzen reflektiert. Leben und Tod, aktiv und passiv, das unmittelbar Sichtbare und das nur Erschließbare werden in Miriams kleiner Show samt ihren Übergängen vorgeführt und so nimmt man mitten aus dem kommerziell gelenkten Tourismus einen lange nachklingenden Denkanstoß mit nach Hause. Dagmar Schmauks 326 4. Fiktion vs. Täuschung In diesem Abschnitt geht es darum, den semiotischen Unterschied zwischen Fiktionen und absichtlichen Täuschungen deutlicher herauszuarbeiten. Fiktionen sind eigenständige “Welten”, die in die “reale Welt” eingebettet sind und deren Grenzen durch medienspezifische Rahmen- oder Übergangsinformationen gekennzeichnet werden. Am deutlichsten sichtbar sind diese Grenzen bei traditionellen gegenständlichen Gemälden. Sie werden durch einen materiellen Rahmen von ihrer Umgebung abgegrenzt, so dass der Betrachter aus seiner eigenen (“realen”) Welt wie durch ein Fenster in eine andere Welt blickt. Mit dieser “Fenstermetapher” haben Maler seit der Renaissance kreativ gespielt, indem sie die Blickrichtung änderten oder den voyeuristischen Blick ironisch verweigerten (vgl. Müller 1998). Ganz ähnliche Verhältnisse bestehen bei bewegten Medien, denn auch die Theaterbühne oder die Filmleinwand können als Fenster aufgefasst werden, die die Beobachtung zahlloser Leben in anderen Welten erlauben. Mit Hinblick auf die Teilnachrichten auf dem Bildschirm eines Computers spricht man sogar ausdrücklich von “Fenstern”, die man öffnet oder schließt. Hinzu kommen jeweils Rahmeninformationen wie der Titel des Bildes, der Name des Theaterstücks oder der Name der Website, die mitteilen, was im jeweiligen Fenster zu sehen ist. Ein weiteres Mittel der Abgrenzung sind die Kontexte der fiktionalen Welten: in Museen oder Bildbänden rechnet der potentielle Rezipient mit Bildern, in Theatern mit Theaterstücken, in Kinos mit Filmen, und im Internet mit Dokumenten jeglicher Art. Während im Falle der visuellen Medien die Grenzen von eingebetteten “Welten” leicht erkennbar sind, müssen im Medium der Sprache zusätzliche Mittel der Abgrenzung eingesetzt werden. Ein Witz zum Beispiel wird durch bestimmte Formeln wie “Kennt ihr den? ” eingeleitet, wobei vorausgesetzt wird, dass der umfassende Kontext dem Erzählen von Witzen nicht widerspricht. Zitate werden in schriftlichen Texten durch Anführungszeichen, in mündlichen Texten durch eine abweichende Intonation markiert (Posner 1992). Ferner werden schriftliche Texte ebenso wie Bilder durch einen Titel inhaltlich gekennzeichnet. Das gleichzeitige Vorhandensein vieler Genres bringt es jedoch mit sich, dass Rezipienten sich über den Realitätsbezug einer Nachricht täuschen können - sie missverstehen eine fiktionale Biographie als “wahre Geschichte” oder eine Science Fiction Erzählung über eine Invasion von Außerirdischen als aktuelle Sondernachricht (oder auch umgekehrt). Bei allen bisherigen Medien ist ihre Grenze zur realen Welt im Prinzip auszumachen - sogar die gekonntesten Trompe l’oeil-Gemälde sollen schließlich “entlarvt” und als Indiz für die Kunstfertigkeit ihres Herstellers aufgefasst werden. Die neuen Technologien des Cyberspace hingegen wollen durch den Einbezug der bislang ausgeklammerten Nahsinne (Tasten, Schmecken, Riechen) und durch Simulation von sensorischen Rückmeldungen die Grenze zwischen Welt und Fiktion ganz auflösen bzw. ein nahtloses “Eintauchen” in die fiktionale Welt (“immersion”) ermöglichen. Sollte dieser Zustand einmal erreicht werden, müssen die Termini “Realität” und “Fiktion” wieder neu definiert werden (ein Schritt in diese Richtung ist die beliebig manipulierbare digitale Photographie). Aber auch in heutigen Alltagssituationen gibt es zahlreiche Vorspiegelungen, die nicht als solche signalisiert sind. Sie alle wollen den Rezipienten in bestimmter Hinsicht täuschen, wenn auch nicht immer mit schädigender Absicht. Ein wohlbekanntes Beispiel ist die alltägliche Lüge im Medium der Sprache, in der ein Sender einem Empfänger einen Sachverhalt explizit mitteilt oder implizit suggeriert, den er selbst nicht glaubt. Vergleichbare Strategien gibt es in allen anderen Medien, etwa beim Heucheln durch eine gezielt einge- Tanz, Geschlecht, Identität 327 setzte Körpersprache, beim Manipulieren von Photos und Landkarten, und beim Fälschen von Kunstwerken. Täuschungen und Simulationen sind aus unserem Leben kaum mehr wegzudenken. Ein harmloses Beispiel ist die Verwendung von Doubles in Werbespots oder Spielfilmen, die entweder nur bestimmte Körperteile (Hände, Füße usw.) des Protagonisten “liefern” oder ihn ganz ersetzen, wenn eine Szene gefährlich ist oder besondere Fertigkeiten verlangt. In vielen Kontexten vom Gebrauchtwagenkauf bis zum Urlaubsprospekt rechnen wir mit Beschönigungen, und sogar Landschaften haben inszenierte Anteile, wenn wir an die Verwendung von Schneekanonen und an die Aufschüttung von Saharasand an der Südküste Teneriffas denken. Zu den noch umfassenderen Täuschungen zählt die so genannte “Legende” eines Spions, der mit einem völlig neuen (aber möglichst kohärenten) Lebenslauf versehen wird, und die strukturell ganz ähnliche “Lebenslüge”, bei der jemand sogar sich selbst - wenn auch unbewusst - über seine Vergangenheit täuscht. 5. Geschlechtswechsel als Zeichenprozess Als einen weiteren Verwandlungsprozess, der durch die Übernahme der Zeichen des “Zielobjekts” bewerkstelligt wird, beschreibt dieser Abschnitt die wichtigsten Varianten des so genannten “Geschlechtswechsels”. Das Geschlecht eines Menschen wird oft als ein Merkmal angesehen, das untrennbar mit ihm verbunden ist wie Körpergröße und Augenfarbe. Unklare Fälle lösen daher sowohl bei Betroffenen als auch bei Beobachtern starke Gefühle aus. So ertragen Eltern es kaum, ein Kind unklarer Geschlechtszugehörigkeit zu haben, und bitten Ärzte nachdrücklich um Eingriffe, die zumindest äußerlich Eindeutigkeit herstellen (vgl. Weiss 1995). Der Wunsch, die eigene Geschlechtsrolle zu wechseln, hat vielfältige Motive. Früher war es für Frauen ratsam, sich auf Reisen als Männer zu verkleiden, und Filme wie Tootsie, Mrs. Doubtfire und Victor - Victoria (siehe Abschnitt 2) beschreiben einen Geschlechtswechsel aus taktischen Gründen. Karneval und Parties sind besondere Rahmensituationen, in denen ein spielerischer Geschlechtswechsel toleriert wird. Bei der Travestie-Show ist es Bestandteil der Aufführung, dass der Zuschauer die Inszenierung als solche erkennt. Unter “Transvestismus” versteht man ein Ausleben der gegengeschlechtlichen Rolle in Kontexten sexueller Erregung, wobei die Verkleidung teils nur heimlich, teils auch offen geschieht. Transsexualität hingegen ist der Wunsch nach einer dauerhaften und möglichst umfassenden Verwandlung ins Wunschgeschlecht. Beide Varianten werden in der neueren Fachliteratur zusammen mit weiteren Möglichkeiten unter dem Terminus “Transgendering” zusammengefasst (vgl. Ekins und King 1999). Im Folgenden wird Transvestismus als Zeichenprozess skizziert, und zwar eine Verwandlung vom Mann zur Frau (Abbildungen aller dabei verwendeten Artefakte in Schmauks 1999). Diese Wahl hat zwei Gründe. Zum einen ist der Wunsch nach Wechsel der Geschlechtsrolle bei Männern häufiger, was damit zusammenhängen mag, dass die traditionelle Männerrolle das Ausleben “weicherer” Persönlichkeitsmerkmale kaum erlaubt. Zum anderen ist für Männer ein Rollenwechsel schwerer, weil keins der klassischen weiblichen Kleidungsstücke (Kleid, Bluse, Rock) als geschlechtsneutral gilt. Folglich sind männliche Transvestiten auf den Fachhandel angewiesen, um Kleider und Schuhe in ihrer Größe zu kaufen, während Frauen mühelos alle gewünschten Kleidungsstücke (Jeans, Hemden, Westen, Lederjacken) in Abteilungen mit “Unisex”-Mode finden. Dagmar Schmauks 328 Ein erster Verwandlungsschritt ist das Verbergen der primären männlichen Geschlechtsmerkmale durch ein Cache-Sex. Besondere Formen von Halsschmuck verdecken den Adamsapfel sowie Abdeckcremes den Bartwuchs. In einem zweiten Schritt werden Merkmale des Wunschgeschlechts simuliert. Künstliche Brüste und Latexslips mit eingearbeiteter Vulva sollen gewährleisten, dass auch der nackte Körper weiblich aussieht. Taillenmieder formen den Körper nach dem Vorbild des “Sanduhr”-Stereotyps, und gepolsterte Miederhöschen sorgen für weibliche Rundungen an Hüften und Gesäß. Die so bewirkte äußere Verwandlung muss durch gleichgerichtete Verhaltensänderungen ergänzt werden. Audiokassetten lehren eine weibliche Stimmführung, während Videos in die weibliche Körpersprache einführen. Diese umfasst nicht nur Mimik und Gestik, sondern auch Körperhaltungen wie Stehen und Sitzen, elementare Bewegungsmuster wie Gehen und Aufstehen, und ganze Handlungskomplexe wie Grüßen, Essen und Trinken. Da sich sowohl das hergestellte Aussehen als auch das gelernte Verhalten an Stereotypen orientiert, wirkt der Transvestit meist weiblicher als eine burschikose “Bio-Frau”. Ein kommerzielles Angebot sind so genannte “Change-away days” in professionellen Verwandlungsstudios, bei denen der Kunde für einige Stunden in seine Wunschrolle schlüpft (vgl. Schmauks 1999: 314ff). Die katalogartig angebotenen Rollen zielen auf eine möglichst demonstrative Weiblichkeit, die sexuell unwiderstehlich ist (“aufregendes Callgirl”) oder gerade einen Initiationsschritt vollzieht (“hinreißende Braut”). Die momentane Verwandlung wird auf Wunsch mit Video aufgezeichnet, um zu dokumentieren, wie reizvoll man im Gegengeschlecht aussieht. Wenn jedoch von weitem ein dauerhafter Geschlechtswechsel in Erwägung gezogen wird, erhalten dieselben Handlungen des Verkleidens und Auftretens-Als den Charakter eines Tests. Bevor sich jemand im Wunschgeschlecht an die Öffentlichkeit wagt, probiert er allein oder im kleinen Kreis verschiedene Stereotype dieses Geschlechts aus. Im Unterschied zum Transvestiten beabsichtigt der Transsexuelle einen dauerhaften und irreversiblen “Geschlechtswechsel”, den er als ein Herstellen des “eigentlichen” Geschlechtes empfindet. Das Motiv ist hier eine tief greifende Identitätsstörung mit großem Leidensdruck; häufig wird von Betroffenen geklagt, sie seien dazu verurteilt, “im falschen Körper zu leben”. Hierbei ist zu beachten, dass Geschlecht keineswegs ein eindimensionales Merkmal ist, bei dem jeder eine feste Position zwischen den Polen “weiblich” und “männlich” einnimmt. Vielmehr besteht Geschlecht aus vielen Facetten, die in ganz unterschiedlichem Ausmaß gezielt veränderbar sind (vgl. Pfäfflin 1999: 292ff). Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft unveränderbar ist das genetische bzw. Chromosomengeschlecht. Fast unveränderbar sind auch geschlechtsspezifische anatomische Merkmale wie Körpergröße, Form des Beckens und das (Nicht-)Vorhandensein eines Adamsapfels. Der hormonelle Status ist nur durch ständige Zufuhr von Hormonen des Gegengeschlechts änderbar. Die primären Geschlechtsmerkmale sind chirurgisch “umwandelbar”, wobei die Reproduktionsfähigkeit verlorengeht, die Orgasmusfähigkeit aber erhalten bleiben kann. Die sekundären Geschlechtsmerkmale sind ebenfalls chirurgisch, aber auch hormonell veränderbar, denn durch Zufuhr weiblicher Hormone wachsen Brüste. Die Stimme ändert sich ebenfalls bereits im Laufe dieser Hormonbehandlung und kann durch gezielte Schulung weiter der des Wunschgeschlechts angepasst werden. Die Körpersprache ist (wie beim Transvestismus) gezielt lernbar, insoweit sie bewusst gemacht werden kann. Die Körperhüllen schließlich (Haut und Haare, Schmuck, Kleidung, Umfeld) sind frei gestaltbar, wobei sich jedoch die Wahl wiederum an Stereotypen orientiert. Die Beispiele belegen eine große Bandbreite von Verwandlungen, die auch hier danach angeordnet werden können, wie transparent der Verwandlungsprozess aus Sicht des Betrach- Tanz, Geschlecht, Identität 329 ters ist. In einer Travestie-Show wird es als Teil der Kunstfertigkeit der Darsteller empfunden, wie schnell, geschickt und überzeugend sie sich in glamouröse Frauen verwandeln können. Falls also das Publikum gar nicht bemerken würde, dass es sich um verkleidete Männer handelt, würde der Witz der Aufführung verfehlt. Bei der Transsexualität hingegen lassen sich ganz verschiedene Weisen des Umgangs mit dem Wechsel der Geschlechtsrolle nachweisen. Sehr selbstbewusste Personen stellen ihre Motive und die Schritte der operativen Umwandlung in Texten oder Talkshows dar und können “sich selbst” als eine Person empfinden, die zeitlich nacheinander in beiden Geschlechtern existierte. Andere wechseln nach den entscheidenden Schritten den Wohnort und den Freundeskreis und beginnen so wirklich ein “zweites Leben” mit einer neuen (auch juristischen) Identität. Literatur Decker, Bernhard (1989): “Die Geburt der ‘Betenden Hände’ - originalidentisch”. In: Jörg Huber, Martin Heller und Hans U. Reck (eds.): Imitationen. Nachahmung und Modell: Von der Lust am Falschen. Basel u.a.: Stroemfeld/ Roter Stern: 282-289. Ekins, Richard und Dave King (1999): “Towards a Sociology of Transgendered Bodies”. Sociological Review 47,3: 580 - 602. Müller, Axel (1998): “Albertis Fenster. Gestaltwandel einer ikonischen Metapher”. In: Klaus Sachs-Hombach und Klaus Rehkämper (eds.): Bild - Bildwahrnehmung - Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag: 173 -183. Pfäfflin, Friedemann (1999): “Facetten von Geschlechtsumwandlung”. Zeitschrift für Semiotik 21: 281-304. Posner, Roland (1992): “Zitat und Zitieren von Äußerungen, Ausdrücken und Kodes”. Zeitschrift für Semiotik 14: 3 -16. Posner, Roland (1994): “Der Mensch als Zeichen”. Zeitschrift für Semiotik 16: 195 -216. Schmauks, Dagmar (1995): “Eine Frau ist eine Puppe ist eine Frau”. Conceptus 72: 141-145. Schmauks, Dagmar (1999): “Die Rolle von Artefakten beim Geschlechtswechsel”. Zeitschrift für Semiotik 21: 305 -324. Schmauks, Dagmar (2001): Verwechslungen von Urbild und Abbild. Memo Nr. 43, FR Philosophie, SFB 378, Univ. Saarbrücken. Schmauks, Dagmar und Friedemann Pfäfflin (eds.) (1999): Geschlechtswechsel. Zeitschrift für Semiotik 21, 3 - 4. Weiss, Meira (1995): “Fence Sitters: Parents’ Reactions to Sexual Ambiguities in Their Newborn Children”. Semiotica 107: 33 -50.