Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
273-4
Neues zur literarischen Übersetzung
121
2004
Klaus Kaindl
kod273-40311
Review Article Neues zur literarischen Übersetzung Klaus Kaindl Der vorliegende Band fasst die Forschungsbemühungen und -ergebnisse des Göttinger Sonderforschungsbereichs 309 “Die literarische Übersetzung” zusammen. 1 Der SFB wurde 1985 gegründet und befasste sich mit der “Erforschung der Übersetzung als Übersetzung, also gewissermaßen als grenzüberschreitender Verkehr zwischen zwei Sprachen, Literaturen und Kulturen.” (Frank 1987: XIII). Der SFB bestand 12 Jahre, wobei nach 1996 noch eine Reihe von Anschlussarbeiten, die ebenfalls in den Ergebnisband integriert sind, durchgeführt wurden. Insgesamt wurden in der eigens dafür gegründeten Reihe 18 Bände publiziert, in denen eine beeindruckende Palette literarischer Genres, von Lyrik über Romane und Kurzgeschichten bis hin zu Theaterstücken unter verschiedenen Blickwinkeln mit Hilfe eigens dazu entwickelter theoretischer Ansätze und Modelle analysiert wurde. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich dabei vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Ziel des SFB war es, einen Beitrag zur Kulturgeschichte der Übersetzung zu liefern. Anhand von Fallstudien und zum Teil großen Übersetzungscorpora sollte so die Rolle und Funktion der Übersetzung in der deutschen Literaturgeschichte erhellt werden. Dieser letzte Band gibt einen Überblick über die Gesamtheit der verschiedenen Projekte und fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Die Konzeption und Durchführung der Projekte fiel in die Zeit der Emanzipationsbestrebungen der Übersetzungswissenschaft, in der sich das Fach von seinen ausgangstextfixierten philologischen Mutterdisziplinen emanzipierte und eine Reihe von zieltextorientierten und kultursensitiven Ansätzen entwickelte (vgl. Reiß/ Vermeer 1984; Toury 1980; Hermans 1985). Die Umbruchszeit spiegelt sich auch in der theoretischen Ausrichtung des Göttinger Sonderforschungsbereiches wider, der eine eigene Position zwischen traditionellen philologischen und funktional-systemorientierten Ansätzen einzunehmen versucht. Diese theoretische und methodologische Positionierung wird im ersten, sehr umfassenden Aufsatz “Der Transferansatz in der Übersetzungsforschung” von Armin Paul Frank / Harald Kittel dargelegt. In einer kurzen - und zum Teil auch verkürzenden - Darstellung des Forschungsstandes zur literarischen Übersetzung werden zunächst die präskriptiven Ansätze der ausgangstextorientierten philologischen Übersetzungswissenschaft als für literarische Übersetzungsforschungen unbrauchbar verworfen. Auch die vermeintliche Fixierung der systemorientierten Descriptive Translation Studies auf den Zieltext als primären Untersuchungsgegenstand wird problematisiert, da dieser jene Aspekte unberücksichtigt lässt, die der Sonderforschungsbereich in den Mittelpunkt rückt, nämlich: “den Entstehungszusammenhang K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 27 (2004) No. 3-4 Gunter Narr Verlag Tübingen Klaus Kaindl 312 des Werks als auch den seiner Übersetzung(en) unter besonderer Berücksichtigung der Schwierigkeiten, der Wechselhaftigkeit und der Chancen der übersetzerischen Überwindung der Unterschiede zwischen zwei Sprachen, Literaturen und Kulturen” (Frank/ Kittel, S. 5). Folglich wird Übersetzung immer auch mit einer Übersetzungsvorlage gekoppelt und unter dem Aspekt des Transfers untersucht. Auf der Grundlage des Transfergedankens werden eine Reihe von Konzepten entworfen, mit denen Übersetzung als eine eigene Geschichte, die sowohl in einer Kultur als auch zwischen Kulturen spielt, analysiert werden soll. Im Spannungsfeld von Ausgangs- und Zielnation einerseits sowie Internationalität andererseits vollzieht sich für den SFB die Übersetzung im Kontext von Netzen und Regimen. Erstere umfassen all jene Instanzen, die an der Vermittlung von Übersetzungen beteiligt sind, zweitere die “Grundsätze, Verfahren und Normen” (Frank/ Kittel S. 15), die mit dem Austausch literarischer und übersetzter Werke verbunden sind. Indem Transfer immer auch Transformation bedeutet, wendet sich die Arbeit explizit vom - philologischen - Äquivalenzprinzip ab und spricht der Übersetzung eine “‘kulturschaffende Differenz’” (Frank/ Kittel S. 20) zu, durch die die “Lesekultur” - ein weiterer Schlüsselbegriff in der Übersetzungsforschung - beeinflusst werden kann. Die Unterschiede, die sich zwischen Original und Übersetzung notwendigerweise ergeben, manifestieren sich sowohl auf der sprachlichen, literarischen als auch kulturellen Ebene. Zur weiteren Strukturierung der Übersetzungsforschung wird in der Folge zwischen äußerer und innerer Übersetzungsgeschichte unterschieden. Erstere ähnelt sehr stark dem Konzept der “preliminary norms”, wie sie von Toury (1980) postuliert wurden. Diese umfassen Fragen wie z.B., was wurde übersetzt, was nicht, aus welchen Sprachen, wie oft etc. Zweitere gehen auf das konkrete Textmaterial ein, das, ähnlich wie bei Tourys “operational norms” sowohl auf makroals auch mikrotextueller Ebene untersucht wird. Die im Sonderforschungsbereich durchgeführten Studien nahmen entweder sämtliche Übersetzungen eines Werkes in den Blick (sogenannte Kometenschweifstudien) oder konzentrierten sich auf die Übersetzungen eines Übersetzers (übersetzerorientierte Studien) bzw. Autors (autororientierte Studien) oder gingen von strukturierten Corpora aus (repertoireorientierte Studien). Die Analysemethode wird durch eine Übersetzungshermeneutik bestimmt, die ein kontextualisierendes Untersuchen der Differenzen zwischen Ausgangstext und Zieltext mit Hilfe von Normen ermöglicht. Diese werden als “Anforderungen, unter denen ein Übersetzer steht” (Frank/ Kittel S. 54 Hervorhebung i.O.) beschrieben und je nach Verbindlichkeit in absolute und relative Normen differenziert. Damit unterscheiden sie sich einerseits vom Normenkonzept, wie es Toury (1980) vorgeschlagen hat, andererseits ließen sich hier auch Überschneidungen zu Hermans (1997) Unterscheidung von Normen und Konventionen herstellen. Auch das vom Sonderforschungsbereich eingeführte Konzept der “Portale”, die den innovativen Einfluss von Übersetzungen auf die Literaturproduktion der Zielkultur meinen, kann mit der von Even-Zohar (1978) im Rahmen seiner Polysystemtheorie entwickelten “sekundären Funktion” von Übersetzungen korreliert werden. Diesen theoretischen und methodologischen Grundsätzen sind die in diesem Band zusammengefassten Projekte verpflichtet, die in zwei Teilen präsentiert werden. Zunächst werden insgesamt vier früh abgeschlossene Projekte vorgestellt, danach werden jene drei Arbeitsfelder, die kontinuierlich während der Existenz des Projekt bearbeitet wurden (Poetik und Rhetorik des Fremden, Drama und Theater, Weltliteraturanthologien und -serien) ergebnishaft zusammengefasst. Zu den früh abgeschlossenen Projekten gehören die sogenannten “Kometenschweifstudien”, die von Armin Paul Frank und Brigitte Schultze beschrieben werden. Hier beschäftigte man sich mit historischen “Reihen von Mehrfachübersetzungen desselben Werks Neues zur literarischen Übersetzung 313 in ein und demselben Literatur-, Sprach- und Kulturpaar” (Frank/ Schultze, S. 73). Dabei wurden sowohl innere als auch äußere Übersetzungsgeschichte von Versübersetzungen (u.a. Werke von T.S. Eliot, E.A. Poe), Kurzprosaübersetzungen (von Herman Melville), Dramenübersetzungen (u.a. Molière, Gogol, Strindberg) untersucht. Besonders innovativ sind in diesem Zusammenhang sogenannte integrierte Studien, in denen Werke mehrerer Autoren (in diesem Fall die fünf am häufigsten übersetzten US-amerikanischen Kurzgeschichten) zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hier wird das komplexe und komplizierte Zusammenspiel von historischen Voraussetzungen, zielkulturellen Gegebenheiten und übersetzerischer Individualität besonders deutlich gemacht. Diese Komplexität und die daraus resultierenden oft gleichzeitig existierenden unterschiedlichen Übersetzungskonzeptionen und -strategien führen die Autoren auch dazu, das Postulat einer Übersetzungsgeschichte im Sinne einer linearen Entwicklungsgeschichte in Frage zu stellen. Wilhelm Graeber legt eine Forschungsbilanz zum Thema Übersetzungen aus zweiter Hand vor. Der Fokus lag dabei auf der Rolle, die das Französische bei der Vermittlung englischer Literatur einnahm. Nach einem Überblick zum Forschungsstand werden die Gründe analysiert, die dazu führten, dass im 18. Jahrhundert immer wieder nicht das englische Original, sondern die französische Übersetzung als Vorlage für die deutsche Fassung diente. Hierbei spielten sowohl geistesgeschichtliche als auch literaturhistorische und verlegerische Faktoren eine Rolle. Wie sich das Übersetzen englischer Texte über den französischen Umweg in poetologischer aber auch wirkungsästhetischer Hinsicht auswirkte, wird danach anhand einer Fallstudie exemplarisch vorgeführt. Zu den übersetzerorientierten Studien gehört das Projekt “Knotenpunkt Übersetzer: Übersetzen aus mehreren Sprachen und Literaturen als Problem des Übersetzers”, das von Fritz Paul resümiert wird. Anhand von Übersetzern aus mehreren Sprachen sollte dabei der Einfluss des Individualstils eines Übersetzers auf seine Arbeit untersucht werden. In verschiedenen Versuchsanordnungen und Genres, in denen der Dichter und Übersetzer Adolf Strodtmann im Mittelpunkt steht, wurde dabei das Spannungsfeld zwischen Individualstil und literarischen Normen ausgelotet. Harald Kittel fasst die Ergebnisse des Projekts “Übersetzte Erzählprosa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts” zusammen, in dem Stilfragen und stilistische Verfahren den Mittelpunkt bildeten. Anhand der Erlebten Rede wurde in französischen und russischen Romanen und ihren Übersetzungen untersucht, wie sprachlich-grammatikalische Systemunterschiede in der Übersetzung zu anderen Interpretationen der Erzählung führen. So wurden z.B. der “style indirect libre”, wie ihn Flaubert und Zola verwendeten, sowie die spezifische Erzählperspektiven bei Dostojevski und Joseph Conrad und die Wiedergabe in deutschen Übersetzungen analysiert. Auch hier kamen die beteiligten Forscher zum Ergebnis, dass beim übersetzerischen Umgang mit Erzähltechniken keine lineare Entwicklung, die sich an den Normen literarischer Systeme orientiert, feststellbar war, was zu dem Schluss führte, dass “die Entscheidungen der individuellen Übersetzerpersönlichkeit als zugleich interpretierender und gestaltender Instanz den höheren Erklärungswert besitzen.” (Kittel S. 135) Dem Abschnitt “Poetik und Rhetorik des Fremden”, dem ersten der drei kontinuierlichen Arbeitsfelder des SFB, ist zunächst ein Grundsatzartikel von Horst Turk vorangestellt, in dem die gegenseitige Befruchtung von Literatur- und Übersetzungswissenschaft sowie die verschiedenen Möglichkeiten der Übersetzungsanalyse und -interpretation dargestellt werden. Die Öffnung der Literaturgeschichtsschreibung wird danach von Doris Bachmann-Medick anhand der Beschreibung des Projekts “Das Fremde” veranschaulicht. Die Übersetzung als kulturelles und soziales Geschehen, die Beziehung zwischen Kultur und Übersetzung, die Klaus Kaindl 314 Rolle der Übersetzung bei der Internationalisierung von Literaturen bildeten das weite Untersuchungsfeld dieses Projekts. Ausgehend von einer Begriffsdifferenzierung von Fremdheit und Andersheit wurde die Übersetzung als eine Kontaktgeschichte zwischen Kulturen betrachtet. Auf die Ausweitung des Analyserahmens auf die kulturelle Bedingtheit und die Erweiterung des Übersetzungsbegriffs in Richtung auf eine “kulturelle Übersetzung” (Bachmann-Medick S. 164), reagierten die Projektteilnehmer mit der Integrierung ethnologischer Erkenntnisse. Der Umgang bzw. die Konstruktion “des Anderen” wurde dabei sowohl im (post)kolonialen Kontext im Hinblick auf den Einfluss von Machtbeziehungen auf die kulturelle Bedeutungsproduktion als auch im Hinblick auf die Rolle der Übersetzung in der literarischen Kanonbildung untersucht. Ein sowohl vom Umfang als auch der Komplexität her gewichtiges Projekt stellt das zweite kontinuierliche Arbeitsfeld des SFB, die Übersetzung von Drama und Theater dar, das von Brigitte Schultze und Bärbel Fritz in jeweils einem Artikel zusammengefasst wird. Die Komplexität ergab sich dabei einerseits aus dem Untersuchungsmaterial, das nicht nur den sprachlichen Transfer, sondern auch die szenische Realisierung umfasste, andererseits aus der Organisationsform des Projekts, das vor allem in der späteren Phase mehrere Philologien koordinierend zusammenführte. Schultze stellt den Forschungskatalog vor, der von sozialen und theatralen Konventionen in Theatertexten (z.B. Anredeformen, Wort- und Bildzitaten bis hin zu Lachkulturen) über die Erforschung der theatralen Kommunikationskette bis hin zu den theatralen Institutionen und ihrem Einfluss auf die Übersetzung reichte. Als Sprachräume wurden neben dem Deutschen als Zielsprache das Englische, romanische, skandinavische und slawische Sprachen sowie das Ungarische einbezogen. Untersucht wurden Theaterstücke vom Ende des 16. bis zum 20. Jahrhundert. Im Anschluss an die konzeptionelle Vorstellung des Projkets skizziert Schultze abschließend die Perspektivenerweiterungen, die die theatrale Übersetzungsforschung sowohl für die Literaturals auch die Theaterwissenschaft in theoretischer und rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht bieten könnte. Bärbel Fritz konzentriert sich auf die Bedeutung und die Stellung, die Übersetzungen in der deutschsprachigen Theaterlandschaft einnahmen sowie die Art und Weise, wie fremdkulturelle Theatertexte in der Zielkultur präsentiert wurden. Dazu wurden soziologische Ansätze, wie sie Bourdieu formulierte, zur Analyse der Bedeutung theatraler Institutionen für die Übersetzung herangezogen. Ausführlich bearbeitet wurden von den Projektteilnehmern Fragen nach dem Umgang mit der Genrespezifik als auch mit theatralen und sozialen Konventionen beim Kulturtransfer. Tendenziell ergaben die Untersuchungen, dass gattungsgeschichtlich nicht eindeutig zuordenbare Ausgangstexte in den Übersetzungen “homogenisiert” und innovative Elemente in Gattungen “nivelliert” wurden (Fritz S. 236). Mit Hilfe der theatralen Konventionen, die sich auf dramaturgische, inszenatorische und gattungspoetische Bereiche erstrecken sowie sozialen Konventionen, die soziale Interaktionsmuster im weiteren Sinne umfassen, war es möglich, eine ganzheitliche Analyse, die sowohl die schriftliche Vorlage, den interlingualen und intersemiotischen Transfer sowie die Aufführung umfasst, zu realisieren. Das dritte und letzte kontinuierliche Arbeitsfeld des Sonderforschungsbereichs stellten Weltliteraturanthologien dar. Übersetzungsanthologien hatten vor allem im Deutschland des 19. Jahrhunderts große Bedeutung. Initialzündung hatte dabei zweifelsohne die Romantik mit ihrem Interesse an Übersetzungen und fremden Literaturen. Armin Paul Frank und Harald Kittel beschäftigen sich in ihren jeweiligen Beiträgen mit den methodischen und theoretischen Prämissen übersetzungsbezogener Anthologieforschung. Bereits die Auswahl von fremdsprachigen Texten und ihre Anordnung in Anthologien ließen Rückschlüsse auf Funktion und Bedeutung der ausgewählten Werke für das zielkulturelle System erkennen. Die im Beitrag Neues zur literarischen Übersetzung 315 von Armin Paul Frank aufgelisteten Fragestellungen des Projekts bezüglich der Auswahl und Reihung von Texten für Anthologien umfassten sowohl Sprachen, Gattungen, Autoren und Werke. Harald Kittel zeigt in seinem Artikel die Verbindungslinien zwischen Übersetzungsforschung und literaturhistorischer Forschung, die gerade bei Anthologien übersetzter Literatur stark ausgeprägt sind, da diese “den Knotenpunkt von Übersetzen und Anthologisieren bilden” wodurch “in ihnen Interpretation und Formung, die beiden generativen Prinzipien literarischen Übersetzens, verstärkt zur Geltung” kommen (Kittel, S. 270). Im Anschluss wird von Helga Eßmann ein zentraler Bereich des Projekts vorgestellt, die Analyse von Versanthologien, die in der deutschen Tradition einen besonderen Stellenwert einnahmen. Nach einem kurzen Überblick zur Anthologieforschung und einer breit gehaltenen Arbeitsdefinition wird die Forschungskonzeption dargelegt. Die Arbeit wurde auf Weltdichtungsanthologien des 19. und 20. Jahrhunderts beschränkt, die regionale Reichweite war für das Projekt dabei wichtiger als historische Tiefe. Besonderen Raum nimmt in Eßmanns Überblick die Frage nach der Rolle und Funktion der Übersetzung für die Auswahl ein. Eine interessante Erkenntnis stellt in diesem Zusammenhang das Aufspüren von Manipulationsstrategien dar, wie Hinzufügen oder Auslassen von Titeln, Kürzungen etc., die meist dazu dienten, einer Anthologie Kohärenz zu verleihen. Wie Anthologisierungsprozesse konkret ablaufen, wird abschließend am Beispiel der USA dargestellt. Udo Schöning berichtet in seinem Beitrag über die Vermittlung von Dichtung durch Anthologien im deutschen Sprachraum, wobei der Schwerpunkt auf romanischer Literatur liegt. Der Aufsatz fasst einerseits die Arbeiten zusammen, die sich mit den Grundlagen und Voraussetzungen der Anthologisierung in diesem Bereich beschäftigen, beschreibt die Charakteristika der Anthologisierung romanischer Lyrik und postuliert ein über literatursoziologische Ansätze hinausgehendes Forschungsprofil, das verstärkt auch anthropologische Erkenntnisse zur Erforschung der Internationalität und Interkulturalität von Literatur heranzieht. Komplementär zu Übersetzungsanthologien wurden auch Übersetzungsserien untersucht. Das Projekt, das sich auf den Zeitraum zwischen 1820 und 1910 konzentrierte, wird von Bernd Weitemeier zusammengefasst. Zunächst stellt der Autor die Merkmale vor, nach denen eine Serie definiert wurde, sowie die insgesamt 4 Serientypen (Herausgeber- und Übersetzerserien, Art der Textanordnung, Art der Literatur, Grad der Bekanntheit), die der Forschung zugrunde gelegt wurden. Schwerpunkt des Projekts waren eine möglichst umfassende bibliographische Erfassung und nicht so sehr inhaltliche Analysen der Serien. Damit liefert das Projekt vor allem Grundlagenforschung, auf der weitere inhaltliche und die Funktion von Serien in der deutschsprachigen Literaturgeschichte ermittelnde Untersuchungen aufbauen können. Statt eines Schlusswortes resümiert Armin Paul Frank die Erfahrungen disziplinübergreifender Kooperation und zeigt Anknüpfungspunkte auf, die sich aus der Übersetzungsforschung des SFB für die Literaturgeschichtsschreibung ergeben. Dass die literarische Übersetzung eine eigene Spezifik besitzt - die Frank mit der Metapher der Vielstimmigkeit zu umschreiben versucht, macht sie auch zu einer Herausforderung für die Literaturgeschichtsschreibung, die laut Frank “nicht im nationalen Reservoir, sondern im internationalen Transfer und den internationalen Bezugnahmen” (Frank S. 354) ansetzen muss. Die in diesem Band vorgestellte Gesamtschau der Forschungsleistungen des SFB ist in der Fülle der Ergebnisse, der Strukturiertheit und Vernetzung der Teilprojekte und der Breite an behandelten Themen und Genres äußerst beeindruckend. Die verschiedenen Fallstudien stellen wertvolle Mosaiksteine eines - noch nicht vollendeten - Gesamtbildes der literarischen Übersetzung in Deutschland dar. Auch das zugrunde gelegte theoretische Fundament ist in sich stringent und besticht durch seine Geschlossenheit. Im Bemühen sich von be- Klaus Kaindl 316 stehenden philologisch-ausgangstextorientierten und systemisch-zieltextorientierten Ansätzen abzugrenzen und einen eigenen Zugang zur Erforschung der literarischen Übersetzung zu schaffen, wurde allerdings mehr Wert auf die Ausarbeitung eigener Konzepte gelegt, statt auf Bestehendes zurückzugreifen bzw. vorhandene Konzepte und Modelle einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Dies betrifft vor allem Leistungen der Descriptive Translation Studies, denen der Sonderforschungsbereich letztlich weitaus näher steht, als den Übersetzungsauffassungen traditioneller Philologien. Eine genauere Darstellung und Analyse der in dieser übersetzungswissenschaftlichen Ausrichtung vorgelegten Konzepte wäre wünschenswert gewesen. So gilt das vom Sonderforschungsbereich kritisierte - Postulat der deskriptiven Übersetzungswissenschaft “translations are facts of one culture only: the target culture” (Toury 1985: 19, Hervorhebung i.O.) in dieser Form auch innerhalb der Descriptive Translation Studies nicht mehr und wurde durch differenziertere Sichtweisen abgelöst. Zahlreiche Aspekte, die von den WissenschaftlerInnen des SFB als wichtig erkannt wurden, sind parallel auch in den Descriptive Translation Studies thematisiert worden: Die Internationalisierung des Literaturbetriebs, die Lambert (1989) mit seinen “maps of communication” zu fassen versucht, die soziologische Fundierung der Übersetzungswissenschaft durch die Einbindung von Konzepten Bourdieus, wie sie u.a. Gouanvic (1994) vertritt, sowie die von Lefevre (1992) in die übersetzungswissenschaftliche Diskussion eingeführten Konzepte des “rewriting” “patronage”, und “poetics”, durch die Veränderungen der Ausgangstexte in der Übersetzung fassbar gemacht werden können. Zwar wurden, wie aus den Bibliographien der einzelnen Beiträge hervorgeht, diese Forschungsarbeiten zum Teil rezipiert, bei der Ausarbeitung des theoretischen Gebäudes zog man es jedoch vor, eine eigene Terminologie zu prägen. Insofern scheinen die theoretischen Bemühungen eher von Abgrenzung getragen worden zu sein, statt Anknüpfungspunkte und Verbindungslinien zu bestehenden Strömungen der Übersetzungswissenschaft zu suchen. Dadurch wird letztlich die Anschlussfähigkeit und auch die “Übersetzbarkeit” der - dies sei nochmals betont - beachtlichen Forschungsleistung des SFB in einen internationalen translatorischen Wissenschaftsdiskurs erschwert. Auch die völlige Ausblendung der funktionalen Translationswissenschaft im deutschsprachigen Raum, die gerade auch zur Geschichte der Übersetzung eine Reihe von wichtigen Arbeiten vorgelegt hat (vgl. u.a. Vermeer 1990 passim) ist in diesem Zusammenhang bedauerlich. Von diesen Kritikpunkten abgesehen stellt der Band jedoch zweifelsohne einen gewichtigen Beitrag dar, der nicht zuletzt auch für die Literaturwissenschaft allgemein neue Perspektiven im Umgang mit Literatur eröffnet. Anmerkung 1 Armin Paul Frank & Horst Turk (eds.) 2004: Die literarische Übersetzung in Deutschland. Studien zu ihrer Kulturgeschichte in der Neuzeit (= Göttinger Beiträge zur internationalen Übersetzungsforschung 18), Berlin: Erich Schmidt, 355 S., ISBN 3-503-07906-8 Literatur Even-Zohar, Itamar 1978: “The Position of Translated Literature within the Literary Polysystem, in: Homes James S. et al. (eds.) Literature and Translation. New Perspectives in Literary Studies. With a basic bibliography on translation studies, Leuven: Acco, 117-127. Frank, Armin Paul 1987: “Einleitung”, in: Schultze, Brigitte (ed.) Die literarische Übersetzung. Fallstudien zu ihrer Kulturgeschichte (Bd 1 Göttinger Beiträge zur Internationalen Übersetzungsforschung), IX-XVII. Neues zur literarischen Übersetzung 317 Gouanvic, Jean-Marc 1994: La Science-fiction française au XX è siècle (1900-1968): essai de socio-poétique d’un genre en émergence, Amsterdam/ Atlanta: Rodopi. Hermans, Theo (ed.) 1985: The Manipulation of Literature. Studies in Literary Translation. London/ Sydney: Croom Helm. Hermans, Theo 1997: “Translation as institution”, in: Snell-Hornby, Mary et al. (eds.) Translation as Intercultural Communication, Amsterdam/ Philadelphia: John Benjamins, 3-20. Lambert, José 1989: “La Traduction, les langues et la communication de masse. Les ambiguités du discours international”, in: Target 1/ 1, 215-237. Lefevere, André 1992: Translation, Rewriting and the Manipulation of Literary Fame, London/ New York: Routledge. Reiß, Katharina & Vermeer Hans J. 1984: Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen: Niemeyer Toury, Gideon 1980: In Search of a Theory of Translation, Tel Aviv: Porter Institute. Toury, Gideon 1985: “A Rationale for Descriptive Translation Studies”, in: Hermans, Theo (ed.), 16-41. Vermeer, Hans J. 1990 (passim): Skizzen zu einer Geschichte der Translation, Frankfurt a.M: IKO-Verlag/ Heidelberg: TextConText-Verlag.
