eJournals Kodikas/Code 27/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
273-4

Eckhard Hauenherm: Pragmalinguistische Aspekte des dramatischen Dialogs, Dialoganalytische Untersuchungen zu Gottscheds "Sterbender Cato", Lessings "Emilia Galotti" und Schillers "Die Räuber". Frankfurt/M., etc.: Peter Lang 2003, viii + 384 S., ISBN 3-631-38985-X

121
2004
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod273-40333
Reviews 333 von Beziehungen .” 1 Die Trennlinien zwischen der Übertragung (= ‘Transformation’), dem Inhalt oder der Botschaft (= ‘Schaltung’) und der Gesamtheit des Prozesses der Kommunikation (= ‘Mediatisierung’) bleiben unklar. Mit einem dergestalt weit gefaßten Kommunikationsbegriff ist jedwedes menschliche Verhalten als Kommunikation anzusehen und jedes Handeln als Kommunikation zu beschreiben, was den daraus abgeleiteten Medienbegriff ins Unbestimmte entgrenzt. So sind auch Kriterien der Abgrenzung von Medien zu Mediensorten oder von diesen zu Textsorten bzw. Kommunikationsformen Hartmanns Sache nicht. Das wäre aber Voraussetzung für einen weniger spakulativen Zugang zur Frage, inwieweit moderne Kommunikationstechnologien alte verdrängen oder inwieweit diese verändert werden. Aber vielleicht interessieren den Mediologen solche Fragen auch nicht so sehr. Ihm geht es augenscheinlich weniger um präzise Bestimmung des Begriffs als um eine Anschauung der Mediatisierung als eines Prozesses der Vermittlung und der damit einhergehenden Transformationen. Damit läuft der Mediologe jedoch Gefahr, nur die Veränderung als ganzheitlichen Prozess zu sehen und weniger auf die Bedeutung einzelner Zwischenschritte zu achten. Der Funktionswandel des Briefes etwa bedeutet deshalb noch lange nicht das Ende der Schriftlichkeit. Oder: vieles von dem, was heute unter dem Stichwort der ‘performativen Kultur’ subsumiert wird (S. 114ff.), konnte sich erst durch neue Technologien entfalten, die (im Sinne von Meyerowitz 1998 oder Tomlinson 1999) neue Raum/ Zeit-Dimensionen etabliert haben. So gewinnt der kritische Leser den Eindruck einer deutlichen Schlagseite in der Balance zwischen Kultur und Technik: das soziale Subjekt, also der Produzent und Rezipient der Symbolsysteme als der eigentliche Träger der Kultur, gerät zunehmend aus dem Blick - was den Anspruch einer Medientheorie als einer Theorie der Kultur doch erheblich relativiert. Anmerkung 1 Frank Hartmann 2004: “Was ist Mediologie? ”, in: http: / / mailbox.univie.ac.at/ Frank.Hartmann/ docs/ mediologie.pdf [22.11.2005: 3] Literaturhinweise Debray, Régis 1994: Manifestes Médiologiques, Paris: Gallimard Meyrowitz, Joshua 1998: “Das generalisierte Anderswo”, in: Ulrich Beck (ed.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 176-191 Tomlinson, John 1999: Globalization and Culture, Cambridge: Polity Press Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern) Eckhard Hauenherm: Pragmalinguistische Aspekte des dramatischen Dialogs. Dialoganalytische Untersuchungen zu Gottscheds Sterbender Cato, Lessings Emilia Galotti und Schillers Die Räuber, Frankfurt/ M. etc.: Peter Lang 2003, viii + 384 S., ISBN 3-631-38985-X Die Arbeit basiert auf einer Münsteraner Dissertation, die im Umfeld des dialoggrammatischen Ansatzes von Franz Hundsnurscher entstanden ist. Sie wendet diesen Ansatz exemplarisch auf die drei im Titel genannten Dramen an, weil sich in ihrer Zeit “ein deutlicher Wandel in der Beurteilung des Dialogs” abzeichne (S. 1). Hauenherm (= Verf.) möchte damit einerseits die Stilisierungsarbeit der Autoren an alltagssprachlichen Dialogmustern aufzeigen, andererseits der Frage nachgehen, wie sich dialogisches Handeln in den drei Dramen als Mittel zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Verständigung darstelle. Dazu entwickelt er zunächst ein dialoganalytisches Modell und beschreibt dann die Werke vornehmlich unter dem Aspekt, wie sich darin die dialogische Handlung jeweils aus den einzelnen Sprechakten konstituiere. Aus dem Umgang mit dem dialogischen Material leitet er schließlich so etwas wie ein dialogisches Ideal der Autoren ab, das er auch in deren eigenen einschlägigen Schriften aufzuspüren strebt. In einem kurzen Forschungsüberblick resümiert der Verf. zwar verschiedene andere Ansätze, bleibt aber dann bei seiner Entscheidung für den musterorientierten Ansatz der Dialoggrammatik à la Hundsnurscher, mit dem Phänomene des externen und internen Kommunikationssystems auf der Basis der Handlungsmuster erklärt werden sollen. Deshalb hebt er die Reviews 334 Vorzüge einer sprechaktorientierten Analyse hervor (gegenüber einer, die etwa von Bühler ausgeht) und wendet sich klar gegen dramenbzw. theatersemiotische Modelle, die den verbalen Dialog (Ingardens ‘Haupttext’) als Darstellungsmittel unter mehreren behandeln, weil der Dialog im 18. Jh. nun mal zentral sei und die Lektüre im Vordergrund stehe. Nun ist das - unbeschadet der Tatsache, dass jede Inszenierung Interpretation ist - kein sehr stichhaltiges Argument, es sei denn, man betrachtet ein Drama ausschließlich als Lesedrama. Auf das innere Kommunikationssystem bezogen unterscheidet der Verf. zwei grundsätzlich verschiedene Handlungsbegriffe, nämlich Sprachäußerungen i.S. eines intentionalen Verhaltens und die Dramenhandlung i.S. einer Abfolge von Geschehnissen. Diese Abfolge werde nicht von der Fabel repräsentiert, sondern sei im Gang der Gespräche zu sehen, die ein Musterwissen seitens der Figuren und seitens des Lesers implizierten (S. 26). Insofern überrascht nicht, daß der Verf. zur Beschreibung von Dialogen auch in methodischer Hinsicht etwa Verfahren der Konversationsanalyse ablehnt und solchen der Dialoggrammatik den Vorzug gibt. Damit handelt er sich freilich auch die Nachteile der ursprünglichen Sprechakttheorie ein, die weder die Satzgrenze überschreitet noch Kohärenzfragen berücksichtigt und meist zu allzu restriktiven Typologien neigt. Deshalb ist sehr bald die Bildung von Untermustern erforderlich (semantische Muster, Nachfragen, Evaluierung, Entscheidung etc.) und deren Kombination z.B. mit verschiedenen verlaufsorientierten Typologien (wie Wilhelm Frankes “Minimaldialoge” oder Hundsnurschers Typologie nach Interessenkonstellationen), die freilich auch wieder die Übersichtlichkeit des Verfahrens beeinträchtigen. Dabei stellt sich überdies das Problem, ob sich Interessenkonstellationen am Gespräch selbst oder nur an einer Sequenz festmachen lassen. Dennoch wagt der Verf. die These, daß das Natürlichkeitsideal des 18. Jahrhunderts zur stärkeren Begründung von dialogstrukturellen Abweichungen im internen Kommunikationssystem führe (S. 45). Der zweite Teil (“Praxis”) behandelt dann nach kurzem Rückblick auf dialogische Aspekte der Literaturgeschichte und auf die Ausgangslage im Barockdrama mit großem Fleiß das Verhältnis von Dialog und Handlung im Drama des 18. Jahrhunderts am Beispiel der genannten Stücke von Gottsched, Lessing und Schiller in ihren je eigenen Ausprägungen und in der Entwicklung ihrer Dialogtechniken und ‘Dialogideale’. Das Dilemma mit der Anwendung des musterorientierten Ansatzes wird dabei deutlich: sie wird umso schwieriger, je musterlos-psychologischer die Figuren sprachlich gestaltet werden. Von daher stellt sich die Frage, wie weit die positivistische Benennung einzelner Sprechakte trägt. Beim wohlwollenden Leser meldet sich am Ende das Bedürfnis, das nun alles statistisch aufzuarbeiten, Kurven zu zeichnen, Cluster zu bilden, um so eine Art numerisch-grafische ‘Gestalt’ der Frühaufklärung, der Aufklärung und des Sturm und Drang zu gewinnen. Die Technik zeichnet sich durch strengste Linearität aus: Sprechakt reiht sich an Sprechakt, und es bedarf dann leider doch wieder interpretierender (! ) Erläuterung, um auch strukturale Besonderheiten erfassen zu können (z.B. Marinellis teichoskopische Einlagen, die rekurrent und auf ihn beschränkt sind). Was sich gut aufzeigen läßt, ist strategisches sprachliches Handeln, namentlich dann, wenn Strategien aufgegeben und durch neue ersetzt werden müssen. Auf Figurenebene heißt das: improvisieren, sich herausreden, Ergänzungen nachschieben, Gesagtes uminterpretieren. Insofern eignet sich die Emilia besonders gut, weil hier das klare Eingehen der Figuren aufeinander (selbst dann, wenn sie streng genommen aneinander vorbeireden) linguistisch aufgedeckt werden kann. Hier wird der Dialog wirklich zum Sprachhandeln. Wie sähe das aber bei Beckett aus? Bei Schiller werden die Grenzen des Ansatzes noch deutlicher erkennbar. Zum einen widersetzt sich Schiller des öfteren einer linearen Sprechaktabfolge, zum andern benutzt er ausgiebig das Stilmittel der Ironie. Neu ist auch seine Handhabung des Mißverständnisses, aber auch hier läßt sich mit dem Aufweis der Sprechakte einiges gewinnen, insofern seine Figuren dezidiert Handlungsziele verfolgen, auch wenn ihnen diese nicht immer schon von Anfang an bewußt sind. Es ist also auch bei Schiller keineswegs fragwürdig, Handeln mit sprachlichem Handeln gleichzusetzen. Hauenherm hat die drei Stücke natürlich bewußt ausgewählt, ohne sich intensiv um die Frage Reviews 335 zu kümmern, wie es um die Reichweite seiner Methode bestellt ist. Was ist, zum Beispiel, wenn sprachliches Verhalten sich nicht mehr so ohne weiteres mit Handlungszielen korrelieren lässt oder wenn der propositionale Gehalt einer Replik unabhängig von identifizierten Handlungszielen Wirkung entfaltet? Man braucht dabei nicht nur an experimentelles Theater zu denken. Es reicht schon, wenn man sich Ophelias letzten Auftritt vorstellt. Aber bei aller Restriktivität des Ansatzes, dem der Verf. vielleicht allzu konsequent verhaftet bleibt, zeigt die Arbeit insgesamt doch, wie fruchtbar Linguistik und Literaturwissenschaft zusammenarbeiten könnten, zumal wenn man dies noch mehr als hier geschehen im wechselseitigen Respekt vor dem Erkenntnisinteresse des Kooperationspartners tut. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern) Wilhelm Köller, Perspektivität und Sprache. Zur Struktur von Objektivierungsformen in Bildern, im Denken und in der Sprache, Berlin/ New York: Walter de Gruyter 2004, xi + 925 S., ISBN 3-11-018104-5 In seinem opus magnum stellt der Kasseler Germanist und Linguist (und Semiotiker! ) Wilhelm Köller auf ebenso anspruchsvolle wie umfassende Weise dar, wie das Sprechen, aber auch das Sehen und Denken unter dem Aspekt der Perspektivität betrachtet werden kann. Darüberhinaus versucht er zu zeigen, daß es sich bei Perspektivität um ein “anthropologisches Urphänomen”, ja um ein “Grundphänomen aller faktischen Wahrnehmungsformen” überhaupt handle, mit dem sich auseinandersetzen müsse, wer immer erkenntnistheoretische oder zeichentheoretische Überlegungen anstelle, weil es bedinge, “was wir erkennen können und wie wir uns das Erkannte durch Zeichen repräsentieren” (S. 879). Köllers Buch ist eine Art weiträumig angelegter Kultur- und Wissenschaftsgeschichte aus der ‘Perspektive der Perspektivität’. Es enthält Rekonstruktionen unzähliger Ansätze der einschlägig wichtigsten Theoretiker. Einer davon ist z.B. Benjamin Lee Whorf mit seinem Prinzip der sprachlichen Relativität. Die Haltung, die dieses Prinzip bezüglich des Zusammenhangs von Sprache und Denken (i.S.v. Wahrnehmungsprozessen) fundiert, ist paradigmatisch für Köllers Vorstellung der Dinge: Sprache als der bei Whorf wesentlich perspektiven-bestimmende Faktor sei (entgegen der Ansicht vieler Whorf-Kritiker) relativistisch und nicht deterministisch zu verstehen. So stellt sich die Frage nach dem Status der Perspektivität neu: Köller unterstellt das Phänomen der Perspektivität als allem Wahrnehmen inhärentes Grundprinzip, nicht im Sinne einer essentiellen Eigenschaft der Wahrnehmung, sondern als Bedingung ihrer perspektivischen Beschreibung. Wenn aber Perspektivität Wahrnehmungsformen jeder Art (inklusive Sprache) zugeschrieben werden kann, reduziert das freilich die deskriptive Aussagekraft des Attributs: wenn ein und dasselbe Paradigma auf so viele verschiedene Theorien und Erkenntnisse anwendbar ist, wo ist es dann noch substantiell relevant? Perspektivität als “grundlegende Vorbedingung jeglicher Welterfassung und Weltrepräsentation” ist zugleich der Modus ihrer Erkenntnis. Die Ausgangslage ist, grob gesagt, die folgende: Wahrnehmung ist notwendigerweise perspektivisch, d.h. man kann nicht den Kern der Dinge oder das ganze Ding erkennen, sondern immer nur einen Aspekt davon. (Die Frage nach der Existenz der Dinge stellt sich K. als Realist offenbar nicht). Objekte werden von Subjekten nicht in ihrer Objektivität wahrgenommen, sondern in Kontexten. Die Erkenntnis über die visuelle Wahrnehmung lasse sich auf die Phänomene Sprache und Kognition ausweiten, insofern geistigen Wahrnehmungsprozessen aller Art das Prinzip der Perspektivität inhärent sei. Die Analyse solcher Prozesse setzt bei denjenigen der Wahrnehmung an; sie dienen als Exempel für die Struktur kognitiver und sprachlicher Wahrnehmungs- und Objektivierungsprozesse. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der “immanenten kognitiven Perspektivität” von konventionalisierten Zeichen, Zeichensystemen, Objektivierungsmustern, die als Kulturprodukte mit “bestimmter kognitiver Intentionalität” historisch entwickelt und sozial stabilisiert sind. Köller fragt genauer: Wie werden Wahrnehmungsvorgänge durch solche Muster vorstrukturiert? Und wie legen solche Muster fest, “was an den jeweiligen