Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
273-4
Wilhelm Köller, Perspektivität und Sprache. Zur Struktur von Objektivierungsformen in Bildern, im Denken und in der Sprache, Berlin/New York: Walter de Gruyter 2004, xi + 925 S., ISBN 3-11-018104-5
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2004
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod273-40335
Reviews 335 zu kümmern, wie es um die Reichweite seiner Methode bestellt ist. Was ist, zum Beispiel, wenn sprachliches Verhalten sich nicht mehr so ohne weiteres mit Handlungszielen korrelieren lässt oder wenn der propositionale Gehalt einer Replik unabhängig von identifizierten Handlungszielen Wirkung entfaltet? Man braucht dabei nicht nur an experimentelles Theater zu denken. Es reicht schon, wenn man sich Ophelias letzten Auftritt vorstellt. Aber bei aller Restriktivität des Ansatzes, dem der Verf. vielleicht allzu konsequent verhaftet bleibt, zeigt die Arbeit insgesamt doch, wie fruchtbar Linguistik und Literaturwissenschaft zusammenarbeiten könnten, zumal wenn man dies noch mehr als hier geschehen im wechselseitigen Respekt vor dem Erkenntnisinteresse des Kooperationspartners tut. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern) Wilhelm Köller, Perspektivität und Sprache. Zur Struktur von Objektivierungsformen in Bildern, im Denken und in der Sprache, Berlin/ New York: Walter de Gruyter 2004, xi + 925 S., ISBN 3-11-018104-5 In seinem opus magnum stellt der Kasseler Germanist und Linguist (und Semiotiker! ) Wilhelm Köller auf ebenso anspruchsvolle wie umfassende Weise dar, wie das Sprechen, aber auch das Sehen und Denken unter dem Aspekt der Perspektivität betrachtet werden kann. Darüberhinaus versucht er zu zeigen, daß es sich bei Perspektivität um ein “anthropologisches Urphänomen”, ja um ein “Grundphänomen aller faktischen Wahrnehmungsformen” überhaupt handle, mit dem sich auseinandersetzen müsse, wer immer erkenntnistheoretische oder zeichentheoretische Überlegungen anstelle, weil es bedinge, “was wir erkennen können und wie wir uns das Erkannte durch Zeichen repräsentieren” (S. 879). Köllers Buch ist eine Art weiträumig angelegter Kultur- und Wissenschaftsgeschichte aus der ‘Perspektive der Perspektivität’. Es enthält Rekonstruktionen unzähliger Ansätze der einschlägig wichtigsten Theoretiker. Einer davon ist z.B. Benjamin Lee Whorf mit seinem Prinzip der sprachlichen Relativität. Die Haltung, die dieses Prinzip bezüglich des Zusammenhangs von Sprache und Denken (i.S.v. Wahrnehmungsprozessen) fundiert, ist paradigmatisch für Köllers Vorstellung der Dinge: Sprache als der bei Whorf wesentlich perspektiven-bestimmende Faktor sei (entgegen der Ansicht vieler Whorf-Kritiker) relativistisch und nicht deterministisch zu verstehen. So stellt sich die Frage nach dem Status der Perspektivität neu: Köller unterstellt das Phänomen der Perspektivität als allem Wahrnehmen inhärentes Grundprinzip, nicht im Sinne einer essentiellen Eigenschaft der Wahrnehmung, sondern als Bedingung ihrer perspektivischen Beschreibung. Wenn aber Perspektivität Wahrnehmungsformen jeder Art (inklusive Sprache) zugeschrieben werden kann, reduziert das freilich die deskriptive Aussagekraft des Attributs: wenn ein und dasselbe Paradigma auf so viele verschiedene Theorien und Erkenntnisse anwendbar ist, wo ist es dann noch substantiell relevant? Perspektivität als “grundlegende Vorbedingung jeglicher Welterfassung und Weltrepräsentation” ist zugleich der Modus ihrer Erkenntnis. Die Ausgangslage ist, grob gesagt, die folgende: Wahrnehmung ist notwendigerweise perspektivisch, d.h. man kann nicht den Kern der Dinge oder das ganze Ding erkennen, sondern immer nur einen Aspekt davon. (Die Frage nach der Existenz der Dinge stellt sich K. als Realist offenbar nicht). Objekte werden von Subjekten nicht in ihrer Objektivität wahrgenommen, sondern in Kontexten. Die Erkenntnis über die visuelle Wahrnehmung lasse sich auf die Phänomene Sprache und Kognition ausweiten, insofern geistigen Wahrnehmungsprozessen aller Art das Prinzip der Perspektivität inhärent sei. Die Analyse solcher Prozesse setzt bei denjenigen der Wahrnehmung an; sie dienen als Exempel für die Struktur kognitiver und sprachlicher Wahrnehmungs- und Objektivierungsprozesse. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der “immanenten kognitiven Perspektivität” von konventionalisierten Zeichen, Zeichensystemen, Objektivierungsmustern, die als Kulturprodukte mit “bestimmter kognitiver Intentionalität” historisch entwickelt und sozial stabilisiert sind. Köller fragt genauer: Wie werden Wahrnehmungsvorgänge durch solche Muster vorstrukturiert? Und wie legen solche Muster fest, “was an den jeweiligen Reviews 336 Wahrnehmungsgegenständen in den Blickwinkel unserer Aufmerksamkeit gerät und was nicht”? (S. 7). Seine Hypothese ist, “dass kulturelle bzw. sprachliche Wahrnehmungs- und Objektivierungsmuster gleichsam kognitive Lichtquellen in sich tragen, die bestimmte Aspekte der jeweiligen Wahrnehmungsgegenstände sehr gut sichtbar machen und andere wiederum abschatten” (ibid.). Das methodische Vorgehen ist ‘genetisch’ und nimmt seinen Ausgang vom ‘Ursprung’ und also vom Visuellen; es ist ‘phänomenologisch’ in seinen deskriptiven und kontrastiven Detail- und Einzeluntersuchungen; es ist ‘hermeneutisch’ in seiner Verbindung von deduktiven und induktiven Prozeduren, die angesichts der Omnipräsenz der Perspektivitätsproblematik linearen Verfahren vorzuziehen sei (S. 8). Das Projekt als ganzes zielt aber vor allem auf Sprache als System von Zeichen und dessen Gebrauch (Saussure vs. Humboldt). So lasse sich zwischen kognitiver und kommunikativer Perspektivität unterscheiden: also einer solchen, die sich auf Muster bzw. konventionalisierte Prozesse bezieht, die sich gemäß der Struktur kollektiven Wissens formieren, und einer solchen, die konkrete Äußerungshandlungen in Kontexten und damit die Objektivierung konkreter Vorstellungsinhalte umfaßt, z.B. den explizit faßbaren Erzähler in literarischen Texten (S. 21). Von diesen Ausgangspunkten aus entfaltet Köller seine Untersuchung auf fast 1000 Seiten in den drei großen Teilen, die der Perspektivität im visuellen Bereich vor allem der Bildenden Kunst, im kognitiven Bereich der Logik, Anthopologie, Erkenntnistheorie und Pragmatik und im sprachlichen Bereich einer Fülle von Phänomenen auf allen Ebenen linguistischer Analyse gewidmet sind. Wer sich einmal auf den Leisten eingelassen hat, über den Köller all diese Phänomene schlägt, liest dieses ungeheuer anregende Lebenswerk mit großem Gewinn. Er bekommt gleichsam nebenbei ein lehrreichen Gang durch die Kunstgeschichte präsentiert, er vergegenwärtigt sich noch einmal die erkenntnistheoretischen Grundlinien von Platon bis Peirce, und er sieht die grammatischen Grundformen (Casus, Tempus, Modus, Genus etc.), die lexikalischen Begriffsbildungsmuster (Wortarten, -felder, -bildungen), die Zeichen der Verweisung (Deixis, Pronomina, Artikel), Verknüpfung (Präpositionen, Konjunktionen) und Kommentierung (Partikeln, Modalwörter), die Formen der Negation (auch im religiösen und im ironischen Sprachgebrauch) und der Metaphorik, die Art der Fragen oder Redewiedergaben unter dem integrativen Aspekt ihrer Perspektivität. Er findet sie aber auch im Bereich der Lüge, der Ironie, der Paradoxie, des Erzählens und in allerlei Textmustern wie denen des Witzes, der Novelle oder der Geschichtserzählung. Es versteht sich bei einem Werk dieser Klasse von selbst, daß ihm ein substantielles Literaturverzeichnis mit auch entlegenen Verweisen und ein gründlich gearbeitetes Sach- und Personenregister beigegeben ist, sodaß es auch als Nachschlagewerk gut zu nutzen ist. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern) Holger Mosebach: Endzeitvisionen im Erzählwerk Christoph Ransmayrs. Munich: Martin Meidenbauer, 2003. ISBN 3-89975- 033-0. 284 pages, hard cover. For his doctoral dissertation, Mosebach opted for a close-reading approach of the novels, yet not the journalistic texts of Christoph Ransmayr. This choice might come as a little surprise to the reader, particularly as Mosebach states himself that “[a]uch in diesen kleineren Schriften (…) eine Affinität des Autors zu Untergängen herauszulesen [ist]” (p 14) and goes on to concede that motifs of the apocalypse have also found their way into the short prose. It is equally as true that the journalistic pieces have played their part as auto-intertextual influences on the novels (see p 82). Mosebach rightly argues, however, that it is in Ransmayr’s novels where the topic of universal decline becomes apparent in a more complex and a more condensed form. Analysing the structure of Ransmayr’s Endzeitvisionen is the first task set in the thesis; the second consists of answering the question in what way the fictional texts form a portrayal of the reader’s world (see p 15). To clear the ground further, the book continues with a detailed outline of Endzeitvisionen from antiquity to modernity. The key issue in this context is how the “Erlö-
