Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2004
273-4
Anita Naciscione: Phraseological Units in Disourse: Towards Applied Stylistics. Riga: Latvian Academy of Culture 2001, xii + 282 pp. ISBN 9984-9519-0-1
121
2004
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod273-40338
Reviews 338 letzte Welt than in any other Ransmayr text and therefore serves as a plausible justification for such an approach. Chapter five (“Ausblick”) classifies the novels against the background of the ‘apocalyptic’ genre of the 1980s and formulates the juxtaposition of Ransmayr’s Endzeitvisionen and other fictional texts from that same period as a Desideratum der Forschung. To conclude, the book fulfils its purpose as it successfully dissects the roots, the structure, and the nature of entropic thought in Ransmayr’s oeuvre. It establishes a clear link with the implications these have on the reader. With regard to all the novels, and Morbus Kitahara in particular, Mosebach differentiates explicitly between factual and fictional components of the “erfundene Welt” in question. The concept of the ‘halved’ apocalypse coming without the belief in a better civilisation replacing the one extinguished sheds a new light on the Forschungsstand when applied to the texts. Mosebach provides the reader with an excellent up-to-date bibliography and a helpful glossary of names and key words. Minor inaccuracies like typos and omissions in quotations, especially from Morbus Kitahara, could have been avoided. The layout is well-made in the sense that it does not tire the reader’s eye. For a scientific publication in hard cover, the book also comes at an adequate price. Markus Oliver Spitz (University of Exeter) Anita Naciscione: Phraseological Units in Disourse: Towards Applied Stylistics, Riga: Latvian Academy of Culture 2001, xii + 282 pp., ISBN 9984-9519-0-1 Das Buch der lettischen Anglistin ist sprachlichen Erscheinungen gewidmet, die in der Lexikologie, Phraseologie und Parömiologie unterschiedlich als Redewendungen, Idiome, Phraseologismen, Phraseologische Einheiten, Phraseolexeme, ‘feste Verbindungen’, ‘vorgeformte nicht frei gebildete Wortketten’ beschrieben werden, die als Einheiten spezifische Bedeutungen haben. Abweichungen von vorgeformten Wortverbindungen der Redewendungen hat man bis vor nicht langer Zeit noch als Deformationen, Verdrehungen, Übertretungen, Anomalien oder komische Ausnahmen bezeichnet. Dabei orientierte man sich freilich an den abstrakten, von einem konkreten Kontext losgelösten Formen von Redewendungen, wie sie die Wörterbücher verzeichnen. In den letzten beiden Dekaden ist aber das Interesse am konkreten Gebrauch von Redewendungen und ihren kontextuell situierten Erscheinungsformen gewachsen. Die Phraseologie erkennt in zunehmendem Masse, daß man dem sprachlichen Phänomen der Redewendung nicht gerecht wird, wenn man sie losgelöst von ihrem aktuellen Gebrauchszusammenhang betrachtet. Heute sind stilistisch begründete Änderungen im Gebrauch von Redewendungen akzeptiert und werden als ein wesentliches Mittel für sprachliche Kreativität betrachtet. Stilistischer Gebrauch von Redewendungen ist eine bewußte Wahl, die eine neue Perspektive impliziert. Naciscione (= Verf.) verfolgt in ihrem Buch zwei Ziele: in einem ersten Teil entwickelt sie eine Theorie der Phraseologischen Einheiten, in der sie die Terminologie sowie zentrale Konzepte vorstellt und Wahrnehmungsresp. Interpretationsprozesse modellhaft analysiert. Im (kürzeren) zweiten Teil argumentiert sie für die Anerkennung der ‘Angewandten Stilistik’ als eines eigenen Forschungsbereichs und wendet die Instrumentarien, die sie im ersten Teil entwickelt hat, exemplarisch in unterschiedlichen Bereichen an. Unter dem Titel “Phraseologie und Diskursstilistik” führt die Verf. in ihr Thema ein und stützt sich dabei auf die Diskursanalyse als einer geeigneten Methode zur Analyse von PE, also ‘Phraseologischen Einheiten’ (Kunin) in ihrem alltäglichen Gebrauch. Von der Diskursanalyse habe sich die Diskursstilistik als Disziplin aus eigenem Recht abgespalten. Sie zeige auf, wie Diskurse konstruiert sind und welche Wirkungen die verschiedenen Stilelemente zeitigen können; unter dem Aspekt der Kohäsion interessiere sie, wie semantische und stilistische Beziehungen im Text miteinander kombiniert würden. Zur Identifikation von PE in Diskursen unterscheidet die Verf. drei zentrale Konzepte: (i) die Basisform als abstrakte Form, die in Wörterbüchern als Grundform verzeichnet ist und nie Reviews 339 länger als ein Satz ist, (ii) den Normgebrauch als die am meisten verbreitete und in diesem Sinne normale Anwendung innerhalb eines Diskurses, (iii) den Stilgebrauch als die spezifische Anwendung einer PE innerhalb eines konkreten Kontextes. Die eigentliche Identifikation verlaufe dann in vier (analytisch differenzierten) Schritten: Wiedererkennen, Überprüfen, Verstehen, Interpretieren. Die angemessene Interpretation eines konkreten Gebrauchs einer PE sei nur innerhalb des gesamten Textes mit Bezug auf die Basisform möglich. Erst so entfalte sich ihr Bedeutungspotential und ihre stilistische Funktion. Die Schlüsselkonzepte des Stilgebrauchs im Diskurs sind nach Naciscione die Phraseologische Kohäsion, die Muster des Variantengebrauchs und deren Diskurscharakter. Die Analyse konkreter Texte zeigt, daß Stilgebrauch aufgrund von allgemeinen Gebrauchsmerkmalen im Diskurs gebildet wird. Jeder stilistische Gebrauch - und mag er noch so individuell sein - folgt solchen Regelmäßigkeiten. So ist es möglich, den Variantengebrauch einer PE zu verstehen, die man vorher noch nie gesehen hat, indem man die Basisform und die Regeln kennt, die bei der Ableitung zur Anwendung gelangen. In diesem Sinne sind solche Bildungsmuster nicht nur Kohäsion erzeugende Mittel im Diskurs, sondern auch eine “mentale stilbildende Technik”, die stilistisch unterschiedliche Manifestationen einer PE zum Ausdruck bringen kann. Voraussetzung dazu ist, dass diese allgemeinen sprachbildenden Muster im Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Sie sind es, die Stabilität und Kontinuität der PE im Verlaufe der Zeit garantieren, obwohl sie in ihrem konkreten Gebrauch praktisch immer unterschiedlich verwendet werden. Meist lernt man PE in ihrer Basis- oder Stammform. Tatsächlich kommt der an der Norm orientierte Stammresp. Normgebrauch auch am häufigsten vor - und dieser geht selten über die syntaktische Konstruktion eines Satzes hinaus. Zwar gibt es durchaus auch Stilgebrauch innerhalb der Satzgrenze, der z.B. durch Einfügung, Ersetzung, Zusätze, phraseologisches Zeugma, Inversion, Periphrase, Überblendung, Konversion, Metathesis, Diminutivgebrauch erreicht wird. Meist jedoch sprengen stilistische Abweichungen die Satzgrenzen und dehnen sich über einen größeren Abschnitt hinweg, ja gar über ganze Texte aus. Diese Eigenschaft nennt Naciscione Spannweite (sustainability). Das Bild der figurativen Bedeutung einer PE kann z.B. über längere Strecken eines Textes explizit oder implizit formbildend sein, indem entweder immer wieder Bezug auf das Bild genommen wird oder dieses sozusagen den unsichtbaren roten Faden des Textes oder Textabschnitts bildet. PE leisten also einen nicht geringen Beitrag zur Kohäsion eines Textes. Die üblichsten Muster des stilistischen Gebrauchs von PE im Diskurs werden dann anhand zahlreicher Beispiele aus der Literatur illustriert. Dazu gehören phraseologische Metaphern, Wortspiele und Andeutungen. Letztere sind z.B. implizite mentale Bezugnahmen zum Bild der PE, die im Diskurszusammenhang durch ein oder mehrere explizite bildtragende Elemente vorliegen. Selbst relativ stark abgewandelte Variationen vermögen nicht die kohäsive Kraft zur Basisform zu tilgen. Für das Erkennen und die Interpretation des Stilgebrauchs von PE ist also der kognitive Zugriff zur Basisform und den allgemeinen sprachbildenden Mustern zentral. Phraseologische Einheiten innerhalb des Diskurszusammenhangs bilden dabei mit dem Kontext ein komplexes Netz semantischer Interferenzen, die u.a. durch Stilgebrauch spannungsmässig aufgeladen werden. Dies zu erkennen ist notwendig, will man den Text und in seiner Vielschichtigkeit und die verschiedenen Arten, wie PE mit einem Text verwoben sein können. Eine dieser Arten ist die Wiederholung. Die wiederholten Einheiten legen ein Netz über den Text oder die Textteile und schaffen dadurch einen Zusammenhang, auch wenn die einzelnen Verwendungen der PE meist unterschiedlich sind und in einem unterschiedlichen Kontext erscheinen. Jede Wiederholung besitzt also nicht nur identische Elemente, sondern auch individuelle, die ebenso individuelle wie vielschichtige semantische und stilistische Bezüge schaffen. Wiederholter Gebrauch von PE ist eine Form von Kohäsion und kann mit einer variierenden Technik des stilistischen Gebrauchs wie Metapher, Wortspiel, Stilbruch, Allusion usw. gekoppelt werden. Eine andere Art ist der Gebrauch von Diminutiva. Das moderne Englisch kennt zwar vergleichsweise wenige Diminutiv-Suffixe, sondern diminu- Reviews 340 iert eher durch Lexeme wie little, small, thin, petty, wee, slight, a drop of, a bit of usw., aber in PE findet man suffigierte Diminutiva relativ häufiger. Oft verwandeln erst sie die Wortkombination in eine PE. Dabei kann die semantische Richtung nicht derart bestimmt werden, wie dies bei normalen Diminutivbildungen der Fall ist. Auch eine nicht durch Diminution gebildete PE kann aus aktuellen kontextuellen Bedürfnissen heraus diminuiert werden und so eine stilistische Variante zum Normgebrauch darstellen. Weil dies aber ein eher seltenes Phänomen ist, kann es auch neue semantische und stilistische Möglichkeiten eröffnen. Eine weitere Variante besteht darin, daß verschiedene stilistische Mittel (z.B. Einfügung, Umkehrung, ausgedehnte Metapher, Ersetzung, Ellipse/ Allusion, Stilbruch) gleichzeitig zur Anwendung gelangen. Die Stilmittel können in dieselbe Richtung zielen und so eine starke stilistische Wirkung erzeugen oder aber auch einander widersprechen, so daß sie damit sozusagen in semantische oder stilistische Konkurrenz treten oder so miteinander verbunden und verwoben werden, daß sie ein komplexes Bedeutungsgefüge bilden, in dem die aktuellen semantischen Spannungen die figurativen Inhalte überlagern und dominieren. Diese Verwendungsweise wird zu einem semantischen und stilistischen Knotenpunkt, weil hier die verschiedenen figurativen Wendungen aufeinander treffen und so zahlreiche momentane Sinneffekte schaffen, die die Aufmerksamkeit des Hörers/ Lesers erregen. In Titeln, Schlagzeilen oder in der Coda werden PE über einen ganzen Text hinweg wirksam. Codas, die den Text zu einem Abschluss bringen, fassen den Inhalt schlagwortartig zusammen, können aber auch abschließende Bemerkungen und weiter führende Informationen enthalten. Die Funktionen der Coda können also ganz unterschiedlich sein. Bildet nun eine PE die Coda, so drückt sie oft die Quintessenz des Textes aus. Beispielhaft findet man solche Gebrauchsformen in Fabeln. - Das letzte Kapitel und zugleich der zweite Teil des Buches ist der Angewandten Stilistik gewidmet, die die Verf. so definiert: “Applied stylistics is an area which explores the practical utilisation of the principles, discoveries and theories of language, literature and stylistics. It is an umbrella term which denotes the application of the stylistic competence of the language user in the fields of teaching, curriculum design, translation, lexicography, glossography, the compilation of notes and comments on literary texts, sociocultural studies, visual representation, advertising and marketing” (S. 174). Angewandte Stilistik schaffe ein Bewußtsein für bedeutende Unterschiede, die zwischen Standardformen resp. -bedeutungen und dem konkreten, beabsichtigten Sinn bestehen können; für figurative Bedeutungen und die Möglichkeit, damit neuen Sinn zu kreieren; für assoziative Verbindungen und Kohäsionen und stilistisch kohäsive Bindungen in unterschiedlichen Textformen und in zahlreichen Anwendungsbereichen, in denen das Stilbewußtsein eine wichtige Rolle spielt: im Unterricht, in (literarischer) Übersetzung, Lexikographie und Glossographie, in der Werbung und im Marketing. In einem weiteren Anwendungsbereich dienen stereotypische PE auch zur Abgrenzung von anderen Nationen, Völkern, Gruppen. (Man denke an die vielen PE mit pejorativ oder sexuell konnotierter Bedeutung, mittels derer sich Engländer abzugrenzen lieben: Dutch courage, Dutch cap, Dutch widow, Dutch wife/ husband, French kiss, to French, French postcards/ prints, excuse/ pardon my French usw.). Auch die Werbung spielt gern mit figurativen Bedeutungen von PE. Nacisciones Buch führt auf eine verständliche Weise in die Phraseologie ein und gibt eine gelungene Übersicht über Themen und Probleme. Daneben stellt es nützliche Konzepte und Methoden vor, die auch in anderen linguistischen und nicht-linguistischen Bereichen relevant sind und sinnvoll eingesetzt werden können. Das Buch zielt auf die Kreativität des Sprachgebrauchs und schärft das Bewußtsein für semantische und stilistische Zusammenhänge primär von verbalen, grundsätzlich aber auch von multimedialen oder polycodierten Texten und ist daher als Seminarlektüre in textwissenschaftlichen Fächern zu empfehlen. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern)
