eJournals Kodikas/Code 28/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2005
281-2

Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers "Krise der Psychologie"

61
2005
Albert Wellek
kod281-20121
Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” Albert Wellek Ein prononcierter Neo-Behaviorist aus New England - nach amerikanischer Einteilung ein “rat-man” - war vor einigen Jahren eine Zeitlang an einer Universität des alten England tätig und erzählte damals voll Humor, welchen populären Fehlerwartungen er sich dort als Psychologe, wie andere Psychologen auch, ausgesetzt sah. So passierte es ihm in London, daß eine dortige Gesellschaftsdame ihn begeistert ansprach mit den Worten: “Oh, you are a psychologist? Can you read my mind? ” Wozu er bemerkte: “I could not, even if she had one.” Und ich: “I could, even if she had none.” 1 In diesem Aufeinanderprallen einer naiven Laienmeinung und zweier ob auch ironischer “fachmännischer” Stellungnahmen aus entgegengesetzten “Aspekten” der Psychologie erhellt schlaglichtartig das Dilemma, in dem sich diese Wissenschaft im Bezug auf ihre Selbstdefinition, ja schon auf den Begriff ihres Gegenstandes heute wie vor Jahrzehnten befindet. Zuerst der Laie, für den die Realität der “Seele” sich von selbst versteht und der vom Seelenwissenschaftler einen quasi prophetischen Einblick in diesen selbstverständlichen Gegenstand erwartet, ähnlich wie vom Arzt in den Körper und die Krankheit des Körpers. Auf der anderen Seite der “streng naturwissenschaftlich” arbeitende Behaviorist, der am Menschen als Menschen unmittelbar gar nicht interessiert ist, sondern nur indirekt, auf dem Wege über seine Tierversuche, dem obersten Tier mit seiner “Psyche” beizukommen gedenkt - für den dementsprechend diese Psyche bestenfalls ein konventioneller Verständigungsbegriff ist und jedenfalls als solche keine Realität besitzt; ein Forscher demnach, der die Laienerwartung völlig enttäuscht und dies mit aller Selbstzufriedenheit feststellt, indem er sie lächerlich findet. In dieser seiner Ablehnung unterstellt er dann aber doch, wenn auch bloß ironisch, den populären Seelenbegriff in seiner Wendung zum “moralischen” Charakterbegriff - also so, daß man Seele haben könne oder auch nicht. Und hier wiederum hakt der am Ideal der “verstehenden Psychologie” orientierte Charakterologe ein, indem er sich, wiederum ironisch, bereit erklärt, die populäre Erwartung zu übertreffen, nämlich den (“psychologischen”) Charakter auch dann zu erkennen, wenn er im Sinne des “moralischen” Charakters fehlt. Wer indes Karl Bühlers “Krise” - vor einem Menschenalter geschrieben - und wer die jüngst wieder aufgelebte Diskussion um eine Methoden- und das heißt Problemkrise der Psychologie sich vor Augen stellt, wird zugeben, daß diese gegensätzlichen Möglichkeiten der Definitionen, der Fragestellung und der Methode wohl die Extreme markieren, aber die K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Albert Wellek 122 Buntheit des Bildes noch nicht einmal ahnen lassen, geschweige erschöpfen. Das Stichwort von einem “Rückfall in die Methodenkrise der Psychologie” konnte und mußte gerade in der jüngsten Gegenwart in die Diskussion geworfen werden, um diese jüngste Situation zu charakterisieren. Der Kürze wegen sei es gestattet, auf des Verfassers Darlegungen zu und unter diesem Titel zu verweisen 2 , zumal auf die dort erörterte internationale Literatur. In einem Hauptpunkte der Bühlerschen “Krise” schien bald nach deren Erscheinen eine endgültige Klärung erreicht, der Sieg für die revolutionäre Partei erfochten: wir meinen die Revolte unter der Losung “Ganzheit, Gestalt, Struktur” gegen den traditionellen Assoziationismus, das heißt Atomismus und Mechanismus (das 2. und 4. “Axiom” nach Bühlers Vorwort zur 2. Auflage, 1929). Hier ging die Woge vorerst sogar über das wenige hinweg, was Bühler und seine Schule sozusagen zur Ehrenrettung der Assoziationslehre geltend zu machen versuchten. Indes blieben alle physiologisch und tierpsychologisch vergleichend ansetzenden Richtungen im Grunde mechanistisch, selbst wenn und soweit sie, wie sogar Pawlow, zuweilen den Begriff “Ganzheit” im Munde führen und den Mechanismus der Theorie nach verwerfen. Aber auch bei den Instinktforschern, die die Instinkthandlungen - wohl selbst der staatenbildenden Insekten - als bloße “Reflexketten” ansprechen zu können glauben, meldet sich, wie zuzeiten ausdrücklich bei Konrad Lorenz, ein entschlossener Atomismus wieder zu Worte. Andere Autoren wiederum erklären “Ganzheit” im Psychischen heute für eine Selbstverständlichkeit - offensichtlich zu dem Zweck, um von diesem Gedanken keinen Gebrauch zu machen. Nicht minder ist in der Persönlichkeitsforschung in deren faktorenanalytischer Richtung die von Krueger und vor allem Spearman inaugurierte ganzheitlich-hierarchische Sichtweise vorerst wieder zurückgedrängt und bei Thurstone durch einen provisorischen, bei Eysenck vollends durch einen robusten Atomismus wiederersetzt worden. Die Einigung im Zeichen der Teleologie, die Bühler (S. 22, 65) voraussagte, ist noch immer gefordert, nicht erreicht. Wohl ist das Konzept der Anpassung von vornherein ein teleologisches oder sogar, als “Einpassung”, ein ganzheitlich-strukturelles - letzten Endes. Aber in der mechanistischen Orientierung der (auch “Neo-“) Behavioristen wird auch Anpassung kausalistisch mißverstanden als eine ursächliche Einwirkung von Umweltreizen auf das (letztlich passive) Lebewesen. Ganz ähnlich wird auch in der Motivationslehre immer wieder das Motiv mit allen seinen Sinnbezügen als (mechanische) Ursache des Handelns oder Verhaltens mißverstanden, das vorschwebende Ziel der “Determination” als von hinten anschiebende wirkursächliche Kraft (die nur in der Vorstellung vor uns liegt) interpretiert - so bei N. Ach, so aber auch bei Freud. Das Selbstmißverständnis der Psychoanalyse als einer kausal erklärenden statt einer “verstehenden” Psychologie ist von Jaspers, ihre Verwechslung zwischen Sinnzusammenhängen und Kausalzusammenhängen von Scheler und Allers schon früh klargestellt worden 3 . Auch die von Bühler erwartete Überwindung des “Physikalismus” in der Psychologie (S. 70) ist inzwischen nicht allgemein gelungen. Im Gegenteil, die in Bühlers Wiener Jahren neben ihm in Wien entwickelte dogmatische “Einheitswissenschaft”, der im wesentlichen die Berliner “Gestalttheoretiker”, aber auch ein eigener Schüler Bühlers wie Egon Brunswik gefolgt sind, setzte den Physikalismus, teils in physiologistischer Verkleidung, teils ohne diese, programmatisch fort. Die letzte Zuspitzung erfährt diese Entwicklung gerade bei Brunswik, indem er (1952) für die Psychologie zwar einen “thematischen Physikalismus” ablehnt, um aber nun erst recht einen “methodologischen Physikalismus” zu fordern. Hand in Hand damit geht das “hochaktuell” gewordene “Kybernetik”-Werben: die (vorerst) letzte Raffinesse des “Maschinenmodells” des Menschen, die zunächst gar nicht Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 123 psychologisch gemeint war, aber von Physikalisten sogleich begeistert aufgegriffen wurde. Vorweg in Österreich die empirisch physiologisch ansetzende Hirntheorie von H. Rohracher, die insofern zum mindesten methodisch im Vorteil ist, als sie eben empirisch fundiert bleibt. Aber auch manche der inzwischen modern gewordenen Schichtentheorien sind von einem physikalisch orientierten Biologismus getränkt. Zum mindesten das physikalisch Raumhafte des geologischen “Aufschichtungs”-Modells ist von Kritikern wiederholt beanstandet worden. Vollends das Baconistisch-pragmatistische Vorurteil (bei Bühler S. 19 apostrophiert), wonach Wissenschaft dazu da ist, zu verändern und für solche Veränderung Voraussagen zu machen, - dieses Vorurteil hat sich seither entschieden weiter vorgeschoben. Zwar setzt es wieder eine Teleologie und zudem explizite axiologische Setzungen voraus, operiert aber im Prognostizieren wiederum weitgehend kausalistisch - bestenfalls “vektorenanalytisch” im Sinne von Lewin. Ein Vektor aber ist nur dann ein Vektor, wenn er als kausal angreifende Kraft interpretiert werden kann - was ja wohl auch die Meinung ist. Das eigentliche Herzstück von Bühlers Krise: die Drei-Aspekten-Lehre, hat sich als ein Ei des Kolumbus erwiesen. Zu ihrer bleibenden Bedeutung und Fruchtbarkeit hat sich zum Beispiel Lersch 1951 und 1953 noch einmal ausdrücklich bekannt, um zugleich in seinem “Aufbau der Person” den Begriff des Aspekts, dem Wortsinn folgend, auf die verschiedensten perspektivischen Beziehungen auszuweiten. Daß man dem behavioristischen Radikalismus endgültig stattgeben und den Erlebnisaspekt - den horribile dictu “subjektiven” - aus der Wissenschaft bannen und verbannen könne und müsse, hatte nur vorübergehend Wahrscheinlichkeit. Vor allem im Laufe des jüngsten Jahrzehnts wurde auch in den USA das Bewußtsein und das Erleben wissenschaftlich in den verschiedensten Formen und Zusammenhängen “wieder entdeckt” und “reconsidered” (so wörtlich zum Beispiel McClelland und David Bakan). Und selbst in der Tierpsychologie und der ausdrücklich so genannten “Verhaltensforschung” tauchen Rückschlüsse auf die “subjektive” Seite des tierischen Verhaltens zögernd wieder auf - wie dies zum Beispiel Felix Krueger und Hans Volkelt noch 1937 energisch verfechten, Konrad Lorenz u.a. eher stillschweigend wieder oder weiter tun. Die negative Formulierung dieser Möglichkeit begegnet in der spitzen These Arnold Gehlens (1940, S. 203): “Es gibt keine Psychologie, sondern nur eine Biologie von innen.” Die drei Aspekte Bühlers begründen sich vom Inhaltlichen, ja regelrecht vom “Stoff”, das heißt vom Erkenntnisgebiet oder Erkenntnisgut her; sie sind “Aspekte” insofern, als sie die möglichen Ausgangsbasen der psychologischen Erkenntnis bezeichnen, nach denen man hinblickt, nicht von denen man ausblickt. Quer dazu stellen sich inzwischen, rein formalmethodisch verlaufend, mindestens zwei mal zwei weitere Aspekte, hier also nicht im Sinne des Anblicks für den Psychologen, sondern des Ausblicks des Psychologen auf das Erblickte, das Material. Es sind dies: 1. Der alte Methodendualismus von Physiologischer und Völkerpsychologie im Sinne Wundts, das heißt von experimenteller und nicht-experimenteller Verfahrensweise, in Parallele zur Dilthey-Sprangerschen Alternative von natur- und geisteswissenschaftlicher Psychologie. Die letztere sollte nach Bühler als dritter seiner 3 Aspekte eingefangen werden; doch kennt sowohl Spranger auch ein Experiment in der geisteswissenschaftlichen Psychologie (zum Beispiel Denkpsychologie und Intelligenzforschung) als auch umgekehrt Bühler ein nicht-experimentelles Verfahren in der Erlebens- und Verhaltenspsychologie. Hier bestehen also keine vollen Deckungen. Neu formuliert und stärker formalisiert erscheint der Gegensatz allerjüngst (1957) bei Lee J. Cronbach in dem Albert Wellek 124 nordamerikanischen “Schisma” von experimenteller und “korrelationeller”, das ist im weitesten Sinne vergleichender Psychologie. Letzteres läßt sich auf die Kruegersche Gegenüberstellung von Phänomenologie im engeren Sinne und Strukturtheorie, daß heißt Beschreibung und ontologischer Reduktion hinausführen oder eigentlich erweitern. Hier hat der anthropologische oder (allgemeiner) “philosophische” Aspekt seinen Ort, welch letzteren Lersch an 4. Stelle zu den Bühlerschen Aspekten hinzugenommen wissen will. Da es sich hier aber nicht so sehr um ein neues (viertes) Stoffgebiet als um einen Standpunkt und eine Sicht- und Verfahrensweise handelt, so wird es zweckmäßiger sein festzuhalten, daß der strukturell-anthropologische ebenso wie der primär phänomenologische Aspekt als zwei formal-methodische Aspekte gleicherweise durch alle drei Bühlerschen Materialaspekte (Erleben, Verhalten, Werk) hindurchschneiden. 2. Die von Eduard May im Anschluß an Nicolai Hartmann und die Scholastik formulierten “Intentionen”, nämlich “intentio recta” und “obliqua”. Hier zeigt sich, daß die Nichtanerkennung der ersten Erkenntnisrichtung - der intentio recta - auch die Durchsetzung der Bühlerschen Trias gefährdet. Wird nämlich der “subjektive” oder Erlebnisaspekt als der intentio obliqua unzugänglich, ja unannehmbar verworfen, so bleibt als einziges “Behavior = Leistung” zugelassen, das heißt Verhaltens- und Werkaspekt ineinsgesetzt. Die Eigenart und Eigenständigkeit des letzteren, als des “geisteswissenschaftlichen” Aspekts, wird dann gar nicht gesehen. Und doch liegt gerade hier die Stelle, wo ein wesentlicher “Fortschritt” im Sinne der Ausweitung und zugleich Vertiefung der wissenschaftlichen Psychologie erzielt werden konnte. Nur durch die Wiedergewinnung der intentio recta konnte die Ausdruckskunde, zumal im Sinne von Klages, nur durch die strukturell ontologische Reduktion die Charakterkunde und mit dieser die sogenannte Tiefenpsychologie in das System der Psychologie hereingenommen oder diesem zurückgewonnen werden. Das “Unbewusste” ist ein ontisch Strukturelles, das Strukturelle (im Sinne Felix Kruegers) ein Unbewußtes. Auf dieser Ebene kann die sogenannte Tiefenpsychologie verwissenschaftlicht, nämlich der Charakter- und Persönlichkeitstheorie eingegliedert werden. Das “Unterbewusstsein” ist Struktur, die Tiefenpsychologie ist, wie die Charakterologie, Strukturpsychologie und insofern ein Teil der Charakterologie. Von den vier “Axiomen” der “klassischen” Psychologie des ausgehenden letzten Jahrhunderts, wie sie Bühler im Vorwort zur Neuauflage der “Krise” formuliert, wurden drei (das atomistische, das sensualistische und das mechanistische) durch die Ganzheitspsychologie, das erste (das subjektivistische) durch den Behaviorism widerlegt. Wie an anderer Stelle vom Verfasser dargelegt 4 , blieb als weiteres (5.) Axiom das “objektivistische” zu nennen, das heißt die “Konstanzannahme” im Sinne Wolfgang Köhlers, das aus dem atomistischen und mechanistischen erfließt und mit diesen beiden durch die Gestalt- und Ganzheitspsychologie widerlegt wird. Und schließlich impliziert das erste, das “subjektivistische”, ein 6. (und letztes) Axiom, das “phänomenalistische”, welches die Existenz der Seele wissenschaftlich ausschließt, das heißt eliminiert (als “Psychologie ohne Seele”). Dieses ist durch die “anthropologische Wende”, das heißt durch die Strukturpsychologie im Kruegerschen Verstande, und schon durch die bloße Möglichkeit einer Charakterologie und Tiefenpsychologie überwunden. Die methodologische Arroganz, die zu Bühlers “Krisen”-Zeit noch nicht so stark im Vordergrunde stand wie heute, gruppiert sich nunmehr um drei für manche Kreise überwertige Ideen: Behavior, Objektivität, Voraussetzungslosigkeit. Die letztere segelt neuerdings Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 125 bevorzugt unter der Flagge des “Operationismus”. Daß der Alleinanspruch des Verhaltensaspektes selbst dort, wo er herkam und Mode war, überwunden ist, ist schon gesagt worden. Daß es Voraussetzungslosigkeit in der Psychologie nicht gibt, wird gleichfalls mehr und mehr eingesehen, seit die Voraussetzung von der Voraussetzungslosigkeit der reinen, “exakten” Naturwissenschaften erschüttert, das heißt als ihrerseits voraussetzungsvoll erkannt worden ist 5 . Bleibt die Gleichsetzung des Begriffs der Objektivität mit der Alleingeltung einer einzigen - der mathematischen - Methode: eine Ausschließlichkeit, die in der kontinental-europäischen Psychologie niemals aktuell gewesen ist und in der nordamerikanischen wahrscheinlich nicht mehr lange aktuell sein wird - nach bestimmten neuen “Krisen”-Zeichen zu urteilen. Der Gegensatz von phänomenologischer, das heißt eigentlich psychologischer Methode und operationeller, das heißt eigentlich nicht-psychologischer Methode in der Psychologie ist eine Spezifizierung der allgemeineren Alternative von intentio recta und obliqua und wie diese nur in der Bejahung beider, das heißt in der Synthese zu lösen, worauf - im Anschluß an den Verfasser - neuestens besonders dessen Mitarbeiter Theo Herrmann hingewiesen hat 6 . Als Fazit dieser knappen Rück- und Überschau ergibt sich, daß in der Geschichte einer Wissenschaft ein Dritteljahrhundert doch recht wenig auszumachen scheint. Die 4 Axiome der “klassischen” Psychologie ergänzen sich durch zwei weitere. Das Bühlersche 2.-4. Axiom bildet unter sich und mit dem 5. (“objektivistischen”) eine Einheit und ist durch die Ganzheitspsychologie, soweit - und nur soweit - diese sich durchgesetzt hat, widerlegt. Das 1. (subjektivistische) wird durch ein sechstes (das “phänomenalistische”) Axiom vertieft; das 1. ist durch den Behaviorism und durch die Strukturpsychologie, das 6. allein durch diese überwunden. Dank letzterem ist die Einbeziehung der Charakterologie samt der “Tiefenpsychologie” in das System der Psychologie möglich geworden. Bühlers Lehre von den 3 Material-Aspekten der Psychologie hat sich im wesentlichen durchgesetzt. Quer dazu treten 2 formal-methodische Aspekte, die, jeder in seiner Weise, durch alle 3 Material-Aspekte hindurchschneiden: a) intentio recta und obliqua; b) der phänomenologische und der ontologisch-strukturtheoretische Aspekt. Der Gegensatz von natur- und geisteswissenschaftlicher Psychologie, soweit noch aktuell, reduziert sich auf den der beiden ersten Materialaspekte gegenüber dem dritten. Hinter dem Schlagwort “Naturwissenschaftliche Psychologie” verbirgt sich zuletzt nur noch eine wissenschaftlich-weltanschauliche Überzeugung, nämlich der Positivismus - nicht mehr eine rein methodischthematische Gebietsabgrenzung wie zuvor. “Geisteswissenschaftliche Psychologie” ist sodann, was per exclusionem übrigbleibt, also alle nicht-positivistische Psychologie. Alle diese Klärungen sind indes noch nicht endgültig ausgefochten, etliche eben erst angebahnt und zukünftigen Bemühungen anempfohlen. Dazu mag in unserm besonderen Falle das politische Unheil der letzten Jahrzehnte beigetragen haben, das eine viel schlimmere Auseinanderentwicklung der Nationen und Kontinente auf einem philosophisch-weltanschaulich so voraussetzungsvollen Gebiete zur Folge hatte als in weniger voraussetzungsvollen Wissenschaften, und als unter der hypothetischen Bedingung zu erwarten gewesen wäre, daß kein 2. Weltkrieg auf Jahre hinaus alle Verbindungen zerrissen hätte. Wie dem auch sei: so viel ein Bühler vor allem durch die 3- Aspekten-Lehre zur Klärung beigetragen und an Anstößen gegeben haben mochte - wir stehen in der Mehrzahl der Perspektiven noch vor den gleichen Problemen, ohne daß wir uns rühmen könnten, mit irgendeinem endgültig fertiggeworden zu sein. Tröstlich hinzuzusetzen, daß auch negative Entscheidungen nicht endgültig durchgedrungen sind. Verbotstafeln aufzurichten, deren sachliche Grausamkeit Bühler 1927 noch kaum ahnen konnte, ist seither Albert Wellek 126 mit verstärktem Aufwand versucht worden und doch nicht für Dauer gelungen. Auf dem alten Kontinent hat es kaum einen Psychologen von Bedeutung gegeben, der die Notwendigkeit der Integration und Synthese der Aspekte und Methoden nicht erkannt, in ihr nicht das Mittel gesehen hätte, eine fatale Vereinseitigung, ja Verkrüppelung der Psychologie als Wissenschaft abzuwenden. Im Lande des großen Gegenspielers aber sind mächtige Verbündete aufgestanden, die gleicherweise fordern, die Psychologie aus jeglichem “Schisma” herauszuführen. Das Schisma ist die Krise, die selbstkritische Einsicht in das Schisma aber die Überwindung der Krise der Psychologie. Zusammenfassung Ein Menschenalter nach Bühlers epochemachendem Buche “Die Krise der Psychologie” ist ein Rückfall in die Methodenkrise zu verzeichnen. Erst mit dessen Überwindung, die sich anzubahnen scheint, wird die Krise als endgültig überwunden gelten können. Dazu haben die von Bühler gebotenen Klärungen, zumal seine Lehre von den “drei Aspekten”, Entscheidendes beigetragen und weiter beizutragen. Summary One generation after Bühler’s epoch-making book, “Die Krise der Psychologie”, a relapse into the crisis of methods is to be registered. Only after its overcoming which seems to be initiated, the crisis will finally pass for conquered. To this overcoming, the clarification offered by Bühler, especially his doctrine of the “three aspects”, have been decisive contributions. Résumé Une génération après la parution du livre célèbre de K. Bühler (La Crise de la Psychologie), on doit constater une rechute dans la crise des fondements et des méthodes. Ce n’est qu’au moment où cette rechute aura été vaincue qu’on pourra dire que la crise aura été complètement surmontee. A ces progrès, les clartés apportées par Bühler, et notamment sa théorie des trois aspects auront eu une part décisive, et conserveront toute leur importance à l’avenir. Anmerkungen 1 O, Sie sind ein Psychologe? Können Sie in meiner Seele lesen? - Ich hätte es nicht gekonnt, selbst wenn sie eine gehabt hätte. - Und ich hätte es gekonnt, selbst wenn sie keine gehabt hätte. 2 Der Rückfall in die Methodenkrise der Psychologie als Ausdruck der Divergenz der Menschenbilder. Bericht über den 21. Kongreß der Deutschen Gesellschaft f. Psychologie in Bonn 1957, Göttingen 1958, 23-39. Selbständig (erweitert und kommentiert): Göttingen, Hogrefe, 1959 (34 S.). 3 Daß andererseits auch der Zweckzusammenhang nicht bloß mehr und anders ist als der bloße Kausalzusammenhang, sondern zugleich weniger und anders als der Ganzes-Glied-Zusammenhang, hat F. Krueger gegen Dilthey und O. Spann gegen die Scholastik geltend gemacht. Dazu Wellek: Verstehen, Begreifen, Erklären. Jahrbuch f. Ein Dritteljahrhundert nach Bühlers “Krise der Psychologie” 127 Psychologie u. Psychotherapie, 1, 1953, S. 401f.; Das Problem des seelischen Seins, 2 Meisenheim-Wien 1953, S. 42. - Spann: Kategorienlehre, Jena 2 1939, S. 22f.. 50. Hier das witzige Bild: “Der Zweck ist … die psychologische Ursache, die gleich einer Gebirgslokomotive von hinten anschiebt.” 4 Die Entwicklung der Grundannahmen der Psychologie und die Überwindung des Phänomenalismus und Psychologismus. Jahrb. f. Psychol. u. Psychother. 4, “1956” (1957), S. 211ff. 5 Dazu mein Vortrag “Die Anschauung vom Menschen in der modernen Psychologie” in: Das ist der Mensch, Stuttgart (Kröner) 1959, S. 58 6 Wellek: Mathematik, Intuition und Raten, Stud. gen. 9. 1956, S. 541ff. Th. Herrmann: Der Methodendualismus in der Psychologie. Jahrb. f. Psychol. u. Psychother. 5, “1957” (1958), S. 182ff.