eJournals Kodikas/Code 28/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2005
281-2

Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts

61
2005
Ilse Bürmann
Leonie Herwartz-Emden
kod281-20181
Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden Im folgenden Artikel werden Leben und Werk der Wissenschaftlerin Charlotte Bühler (1893-1974) vorgestellt und in ihrer Verwobenheit mit der wissenschaftlichen Entwicklung ihrer Disziplin und den zeitgeschichtlichen Bedingungen ihrer Biographie analysiert. Ihr inhaltlicher und methodischer Pioniergeist, ihr ganzheitlicher Zugriff auf den menschlichen Lebenslauf, ihre Beziehung zur Psychoanalyse sowie ihre Position als Frau in der Wissenschaft sind wichtige Ansatzpunkte für die Einschätzung von Leben und Werk. In die Würdigung ihrer wissenschaftlichen Gesamtleistung sind die widersprüchlichen und ambivalenten Aspekte ihres Werkes einbezogen. Ausgangspunkt und Perspektiven Charlotte Bühler wurde am 20. Dezember 1893 in Berlin geboren und verstarb am 3. Februar 1974 in Stuttgart. 1993 jährt sich ihr 100. Geburtstag. Sie hat auf den Gebieten der Kinder-, Jugend- und Lebenslaufpsychologie richtungsweisende Forschungsarbeiten verfaßt und ist sowohl für die Psychologie als auch für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung. Das erste große empirisch fundierte Werk zum Jugendalter und zur wissenschaftlichen Entwicklungspsychologie in deutscher Sprache wurde von Charlotte Bühler verfaßt; sie beeinflußte damit ganze Generationen von Psychologen, Pädagogen und Philosophen. 1 Sie publizierte von 1918 bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts; einige ihrer Arbeiten erreichten ungewöhnlich hohe Auflagen in verschiedenen Sprachen und werden noch heute verkauft und gelesen. 2 Ihr Ziel war es, eine allgemeine Anthropologie des menschlichen Lebenslaufs zu begründen. Wenn eine Perspektive ihr Werk auszeichnet, so ist diese mit dem Stichwort “ganzheitlich” zu umfassen, denn Charlotte Bühler hat sich immer bemüht, Komplexität zu erhalten, auch in ihrer empirischen Forschung. Der Bühlersche Forschungsansatz, der in der europäischen wissenschaftlichen Tradition zu Beginn dieses Jahrhunderts zu verorten ist, wird neuerdings in einigen Ansätzen der Sozialisations- und Jugendforschung rehabilitiert. 3 Hier greift man auf Perspektiven und Fragestellungen der “alten” Entwicklungspsychologie zurück, um so den Interpretations- K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 182 rahmen zu erweitern und eine Folie für das Verständnis seelischer Entwicklungen zu gewinnen. Charlotte Bühler legte ihren Schwerpunkt auf die Reifungsprozesse des Menschen, die interne Organisation und Struktur des Seelenlebens im Zusammenhang mit den Entwicklungsverläufen des Gesamtlebenslaufs. Hieraus begründete sie eine Theorie bzw. ein Modell der optimalen, zielgerichteten menschlichen Entwicklung. Dabei hat sie neben der allgemeinen und biologisch verankerten Entwicklungsrhythmik den Gedanken der individuellen Unterschiede im Entwicklungsverlauf und den eigenen aktiven Gestaltungsaspekt zu einem Zeitpunkt berücksichtigt, zu dem dies durchaus neu und ungewöhnlich war. Eine wichtige und einflußreiche Position hatte Charlotte Bühler darüber hinaus in der Humanistischen Psychologie 4 , deren Begründung sie mitinitiierte und deren Bewegung sie bis ins hohe Alter hinein mittrug. Ihre gemeinsam mit Melanie Allen verfaßte Einführung in die Humanistische Psychologie ist ein Standardwerk und enthält wichtige Grundgedanken dieses Ansatzes. Ihre Bemühungen um die Analyse von Gesamtlebensläufen sind in das Themenspektrum der Humanistischen Psychologie dauerhaft (vgl. ebd. S. 27) eingegangen und können überdies als Vorläufer und Impulsgeber für eine Ausweitung der Entwicklungspsychologie auf die gesamte Lebensspanne betrachtet werden. 5 Im folgenden wird zunächst dargestellt, welche Person Charlotte Bühler war und worin ihre biographischen Bedingungen, ihr sozialer und familiärer Hintergrund und die Verhältnisse ihrer Zeit bestanden. In diesem Zusammenhang halten wir eine Einschätzung der Beziehung zwischen Karl und Charlotte Bühler für notwendig, und zwar in privater und wissenschaftlicher Perspektive. Diese Zusammenschau bietet somit einen Beitrag zum Verhältnis von Wissenschaft, Alltag und Gesellschaft. Die Bühlersche wissenschaftliche Leistung ist vielfach gebrochen durch die deutsche Geschichte - Charlotte Bühler war Jüdin und mußte, um ihr Leben zu retten, emigrieren. Ihr Schicksal (ebenso wie das ihres Mannes als Nicht-Jude) und die - dennoch unglaubliche - Produktivität und Flexiblität ihrer wissenschaftlichen Existenz steht exemplarisch für die Lücke, die der Naziterror durch die Auslöschung bzw. Vertreibung der jüdischen Intelligenz in der deutschen Wissenschaft hinterlassen hat. Die Beschreibung und Würdigung ihres wissenschaftlichen Werkes geschieht im Hinblick auf die Stationen ihres Lebens und in bezug auf die wichtigsten Strömungen ihrer Disziplin, wie sie sich zeitgleich mit ihrer Forschungstätigkeit darstellten. Den Abschluß der Ausführungen bildet eine Analyse der Nachrufe sowie eine Einschätzung ihrer Position als Frau in der Wissenschaft. Ergänzend wird eine von uns erstellte Werkbibliographie angefügt. Die frühe Biographie 6 Elternhaus und Kindheit in Berlin Charlotte Bühler wurde am 20. Dezember 1893 in Berlin-Charlottenburg geboren. Sie stammt aus einer assimilierten jüdisch-polnischen Familie, die sich in Berlin niedergelassen hatte und sehr reich war. Charlotte Bühlers Vater, Herrmann Malachowski, war Regierungsbaumeister und Architekt im damaligen Berlin und baute an großen Aufträgen. So war er an der Erstellung des architektonisch bedeutenden ersten deutschen Warenhauses von A. Wertheim beteiligt. Ihre Mutter, Rose Malachowski, war eine sehr gebildete Frau. Sie Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 183 hatte in ihrer Jugend Latein und Griechisch studieren wollen, was ihr allerdings an den preußischen Universitäten nicht möglich war. Stattdessen absolvierte sie eine Ausbildung in Gesang und Klavierspiel. Es gelang ihr später, als Gasthörerin in Paläontologie und Archäologie zugelassen zu werden, da die Antike sie besonders interessierte. 7 Der Mutter, die selbst unter ihrer mangelhaften Ausbildung und der für sie unzureichenden “Mädchenbildung” litt, kam das Verdienst zu, die Tochter rechtzeitig für das Gymnasium angemeldet zu haben. Beide Eltern betrachteten es als selbstverständlich, so Charlotte Bühler, daß ihre beiden Kinder studieren würden (vgl. ebd., S. 13). Charlotte Bühler hatte einen fünf Jahre jüngeren Bruder Walter, welcher jedoch mit 25 Jahren, ein Jahr nach seiner Promotion in Nationalökonomie, verstarb. Beide Kinder hatten nicht die musikalische Begabung der Mutter und teilten nicht die künstlerischen Interessen ihrer Eltern. Der Vater, so Charlotte Bühler, war tief enttäuscht, als sie im letzten Schuljahr die Absicht äußerte, Psychologie und Philosophie zu studieren. Ihre Beziehung zu den Eltern wird von Charlotte Bühler (vgl. ebd., S. 11) damit gekennzeichnet, daß sie meint: “Unsere Eltern standen uns Kindern nicht nahe …”. Die Mutter war mit ihren Studien beschäftigt, die Eltern häufig gemeinsam auf Reisen. (Die Kinder wurden selbstverständlich von Gouvernanten betreut.) Dennoch wird der ungeheuer vielfältige, kulturell und künstlerisch anregungsreiche Charakter des Elternhauses von Charlotte Bühler detailliert erinnert und in den Konsequenzen für ihre Entwicklung interpretiert. Rose Malachowski, die Mutter, führte um die Jahrhundertwende im Elternhaus einen Salon. 8 Der Vater hatte über die architektonischen Interessen hinaus eine umfassende künstlerische Bildung und sammelte Kunstgegenstände. Die Familie unternahm zahlreiche Reisen und brachte die Kinder schon sehr früh in die großen Museen verschiedener Länder. Studium und Beginn der akademischen Laufbahn Charlotte Bühler verbrachte ihr erstes Semester in Freiburg mit dem Studium verschiedener Fächer. Sie entschied sich aber dann, nach ihrem zweiten Semester Medizin in Berlin und dem Schwanken zwischen geisteswissenschaftlicher oder naturwissenschaftlicher Ausrichtung ihres Studiums, für Psychologie als Hauptfach. Charlotte Bühler beschäftigte sich bereits, ihrer Selbstdarstellung zufolge, als 17jährige Gymnasiastin mit dem Thema “Denken” (vgl. ebd., S. 10). Zu diesem frühen Zeitpunkt entwickelte sie ein kleines Denkexperiment, das sie später an der Universität weiterentwickelte. 1914 stieß sie auf den Namen Karl Bühler, der, so Charlotte Bühler, offensichtlich etwas ähnliches wollte wie sie selbst. Schenk-Danzinger zufolge 9 beabsichtigte Charlotte Bühler frühzeitig, Karl Bühler als denjenigen Wissenschaftler kennenzulernen, der zum damaligen Zeitpunkt an erster Stelle in Deutschland über Denken und zur Denkpsychologie gearbeitet hatte. Charlotte Bühler studierte in Berlin bei Karl Stumpf, der ihr sehr bald eine Dissertation anbot und eine Stelle als Assistentin. Bei Stumpf hätte sie allerdings über Gefühlsempfindungen promovieren müssen - deshalb entschied sie sich dagegen (vgl. ebd., S. 17). Stumpf empfahl sie daraufhin nach München, zu Oswald Külpe. Charlotte Bühler ging 1915 mit einem Empfehlungsschreiben von Karl Stumpf nach München, um bei Külpe zu promovieren. Dieser unterstützte sie sogleich und überließ ihr einen Experimentierraum. Külpe verstarb im gleichen Jahr unerwartet, Karl Bühler vertrat seinen Lehrstuhl und erbte gewissermaßen die junge Charlotte als Doktorandin. Bereits zwei Wochen nach der Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 184 Bekanntschaft der beiden machte Karl, 37, der 22jährigen Studentin einen Heiratsantrag. Er sah, so Charlotte Bühler (vgl. ebd., S. 19), in der jungen Studentin eine Frau, die mit ihm seine Interessen teilen könne und ein entsprechendes geistiges Niveau habe. 10 Am 4. April 1916 heirateten die beiden in Berlin in der evangelischen Kirche an der Friedrichstraße. (Karl Bühler selbst war katholisch). Zwei Jahre nach der Heirat mit Karl Bühler (1918) promovierte Charlotte, und zwar zu dem Thema “Denkexperimente”, einem Forschungsthema, das von Karl Bühler seit längerem erfolgreich bearbeitet wurde. Vor Beendigung der Dissertation schrieb sie auf Karls Anregung hin eine kleinere Arbeit über: Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Charlotte und Karl Bühler gingen zu Anfang ihrer Ehe nach Dresden, wo Karl Bühler an der TH Dresden eine außerplanmäßige Professur erhalten hatte. In Dresden begann Charlotte Bühler ihre psychologische Laufbahn, sie wurde hier 1920 zur Privatdozentin (der ersten in Sachsen) ernannt. Ihre Habilitationsschrift schrieb sie über die Entdeckung und Erfindung in Literatur und Kunst - eine psychologische und nicht literarische Studie (vgl. ebd., S. 21). 1917 bekam Charlotte Bühler ihr erstes Kind, Tochter Ingeborg; 1919, während der Vorbereitung auf ihre Habilitation, ihr zweites, Sohn Rolf. Sehr bald danach zogen die Bühlers gemeinsam nach Wien, da Karl Bühler einem Ruf an die Universität Wien gefolgt war. Das Ehepaar Bühler Die Wiener Jahre Das Ehepaar Bühler lebte und arbeitete die folgenden 16 Jahre, bis 1938, in Wien. Karl Bühler war Ordinarius für Psychologie, unterrichtete zusätzlich in Lehrerfortbildungskursen Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 185 am Pädagogischen Institut der Stadt Wien und befaßte sich mit pädagogischen Problemen. Karl und Charlotte Bühler entfalteten gemeinsam, aber mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten, eine breit angelegte Forschungstätigkeit, die im nachhinein als WIENER SCHULE bekannt wurde. Unter Mitarbeit einer ständig anwachsenden Gruppe von Assistenten und Studenten aus aller Welt und mit großzügiger finanzieller Unterstützung durch die Rockefeller Foundation bauten sie das Psychologische Institut auf, das damals als eine der bedeutendsten Einrichtungen weltweit angesehen werden konnte. “Karls Hauptvorlesung über ‘Allgemeine Psychologie’ galt als ein gesellschaftliches Ereignis und wurde von bis zu 1.000 Studenten besucht. Die Seminare waren bis auf den letzten Platz mit hervorragenden wissenschaftlichen Mitarbeitern und Doktoranden aus aller Welt besetzt. 1937 nahmen Studenten aus 18 Nationen an diesen Veranstaltungen teil.” (Ch. Bühler, 1984) 11 Zu den Schülern von Karl und Charlotte Bühler gehörten herausragende Psychologen und Mediziner ebenso wie bekannte Psychoanalytiker und Psychiater. Als frühe Schüler nennt Charlotte Bühler selbst: Hildegard Hetzer, Lotte Schenk-Danziger, Else Frenkel, Käthe Wolf, Rene Spitz, Paul Lazarsfeld, Marie Jahoda, Herta Herzog und den Hauptschüler Karl Bühlers, Egon Brunswick (Ch. Bühler, 1965, S. 190). Als Dissertanten der Periode 1922-1938 und später bekannt gewordene Österreicher und Deutsche nennt sie - außer den bereits genannten - Paul Bergmann, Fritz Redl, Liselotte Frankl, Edith Weisskopf-(Joëlson), Ernst Dichter, Liselotte Fischer, Hedda Bolgar, Hans Zeisl, Peter Hofstätter, Wally Reichenberg (Hackett), Anna Brind. Die ersten Studienjahre verbrachten ihr zufolge bei den Bühlers: Marianne Frostig, Viktor E. Frankl, Rudolf Ekstein und Fritz Redlich. Ihre Doktoranden kamen aus aller Welt nach Wien; Charlotte Bühler erwähnt, daß sie anläßlich eines Kongresses 1937 in Paris feststellte, daß ihre Doktoranden aus 18 Nationen stammten (vgl. ebd., S. 190). Sie erhielten ihre Grundausbildung bei Karl und Charlotte Bühler oder nahmen an deren Seminaren teil und promovierten z.T. bei ihnen. Charlotte Bühler selbst hatte ab 1929 in Wien eine außerplanmäßige Professur, die sie bis zur Emigration des Paares im Jahre 1938 inne hatte. Charlotte Bühler (1965) schreibt selbst über ihre Wiener Jahre: “Die Faszination Wiens für uns lag nicht nur in der Stadt, sondern in der ungeheuren psychologischen Begabung unserer Schüler - jener psychologischen Atmosphäre, aus der auch die Psychoanalyse und andere psychologischen Richtungen hervorwuchsen. Ein Phänomen, das im jetzigen Augenblick ähnlich in Amerika zu beobachten ist, nämlich der Anteilnahme der gesamten gebildeten Bevölkerung an Problemen der Psychologie, war damals nur in Wien zu erleben. Es war eine Atmosphäre, in der Schüler zu Mitarbeitern und Freunden und andererseits Freunde zu Schülern wurden, und in der eine ungeheure wechselseitige Anregung bestand.” 12 Diese wechselseitige Anregung bestand ganz offenbar auch zwischen den Ehepartnern Karl und Charlotte Bühler. Charlotte erwähnt Karl in vielen ihrer Arbeiten. Wieweit Karl seinerseits auf die theoretischen Überlegungen und methodischen Ansätze seiner Frau einging, ist uns nicht bekannt. Er widmete Charlotte sein berühmt gewordenes (in den siebziger Jahren neu aufgelegtes) Buch Die Krise der Psychologie (1927). Es gibt Hinweise darauf, daß die junge Charlotte Bühler von ihrem Mann sehr gefördert und gerade in ihrer durchaus eigenständigen Entwicklung unterstützt worden ist. 13 Beide Ehepartner bezogen die Beobachtungen an ihren Kindern in ihre entwicklungspsychologischen Arbeiten mit ein 14 und haben über sie ein Entwicklungstagebuch verfaßt (nicht veröffentlicht). Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 186 Das Ehepaar Bühler hat ein entfaltetes gesellschaftliches Leben geführt. Zumindest für die frühen Wiener Jahre bis 1938 ist belegt, daß sie einen fast herrschaftlichen Haushalt führten mit vielen gesellschaftlichen Ereignissen. 15 Die Kinder wurden weitgehend von einem Kindermädchen aufgezogen, das bereits in Charlottes Familie tätig war. Der Wiener Haushalt war ein gesellschaftlicher Glanzpunkt, Karl und Charlotte Bühler fuhren in den 20er Jahren z.B. einen Packard - ein teures Auto, das sich ein “normaler” Professorenhaushalt nicht leisten konnte. 16 Charlotte Bühler war auch von der äußeren Erscheinung her offensichtlich eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die immer äußerst modisch und elegant, mit großen Hüten und viel Schmuck gekleidet war. 17 Sie war eine leidenschaftliche Tänzerin. Karl Bühler, der aus einer eher kleinbürgerlichen bzw. bäuerlichen Familie stammte und nur mit Unterstützung kirchlicher Stipendien studieren konnte, war im Vergleich zu Charlottes souveränem und gesellschaftlich gewandtem Auftreten etwas zurückhaltender und bescheidener. Karl Bühler war gut aussehend und wird in den Erinnerungen eines Freundes und Schülers 18 als sprühender Geist und als äußerst charmanter, unterhaltender und inspirierender Mann dargestellt. Während Karl Bühler als das geistige Zentrum des Freundeskreises dargestellt wird, weist Eschbach auf Charlottes Funktion als “road manager” für Karl hin. Die Wiener Jahre sind für Charlotte Bühler zusammenfassend zu charakterisieren als eine Zeit, in der sie sich als Frau eines berühmten Mannes in vielerlei Hinsicht entfalten konnte, ohne in seinem Schatten zu stehen. Flucht aus Wien und Auswanderung Das Leben in Wien war für das Ehepaar Bühler mit dem Jahre 1938 (Anschluß Österreichs) abrupt beendet. Karl Bühler wurde von den Nazis verhaftet, während sich Charlotte zufällig in London aufhielt. Sie versuchte mit allen Mitteln, ihn aus dem Gefängnis zu holen. Nach Aussagen Charlotte Bühlers warfen die Nazis Karl Bühler vor, er habe die austro-katholische Regierung des Kanzlers Schuschnigg unterstützt und sei sowohl in seinem Privatleben als auch in der Verwaltung seines Instituts philosemitisch gewesen. 19 Eschbach zufolge war Karl eher sozialreformerisch und reformpädagogisch orientiert, d.h. politisch eher “links” als “rechts” einzuordnen und sei von daher als Person konservativen Kreisen ebenso wie den Nazis unliebsam gewesen. 20 Mit Hilfe norwegischer Freunde gelang es Charlotte Bühler letztlich, Karl aus der Haft zu befreien, so daß er und Ingeborg nach Norwegen ausreisen konnten, während Rolf nach England flüchtete. Das Ehepaar Bühler befand sich ab 1940 in den USA. 21 Zu Anfang ihres USA-Aufenthaltes waren sowohl Karl als auch Charlotte Bühler darauf angewiesen, an einem College zu unterrichten. Sie war Mitglied des Lehrkörpers am St.-Catherine-College und er am St.- Thomas-College in St. Paul, Minnesota. Karl Bühler war psychologischer Berater an dem “Cedars of Lebanon Hospital” und klinischer Assistenzprofessor für Psychiatrie an der medizinischen Abteilung der Southern California University. Charlotte Bühler hatte ab 1945 eine Stellung als klinische Psychologin an einer Klinik in Los Angeles (Kalifornien) und arbeitete seitdem vor allem auf dem Gebiet der klinischen Psychologie. Das Leben in der Emigration Charlotte Bühler schreibt rückblickend über ihre gemeinsame Zeit nach der Emigration: “Und leider muß ich nun berichten, daß, während meine eigene Entwicklung Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 187 einen neuen Aufstieg nahm, die von Karl einem Abstieg entgegenging.” (Selbstdarstellung, S. 37). Das Ehepaar Bühler mußte demnach mit der Emigration neben vielen anderen Schwierigkeiten auch eine starke Veränderung ihrer Rollen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit verarbeiten. Daß dies nicht ohne Krisen erfolgte, zeigen Hinweise darauf, daß Karl mit Depressionen zu kämpfen hatte (vgl. ebd., S. 35). Karl war zum Zeitpunkt der Emigration bereits 59 Jahre alt 22 (das Ehepaar verließ Europa 1938); er führte allerdings laut Eschbach in den USA seine rege Forschungstätigkeit weiter, hatte aber im Gegensatz zu seiner Frau offenbar Mühe, seine Arbeiten, die außerhalb herrschender Trends lagen, zu publizieren. 23 Charlotte Bühler gelang es demgegenüber, und das ist durch ihre Arbeiten ebenso wie durch zahlreiche Äußerungen von Zeitgenossen belegt, eine eigene Existenz, eine ganz eigene Forschungstätigkeit und eine (wirtschaftlich sehr erfolgreiche) 24 psychotherapeutische Praxis aufzubauen. Ihr Mann begleitete ihre Tätigkeit nun eher im Hintergrund: Charlotte berichtet, Karl habe Behandlungsprotokolle aus ihrer Praxis ausgewertet und später bei der Arbeit an ihrem Buch Psychologie im Leben unserer Zeit jedes Kapitel mit ihr durchgesprochen (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 40). So dürfte es nicht nur eine pietätvolle Geste, sondern eine sehr beziehungsreiche Handlung sein, daß Charlotte eines ihrer letzten Bücher ihrem 1963 verstorbenen Mann widmete, der mit der Frage der Lebenserfüllung in seinen späteren Jahren sehr gerungen haben dürfte. Das dem Andenken Karl Bühlers gewidmete Buch trägt den Titel: Wenn das Leben gelingen soll (1969, nur in deutscher Sprache erschienen). Sie selbst schreibt über das Erleben des Todes von Karl Bühler: “In gewisser Weise war dies auch für mich das Lebensende. Unser Zusammenleben von 47 Jahren hatte uns trotz vieler Stürme und mancher Konflikte zu tief vereinigt, um mir das Alleinleben erträglich erscheinen zu lassen.” (Vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 39). Die Jahre nach Karls Tod waren für Charlotte Bühler dennoch weiterhin von wissenschaftlicher Produktivität geprägt, immer mehr zentriert auf Grundfragen an den menschlichen Lebenslauf (Ziele, Werte) und auf Vermittlung psychologischer Lebenshilfe an eine breitere Öffentlichkeit. Die langjährige Ehezeit der Bühlers war, wie teilweise auch belegt ist, sicherlich nicht frei von Krisen und Konflikten, und man sollte sich hüten, ein wissenschaftliches “Traumpaar” zu konstruieren, wie es gelegentlich, z.B. in Lebzelterns Karl Bühler-Biographie, nahegelegt wird. Gleichwohl haben die Bühlers offenbar zeitlebens in wissenschaftlichem Dialog, persönlicher Liebe und Achtung in unterschiedlichen, stark wechselnden Rollen aufeinander Bezug genommen, ohne ihre Eigenständigkeit einzuschränken. Charlotte bringt die Unterschiede ihres wissenschaftlichen Ansatzes auf die Formel, Karl sei mehr an Strukturen, sie selbst mehr an Prozessen interessiert gewesen. 25 Angesichts des Zeitkontextes und auch des Altersunterschiedes der Ehepartner kann diese Eigenständigkeit durchaus Erstaunen hervorrufen. Wenn in dieser Ehe auf berufliche Entwicklungswünsche der Partner Rücksicht genommen wurde, dann war es insgesamt wohl eher Karl Bühler, der zugunsten Charlottes verzichtete: Die Ablehnung eines Rufes nach Harvard, den Karl im Jahre 1930 erhielt, und den man im nachhinein für seine weitere Karriere (angesichts der Vertreibung aus Wien) als folgenschweren Fehler ansehen muß, geht ebenso auf den ausdrücklichen Wunsch Charlottes zurück, in Wien zu bleiben wie der Verzicht auf die Rückkehr nach Wien im Jahre 1945. 26 Auf der anderen Seite war wiederum Charlotte die entscheidende psycho-soziale Stütze für Karl. So heißt es im Nachruf Rohrachers für Karl Bühler: Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 188 “In Frau Charlotte hatte Bühler eine Gefährtin, die ihm den größten Teil der Sorgen um das tägliche Leben abnahm. Mit unbezwinglichem Optimismus, unermüdlicher Aktivität und dauerndem höchstem Einsatz ihrer Arbeitskraft gelang es ihr, durch praktisch-psychologische Tätigkeit neue Existenzgrundlagen zu schaffen. Jeder, der das Schicksal der Familie Bühler verfolgen konnte, weiß, daß Karl Bühler ohne die ständige Fürsorge seiner Frau und ohne die ermunternde Atmosphäre, die sie um ihn zu schaffen wußte, die Phasen der Verdrossenheit, die er zu durchkämpfen hatte, wahrscheinlich nicht überstanden und kaum das Alter von 84 Jahren erreicht hätte.” (Zitiert nach Lebzeltern, a.a.O., S. 63). Die Notwendigkeit der Emigration war maßgeblich, wenn auch nicht ausschließlich (s.o.) bedingt durch Charlotte Bühlers jüdische Abstammung. Für Karl Bühlers Schaffen, seine Resonanz in der Wissenschaft und seine persönliche Befindlichkeit hat sie einen Einbruch bedeutet, von dem er sich nie wieder ganz hat erholen können. So hat er unter den Schicksalsfolgen dieser Ehe stärker zu leiden gehabt als Charlotte, “deren Stern”, wie Eschbach es ausdrückt, “in Amerika erst richtig aufging”. 27 Aber auch für Charlotte Bühler war die Emigration ein tiefer und schmerzlicher Einschnitt: Die ersten Jahre waren durch die Notwendigkeit des Geldverdienens geprägt, zwangen das Ehepaar zu zeitweiliger räumlicher Trennung und führten auch bei Charlotte zu einer vorübergehenden Reduzierung ihrer Publikationstätigkeit, die sie allerdings für eine produktive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse zu nutzen vermochte (s.u.). Entwicklung der wissenschaftlichen Fragestellungen Die Wiener Arbeiten Für Charlotte Bühler waren die Wiener Jahre insofern fruchtbar, als sie ihre Interessen, die sie bereits sehr früh zur Kinder- und Jugendpsychologie geführt hatten, weiterverfolgen konnte, und zwar in größeren experimentellen Untersuchungen. 28 Sie führte in Wien eine große Anzahl von Untersuchungen zur Kinder- und Jugendpsychologie durch, sowohl unter Einbeziehung von Verhaltensbeobachtungen, als auch unter Berücksichtigung von Jugendtagebuchmaterial. Gemeinsam mit Hildegard Hetzer entwickelte sie z.B. in diesen frühen Jahren bereits eine Methode zur Verhaltensbeobachtung von Säuglingen, mit Hilfe derer sie ihre Theorie über menschliches Verhalten im allgemeinen und die dynamischen Prinzipien des menschlichen Lebenslaufs begründete. Mit Hildegard Hetzer schuf sie auch die ersten, dem Kleinkindalter angepaßten Entwicklungstests. Charlotte Bühler gab in den Jahren 1925 bis 1938 die Wiener Arbeiten zur pädagogischen Psychologie heraus; ebenfalls in den Jahren 1928 bis 1938 die Quellen und Studien zur Jugendkunde. Bemerkenswert an diesen frühen Arbeiten ist das methodisch reflektierte Bemühen um die Abgrenzung von Beobachtungseinheiten, die weder nur atomistisch wie bei den Behavioristen noch nur interpretativ (und damit empirisch weitgehend unbrauchbar) sein sollten. Nicht unbeeinflußt von Karl Bühlers Denken entwickelten Charlotte Bühler und Hildegard Hetzer die Kategorie der Sinneinheit und beobachteten Verhaltenssequenzen von ihren elementarsten Sinnsegmenten aus (vgl. Ch. Bühler & H. Hetzer, 1927, S. 134f.). Die Erfahrungen aus den Kleinkindbeobachtungen, die sie in natürlichen Situationen und rund um die Uhr durchführten, brachten sie zu Erkenntnissen über Reifungsschritte und Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 189 Entwicklungsverzögerungen und wurden in Testmaterialien für Kleinkinder vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr standardisiert. Die Testbereiche umfaßten folgende Dimensionen: sinnliche Rezeption, Körperbeherrschung, Sozialität, Materialbeherrschung, Lernen, geistige Produktion (vgl. Hetzer, 1982, S. 197). Wie Hildegard Hetzer betont, liegt in der Ganzheitlichkeit dieser Testbereiche ein Vorzug, den Praktiker bis heute schätzen (vgl. ebd., S. 198). Hauptwerke dieser Zeit sind: Das Seelenlehen des Jugendlichen (Jena, 1922); Kindheit und Jugend (1928); Kleinkindertests (Entwicklungstests vom 1. bis 6. Lebensjahr, 1. Aufl. 1932); Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (1. Aufl. 1933); Praktische Kinderpsychologie (1938). Die letztgenannte Arbeit stellt eine Zusammenfassung ihrer frühen empirischen Studien zum Kindesalter unter pragmatischem Gesichtpunkt dar und kann somit als ihr erster “Ratgeber” angesehen werden, eine Literaturform, die sie später immer wieder aufgreift, und in der sich ihre Tendenz, einen Überblick zu geben und Zusammenhänge darzustellen, verbinden ließ mit ihrer Neigung, wertend Stellung zu nehmen und Ratschläge zu erteilen. 29 Charlotte Bühler hielt sich wiederholt in Amerika auf und holte sich zweifellos für ihre methodischen Überlegungen und Experimente immer wieder Anregungen aus der damals vorherrschenden Psychologie des Behaviorismus, zu der sie jedoch in kritischer Distanz blieb. Zugleich entwickelte sie ein hartnäckiges, nie enden wollendes Interesse für allgemeine Fragen der Entwicklungspsychologie, die sie über die kognitiv akzentuierten Studien von Karl Bühler hinaus 30 auf alle Bereiche des menschlichen Lebenslaufs und auf komplexe seelische und emotionale Phänomene und Prozesse ausdehnte. Die frühen kinder- und jugendpsychologischen Arbeiten, die, wie Hildegard Hetzer betont, in dem überaus kurzen Zeitraum von nur ca. acht Jahren entstanden sind, 31 werden unabhängig von der Bewertung ihres Gesamtwerkes durch Charlotte Bühler selbst heute als ihre wissenschaftsgeschichtlich unumstrittenste Leistung eingeschätzt (vgl. u.a. die Nachrufe im folgenden). Mit der Lebenslaufforschung, die sie in den dreißiger Jahren beginnt, ist sie eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich dem Lebenslauf als Ganzem systematisch zuwendet. Sie versucht, auch diese Konzeption wiederum empirisch zu untermauern, indem sie eine Vielzahl von (Auto-)Biographien und biographisches Material auswertet. Die Arbeit Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem betrachtet sie selbst als die für ihre persönliche Fragestellung entscheidendste (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 41). Die Fragestellung bezieht sich in dieser Etappe ihrer Lebenslauf-Forschung bereits auf Kriterien für die Feststellung von Erfüllung oder Nichterfüllung eines Gesamtlebens. Sie sieht diese vor allem in der Äquilibrierung unterschiedlicher Strebungen, besonders der Bedürfnis- und der Aufgabenorientierung. Im Lebensverlauf bedeutet dies, daß ein “Dominanzwechsel” von “Bedürfnis” zu “Bestimmung” (d.h. über die eigene Existenz hinausweisende Tätigkeit “für etwas”) vollzogen werden muß. In dem von ihr entwickelten Stufenmodell der Entwicklung geht sie zunächst von einem biologischen Phasenschema aus, das mit Aufbau-, Abbau- und mittlerer “Plateau”-Phase symmetrisch gegliedert ist. Ihrem Verständnis nach schließt sich an die Aufbauphase eine von vitalen Prozessen weitgehend unabhängige und über die vitale Existenz hinausweisende mentale Wachstums- und Produktivitätsmöglichkeit an. Der Gedanke einer gestuften Entwicklung hat sich trotz vielfältiger Kritik im entwicklungspsychologischen Denken überall dort gehalten, wo im theoretischen Ansatz die biologischen Reifungsprozesse eine Rolle spielen. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 190 Die Arbeiten in der Emigration Die Notwendigkeit, in den USA als klinische Psychologin Geld verdienen zu müssen, hatte für Charlotte Bühler keineswegs nur negative Auswirkungen. Ihre klinischen Erfahrungen kamen ihren Lebenslaufforschungen zugute; sie bereicherten ihre Fragestellung, veränderten den theoretischen Rahmen und lieferten eine zusätzliche, erfahrungsorientierte empirische Fundierung. (Fortan gewann belegendes Fallmaterial zunehmende Bedeutung in ihren Schriften.) Sie verfolgte weiterhin ihr Lebenswerk, nämlich den gesamten menschlichen Lebenslauf in seiner psychologischen Dynamik zu erfassen. Insbesondere drückte sich diese lebenslaufbezogene Forschungstätigkeit in der Veröffentlichung von drei größeren Werken aus, 1. einer stark überarbeiteten Neuauflage der Arbeit: Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (zuerst erschienen in Leipzig 1933), in den USA erschienen in Los Angeles 1959; 2. in dem monumentalen Sammelband, den sie gemeinsam mit Fred Massarik herausgab: The Course of Human Life. A Study of Goals in the Humanistic Perspective. New York 1969 (dt. 1969. Lebenlauf und Lebensziele. Studien in humanistisch-psychologischer Sicht. Stuttgart.); 3. in dem populärwissenschaftlich und als Ratgeber konzipierten Werk: Wenn das Leben gelingen soll. Dieser Band ist in deutsch geschrieben und auch nur in Deutschland erschienen und zwar in München/ Zürich, 1969. Auf der Basis ihrer klinischen Tätigkeiten in Kalifornien gewann sie Kontakt zu den amerikanischen Kreisen, die mit der vorwiegend psychoanalytisch orientierten Psychotherapie unzufrieden waren und die sich erst recht von der dominanten, am Behaviorismus orientierten, experimentell und rein forschungsorientierten Psychologie abwenden wollten. Diese Psychologengruppen schlossen sich 1962 auf einem denkwürdigen programmatischen Kongreß zur “Gesellschaft für humanistische Psychologie” zusammen. Charlotte Bühler war eine der Initiatoren und Organisatoren dieses Kongresses und der Gründung dieser Gesellschaft. Fortan kann sie als energische Verfechterin dieser Richtung in der Psychologie bezeichnet werden. Auf diese Weise vollzog sie selbst noch einmal programmatisch und auch wissenschaftspolitisch eine Kritik und Auseinandersetzung, die ihr Mann im Wien der zwanziger Jahre theoretisch entfaltet und sehr differenziert in seinem Buch Die Krise der Psychologie (1927) geführt hat. In ihrem letzten Buch bemüht sie sich um eine theroretische Erläuterung und Präzisierung der Humanistischen Psychologie. 32 Insbesondere geht es ihr darum, dieser Sammelbewegung von z.T. sehr unterschiedlichen amerikanischen und vor allem klinisch orientierten Psychologen durch Rückbesinnung auf humanistische Positionen und Traditionen in der europäischen Geistesgeschichte historische Fundierung zu verleihen. Ferner stellt sie die grundsätzliche lebenspraktische Bedeutung der Psychologie heraus und betont deren Verantwortung für die Zukunftsgestaltung der Menschheit. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte Charlotte Bühler zum Teil mit Vortragstätigkeiten in Europa und Reisen in der alten Heimat, Besuchen bei ihren Kindern und, in den letzteren Jahren, der Planung für eine mögliche Rückübersiedlung nach Deutschland. Aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes, der Charlotte Bühler weitgehend an den Rollstuhl zwang, verbrachte sie die letzten Jahre ihres Lebens in der Nähe ihres Sohnes in Stuttgart. Inwieweit sie ihr eigenes Alter, ihr Leiden im Alter und ihre Gebrechlichkeit zu einem Aspekt ihrer Auffassung vom menschlichen Lebenslauf verarbeiten konnte, ist nicht bekannt. Ebenso ist offen, wieweit es ihr gelang, ihr Leiden seelisch zu verarbeiten. 33 In jedem Fall Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 191 (so vermuten wir) muß ihre Hilfsbedürftigkeit im Alter ihrer “faustischen” Lebenshaltung extrem zuwider gelaufen sein. 34 Charlotte Bühler starb am 3. Februar 1974 in Stuttgart. Ihr wissenschaftliches Werk - Anspruch auf Selbstverwirklichung Um das Lebenswerk von Charlotte Bühler darzustellen, läßt sich einleitend festhalten, daß sie in bezug auf ihre wissenschaftlichen Arbeiten große Ambitionen und einen großen Anspruch vertrat. Dieser Anspruch wird z.B. darin deutlich, daß sie sich vornahm, den menschlichen Lebenslauf als Ganzes zu erfassen, in allen Aspekten, die ihn gestalten und die für das Individuum zu bewältigen sind, von den Strukturtendenzen bis zu Zielen und Werten, die einen Lebenslauf bestimmen. Die wissenschaftliche Analyse wird von der Ambition geleitet, sowohl die Biologie, also die naturwissenschaftliche Seite, sowie die Geisteswissenschaften, speziell die Philosophie, als Analyseinstrumente einzubeziehen. Ihre Arbeiten zeichnen sich durch erstaunliche methodische Vielfalt und inhaltliche Breite aus. Der Charakter ihrer Arbeit ist ebenfalls sehr vielfältig, er reicht von Werken mit empirisch naturwissenschaftlichem Anspruch bis zu den bereits erwähnten Tests und dann in den späten Jahren bis zu einer Reihe von Büchern, die eher geisteswissenschaftlich geprägt sind, und solche, die in der Tradition psychologischer Ratgeber mit pragmatischer Orientierung stehen. Ihr mehrdimensionaler Anspruch ist einerseits imponierend und bewunderungswürdig (ihr Werk zeugt auch von großer Energie, Tatkraft und Arbeitswut), andererseits, so meinen wir, übernimmt sie sich gelegentlich mit diesem Anspruch. Bis in die 60er Jahre nimmt sie wenig explizite Reduktionen vor und vermeidet in der Regel eine Auseinandersetzung mit den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten für das von ihr gewählte hochkomplexe Forschungsgebiet, den menschlichen Lebenslauf. 35 Ebenso vermeidet sie jegliche kritische Selbstreflexion und damit auch ein Gewahrwerden eigener Bedingtheiten. 36 Der speziell Charlotte Bühlersche wissenschaftliche Stil besteht u.E. darin, daß sie einerseits hartnäckig an ihrer Grundfragestellung, nämlich der Erforschung von Faktoren und strukturellen Gesetzmäßigkeiten, die die menschliche Entwicklung und den menschlichen Lebenslauf als Ganzes bestimmen, festhält und in immer neuen Werken behandelt. Andererseits reagiert sie auf die Herausforderung durch neues und anderes tendenziell mit der additiven und zugleich unbekümmert selektiven Aufnahme dieser fremden Gedanken in das Spektrum ihrer Gesichtspunkte. Das Gigantische und Hartnäckige neben dem Unbekümmerten und mitunter Ungenauen, das wir feststellten, führte bei unserer Auseinandersetzung mit ihrer Arbeitsweise zu widersprüchlichen Bewertungen: Wir schwankten immer wieder zwischen Bewunderung und Kritik. 37 Modifikationen in den späteren Lebenslaufarbeiten Die 2. Auflage des Werkes “Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem” (1959) zeichnet sich dadurch aus, daß Charlotte Bühler hier (ohne dies zu erwähnen) eine wichtige Modifikation ihres früheren Zugangs vornimmt und die vier “Grundtendenzen” des Lebens(laufs) theoretisch entwickelt. Sie nennt diese: Bedürfnisbefriedigung, selbstbeschränkende Anpassung, schöpferische Expansion, Aufrechterhaltung der inneren Ordnung. Diese Kategorien, so meint sie, seien sowohl zur Charakterisierung von Individuen und zum Verständnis ihrer Störungen geeignet - insoweit seelische Gesundheit einen Zustand des Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 192 Fließgleichgewichts zwischen diesen vier in Spannung befindlichen Polen darstelle -, als daß sie zur Analyse des Lebensverlaufs dienen könnten, da sie in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich dominant seien. Gleichwohl verwendet Charlotte Bühler diese Kategorien bei der Untersuchung und Beschreibung von Lebensläufen und -konflikten nur gelegentlich; sie erweisen sich offenbar für die Analyse der Problematik einzelner Fälle als zu allgemein. Die Annahme der vier Grundtendenzen bestimmt aber fortan ihr Menschenbild; sie behält sie bis in ihre letzten größeren Arbeiten bei und vertritt sie auch in zahlreichen Aufsätzen. Eine weitere Modernisierung in dieser Neuauflage besteht darin, daß Charlotte Bühler in der Einleitung einen Überblick über den Stand der entwicklungspsychologischen Forschung ihrer Zeit versucht; ein Überblick, der u.E. ein Dokument angestrengten Bemühens um eine souveräne Gesamtschau darstellt, während sie die Auseinandersetzung mit bedeutenden konkurrierenden Ansätzen (z.B. Eriksons Entwicklungsmodell) nicht bzw. nur sehr oberflächlich führt (vgl. Anmerkung 42). Eine Modifikation liegt auch in der Verwendung des zugrundeliegenden empirischen Materials vor: Sie reduziert ihr Lebenslaufmaterial insofern, als sie anstelle der bedeutenden europäischen Lebensläufe (wie noch 1933) Lebensläufe von repräsentativeren ‘Durchschnittsmenschen’ stärker berücksichtigt (1959). 38 Zehn Jahre später nimmt sie einen weiteren Anlauf, den menschlichen Lebenslauf zu analysieren, und zwar mehr bezogen auf den Gesichtspunkt der Lebensziele. Bezeichnenderweise stellt dieses Werk einen Sammelband verschiedener Autoren dar, nicht mehr eine eigene einheitliche Gesamtdarstellung. Die Arbeit, die sie gemeinsam mit Fred Massarik herausgibt, trägt den Titel: Lebenslauf und Lebensziele. Studien in humanistisch-psychologischer Sicht. Offensichtlich hat hier eine Reduktion zweier Ansprüche stattgefunden. Sie delegiert einen Teil ihres Monumentalanspruches aus dem früheren Werk an andere Wissenschaftler; dadurch gewinnt ihr Zugang an Wissenschaftlichkeit und Präzision. Zudem sind alle Beiträge auf den Aspekt der Entwicklung des individuellen Zielsetzungsprozesses und des Verständnisses seiner Dynamik fokussiert; sie erfahren damit eine Eingrenzung. Andererseits verlangt der Gesichtspunkt der Zielsetzung eine erstaunliche Vereinheitlichung von Fragestellungen, die dem Buch angesichts der Vielfalt gerade der methodischen Ansätze der verschiedenen Autoren eine für Sammelbände ungewöhnliche Dichte und Verbindlichkeit verleiht. Das Ringen um eine multiperspektivische Sicht des menschlichen Lebenslaufs wird präsent. Im selben Jahr erscheint in deutscher Sprache das Buch Wenn das Leben gelingen soll 39 , ein mit vielen Fallbeispielen und Bildmaterial angereicherter Versuch, einer breiteren Öffentlichkeit Einblick in die Zusammenhänge zu verschaffen, die aus Charlotte Bühlers Sicht Erfüllung und Nichterfüllung von Lebenserwartungen bedingen und zugleich die Fähigkeit anregen, Selbstaufklärung über Ziel- und Wertentscheidungen zu betreiben. Letztlich sieht sie die Selbstgestaltungs- und Entscheidungsfähigkeit des Menschen als die wesentlichen Kräfte an, zu deren Aktivierung eine Humanistische Psychologie beizutragen hat. Die determinierenden Faktoren und die Frage der Störbarkeit und Behinderung von Entwicklungsprozessen treten demgegenüber bei ihr eher in den Hintergrund. Charlotte Bühlers Verhältnis zu Freud und zur Psychoanalyse Marie Jahoda beschreibt in ihren Erinnerungen das Wiener Institut und das intellektuelle Leben an diesem Institut folgendermaßen: Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 193 “Eine ganze Reihe von uns haben ein intellektuelles Doppelleben geführt. Im psychologischen Institut der Bühlers hat Freud kaum existiert. Der Bühler hat gelegentlich eine Vorlesung gehalten, in der er Freud angegriffen hat. Im Prinzip war die akademische Psychologie unbeeinflußt von der Analyse. Und in den kleinen, intensiven Seminaren, die wir bei den Bühlers gehabt haben, wäre es uns allen schlecht ergangen, wenn wir die Psychoanalyse verteidigt hätten. So haben wir sie halt nicht verteidigt. Aber im Privatleben sind viele von den Studenten im Institut in Analyse gewesen, und wir haben es durchaus diskutiert. Es war ein wirkliches intellektuelles Doppelleben, das wir geführt haben.” (1989, S. 109) 40 Dieses Zitat belegt in pointierter Weise, daß das Wiener Psychologische Institut bzw. die Wiener Schule der Psychologie (wie Charlotte Bühler sie später apostrophiert) in seinen/ ihren Grundzügen zu verstehen ist als Antithese bzw. als Negation der Freudschen Lehre und des am gleichen Ort befindlichen Freudschen Institutes (das Wiener Psychoanalytische Institut). Zwei soziale und geistige Einheiten existierten unmittelbar nebeneinander - so muß man sich das vorstellen - und hatten lediglich durch Personen vermittelte, indirekte Kontakte und inspirierende Wirkungen (wobei diese Wirkung eher einseitig war, denn Freud hat Charlotte Bühler und das Bühlersche Institut offenbar überhaupt nicht zur Kenntnis genommen). Der Bühler-Biograph Lebzeltern betont, daß Freud damals gesellschaftlich verfemt war und wissenschaftlich noch nicht ernst genommen wurde, während die Bühlers bewundert und hochgeachtet waren, so daß kaum jemand auf die Vermutung gekommen wäre, Freud könnte nach seinem Tode bekannter werden als Bühler (a.a.O., S. 38). Und er zitiert Hofstätter: “Noch in den zwanziger Jahren, nachdem die Hauptwerke Freuds schon sämtlich vorlagen, gehörte es beinahe zum guten Ton, deren Existenz entweder ganz zu verschweigen oder mit einer kurzen, aber kraftvollen Widerlegung zu quittieren.” (Lebzeltern, S. 41) So ist Siegfried Bernfelds polemische Kritik an Charlotte Bühler, die sich in ihren Schriften zum Jugendalter ganz in dem von Hofstätter charakterisierten Habitus gegenüber Freud äußert und zugleich seine Schriften ignoriert, zu verstehen als ein Aufbegehren gegen die Arroganz der wissenschaftlich Etablierten im Umgang mit Freud. Die brillant formulierte und mit berechtigter Kritik untermauerte Verhöhnung von Charlotte Bühler (besonders hinsichtlich ihres Souveränitätsgestus, aber auch ihres methodischen Vorgehens wegen) ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein engagierter Psychoanalytiker erzürnt ist darüber, wie die Bedeutung Freuds verkannt und verleugnet wird. Freud wird von Charlotte Bühler, so Bernfeld, gleichzeitig unqualifiziert herabgewertet und dennoch - unverschämt oder unbewußt? - als Quelle für das eigene Denken ausgeschlachtet. Hinsichtlich ihrer Verwendung von Jugendtagebüchern (einem Thema, dem Bernfeld später eine eigene Arbeit gewidmet hat) 41 wirft er ihr Naivität im Umgang mit unbewußten Prozessen vor: Im Tagebuchmaterial läge, so Bernfeld, eine Transformation, nicht eine Dokumentation seelischer Prozesse vor. Eine Reaktion ihrerseits auf Bernfelds Kritik ist nicht überliefert. 42 Charlotte Bühler schreibt selbst rückblickend über ihre Auseinandersetzungen mit Freud folgendens: “Es war und bleibt Bühlers Überzeugung [die durch ähnliche Anlässe und Untersuchungen von Charlotte Bühler bestärkt wurde], daß das Lebewesen primär unter der Perspektive dieses Kreativitätsprinzips verstanden werden muß, d.h. im Hinblick auf die Fähigkeit, neue Formen auszubilden, während die dynamische Psychologie das Leben im wesentlichen als eine Überwindung von Störungen im Interesse einer Wiederherstellung des Gleichgewichts betrachtet. Dieses letztere Prinzip, dem für das Verständnis und die Behandlung von Neurosen grundsätzliche Bedeutung zukommt, reicht nach Bühlers Meinung nicht für das Verständnis von fundamentalen Lebensprozessen aus.” 43 Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 194 In ihrer Selbstdarstellung bedauert sie dann allerdings die überwiegend negative Beziehung von Karl und ihr selbst zu den Psychoanalytikern in Wien ausdrücklich und betont für ihre Person: “Erst in Amerika, wo die extrem einseitige Betonung der Sexualität abgelehnt wurde, wo Fallstudien mit kritischen und undogmatischen Überlegungen zugänglich wurden, wo speziell unter Heinz Hartmanns Führung die Rolle bewußter Ichprozesse in Abhebung von unbewußten Prozessen und Regressionen in den Vordergrund trat, wo ferner theoretisch wissenschaftlich befriedigendere Formulierungen wie etwa von Lawrence Kubie und anderen vorlagen, erst hier fand ich es möglich, den theoretischen Kern der Analyse für mich klarzustellen und Stellung dazu zu nehmen.” (A.a.O., S. 30.) Gleichwohl vermittelt ihre in der späten Lebensrückschau vorgenommene Selbstzuordnung in die Nähe der Ich-Psychologen und speziell auch zu Karen Horney den Eindruck einer gewissen nachträglichen Glättung eines auch noch in Amerika durchaus zwiespältigen Verhältnisses zur Psychoanalyse, das sich nicht zuletzt im programmatischen Eintreten für eine “dritte Kraft” in der Psychologie gerade auch in Abgrenzung zur Psychoanalyse ausdrückt. Auf jeden Fall aber verändert Charlotte Bühler ihre Einschätzung der Psychoanalyse nach der Emigration ganz wesentlich. Aus dem Zwang heraus, als Psychologin nun zunächst außerhalb von Universitäten praktisch und d.h. klinisch arbeiten und Geld verdienen zu müssen, macht sie völlig neue Erfahrungen, die sie später als sehr bedeutsam einschätzt: “Ich wußte bereits in Europa, daß ich ohne tiefere praktische Einblicke sowie theoretische Einsichten in Motivationsprozesse mit meiner Lebens- und Entwicklungspsychologie nicht weiterkommen würde … Deshalb wurden für mich die Stellungen als klinischer Psychologe im Minneapolis und Los Angeles General Hospital, der Klopfersche Rorschach Kurs 44 und ein Jahr psychoanalytischer Erfahrung zu Lehrjahren, die ich konstruktiv ausnutzen konnte. Für mich lag die Schwierigkeit der Entwicklung der Psychologie in Amerika nicht darin, daß Prozesse in den Vordergrund geschoben wurden, sondern nur in der spezifischen Festlegung auf die Psychoanalyse. Mit dieser konnte ich mich trotz meiner Bewunderung für das Prinzip der tiefenpsychologischen Exploration als solcher, im Hinblick auf die theoretische Deutung von Lebensprozessen nicht identifizieren. 45 Sieben Jahre später charakterisiert sie dieselbe Phase rückblickend noch einmal und gibt dabei auch Hinweise auf das von ihr selbst praktizierte “undogmatische” therapeutische Vorgehen: “Inzwischen arbeite ich mich durch die Psychoanalyse, theoretisch und praktisch. Soweit es nur möglich war, diese Durcharbeit zu verwirklichen, erlebte ich an mir selbst die ungeheure Bedeutung der Tiefenexploration. Obwohl undogmatisch im Hinblick auf Komplexe und Freudsche Mechanismen, so bediente ich mich selbst zunehmend einer Art von Tiefenuntersuchung, die sich in Amerika in weiten Kreisen herausgebildet hat. Es ist eine Befragung, die dem ‘Warum’ bis zu ehrlicher Selbstdurchdringung von Beweggründen und Zielen nachgeht, ohne weitgehende Umdeutungen vorzunehmen. Der Exploration folgt dann jedoch, wenn Freiheit von emotionalen Verzerrungen der Motivation erreicht ist, eine Untersuchung von Zielen und Werten des Lebens, die bis dahin in dieser Weise nie in die Psychotherapie einbezogen gewesen waren.” 46 Die von ihr vollzogene Integration von Aspekten des psychoanalytischen Vorgehens (weniger der psychoanalytischen Theorie) findet u.E. eine Art Erläuterung in ihrer populärwissenschaftlichen Arbeit Psychologie im Leben unserer Zeit (1962). 47 Dort unterscheidet sie die “vorfreudianische” von der “nachfreudianischen” Persönlichkeit, die nebeneinander an- Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 195 zutreffen seien, und die sich dadurch unterschieden, daß bei letzteren die Annahme unbewußter Strebungen ins Alltagsbewußtsein eingegangen sei. So ist Charlotte Bühler vielleicht auch selbst als “nach-freudianische” Psychologin zu verstehen, die sich gleichwohl weiterhin von Freud abgrenzt. Ein Rest der von Bernfeld zornig aufgegriffenen Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Psychoanalyse bleibt noch in Amerika bestehen. In ihren späten Arbeiten 48 rückt sie sich selbst dann wiederholt und gern in die Nähe der Ich-Psychologen, die in der Tat ähnliche Fragestellungen aufgreifen, wie sie selbst. Die Unterschiede zwischen ihrem Ansatz und dem der Ich-Psychologen lassen sich wiederum am Stellenwert der Freudschen Lehre (insbesondere der Libidotheorie) für die Theoriebildung festmachen, zu der Charlotte Bühler zeitlebens in einem Spannungsverhältnis bleibt. 49 Ihre eigene Tätigkeit als Psychotherapeutin hat Charlotte Bühler in ihrer 1962 erschienen Arbeit Values in Psychotherapy 50 reflektiert. Sie stellt sich darin die Frage, wie weit der Therapeut in den Wert- und Zielentscheidungsprozessen seiner Patienten selbst Stellung beziehen darf oder wie weit auch hier eine therapeutische Abstinenz einzuhalten sei. Offenbar setzt sie sich hier mit ihrer eigenen, auch in vielen anderen nichttherapeutischen Arbeiten festzustellenden Tendenz, Werturteile zu fällen, auseinander. Sie vertritt in dieser späten Arbeit den Standpunkt, daß eine Therapie ohne wertende Stellungnahme des Therapeuten grundsätzlich nicht möglich sei, daß es aber vehemente Unterschiede in der impliziten oder expliziten Deutlichkeit dieser Haltung gebe. Die Ziel- und Wertklärungsarbeit als zweiten Teil des therapeutischen Prozesses sieht sie, wie aus dem letzten Zitat hervorgeht, als ihren originären Beitrag zur Psychotherapie an. Die Nachrufe Gemessen an der Bedeutung Charlotte Bühlers für die Psychologie und die Entwicklungspsychologie unseres Jahrhunderts finden sich erstaunlicherweise in der uns heute zugänglichen Literatur nur wenige Nachrufe. Die uns zugänglichen Nachrufe stammen von Robert Havighurst, Hans Thomae, Gertrud Meili-Dworetzki und Lotte Schenk-Danzinger. Ihr Tod fiel in eine Zeit, in der die Rezeption ihrer Werke in Europa stark nachgelassen hatte. Um den Eindruck zusammenzufassen, den die genannten Nachrufe vermitteln, läßt sich sagen, daß in den ersten drei Nachrufen das Frühwerk Charlotte Bühlers gewürdigt wird, ihre populärwissenschaftlichen Arbeiten erwähnt werden, aber ihre Arbeiten nach der Emigration nur mit Erwähnung ihres populärwissenschaftlichen Werks aufgegriffen werden. In bezug auf die Persönlichkeit Charlotte Bühlers bleiben die Nachrufe von Thomae und Meili- Dworetzki sehr distanziert, der Nachruf von Havighurst klingt teilweise freundschaftlich, macht aber auch deutlich, daß Charlotte Bühler eine Persönlichkeit verkörperte, zu der man u.U. besser Distanz einhalten sollte bzw. die es einem nahe legen konnte, auf Distanz zu gehen. Schenk-Danzinger klingt ihrer Lehrerin gegenüber wesentlich freundlicher und bewundernder. Offensichtlich sind Stil und Aussagekraft der Nachrufe auch als Reflexe auf die persönliche Erfahrung der einzelnen Autoren mit der Verstorbenen zu verstehen. Der persönlichste der Nachrufe stammt von Robert Havighurst, der Charlotte Bühler als “indomitable woman” kennzeichnet. Havighurst selbst schreibt, daß diese Bezeichnung sehr viel von dem erklärt, was ihre Persönlichkeit gewesen sei. 51 Darüber hinaus kennzeichnet Havighurst Charlotte Bühler folgendermaßen: “Nobody who knew Charlotte Bühler would call her a ‘shrinking violet’. She believed in herself and let other people know it.” Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 196 Ihre Werkbiographie charakterisiert Havighurst mit dem Satz: “She has come through many difficult trials, always a winner, and always a first-class scientist.” In der Einschätzung ihres wissenschaftlichen Werkes bezieht Havighurst sich zum einen auf Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem, zuerst erschienen im Jahre 1933, zum anderen auf Die Psychologie im Leben unserer Zeit, erschienen 1962. Havighurst bedauert, daß dieses späte Werk von Charlotte Bühler nie ins Englische übersetzt worden sei. Für ihn bietet dieses Werk einen meisterhaften Überblick über die Entfaltung der Entwicklungspsychologie als Disziplin und stellt gleichzeitig eine reife Ausformulierung der Entwicklungspsychologie des gesamten Lebenslaufs dar. Der Nachruf von Hans Thomae 52 wird damit eingeleitet, daß Charlotte Bühler eine seltene Fähigkeit besaß, Phänomene der Entwicklung und Dynamik menschlichen Erlebens zu sehen und diese Sicht vielen Menschen evident zu machen. 53 Thomae stellt Bühlers Leistung in den Zusammenhang einmal ihrer Zeit, d.h. der sozialen, biographischen und persönlichkeitsspezifischen Konstellationen, die sich in Wien der Jahre 1922 bis 1938 ergaben, sowie in die Zusammenarbeit mit bedeutenden Schülern von Karl und Charlotte Bühler. Er würdigt ihre frühen Arbeiten als Beitrag zur Klärung entwicklungspsychologischer Probleme im frühen Kindesalter, sowie im Jugend- und Erwachsenenalter. Als wichtigste Arbeit bezeichnet Thomae ihr Buch Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (1933 1 , 1955 2 , 1959 3 ). Seiner Meinung nach wird hier zum ersten Mal in fundierter Weise die These vertreten, “daß menschliche Entwicklung ein Problem der gesamten Lebensspanne sei”, so daß Bemühungen einer “life-span-developmental psychology” letzten Endes auf diese Arbeit zurückzuführen seien. Thomaes Nachruf zeichnet sich dadurch aus, daß Charlotte Bühler als Person nicht lebendig wird, und ihre wissenschaftliche Arbeit nur insofern gewürdigt wird, als er sich auf die frühen Arbeiten vor der Emigration bezieht. Für die Zeit in den USA ist für Thomae lediglich Charlotte Bühlers Bemühung um eine “Gesellschaft für humanistische Psychologie” wichtig. Der Nachruf von Meili-Dworetzki bleibt der Person Charlotte Bühlers gegenüber eigentümlich distanziert. 54 In bezug auf ihre wissenschaftliche Arbeit klingt ihr Nachruf ähnlich wie Havighursts, sie würdigt als letzte große Leistung Charlotte Bühlers ihre Psychologie im Leben unserer Zeit (1962). Diese Arbeit bietet ihrer Meinung nach eine Überschau über die Ergebnisse der Psychologie heute, “die dem interessierten Laien den Nutzen der Psychologie für das persönliche Leben nahe bringen soll, aber auch als Einführung in die Psychologie dienen kann”. Die Leistung Charlotte Bühlers als Wissenschaftlerin wird von Meili-Dworetzki reichlich geschmälert, ihrer Meinung nach hat die Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie Charlotte Bühler lediglich “manchen Denkanstoß zu verdanken”. Lotte Schenk-Danzinger, eine der ehemaligen Assistentinnen Charlotte Bühlers der Wiener Zeit, schreibt als Nachruf eine kenntnisreiche Darstellung ihres gesamten Lebens und Werkes. 55 Sie stützt sich neben ihrer persönlichen Erfahrung vor allem auf Charlotte Bühlers Selbstdarstellung von 1972. Über die Zusammenarbeit in Wien schreibt sie: “In dieser Synthese von Freiheit zur individuellen wissenschaftlichen Entfaltung und Gebundenheit an einen übergeordneten Forschungsplan lag das Geheimnis der Produktivität des von Charlotte Bühler geleiteten Arbeitskreises.” (S. 206f.) Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 197 Bezüglich der Bedeutungen der Wiener Forschungen hebt sie das Inventar der Verhaltensweisen im 1. Lebensjahr als Arbeit “mit der größten Langzeitwirkung” besonders hervor. Sie betont den unermüdlichen Schaffensdrang Charlotte Bühlers und verweist auf einen Brief kurz vor ihrem 80. Geburtstag, in dem es heißt, “daß sie nicht ans Aufgeben denke und an zwei neuen Büchern arbeite” (ebd., S. 208). Im Schlußsatz ihres - eigentlich als Würdigung zum 80. Geburtstag konzipierten - Nachrufes klingt Bühlersche Terminologie zur Analyse von Lebensläufen an: “Ein reiches Leben hat sich erfüllt. Ihr Werk, bis zuletzt auf der Höhe der Forschung, wird sie überdauern.” (ebd., S. 208). So scheint der Nachruf fast mehr von der Bühlerschen “Innensicht” und den Akzentsetzungen der Selbstdarstellung geprägt zu sein, als daß er eine Außensicht darstellt. Gleichwohl hebt er sich mit seiner detaillierten Würdigung von Leben und Werk Charlotte Bühlers und durch seinen ungleich höheren Informationsgehalt von den anderen Nachrufen deutlich ab. Frau und Wissenschaftlerin Charlotte Bühler erwähnt die Tatsache, daß sie als eine der ersten Frauen in die Domäne der Psychologie eingedrungen ist, selbst in kaum einer ihrer Äußerungen. Sie studierte in einer Zeit, in der weibliche Studenten in Preußen erstmals in die Universitäten Eintritt fanden und in der weibliche Lehrstuhlinhaber eine utopische Vision waren - woraus zu schließen ist, daß sie ebenso wie andere Frauen eigentlich auf entsprechende Schwierigkeiten stoßen mußte, als Studentin und aufstrebende junge Wissenschaftlerin ernst genommen zu werden. 56 Solche Schwierigkeiten scheinen nicht ihr Thema gewesen zu sein. In ihrer Selbstdarstellung, die sie im Alter verfaßt, erwähnt sie über den Anfang ihrer wissenschaftlichen Arbeit in Berlin lediglich sehr positiv, daß es für sie eine ungewöhnliche Ehrung war, daß Karl Stumpf ihr eine Stelle als Assistentin anbot, so kurze Zeit nach der Öffnung der Studienmöglichkeit für Frauen an der Berliner Universität (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 17). In dieser Selbstdarstellung geht sie auch auf ihre Intentionen als studierende Frau ein: “Die damals in Deutschland vertretene Auffassung, daß Frauen niemals schöpferisch tätig wären, fand ich unakzeptierbar. Ich wußte, daß ich schöpferisch würde sein können, wenn mir Gelegenheit geboten würde und ich eine angemessene Ausbildung hätte.” (Selbstdarstellung, a.a.O., S. 15). Charlotte Bühler plante zu Anfang ihres Studiums ein Lehrerinnenexamen, um im Notfall einen Broterwerb zu haben. Ihr eigentlicher Plan war jedoch, das Fach Psychologie mit der Hoffnung auf eine Universitätsprofessur zu studieren - und nur, falls diese Laufbahn für sie verschlossen bleiben sollte, Gymnasiallehrerin zu werden. Offensichtlich wurde sie in diesem Anspruch von ihrem Vater unterstützt, mit dem sie sich (lt. Selbstdarstellung) stark identifizierte; dieser hielt nichts von einem Lehrerinnenexamen. Die junge Studentin legte ihr Lehrerinnenexamen in Kiel ab und kehrte 1914 sogleich nach Berlin zu ihrem Studium der Psychologie zurück. Sie promovierte 1918, und 1920, als in Deutschland die ersten Frauen zur Habilitation zugelassen wurden, habilitierte sich Charlotte Bühler als eine der ersten (bis 1933 waren es 148). 57 In einem der wissenschaftlichen Artikel der Wiener Jahre (1929) äußert sich Charlotte Bühler zu den Entwicklungsproblemen junger Mädchen 58 in einer Weise, die deutlich macht, daß sie für sich persönlich durchaus die Problematik gesehen hat, die traditionellen Bereiche der Frau mit ihren geistigen und beruflichen Interessen zu vereinbaren. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 198 Sie weist aber auch auf eine Lösungsmöglichkeit hin - insofern, als sie diejenige Lebenseinstellung des jungen Mädchens beschreibt, welche die meisten Aussichten hat, einer Lösung entgegenzugreifen. 59 “Dieses Mädchen verleugnet nicht ihre natürlichen weiblichen Bedürfnisse, stellt nicht naturvergewaltigende Ansprüche an sich, wie wir es unter den Frauen der Frauenbewegung so vielfach beobachtet haben, sie sucht nicht, wie die Amerikanerin es tut, unter Aufgabe des weiblichen Hingabewillens sich nun ganz auf die Leistung zu stellen - sie sitzt aber auch umgekehrt nicht mehr einfach da, die Hände im Schoß, darauf wartend, bis das Leben und der Bräutigam zu ihr kommen oder nicht, sondern sie geht vorwärts und arbeitet und lernt, entschlossen im Leben so oder so nützlich zu sein, wie ihre Liebe, ihre Kraft für Menschen fruchtbar zu machen. Sie wird die Frau werden, die ohne Selbstvergewaltigung wie auch ohne unproduktive Passivität aus dem eigensten weiblichen Wesen heraus schöpferische Kräfte entfalten wird, die in Ehe oder Beruf oder beiden aus Hingabewilligkeit Leistung gestalten wird.” (Ebd., S. 176f.) Charlotte Bühler ging demnach durchaus davon aus, daß es so etwas wie ein weibliches Wesen gebe, das es zu erhalten gelte, dem sie allerdings schöpferische Kräfte zuordnet und die Fähigkeit, diese einzusetzen. Daß sie persönlich in ihrem Lebensweg versucht hat, sich als Frau und Mutter und Wissenschaftlerin durchzusetzen, ist deutlich. Wie in einem Porträt aus dem Jahre 1935 geschildert wird (von einer niederländischen Journalistin aufgrund eines Besuchs und Interviews in Wien verfaßt) 60 , widersprach sie zudem in ihrem Auftritt und in ihrem Aussehen allen gängigen Klischees über Frauen, die sich der Wissenschaft widmen. Charlotte Bühler war keineswegs eine graue Maus, die sich fern der Welt hinter den Büchern verkroch, sondern eine elegante, gutaussehende, lebenslustige, selbstsichere und weltgewandte Person (vgl. ebd., S. 276f.). Sie stellt sich der Journalistin gegenüber als eine Frau dar, die Glück hatte und zwar das Glück, gesund und kräftig zu sein, eine ausgezeichnete Pflegerin für ihre Kinder zu haben und einen Mann, bei dem sie stets Verständnis für ihre wissenschaftliche Arbeit gefunden habe (vgl. ebd., S. 289). Probleme der Vereinbarkeit ihrer divergenten Lebensbereiche scheinen für sie zu diesem Zeitpunkt (zumindest in dieser Außendarstellung) nicht drängend gewesen zu sein oder für sie nicht existiert zu haben. Nach Beschreibung der Journalistin beeindruckte ihre Fähigkeit, ihre Umwelt für sich zu gewinnen und in ihren Bann zu ziehen, und dennoch bei ihrer Arbeit (zu diesem Zeitpunkt die Beobachtung von Säuglingen) vollkommen sachlich zu sein. “Diese schöne, weibliche Frau ist bei der Arbeit, als Wissenschaftlerin, vollkommen ‘männlich’ eingestellt, denn sie schließt jedes Gefühl aus, solange sie mit ihren wissenschaftlichen Vorführungen beschäftigt ist.” (Ebd., S. 281) Wie sich für Charlotte Bühler die Arbeitsbelastung und die strukturellen Widersprüche zwischen den beiden Lebensbereichen, die sie zu bewältigen hatte, darstellten und wie sie für sich persönlich eine Lösung fand, wird von ihr ebenfalls erst im Alter, in der Selbstdarstellung thematisiert: Dort beschreibt sie den Zwiespalt, sich immer zwischen der Zeit für die Kinder und der Zeit für den Beruf entscheiden zu müssen. 61 Für die Wiener Jahre schildert sie den ungeheuren Reichtum des persönlichen und wissenschaftlichen Lebens, wie sie es mit Karl gestaltete, aber auf der anderen Seite auch das Opfer, das ihre Arbeit verlangte (z.B. in Form der Trennung von Mann und Kindern aufgrund eines zehnmonatigen USA-Aufenthaltes) (vgl. ebd., S. 25). Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 199 Charlotte Bühler hatte, wenn man ihren Lebensweg als Frau und Wissenschaftlerin beurteilen will, sicher das Glück, aus einem Elternhaus zu stammen, das ihr den notwendigen Rückhalt verschaffte, ihren geistigen und schöpferischen Impulsen zu folgen. Sie hatte zudem eine materielle Ausstattung von zu Hause, die es ihr von Beginn ihrer Ehe an gestattete, Hauspersonal einzustellen (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 22). Das kulturelle Niveau und der geistige Anspruch ihres Elternhauses mag ihr zudem eine weitere Basis gewesen sein, ihre expansiven Tendenzen in ihrem eigenen Leben auszuleben und nicht “Professorenfrau” (als Gattin Karl Bühlers) zu werden. Außerdem war sie von ihrer Persönlichkeit her geneigt, immer offensiv auf Herausforderungen zu reagieren. Sie wollte schon als junges Mädchen die Welt erkennen und den Sinn des Lebens erforschen und war immer der Überzeugung, daß sie dazu in der Lage war. (Insofern charakterisiert Charlotte Bühler sich in dem idealen Mädchen ihres Artikels von 1929 selbst.) Charlotte Bühlers persönlicher Aussage zufolge wollte sie immer beides, Wissenschaftlerin und ganz Frau sein, wollte heiraten und Kinder haben (vgl. ebd., S. 286). Die Vereinbarkeit von Säuglingspflege mit schöpferischer geistiger Arbeit war für sie ein Entwicklungsgang, ein Teil ihrer Menschwerdung (vgl. ebd., S. 288). Sie wußte immer schon, daß sie sich wissenschaftlich nur dann ganz entfalten könne, “wenn ich auch mein Frauenleben ganz leben konnte” (ebd., S. 289). 62 Zudem habe sie bereits in früher Jugend als Lebensgesetz erkannt, daß die Originalität weiblichen Schaffens aus spezifisch weiblichen Erlebnissen hervorgehen müsse (vgl. ebd., S. 290f.). Sie sei schon von Jugend an daran interessiert gewesen, Menschenkenntnis, Lebenskenntnis zu erwerben, das wirkliche Wesen der Menschen, ihre Charaktere, ihre Eigenschaften kennenzulernen (vgl. ebd., S. 286). 1929 schrieb sie bereits fast programmatisch zu diesem Thema: “Die es wagt, wird mehr leiden als jene, aber sie wird es sein, und sie ist es bereits, welche Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Erziehung wieder zur Besinnung auf das zurückführt, was sie insgesamt schon fast aus dem Auge verloren, das, zu dessen Dienst sie ursprünglich berufen war: Lebenswert nämlich und das Leben selbst.” (S. 176) Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird zu einem wesentlichen Impuls ihrer Lebenslaufforschung; ihr ganzheitlicher Ansatz, den sie in allen ihren Forschungen verfolgt, bleibt ein Charakteristikum ihres Wissenschaftsverständnisses. In den Ratgebern, die sie im Laufe ihres Lebens mehrmals verfaßt, kommt überdies ein Hilfsimpuls zum Ausdruck: Sie möchte den Menschen auch sagen, wie sie es besser und richtiger machen können. In ihren frühen Lebenslaufstudien und in den Ratgebern des Spätwerks läßt sich ihre Tendenz feststellen, bei der Beurteilung von Entscheidungskonflikten in den untersuchten weiblichen Lebensläufen auf einer Integration von Berufs- und Familienorientierung zu bestehen, um den analysierten Frauenleben Erfüllung zu attestieren: Ohne Partner- und Familienorientierung gibt es, so geht aus ihren Wertungen immer wieder (direkt und indirekt) hervor, für eine Frau keine wirkliche Lebenserfüllung (anders offenbar als für Männer). In einer späten Äußerung zu diesem Thema (1967) 63 wendet sie sich aber auch gegen eine bloße Familienorientierung der Frau: In ihrer Wiedergabe der amerikanischen Diskussion um die Position der Frau macht sie eine Schriftstellerin geradezu lächerlich, die sich für das einkommenslose Hausfrauenleben stark machte. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 200 Charlotte Bühler vertritt vehement die Notwendigkeit einer ökonomischen Selbständigkeit der Frau - eine Position, die sie selbst immer gelebt hat. (Sie hat erheblich zum Einkommen und zum Wohlstand der Familie beigetragen). Trotz ihres Verhaftetseins in Vorstellungen über das “eigentliche” weibliche Wesen, die sie auch im Laufe ihrer wissenschaftlichen Arbeit nicht revidiert, ist für sie klar, daß Frauen einen Anspruch darauf haben, schöpferisch zu sein, in der wissenschaftlichen Welt präsent zu werden, entsprechende Positionen einzunehmen und Einfluß zu haben. Dennoch: Beim genaueren Hinsehen sagen Charlotte Bühlers Lebens- und Karrieredaten, daß sie - trotz aller Erfolge und trotz ihrer Berühmtheit - auch schon in Europa nie eine ordentliche Professur innehatte (im Gegensatz zu Karl Bühler). In Wien hatte sie eine außerplanmäßige Professur ohne Gehalt, in den USA war sie in verschiedenen Positionen, die sie bekleidete, in der Regel auf dem Status einer Assistenzprofessorin tätig. Ein weibliches Schicksal? Andererseits: Sie hatte großes Geschick darin, sich personelle Unterstützung in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu organisieren und im Forschungsteam ihre Intentionen zu delegieren. In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und in den für sie maßgeblichen Kreisen hat sie es immer geschafft, Gehör und Anerkennung zu finden. Charlotte Bühler hat sich ihren Platz erobert - jenseits aller Statushierarchien. Nachbemerkung Eine einheitliche Einschätzung der Person und des Werkes ist uns schwergefallen, wir schwankten selbst oft zwischen Bewunderung und Ablehnung. Insofern bleibt dieser Beitrag vielfältig in seinen Perspektiven - wir haben nicht versucht, zu glätten, was in der Person und im Lebenswerk selbst in aller Widersprüchlichkeit vorhanden war und gelebt wurde. Mit der Frage beginnend, ob wir wohl auf eine verkannte Wissenschaftlerin gestoßen waren, wurden wir neugierig auf Charlotte Bühler und ihr Werk. In unserer Beschäftigung mit ihr, in vielen Gesprächen und Recherchen, tat sich sodann allerdings eine Persönlichkeit für uns auf, die selbst schon zu Lebzeiten gut dafür gesorgt hatte, bekannt zu werden. Die Ganzheitlichkeit und Komplexität ihres Werkes und das Fundamentale der von ihr behandelten Fragestellungen läßt uns trotz mancher Kritik vermuten, daß es an ihr und ihrem Werk auch zukünftig immer wieder etwas “neu” zu entdecken geben wird. Summary This article presents the life and work of the scholar Charlotte Bühler (1893-1974) in the field of developmental psychology, which are analysed in its interweavings with the scientific development of her discipline and the historical conditions of her biography. An outstanding pioneer in her field in terms of both subject matter and method, Bühler had an holistic approach to the study of people’s lives. Her relationship to psychoanalysis as well as her position as a woman in science are important aspects for an appraisal of her life and work. By assessing the entirety of her scholary achievements, the article includes an analysis of the contradictory and ambivalent aspects of her work. Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 201 Werkbibliographie 64 Bühler, Ch. (1918). Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Zeitschrift für Angewandte Psychologie, 17. Bühler, Ch. (1919). Über Denkprozesse. Zeitschrift für Psychologie, 81. Bühler, Ch. (1919). Über die Vorgänge bei der Satzbildung. Zeitschrift für Psychologie, 81. Bühler, Ch. (1922). Das Seelenleben des Jugendlichen. Jena: Fischer. Neuauflage 1991. Stuttgart: G. Fischer. Bühler, Ch. (1922). Tagebuch eines jungen Mädchens. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien der Jugendkunde, 1. Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1924). Erfinden und Entdecken. Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 15. Bühler, Ch. (1925). Zwei Knabentagebücher. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkunde, 3. Jena: Fischer. Bühler, Ch. & Haas, J. (1925). Gibt es Fälle, in denen man lügen muß? In Wiener Arbeiten zur pädagogischen Psychologie, 1. Wien. Bühler, Ch. (1926). Kunst und Jugend (auch: Kunst und Pubertät). Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft, 20. Bühler, Ch. (1926). Die Schwärmerei als Phase der Reifezeit (auch: Über die Schwärmerei von Jugendlichen). Zeitschrift für Psychologie, 100. Bühler, Ch. (1926). Der 6jährige in psychologischer Betrachtung. In Handbuch für den Anfangsunterricht, 1, 1-14, Wien. Bühler, Ch. (1927). Die ersten sozialen Reaktionen des Säuglings. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkunde, 5. Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1927). Jugend und Arbeit in ihrem psychologischen Verhältnis. In Giese (Hrsg.), Handbuch der Arbeitswissenschaft. Halle. Bühler, Ch. (1927). Das Problem des Instinkts. Zeitschrift für Psychologie, 103. Bühler, Ch. (1927). Vergleich der Pubertätsreifung von Knaben und Mädchen. In E. Stein (Hrsg.), Handbuch der Sexualpädagogik. Berlin. Bühler, Ch. (1927). Zwei Mädchentagebücher (2. erw. Auflage von Ch. Bühler, Hrsg., Tagebuch eines jungen Mädchens). Jena. Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1927). Das Inventar der Verhaltensweisen im 1. Lebensjahr. In Ch. Bühler et al. (Hrsg.), Soziologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr. Jena: Fischer. Bühler, Ch. et al. (1927). Soziologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr. In Ch. Bühler et al. (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkunde, 5 (S. 1-102). Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1928). Kindheit und Jugend. Genese des Bewußtseins. In. K. Bühler (Hrsg.), Psychologische Monographien, 3. Leipzig: Hirzel. (4. Aufl. 1967 mit einer Einleitung Neue Tatsachen und Gedanken zum Seelenleben des Jugendlichen. Göttingen: Hogrefe.) Bühler, Ch. (1928). Sozialpsychologie. Bericht über den X. Kongreß für Experimentelle Psychologie Bonn. Jena. Bühler, Ch. (1928). Zwei grundlegende Reaktionstypen. Zeitschrift für Psychologie, 108. Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1928). Das erste Verstehen vom Ausdruck im 1. Lebensjahr. Sammelband Wiener Arbeiten. Zeitschrift für Psychologie, 107. Bühler, Ch. & Spielmann, L. (1928). Die Entwicklung der Körperbeherrschung im ersten Lebensjahr. Zeitschrift für Psychologie, 107. Bühler, Ch. et al. (1928). Die Affektwirksamkeit von Fremdeindrücken im ersten Lebensjahr. Sammelband Wiener Arbeiten. Zeitschrift für Psychologie, 107. Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1929). Zur Geschichte der Kinderpsychologie. In Beiträge zur Problemgeschichte der Psychologie. Festschrift zu Karl Bühlers 50. Geburtstag. Jena. Bühler, Ch. (1930). The First Year of Life. New York: John Day. Bühler, Ch. (1930). Persönlichkeitstypen im Kinderexperiment. Report of 9th International Congress. New Haven. Bühler, Ch. (1930). Sinn und Gestalt. Ergebnisse von Experimenten mit Kindern. XL Kongreß für Experimentelle Psychologie. Wien. Bühler, Ch. (1930). Spontane Reaktionen im Experiment mit Kindern. Report of 9th International Congress. New Haven. Bühler, Ch. & Hetzer, H. (1930). Das Problem der Spontaneität im Experiment mit Kindern. XI. Kongreß für Experimentelle Psychologie. Wien. Bühler, Ch., Hetzer, H. & Ripin, R. (1930). Frühestes Leben des Säuglings in der Ernährungssituation. Zeitschrift für Psychologie, 118, 82-127. Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 202 Bühler, Ch. (1931). Das Problem der Geschlechtsreife. Zeitschrift für Kinderheilkunde, 51. Bühler, Ch. (1931). Zum Problem der sexuellen Entwicklung des Kindes. Zeitschrift für Kinderheilkunde, 51, 602-643. Bühler, Ch. (1932). The Human Course of Life. Journal of Psychology, 29. Bühler, Ch. (1932). Jugendtagebuch und Lebenslauf. In Ch. Bühler (Hrsg.), Quellen und Studien zur Jugendkultur, 9. Jena: Fischer. Bühler, Ch. (1932). Kleinkindertests. Entwicklungstest für das erste bis sechste Lebensjahr. Leipzig. Bühler, Ch. (1932). Der menschliche Lebenslauf. Bericht über den 12. Kongreß für Psychologie, Hamburg. Jena. Bühler, Ch. (1933). The Child and its Activity with Practical Material. The British Journal of Educational Psychology, 3, 27-41. Bühler, Ch. (1933). Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem. In K. Bühler (Hrsg.), Psychologische Monographien, 4. Leipzig: Hirzel. (2. Aufl., Neubearbeitung, 1959. Göttingen: Hogrefe). Bühler, Ch. (1933). The Social Behavior of Children. In C.A. Murchison (Ed.), A Handbook of Child Psychology. Clark University Press. Bühler, Ch. (1934). 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(1928). Das Seelenleben des Jugendlichen. Jena; Bühler, Ch. (1928). Kindheit und Jugend. Genese des Bewußtseins. Leipzig. 2 So ist ihre Arbeit Das Seelenleben des Jugendlichen im Jahre 1991 mit einem Vorwort von R. Oerter in 7. Auflage (Stuttgart, 1991) als UTB Nr. 1523 neu erschienen. 3 Vgl. Fend, H. (1990). Vom Kind zum Jugendlichen, Bern und die Würdigung R. Oerters in seiner Einleitung zur Neuauflage: Das Seelenleben des Jugendlichen, a. a. O. Fußnote 1. 4 Vgl. z.B. Völker, U. (1980). Grundlagen der Humanistischen Psychologie. In U. Völker (Hrsg.), Humanistische Psychologie. Ansätze einer lebensnahen Wissenschaft vom Menschen (S. 13-37). Weinheim/ Basel. 5 Vgl. die Einschätzung von H. Thomae im Nachruf auf Charlotte Bühler, siehe im folgenden. 6 Wir stützen uns im folgenden auf eine Menge von mündlichen Informationen, die uns der Herausgeber der Bühler-Studien und Verwalter des Bühler-Archivs, Prof. Dr. Achim Eschbach, Universität Essen, zukommen ließ. 7 Bühler, Ch. (1972). Charlotte Bühler. In L. J. Pongratz et al. (Hrsg.), Psychologie in Selbstdarstellungen (S. 9-42). Bern. Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 205 8 Was ein solches Elternhaus an Anregungen für ein heranwachsendes Kind bzw. Jugendlichen bietet, wird in den Schilderungen von Nicolaus Sombart über seine Jugend in Berlin plastisch deutlich (vgl. Sombart, N. (1984). Jugend in Berlin, München/ Wien). 9 Schenk-Danziger, L. (1963). Die Grundideen und die theoretischen Fragestellungen in Charlotte Bühlers Lebenswerk. In L. Schenk-Danziger & H. Thomae (Hrsg.). Gegenwartsprobleme der Entwicklungspsychologie. Festschrift für Charlotte Bühler (S. 9-18). Göttingen. 10 Nach den Recherchen des Bühler-Forschers Eschbach soll man sich das Zusammentreffen der beiden nicht so vorstellen, daß Karl Bühler als Professor mit leichter Hand seine Doktorandin eroberte, sondern seiner Meinung nach spricht einiges dafür, daß Charlotte Bühler sich aktiv Karl Bühler genähert hat und mit Erfolg seine bis dahin langjährige Freundin oder Verlobte verdrängt hat. Charlotte Bühler stellt diese Begegnung demgegenüber so dar, daß sie vom Werben Karls um sie äußerst überrascht und zunächst überfordert war (vgl. Selbstdarstellung, S. 19). 11 Bühler, Ch. (1984). Karl Bühler. Eine biographische Skizze. In Eschbach, A. (Hrsg.), Bühler-Studien, Bd. 1 (S. 25-30). Frankfurt/ Main. 12 Bühler, Ch. (1965). Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. Psychologische Rundschau, 187-196, 189. 13 Ihre Dissertation über Denkexperimente steht offenbar noch stark im Einfluß von Karls eigenem Forschungsansatz. Charlottes erste Publikation: Das Märchen und die Phantasie des Kindes geht auf Karls Anregung zurück und das mehrfach aufgelegte entwicklungspsychologische Werk Kindheit und Jugend von 1928 entsteht als Resultat eines von Karl an Charlotte weitergegebenen Forschungsauftrags (vgl. Selbstdarstellung, a.a.O., S. 23). 14 1918 erschien Karl Bühlers vielbeachtetes Buch Die geistige Entwicklung des Kindes. 15 Hier stützen wir uns auf die mündlichen Informationen A. Eschbachs aufgrund seiner Interviews mit Zeitzeugen. 16 Die finanziellen Ressourcen waren zu einem großen Teil auf Charlottes Familie zurückzuführen; die Familie Malachowski hat sehr viel zu der Lebensführung des Bühlerschen Haushaltes beigesteuert. 17 Vgl. das von uns geführte Interview mit dem Bühler-Forscher Eschbach (1991) sowie die distanzierenden Bemerkungen Hildegard Hetzers in ihrer Autobiographie (S. 44): Hetzer, H. (1988). Eine Psychologie, die dem Menschen nützt. Mein Weg von Wien nach Gießen. Göttingen. 18 Kardos, L. Erinnerungen an Karl Bühler. In A. Eschbach (Hrsg.). A.a.O. (S. 31-39). 19 Vgl. Bühler, Ch. Karl Bühler. A.a.O., S. 27. 20 Nach Eschbach war Karl Bühler keineswegs der ebenso unpraktische wie total unpolitische Gelehrte, wie er bspw. von Lebzeltern (aber auch tendenziell von seiner Frau) dargestellt wird. 21 In unmittelbarem Zusammenhang des Kriegsgeschehens in Europa sind auch zwei Aufsätze mit politischer Fragestellung entstanden, in denen Charlotte Bühler sich mit den psychologischen Grundlagen des deutschen Faschismus auseinandersetzt: Bühler, Ch. (1945). What to do About Germany? In M. Gardner (Hrsg.), Human Nature and Enduring Peace. Cambridge, Mass.: Houghton Miflin Co., sowie Bühler, Ch. (1943). Why do Germans so Easily Forfeit their Freedom? The Journal of Abnormal and Social Psychology, 38, 149-157. 22 Er war somit fast am Ende eines universitären Arbeitslebens angelangt und konnte kaum erwarten, noch einen Lehrstuhl zu erhalten. 23 Nach Auskunft des Bühler-Forschers und Archivverwalters A. Eschbach werden genauere Angaben über diese Arbeiten Bühlers bis zur Editions-Reife zurückgehalten. 24 Die Bühlers haben auch in den ersten Jahren der Emigration keine wirkliche Not leiden müssen, obwohl sie sicher um ihre Existenz kämpfen mußten (vgl. Lebzeltern, G. (Hrsg.) (1969). Karl Bühler: Die Uhren der Lebewesen und Fragmente aus dem Nachlaß. Wien). Ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit war für Charlotte Bühler von großer Bedeutung (vgl. im folgenden). 25 Vgl. Bühler, Ch. Die Wiener Psychologische Schule in der Emigration. A.a.O., S. 191. 26 Rohracher, der Nachfolger auf Karl Bühlers Wiener Lehrkanzel, bot ihm nach Kriegsende an, auf diese zurückzukehren (vgl. Lebzeltern, a.a.O., S. 58f.). Lebzeltern betont, daß die Absage entscheidend davon bestimmt war, daß es für Charlotte dort keine Stelle gegeben hätte. 27 Was dieser Einbruch im Schaffen Karl Bühlers für einen wissenschaftlichen Verlust darstellt, wird in seinem ganzen Ausmaß deutlich angesichts einer sich im letzten Jahrzehnt neu entwickelnden Karl Bühler-Forschung, die deutlich macht, auf wie vielen Gebieten der Psychologie wie der Sprachforschung der Bruch in der Kontinuität der Bühler-Rezeption problematische Folgen auch für die Entwicklung der jeweiligen Disziplinen gehabt hat. So kann man heute eine neue Aktualität des Bühlerschen Werkes feststellen. (Eschbach bereitet auch eine Karl Bühler-Gesamtausgabe vor.) Ilse Bürmann und Leonie Herwartz-Emden 206 28 Das Ausmaß dieser Forschung wäre ohne die großzügige Unterstützung der Rockefeller Foundation nicht denkbar gewesen. 29 Charlotte Bühlers erste Veröffentlichung erschien bereits 1918 mit dem Titel Das Märchen und die Phantasie des Kindes, später wurde aus diesem ersten Artikel, ergänzt um einen Aufsatz von Josefine Bilz, ein Buch, das bis heute im Buchhandel (Springer Verlag) erhältlich ist. Auch andere Werke von Charlotte Bühler aus dieser frühen Wiener Zeit sind bis heute im Buchhandel erhältlich bzw. werden z. T. wieder neu aufgelegt. Käuflich sind z.B. der Kleinkindertest, Das Seelenleben des Jugendlichen in 7. Auflage 1991, Das Märchen und die Phantasie des Kindes. Ein späteres Werk, Die Rolle der Werte in der Psychotherapie ist ebenfalls noch im Buchhandel erhältlich. Das gleiche gilt bis vor kurzem für die mit Melanie Allen gemeinsam verfaßte Arbeit Einführung in die humanistische Psychologie, zuletzt erschienen bei UTB als Taschenbuch. 30 Vgl. Die geistige Entwicklung des Kindes. 31 Hetzer, H. (1982). Kinder- und jugendpsychologische Forschung im Wiener Psychologischen Institut von 1922 bis 1938. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie XIV (3), 175-224, 185. 32 Bühler, Ch. & Allen, M. (1972). Einführung in die humanistische Psychologie. Monterey, Kalifornien. 33 Noch auf ihren späten Portraitfotos, die sie offenbar auch als Autogrammkarten benutzt hat, erscheint sie mit ausgeschnittenen Kleidern, stark geschminkt und mit viel Schmuck. 34 Havighurst charakterisiert ihr Werk als von “faustischer” Fragestellung geleitet, (vgl. dessen Nachruf auf Charlotte Bühler, 1974. Human Development, 27, 399-400). 35 Eine Auseinandersetzung, wie sie bspw. ihren Zeitgenossen und Fachkollegen in Harvard, den Persönlichkeitstheoretiker G. W. Allport auszeichnet. 36 Die Reflexion eigener Bedingtheiten ist, um einen weiteren bedeutenden Zeitgenossen und Fachkollegen zu nennen, für den Psychoanalytiker und Entwicklungstheoretiker E. H. Erikson geradezu konstitutiv. 37 Bernfelds Verriß ihrer frühen Arbeit über das Seelenleben des Jugendlichen von 1922 unter der Überschrift Unkenntnis und Kühnheit bezeichnet treffend, wenn auch bitter ironisch, etwas von diesem spezifischen und frappierenden Nebeneinander von Größe (oder Größenanspruch) und gelegentlicher Begrenztheit bei Charlotte Bühler. In S. Bernfeld (1927). Die heutige Psychologie der Pubertät. Kritik ihrer Wissenschaftlichkeit. In S. Bernfeld (1970). Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse (S. 727-742). Meisenheim. 38 Charlotte Bühler benutzt diesen Terminus Durchschnittsmensch selbst. 39 Dieses Buch erreichte bis 1977 eine Auflage von über 60.000 Exemplaren. 40 In M. Greffrath (1989). Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern (S. 109). Frankfurt/ Main. 41 Bernfeld, S. (1978). Trieb und Tradition im Jugendalter. Kulturpsychologische Studien an Tagebüchern. Frankfurt/ Main (Reprint der Ausgabe von 1931). 42 Daß Charlotte Bühler auch sonst gelegentlich mit konkurrierenden psychoanalytischen Denkansätzen nicht allzu sorgfältig umgeht - das meint Bernfelds Begriff der “Unkenntnis” - läßt sich auch für den Umgang mit E. H. Eriksons Entwicklungsmodell zeigen, das sie keineswegs angemessen darstellt und sich mit dem bloßen Hinweis auf den psychoanalytischen Charakter seines Ansatzes eine Auseinandersetzung erspart. Vgl. ihre wirklich ignorante Einschätzung (1959) von Eriksons Entwicklungsmodell. In Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (2. Auflage, S. 71). 43 In Ch. Bühler. Karl Bühler. A.a.O. (S. 30). 44 Unter dem Einfluß dieser Fortbildungen entwickelte Charlotte Bühler in den vierziger Jahren als Abkömmling des von Lowenfeld in die Kinderpsychiatrie eingeführten Weltspiels den standardisierten “World-Test” (einen projektiven Spieltest zur Diagnose geistiger und emotionaler Störungen bei Kindern), der in Deutschland von H. Hetzer und E. Höhn in den fünfziger Jahren adaptiert wurde und beachtliche Verbreitung fand (vgl. auch die vielen Titel hierzu in der Werkbibliographie). 45 In Chr. Bühler. Die Wiener Schule in der Emigration. A.a.O. (S. 191). Nicht geklärt ist bis heute, inwiefern Charlotte Bühler nicht bereits in ihren Wiener Jahren mehr teilnehmendes Interesse für die Psychoanalyse entwickelt hat als in ihren Schriften deutlich wird. (Eschbach vermutet, daß nicht nur viele ihrer Schüler ein Doppelleben führten - wie Marie Jahoda es nannte -, sondern Charlotte Bühler selbst ein intellektuelles Doppelleben geführt habe.) Belegt ist, daß sie eine leidenschaftliche Beziehung zu dem Psychoanalytiker Oswald Schwarzcz, einem Freudschüler, unterhielt, die bis zu Scheidungsplänen ihrerseits führte. So mag ihre Beziehung zur Psychoanalyse konstant durch Ambivalenz geprägt sein, und nicht so sehr durch Standortwechsel charakterisierbar. 46 Selbstdarstellung, a.a.O., S. 37. Der zweite Teil dieser Ausführung erinnert stark an existenzanalytisches Vorgehen, wie es von Viktor Frankl entwickelt wurde. Charlotte Bühler selbst allerdings, die schon zu Lebzeiten Charlotte Bühler: Leben und Werk einer selbstbewußten Wissenschaftlerin 207 in den Zusammenhang mit Frankl gestellt worden ist, betont Originalität mit dem Hinweis, “daß Frankl jahrelang nach mir seine dementsprechenden Veröffentlichungen machte” (Die Wiener Psychologische Schule, a.a.O., S. 194). Frankls Ärztliche Seelsorge erschien allerdings bereits 1946. 47 Dieses Buch ist das am weitesten verbreitete Werk Charlotte Bühlers. Es erreichte bis zum Jahre 1972 eine Auflage von 170.000. (Eine weitere, höchst erfolgreiche Arbeit ist Das Seelenleben des Jugendlichen. Es wurden im Laufe dieses Jahrhunderts über 100.000 Exemplare verkauft.) 48 Lebenslauf und Lebensziele, Selbstdarstellung. 49 Für ihre Auseinandersetzung mit Freud gibt Charlotte Bühler selbst die in den fünfziger Jahren erschienenen ersten Aufsätze nach der Emigration als wichtigste Positionsbestimmungen an. Vgl. Bühler, Ch. (1952). The Reality Principle. In American Journal of Psychotherapy und Bühler, Ch. (1952). Maturation and Motivation. In Dialectica. International Review of Philosophy of Knowledge. Zürich. 50 In deutscher Sprache erschienen (1965) unter dem Titel: Die Rolle der Werte in der Entwicklung der Persönlichkeit und in der Psychotherapie. Stuttgart. 51 Dem Sinn nach kann der Begriff übersetzt werden mit: “Eine Frau, die sich nicht kleinkriegen läßt”. Der Nachruf Havighursts (1974) ist erschienen in der Zeitschrift: Human Development, 17, 399-400. 52 erschienen (1974) in Psychologische Rundschau, 15, 149f. 53 Thomae bezieht sich damit auf eine Würdigung G. Reinerts auf dem 2. Kongreß der “International Society for the Study of Behavior Development” in Ann Arbor 1973. 54 erschienen (1974) in der schweizerischen Zeitschrift Psychologie, 33, 189f. 55 erschienen (1974) in Erziehung und Unterricht, 124, 205-208. Eine weitere Darstellung Werk und Bedeutung von Charlotte Bühler findet sich in Albert, D. (1985). Bericht über den 34. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Wien 1984, Göttingen; vgl. auch ihren Artikel in der Festschrift für Charlotte Bühler: Die Grundideen und die theoretischen Fragestellungen in Charlotte Bühlers Lebenswerk, a.a.O., S. 9-18. 56 Die Experimentalphysikerin Liese Meitner darf z.B. nur wenige Jahre früher ihr Institut in Berlin, in dem sie ihren Arbeitsplatz hat, nur durch einen Nebeneingang betreten und sich in den oberen Räumen, in denen sich Studenten aufhalten, nicht zeigen (vgl. Feyl, R., 1981. Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft, Berlin/ DDR, S. 166). 57 Die ersten ordentlichen Professorinnen an deutschen Universitäten wurden 1923 berufen, in Botanik und Erziehungswissenschaften. 58 Bühler, Ch. Beruf und Familienorientierung - Entwicklungsprobleme junger Mädchen. Neu erschienen in Brinker-Gabler, G. (1978). Zur Psychologie der Frau, Frankfurt/ Main, S. 169-177. 59 In ihrer Arbeit Drei Generationen im Jugendtagebuch (Jena, 1934) analysiert sie als Übergangstypus diejenige Generation von Mädchen, denen die Ausbildung zu irgendeinem Beruf bereits eine Selbstverständlichkeit geworden sei (1883-1890 geborene Mädchen); und zu Beruf und sachlichen Interessen bestehe eine völlig andere Beziehung als bei den nur wenige Jahre älteren Mädchen. Der Übergangsperiode entsprechend sei zunächst hauptsächlich der Lehrberuf als der frühest zugänglich gewordene Frauenberuf vertreten (vgl. ebd., S. 31). 60 Vgl. Ammers-Küller, J. von (1935). Charlotte Bühler. In Bedeutende Frauen der Gegenwart (S. 269-300). Bremen. 61 Ihre Kinder warfen ihr später vor, nicht genügend Zeit mit ihnen verbracht zu haben (vgl. Selbstdarstellung 1972, S. 22). Die Kinder hatten eine Gouvernante, die bei der Familie Bühler lebte. Nach Eschbach wurden auch die Assistentinnen, z.B. Hildegard Hetzer, für Charlotte Bühlers persönliche Entlastung eingesetzt; er geht so weit zu sagen, daß sie “wie Sklavinnen gehalten” wurden. 62 In ihrer späten Arbeit Psychologie im Leben unserer Zeit, die sie ihren Kindern und Enkelkindern widmet, schreibt sie im Vorwort, daß sie es ihnen widme, “die Wesentlichstes zur Erfüllung meines eigenen Lebens beitrugen und denen es in ihrer Zukunft gedanklich und menschlich beistehen möge.” (Bühler, Ch., 1962. München/ Zürich, Vorwort, S. 18). 63 Bühler, Ch. (1991). Neue Tatsachen und Gedanken zum Seelenleben des Jugendlichen. In Ch. Bühler. Das Seelenleben des Jugendlichen. Vorwort zur 6. Auflage. In 7. Auflage, Stuttgart, S. 13-42. 64 Wir danken an dieser Stelle Marianne Ganseforth und Elke Martin für ihre Unterstützung.