eJournals Kodikas/Code 28/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2005
283-4

Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson

121
2005
Dagmar Schmauks
kod283-40279
Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson Dagmar Schmauks „Der Ernst hat eine feierliche Seite, eine schauerliche Seite, überhaupt sehr viele ernsthafte Seiten, aber ein elektrisches Fleckerl hat er doch immer, und da fahren bei gehöriger Reibung Funken der Heiterkeit heraus.“ Nestroy 1. Einleitung Dieser Artikel versteht sich als tiefe Verbeugung vor einem bislang nur punktuell beachteten Semiotiker, nämlich dem amerikanischen Cartoonisten Gary Larson. Geboren am 14.8.1950 in Tacome/ Washington 1 , publizierte er ab den späten 1970er Jahren zahlreiche Cartoons in Zeitungen und den Sammelbänden „The Far Side“, die ihn weltweit bekannt gemacht haben. Im Jahr 1985 wurde ihm die seltene Ehre zuteil, dass man neu entdeckte Tierart nach ihm benannte: die Eulenlaus Strigiphylus garylarsoni. Am 1.1.1995 stellte Gary Larson seine Zeichentätigkeit ein und zeigt dem Leser in Abbildung 1, wie er aus der Welt seiner Geschöpfe wieder auftaucht und wie diese mit der K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 28 (2005) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Abb. 1: Ein selbstreferentieller Larson-Cartoon (Last Chapter 80). Dagmar Schmauks 280 realen Welt verknüpft ist. Seine Cartoons werden jedoch weiterhin gelesen, ständig nachgedruckt und sind in immer neue Kontexte eingewandert. Weil sie vielfältige Probleme der Kommunikation sehr einprägsam und lakonisch „ins Bild setzen“, werden sie gern zur Illustration von Vorträgen und Lehrveranstaltungen eingesetzt. Und obwohl sie - wie alle Witze - Nachrichten äußerster Kürze sind, erweisen sie sich bei eingehender Analyse als reizvoll komplex. Text- und Bildelemente sind eng aufeinander bezogen, und der Rezipient muss viele Arten des Wissens aktivieren, um die dargestellte Szene zu verstehen. Das klassische Indiz des Witze-Verstehens ist das Lachen, von dem Volksmund und Medizin behaupten, es sei gesund. Beim Lachen bewegt man Dutzende von Muskeln, atmet vertieft, kurbelt sein Immunsystem an, baut Stresshormone ab und vergisst vorübergehend die Kümmernisse des Alltags. Seminare und Workshops sollen „Lachmuffel“ zu befreiendem Kichern, Glucksen und Gackern anregen, und seit Mitte der 1990er Jahre feiert man am ersten Sonntag im Mai den „Weltlachtag“. Zahlreiche Theoretiker haben Ursachen, Arten und Wirkungen des Lachens untersucht, bahnbrechend etwa Sigmund Freud (1905) in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Das Lachen zu verbieten ist sogar gefährlich, so geschehen etwa die zahlreichen Morde in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose (1982) nur, weil ein verschollenes Buch über das Lachen weiterhin geheim gehalten werden soll. In dieser Arbeit geht es um die absichtliche Auslösung von Lachen, also darum, wie man andere zum Lachen bringt. Humor-Herstellung wird als ein Handwerk gesehen, das man wie jedes andere gezielt lernen und dann mehr oder weniger erfolgreich ausüben kann. Humor ist eine grundlegende Funktion menschlicher Kommunikation, die sich in allen Medien realisieren lässt. Sogar in Musik, Architektur, Kleidung und Kulinaristik gibt es Humor, die meisten Humor-Handwerker jedoch produzieren Texte, Hörspiele, Bilder, Theaterstücke und Filme. Eine bunte Mischung von Gewährsleuten, deren Werke sich besonders für semiotische Analysen eignen, sind etwa Lichtenberg, Karl Valentin, Maurits C. Escher, René Magritte, Groucho Marx, Charlie Chaplin, Dick und Doof, Woody Allen, Monty Python sowie die Texter und Zeichner der „Neuen Frankfurter Schule“ (unter anderem F.W. Bernstein, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Hans Traxler und F.K. Waechter). Als Einleitung zur Werkanalyse skizziert Abschnitt 2 einige allgemeine Strategien der Kreativität. Darauf aufbauend charakterisiert Abschnitt 3 Humor als Handwerk und als Zeichenspiel. Der Schwerpunkt liegt auf dem Nachweis, dass die Strategien der Humorerzeugung ein Sonderfall von Kreativität sind, der durch Reflexion besser verstanden und durch Übung verfeinert werden kann. Ferner zeigt sich, dass die zugrundeliegenden kognitiven Strategien medienübergreifend sind und darum in Texten und Bildern gleichermaßen eingesetzt werden. Der 4. Abschnitt erhellt in Detailanalysen wichtige semiotische Aspekte der Cartoons von Larson. Wegen der vielen Auflagen der Sammelbände wird nicht nach Erscheinungsjahren zitiert, sondern mit eindeutigen Kurztiteln wie „Valley“ für „Valley of the Far Side“. Zitierte Bildunterschriften und Äußerungen in Sprechblasen wurden übersetzt, falls nicht Wortspiele oder Anspielungen im englischen Original dies unratsam erscheinen ließen. Manche der deutschen Bildunterschriften versuchen aber auch, Larsons Cartoons mit bekannten Liedzeilen und anderen Textfragmenten zu verknüpfen, also eine weitere Schicht Humor darüberzulegen. 2 Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 281 2. Strategien der Kreativität Eine notwendige Voraussetzung aller kognitiven Leistungen ist die kategoriale Wahrnehmung, also das Zusammenfassen von Objekten zu Mengen aufgrund wahrgenommener Ähnlichkeiten. Bereits einfachste Lebewesen unterscheiden Umweltreize als „angenehm“ vs. „unangenehm“. In späteren Phasen der Phylogenese differenzieren sich die Einteilungskriterien immer feiner aus. Überleben wäre kaum möglich, wenn ein Individuum jede Reizkonstellation gesondert überprüfen müsste. Es ist ungleich empfehlenswerter, auf bestimmte Muster spontan mit Flucht zu reagieren, weil sie dem phylogenetisch gründlich getesteten Konzept „Feind“ entsprechen, als jedes Mal eine Fragetabelle abzuarbeiten („Groß? Gelbschwarz gestreift? Lange Eckzähne? Schnell sich nähernd? - Hilfe, Tiger! “). Der sog. „Analogieschluss“, also das Wahrnehmen von Ähnlichkeiten zwischen weit entfernten Sachgebieten, ist eine der anspruchsvollsten und beeindruckendsten kognitiven Leistungen überhaupt. Vier einschlägige Geschichten sollen zeigen, dass die „Geburt“ neuer Gedanken mit bestimmten Namen verknüpft wird. In allen Fällen wird ein lange bestehendes Problem durch sog. „Inspiration“ gelöst, die kein Mirakel ist, sondern unter anderem auf implizitem Wissen über Strukturen sehr hoher Ordnung beruht. Der klassische Ausruf „Heureka! “ gibt die Innenansicht einer solchen Entdeckung wieder. Denn da der größte Teil der Verknüpfungsarbeit unterhalb der Bewusstseinsschwelle stattfindet, hat die Person selbst den Eindruck, die Einsicht sei „schlagartig“ und „von selbst“ gekommen. • Der Chemiker August Kékulé (1829-1896) träumte von einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Dieses Bild lieferte ihm den „Benzolring“ als die lange gesuchte Strukturformel für Benzol. • Den Chemiker Dimitrij Mendelejew (1834-1907) inspirierte die zweidimensionale Struktur von Patiencen zum periodischen System der Elemente. Bei reihenweiser Anordnung der chemischen Elemente nach steigender Atommasse stehen nun verwandte Elemente untereinander und die Eigenschaften noch unbekannter Elemente lassen sich vorhersagen. • Der Mathematiker, Logiker und Philosoph Gottlob Frege (1848-1925) übertrug die Theorie der chemischen Bindung auf die Sprache, um deren „Zusammenhalt“ zu erklären. Funktoren als „ungesättigte“ Ausdrücke brauchen „gesättigte“ Ausdrücke als Argumente, so dass etwa der Junktor „und“ durch zwei Namen gesättigt werden kann wie in „Himmel und Erde“. Da hier auch die Ursprungsdomäne eine Wissenschaft ist, begründet dieser Strukturtransfer eine besonders seltene Art von Transdisziplinarität. • Das Atommodell des Physikers Ernest Rutherford (1871-1937) orientiert sich am Sonnensystem; in ihm umkreisen die Elektronen den Atomkern wie die Planeten die Sonne. Wissenserweiterung geschieht ferner oft durch sog. „Abstraktion“, nachdem man Alternativen zur bisher selbstverständlich geltenden Kopplung von Objekt und Eigenschaft kennengelernt hat. Wer nur blaue Veilchen kennt, behauptet ohne langes Räsonnement den Allsatz „Alle Veilchen sind blau“. Das Sehen einer weißen Albino-Form widerlegt ihn empirisch und legt zugleich die Vermutung nahe, es könne noch mehr Farbvarianten geben. Das Kennenlernen gelber Gebirgsveilchen oder gefleckter Hybriden überrascht dann nicht mehr, denn das Merkmal „Farbe“ ist durch Abstraktion bereits parametrisiert geworden. In Alltag und Wissenschaft müssen wir ständig unsere Wissensbestände aufgrund neuer Informationen erweitern und korrigieren. Gary Larson verdanken wir etliche Vorstöße in Dagmar Schmauks 282 erstaunliche Bereiche, die uns ohne ihn als Pfadfinder verschlossen geblieben wären. Sogar erfahrene Kellnerinnen hätten vielleicht nicht vermutet, dass sie in einem Arktis-Restaurant die Gäste warnen müssen mit „Vorsicht, die Teller sind sehr, sehr kalt“. * Und obwohl auch Laien schon von Spinnenphobie und Platzangst gehört haben, kennt kaum jemand die „Luposlipaphobia“ (It Came 43): Die Angst, von hungrigen Wölfen um einen runden Tisch gejagt zu werden, während man mit Wollsocken auf dem frisch gebohnerten Boden ausrutscht. 3. Humor als Handwerk und als Zeichenspiel Witze sind eine Textsorte, die in speziellen Kontexten anzutreffen ist. Viele Zeitungen und Zeitschriften haben eine eigene Rubrik „Humor“ und es erscheinen immer neue Anthologien mit Titeln wie „Ärztewitze“ oder „Österreichische Witze“. Das Erzählen von Witzen erfolgt an sog. „Lachorten“ (vgl. Bachtin 1969) wie Stammtisch und Betriebsausflug sowie in kommerzialisierten Formen wie Büttenrede, Kabarett und Comedy. Witze haben nur wenige Grundmuster. Eine klare und umfassende Darstellung der Techniken und Tendenzen des Witzes erarbeitet Hirsch (2001) anhand von 700 erstklassigen Beispielen. So tauchen die folgenden schlichten Strategien mit immer neuen inhaltlichen Füllungen auf: • Ausnutzen von lexikalischer Mehrdeutigkeit („Ich bin Wirtschaftsprüfer - meistens schaffe ich 2-3 Kneipen pro Abend“) • Verballhornung von Namen („Wie heißt die Clinton-Ära in den USA? - Sex between the bushes! “) • gezieltes Enttäuschen pikanter Erwartungen („Arnold Schwarzenegger hat einen ganz langen, Brad Pitt hat einen ganz kurzen, Madonna hat gar keinen und der Papst hat zwar einen, benutzt ihn aber nicht. Was ist das? - Der Nachname! “) • „Dreierregel“ (vgl. Vorhaus 2001: 162ff): Zwei gleichartige Elemente scheinen eine Regel einzuführen, die durch ein ganz andersartiges drittes Element sofort wieder gebrochen wird („Friede, Freude, Eierkuchen“ oder „Fürchte den Stier von vorne, den Hengst von hinten, und Dolby Surround von allen Seiten“). Der Terminus „ontologische Fehlgriffe“ soll Fälle bezeichnen, in denen sachlich weit voneinander entfernte Dinge kombiniert werden wie in der Frage: „Wenn das Universum sich fortwährend ausdehnt, warum finde ich dann nie einen Parkplatz? “ (Vorhaus 2001: 91). Ein Fehlgriff etwas anderer Art ist der Satz „Fettflecke werden wie neu, wenn man sie dünn mit Butter bestreicht“. Er maskiert sich als Ratschlag für die Hausfrau und ist sachlich vollständig richtig - abgesehen davon, dass Flecken keine Objekte sind, deren Konservierung uns am Herzen liegt. Zwischen Witzen und Rätseln sind Darstellungen von etwas angesiedelt, das der Rezipient erst als logisch unmöglich erkennen muss. Ein sprachliches Beispiel ist ein „Messer ohne Klinge, an welchem der Stiel fehlt“ (Lichtenberg 1994, 3 Band: 452) und ein bildliches der ständig aufwärts fließende Wasserlauf auf Eschers Zeichnung Wasserfall. Bild-Text-Kombinationen erlauben die besondere Strategie der De-Metaphorisierung, bei der eine vorher metaphorisch verwendete Redensart in einem geistigen Salto mortale wieder Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 283 “And so, without further ado, here’s the author of ‘Mind over Matter’ …” Abb. 2: Rest cogitans und res extensa … (Far Side o.S.) wörtlich genommen wird. So wirbt die Ökobauern-Organisation Neuland mit dem Slogan „Wir lassen die Sau raus“, und im Bild trabt sie gerade vergnügt über ihre Weide. Eine weitere Quelle des Lachens sind Widersprüche zwischen Bild und Text, für die Larson viele Beispiele liefert (vgl. Abschnitt 4.8). So soll der Redner in Abbildung 2 laut Bildunterschrift in bewährt dualistischer Manier vortragen über „Der Geist - Beherrscher der Materie“. Das Bild hingegen macht die vollständig gegenläufige Aussage, dass diese Herrschaft doch stark schwächelt. Im Bildhintergrund knallt nämlich der angekündigte Redner gerade gegen einen Strebepfosten als widerständiges Element des res extensa, wobei er auch noch Brille und Manuskript als die etablierten Mittel intellektueller Weltbemächtigung verliert. Wer die Regeln politischer Korrektheit streng anwendet, muss Larsons Cartoons unverzüglich auf den Index setzen. Wer hingegen meint, politisch korrekter Humor sei so etwas wie alkoholfreies Bier oder fettarmer Joghurt - gesund aber doch eher unlecker -, ist bei ihm gut aufgehoben. Er trifft dann etwa eine Gruppe massiger „Weight Watchers“, die aus einem Fenster beäugt werden, das die Aufschrift „Whale Watchers“ trägt. * Als explizite Stellungnahme zu den Regeln politischen Korrektheit besteht ein Sumpfmonster darauf, „wetlands-challenged mutant“ (Curse 26) genannt zu werden. Die bevorzugteste Zielgruppe von Larsons Geißelungen sind jedoch die kognitiv Herausgeforderten: • bei einem Haustürgeschäft erscheint jemandem das Versprechen „Verdoppeln Sie Ihren IQ oder kein Geld zurück“ verlockend (Beyond o.S.), • ein Junge drückt verbissen gegen die Eingangstür der „Schule für Hochbegabte“, an der ein riesiges Schild „Ziehen“ hängt (Observer 100), • die Vereinigung der „Idioten Amerikas“ trägt ihr Transparent verkehrt herum (Far Side o.S.) und • in einer „Schule für mechanisch Zurückgebliebene“ wird die Handhabung eines Schraubenziehers durch Nahaufnahmen erläutert (Abbildung 3). Dagmar Schmauks 284 4. Semiotische Aspekte bei Gary Larson Gary Larson Universum heißt „The Far Side“, wobei es rhetorisch sensible Personen vielleicht freut, dass die Abkürzung „FS“ ein Chiamus zum üblichen „SF“ als Akronym zu „Science Fiction“ ist. Denn gerade die hohe Eigenständigkeit seines Weltbildes hat Larsons Cartoons so bekannt gemacht, wobei er seine Leser stark polarisiert - entweder man liebt seinen Humor, oder man findet seine Weltsicht bekämpfenswert negativ. Während jedoch viele platte Optimisten unter dem Motto „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“ dahinsegeln, verkündet Larson wie alle großen Humoristen die Gegenthese: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“. 4.1 Die „Andere Seite“ der Welt Die Anthologien der „Far Side“ wurden im Deutschen unter dem Titel „Die andere Seite“ veröffentlicht. Zu diesem Ausdruck drängt sich mir eine Parabel aus früher genossenem Religionsunterricht auf. Ihr zufolge erscheint unsere Erfahrungswelt nur deshalb so konfus und fehlerhaft, weil wir sie „von der falschen Seite“ betrachten. Wie Kakerlaken unter dem Teppich sehen wir nämlich nicht dessen wunderbare Muster, sondern nur die vielen schlampigen Knoten und sinnlosen Schlingen, mit denen die Fäden vernäht wurden. Erst im Tod schreiten wir durch den Teppich auf dessen „richtige“ Seite, die nun in ihrer ganzen seidigen Farbenpracht sichtbar wird. Man denkt hier auch an triviale Science-Fiction-Romane und deren schlichte Ratschläge für Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit („Hyperdrive“): „Lege den Raum in Falten und geh quer hindurch! “ Nun, liebe Mit-Kakerlaken, werfen wir mit Larson einen vorzeitigen aber unerschrockenen Blick auf die „Andere Seite“! Interessanterweise hat auch Alfred Kubin, der in erster Linie als Zeichner phantastischer Motive bekannt ist, seinem einzigen Roman den Titel „Die andere Seite“ gegeben (Kubin 1909). Er beschreibt darin die abgelegene und beklemmende Stadt Perle in Zentralasien. Sie wird von einem Schulfreund des Erzählers bis in kleinste Details gesteuert und damit letztlich vernichtet. Larsons „andere Seite“ hat Herrscher abstrakterer Art, nämlich vor allem Banalität und Dummheit. Alle Lebewesen vom Einzeller bis zum Menschen und sogar Außerirdische auf interstellaren Reisen sind ihnen unterworfen. Die Beispiele der Cartoons lassen sich auf zwei Stufen anordnen: Auf der ersten Stufe ist die Welt „nur“ absurd, auf der zweiten Stufe ist sie vollends fremdartig geworden. Oft reicht ein einziger Blick „wie von außerhalb“, um ein reales Ereignis als absurd zu entlarven. Sehr erhellend kollidiert Hochtechnologie oft mit simpelstem menschlichem Versagen. So stellt nach dem finalen Atomschlag ein Ehepaar in seinem üppig bevorrateten Bunker fest, dass der Dosenöffner vergessen wurde (Observer 48). Sogar die erste Landung von Außerirdischen auf der Erde bleibt undokumentiert, da der Fotograf erst die Kamera aufklappt, um zu prüfen, ob ein Film darin ist (Bride o.S.). Ein typisches Larson-Beispiel mit Gegenwartsrelevanz ist ein Schwertransporter mit einer Mittelstreckenrakete, an dessen Heck die tröstliche Mitteilung steht „Unsere Rücklichter brennen zu ihrer Sicherheit“ (Hound 66). Frösteln löst auch der Schnappschuss eines Schmetterlingsammlers aus, der eine besonders prachtvolle Beute preist: „Ein Symbol von Schönheit, Unschuld und bedrohtem Leben - reich mir den Äther! “ (Far Side o.S.). Absurdität fällt jedoch nur auf, so lange der Alltag „normal“ ist. Während also beim Erkennen einzelner absurder Szenen das gesamte Weltbild „heil“ bleibt, wird einem in extremen Gemütslagen die gesamte Realität bedrohlich fremd. Wenn Larsons Cafeteria-Gast Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 285 School for the Mechanically Declined Abb. 3: Die Liebe zum Detail (Dummies 20) Darrell suspected someone had once again slipped him a spoon with the concave side reversed. Abb. 4: Die Fremdheit des Alltäglichen (Search o.S.) argwöhnt, man habe ihm schon wieder „den Löffel mit der konkaven Seite nach außen gegeben“, ist dies eine beklemmende Momentaufnahme einer pathologisch verzerrten Welt (Abbildung 4). In solchen Parallelwelten gelten die Gesetze der Logik, des „gesunden Menschenverstandes“ und des sozialen Zusammenlebens nicht (mehr), sie sind „ver-rückt“ im wörtlichsten Sinn. Entsprechende Cartoons haben also einen schillernden Status. Einerseits bereichern sie das Weltbild des Lesers, indem sie ihn anleiten, die alltägliche Welt auf ganz neue Art zu sehen. Sie wirken dann einer „automatischen Wahrnehmung“ oder „funktionalen Fixiertheit“ entgegen und können sogar die eigene Kreativität steigern. Andererseits lauert jedoch am Horizont immer das umfassende Gefühl einer unaufhebbaren „Fremdheit in der Welt“, das ein Leitsymptom einiger Persönlichkeitsstörungen ist; das Asperger-Syndrom heißt sogar umgangssprachlich „wrong planet syndrome“). 4.2 Grundprobleme der Bildpragmatik Auf der Darstellungsebene sind Larsons Cartoons sehr schlicht. Menschen, Tiere und Dinge werden durch einfache Umrisslinien gezeichnet, die den Strichmännchen auf Kinderzeichnungen ähneln. So reichen ein paar Kreise und Kringel, um eine frustrierte Hausfrau mit Schmetterlingsbrille, Rüschenschürze und betonharter Dauerwelle zu skizzieren. Ähnlich genügt ein Häkelkissen als Kürzel eines Interieurs, und drei Bogenlinien deuten eine Hügellandschaft an. Sparsame Schraffuren schaffen nur andeutungsweise eine Illusion von Räumlichkeit. Derselbe Minimalismus findet sich bei den Textelementen. Die Bildunterschriften Dagmar Schmauks 286 sind ebenso lakonisch wie die Texte der nicht allzu häufigen Sprechblasen, die sich oft auf eine einzige Interjektion beschränken (vgl. Schmauks 2004). Rezipienten mit Sinn fürs Absurde werden den Index zu schätzen wissen, den Larson seinem Band „Wiener Dog Art“ beigefügt hat (Wiener Dog 109-111). Alle Buchstaben des alphabetischen Register sind leer geblieben, nur unter „T“ drängen sich Kurztitel sämtlicher Witze zusammen, etwa „The one about cow poetry“. Man beachte, dass dies exakt die Strategie des Witze-Erzählens abbildet, denn innerhalb dieses Sprachspiels wird ein neuer Witz eingeleitet durch Fragen wie „Kennst du den von Tünnes und dem Pinguin? “ Reale und gezeichnete Welt sind nicht streng getrennt, sondern haben durchlässige Grenzen. So nimmt der Bauer, der in einer Schneekugel lebt, die sich nähernde Riesenhand wahr und ruft „Geh rein, Ma, ein Schneesturm kommt“ (Selections 38). In Abbildung 5 sind sogar vier Welten ineinander geschachtelt: Wir blicken aus unserer Welt in die des Zeichners, in der herumlungernde Gaffer die Zeichnung verdecken, in der wiederum ein Bild an der Wand hängt (man denke an die Redensart „ins Bild laufen“, wenn Passanten beim Fotografieren stören). Die Welt in Abbildung 6 ist auf andere Art komplex, denn hier tritt eine Larson-typische artübergreifende Wohngemeinschaft mit den Protagonisten anderer Zeichner in Kontakt. Nicht nur werden die „Möglichen Welten“ der Philosophie sehr witzig als Apartments im Wohnblock des Seins konzeptualisiert, sondern die Larsonianer haben auch einen Grad an Selbsterkenntnis, um den wir sie beneiden sollten - sie wissen nämlich um ihre Nicht-Ernsthaftigkeit. Ernst ist es hingegen einem Cartoon-Teenager, der seinen Eltern (? ) vorwirft, er „habe nicht darum gebeten, gezeichnet zu werden“ (Observer 83). Ein Kennzeichen von Bildern besteht darin, dass sie ihre eigenen Konventionen nicht auf einer Meta-Ebene selbst thematisieren können. Larson jedoch schafft auch diesen Spagat über die Ebenen, wenn er den Stil der Umrisslinien (glatt vs. gewellt) zu einem quasi-biologischen Merkmal erhebt und damit die semiotische Kardinalsünde der Verwechslung von Urbild und Abbild begeht (Abbildung 7, vgl. Schmauks 2001). Gombrich hat auf die Existenz kulturspezifischer Darstellungskonventionen für bestimmte Objekte hingewiesen. So sieht die stark stilisierte Darstellung eines fliegenden Vogels aus wie der kleine Buchstabe „m“, und dies wissen sogar die Vögel selbst (Abbildung 8). Gegenständliche Bilder lassen sich danach einteilen, ob ein bestimmtes Objekt abgebildet werden soll oder ob schematische Aspekte im Vordergrund stehen. So interpretieren wir dasselbe Bild einer Person je nach Bildtitel als „Porträt“ („Susanne Musterfrau“) oder als „Genrebild“ („Junge Frau am Fenster“). Ebenso ist das Bild eines berühmten Rennpferdes ein Porträt, während Schautafeln wie „Die Hummel“ immer arttypische (also schematische) Merkmale abbilden. Larson wirbelt diese Einteilung gründlich durcheinander, wenn der Leser des Buches Know your insects „Brustbilder“ von Insekten sieht mit Unterschriften wie „Linda“ und „Ted“ (Hound 84). 4.3 Der Mensch und seine Mitgeschöpfe Als auffälligster Zug des Larson-Universums handeln alle Lebewesen bis in winzigste Details genau wie Menschen, und zwar wie solche der amerikanischen Mittelschicht. So dippen Wölfe auf einer Party tote Schafe in Soße (It Came 104), Bären lesen den Ratgeber Winterschlaf leicht gemacht (Bride o.S.), und vergessene Bügeleisen in Vogelnestern erweisen sich als „dritthäufigste Ursache von Waldbränden“ (Valley 31). Während Schweine früher wegen hübscher Rundungen geschätzt wurden, hat der Jugend- und Schlankheitswahn nun auch die Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 287 Suddenly, two bystanders stuck their heads inside the frame and ruined one of the funniest cartoons ever. Abb. 5: Metasemiotische Bildstörung (Selections 90) “I just can’t tell from here … That could either be our flock, another flock, or just a bunch of little m’s” Abb. 8: Artübergreifende Kenntnis von Darstellungskonventionen (It Came 41). “Now watch your step, Osborne. … The Squiggly Line people have an inherent distrust for all smoothliners.” Abb. 7: Der Argwohn der Gewelltlinigen (Curse 36). “Oh, man! You must be looking for ‘Apartment 3-G,’ ‘Mary Worth,’ or one of those other ‘serious’ cartoons.” Abb. 6: Im Haus des Cartoons sind viele Wohnungen (Selections 18). Dagmar Schmauks 288 Tierwelt angesteckt, und Bauern holen ihre Säue - die nun schmale Taillen haben - vom Fettabsaugen ab (Selections 74). Auch auf der mikroskopischen Ebene ist der Alltag ebenso banal wie bedroht. In Abbildung 9 geben menschliche Spermien sich als Paketbote, Versicherungsvertreter oder Handwerker aus, um sich den Eintritt in die Eizelle zu erschleichen. Ein anderes Spermium setzt auf Technologie und überholt alle Konkurrenten durch einen Außenbordmotor (Selections 24). Besonders reizvoll sind die bislang unbekannten Probleme des artübergreifenden Zusammenlebens, etwa wenn im Restaurant der menschliche Gast die irrtümlich servierten „Regenwürmer Alfredo“ für Spaghetti hält (It Came 55) oder ein neugieriger Knabe das Warnschild übersieht, mit dem Hornissen ihre „angry hour“ ankündigen (Selections 11). Manches im Tierreich bleibt uns natürlich verschlossen, etwa die Kennzeichnungen der Toilettentüren von Quallen (Abbildung 10). Solche Szenen wirken umso bizarrer, je eher wir ihre Protagonisten zu den so genannten „niederen Tieren“ zählen, also je „weiter weg“ in der gemeinsamen Stammesgeschichte wir sie empfinden. Wer wusste schon, dass Einzeller gemütliche Wohnzimmer mit Sofas und Fernsehgeräten besitzen (Search o.S.), Pornobilder von Zellteilungen mit schwarzen Balken entschärfen (Hound 11), einander „Dick-Membranigkeit“ vorwerfen (Hound 24) oder verbittert fragen: „Reiz - Reaktion, Reiz - Reaktion: DENKST Du auch manchmal? “ (Observer 11). Inmitten einer vermüllten Wohnung, im Sessel fläzend und eine Bierflasche schwingend gibt ein Wimperntierchen sogar ohne mit den Wimpern zu zucken zu, „die niedrigste Lebensform zu sein“ (Cows 52). Insekten besuchen ein Horrorkabinett mit Spinnen und Fliegenklatschen (Dummies 33) und gruseln sich im Film „Die Rückkehr der Killer-Windschutzscheibe“ (Search o.S.). Wenn sie einander zwischen den Schulterblättern kratzen (oder jedenfalls dort, wo wir solche haben, Abbildung 11), klingt die Theorie der eingebetteten Welten mit der Frage an, ob herumlaufende Menschen etwa auch Juckreiz bei der Erde auslösen, die selbst ein riesiges Lebewesen ist. Beschwipste Regenwurm-Casanovas versuchen auf einer Party, das „falsche Ende“ einer Dame zu beeindrucken (Valley 38), und Schweine erhalten obszöne Anrufe, bei denen man nur „Schnaufen und Keuchen“ hört (Far Side o.S.). Und es ist wie ein Blick in einen unfreundlichen Spiegel, wenn Schlangen das laaaaange Ausklappfoto von Playsnake anstarren (Hound 81) oder im Insekten-Nachtclub eine verführerische Dame aus ihrer Puppenhülle schlüpft (Dummies 45). Zwischen Tier- und Pflanzenreich besteht bestenfalls ein gradueller Unterschied. Pflanzen fürchten sich vor der Schere des Gärtners (Bride o.S.) und rächen sich für Misshandlungen durch den Menschen: „So, jetzt werden wir mit Dir mal ein bisschen ‚Sie liebt mich - sie liebt mich nicht’ spielen! “ (Far Side o.S.). Wie ahnungsvoll zu befürchten, trägt der Mensch alle seine Fehler mit sich, wenn er aufbricht, um das Weltall zu erobern (dieselbe pessimistische Grundthese findet sich in den Romanen und Erzählungen von Stanislaw Lem). So reißt ein Astronaut nach der Mondlandung jubelnd die Arme hoch und zertrümmert dabei seinem Kollegen die Sichtscheibe des Raumanzugs (Far Side o.S.), andere Raumfahrer purzeln mit dem Schrei „Erster! “ die Landungstreppe hinunter (Bride o.S.). Da tröstet es nur mäßig, dass es den Aliens genauso ergeht. Sie kommen im falschen Sonnensystem an (Valley 80), jagen Fußgänger mit dem Ruf „Yeeeeha! “ durch eine Straßenschlucht (Beyond o.S.), sperren den Schlüssel in ihrer Fliegenden Untertasse ein (Beyond o.S.) oder stolpern auf der Treppe, wenn sie ehrfurchtgebietend den Erdlingen entgegenschreiten wollen (Abbildung 12). Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 289 How the human egg is often deceived. Abb. 9: Befruchtender Betrug (Wildlife 28) “Wonderful! Just wonderful! … So much for instilling them with a sense of awe.” Abb. 12: Interstellare Begegnung der peinlichen Art (Search o.S.). “Yes! Yes! That’s it! … Just a little higher.” Abb. 11: Rekursive Parasiten (Dummies 83)? Only they know the difference. Abb. 10 Piktogramme auf Toilettentüren (Observer 102) Dagmar Schmauks 290 4.4 Popularisierung von wissenschaftlichen Theorien Larsons Talent, wissenschaftliche Theorien durch lakonische Zeichnungen zu illustrieren, macht diese zum idealen Einstieg in mancherlei wissenschaftliche Vorträge. Was könnte etwa griffiger in Jakob von Uexkülls Theorie der „Merkwelten“ einführen als Abbildung 13? Auch für das semiotisch interessante Thema „Mimikry“ gibt es neue Belege mit bislang unbekannten Tierarten, die ganz bestimmte Lebewesen als Futter schätzen: Ein Riesenfrosch tarnt sich mit weit aufgerissenem Maul als Vogeltränke (Far Side o.S.), die „Venus-Kinderfalle“ lässt ihre Tentakel wie Autoreifen zum Schaukeln baumeln (Bride o.S.), und die Zunge eines riesigen Monsters, das in offenbar übel beleumundeter Gegend seinen Rachen aufsperrt, sieht haargenau wie eine Schnapsflasche aus (Bride o.S.). Eine besonders raffinierte Strategie besteht darin, mit einem artifiziellen Hintergrund zu verschmelzen, wie es die Sofa-Kobra in Abbildung 14 vorführt. Im Schnittbereich von Science Fiction und Horror spielen viele Geschichten mit der Angst vor dem Unbekannten, indem sie unheimliche Wesen aus dem Weltraum zeigen, die heimlich die Erde erobern. In Abbildung 15 lernen wir eine besonders ausgeklügelte Unterwanderung kennen und werden künftig Ampelkreuzungen mit Argwohn begegnen. Eine überlegene Intelligenz nutzt hier durch geniale Tarnung die ohnehin vorhandene Neigung des Menschen aus, einander mit ihrem Lieblings-Artefakt plattzufahren (vgl. Abschnitt 15). Ortstreue Lebewesen markieren meist ihre Reviere, wobei sie artspezifische Zeichen verwenden. Abbildung 16 stellt je eine akustische und visuelle Strategie vor und zeigt zugleich in sehr schräger Beleuchtung, wie sich der homo sapiens gegenüber seinen Mitgeschöpfen definiert. Diese nur erschließbare Kritik an unserem Verhalten gegenüber anderen Arten ist sehr typisch für Larsons eher leise Strategien der Aufklärung. So wird man über Professor Doyle, der in einem Alien-Zirkus mit der Peitsche zum Lösen von quadratischen Gleichungen angetrieben wird (Chickens 87), nur einen Augenblick lang vorbehaltlos lachen. Dann drängen sich innere Bilder von Delphinen auf, die wir in winzigen Bassins durch Reifen springen lassen. Heute nimmt man an, dass die Evolution die sexuelle Vermehrung nur „erfunden“ hat, um durch ständige Neukombination der Erbinformationen die Abwehrkräfte gegen Parasiten fit zu halten. Larson stellt diese Theorie vom Kopf auf die Scheinfüßchen, denn aus Virensicht ist menschliches Sexualverhalten nur eine Agentur für Fernreisen (Abbildung 17). Auch komplexe philosophische Theorien werden in Strichzeichnungen eingefangen, etwa die konstruktivistische Überzeugung, dass die scheinbar „vorgegebene“ und „gemeinsame“ Welt von den Bewohnern unterschiedlicher Lebenswelten ganz verschieden strukturiert wird. Bei schärferem Nachdenken erscheint es aber ganz natürlich, dass Monster auf ihren Partys gerne den Hit „The Best of Little Kids Screaming“ hören (Curse 109) und sich vor Wesen AUF ihrem Bett fürchten, während sie selbst - wo sonst? - DARUNTER liegen (Abbildung 18). 4.5 Berufskarikaturen Mit besonderer Hingabe zielt Larsons Spott auf Wissenschaftler, die er dem Stereotyp entsprechend als weltfremd und kindisch zeigt. Gruppen bebrillter Männer in Laborkitteln stürmen jubelnd zum Eiswagen (Bride o.S.), schwärzen neckischerweise das Okular des Teleskops (Bride o.S.), stülpen einander Probengläser auf die Nase (Bride o.S.), bewerfen Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 291 How birds see the world Abb. 13: “Vogelperspektive” wörtlich genommen (Valley 18). “And now, Randy, by use of song, the male sparrow will stake out his territory … an instinct common in the lower animals.” Abb. 16: Reviermarkierung bei höheren und niederen Lebewesen (Search o.S.). “Our people are positioned on every street corner, commander … Shall we commence with our plan to gradually eliminate the creatures? ” Abb. 15: Rot heißt stehen … (Wiener Dog 86). The deadly couch cobra - coiled and alert in its natural habitat Abb. 14: Snakey Mustermann in Lauerstellung (Wiener Dog 36). Dagmar Schmauks 292 Be a virus, see the world. Abb. 17: Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise (Chickens 63). “For crying out loud, gentlemen! That’s us! Someone’s installed the one-way mirror in backward! Abb. 20: Erkenne dich selbst! (Valley 95) “Now that desk looks better. Everything’s squared away, yessir, squaaaaared away.” Abb. 19: Einstein entdeckt die Masse-Energie- Formel (Valley 87). “I’ve got it again, Larry … an eerie feeling like there’s something on top of the bed.” Abb. 18: Die Angst der Monster (Beyond o.S.) Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 293 sich mit Radiergummis (Far Side o.S.), tropfen einander Säure in den Nacken (Cows 42) oder lassen Plastiksaurier miteinander kämpfen (Valley 67). Ferner zeigt sich, dass gerade die ganz Großen unserer Geistesgeschichte auf recht seltsame Weise zu ihren Ergebnissen kamen. So verdankt Einstein seine weltbekannte Formel offenbar seiner Putzfrau (Abbildung 19). Das Zentrum für Primatenforschung kommt vergleichsweise spät zu einer Einsicht, die eine Neubewertung aller bisherigen Beobachtungen nahelegt (Abbildung 20). Designer eignen sich als Zielscheiben für Spötteleien, insofern ihre Werkzeuge und Produkte nicht so ganz zu den Forderungen des Faktischen passen. In frühen Epochen, in denen die Welt der Artefakte erst mäßig ausdifferenziert war, hatte der steinzeitliche Klempner es natürlich schwer, seine Werkzeuge scharf zu unterscheiden (Abbildung 21). Dass derlei Inkompetenz keineswegs der Vergangenheit angehört, belegen die Absatzprobleme der Firma „Wonker Wiener“, die ihre Würstchen QUER in ihre Hot Dogs steckt (Far Side o.S.). Die Jetztzeit stellt völlig neue Design-Probleme. So sollte man Fluggästen auf keinen Fall allzu viel Einfluss auf wesentliche Aspekte des Flugzeugs zugestehen (Abbildung 22). Auch Ärzte kommen nicht ungeschoren davon. Sie wetten während einer Operation, ob das Herz vier Kammern habe (Far Side o.S.), ermahnen einen Frischoperierten, mit „seinem nur temporären Gehirn nicht allzu hart zu denken“ (Wiener Dog 70) und blenden eine reanimierte Patientin im verdunkelten Operationssaal mit der Taschenlampe, woraufhin sie in einer Talkshow über Nahtoderlebnisse ergriffen vom „Licht am Ende des Tunnels“ berichten kann (Cows 95). 4.6 Vergessene Momente der Weltgeschichte Rühmkorffs Sammlung Über das Volksvermögen enthält zahlreiche Verse, die Autoritäten und zelebrierte Hochkultur verspotten. Sie zeigen Heldengestalten in peinlichen Situationen und lassen Geistesheroen Banales äußern (Rühmkorff 1969: 55) wie „Salomo der Weise spricht Laute Fürze stinken nicht“ Ähnlich respektlos stellt Larson uns Szenen aus unserer Geschichte vor, die in Vergessenheit geraten sind. Wer wusste schon, dass unsere amphibischen Vorfahren das Meer nur darum erstmals verließen, um einen verlorenen Baseball zurückzuholen (Search o.S.), oder kennt die wahren Gründe für das Aussterben der Einhörner (Abbildung 23)? Die Volksweisheit „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ wird durch neue Belege bestätigt. Der junge Moses teilt zur Übung die Milch in seinem Frühstücksbecher (Wildlife 8), und der erwachsene scheitelt mit derselben dramatischen Geste sein langwallendes Haar (Chickens 40). Leonardo da Vinci ergreift beiläufig ein Streichholzheftchen mit einem Pferdekopf und der Aufforderung „Zeichne mich! “ und findet so zu seiner wahren Berufung (Bride o.S.). Und endlich wird auch jenen Personen ein Denkmal gesetzt, die bislang anonym blieben. So erwähnte kein Geschichtsbuch jemals, dass es die Firma „Lambini & Söhne“ war, die den FUSSBODEN der Sixtinischen Kapelle geschaffen hat (Selections 100). 4.7 Metachrone Weltenverzwirbelung Besonders kreativ sind Zeichnungen, die den Ablauf der Geschichte auf verblüffende Weise sozusagen „in Schleifen legen“. So kleben an Saurier-Höhlen Zettel mit der Botschaft Dagmar Schmauks 294 “So what’s this? I asked for a hammer! A hammer! This is a crescent wrench! … Well, maybe it’s a hammer. … Damn these stone tools.” Abb. 21: Der steinige Weg zur Hochtechnologie (It Came 75). “Well, there it goes again … And we just sit here without opposable thumbs.” Abb. 24: Form follows function (Bride o.S.)? “Well, so much for the unicorns … But, from now on, all carnivores will be confined to ‘C’ deck.” Abb. 23: Noah macht eine schreckliche Entdeckung (Far Side o.S.). Fumbling for his recline button, Ted unwittingly instigates a disaster. Abb. 22: Der fatale Endbenutzer (Chickens 7). Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 295 In the days before television Abb. 25: In Erwartung des Fortschritts (Beyond o.S.). “No doubt about it, Ellington - we’ve mathematically expressed the purpose of the universe. Gad, how I Abb. 26: Larsons Weltformel (Valley 92). Ausgestorben“ (Valley 22). Die gängige Ansicht, dass Lebewesen die Technik als „Verlängerung“ ihrer artspezifischen Physis schaffen (Freuds „Prothesengott“, vgl. Freud 1948: 451), wird durch ein Rinderpaar in Frage gestellt, das in seinem gediegen ausgestatteten Wohnzimmer das Telefon nicht abheben kann, weil ihnen der abspreizbare Daumen fehlt (Abbildung 24). Larson wirft auch Menschen in solche Zeitschleifen. So muss ein steinzeitlicher Schüler etliche Male an die Tafel schreiben „Ich darf mich im Klassenzimmer nicht primitiv benehmen“ (Search o.S.), ein steinzeitlicher Archäologe datiert eine Granitschüssel auf „den frühen Juli“ (Wildlife 87), und eine Familie starrt vor Erfindung des Fernsehens gebannt die leere Wand an (Abbildung 25). 4.8 Metaphysik und Eschatologie In diesem letzten Abschnitt soll die Behandlung überzeitlicher Themen bei Larson an einigen repräsentativen Beispielen vorgeführt werden. Skeptiker mag es befriedigen, wenn es der Wissenschaft gelingt, den Zweck des Universums stringent nachzuweisen (Abbildung 26). Diese Strategie, einen unverfänglichen Text mit einem brisanten Bild zu kombinieren, verwenden viele Humor-Handwerker. In Wilhelm Buschs Bildergeschichte Die fromme Helene etwa bemerkt nur ein sehr aufmerksamer Leser, dass Helenes neugeborene Zwillinge ihrem Vetter Franz (mit dem sie innige Stunden beim Bohnenpflücken verbrachte) in bedenklichem Ausmaß ähnlich sehen (Analyse weiterer Beispiele zum Thema „Schweigende Texte, sprechende Bilder“ in Schmauks 1998). Dagmar Schmauks 296 Metaphysisch relevante Entscheidungen wollen wohl erwogen sein. Abbildung 27 lässt an der gängigen Vorstellung zweifeln, dass der ausgetretene und bequeme Weg ins Verderben, der steile und dornige hingegen zum Heil führt (man erinnere sich: Der „Mensch am Scheideweg“ ist von Herakles bis zu Andachtsbildern des 19. Jahrhunderts ein geläufiger Topos, vgl. Harms 1970). Typisch für Cartoons sind Sprechblasen, die Äußerungen und Sprecher einander zuordnen. Folglich entsteht ein besonders witziger Effekt, wenn der Bildausschnitt den Sprecher absichtlich ausklammert. In Abbildung 28 kann der Betrachter nur erschließen, dass die Interjektion „uh-oh“ von Gott selbst geäußert wird, weil die Stimme des unsichtbaren Sprechers aus den Wolken tönt, in christlicher Lesart also aus dem Himmel. Durch diese minimalistische Strategie wird also die sehr skeptische (bzw. blasphemische) Überzeugung vorgeführt, Gott sei bei der Erschaffung des Menschen ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen. Besorgt betrachtet man darum einen weiteren Cartoon mit der Interjektion „uh-oh“, hier geäußert von einem Virenforscher, dessen Probenglas gerade mitten auf einer belebten Straße zerschellt ist (Bride o.S.). Am anderen Ende der Zeitlichkeit wartet die Apokalypse, die nicht nur den Menschen (be)treffen wird. Folglich gibt es, wie Abbildung 29 vorführt, auch im Tierreich Nostradamusse, die als Mahner und Warner auftreten. Die Beschaffenheit der Hölle hat viele Autoren stark beunruhigt, man denke an Überlegungen von James Joyce in Porträt des Künstlers als junger Mann (Joyce 1987: 380ff) und von Thomas Mann im zentralen Kapitel XXV von Doktor Faustus (Mann 1971). In Larsons Hölle bekommen bekannte Redewendungen einen neuen, höchst beunruhigenden Sinn. Am Eingang hängt der Spruch „Heute ist der erste Tag vom Rest Deines Lebens“ (Far Side o.S.) und die Sekretärin wird vom Teufel angewiesen, lästige Vertreter „zum Himmel zu schicken“ (Observer 44). Dass Aerobic in der Hölle mit „5 Millionen Wechselschritten“ beginnt (Valley 5), die teuflische Videothek nur das Video „Ishtar“ ausleiht (Cows 28), die Verdammten lediglich Magazine über Fernreisen und Outdoor-Sport zu lesen bekommen (Cows 78) und alle Kaltfronten laut süffisant vorgetragenem Wetterbericht „seitlich vorbeiziehen“ (Cows 62), ist nur konsequent. Noch beunruhigender aber sind Privathöllen, die für einzelne Sünder „maßgeschneidert“ wurden. So muss der Tänzer Baryshnikow bis in alle Ewigkeit an einem ländlichen Square-Dance teilnehmen (Dummies 43), Charlie Parker „New Age Music’s Greatest Hits“ hören (Selections 45) und ein Dirigent eine Klasse dümmlich glotzender Banjospieler unterrichten (Bride o.S.). Auch dieses Schicksal teilen unsere Mitgeschöpfe, so hat <Larson/ der Teufel> für verdammte Hunde überaus passende Strafen gefunden: Sie arbeiten als Briefträger oder Straßenreiniger (Hound 21). Die Mythen vieler Kulturen charakterisieren die Orte ewiger Verdammnis durch extreme Temperaturen, wobei die buddhistische Eschatologie (deren Anhänger mit Hochgebirgen vertraut sind) außer der glutheißen Hölle auch eine eisige kennt. Abbildung 30 belegt jedoch, dass wir die Temperatur unserer Umwelt nicht ganzheitlich wahrnehmen, sondern jedem Objekt einzeln eine optimale Temperatur zuschreiben. Der letzte Blick dieses Artikels soll jedoch dem Himmel gelten. Ähnlich wie schon Xenophanes darauf hinwies, dass jede Art von Lebewesen sich Gott nach ihrem eigenen Bild schafft, liefert Larson überzeugende Beispiele dafür, dass auch der Himmel artspezifisch gestaltet sein muss. Selbst die Jenseitshoffnungen unserer niedrigsten Mitgeschöpfe werden getreulich erfüllt, so ergötzen sich verklärte Fliegen an einer Schüssel mit - hoffentlich verdorbenem! - Kartoffelsalat (Abbildung 31). Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 297 “I don’t know if this is such a wise thing to do, George.” Abb. 27: Verhängnisvoller Pioniergeist (Wildlife 19). “Oh, man! The coffee’s cold! They thought of everything! ” Abb. 30: Über die Temperaturunterschiede der Hölle (Curse 72). Abb. 29: Auf den Hund gekommen, und wieder herunter (It Came 67). Abb. 28: Vermasselte Genesis (Beyond o.S.). Dagmar Schmauks 298 Fly heaven Abb. 31: Ich fliege mit dir in den Himmel hinein (Valley 22). Cow philosophy Abb. 32: Für dich soll’s rote Rosen regnen … (Beyond o.S.). Der abschließende Ratschlag an alle Leser sei einem Rinder-Guru ins Flotzmaul gelegt. Kurz und griffig formuliert, gilt er mit artspezifischen Parametern für die Wesen aller Welten (Abbildung 32). Passen Sie gut auf sich auf! Literatur Primärliteratur Larson, Gary (1982): The Far Side. Kansas: Andrews and McMeel. - (1983): Beyond the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1984): In Search of the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1985): Bride of the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1985): Valley of the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1986): It Came from the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1984): Hound of the Far Side. Kansas: Andrews, McMeel und Parker. - (1987): The Far Side Observer. Kansas: Andrews and McMeel. - (1988): Night of the Crash-Test Dummies. Kansas: Andrews and McMeel. - (1989): Wildlife Preserves. Kansas: Andrews and McMeel. - (1990): Wiener Dog Art. Kansas: Andrews McMeel. - (1991): Unnatural Selections. Kansas: Andrews McMeel. - (1992): Cows of Our Planet. Kansas: Andrews McMeel. - (1993): The Chickens Are Restless. Kansas: Andrews and McMeel. - (1994): The Curse of Madame „C“. Kansas: Andrews and McMeel. - (1996): Last Chapter and Worse. Kansas: Andrews and McMeel. Semiotische Aspekte in den Cartoons von Gary Larson 299 Sekundärliteratur Bachtin, Michail (1969): Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München: Hanser. Eco, Umberto (1980): Il nome della rosa. Milano: Bompiani. Deutsch: Der Name der Rose. München: Hanser 1982. Freud, Sigmund (1905): Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. Wien: Deuticke. Gesammelte Werke Bd. 6. Frankfurt a.M.: Fischer 1948. Taschenbuchausgabe: Frankfurt a.M.: Fischer 1965. Freud, Sigmund (1930): Das Unbehagen in der Kultur. Leipzig u.a.: Internationaler Psychoanalytischer Verlag. In: Gesammelte Werke Bd. 14: 419-506. Frankfurt a.M.: Fischer 1948. Harms, Wolfgang (1970): Homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München: Fink. Hirsch, Eike Christian (2001): Der Witzableiter oder Schule des Lachens. Erweiterte und überarbeitete Neuauflage. München: Beck. Joyce, James (1987): Stephen der Held. Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Kubin, Alfred (1909): Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. München: Müller. Reprint München: Edition Spangenberg 1990. Lichtenberg, Georg Christoph (1994): Schriften und Briefe in vier Bänden. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins. Mann, Thomas (1971): Doktor Faustus. Frankfurt a.M.: Fischer. Rühmkorf, Peter (1969): Über das Volksvermögen. Exkurse in den literarischen Untergrund. Reinbek: Rowohlt. Schmauks, Dagmar (1998): „Schweigende Texte - sprechende Bilder“. In: Hans Czap, Heinz Peter Ohly und Simone Pribbenow (eds.): Herausforderungen an die Wissensorganisation: Visualisierung, multimediale Dokumente, Internetstrukturen. Würzburg: Ergon: 3-12. Schmauks, Dagmar (2001): Verwechslungen von Urbild und Abbild. Memo Nr. 43, FR Philosophie, SFB 378, Univ. Saarbrücken. Schmauks, Dagmar (2004): „Die Visualisierung von Interjektionen in Werbung und Comic“. Zeitschrift für Semiotik 24: 113-127. Vorhaus, John (1994): The Comic Toolbox. To Be Funny Even If You’re Not. Los Angeles: Silman-James Press. Deutsch: Handwerk Humor. Frankfurt a.M.: Zweitausendeins 2001. Anmerkungen * Von diesem Cartoon fehlt mir leider trotz heftigen Stöberns die Quelle - er wurde mir als Ausriss aus einer Zeitung geschickt. 1 Woraus folgt, dass er nur einen Monat und einen Tag nach der Autorin auf diesem Planeten abgesetzt wurde (vgl. die Anmerkung zu Abbildung 4). 2 Ja, dazu fühle ich mich berufen und geeignet, denn meine Herkunft aus einer linksrheinischen Familie von Büttenrednern, Elferratsmitgliedern und Heimatdichtern lieferte „nature“ und „nurture“.