Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2005
283-4
Angelika Corbineau-Hoffmann 2004: Einführung in die Komparatistik, 2. Aufl., Berlin: Erich Schmidt, 288 S., 19,95 €, ISBN 3-503-07909-2
121
2005
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod283-40429
Reviews 429 Am Beispiel der Perspektivfigur Cotta, der sich auf den Weg macht, den verschwundenen Dichter Naso und dessen Werk zu suchen, wird aufgezeigt, wie die Literatur einen Weg weist aus jenem Diskurs, der für die Gaskammern verantwortlich war. Die Erfahrungen von Szenen der Metamorphosen Nasos (bzw. Ovids) führen Cotta in eine Krise und schließlich zur Erkenntnis einer Wirklichkeit außerhalb des römischen Diskurses, zu einer höheren Form der Vernunft und zur Utopie einer Ordnung, in der die Gaskammern aus der Thies-Episode nicht mehr möglich sind. Der dritte Roman Morbus Kitahara greift das Thema aus der Thies-Episode erneut auf. Diesmal geht es um die Frage nach dem Umgang mit schuldhafter Vergangenheit. Der Verf. zeigt anhand mehrerer Figuren, wie aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer werden können, wie ein falscher Umgang mit Geschichte dazu führt, daß eine Gesellschaft gleichsam moralisch erblindet und ihre Verstrickung in einen verbrecherischen Krieg verkennt. In einer fiktiven Nachkriegszeit, die viele Elemente der realen Geschichte vor allem aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zur Voraussetzung hat, wird die Geschichte des Dorfes Moor und seiner Bewohner über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten nachgezeichnet. Ransmayr reflektiert darin eine von den Siegern oktroyierte Nachkriegsordnung, in der sich die Moorer Gesellschaft nach den Bedingungen des Stellamour-Plans (also des Morgenthau-Plans) entwickelt. Die von den Siegern ideologisch festgeschriebene Geschichtsinterpretation führt bei den Moorern zu Abwehr und Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Vergangenheit. Anhand des Lebensweges der Hauptfigur Berings, eines der “Gnade der späten Geburt” teilhaftigen Nachgeborenen, belegt der Verf., wie die unterlassene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte einerseits die Zukunft dieser Gesellschaft verunmöglicht, anderseits aber als tragische Schuld auf diese zurückfällt; denn die Geschichte wiederholt sich. Bering entwickelt sich zu einem mehrfachen Mörder, der sich schließlich gegen die eigenen Leute wendet und sich kaum mehr von den Verbrechern der Kriegszeit unterscheidet. Die von den Siegern institutionell verfügte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einerseits und die von den Moorern verweigerte Aufarbeitung der eigenen Geschichte andererseits formen aus Bering einen Mann, der geschichtsvergessen moralisch ‘erblindet’. Seine Wahrnehmung hat im schönen Doppelsinn des Wortes einen blinden Fleck. Morbus Kitahara - die titelstiftende Augenkrankheit, unter der Bering leidet - wird so zur Metapher für eine Wahrnehmungslücke, für einen Umgang mit der Vergangenheit, der die offene Perspektive ins Künftige versperrt. Literatur Marrafino, Michele C. 2002: Erfindung von Wirklichkeiten. Geschichte und Wirklichkeitskonstruktion. Zu Christoph Ransmayrs Romanwerken, Bern. Diss.phil., 194 S. [Mimeo] Spitz, Markus Oliver 2004: Erfundene Welten - Modelle der Wirklichkeit. Zum Werk von Christoph Ransmayr, Würzburg: Königshausen & Neumann, 198 S., ISBN 3-8260-2962-3 Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern) Angelika Corbineau-Hoffmann 2004: Einführung in die Komparatistik, 2. Aufl., Berlin: Erich Schmidt, 288 S., 19,95 €, ISBN 3-503-07909-2 Verglichen mit vielen andern historischphilologischen Fächern der Philosophischen Fakultät ist das Fach der Komparatistik ein eher junges. So lange gibt es die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft als akademisch etablierte Disziplin noch gar nicht, auch wenn Literaturwissenschaft noch nie nur nationalphilologisch betrieben werden mußte (und ‘fremde’ Literatur nicht nur zur Kenntnis genommen wurde, um sie für die ‘eigene’ zu instrumentalisieren, wie Corbineau-Hoffmann etwas voreilig unterstellt (S. 58). Den Philologien war sie anfangs meist als Teildisziplin oder als Abteilung zugeordnet, so etwa in Bonn, wo ich als 68er-Student der Germanistik neben der Neueren deutschen Literatur (u.a. bei Benno v. Wiese, Helmut Koopmann und Helmut Kreuzer) Allgemeine Literaturwissenschaft und Literaturtheorie (bei Beda Allemann) und eben - in der dazu neu 430 Reviews gegründeten Abteilung des Instituts - bei Horst Rüdiger und Erwin Koppen Vergleichende Literaturwissenschaft hörte. Wir Anfänger wurden in das Fach eingeführt mit dem, was damals als das Beste und Aktuellste galt, was dazu auf dem Markt zu haben war, nämlich mit Ulrich Weissteins Einführung in die Vergleichende Literaturwissenschaft, 1968 verlegt bei Kohlhammer in Stuttgart, der damals in diesem geisteswissenschaftlichen Segment noch engagiert war. Damals war ich von dem Werk fasziniert und hätte mir nicht träumen lassen, einmal ein Kollege des großen Gelehrten zu werden, der mich, im ‘joint appointment’ zu meinem Lehrstuhl am German Department, Anfang der 90er Jahre als Associate Professor of Comparative Literature an sein Institut holte. Durch diese frühen Eindrücke geprägt, nahm ich daher mit Interesse eine jetzt neu aufgelegte Einführung in das Fach zur Hand, neugierig, wie die Akzente sich im Laufe der Zeit (ich hatte mich seither längst andern Fragen zugewandt) verschoben haben mochten. Angelika Corbineau- Hoffmanns Einführung in die Komparatistik erschien im Berliner Erich Schmidt Verlag, ein philologischer Traditionsverlag, der mit handlichen Reihen propädeutischen Charakters bei Studierenden beliebt ist und damit verlegerisches Terrain zurückerobert hat. Schon im ersten Satz nimmt die Autorin den Titel fast wieder zurück, weil ‘Komparatistik’ als Lehre vom Vergleichen zwar die Methode, aber eben nicht den Gegenstand des Faches definiere. Deshalb überschreibt sie ihr erstes Kapitel, das den Namen und die von ihm bezeichnete Sache erörtert, denn auch trotzig mit “Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft” (so halten wir es zur Zeit auch noch in Bern mit einer solchen Abteilung im Rahmen der Germanistik), obwohl sich der kürzere Name als die handlichere Fachbezeichnung durchzusetzen beginne. Der Markt einschlägiger Einführungen ist heute reich bestückt; die ausführliche Bibliographie gibt davon mit vielen Hinweisen Zeugnis (und weist auch signifikante Lücken auf). Aber von vergleichbaren Büchern unterscheidet sich der Ansatz der Leipziger Komparatistin durch den Ausgang von Konzepten wie ‘Text’ und ‘Kontext’ (was für ‘reine’ Literaturwissenschaftler noch längst nicht immer selbstverständlich zu sein scheint), durch den wissenschaftshistorisch geschärften Blick auf die eigene Fachgeschichte, durch die Reflexion von Theorie und Methodik des Vergleichens und durch den durchgehenden Versuch, begriffliche und fachliche Diskussion mit der Anwendung auf eine bewußt begrenzte Textauswahl aus der Literatur des Fin-de-siècle (Hofmannsthal, Maeterlinck, Oscar Wilde) zu verbinden. Sie begründet diese Unterschiede in ihrem Vorwort zur ersten Auflage und kann ihr Buch auf diese Weise plausibel im Ensemble vergleichbarer Werke positionieren. Nach dem begriffssystematischen Einstieg nähert sie sich ihrem Gegenstand im ersten Kapitel durch verschiedene Perspektiven auf den Begriff der Weltliteratur (ohne dann für einen explizit Partei zu ergreifen), grenzt ihn behutsam ein auf ein eher kanonisches Verständnis von Literatur (was für Studienanfänger vielleicht auch sinnvoll ist), ohne dabei aber Berührungspunkte mit ästhetischen ‘Texten’ nichtliterarischen Charakters auszuschließen (‘Literatur und andere Künste’), und skizziert erste Entwürfe zu einer Theorie der ‘Textumgebung’ (was man auch mit Konzepten der Kontextualisierung und der Intertextualität verbinden könnte). Genauere ‘Konturen’ soll das Fach (oder ihr Ansatz? ) finden durch einen Blick auf die jüngere Fachgeschichte, bevor sie sich dem eigentlichen “Vergleich der Literaturen” zuwendet im Hinblick auf die Einfluß-, Wirkungs- und Rezeptionsforschung, auf die Inhalte (‘Thematologie’), auf die Gattungen und auf die Übersetzungen. Sympathisch ist dem Rezensenten, daß die Verf. potentiellen Interessenten am Studium nicht nur davon abrät, es zwecks Vermeidung der Linguistik zu wählen - “da bekanntlich Literatur aus Sprache besteht” (S. 10), woran auch manch gestandenen Literaturprofessor gelegentlich zu erinnern nicht überflüssig scheint - , sondern daß sie auch bei aller Offenheit für die Untersuchung der Beziehungen der Literatur zu andern Künsten für die gebotene Bescheidenheit plädiert, da der Literaturexperte nun mal nicht zugleich Experte in allen möglichen andern Fächern sein könne. Wenn indes das Interesse sich auf die Struktur dieser Beziehungen richtet, könnte das theoretische, begriffliche und methodische Rüstzeug der Reviews 431 Semiotik ihr die Aufgabe erleichtern (cf. Hess- Lüttich & Rellstab 2005), was aber weit jenseits des Horizonts ihrer Ambitionen zu liegen scheint. Das vierte und letzte Kapitel widmet sie der Literatur im kulturellen Kontext anhand von vier komplexeren Bezügen zur Imagologie, Intermedialität, Interdisziplinarität und Periodisierung. Von besonderem Interesse für den semiotisch versierten Leser wären gewiß die Ansätze zum Vergleich der Künste in der Komparatistik, den die Verf. am Beispiel einiger Darstellungen der Salome in Musik und bildender Kunst illustriert. Hier stößt die Komplexität des Themas freilich an die Grenzen der Textsorte Einführung. Zwar konzediert die Verf., daß die Künste sich als Zeichensysteme begreifen ließen (S. 213), zieht daraus aber keinen weiteren analytischen Nutzen. Dafür sind die berühmten Beardsley-Illustrationen zur Salome sehr hübsch beschrieben, was Anfängern ja nicht schaden kann. Heute ist die Literatur zu Comparative Arts allerdings so unübersehbar geworden, daß dem Studierenden mit einigen genaueren Suchanleitungen zur Ergänzungslektüre gedient wäre. Aus linguistischer und wissenschaftssoziologischer Sicht enttäuschen muß zwangsläufig der Abschnitt über das Verhältnis zwischen “Literatur und Wissenschaften”, fürwahr eine “komplexe Verbindung”, wie die Verf. in der Überschrift vorsichtshalber warnt. Die Bemerkungen zur Fachsprache (S. 230) und den Unterschied zwischen der Foucaultschen Diskurstheorie und der linguistisch-empirischen discourse analysis touchieren die Grenze zur Trivialität. Was hätte man hier nicht alles unter Aspekten der Fachsprache der Literaturwissenschaft einerseits und der literarischen Verwendung von Fachsprache andererseits diskutieren und mit entsprechenden Beispielen und Übungen illustrieren können. Wie reizvoll wäre ein genretypologischer Vergleich zwischen science fiction auf der einen Seite und science-in-fiction, also der Literarisierung wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse, auf der anderen Seite gewesen. Nun ja, eine Einführung kann nicht alle Wünsche erfüllen und auf diese Dimension der Literaturwissenschaft, insoweit sie als Wissenschaft betrieben wird, überhaupt hingewiesen zu haben, ist der Verf. gewiß zugute zu halten. Ein Vergleich mit der eingangs erwähnten Einführung Ulrich Weissteins wäre aus dem historischen Abstand von fast vier Dekaden unangemessen, jedenfalls hat schon die frühe mir mindestens soviel Lust auf das Studium gemacht wie diese jüngste. Aber auch die neue Einführung von Corbineau-Hoffmann macht Lust auf mehr, zum Glück hat der Student von heute mehr Auswahl als seinerzeit, und auch ihren Leipziger Schülern, denen sie den Band widmet, weil sie sich, wie im Vorwort zur zweiten Auflage scherzhaft schreibt, “jedes Semester neu [...] mit der (dieser) Einführung beschäftigen (müssen)” (S.8), wird sie sicher nicht verbieten, zusätzlich noch ein paar andere zur Hand zu nehmen, damit sie deren Mängel auch erkennen und dann sich vom “Plädoyer für das Lesen” (S. 17) überzeugen und zur eigenen Lektüre umso nachdrücklicher motivieren lassen. Literatur Corbineau-Hoffmann, Angelika 2004: Einführung in die Komparatistik, 2. Aufl., Berlin: Erich Schmidt Hess-Lüttich, Ernest W.B & Daniel Rellstab 2005: “Semiotik der Künste”, in: Karlheinz Barck et al. (eds.) 2005: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, vol. 7, Stuttgart / Weimar: Metzler, 247-282 Zima, Peter V. 1992: Komparatistik: Einführung in die vergleichende Literaturwissenschaft, Tübingen: Francke [utb] Ernest W.B. Hess-Lüttich (Universität Bern)