eJournals Kodikas/Code 29/1-3

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2006
291-3

Stile des Intermedialen. Zur Einführung

91
2006
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Karin Wenz
kod291-30003
Stile des Intermedialen Zur Einführung Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 1 Text, Stil und Intermedialität In der Sprach- und Literaturtheorie, aber auch in der Medien-, Kultur- und Zeichentheorie, hat die Reflexion des Textbegriffs eine lange Tradition und gewinnt heute aufgrund neuer technischer Entwicklungen in der Übermittlung von Informationen neue Aktualität (Hess- Lüttich 1997; Antos & Tietz eds. 1997; Fix et al. eds. 2002; Adamzik 2004). Freilich gehört er, ähnlich wie die Begriffe ‘Satz’ oder ‘Wort’ oder ‘Zeichen’ zu den offenen, d.h. “aspektheterogenen” Grundbegriffen der Sprach- und Literaturwissenschaft, die als heuristische kaum abschließend zu definieren, dafür aber je fachsystematisch zu axiomatisieren sind (Knobloch 1989: 113-126). Zudem konkurrieren sie mit dem alltagspraktischen Vorverständnis ihres Gebrauchs. Die historische Entwicklung des Textbegriffs soll hier nicht nachgezeichnet werden; es genügt, ihn als potentiellen master term zu verstehen: “ein gebietskonstitutiver Grundbegriff einer Kulturwissenschaft, die sich als allgemeine Kultursemiotik versteht. Sein Thema ist die (Un-)Wiederholbarkeit von Sinn” (Knobloch 2005: 26). Er ist das Objekt der sich zunehmend ausdifferenzierenden Text- und Medienwissenschaften (van Dijk 1980; Hess-Lüttich 2004). Innerhalb des damit gezogenen Rahmens kann es sich als sinnvoll erweisen, zwischen linguistischen, literarästhetischen bzw. literarhistorischen und semiotischen Textbegriffen (neben anderen) zu unterscheiden. Schon innerhalb der Linguistik ist die Bandbreite zwischen engen und weiten, alten und neuen Textbegriffen enorm. Zudem werden unter angelsächsischem und romanophonem Einfluß die Begriffe ‘Text’ und ‘Diskurs’ oft (wie bei van Dijk) synonym gebraucht oder ihre Abgrenzung voneinander vermag nicht zu überzeugen. Die Frage, ob damit eine sinnvolle Möglichkeit terminologischer Differenzierung nicht unnötig verschenkt wird, muß hier nicht entschieden werden (van Dijk 1977: 3). Jedenfalls wurden im Bezirk zwischen den damit markierten (linguistischen) Traditionslinien sprachliche Texte meist als materiale Substrate dialogischen Handelns in Form relationaler Strukturgefüge verbaler Elemente beschrieben und durch stil-rhetorische Kategorien wie Extension und Delimitation, Kotext und Kontext, Struktur und System definiert (cf. Plett 2000). Der linguistische Textbegriff wurde jedoch schon früh zeichentheoretisch elaboriert und längst auch auf andere als verbale Codes bezogen, Codes nahezu beliebiger semiotischer Struktur und Modalität. Das wiederum kam der schon in der Prager Schule geläufigen und in der Tartuer Schule systematisch ausgebauten Unterscheidung zwischen praktischen und poetischen Texten entgegen. Der poetische Text wurde dabei im Sinne der kultursemiotisch orientierten Studien von Jurij Lotman (1972; id. 1973) in der neueren Literaturtheorie als K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 29 (2006) No. 1 - 3 Gunter Narr Verlag Tübingen Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 4 “semiotisch gesättigtes” “System von Systemen” aufgefaßt, dessen Bedeutung einerseits aus der Spannung zwischen seinen Subsystemen, durch Serien von Ähnlichkeiten, Oppositionen, Wiederholungen, Parallelismen etc. erwachse, andererseits durch Relationen zu anderen Texten, Codes, ästhetischen Normen, literarischen Konventionen, sozialen Prämissen im ‘Dialog’ mit dem Leser entstehe (Bachtin 1981; id. 1986; Eagleton 1988: 79-109). Beide Komplexe werden heute im literaturtheoretischen Programm “semiotischer Diskursanalyse” anspruchsvoll integriert, indem die Frage nach der semiotisch spezifischen Struktur des literarischen Textes mit der nach der Hierarchie seiner kulturellen Einbettungskontexte und intertextuellen Verweisungsbezüge verbunden und Literarizität aus der Spannung zwischen immanenten (graphemischen, phonemischen, morphemischen, lexemischen, syntaktischen, suprasegmentalen) (Sub-)Systemen und externen (diskursiven, sozialen, funktionalen, kulturellen, institutionellen) Faktoren abgeleitet wird (cf. Link & Parr 1990). Dem trägt - noch jenseits literatur-, sprach- oder medientheoretischer Relevanznahmen - eine texttheoretische Modellierung Rechnung, die den Text als ‘konstruktive Gestalt’ bzw. als Zeichengefüge (oder Superzeichen) bestimmt (cf. Hess-Lüttich 1981: 324), nicht also mehr wie noch in der klassischen Textlinguistik als lineare Kette von Zeichen. Eine solchermaßen im Prinzip bereits ‘holistische’ Modellierung des Textes ist kategorial hinlänglich komplex für die Integration auch nicht-linearer, mehrfach-codierter, multi-medialer Texte in den Gegenstandbereich der Texttheorie. Sie kann die Zeichendimensionen des Textes auf der Ebene des Superzeichens analytisch entfalten und sie etwa (primär) als syntagmatischcolligatives Objekt der Textsyntaktik oder als referentiell-signifikatives Objekt der Textsemantik oder als dialogisch-funktionales Objekt der Textpragmatik thematisieren, solange bewußt bleibt, daß Textualität - als Manifestationsmodus (als ontisches Strukturmerkmal) kommunikativer Prozesse zwischen (hypothetisch) handelnden sozialen Subjekten - sich erst im Zusammenwirken der semiotischen Dimensionen verwirklicht als kommunikative Sachverhalte vermittelnde Semiose, die im Falle poetischer Texte noch überlagert wird durch in der Literaturtheorie genauer beschriebene “sekundär modellbildende Systeme” (Autofunktionalität, Aktualisierung, Desautomatisation, Konnotativität, Polyisotopien, Ikonizität etc.) sowie deren Vernetzung (cf. Lotman 1973; Link & Parr 1990; Nöth 1995: 327-384; id. 2000: 391ff.). “Das Phänomen der Vernetzung von Texten” ist nun beileibe “keine Entdeckung der zeitgenössischen Literaturtheorie; Rhetorik und Poetik thematisieren dieses schon lange” (Holthuis 1993: 2). In der Tat gehört “die Frage des Verhältnisses zwischen Texten seit jeher zum Kernbereich philologischer Diskussion” (Hess-Lüttich 1987: 9), da kein Text als creatio ex nihilo zu verstehen ist (cf. Stierle 1984). Was aber ist ein ‘Intertext’? Ein Text “zwischen” anderen Texten, wie das Wort suggeriert? Und was unterscheidet ihn dann von diesen? Gibt es (autonome) Texte ohne jede Intertextualität? Oder gar Intertexte, die keine Texte sind? Solche und ähnliche Fragen sind intensiv erörtert worden (cf. Ette 1985; Plett ed. 1991), ohne daß ein allgemein akzeptierter terminologischer oder konzeptueller Konsens sich bislang hätte durchsetzen können. Hier geht es, noch diesseits der Verzweigungen, die die Diskussion in Text-, Literatur- und Stiltheorie mittlerweile erfahren hat, um die mit diesem Begriff handlich begreifbare Formenvielfalt der Bezüge zwischen (ästhetischen oder nicht-ästhetischen) Texten, also nicht nur die syntaktischen Verweise von Texten auf Prätexte (wie Zitate, Anspielungen, Parodien), nicht nur die strukturellen Homologien, die Texte einer Gattung oder Textsorte zuweisen, nicht nur semantische Relationen, die Gegenstand der Topos-, Motiv-, Stoff- und Zur Einführung 5 Quellenforschung sind, sondern im zeichentheoretisch reflektierten Sinne János Petöfis um die Summe der Relationen zwischen “dominant verbalen semiotischen relationalen Objekten […]” (Holthuis 1993: 249). Dieser semiotisch präzisierte Begriff von Intertextualität “merely indicates that one text refers to or is present in another one” (Mai 1991: 51) und grenzt sich mithin von dessen Globalverständnis in poetologisch-poststrukturalistischen Ansätzen (in der Nachfolge von Julia Kristeva) ebenso ab wie von den linguistisch-reduktionistischen Konzepten, die Intertextualität als dem Text inhärente Eigenschaft zu bestimmen suchen, die durch explizite Merkmale intersubjektiv nachweisbare Verweisrelationen konstituiert: “Any merely interliterary, inter-linguistic taxonomic attempt will serve mainly archival purposes and even these in a slightly antiquated fashion” (Mai 1991: 52). Die Instanz zur Herstellung dieser Bezüge ist vielmehr der Leser, für den es allerdings nicht völlig belanglos ist zu wissen, ob ein Autor einen Prätext gekannt hat oder nicht, ob er über das gleiche Textrepertoire verfügt oder nicht, ob er den Verweis-Instruktionen des Textes zu folgen weiß oder nicht. Die traditionellen Skalierungen von Intertextualität nach Maßgabe von Kriterien der Referentialität, Kommunikativität, Autoreflexivität, Strukturalität, Selektivität, Dialogizität (cf. Pfister 1985; Plett ed. 1991; de Beaugrande & Dressler 1981) und Typologisierungen ihrer Transfer-Formen im Hinblick auf Sprache (z.B. Übersetzungen), Sprachstufe (z.B. mittelhochdeutsche Epen in modernen Fassungen), Sprachvarietät oder Sprachregister (z.B. Dialektfassungen klassischer Balladen, populärwissenschaftliche Sekundär-Information), auf Gattung oder Textsorte (Parodien, Gegendarstellungen, Rezensionen), auf Medien nicht zuletzt, finden heute z.B. im Hypertext-Konzept ihre logische Fortsetzung, Anwendung und Ausweitung. Denn die Herstellung intertextueller Bezüge ist das zentrale Kennzeichen von Hypertext, mittels dessen etwa ein Primärtext als digital gespeicherte Textbasis ergänzt wird durch weitere ‘Fenster’ mit Textvarianten, Worterklärungen, Kommentaren, Literatur- und Quellenverweisen, Bild- oder Tonmaterial, Inszenierungsbeispielen, Filmversionen. Mai erachtet deshalb Hypertext-Systeme als prädestiniert für intertextuell-intermediale Stil- Analysen, denn sie repräsentierten “a viable technical solution for those intertextualists interested in pointing out interconnections in large archives of diverse kinds of text (verbal, visual, aural) as it allows the construction of comprehensive informational networks” (Mai 1991: 50). Damit rückt jedoch ein Typus von Intertextualität ins Zentrum des Interesses, der die (linguistische und literarische) Texttheorie vor neue Herausforderungen stellt: eben die Intermedialität. Da moderne Kommunikationsverhältnisse sich zunehmend “durch mediale Verbundsysteme, intermediale Fusionen und Transformationen” auszeichnen (Müller 1992: 18), war die Forderung nach einer Theorie der Intermedialität die logische Folge. Ihre Aufgabe ist die Konstruktion des intermedialen Regelsystems, das den Übergang von Texten eines Mediums in Texte eines anderen mit ihren jeweils medienspezifischen Coderelationen zu beschreiben erlaubt. Die Forderung einer systematischen Medienkomparatistik ist zwar schon älter (cf. Faulstich 1982: 46-58; cf. id. 2006), aber eine Fülle von Fallstudien und ersten Überblicksarbeiten belegt inzwischen eindrucksvoll ihre Berechtigung auch in den Textwissenschaften (Hess-Lüttich ed. 1987; id. & Posner eds. 1990; Paech ed. 1994; Müller 1996; Helbig ed. 1998; Rajewski 2002; Paech & Schröter eds. [in Vorb.]). Der Begriff der ‘Intermedialität’ leitet sich, grob gesagt, aus im wesentlichen zwei unterschiedlichen Traditionen angelsächsischen und französischen Ursprungs her und wirkt von dort zurück auf die deutschsprachige Kunst- und Literaturtheorie, in der die Bedingungen und Auswirkungen der wechselseitigen Erhellung der Künste auch in ihrem medien- Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 6 theoretischen Implikationen ja schon länger, spätestens seit dem 18. Jahrhundert im Grunde, breit diskutiert werden (zu Lessings Laokoon s. z.B. Schneider 1981; Hess-Lüttich 1984a). Zum einen wird er seit Dick Higgins (der ihn seinerseits in den 60er Jahren einem Essay von Samuel Taylor Coleridge über Edmund Spenser entnahm) als ästhetischer Begriff (intermedia) diskutiert, der in Verallgemeinerung der traditionellen Debatte der im Zeitalter von Medienverbundsystemen immer offenkundigeren Tatsache Rechnung tragen soll, daß Medien nicht isoliert betrachtet werden dürfen, weil sie stets in komplexen medialen Konfigurationen stehen und dadurch stets auf andere Medien bezogen sind (cf. Paech 1998: 25). Die andere Tradition rekurriert auf Julia Kristevas Definition von Intertextualität (s.o.) als “Transposition von Zeichensystemen”, indem sie diese in einen medientheoretischen Kontext stellt. Dabei wird nicht nur der semiotische Spielraum ausgeweitet, den der Begriff “Zeichensystem” läßt, sondern auch “mediale Transformationen und Fusionen” erörtert (Müller, s.o.). ‘Intermedialität’ wird hier entweder als Kontakt zwischen verschiedenen Medien, als Zusammenspiel verschiedener Medien oder als Wechselwirkung zwischen Medien definiert (wobei z.B. auch filmische Adaptionen literarischer Vorbilder unter diesen Begriff fallen). Als problematisch hat sich dabei immer wieder sowohl die Bestimmung des Begriffs des Mediums erwiesen als auch des Begriffs der medialen Transformationen zwischen den Medien (s. Hess-Lüttich 1987). Avanciertere Intermedialitätskonzepte fassen die mediale Transformation als hybride Fusion, wobei in der Fusion die “grundlegende Differenzstruktur” der verschmolzenen Medien beobachtbar bleiben soll. Gegenstand einer intermedialen Fragestellung, die von solchen Prämissen ausgeht, wäre demnach die Untersuchung der “Form einer Differenz in einem (spezifischen) Formwandel” (cf. Paech 1998), aber auch die Analyse der “Kopplung und Vermischung differenter Formen” (cf. Spielmann 1998). Dabei sollten nach einem Vorschlag von Angela Krewani (2001) ‘Intermedialität’ und ‘Hybridisierung’ (trotz vielfältiger Überschneidungen) genauer voneinander unterschieden werden, etwa indem Hybridisierung als übergeordnetes Konzept formuliert wird, in dem sowohl Intertextualität als auch Intermedialität aufgehen. Intermedialität impliziert die Überschreitung von Mediengrenzen, wobei sich in den Formen des konzeptionellen Miteinanders die medialen Verschiedenheiten der gekoppelten Zeichensysteme und damit auch bestimmte “Stile des Intermedialen” zeigen. Die alte Frage nach dem stiltheoretisch und texttheoretisch relevanten Verhältnis von limitativen Regeln der Textkonstitution, die deren Medium betreffen, und figurativen Regeln, die ihren Stil betreffen (Hess-Lüttich 1980), gewinnt vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung im Bereich multimedialer Kommunikation noch einmal in neuer Weise an Zugkraft (cf. Hess-Lüttich ed. 1982; id. 2004). Wie kann die Repräsentation von Wissen in multimedial zusammengesetzten Texten kulturtypisch optimiert werden? Welchen Veränderungen unterliegt die Information beim Transfer von einem Medium ins andere? Welche Wirkungen hat die Transformation seriell-deduktiver Wissensverarbeitung in linear strukturierten Texten zu assoziativ-konzeptueller Wissensverarbeitung in mehrfach-codierten Textensembles auf deren Rezeption in Hybridsystemen, etwa Hypertext-Programmen autonomen Lernens? Welche Folgen hat der Übergang von der linearen Textstruktur zur ‘holistischen’ für die Unterscheidung zwischen ‘Autor’ und ‘Leser’ im Falle von potentiell beliebig expandierbaren, modifizierbaren, manipulierbaren Hyperdokumenten? Den nicht-linearen Aktivitäten des Lesers bei der Rezeption von Texten (das gilt natürlich erst recht für nicht-verbale Texte wie numerische Tabellen, graphische Abbildungen, Photos, Bilder, Skulpturen, Fresken, Comic-Serien, Computerspiele usw.) wird der semiotische Zur Einführung 7 Textbegriff demnach eher gerecht als der linguistische. Wer den Text von vornherein als ‘konstruktive Gestalt’, als Gefüge, Gewebe, Geflecht, eben als Netzwerk auffaßt, statt nur als Kette, Linie, Sequenz, Syntax von Zeichen, für den verliert der Übergang vom ‘analogen’ zum ‘digitalen’ Text, vom Text zum Hyper-Text, die jetzt allenthalben diagnostizierte Qualität des ‘Quantensprungs’, von dem in den Geisteswissenschaften ja manche immer noch vermuten, er sei sicher recht groß. Die Brücke von der Geisteswissenschaft zur Technologie der Automaten schlug schon Theodor Holm Nelson, als er (unabhängig von Genette und mit ganz anderen Intentionen als dieser) in den 60er Jahren den Begriff Hypertext prägt und in seinem Hauptwerk mit dem programmatischen Titel Literary Machines (Nelson 1987) von der Prämisse seinen Ausgang nimmt, “that hypertext is fundamentally traditional and in the mainstream of literature” (Nelson 1987: 1/ 17). Literatur ist dabei für ihn der sich in historischer Tradition entfaltende Umgang mit Texten fiktionaler oder nicht-fiktionaler Art. Was diese Texte jedoch von Hypertext unterscheide, sei ihre Struktur der linearen Sequenz, der inhaltlichen Organisation des Darstellungsverlaufs und der semiotischen Modalität der Präsentation. Hypertext erweitere die Freiheit des Lesers im Umgang mit dem Text entscheidend, er werde vom passiv rezipierenden Leser zum aktiv in den Textprozess eingreifenden Co-Autor, der den Text in seinen Teilen ergänzt, verkürzt, verändert, manipuliert, destruiert nach seinem Gusto und Interesse. Hypertext werde so nachgerade zum methodischen Instrument der Dekonstruktion schlechthin (cf. Landow 1992: 5). Dies wirft nun in der Tat einige Fragen auf, die die traditionelle Texttheorie im Kern berühren und ihre Neukonzeptualisierung erforderlich machen, auch und gerade im Hinblick auf die sich daraus ergebenden stiltheoretischen Konsequenzen. Welches ist die Einheit des Textes, wenn seine Gestalt so frei manipulierbar ist? Welches sind seine Segmente, wenn der Wechsel zwischen den Codes Änderungen oder Verluste der Informationsstruktur bedingt? Was sind die ‘nuklearen’, nicht weiter reduzierbaren oder transformierbaren Einheiten? Welches sind die Grenzen des Textes, die ihn von anderen Texten, Kontexten, Ko-Texten trennen? Wie verändert sich Textualität beim Übergang vom analogen zum digitalen Medium? Welche Bedeutung transportiert ein Text, der sich im Prozeß jeweiliger Lektüren erst konstituiert? Wie steuern die audio-visuellen Codes diesen Prozeß? Welche Anwendungsperspektiven eröffnen die beliebige extensionale Expandierbarkeit und plurimediale Transformierbarkeit des Konzeptes für die Angewandte Textwissenschaft? Solche und ähnliche Fragen im Interferenzfeld von Text-, Stil- und Medienwissenschaften zu erörtern, bot der internationale Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) 2005 in Frankfurt/ Oder eine passende Gelegenheit, denn der war dem Generalthema “Stil als Zeichen. Funktionen - Brüche - Inszenierungen” gewidmet. Im Rahmen der (von den Herausgebern dieses Bandes geleiteten) DGS-Sektion Medienwissenschaft sollte es unter dem Titel “Stile des Intermedialen” um die Beschreibung der Interferenzen von konzeptionellen und medialen Konfigurationen gehen, und zwar sowohl hinsichtlich der Umarbeitung medienspezifischer Stile als auch hinsichtlich der dabei eingesetzten Transformationstechniken. Der perspektivische Fluchtpunkt intermedialer Analysen war dabei die Frage, wie konzeptionelle Konfigurationen durch die medialen Differenzen der gekoppelten Zeichenverbundsysteme determiniert werden. Eine Auswahl aus den bei dieser Gelegenheit vorgetragenen und diskutierten Beiträgen versammelt nun dieses K ODIKAS -Themenheft. Einige Texte wurden zusätzlich eingeworben (wie der von Angela Krewani oder Stefan Meier-Schuegraf), einige Texte (wie der von Karin Wenz) wurden zwar nicht als Vortrag gehalten (um den Zeitrahmen der Sektion nicht zu Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 8 sprengen), aber dafür hier nun (in z.T. auch stark erweiterter Form wie im Falle des Beitrags von Hess-Lüttich) abgedruckt. 2 Intermedialität, Komposition, Authentifizierung, Übergänge Der Band gliedert sich in fünf Kapitel: das erste soll am Beispiel von Sprache, Literatur, Musik und Neuen Medien in theoretische Aspekte der Intermedialität einführen; das zweite gibt dem Band seinen programmatischen Titel; das dritte untersucht anhand einiger Fallstudien das Verhältnis von Komposition und Stil; das vierte beobachtet die Strategien der Authentifizierung; das fünfte und letzte versammelt Untersuchungen hybrider Texte unter dem Titel “Übergänge”. 2.1 Theorie der Intermedialität E RNEST W.B. H ESS -L ÜTTICH (Bern) untersucht in seinem breit angelegten Einführungsessay die Vielfalt intermedialer Relationen am Beispiel des Verhältnisses von Sprache und Musik einerseits, von Literatur und Musik andererseits. Dazu etabliert er den Gegenstand seiner im Kern musik- und zeichentheoretischen Fragestellung in sowohl disziplinsystematischem sowie methodologischem Zugriff zunächst im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einerseits, zwischen Theorie und Empirie andererseits. Er wirft dann einen genaueren Blick auf die Tradition der kunst- und zeichentheoretischen Diskussion synästhetischer Transgressionen in Mischformen künstlerischen Ausdrucks. Damit ist die Frage nach der Struktur möglicher Typen von Relationen ästhetischer Codes aufgeworfen, die im Hinblick auf die Komplementarität von Sprache, Bild, Musik in verschiedenen Genres verfolgt wird. Im zentralen Abschnitt über die Kunst-Grenzen und Grenzen der Kunst werden die Zeichenfunktionen solcher poly-codierten Texte anhand zeichentheoretischer Kategorien der Semiotik von Charles Sanders Peirce genauer beschrieben und an drei Musik-Beispielen (von Wagner, Mozart, Chopin) exemplarisch illustriert. Der Veranschaulichung des theoretisch etwas kondensierten Konzeptes dient dann auch die Fallstudie zu Benjamin Brittens Oper Death in Venice auf der Textgrundlage von Thomas Manns Novelle Tod in Venedig (mit einem nur knappen Seitenblick auf Luchino Viscontis Film Morte a Venezia, der im Vergleich mit John Neumeiers neuer Choreographie Totentanz in dieser Zeitschrift bereits Gegenstand der Beschreibung war). Der Schlußabschnitt schlägt den Bogen zurück zu den Ausgangsfragen und plädiert für die nüchtern-rationale Analyse gerade auch des ihr bei Prozessen ästhetischer Anschauung und Empfindung vordergründig scheinbar Entzogenen. Die weiteren Beiträge werden im Folgenden auf der Grundlage der kurzen Resümees der Autoren bzw. der Zusammenfassung der Beiträge durch Karin Wenz vorgestellt. Der zweite Beitrag zur Theorie der Intermedialität von F RANC W AGNER (Bern/ Zürich) wendet sich speziell den Neuen Medien zu. Hilfreich ist die Auseinandersetzung mit dem Medienbegriff und der Hinweis von Wagner, daß in Abhängigkeit von der Wahl des Medienbegriffes das Konzept der Intermedialität je anders zu verorten sei. Eine Untersuchung zwischen intermedialen Bezügen zwischen Schrift und Bild geht von anderen Voraussetzungen aus als eine Untersuchung der Bezüge zwischen Fernsehsendung und Zeitschriftenartikel, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Begriffe des Mediums, der ‘Neuen Medien’ Zur Einführung 9 und der Intermedialität werden dabei im Kontext der Intertextualitätsdebatte verortet. Mit dem Ziel, die medialen Übergänge deutlich herauszuarbeiten, wählt Wagner einerseits Printmedien und andererseits das Internet als Untersuchungsgegenstand. Dabei leiten ihn zwei zentrale Fragen: zum einen die, ob die intermedialen Übergänge zwischen den Medien die Inhalte verändern, und zum anderen die, ob die neuen Medien die alten als (vor allem für die jüngere Generation) wesentliche Informationsträger ablösen. 2.2 Stile des Intermedialen S TEFAN M EIER -S CHUEGRAF (Chemnitz) untersucht Typographie als intermediales Phänomen. Dabei wird die Wahl eines typographischen Stils im Kontext von sozialen Gruppen wie Jugendkulturen, Druckerwesen, aber auch Webdesign untersucht. Dadurch wird Typographie abstrakt als sozialer Stil eingeordnet. Zum theoretischen Ausgangspunkt wird Rajewskis differenziertes Intermedialitätskonzept genommen. Interessant ist die Verweisfunktion eines typographischen Stils, die allerdings im Kontext der jeweiligen sozialen (Sub-)Kultur gelesen werden muß. So hat die Wahl der Fraktur Schrifttype in einer traditionsbewußten Tageszeitung verglichen mit der Wahl von Fraktur in der Gothik-Jugendkultur sicherlich eine andere Bedeutung, und die jeweils eigenen Codesysteme, die der Wahl dieser Typographie zugrunde liegen, sind wesentlich für die Interpretation der Funktion im jeweiligen kommunikativen Kontext. Speziell zu journalistischen Textsorten untersucht K ARL R ENNER (Mainz) das Problem des Stils beim Medientransfer. Aus der Perspektive der praktischen Journalistenausbildung führt Renner in die Schreibregeln des Journalismus ein. Interessant sind die Unterschiede für Printmedien und Fernsehen, da das Bildmedium Fernsehen offensichtlich anderen Regeln folgt als das Textmedium Tageszeitung. Natürlich werden auch Bilder in Tageszeitungen und Text (als geschriebener oder gesprochener Text) im Fernsehen verwendet, aber der jeweilige Schwerpunkt ist wesentlich für die Unterscheidung stilistischer Natur. Zusätzlich sind die verwendeten Textsorten zu berücksichtigen, denn eine Reportage folgt anderen Kriterien als Nachrichten. Stil erweist sich nicht nur als medienspezifisch, sondern hier vor allem als textsortenspezifisch und damit als intermedial. U LF H ARENDARSKI s (Oldenburg) theorieorientierter Beitrag zum Thema “Behaupten - ein universaler Stil in, außerhalb oder zwischen Medien? ” geht von Searles Sprechakttheorie aus und untersucht die Übertragbarkeit von sprachtheoretischen und sprachanalytischen Kategorien auf komplexe Mediensituationen. Am Beispiel der ‘Behauptung’ zeigt Harendarski, daß diese nicht allein als Eigenschaft des zu untersuchenden Objektes verstanden werden kann, sondern ebenso im Zwang für den Rezipienten gesehen werden muß, eine Folgerung abzuleiten. Aus dieser Perspektive ist ‘Behaupten’ nicht allein ein Sprechakt, der sich am Beispiel von sprachlichen Texten nachweisen läßt, sondern kann ebenso als Eigenschaft von anderen Medien wie z.B. Bildern nachgewiesen werden. Mediale Zeichenäußerungen haben demnach das Potential zu behaupten, eine Kategorie aus der Sprechakttheorie, die sich daher als intermedial beschreiben läßt. 2.3 Komposition und Stil Unter dem Titel “Intermedialität im Balladenschaffen” erörtert U LRICH B INGGELI (Bern/ Freiburg i. Brsg.) zunächst die Problematik des Balladenbegriffs, der nicht nur ein Genre beschreibt, sondern zugleich Label für einen bestimmten Stil und ein Lebensgefühl steht. Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 10 Damit wurde der Begriff beliebig zur Beschreibung einer Anzahl unterschiedlichster kultureller Phänomene benutzt. Der ursprünglich für diesen Beitrag gewählte Titel “Balladesk kontaminiert” verwies auf diese Problematik. Die Wirkung einer Ballade liegt nach Binggeli daher nicht in ihrem Inhalt begründet, sondern in seiner medialen Aufbereitung - der Marshall McLuhans These folgend, daß das Medium die Botschaft sei. Im Falle der Ballade ist dies besonders interessant, da sie traditionell als Verbindung von Musik und Text immer schon eine Verbindung von Medien darstellt. Somit fehlt ihr die Exklusivität, einem Medium zugeordnet werden zu können, was sie durch mediale Flexibilität ausgleiche. Mit ihrem Beitrag unter dem Titel “Intermedialität, Stil und Mental Spaces: Das Visuelle als Dimension musikalischen Komponierens in Georg Nussbaumers Installationsoper orpheusarchipel” will E LLEN F RICKE (Berlin) zeigen, wie Auditives und Visuelles in den Kompositionen Georg Nussbaumers intermedial miteinander verbunden sind und daher stilbildend wirken. Intermedialität und Synästhesie sind zentrale Konzepte in orpheusarchipel, einer Oper, die nicht traditionell auf einer Bühne aufgeführt wird, sondern in einem Gebäude auf drei verschiedenen Etagen und die damit die Grenze zwischen Oper, Perfomance und Installation überschreitet. Fricke verwendet Fauconniers ‘Mental Space Theory’, deren Konzepte sich als hilfreich bei der Interpretation erweisen. Auch wenn Fauconniers Theorie für die Analyse sprachlicher Daten entwickelt wurde, kann Fricke zeigen, daß sie “sich als Beschreibungsapparat für intermediale Zeichenstrukturen eignet, da sie keinen zeichenmateriespezifischen Restriktionen unterliegt.” Dieser Beitrag ist nicht nur eine Einführung in das musikalische Werk Nussbaumers, sondern nebenbei eine hervorragende Diskussion der Theorie Fauconniers. Der letzte Beitrag in diesem Kapitel stammt von S IMONE M ALAGUTI und R ENIRA G AM - BARATO (S-o Paolo, Brasilien). Unter dem Titel “Objects of desire - methodology for film analysis and the sense of peircean and intermedial studies” untersucht er konkrete Designgegenstände des Alltagslebens wie z.B. Lehnstuhl, Fernsehen, Koffer u.a. auf ihre Funktion in Wim Wenders Filmen. Design wird hier im engen Sinn als Gestaltung von Gebrauchsgegenständen verstanden. Wesentlich ist in diesem Beitrag die Funktion der Gegenstände, die sowohl diegetisch, ästhetisch, aber auch ethisch interpretiert werden kann. Als theoretische Basis für die Analyse dient die Semiotik von Peirce, dessen Kategorien hier Anwendung finden. 2.4 Authentifizierungen J ÖRG T ÜRSCHMANN (Mannheim) lenkt die Aufmerksamkeit der Leser mit dem Titel “Telekonzerte” auf Beispiele, die einen Künstler mit den Ausdrucksmitteln einer anderen Kunst in der Ausübung seiner Kunst zeigen. Speziell die Repräsentation des konzertierenden Musikers im Tonfilm ist hier im Zentrum des Interesses. Film wird im Falle der Dokumentation der Vorbereitung zu einer Tonaufnahme (wie im Falle von Godards “Notre Musique”) zum Inter- Medium. Das Produkt - die Tonaufnahme - ist für den Zuschauer nicht erfahrbar, sondern nur der Prozeß ihres Entstehens. Die Verfilmung eines Konzertes und der Vorbereitung auf dieses führt zu folgenden Problemen: zum einen der Narration, die im Film durch Bilder gewährleistet wird (während dem Soundtrack eine untergeordnete Funktion zukommt), die im Falle der ‘Telekonzerte’ jedoch maßgeblich durch die Musik gesteuert wird. Zum anderen ist die Authentizität der Musiker ein Problem, da ihr Engagement beim Spielen nicht direkt, sondern vermittelt durch das Medium Film erfahrbar ist. Als letzte Variante nennt Türschmann die Ersetzung des Filmbildes durch eine optisch erfahrbare Umwelt. Gemeint ist hier Zur Einführung 11 die Erfahrung von Musik, ohne den Musiker zu sehen, wie es bei der Betonung von Tanz in der visuellen Repräsentation der Fall ist. N ICOLE L ABITZKE (Mainz) untersucht “Strategien der Authentifizierung im kommerziellen Fernsehprogramm”. Als typischen ‘Videostil’ stellt sie Methoden im deutschen Fernsehjournalismus vor, die darauf abzielen, dem Zuschauer den Eindruck von größtmöglicher Authentizität zu vermitteln. Hierbei werden die Kategorien Raum, Zeit und Ästhetik untersucht. Raum - als Raum außerhalb des Fernsehstudios - wird typisiert, um ihn so dem alltäglichen Lebensraum des Zuschauers anzugleichen (Stereotyp eines Wohnzimmers). Zeit bezieht sich typischerweise auf die Vergangenheit: die Erzählung im Videodokument ist eine Rückblende, wodurch das Publikum Hintergrundinformationen erhält und dadurch einbezogen wird. Die ästhetische Dimension ist in der Kameraeinstellung begründet, die in den Videosequenzen je nach Genre unterschiedlich eingesetzt wird. Unabhängig vom Genre gilt jedoch, daß durch den Einsatz von Videosequenzen die Raum- und Zeitdimension erweitert wird und das Fernsehstudio (das Hier und Jetzt der Sendung) verläßt. Authentizität, die das Ziel dieser Präsentation ist, behauptet eine Realität, die in den meisten Fällen rein fiktional ist. Der letzte Beitrag dieses Kapitels stammt von F LORIAN K RAUTKRÄMER (Braunschweig). Mit dem Titel “Schrift als Schrift im Film” verweist Krautkrämer auf die verschiedenen Funktionen von Schrift im Film und auf die Kritik an der Verwendung von Schrift außerhalb von Vorspann, Abspann - den sogenannten Credits - und Untertiteln. Der Einsatz von Schrift als auktoriales Mittel durchbreche die Unmittelbarkeit und Transparenz, die der Bildsprache zugesprochen wird. Als diegetisches Mittel hingegen in Form von Zwischentiteln oder (historischer) Hintergrundinformation ist Schrifteinsatz im Film akzeptiert. Ob Schrift im Film als störend empfunden wird, hängt allerdings auch von der bildlichen Unterlage und der ästhetischen Gestaltung der Schrift ab. Sie kann so kunstvoll in das Bild integriert sein, dass sie als im Bild befindlich wahrgenommen wird. Nach der Analyse verschiedener Beispiele auch aus der Videokunst kommt Krautkrämer zu dem Ergebnis, dass es sich bei Verwendung von Schrift im Film nicht um ein Nebeneinander der Zeichensysteme handelt, sondern zu Brechungen zwischen schriftlichem und bildlichem Zeichensystem kommt. Paradoxerweise wird Schrift einerseits als störend im bildlichen System empfunden, zugleich aber zum filmischen Mittel in diesem umdefiniert. 2.5 Übergänge Das abschließende Kapitel leitet T INA H EDWIG K AISER (Berlin) mit ihrem Beitrag zu “Topographie und Bewegung - räumliche Wahrnehmung im filmischen Bild” ein. Am Beispiel von Transitraumbildern im Film werden wahrnehmungs- und bewegungsphilosophische Ansätze diskutiert (Benjamin, Deleuze, Agamben). Figuration von Geschwindigkeit, Projektion und Planperspektive werden bildwissenschaftlich untersucht. Die zentrale Frage dieses Beitrages lautet: “Was macht das filmische Bild mit realen und fiktiven Räumen, wie wirken sie auf uns zurück? ” Transiträume - wie zum Bespiel Raum aus einem fahrenden Zug betrachtet - fächern diesen in viele gleichzeitige Perspektiven auf, die Kaiser als ‘verzeitigt’ beschreibt. Die Beschleunigung führt zu einem Nichtsehen und der Bildraum muß rekonstruiert werden. Deleuze beschreibt dies als ‘Nullheit des Wahrnehmungsbildes’, in dem sich alle perspektivischen Ursprünge herauskristallisieren. Als intermedial beschreibt Kaiser, daß dadurch die Grenze zwischen Schnitt und Bild in das Bild selbst integriert wird. Ernest W.B. Hess-Lüttich und Karin Wenz 12 A NGELA K REWANI (Marburg) widmet sich in ihrem Beitrag der “Zeichenproduktion digitaler Filmbilder”. Ausgangspunkt für Krewani ist Kristevas dynamisches Zeichenverständnis. Danach wird das digitale Filmzeichen als Dynamik zwischen symbolischer Struktur und präödipaler Materialität verstanden. Krewani sieht im digitalen Filmzeichen eine Verminderung der Materialität, die in der visuellen Repräsentation in der Auflösung von Figuren und Körpern beobachtet werden kann. Da Digitaltechnologien zunehmend auch in traditionell filmischen Verfahren eingesetzt werden, findet ein intermediales Austauschverhältnis statt. Als bedeutsamen intermedialen Prozeß versteht Krewani aber nicht nur denjenigen zwischen digitalem Bild und Film, sondern vielmehr denjenigen zwischen symbolischer Struktur und präödipaler Materialität. Digitale Bilder verweigern eindeutige Identitäten und narrative Kontinuität und scheinen dadurch im Kontext des Experimentalfilms zu stehen, dessen dekonstruktive Verfahrensweise wir heute mehr und mehr in den digital erstellten Blockbustern wiederfinden. Krewani plädiert daher für eine Überprüfung filmischer Ästhetiken, “da wir plötzlich nicht nur Technologien, sondern auch ein Zeichenreservoir zur Verfügung [haben], das Abbildfunktion und Authentizität dementiert und zur Experimentalität drängt.” B RITTA N EITZEL (Siegen) geht in ihrem Beitrag den intermedialen Beziehungen zwischen Film und Computerspiel nach. Mit dem Titel “Transformation von Handlung in Zeichen” wird der filmischen Umsetzung wiederholter Spielhandlungen nachgegangen. Wie bereits Krewani auf die Digitalisierung filmischer Bilder verwies, zeigt auch Neitzel, daß die Produktionsprozesse für Film und Computerspiel sich stark angenähert haben. Das liegt nicht nur in der Digitalisierung von Filmbildern begründet, sondern auch in der zunehmend photorealistischen Darstellung der Spielwelten. Interessant ist der Einfluß der Computerspiele in Filmen hinsichtlich Perspektive, visuellem Stil, Narration und rekursiven Mustern. Als typische Perspektive für Computerspiele kann die Ego-Perspektive genannt werden, die zunehmend als filmisches Mittel verwendet wird. Der visuelle Stil besonders im Bereich der Genre Science-Fiction und Horror ist in beiden Medien vergleichbar. Während allerdings Computerspiele die Darstellung aus Science-Fiction Filmen übernehmen, ist die Entwicklung für das Horror-Genre genau umgekehrt. Narration hat eher eine transmediale denn intermediale Funktion, da Computerspiele filmische Elemente durch kurze Videosequenzen (die sogenannten Cut-Scenes) verwenden. Dies sind Szenen, in denen keine Interaktion des Spielers möglich ist. Wiederholungen, die typisch im Computerspiel sind, und häufig einen Übungseffekt haben, werden ebenfalls im Film eingesetzt, um verschiedene Narrationsmöglichkeiten anzubieten und dadurch eine Offenheit zu schaffen, die ein typisches Muster von Computerspielen ist, das eine permanente Verschiebung eindeutiger Bedeutungszuweisungen verweigert. Diese Bedeutungsverweigerung wird durch intermediale Verbindungen zwischen Spiel und Film auch auf den Film übertragen. R OBERTO S IMANOWSKI (Providence, RI, USA) hat als Thema seines Beitrags die Mapping-Kunst gewählt. In seinem Beitrag über “Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus: Mapping-Kunst als symbolische Form der Gegenwart” führt er in die neue Kunstform ein und zeigt ihre verschiedenen Formen auf. Als Datenvisualisierung werden Formen der Kunst bezeichnet, die Daten in ein anderes Zeichensystem umwandeln, z.B. die Umwandlung numerischer Daten in Bewegung von Kugeln im Raum. Mapping versteht Simanowski als moderne Form des Readymades, wobei es zu interessanten Abweichungen vom ursprünglichen Konzept des Readymades kommt, etwa dadurch, daß es sich um eine Kopie von Daten in einen neuen Kontext handelt und nicht um Entfernung aus dem alten, um sie in einem neuen zu positionieren. Mapping wird von Simanowski vor dem Hintergrund von Natura- Zur Einführung 13 lismus und Postmoderne diskutiert: ‘Naturalismus’ in dem Sinne, daß der Vergleich zwischen naturalistischen Methoden und der ‘objektiven’ Datenpräsentation hergestellt werden kann; andererseits wird durch die Ästhetisierung der Daten in der Mapping-Kunst die Ästhetisierung der Alltagswelt reflektiert, wie sie ein typisches Kennzeichen der Postmoderne ist. In diesem Sinne versteht Simanowski die Mapping-Kunst als “Manifestation des zeitgenössischen Denkens”. Abschließend wird im Beitrag von K ARIN W ENZ (Maastricht) ebenfalls eine neue Kunstform vorgestellt, nämlich die sog. Game Art. Ihr Beitrag zum Thema “Replay: Zwischen Kunst und Spiel” gibt zunächst einen Überblick über die Diskussion der Begriffe der Hybridisierung und Intermedialität und deren Bedeutung für die digitalen Medien. Am Beispiel der Game Art, die zwischen (digitalem) Spiel und Kunst angesiedelt ist, werden die intermedialen Verbindungen exemplarisch aufgezeigt. Dabei wird je ein Beispiel eines Mosaiks, eines Portraitphotos, eines Videos und einer interaktiven Installation vorgestellt. Hybridität und Intermedialität der Game Art läßt sich an der Art und Weise festmachen, wie Zeichen prozessiert werden und den Bereich des Spiels transzendieren. Dabei verweist diese Kunstform auf die Materialität der digitalen Räume und unsere körperliche und spielerische Auseinandersetzung mit ihnen. 3 Literatur Adamzik, Kirsten 2004: Textlinguistik. Eine einführende Darstellung, Tübingen: Niemeyer Antos, Gerd & Heike Tietz (eds.) 1997: Die Zukunft der Textlinguistik. 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