Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2006
291-3
"Vom Stil zum style" - Typographie als intermediales Phänomen
91
2006
Stefan Meier
Typografie ist das Gesicht des Textes. Sie bringt seinen Inhalt zur Anschauung, leitet die Lektüre und setzt den Produzenten und Rezipienten in kommunikative Beziehung zueinander. Hierbei richtet sich die typografische Gestaltung nicht nur nach Kriterien der guten Lesbarkeit bzw. Verständlichkeit, sondern sie transportiert ebenso Informationen über die politische, soziale und kulturelle Identität des Produzenten, die Produktionssituation und die Inszenierungspraxis mittels Typografie in den unterschiedlichen Präsentationsmedien. Schriftgestaltung ist somit Ausdruck medienvermittelter sozialer Stile, die auf konventionalisierten Handlungsmustern beruhen und bestimmten soziokulturellen Kontexten wie z.B. Jugendkulturen, Druckerwesen, Kommunikations- bzw. Webdesigns entstammen. Der Artikel beschreibt somit zunächst zeichentheoretisch kommunikative Funktionen von Schriftgestaltung als mediales Ausdrucksmittel sozialen Stils. Anschließend erfolgt eine Bestimmung von Typografie als intermediales Phänomen anhand des differenzierenden Intermedialitätsmodells von Irina O. Rajewsky.
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“Vom Stil zum style” - Typografie als intermediales Phänomen Stefan Meier Typografie ist das Gesicht des Textes. Sie bringt seinen Inhalt zur Anschauung, leitet die Lektüre und setzt den Produzenten und Rezipienten in kommunikative Beziehung zueinander. Hierbei richtet sich die typografische Gestaltung nicht nur nach Kriterien der guten Lesbarkeit bzw. Verständlichkeit, sondern sie transportiert ebenso Informationen über die politische, soziale und kulturelle Identität des Produzenten, die Produktionssituation und die Inszenierungspraxis mittels Typografie in den unterschiedlichen Präsentationsmedien. Schriftgestaltung ist somit Ausdruck medienvermittelter sozialer Stile, die auf konventionalisierten Handlungsmustern beruhen und bestimmten soziokulturellen Kontexten wie z.B. Jugendkulturen, Druckerwesen, Kommunikationsbzw. Webdesign entstammen. Der Artikel beschreibt somit zunächst zeichentheoretisch kommunikative Funktionen von Schriftgestaltung als mediales Ausdrucksmittel sozialen Stils. Anschließend erfolgt eine Bestimmung von Typografie als intermediales Phänomen anhand des differenzierenden Intermedialitätsmodells von Irina O. Rajewsky. In the article I’d like to show the different types of typographian use in different media in responds of the theory of intermediality by Irina O.Rajewsky. Typography is the face of written text. It is one part of the multimodality of text which is constituted by different kind of semiotic systems. So not only the grammatical features make the meaning of the text it is also realised by its socio cultural expression. Typography may give information about the political, social and cultural identity of the producer, and also about the situation of production. It is a kind of social style which is a result of social convention in special social cultural contexts (music culture, print media, web design….). In the article I’d like to show those different semiotic ways of representation and communication. And I also try to explain typography as an intermedial phenomenon. 1. Einleitung 2. Zum Begriff der Typografie 3. Typografie als (Bild)Zeichen 4. Typografie als Stilmittel 5. Zum Begriff der Intermedialität 6. Typografie und Intermedialität (Konklusion) 1. Einleitung Typografie, die Visualität von Schrift, als intermediales Phänomen zu betrachten, erscheint sehr nahe liegend. Denn seit Menschen in der Lage sind, sprachliche Äußerungen textlich zu manifestieren, realisieren sie dies über bestimmte Schriftformen (z.B. Hieroglyphen und Kursivschrift in Altägypten) auf unterschiedlichen medialen Zeichenträgern (z.B. Stein, Papyrus, heute Mikrofisch, digitale Medien). Dadurch wurde der Inhalt von Äußerungen speicherbar und zeitversetzt an ein disperses Publikum vermittelbar. Die Visualität dieser K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 29 (2006) No. 1 - 3 Gunter Narr Verlag Tübingen Stefan Meier 60 textlichen Manifestationen unterliegt gestalterischen und medienspezifischen Bedingungen und hat Einfluss auf die Rezeption der kommunizierten Bedeutungen. Neben dem Kriterium der Lesbarkeit, das für nutzerfreundliche Druckerzeugnisse (Plakat, Buch, Zeitung) und für usability-orientierte Multimediaprodukte entscheidend ist, spielten seit jeher auch ästhetische Kriterien der Schriftgestaltung eine Rolle, wodurch den Texten sekundäre Informationen oder Konnotationen wie Status (z.B. in der Heiligkeit der Hieroglyphen), Sorgfalt (z.B. bei der schulischen Bewertung der individuellen Handschrift), Professionalität (z.B. mit der Einführung der Schreibmaschine), Eleganz etc. zugeschrieben wurden. Typografie scheint ferner hinsichtlich Formvielfalt und intermedialer Präsenz durch eine fortschreitende Ausdifferenzierung und Digitalisierung der Medien(produktion) weiter voranzuschreiten. So tritt beispielsweise mittels animierter Schrift im Film, Video und Internet neben die Gestaltung von Form, Größe und Proportion eine quasi filmische Strukturierung in die Typografiegestaltung. Rezeptionsprozesse werden so nicht nur durch die Visualität einer simultan präsenten Schrift bzw. durch den kontrollierten Aufruf der einzelnen Schriftteile durch den Rezipienten beeinflusst, sondern durch die Inszenierung von Bewegung, Chronologie, Bildausschnitt, Kameraführung etc. des Medienproduktes selbst. Animierte Typografie in multimedialen Produkten oder als Markierung des Vor- und Abspanns eines Films weist somit eine weitere Inszenierungsmöglichkeit aus, die hier jedoch nicht behandelt werden soll. Aber auch in der Gestaltung statischer Schrift für verschiedene On- und Offlinemedien tritt eine Formvielfalt auf, die neben dem Kriterium der Lesbarkeit Botschaften über Identität, Individualität und Lebensgefühl aussendet. Mit dieser Vielfalt lässt sich die Intermedialität von Typografie jedoch weniger leicht bestimmen, als es zu Beginn den Anschein hatte. Es stellen sich Fragen nach einer dezidierteren Einordnung von Typografie als Bedeutungsträger. Ferner muss geklärt werden, welche Elemente von Typografie medialen Wanderprozessen unterliegen, damit sie als intermediales Phänomen gelten können. Aus diesen Gründen versuche ich zunächst den Begriff der Typografie und ihren semiotischen Charakter als (Bild)Zeichen zu umreißen. Dabei treten die kommunikativen Funktionen von Typografie in den Vordergrund. Es soll ferner deutlich werden, inwiefern Stil als kommunikatives Mittel in der Schriftgestaltung zum Einsatz kommt, welche Varianten in der Handhabung typografischer Konventionen als soziale Stile bzw. styles je nach kommunikativem Anlass möglich sind und wie sich diese als intermediale Phänomene beschreiben lassen. Letztes Anliegen erfordert eine plausible Anbindung an ein Intermedialitätsmodell, das Klassen von Typografie (types) trotz ihrer vielfältigen Ausprägungen (token) als einheitliche Zeichenformen in hybriden Mediendiskursen verstehen lässt. Um dies zu erreichen, werde ich mich an dem Begriffskonzept zur Intermedialität von Irina O. Rajewsky orientieren. Sie versteht Mediengrenzen überschreitende Phänomene als Intermedialität, wobei “mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien” (Rajewsky 2002: 19) involviert sein müssen. Wenn Typografie also als einheitliches Phänomen in den unterschiedlichen Medien zum Einsatz kommt, müsste demnach Intermedialität realisiert sein. Allerdings zeigen sich bei genauerer Anwendung des Intermedialitäts-Konzepts von Rajewsky weitere notwendige Differenzierungen, die ich unten anhand von Beispielen des Typografiegebrauchs in jugendkulturellen Szenen verdeutlichen möchte. Ich versuche dabei der Anregung von Ernest W.B. Hess-Lüttich nachzukommen, der für eine adäquate Analyse intermedialer Phänomene die Perspektive einer angewandten Mediensemiotik für erforderlich hält. Denn nur so könne man den mit Multimedia entstehenden neuen Herausforderungen an die Medienwissenschaft entsprechen (vgl. Hess-Lüttich 2001). “Vom Stil zum style” 61 2. Zum Begriff der Typografie Zunächst stellt sich die Frage, was unter Typografie allgemein zu verstehen ist und welche Problemfelder typografische Gestaltung ursprünglich bearbeitet. Susanne Wehde definiert Typografie wie folgt: Typografie bezeichnet im weitesten Sinne die Gesamtheit visueller Kommunikation mit Schrift als der äußeren Form von Sprache im Druck. Mit dem Begriff Typografie werden im engeren Sinn sowohl die Grundlagen der drucktechnischen Schriftvervielfältigung als auch die visuellformale Gestaltung von Drucksachen bezeichnet (Wehde 2000: 3). Nach aktuellen Ratgebern der Mediengestaltung ist es zudem üblich, auch die Diskussion und den Einsatz von Fonts, also digitalen Schrifttypen, für die Darstellung von Bildschirmtexten dem Bereich der Typografie zuzuordnen (vgl. z.B. Rada 2002: 14f., Böhringer u.a. 2000: 183ff.). Während in älteren Definitionen unter Typografie “vor allem die technisch-handwerklichen Arbeitsschritte Stempelschnitt, Schriftguß (Herstellung der Lettern), Satz (Herstellung der Druckformen), Einfärbung, Abdruck (Herstellung der Druckbögen)” (Wehde 2000: 3) verstanden wurde, ist in der aktuellen Bedeutung eher die visuelle Gestaltung im Vordergrund. Sie umfasst den Schrifttypenentwurf, die Schriftenauswahl, den Satzspiegel (Positionierung von Text auf der Fläche) und die Schriftenkomposition (vgl. ebd.). Weiterhin ist das Kriterium der medienspezifischen Lesbarkeit ein wichtiger Teil der heutigen Typografiediskussion. Hier geht es um Fragen des Schriftdesigns, der -größe, des Zeilenabstands und der Buchstaben- und Laufweite (vgl. Böhringer u.a. 2000: 51ff.). Außerdem soll Typografie aus Sicht der Mediengestaltung leseanregend, lesesteuernd und leseerleichternd wirken. Hinzu tritt ein kreatives Engagement für eine zielgruppen- und trendorientierte Typografie, die als Mittel der Signalisierung bestimmter kultureller Stile dienen soll (z.B. Schreibschriften für Traditionsbewusstsein und klassischer Romantik auf (Hochzeits)Karten, serifenlose Schriften für Technikaffinität und Modernität auf Werbeplakaten etc.). Professionelle Typografiegestaltung richtet sich dabei nach Regeln der Wahrnehmungspsychologie, die Leitlinien für einen vermeintlich wirkungsvollen Einsatz von Proportionen, Rhythmen, Harmonien und Dissonanzen, Kontrasten, Gegensätzen etc. hervorgebracht hat. Solch gestalterische Praxis deutet bereits die inszenierende und kommunikative Funktion von Typografie an (vgl. ebd.: 39). Um Schriftgestaltung einer weiteren begrifflichen Differenzierung zu unterziehen, möchte ich zusätzlich die von Hartmut Stöckl entwickelten vier Ebenen der Typografie übernehmen. Sie resultieren aus der Motivation heraus, der traditionellen Zweiteilung zwischen Mikro- (Schriftgestaltung) und Makrotypografie (Satzspiegel, Layout samt Bild-/ Grafik-Kombination) weitere Komponenten beizufügen, um den unterschiedlichen kommunikativen Funktionen von Typografie gesteigert Rechnung tragen zu können. Stöckl geht dabei von der grundsätzlichen Annahme aus, dass jeder Text sich aus unterschiedlichen Zeichenmodalitäten und Kodesystemen zusammensetzt. Damit sind nicht nur Sprache-Bild-Texte gemeint, sondern auch rein sprachliche Texte, die immer auch visuelle Phänomene sind. Die Visualität von Texten setzt sich aus mehreren Submodalitäten wie Schrifttyp, Farbe, Kontrasten, Proportionen etc. zusammen, die auf die Bedeutungskonstruktion bei der Rezeption einwirken. Die von Stöckl vorgeschlagenen vier Ebenen der Typografie (vgl. Stöckl 2004: 12 und 22f.) gliedern sich auf in • Mikrotypografie • Mesotypografie Stefan Meier 62 • Makrotypografie • Paratypografie Mit Mikrotypografie ist das Schriftdesign und die Schriftauswahl gemeint, die sich in die Submodalitäten Schriftart, Schriftgröße, Schriftschnitt, Schriftfarbe aufgliedern und mittels Gestaltungsressourcen wie Form und Stil (Buchstabenweiten, Schriftfamilien), Punktgrößen, Schraffierung, Konturierung, Farbsättigungen etc. realisiert sind. Die Mesotypografie behandelt die Gestaltung des Schriftbildes in der Fläche. Submodalitäten dieser Ebene wären Zeichenabstand (Laufweiten), Wortabstand, Zeilenweite, Zeilenabstand (Durchschuss), Satzspiegel, Schriftkombinationen, Textausrichtung (Satz). Als mögliche Gestaltungsressourcen stehen hierfür enge, normale, gesperrte Zeichenabstände, einfache und anderthalbfache Zeilenabstände sowie Blocksatz, Flatter etc. zur Verfügung. Die Ebene der Makrotypografie zeigt die Organisation von Text und Textteilen, von Gliederungen und von visueller Fokussierung, die mittels Layoutgestaltung umgesetzt werden. Submodalitäten sind Textstrukturierungen durch Absätze, Spalten, Einrückungen, Überschriften sowie Aufzählungen, Tabellen, Infokästen etc. und Montagetechniken, die Text und Bild/ Grafik in visuelle Beziehungen setzen. Gestaltungsressourcen sind Fettungen, Unterstreichungen, Nummerierungen, Schrift- und Bildpositionierungen etc. Unter Paratypografie ist weiterhin die Materialität der Dokumentgestaltung zu verstehen. Dabei bilden die Güte der Farbe, die Papierqualität und Auswirkungen der technischen Herstellungsbedingungen mögliche Submodalitäten, wobei Papierdicke, -struktur, -glanz, Farbmischungsverhältnisse etc. zur Verfügung stehende Gestaltungsressourcen darstellen. Ich möchte dem kommunikativen Aspekt der Paratypografie noch weitere Gewichtung geben. Denn gerade in den unten dargestellten jugendkulturellen Beispielen zeigt sich diese Ebene als bewusst gewähltes Mittel der Inszenierung. Sie ist geprägt durch die gewählten Präsentationsmedien, die durch die intermediale Betrachtung von Typografie in besonderem Maße in den Blick treten. Die Verwendung von Techno-Typo auf Flyern, Plakaten, CD- Covern und Internetauftritten beispielsweise markiert zwar einen einheitlichen sozialen Stil, dient jedoch medienabhängig und textsortengemäß unterschiedlichen kommunikativen Funktionen. Wird mittels Techno-Typo auf Flyern und Plakaten mögliche Eventankündigungen transportiert, so zeigt sie auf CD-Covern und Internetauftritten möglicherweise die stilisierte Darstellung des CD-Inhalts und des Titels eines Online-Magazins. Auch die Wahl des Ortes, an dem der Writer sein Graffiti-Piece sprühen will, unterliegt seinem besonderen kommunikativen Anliegen. Besprüht er Züge oder ritzt er seinen Namenszug in Bahnscheiben ein, so kann er zum einen seine Risikobereitschaft dokumentieren, da Zugdepots strengstes überwacht werden, oder er kann im zweiten Fall seinen Missmut über das sofortige Reinigen von Graffiti in und an öffentlichen Verkehrsmitteln mitteilen. Solche paratypografischen Praktiken sind somit ebenfalls Elemente einer strategischen Kommunikation. 3. Typografie als (Bild)Zeichen Typografie als konstituierendes Element eines multimodalen Textes anzusehen, schreibt ihr weitere Bedeutung zu, die neben dem sprachlichen Inhalt zum Tragen kommt. Schrift erlangt somit als visuelles Phänomen eine eigene Zeichenhaftigkeit, die ebenfalls näher beschrieben werden muss. Unter semiotischer Perspektive wird dann ein visuelles Phänomen zum Zeichen, wenn ihm durch Interpretation Bedeutung zugeschrieben wird. Es erhält dadurch “Vom Stil zum style” 63 Abb. 1: Freies Infotelefon Nordeutschland, http: / / www.widerstandnord.com/ fit/ , 15.08.2005 eine (visuelle) Ausdrucksebene, die mittels eines Codes oder eines komplexeren Codesystems mit einer Inhaltsebene in Korrelation tritt. Die Auswahl und Anwendung solcher Codes orientiert sich an gesellschaftlich-kulturellen Konventionen, die anhand des situativen Zeichenprozesses und handlungspraktischer Bedingungen im Gestaltungs- und Rezeptionsprozess aktualisiert werden. Für den hier behandelten multimodalen Gegenstand Schrift würde diese somit nicht nur begriffssprachliche Bedeutung transportieren, sondern ihre Formgebung und Anordnung auf der Fläche würden ebenfalls Elemente der Ausdrucksebene sein, die codeorientiert mit weiteren Komponenten auf der Inhaltsebene korrelieren. Damit erhält typografische Gestaltung ebenfalls Signifikationsfunktion, die neben der sprachlichen Bedeutungsgenerierung realisiert ist. Sie steht somit auch für etwas Anderes bzw. besitzt Verweischarakter. Das Andere ist im Sinne Umberto Ecos kein empirischer Gegenstand, sondern eine kulturelle Einheit, die ebenfalls eine auf soziale Konventionen beruhende Bedeutung beschreibt (vgl. Eco 1991). Eine solche Generierung sozialen Sinns durch Typografie lässt sich am folgenden Beispiel einer rechtsextremen Webseite erkennen. In diesem Beispiel zeigt sich, dass nach dem Dreipanelsystem im Navigationsbereich, der im westlichen Kulturkreis meist am linken Rand positioniert ist, sowie im konventionell oben angebrachten Identifikationsbereich vermehrt Typografien verwendet werden, die der Stefan Meier 64 Abb. 2: Bund für deutsche Sprache, http: / / www.bfds.de, 15.08.2005 gebrochenen Schriftfamilie bzw. der Frakturschrift entstammen. Der mittlere Content- Bereich ist jedoch in einer serifenlosen Typografie verfasst, die auf Bildschirmen als gut lesbar gilt. Die Wahl bzw. Gestaltung von Typografie scheint somit als Bedeutungsträger und Kommunikationsmittel zu fungieren. Gerade auf Webseiten rechtskonservativen bzw. rechtsextremen Inhalts mag die Verwendung von Frakturschrift eine konnotativ-kulturelle Bedeutungskomponente zu bekommen, die nach Wehde eine lange Tradition vorzuweisen hat. Wehde sieht eine solche Semantisierung schon im Jahrhunderte alten Schriftstreit zwischen Fraktur- und Antiqua-Schriften verwirklicht. Ausgangspunkt dafür war bereits Luthers Entscheidung gewesen, die Bibel in gebrochener Schrift drucken zu lassen, um der lateinischen Kirchenobrigkeit auch typografisch eine aus dem Gotischen entnommene, volkstümliche Schrift entgegenzusetzen. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts galt gebrochene Schrift dann explizit als Ausdruck einer deutschnationalen Weltanschauung. Höhepunkt dieser Ideologisierung erfuhr die Frakturschrift im Aufstieg des Nationalsozialismus, der sich mit ihrer Verwendung in germanischer Tradition sah und sich so gegen vermeintlich kosmopolitische Entwicklungen und so genannte rassische Überfremdung auflehnen wollte. Später hat sich jedoch eine sehr funktionalistische Sichtweise auf Schrift im NS-Staat durchgesetzt. Da sich in einem expandierenden Deutschland die Frakturschrift als schwerer lesbar erwies, wurde mit dem so genannten Schwabacher Erlass 1941 die Frakturschrift als jüdisch umdefiniert und die Antiquaschrift als eigentlich deutsche Typografie bezeichnet (vgl. dazu auch Meier-Schuegraf 2005a, Meier-Schuegraf 2005b). Trotz dieser Umdefinition zeigt sich weiterhin der politisierte Gebrauch von Fraktur. Nicht nur bei rechtsextremen Gruppierungen ist sie zu finden, sondern auch bei der sprachpuristischen Ausrichtung des Bundes für deutsche Sprache und Schrift (http: / / www.bfds.de/ ). In Abb. 2 ist dies beispielhaft zu sehen. Denn der mittlere Content-Teil erscheint, wie oben bereits gezeigt, in gut lesbarer serifenloser Schrift. Identifikations- und Navigationsbereich sind in gebrochener Schrift verfasst. “Vom Stil zum style” 65 Dieser bewusste Einsatz von Typografie scheint hier neben der Markierung von Navigationselementen und dem Titel des Online-Auftritts vor allem zur Kommunikation einer politischen Ausrichtung bzw. Identität eingesetzt zu sein. Dieser Einsatz könnte die These bestätigen, dass die Popularisierung von Computer und Internet auch eine Explosion des allgemeinen Interesses an typografischer Gestaltung bewirkt habe. Nicht unbedingt gute Lesbarkeit (vgl. dazu den Navigationsbereich) scheint hierbei das Hauptkriterium zu sein, sondern ein subjektiv-ästhetisches Empfinden und weitere kommunikative Anliegen wie z.B. die Signalisierung von kollektiver Identität bzw. sozialer Zugehörigkeit. Die angedeutete Zeichenhaftigkeit von Schrift als visuelles Phänomen lässt somit eine Ausdrucksebene (Gestaltungskonventionen im Druck und Design), Code (Regelsysteme zur Korrelation zwischen Ausdruck und Inhalt) und eine Inhaltsebene (kulturelle Einheiten) als Ergebnisse sozialer Kommunikationsprozesse bzw. soziokultureller Konsensbildung veranschlagen. Wird Typografie jenseits der sprachlichen Inhaltsebene betrachtet, so lässt sich nach Wehde (2000: 59ff.) ebenfalls eine Zeichenhaftigkeit feststellen, die ihrerseits aus einem Ausdrucks- und Inhaltssystem besteht. Die typografische Gestaltung wird somit nicht nur perzeptiv - also aufgrund einer Beeinflussung der Sinneswahrnehmung -, nicht nur apperzeptiv - also vermittelt über unreflektierte, kulturspezifische, Erlebnis- und Denkbedingungen - wahrgenommen, sondern auch diskursiv als kulturelle Einheit - also rationalsprachlich - semantisiert. So lassen sich dynamische, unmittelbare und logische Interpretanten anhand typografischer Gestaltung entwickeln. Während beispielsweise kleine verschnörkelte Schrift für die Sinneswahrnehmung auf der apperzeptiven Ebene ein schlechtes Erkennen verursacht, begleitet die Rezeption eines alten Textes, der in Frakturschrift verfasst ist, auf perzeptiv-unbewusster Ebene eine andere Atmosphäre, als wenn man den gleichen Text in serifenloser, moderner Schrift lesen würde. Auf rational-diskursiver Ebene vollzieht sich die aktive Deutung typografischer Gestaltung. So könnte der Rezipient eines Schriftstückes, das einen hohen Wechsel von Schrifttypen aufweist, dies als einen Mangel an Erfahrung im Umgang mit Textverabeitungsprogrammen interpretieren. Er könnte dem Autor in diesem Fall Inkompetenz im Umgang mit solchen Programmen unterstellen, da der Autor anscheinend der Faszination über die Wahlmöglichkeiten erlegen war, die es verhinderte, die ästhetische und kommunikative Gesamtwirkung des Schriftstückes im Blick zu behalten. Typografie als ein eigenes Zeichensystem samt Ausdrucks- und Inhaltssystem zu verstehen, macht des Weiteren Schrift zu einem primären Zeichensystem, obwohl es eigentlich als ein sekundäres gilt, das das primäre System der Lautsprache repräsentiert. Der hier formulierte Ansatz nimmt somit ein Perspektivenwechsel vor, wobei mit der Einschätzung Stöckls einschränkend zu erwähnen ist, dass Typografie nicht einer systemischen Grammatik unterliegen kann. Vielmehr gehe es bei der Beschreibung von Typografie eher um kulturell konventionalisierte, situativ ausgehandelte und historisch wandelbare Gebrauchsweisen typographischer Ressourcen und d.h. letztlich um eine pragmatisch fundierte und funktionale Grammatik (Stöckel 2004). Wehde (2000: 64ff.) unterteilt die Ausdrucksebene der Typografie in einen formalen und einen individuellen Bereich. a) Auf formaler Ebene lassen sich abstrakte Konfigurationen bestimmen. Diese sind Typen und Untertypen von Schrift wie Antiqua (barock, klassizistisch, serifenbetont etc.), Grotesk, Fraktur oder auch Graffiti-Styles (bubblestyle, blockbuster, silverpieces etc.). Typografische Gestaltung wird hier zum Signifikant eines Legizeichens, zur kollektiven Stefan Meier 66 Ausdrucksform, wodurch sozialer Sinn generiert wird. Sie bleibt als type jedoch ein potentielles Zeichenereignis, da ihre konkrete Realisierung nur individuell geschehen kann. b) Auf der individuellen Ebene zeigt sich die Zeichensubstanz, die stofflich-physikalische Materialität und Verkörperung der Schrift. Sie ist als token zu begreifen und bildet die individuelle Spielart der vorher dargestellten abstrakten Form-Konfigurationen. Sie bildet somit ein Sinzeichen, das sich aus verschiedenen Qualitäten wie Farbsättigung, Strichbreite, also einer hohen Anzahl von Qualizeichen zusammensetzt. Die Buchstabenformen sind so als Ausdruck individuell kreativen Schaffens zu verstehen, die entweder durch den Schreiber gewählt und vom Computer realisiert oder die sogar in Gänze vom Autoren gestaltet sind, wie es bei einem Graffito-Piece der Fall ist. Auf der Inhaltsebene unterscheidet Wehde (ebd., 36ff.) zwischen Denotation und Konnotation. a) Dabei ist die Denotation der Typografie die hochkonventionalisierte Korrelation zwischen Schrift und lautlichen bzw. lexikalischen Einheiten von Sprache. Es stellt sich hierbei beispielsweise die Frage, warum der Buchstabe A den Laut A etc. repräsentiert. b) Konnotative Codierung regelt die Korrelation der materiellen und grafischen Gestalteigenschaften des Ausdruckssystems mit semantischen Einheiten des kulturellen Inhaltssystems. Solche konnotativen Semantisierungen von Typografie können auf kodifizierten Festschreibungen beruhen, wie sie z.B. in typografischen Lehrbüchern zu finden sind, nach denen sich der Mediengestalter oder der künstlerisch Schaffende richtet, damit bestimmte intendierte Wirkungen beim Rezipienten verursacht werden. Solche Festschreibungen sind wiederum als Ergebnis soziokultureller Vereinbarungen anzusehen und nicht einem festen Regelwerk zuzuordnen, genauso wie die oben ausgeführte poltischweltanschauliche oder (jugend)kulturelle Semantisierungsmöglichkeit. Nicht zuletzt unterliegt typografische Gestaltung den individuell-affektiven Bedeutungszuschreibungen. So mag ein Graffito-Piece auf einer Hauswand von einem Passanten als handwerklich gelungene Verschönerung empfunden werden, von einem anderen aber als lästige, destruktive Schmiererei. Wehde sieht in solchen Gegensätzen ein generelles Kriterium zur Ermittlung konnotativer Bedeutungsrichtung von Typografie. So wird nach ihrer Auffassung Schrift oft als modern oder konservativ, sachlich oder expressiv, deutsch oder nicht deutsch etc. bezeichnet. Zudem lassen sich solche Bestimmungen meines Erachtens auf allen Ebenen der Typografie also der Mikro-, Meso-, Makro- und Paratypografie festmachen. Nicht nur Buchstaben können in einem schlanken und eleganten Design gestaltet sein, sondern auch das Layout, in dem sie erscheinen, muss auf diese Anmutung abgestimmt werden. Erscheint eine Seite überladen und unstrukturiert, so kann nur schwerlich die Eleganz einzelner Buchstaben zur Geltung kommen. Das Ausdrucks- und Inhaltssystem von Typografie kann somit eine hohe Komplexität annehmen und mit zahlreichen Subcodes ausgestattet sein. Ihre hohe visuelle Gestaltungsvarianz in Form, Farbe, Proportion etc., die als Qualizeichen durch Interpretation potentiell Bedeutung erlangen können, sowie ihre trendgeprägte, schwache Codiertheit auf konnotativer Ebene lassen sie in den Bereich der bildlichen Darstellung treten. Stöckl führt weitere Merkmale auf. Demnach wird Schrift vergleichbar mit Bildern nicht linear wahrgenommen, sondern ihre Elemente erzeugen simultan komplexe “Vom Stil zum style” 67 optische Eindrücke, die mit ästhetischen Anmutungen und affektiven Bedeutungen verbunden sind. Nach Goodmans Bild-Konzept (Goodman 1976) können grafische Zeichen zudem Bildcharakter annehmen, je mehr ihre syntaktische Dichte und Fülle zunimmt, also je mehr Züge des Bedeutungsträgers symbolische Funktionen erhalten. Solche Züge sind bei der hier vorgenommenen Fokussierung auf die Schriftzeichen und den Buchstaben Elemente wie Strichstärken, Endigungslinien (z.B. Serifen), Größen- und Formproportionen, Neigungsrichtungen, Farben, Grauwerte, Texturen, graphische Muster und Auszeichnungen etc. Da diese ebenfalls semantisiert sind, lässt sich hierbei durchaus vom Bildcharakter der Schrift sprechen. Dies bedeutet jedoch auch, dass Typografie nicht erst dann bildlich zu nennen ist, wenn sie gegenständliche Formen annimmt und quasi ikonisch kommuniziert (Vgl. Stöckl 2004: 14). Nachdem Schrift als visuelles Zeichensystem näher beschrieben ist, soll nun Typografie als Ausdruck sozialen Stils dargestellt werden. Dieser bildet meiner Auffassung nach das Element von Typografie, das als intermediales Phänomen gelten kann. 4. Typografie als Stilmittel Ich lege bei meinen Ausführungen einen Stil-Begriff zugrunde, der in der Textlinguistik verwendet wird. Dies erscheint mir angemessen, da typografische Gestaltung immer mit Text in Verbindung steht. Sie bringt den Text zur Anschauung und gilt als ein Stilmittel des Textes. Außerdem wurde bereits oben auf die Multimodaliät von Text hingewiesen, die ich in Anlehnung an Ulla Fix (2001) für grundlegend ansehe. Demnach stellt der Text nicht nur ein sprachliches Phänomen dar, sondern seine Visualität trägt zur Ganzheitlichkeit des Textes bei, die mittels Stilanalysen zu untersuchen ist. Dabei treten möglichst alle beteiligten Zeichensysteme in den Blick. In der stilistischen Gestaltung des Textes zeigen sich gleichzeitig individuelle Elemente und soziale Signale, die sozialen Sinn erzeugen. Ist beispielsweise ein Schriftstück am klassischen Layoutmuster eines Geschäftsbriefes (Adresse des Adressaten am Anfang, Betreff-Zeile etc.) orientiert, so ist damit unabhängig vom Inhalt bereits eine bestimmte Textsorte bzw. Kommunikationsfunktion angedeutet. Das Layout spielt so auf Konventionen, auf sozial geteiltes Wissen an, das der Adressat ebenfalls besitzen muss, damit er diese visuelle Anspielung entschlüsseln kann. Zum Verhältnis zwischen Text und Stil stellt Fix u.a. fest, dass der Text die sprachliche Handlung und der Stil das Spezifische dieser Handlung darstellt. Dabei ist mit dem Stil zum einen das WIE einer sprachlichen Handlung thematisiert und zum anderen das WAS, da mit dem Stil auch sekundäre Informationen über die Beziehung zwischen Sender und Empfänger ausgedrückt sind. Ulla Fix u.a. fassen “die Arten stilistischer Informationen” (Fix u.a. 2002: 27) wie folgt zusammen: - Stil ist Information des Produzenten an den Rezipienten über die dem Text zugrunde liegende Situation. - Stil ist auch immer Selbstdarstellung des Textproduzenten. Durch die Art und Weise, wie man spricht oder schreibt, gibt man - gewollt oder ungewollt - Informationen über das eigene Selbstverständnis, über seine Rollenauffassung und das Image, das man aufbauen oder wahren möchte. - Stil ist zudem Mittel der Beziehungsgestaltung. Durch die Art und Weise, wie man spricht oder schreibt - z.B. autoritär oder gleichberechtigt, offiziell oder privat, streng Stefan Meier 68 Abb. 3: U-Bahntrasse, (Foto: Meier) oder freundlich -, drückt man aus, welche sozialen Beziehungen man zum Empfänger hat oder herstellen will. - Stil drückt aus, welches Verhältnis der Textproduzierende zur Sprache selbst hat. Formuliert man konventionell oder originell, normbewusst oder offen für Abweichungen, einförmig oder variabel? All das gibt Auskunft über das Verhältnis zur Sprache, ohne dass der Handelnde sich das bewusst gemacht haben muss (ebd.). Zwar sind die hier aufgeführten Arten der Informationen, die über Stil vermittelt werden, auf die sprachliche Gestaltung bezogen. Sie lassen sich jedoch in Teilen auch auf die Formgebung der Typografie in jugendkulturellen Szenen übertragen. Gerade im Bereich des Graffiti teilt die Paratypografie des Sprühwerks an einer engen U-Bahntrasse (Abb. 3), an einer stark befahrenen Straße oder auf einem Zug Einiges über die Situationen der Produktion mit. Alle drei erscheinen risikovoll. Die Produzenten haben das Wagnis auf sich genommen, während einer illegalen Tat entdeckt zu werden. Außerdem riskierten sie, körperlich Schaden zu nehmen. Da die Graffiti-Szene über ihre Kunstwerke untereinander kommuniziert, signalisiert sie auf der paratypografischen Ebene also ihre Risikobereitschaft und ihren Mut. Die Writer haben somit das bewusste Bestreben, über die Produktionssituation Auskünfte zu geben, um Ruhm (fame) innerhalb der Szene zu erlangen. Aber auch ein mit Filzstift auf den Schultisch gekritzelter Songtitel oder Name einer Musikgruppe teilt dem Rezipienten etwas über die Situation der Entstehung mit. So mag dem jeweiligen Schüler gerade langweilig gewesen sein, oder er wollte vielleicht Widerständigkeit signalisieren, indem er etwas Verbotenes tut. Während die Produktionssituation nicht immer aus der typografischen Gestaltung deutbar sein muss, so kommt jedoch anhand der Typografie fast immer etwas über das Selbstverständnis, das kommunikative Anliegen, die anvisierte Zielgruppe des Autors bzw. des Herausgebers zum Ausdruck. Legt man beispielsweise die Titelseiten der Bild-Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) nebeneinander, so sieht man auf den ersten “Vom Stil zum style” 69 Blick, dass die Boulevardzeitung auf mikro-, meso-, und makrotypografischer Ebene dem potentiellen Leser quasi ‘ins Auge springen will’. Mit großen Buchstaben, ungewöhnlicher Layoustruktur in der Fläche, kontrastreichem Farbeinsatz und animierender Bildlichkeit unterscheidet sie sich extrem von der Schlichtheit der FAZ. Die Bild-Zeitung lädt typografisch nicht zu einer intensiven und längeren Lektüre ein, der Leser soll vielmehr schnell und ohne viel Denkaufwand den Inhalt der einzelnen Schlagzeilen erfassen. Nicht vermeintlicher Anspruch, sondern Anregung und Unterhaltung prägen das ‘Gesicht der Zeitung’. Die FAZ zeigt sich demgegenüber in einem streng strukturierten Layout. Bilder werden vermieden. Große Textflächen deuten hintergründige und anspruchsvolle Information an. Der in Frakturschrift verfasste Titel mag Traditionsbewusstsein und Konservativismus signalisieren. Auch in der individuellen Gestaltung von Websites ist typografische Formgebung von entscheidender Bedeutung für die Selbstdarstellung bzw. das Image des Sitebetreibers. Bereits die Verwendung von kleiner Serifenschrift auf kontrastarmen Hintergrund deutet auf geringe webdesignerische Kompetenz hin. Hinzu kann eine unstrukturierte und unharmonische Verteilung von Schrift auf der Fläche treten. Eine solch gestaltete Webseite wirft nicht nur durch die beeinträchtigte Lesbarkeit ein schlechtes Licht auf den Betreiber. Sie zeigt eine generelle Unsensibilität für Typografie, obwohl diese ein wesentlicher Bestandteil kompetenter Gestaltung ist, wie dies nicht zuletzt zahlreiche Online-Ratgeber und Forendiskussionen einschlägiger Portale erkennen lassen. Die hier angedeutete Identitätskonstruktion durch Typografie findet sich im Bereich der Jugendkultur in besonderem Maße wieder. Gerade die bereits erwähnten gebrochenen Schriftarten kommen hier auf unterschiedliche Weise zur Anwendung. Wurde oben Fraktur als Signal rechtsextremer Weltanschauung dargestellt, so ist sie hier auch als Identifikationsmerkmal der kulturellen Stile von Gothic und Metal zu sehen. Die Gothicsowie die Metal- Szene scheinen Fraktur als mittelalterliche bzw. germanisch-mythische Schrift zu begreifen. Sie entnehmen diese ihrem oben dargestellten historischen Kontext und nutzen sie als Signal für ihre eigene identitätsstiftende Auseinandersetzung mit Tod, Jenseitsphantasien und schwarzer Magie und als Gegenentwurf zum kleinbürgerlichen Schönheitsidyll. So treten gebrochene Schriftarten auf entsprechenden Musik-CDs, Plakaten und Flyern auf. Sie unterliegen in den individuellen Realisierungen entsprechenden Neukontextualisierungen und signalisieren dennoch kollektive Identität, da die einheitliche Verwendung von Typografie als sozialer Stil gelten kann. Dass Typografie als ein wichtiges Element der Identitätskonstruktion und -identifikation innerhalb der Gothic-Szene gilt, zeigt nicht zuletzt die Möglichkeit, von einem Gothic-Portal zahlreiche gebrochene Schrifttypen für die Verwendung am eigenen Computer herunterladen zu können (Abb. 4). Der Einsatz ähnlicher Typografie in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zeigt jedoch auch, wie polyvalent Typografie für die Konstruktion von Identität zum Einsatz kommt (vgl. Androutsopoulos 2005). Dies liegt u.a. an ihrer oben bereits beschriebenen schwachen Codiertheit. Typografische Gestaltung organisiert jedoch auch die Beziehung zum Rezipienten. Schlechte Lesbarkeit und ablenkende Animationen auf einer Webseite können User abschrecken und zum sofortigen Verlassen der Seite führen. In einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft kann jedoch der bewusste Einsatz ‘schlechter Gestaltung’ auch einer aktiven Identitätsstiftung unterliegen, die einer gewissen Vorliebe für trash entspringt, also der bewussten Ablehnung bestimmter Trends und ästhetischer Normen. Bewusst eingesetzte Typografie ist somit ein Angebot zur Identifikation oder mag zur Ablehnung des Kommunikats bzw. des Kommunikators beim Rezipienten führen. Sie kann durch eine hohe Angemessenheit auf mikro-, meso-, makro- und paratypografischer Ebene auch ‘in den Hinter- Stefan Meier 70 Abb. 4: Gothic-Portal, http: / / www.schwarze-romantik.de, 15.082005 grund treten’, so dass die Aufmerksamkeit des Lesers sofort und primär auf den Inhalt gerichtet ist. In der Graffiti-Szene wird sehr bewusst über typografische Gestaltung mit anderen Mitgliedern der Szene kommuniziert bzw. Beziehung, ja Hierarchie organisiert. So zeigt sich in der Wahl einzelner Stile und deren Umsetzung (wildstyle, silverpiece, throwups etc.) der Grad ihrer handwerklichen Virtuosität, die zu Ansehen (kings) oder Ablehnung (toys) innerhalb der Szene führen kann. Auch die Beziehung zum Zeichensystem Typografie ist in der individuellen Umsetzung zu ermitteln. Bereits oben wurde auf eine mehr oder weniger vorhandene Sensibilität für Typografie in der Webgestaltung hingewiesen, die sich im Kommunikat zeigt. Aber auch in der Schriftwahl und im Layout von computergestützt verfassten Texten teilt sich eine gewisse Kompetenz in der Handhabung typografischer Gestaltung mit. Im Bereich der genannten Jugendkulturen ist bereits eine Relevanzsetzung für Schriftgestaltung festzustellen, indem sich bestimmte Schrifttypen für die Identitätskonstruktion bestimmter Szenen etabliert haben. Ihre intermediale Verwendung zur Signalisierung kollektiver Identität zeigt den hohen Stellenwert von Typografie als Kommunikationsmittel dieser sozialen Gruppen. Damit ist insbesondere der Bereich des sozialen Stils thematisiert, der für Typografie als intermediales Phänomen bedeutsam zu sein scheint und der sich am Beispiel von Jugendkul- “Vom Stil zum style” 71 turen am besten zeigen lässt. Nach Habscheid und Stöckl (2003: 190f.)) steht der Begriff des sozialen Stils in enger Verbindung mit dem Begriff des sozialen Milieus. Sie lehnen sich dabei an die Konzeption von Gerhard Schulze (2000) an, der soziale Milieus als erhöhte Binnenkommunikation und gruppenspezifische Existenzformen kennzeichnet. Diese können zu “Wiederholungstendenzen in den ‘alltagsästhetischen Episoden’ eines Menschen” (Habscheid/ Stöckl 2003: 190) führen. Solche Wiederholungstendenzen nennen die Autoren sozialen Stil. Er orientiert den Menschen bei der Wahl seiner Genuss-, Sinn-, und Identifikationsangebote. In Anlehnung an Werner Kallmeyer (1995) stellen die Autoren außerdem fest, dass sozialer Stil auch als kommunikativer Stil dienen kann, “als Symbolisierung sozialer Identität […], als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und den dort üblichen, kulturgebundenen Lösungen kommunikativer Probleme’” (Habscheid/ Stöckl 2003: 191). Mit diesen Charakterisierungen von sozialem Stil wird der heuristische Wert dieses Begriffs für das Verständnis von identitätsstiftender Bedeutung von Typografie deutlich. Typografie als eine Form von sozialem Stil zu begreifen, bewirkt, dass auf seiner abstraktkonfigurativen Ausdrucksebene zahlreiche Sinn- und Identifikationsangebote realisiert werden. Die variierende Übernahme von solchen Schriftformen wie Antiqua-Schriften, Fraktur, moderner Techno-Typo oder bestimmter Graffiti-Styles signalisiert eine Zuordnung zu bestimmten Milieus, kulturellen Lebensstilen, Geschmäckern, Auffassungen etc. So soll über die typografische Gestaltung eines CD-Covers typografisch ein bestimmtes Klientel bzw. Milieu angesprochen werden. Des Weiteren signalisiert die mögliche Übernahme bestimmter typografischer Stile in Kombination mit der individuellen Umsetzung den Grad der Identifikation und die Stellung des einzelnen Schreibers in der entsprechenden sozialen Gruppe. So mag der individuelle Writer beispielsweise sein Graffiti-Piece in Anlehnung an den hoch angesehenen Stil des wildstyles realisiert haben. Inwiefern es ihm gelungen ist, seinen persönlichen Stil (Innovation) kreativ und handwerklich mit dem kollektiven Stil (Konvention) des wildstyle in Beziehung zu setzen, entscheidet über seine soziale Stellung in der Graffiti-Community. Somit kann Schrift nicht nur als Ausdruck individuellen Stils begriffen werden, sondern als kollektive Ausdruckform eines (Life)styles. Graffiti bildet daran anschließend außerdem einen Typus, mit dessen Verwendung bei Neukontextualisierungen auch weitere soziale (Lebens)Stile angedeutet werden können. So signalisiert Graffiti- Typo auf einer Musik-CD den Musikstil des HipHop, da zur HipHop-Kultur u.a. MC-ing (Sprechgesang vor Publikum), DJ-ing (Produktion und Sampling von Sounds vor Publikum) und die Graffiti-Kunst gehört. Der realisierte Graffiti-Schriftzug auf dem CD-Cover gilt hier nicht mehr als individuelles Kunstwerk, sondern als allgemeines Index-Zeichen, um auf das Phänomen der HipHop-Kultur zu verweisen. Seine Verwendung ordnet kommunikativ die CD in diesen Kontext ein. Solch kommunikative Praxis kann zudem als intermediales Phänomen von Typografie begriffen werden, was abschließend näher betrachtet werden soll. 5. Zum Begriff der Intermedialität Betrachtet man Typografie unter der Perspektive der Intermedialität, so ist man mit dem Problem der Ambiguität des Intermedialitäts-Begriffs konfrontiert. Axel Fliethmann beschreibt die anhaltende Debatte um diesen Begriff als euphorisch geführt und stellt zwei inhaltliche Lager fest. Demnach vertrete die eine Seite einen weiten Begriff von Intermedialität, die eine “fundierte komparatistische Medienwissenschaft zu institutionalisieren” Stefan Meier 72 (vgl. Fliethmann 2004: 120) versuche. Dabei solle der Blick weg von den Einzelmedien und hin zum Zusammenspiel, zur Korrespondenz der Medien untereinander gehen. Medien würden hier als ein Ensemble begriffen, das durch gegenseitige Bezugnahmen und Abgrenzungen eigene Analysegegenstände verursache. Als oppositionelle Auffassung betrachtet er einen engeren Intermedialitäts-Begriff, der “empirische, konkrete Formen in der Medienanalyse” (ebd.) zum Thema mache. Ohne diese Positionen näher zu bestimmen, attestiert er beiden Positionen einen “blinden Fleck” (ebd.). Dieser bestünde in der Tatsache, dass beide Sichtweisen eher die Medien in den Blick nehmen als die (Inter)Textualität, die sich medial äußere. Er plädiert deshalb für die Analyse der “Medialität von Intertextualität” (ebd.), die als Transposition des Thetischen von einem Zeichensystem in ein anderes und somit intermedial verstanden werden kann. Dieser relativ aktuelle Versuch einer Bestimmung von Intermedialität zeigt meiner Meinung nach die noch immer recht unkonkrete begriffliche Einordnung, so dass bisher die Ausführungen von Rajewsky (2002) einer am weitesten vorangeschrittenen Systematik zu unterliegen scheinen. Sie geht eher von einem weiteren Begriff der Intermedialität aus, der sich in einzelne Subkategorien auffächert. Dabei versteht sie, abweichend von Fliethmanns Fokussierung, die Intertextualität als ein intramediales Phänomen. Intertextualität ist demnach weniger als ein Mediengrenzen überschreitendes Element zu begreifen, als vielmehr eine textliche Referenz auf andere Texte. Rajewsky folgt damit einem engeren Verständnis von Text, der sich auf das Sprachliche beschränkt (vgl., ebd.: 60). Intertextualität verbleibt im Intramedialen, da mit der beschriebenen Verweisstruktur kein Medienwechsel vorliegt. Der Begriff des Intermedialen ist jedoch insofern ausgeweitet, als er für alle medialen Ausdrucksformen anwendbar werden soll. Somit treten nicht nur künstlerisches Medienhandeln im Film, Buch etc., sondern auch massenmediale Kommunikationsprozesse in den Blick. Dies soll die bisher hauptsächlich innerhalb der Literaturwissenschaft geführte Intermedialitätsdebatte zu einer interdisziplinären Auseinandersetzung ausweiten (vgl. ebd.: 14). Ein erster Erfolg dieses Vorhabens zeigt sich unter anderem in der Anwendung ihrer Begrifflichkeiten in anderen medienwissenschaftlichen Kontexten. So legen beispielsweise Claudia Fraas und Achim Barczok die von Rajewsky vorgenommen Unterscheidungen zwischen Intra-, Trans- und Intermedialität sowie die Unterkategorien Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge ihren Analysen von intermedialen Wanderprozessen innerhalb öffentlicher Diskurse zugrunde (vgl. Fraas/ Barczok 2005). Auch für eine intermediale Bestimmung von Typografie scheint die von Rajewsky vorgenommene Systematik heuristischen Wert zu haben, so dass ich ihre Kategorisierung hier in Kürze rekapituliere. Wie bereits oben angedeutet, versteht Rajewsky Intermedialität allgemein zunächst als “Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren” (Rajewsky 2002: 13). Davon grenzt sie die Bereiche der Intramedialität und der Transmedialität ab. Intramedialität umfasst Phänomene, die nur innerhalb eines Mediums auszumachen sind, während Transmedialität […] medienunspezifische Phänomene (meint; SM), die in verschiedenen Medien mit den jeweiligen Medium eigenen Mitteln ausgetragen werden können, ohne dass hierbei die Annahme eines kontaktgebenden Ursprungsmediums wichtig oder möglich ist (ebd.). Rajewsky meint damit “Wanderphänomene” (ebd.: 12), die sich darin zeigen, dass in unterschiedlichen Medien der gleiche Stoff oder Inhalt auftritt, ohne dass man einen konkreten Anfang dieser Wanderungen bestimmen könnte. Auch eine ähnliche Ästhetik oder ein “Vom Stil zum style” 73 bestimmter Diskurstyp können in diesem Zusammenhang als transmediale Phänomene gelten. Entscheidend tritt hinzu, dass diese Wanderphänomene eigentlich medienunspezifisch sind und den besonderen Einflüssen der einzelnen Präsentationsmedien untergeordnet bleiben. Als Beispiel dafür führt Rajewsky das Genre bzw. den Diskurstyp der Parodie an, die im Film ganz anderen Gestaltungselementen unterliegt wie in der Literatur. Den Bereich der Intermedialität fächert Rajewsky außerdem in die Unterkategorien Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge auf. Dabei ist der Fall der Medienkombination gegeben, wenn das zu analysierende mediale Produkt mindestens zwei konventionell als distinkt wahrnehmbare Medien enthält. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn auf der Theaterbühne verschiedene Medien (auch Fernseher, Filmvorführungen etc.) integriert sind, die zur dramatischen Erzählung neben den Schauspielern, dem Bühnenbild etc. Bedeutungskomponenten beitragen. Auch ein multimediales Computerspiel scheint eine ähnliche polymediale Medienfusion darzustellen (vgl. ebd.: 15). Als Phänomen des Medienwechsels beschreibt Rajewsky den Prozess der Transformation eines “medienspezifisch fixierten Prä>textes< bzw. >Text<subtstrats in ein anderes Medium” (ebd.: 16). Als klassisches Beispiel hierfür gilt die Literaturverfilmung. Im Gegensatz zur Transmedialität ist hier das intermediale Phänomen nicht medienunspezifisch. Nicht ein ‘formloser Stoff oder Inhalt’ zeigt sich in den unterschiedlichen Medien, sondern ein konkretes mediales Phänomen wird in ein anderes überführt. Intermediale Bezüge sind nach ihrem Verständnis ein Verfahren der Bedeutungskonstitution, das durch Bezug auf ein mediales Produkt oder auf ein anderes Mediensystem hergestellt werden kann (vgl. ebd.: 17). Dabei ist nur das “kontaktnehmende Objektmedium - in seiner Materialität präsent” (ebd.). Die Intermedialität stellt sich hier durch eine bedeutungsgenerierende Bezugnahme auf Elemente und/ oder Strukturen anderer Medien bzw. derer medienspezifischen Mittel her. Für Rajewsky bilden die intermedialen Bezüge den Kern der Intermedialität. Dabei stellt sich unter anderem die Frage, inwiefern in einem kontaktnehmenden Medium ein Bezugsmedium bzw. bestimmte medienspezifische Schreibweisen thematisiert werden (vgl. Rajewsky 2002: 28). Die Bezugnahme kann zum einen eine “Einzelreferenz” darstellen, bei der das mediale Produkt des kontaktnehmenden Mediums auf ein konkretes Produkt eines anderen Mediums verweist. Zum anderen ist jedoch auch eine Systemreferenz möglich, die dann gegeben ist, wenn das kontaktnehmende Medium auf das semiotische System eines anderen Mediums Bezug nimmt. Dabei ist weniger ein konkretes Prä-Produkt auszumachen als vielmehr ein Codesystem, das vom Bezugsmedium aufgenommen wird. Als Beispiel für die Einzelreferenz führt Rajewsky den Bezug innerhalb eines literarischen Textes auf einen konkreten Film an. Die Systemreferenz sei gegeben, wenn beispielsweise eine filmische Montagetechnik sich auch in einem Roman wiederfinde (vgl. ebd.: 19). Empfiehlt sich das Intermedialitätskonzept von Rajewsky durch seine bereits erwähnte Systematik und Differenziertheit, so vermeidet es beispielsweise jedoch, die Begriffe Medium, mediale Produkte, mediale Phänomene, mediale Elemente und mediale Systeme näher zu bestimmen. Es bleibt unklar, ob man diese jeweils mit dem medialen Zeichenträgern, den medialen Inhalten und den medialen Bedingtheiten bzw. Codesystemen in Verbindung bringen kann, was ich anschließend jedoch tue. Und dennoch lässt sich anhand des Begriffskonzepts und vielleicht gerade wegen dessen beschriebener Offenheit eine umfassendere Bestimmung von Intermedialität vornehmen. So werde ich anschließend die umrissenen Begriffe der Intermedialität auf die Typografie anzuwenden versuchen. Im Detail kann es jedoch zu kleinen Verschiebungen kommen. Das liegt u.a. daran, dass zwar die Stefan Meier 74 interdisziplinäre Verwendbarkeit der Begrifflichkeiten angestrebt ist, dass Rajewsky jedoch in den zur Veranschaulichung dienenden Beispielen weiterhin im Gebiet der Literaturwissenschaft verbleibt. So lässt sich eine entsprechend modifizierende Adaptation auf andere mediale Kommunikationsformen nicht vermeiden, was jedoch auch im Sinne der Autorin sein kann. 6. Typografie und Intermedialität (Konklusion) Ich habe oben Typografie als abstrakte Form-Konfiguration bzw. sozialen Stil beschrieben. Unter Anwendung des Begriffskonzepts von Rajewsky lässt sich Typografie somit zunächst in den Bereich der Transmedialität einordnen. Denn die einzelnen Schriftfamilien zeigen sich in den unterschiedlichen Medien je nach deren Bedingtheiten und kommunikativen Funktionen unabhängig von einem konkreten, kontaktgebenden Ursprungsmedium. Erscheint beispielsweise der Titel der FAZ in Frakturschrift, was ich oben als Ausdruck einer wertkonservativen Identität beschrieben habe, so lässt sich diese Bedeutungskonstruktion in der situativen Rezeption jedoch nicht auf einen konkreten Ursprung zurückführen. Auch die Verwendung der gleichen Schriftfamilie in den jugendkulturellen Spielarten des Gothics, des Metals und des Rechtsextremismus mögen sich zwar auf ähnliche mythisch-germanische Motive berufen. Ein konkretes Medium, das solche Mythen in dieser Schriftform transportiert hat, lässt sich jedoch nicht ermitteln. Vielmehr scheint hier das medienübergreifende Element in einer ähnlichen Ästhetik (vgl. Rajewsky 2002: 13) zu bestehen, die je nach medialer Kontextualisierung und kommunikativem Anlass ganz eigene bedeutungsgenerierende Funktionen, sprich Zeichenhaftigkeit erlangt. Bestimmte typografische Formkonfigurationen werden so zu Wanderphänomen, die in ihrer ähnlichen Formästhetik zwar an andere mediale Präsentationsbereiche erinnern, diese jedoch nicht konkret in das aktuelle Kommunikat bedeutungskonstituierend einbeziehen. Als intramedial kann typografische Gestaltung gelten, wenn man sich die oben beschriebene Konventionalität in der Wahl und Anordnung medienspezifischer Schriftformen nach Maßgabe der Lesbarkeit und hinsichtlich bestimmter kommunikativer Funktionen vergegenwärtigt. Diese sehe ich auf mikro-, meso-, makro- und paratypografischer Ebene verwirklicht. So hat sich in Onlinemedien die Verwendung von serifenloser Mikrotypografie durchgesetzt, die wegen der geringeren Auflösung von Bildschirmtexten eine bessere Lesbarkeit gewährleistet, während im Buchdruck noch vermehrt die hier als gut lesbar geltenden Serifenschriften anzutreffen sind. Im Zeitungsbereich zeigt sich bereits vereinzelt auch eine verstärkte intermediale Aufnahme von serifenloser Schrift. Hier mögen ästhetische Kriterien eine Rolle spielen, die das Printprodukt gestalterisch in die Nähe der Neuen Medien rücken und so Modernität und Dynamik der Publikation signalisieren sollen. Die im Onlinebereich als gut lesbar geltende Schrift bekommt in ihrer Anwendung im Printbereich somit eine weitere konnotative Bedeutungskomponente. Hier mag sich ein sozialer Stil ausbilden, der auf eine innovative und zukunftorientierte Einstellung verweisen soll. Sollte eine solche Typografieverwendung für den Printbereich weiter konventionalisiert werden, so hätten wir damit wiederum ein intramediales Phänomen vorliegen, das entsprechende Auswirkungen für denn konnotativen Bereich hätte. Eine angedeutete Modernität würde möglicherweise nicht mehr mit dem serifenlosen Schriftbild assoziiert werden. Auf mesotypografischer Ebene lässt sich zunächst aus technischen Gründen in Onlinemedien vermehrt die Verwendung von Flattersatz feststellen, während im Buchdruck der “Vom Stil zum style” 75 schlichte und harmonische Blocksatz geradezu obligatorisch zu sein scheint. Beide Phänomene würden somit der Intramedialität angehören. Sie erscheinen auch als visuelle Phänomene eng mit dem Medium verbunden zu sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Spaltensatz für die Zeitungsmedien. Dieser medienbezogene Satz im Zusammenspiel mit makrotypografischen Layoutkonventionen einer Zeitung macht dieses Medium bereits am Kiosk mit einem flüchtigen Blick identifizierbar. Allerdings gibt es auch auf mesotypografischer Ebene von den genannten Konventionen abweichende Spielarten. Mit der Aufnahme von Flatterbzw. Spaltensatz im Buchmedium beispielsweise kann durchaus bewusst Unkonventionalität markiert werden. Diese Verwendung finden wir häufiger in Ausstellungskatalogen, die damit typografisch möglicherweise eine gewisse Kreativität und so eine engere Verbindung zu ihrem ästhetischen Gegenstand signalisieren sollen. Auf der makrotypografischen Ebene lässt sich in mehreren medialen Bereichen intramediale Konventionalität erkennen. Als erstes sei hier das WorldWideWeb zu nennen. Webseiten, die im amerikanischen und europäischen Raum entstanden sind, weisen oftmals das bereits oben beschriebene Dreipanel-Layout auf, das sich aus den Identifikationsbereich am Kopfende, dem Navigationsbereich auf der linken Seite und dem Contentbereich im Zentrum der Seiten zusammensetzt. Gerade Webseiten, die über Datenbanken generiert bzw. mit einem Content-Management-System (CMS) gepflegt werden, zeigen diese kastenförmige Struktur. Spielarten wie zentrierte oder offenere Layoutformen unterliegen meist besonderen kommunikativen Funktionen. Hier mag ebenfalls eine gestalterische Freiheit als Signal für Kreativität und Unkonventionalität eingesetzt worden sein. Solche Layouts finden wir dementsprechend häufig in Imageauftritten von (Web)Agenturen. Oder es kann gegenteilig durch die Unkonventionalität der Seiten auch eine Art Unvermögen in der webdesignerischen Gestaltung zum Ausdruck gelangen. Im Printbereich lassen sich ebenfalls intramediale Layoutstandards feststellen. Gerade die Zeitungsmedien verfügen fast ausschließlich über einen Identifikationsbereich am Kopfende der Titelseite. Zusammenhängende Artikel sind durch Weißflächen voneinander getrennt. Zuweilen helfen Linien und Kästen bei der weiteren optischen Strukturierung der Seiten. Überschriften der Artikel sind meist in größerer und fetter Typografie verfasst und über die Fließtexte positioniert etc. Auf paratypografischer Ebene ist Intramedialität verwirklicht, da sich hier die einheitlichen Materialitäten des Einzelmediums als Zeichenträger sowie deren besondere Form- und Farbvarianzen beschreiben lassen. Beispielhaft ist hierfür im Printbereich die konventionelle Verwendung von Papierarten zu nennen. Während Zeitschriften und Illustrierte für gewöhnlich auf feinem Hochglanzpapier gedrückt sind, damit die Farbintensität der Fotos unterstützt wird, erscheinen Tageszeitungen auf grobfaserigem Papier, das in der Produktion und Anschaffung erheblich günstiger ist. Auf makrotypografischer Ebene lassen sich außerdem Elemente aufführen, die nach Rajewsky dem Bereich der Medienkombination zugeordnet werden können. Damit wird deutlich, dass ihr Begriffskonzept zwar eine Systematisierung ermöglicht, dass jedoch einzelne mediale Phänomene durchaus mehreren Kategorien angehören. Denn, während die Bereiche der Transmedialität und Intramedialität vom Bereich der Intermedialität nach Rajewsky getrennt vorzustellen sind, ordnet sich die Medienkombination eigentlich als Unterkategorie in den Bereich der Intermedialität ein. Makrotypografische Gestaltung betrifft meiner Meinung nach jedoch auch diese Unterkategorie. So lassen sich im Layout von Printsowie Onlinemedien häufig mindestens zwei distinkt wahrnehmbare Medien als unterschiedliche Codesysteme ermitteln. Die inhärenten Bild-Text-Kombinationen stellen Beispiele des Medienwechsels dar, ähnlich wie Rajewsky es für den Fotoroman oder den Film Stefan Meier 76 veranschlagt (vgl. Rajewsky 2002: 13). Allerdings gilt es zu bedenken, dass diese Zuordnung nur unter der Prämisse legitim ist, Texte nicht nur als Bilder zu verstehen, sondern wie bereits angedeutet, hierfür unterschiedliche Codesysteme zu veranschlagen. Oben habe ich zwar die Bildhaftigkeit von Text anhand seiner Typografie plausibel zu machen versucht. Als multimodales Phänomen ist ihm natürlich umgekehrt auch das sprachliche Codesystem inhärent, so dass wir bei einer Bild-Sprache-Korrespondenz durchaus von einem Semioseprozess ausgehen können, der auf einer Medienkombination beruht. Das Zusammenspiel dieser beiden Codesysteme generiert die Bedeutung des Gesamtkommunikats auf makrotypografischer Ebene. Zum Schluss möchte ich noch auf mögliche intermediale Bezüge eingehen, die ich ebenfalls mit typografischer Gestaltung realisiert sehe. Für den hier behandelten Zusammenhang scheint insbesondere das intermediale Prinzip der oben beschriebenen Systemreferenz als intermediale Bezugnahme relevant zu sein (vgl., ebd.: 79ff). Ich habe in den vorherigen Abschnitten Typografie ausführlich als ein eigenes Zeichenbzw. semiotisches System samt spezifisch bedeutungsgenerierender Codes beschrieben. Damit sehe ich in besonderen Typografieverwendungen auch das Kriterium der Systemreferenz gegeben, das auf ein Bezugsmedium verweist, indem ein kontaktnehmendes Medium auf das entsprechende semiotische System des Bezugsmediums referiert. Zwar kann Typografiegebrauch als sozialer Stil nicht auch als Medium gelten, allerdings lässt sich die oben beschriebene Verweispraxis mittels Typografie als ein semiotisches System verstehen, das gerade im jugendkulturellen Bereich milieuspezifische Ausdrucksformen ausgebildet hat. Ihre einheitliche Präsentation auf CD-Covern, Plakaten, Flyern, Webseiten etc. transportiert meines Erachtens nicht nur eine medienunspezifische Ästhetik, die dem Transmedialen zuzuordnen wäre, sondern sie verweist auf kulturelle Identität, die mit der spezifischen Szene, einem spezifischen Lebensstil etc. in enger Verbindung steht. Die Präsentation solcher zeichenhaft eingesetzten Typografie ist eine visuelle Anspielung auf diese Stile. Sie ist dabei nicht unbedingt medienspezifisch umgesetzt, wie es für den Bereich der Transmedialität wesenhaft wäre. Denn ich habe oben im Zusammenhang einer identitätsstiftenden Verwendung von Typografie dargestellt, dass häufig nicht eine medienspezifische gute Lesbarkeit von Schrift für ihre Auswahl entscheidend sein muss, sondern persönliche Ästhetikkriterien des Produzenten wirksam sein können oder ein bewusst gewähltes Identitätssignal bzw. Identifikationsangebot vorgenommen werden kann. So verhält es sich beispielsweise bei der Aufnahme von Graffiti-Typo auf einer HipHop-CD. Hier wird typografisch auf die Straßenkunst angespielt, die ebenso wie die Musik als Bestandteil der HipHop-Kultur gilt. Mit der Aufnahme des Codesystems des Graffitos wird auch die Verortung des Musikstils dieser CD in der HipHop- Kultur signalisiert. Hier liegt meines Erachtens ein intermedialer Bezug vor, da der Verweis auf das Codesystem der Grafitti-Kunst die Bedeutung des multimodalen Titeltextes der CD mitkonstituiert. Auch ein in Techno-Typo verfasster Flyer unterliegt ähnlicher Verweisfunktion. Er zeigt typografisch seine Verbundenheit mit dem sprachlich angekündigten Musikevent an. So stellen sich über die abstrakte Form-Konfiguration der verwendeten Schrifttypen, die als Ausdrucksformen sozialen Stils gelten und eigenen Codesystemen unterliegen, auch intermediale Bezüge her, die im Zusammenwirken mit dem individuellen kommunikativen Anlass zur Bedeutungskonstruktion des Kommunikats beitragen. “Vom Stil zum style” 77 Literatur Androutsopoulos, Jannis 2005: Typography as a resource of media style: cases from music youth culture, http: / / www.archetype.de/ texte/ 2003/ Typography-as-Style-Resource.pdf, 15.08.2005 Böhringer, Joachim u.a. 2000: Kompendium der Mediengestaltung für Digital- und Printmedien, 2. überarbeitete und erweiterte Aufl., Berlin, Heidelberg u.a.: Springer Eco, Umberto 1991: Semiotik, Entwurf einer Theorie der Zeichen, 2. korrigierte Aufl., Originalaufl. 1976, 1. dt. Aufl. 1987, München: Wilhelm Fink Verlag Fix, Ulla u.a. unter Mitarbeit von Geier, Ruth 2002: Textstilistik und Stilistik für Einsteiger. 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