Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2006
291-3
Semiotik der Behauptung - Ist Behaupten ein universaler Stil in, außerhalb oder zwischen Medien?
91
2006
Ulf Harendarski
Anhand der Behauptung soll exemplarisch gezeigt werden, wann es sinnvoll ist, semantische und pragmatische Einsichten des sprachtheoretischen und sprachanalytischen Denkens auf Medienanalysen zu übertragen. Zugleich wird danach gefragt, welchen Einsichten bekannte Begriffe unterworfen sind, wenn die Analyse komplexer Mediensituationen auf sie zurückstrahlt. Am Klassiker der Sprechakttheorie von John R. Searle wird gezeigt, inwiefern dessen gesamte Konstruktion stark vom Begriff der Sprecherintention und der damit verbundenen Regelbefolgung abhängt, damit wirken kann, was Searle "illocutionary force" nennt. Diese erscheint nur eingeschränkt für Medienanalysen geeignet. Das zentrale Argument meines Beitrags resultiert aus der Ansicht, dass es keine Kraft (force) sein kann, dem Bild nach wäre diese zu kommunizieren, sondern der Zwang (Zweiheit) zu folgern, mit dem die Rezeptionsseite konfrontiert ist. Das macht den Kern der Behauptung aus, so die These. Vorbereitet wird eine semantisch und pragmatisch orientierte Erhellung des konstruktiven Potentials medialer Zeichenäußerungen mit Hilfe des Inferentialismus Robert B. Brandoms.
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Semiotik der Behauptung: Ist Behaupten ein universaler Stil in, außerhalb oder zwischen Medien? Ulf Harendarski Anhand der Behauptung soll exemplarisch gezeigt werden, wann es sinnvoll ist, semantische und pragmatische Einsichten des sprachtheoretischen und sprachanalytischen Denkens auf Medienanalysen zu übertragen. Zugleich wird danach gefragt, welchen Einsichten bekannte Begriffe unterworfen sind, wenn die Analyse komplexer Mediensituationen auf sie zurückstrahlt. Am Klassiker der Sprechakttheorie von John R. Searle wird gezeigt, inwiefern dessen gesamte Konstruktion stark vom Begriff der Sprecherintention und der damit verbundenen Regelbefolgung abhängt, damit wirken kann, was Searle ‘’illocutionary force’‘ nennt. Diese erscheint nur eingeschränkt für Medienanalysen geeignet. Das zentrale Argument meines Beitrags resultiert aus der Ansicht, dass es keine Kraft (force) sein kann, dem Bild nach wäre diese zu kommunizieren, sondern der Zwang (Zweitheit) zu folgern, mit dem die Rezeptionsseite konfrontiert ist. Das macht den Kern der Behauptung aus, so die These. Vorbereitet wird eine semantisch und pragmatisch orientierte Erhellung des konstruktiven Potentials medialer Zeichenäußerungen mit Hilfe des Inferentialismus Robert B. Brandoms. Using assertion as illustration this paper is an attempt at trying to show under which circumstances it is useful to adopt semantic and pragmatic ideas of linguistic and analytic knowledge for media analysis. An additional case in point is in what way the analysis of complex media settings would then enlighten the concepts themselves. With reference to John R. Searle’s classic Speech Acts it will be shown that his entire construction focusses predominantly on the concept of speaker intention which depends on obeying set rules in order to make his so called ‘illocutionary force’ effective. However, this approach proves to be rather unsuitable for media analysis. My central argument results from my insight that there is no force that could be communicated but only a force in the sense of compulsory (secondness) inference with which the addressee is being confronted. According to my thesis this precisely is the core of assertions. I am working on the elucidation of the constructive potentials within the media discourse along semantic and pragmatic lines and with the aid of Robert. B. Brandom’s inferentialism. “Man kann aber in keiner nicht-intentionalen Relation - etwa Treten - zu etwas Nichtexistentem stehen.” (Robert B. Brandom 2002: 385) Verstehen “wir”, versteht die Semiotik, versteht die Linguistik, wie oder warum Sprache in den Massenmedien 1 konstruktiv funktioniert oder ob diese Sprache überhaupt besonders ist? Wahrscheinlich würden die meisten WissenschaftlerInnen medienreif und wahrheitsgemäß antworten: “Wir arbeiten daran.” Die folgenden Überlegungen sind Arbeit an genau jenem Problem, wie Sprache konstruiert. Wenn es in der Weise semiotisch angegangen wird, wie ich es gern tun möchte, so dass die Kategorien Peirce’ den Ansatz gebähren, dann ist die Feststellung eindeutig: Das konstruktive Element der Medien ist sprachlich nichts Besonderes, es lässt sich für jede Behauptung gleichermaßen zeigen, sofern ihr Spezifikum K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 29 (2006) No. 1 - 3 Gunter Narr Verlag Tübingen Ulf Harendarski 96 kategorial erfasst wird. Rahmen und Situation von Äußerungen sind in verschiedenen Medien jeweils recht unterschiedlich und es setzt vor Schwierigkeiten, wenn z.B. die Ereignisse in Talkshows als Dialoge untersucht werden sollen. Auch diese wirklichen oder vermeintlichen Dialoge sind zunächst offensichtlich “Verständigung vor Publikum über Sachverhalte” (Hess-Lüttich 1997: 292), gleichwohl seien diese aber so heterogen, dass Dialogforschung mit dem Ziel der Taxonomierung problmatisch erscheine. Aufgrund von - gewissermaßen - konzentrischen Kreisen der Adressaten (Partner, Gesprächskreis, Publikum usw.) vollführe ein Sprecher mit einer Äußerung mehrere, an verschiedene Adressaten gerichtete Akte zugleich (ebd.: 291). Während Hess-Lüttich mit seiner Feststellung Dialogsorten anvisiert, möchte ich gern ähnliche Hürden auf Sprecherseite zeigen. Es wäre kaum möglich noch sinnvoll, Hess-Lüttichs treffende Beobachtung anzuzweifeln, aber ihre Konsequenzen sind doch erheblich. Schwierig ist es nämlich zu sagen, wie ein fiktiver Sprecher, der sich allein aus dem konstituierte, was die Sprechakttheorie taxonomisch beschrieben hat, das bewerkstelligen soll, was reale Sprecher offenbar können oder wenigstens versuchen: gerichtet an mehrere Andere zugleich sprechhandeln. Er hätte überaus große Schwierigkeiten hinsichtlich seiner Intentionen, die der Theorie nach maßgeblich für das Gelingen von Sprechakten sind, überhaupt sein eigenes Verhalten noch als Handlung zu verstehen. Die Sprechakttheorie spendet Rationalität, durch sie wird Sprechhandeln rational beleuchtet, indem sie aufgrund der Regelbefolgung durch Sprecher in die Lage versetzt wird, diese abstrakt als intendiert, intentional und gelingend oder misslingend zu erfassen. Da aber die kanonische Schrift Speech Acts (Searle 1971) 2 festlegt, dass von Handlungsintention, Regelbefolgung und dem Gelingen des Aktes im Zusammenspiel mit einem Hörer die Bedeutung eines Sprechaktes abhängt, müsste unsere erfundene, rein aus Sprechakttheorie bestehende Person Rechenschaft ablegen können, was sie mit einer Äußerung in der Mediensituation gemeint habe, da man laut Searle “alles, was man meinen kann, auch sagen kann” (Searle 1971: 32). Denn wenn sie weiß, wie sie den Regeln gemäß handelt, dann kann sie prinzipiell auch darüber sprechen, dass sie es tut. Diese ideale Sprecherperson kann ihr Handeln explizieren. Aber sie kann auch “mehr meinen, als [sie, U.H.] wirklich sagt” (ebd.). Sie müsste im vorliegenden Fall über all die verschiedenen, zugleich ausgeführten Sprechakte Rechenschaft ablegen können, was ein solches, rein taxierendes Wesen womöglich in den Wahnsinn treiben würde. Vielleicht ist diese Folgerung zu drastisch, ich möchte lediglich zeigen, dass die gespendete Rationalität der Sprechakttheorie hier bereits an kaum überwindliche Grenzen stößt. Aber, bei all dem darf nicht übersehen werden, dass doch soeben ein rettender Ausweg angedeutet wurde, auch die Rede in den Medien ist Ausdruck von Sachverhalten und insofern also semantisch gehaltvoll. Es könnte folglich durchaus ein guter Weg sein, das sprechakttheoretische Wesen von seiner Pflicht der Taxonomierung aufgund seines intentionalen Verhaltens zu befreien und statt dessen zu schauen, wie der mediale Rahmen bestimmt, in welcher Weise mögliche Inferenzen auf Rezipientenseite zu einem Verstehen führen. Womöglich zeigte solch eine Herangehensweise, dass der in einen fest gefügten medialen Rahmen gesetzte Sprecher in vielfacher Hinsicht kein Verfüger über eine subjektgebundene, so gesehen zunächst singuläre Intentionalität mehr ist, sondern dass der mediale Rahmen zu Verschiebungen führt, die noch über Hess-Lüttichs Diagnose sich überlagernder Akte in einer einzigen Äußerung hinausgingen. Es sei nicht nur die Bedeutung eines Satzes allein, die die Art des Sprechaktes bestimme, so Searle, ein Sprecher könne auch mehr damit meinen. Er kann somit die Bedeutung des Satzes intendiert modellieren. Eine solche Modulation der Bedeutung ist ein zwischen Sprecher und Hörer gelingender Sprechakt, dessen modulierter propositionaler Gehalt nunmehr als propositionaler Teilakt verstanden wird. Ist aber vorausgesetzt, ohne Semiotik der Behauptung 97 diesem Ansatz seine Berechtigung absprechen zu wollen, dass auch Hörer mehr verstehen können, als Sprecher meinen, so muss daraus im medialen Zusammhang keineswegs folgen, dass die Rezeption bodenlos ist. Wird der semantische Aspekt von Äußerungen ins Blickfeld gerückt, ist es sinnvoll, sich zunächst mit einfachen Aussagen zu befassen und sprachlich komplexere Gebilde einer späteren, größeren Untersuchung zu überlassen. Insofern via Medien Gehalte evoziert werden, wirken sie also konstruktiv. Zunächst sei der Stand der Erkenntnis rudimentär erzählt, um schließlich einen kurzen Einblick in eine mögliche semiotisch-semantische Herangehensweise zu geben, die dann zu Ergebnissen führen wird, die sich deutlich vom Kanon der Sprechakttheorie unterscheiden, weil das dialogische Standardmodell zum Zweck der Analyse zugunsten eines Modells abgelöst werden sollte, das bereits die relativ kleinen Zeicheneinheiten Behauptungen hinsichtlich bestimmter struktureller Eigenschaften gleichsam als Text begreift. Diese Struktur wird weiter unten dargestellt, während die Darstellung aber das Oberflächenphänomen Text überschreitet und die propositionale Struktur mit erfasst. Der Vorschlag wird einen Ansatz liefern, wie das zentrale Kriterium einer Behauptung per Kategorienanalyse zu fassen ist und damit von der Sprache ausgehend auch auf bildliche Zeichensequenzen übertragen werden kann. Das führt zur wichtigsten Frage für den hiermit eröffneten Ansatz: Was setzt eine Behauptung für eine generelle oder für eine bestimmte Rezeption, was muss diese im Falle einer Behauptung besonderes leisten? Immer wird ein gewichtiger Anteil der Leistung in Inferenzen bestehen. 1. Das Interesse an Behauptungen Insbesondere soziologische Antworten auf die Frage nach der konstruktiven Kraft der Medien sind in Luhmanns Fahrwasser ebenso zahlreiche wie prägende gegeben worden, Antworten der Sprachwissenschaft erschöpfen sich nicht selten in Erfassung und Beschreibung des Neuen, wobei aber gerade die unablässige Produktion von Neuem - auch vorgeblich neuem Sprechen - altes und altbekanntes Strukturmerkmal der Massenmedien ist. Dies führt zurück zur systemtheoretischen Diagnose der operationalen Geschlossenheit von Medien, zu Thesen von der Blackbox, in die ein Beobachter nicht hinein sehen könne und dergleichen mehr. An all diesen Diskussionen vorbei möchte ich bei jenem semiotischen Kernelement der Sprache ansetzen, das erstmals das Thema Verantwortung zulässt: dem geäußerten Urteil, der Assertion (constative) oder Behauptung. Zeichenelemente unterhalb dieser Größenordnung sind mit Blick auf Verantwortung nicht diskutabel. Damit wird auf eine altehrwürdige Traditionslinie des Nachdenkens über Sprache aufgebaut, die in letzter Zeit niemand mit vergleichbarer Wirkung reanimiert hat wie Robert B. Brandom mit seinem Buch Making it Explicit von 1994. Denn sollte akzeptabel sein, dass auch in den Massenmedien ein semiotisches Grundelement Behauptung vorkommt und verwendet wird, dann greifen plötzlich alle semantischen Aspekte, mit denen Sprachphilosophie und Sprachtheorie schon seit langem beschäftigt sind. Um diese Dinge hier herauszustellen, werde ich mich auf den semantischen Begriff Intentionalität konzentrieren. Es geht ums Verfügen über semantische Gehalte, über normatives Sprachverhalten und -verstehen, um Einstellungen zum semantischen oder propositionalen Gehalt dessen, was jeweils geäußert wird und die Frage danach, ob und wie jener Gehalt zu übertragen wäre. Aber es geht nicht um das Verfügen des idealen Sprechers, sondern um inferentielle Gliederung durch begrifflichen Gehalt. Denn soviel sollte angenommen sein, Medien übertragen etwas ohne davon selbst berührt zu Ulf Harendarski 98 werden. Geradezu selbstverständlich schalten sich durch die Addition von Verantwortung und Intention aber auch all die theoretischen Elemente des Subjekts dazu, mit denen für die Analyse von Massenmedien wohl nicht mehr viel zu gewinnen ist. Die Massenmedien selbst bleiben unverändert. Die Suche nach der formal kleinsten und grammatikalisch einfachsten propositional gehaltvollen sprachlichen Ausdruckseinheit führt zum Urteil, und sofern dies ohne Personenindex (ich/ du) geäußert wird, bleibt die Konstruktion formal recht überschaubar. Die Aussage des Urteils ist insofern gehaltvoll, als durch es eine Proposition realisiert wird. Eine Aussage hat damit, könnte in einer ersten Orientierung gesagt werden, einen Inhaltsaspekt. Nun drückt das Urteil ein Verhältnis aus, kurz gesagt, einen Sachverhalt und ganz gleich, was je nach Theorie genau darunter definiert wird und wie oder ob die Bezugnahme auf Außersprachliches eine Rolle spielt, so darf abermals zur ersten Orientierung gesagt werden, dass solchen Behauptungen sogar zugeschrieben werden kann, durchaus gelegentlich Tatsachen auszudrücken. Das wird nicht immer der Fall sein, aber es kommt vor: “Das Geschäft ist geschlossen,” sagt mir jemand, während ich gerade gegen die Tür des Geschäftes drücken möchte, um anschließend einzutreten. Ich stelle fest, dass die Tür sich nicht öffnen lässt. Propositional gehaltvolle Äußerungen verbindet mit Wahrnehmungen, dass auch diese zu propositional gehaltvollem Urteil führen können. Beide unterscheiden sich, weil allein im Falle der Behauptung darauf gebaut werden kann, dass die Äußerung intendiert ist und einer Konvention folgt. Das kann gewöhnlich bei Wahrnehmungsurteilen nicht vorausgesetzt werden, weil das Wahrgenommene noch nicht die Form des Urteils hat. Aber es liegt natürlich äußerst nahe, anhand dieser beiden Ausgangspunkte die Struktur von Naturgesetzen und sprachlichen Konventionen zu vergleichen, was vielfach geschieht. Auf eine Wahrnehmung dieser Art hin kann das Urteil geäußert werden. Beide teilen dann etwas nur abstrakt zu fassendes: die Proposition. Man wird daher folgern dürfen, dass sowohl Wahrnehmungen - sofern sie in propositional gehaltvolle Äußerungen transformiert werden - als auch Behauptungen Tatsachen in Diskurse setzen können. 3 Dann können mediale Systeme wie Fernsehen, Radio oder Zeitung eben auch genau das tun: Tatsachen konstruieren, indem sie Sätze setzen. Außerdem: Wer darf eigentlich behaupten und mit welchem Resultat? Es gibt eine allgemeine Kenntnis dessen, was Behauptungen zentral ausmacht. Das zeigt sich beispielsweise am gelegentlich dem Referat, was jemand gesagt habe, nachgeschobenen Satz: “…; behauptet er (sie) zumindest.” Besonders betont wird dabei das Personalpronomen. Das, was behauptet wird, ist sehr auf Akzeptanz angwiesen. Wenn alltagssprachlich behauptet wird, dann unterbleibt die Nennung von Gründen. Andernfalls wären die Äußerungen Argumente. Behauptungen stehen für sich, vielleicht akzeptieren wir sie nicht, vielleicht unterstellen wir gute Gründe, doch was rezeptionell aus ihnen wird, liegt nicht allein in dem, was vielleicht intendiert sein mag. Wenn Kinder einander gegenüber behaupten, dann verlassen sie damit normalerweise die Spielebene und es wird ernst. Mit dem hohen Anspruch des Überzeugtseins geht es zur Sache, wer nicht einverstanden ist mit dem, was behauptet wird, behauptet etwas anderes, das mit der ersten Behauptung womöglich unversöhnlich ist. Lehrende hingegen mögen Behauptungen benutzen, um schleppend in Gang kommende Diskussionen jeweiliger Lerngruppen durch den Kitzel der Provokation in argumentative Streits zu verwandeln. Von der Wahrheit ihrer Behauptung werden sie in dem Fall nicht überzeugt sein, tun jedoch so, als ob. Semiotik der Behauptung 99 2. Semantik und Behauptung Seit einigen Jahrzehnten sind neben traditioneller Semantik weitere prominente Richtungen der Geisteswissenschaften und Philosophie mit feststellenden Sätzen oder constatives, also mit Aussagen beschäftigt. Zu nennen sind vor allem analytische Philosophie, Sprechakttheorie und linguistische Pragmatik. Die Interessenlagen sind zwar völlig unterschiedlich, doch gibt es auch einige Kreuzungspunkte. Insbesondere das Problem des Behauptens kann als alltagssprachliches ebenso wie als wissenschaftssprachliches betrachtet werden. Beide Sichtweisen eint das Streben danach, zu klären, inwieweit Behauptungen wahrheitsfunktional sind und wissenschaftlich wird natürlich die Frage nach Konsequenzen, Überprüfung, Prognose und Inferenz besonders virulent. In dem Moment, da sich das Interesse dem alltäglichen Sprechen (und Schreiben) innerhalb von Medien zuwendet, installiert sich eine scheinbar analoge Opposition zwischen Fiktivem und Bericht. Die sprachlichen Mittel beider sind allerdings identisch, so dass anhand sprachlicher Äußerung und Begriffsverwendung allein noch längst keine Entscheidung zu treffen ist, wie extensional korrekt, wahr oder erdacht das eben Gesagte wohl sein mag (vgl. Harendarski 2003). Zudem ist die Opposition fiktiv/ berichtend bei weitem zu rudimentär, es gesellen sich ihr wenigstens noch Wunsch, Möglichkeit, Notwendigkeit, Konditional und Kontrafaktizität hinzu, um ein erstes Begriffsspektrum zu bilden. Wunsch, Unbewusstes und verwandte Begriffe sind nicht eben in bevorzugter Weise Gegenstand etwa der herausragenden Vertreter analytischer Philosophie oder Sprechakttheorie gewesen. Das hat spezifische Gründe, die eng mit dem Terminus Intentionalität zusammenhängen, 4 der einen geistigen Zustand meint. Denn es ist nicht möglich, diesen intensionalen Bereich des intentionalen Zustandes mit Hilfe extensionaler und mithin deskriptiver Begrifflichkeit zu erklären. Insofern also ein deskriptiver Anspruch besteht, wird bereits Intentionalität so rätselhaft (vgl. Brandom 2002), dass nicht mehr ernsthaft über Wunsch und Unbewusstes nachgedacht werden kann, ohne in gewichtige Begründungsnot zu geraten. Intentionalität muss daher nicht als mentalistischer, sondern kann auch anders als deskriptiver Begriff verwendet werden, was sein Potential so stark erweitert, dass sogar die Intentionalität von Äußerungen oder Texten thematisierbar wird. Intentionale Zustände werden damit nicht geleugnet, aber sie stellen z.B. kein Kriterium mehr bereit, um Missverstehen zu identifizieren. Soll Mediensprachanalyse auf der Höhe der Zeit betrieben werden, dann - so meine ich - ist es dringend erforderlich, den Begriff Intentionalität als semantischen zu verwenden, ohne ihn zugleich so zu verstehen, dass er die Präsenz eines geistigen Zustandes beinhaltet, schon allein deshalb, weil Äußerung und Äußerungszeit in Medien wie Fernsehen oder Tageszeitung meist nicht identisch sein werden und weil Sprechen nicht zwingend Handlung eines bestimmbaren Subjekts sein muss, sondern innerhalb eines institutionellen Rahmens produziert, verarbeitet, verwaltet und gesetzt wird. Noch bevor Gesprochenes mithin einer Diskursformation zuzurechnen wäre, geht es aus einem institutionellen Habitus hervor. In diesem Rahmen Gesprochenes gerät in anderer Weise in die Rezeption als Äußerungen im Dialog. Bisherige sprechakttheoretische Ansätze, sofern sie sich eng den anfänglichen Ausarbeitungen John R. Searles anlehnen (1971), können nicht einfach auf mediale Analysen übertragen werden. Geschieht es aber doch, geht das zu Lasten tragender Konzepte der Sprechakttheorie selbst, so lautet meine These. Grund könnte die rigorose Festschreibung des als gültig Ulf Harendarski 100 erachteten Intentionalitätsbegriffs sein. Searle beginnt seine Untersuchung mit einer klassischen Vorstellung dessen, was er unter Proposition behandelt, den semantischen Gehalt, wie er vermittels von “dass-Sätzen” herausgestrichen werden kann. Um die Proposition von “Autos brauchen Öl” herauszustreichen, reicht die Formulierung “dass Autos Öl brauchen.” Was wie eine einfache grammatikalische Umstellung des Satzes und ein wenig tautologisch wirkt, tut bei komplexeren Satzgefügen gute Dienste und kann “identische” Gehalte unterschiedlicher Konstruktionen aufzeigen. Searle beruft sich zunächst auf einen semantischen Begriff der Proposition, bestehend aus Referenz und Prädikation, um zur Frage der Handlung hinzuarbeiten. Ein Sprecher drückt, “indem er den Satz äußert, eine Proposition aus[…]” (Searle 1971: 49). Sobald ein Sprecher mit einem Satz handelt, ihn äußert, kann er bestimmte, geregelte Indizien einsetzen, um anzuzeigen, welchen illokutionären Akt er vollzieht, wie also die Proposition aufzufassen ist. Insofern kann der Sprecher folglich aufgrund der Regeln der Sprache den propositionalen Gehalt im Zusammenspiel mit dem Hörer modulieren. Sprechakte können selbst Indizien enthalten, als welche Art von Akt sie verstanden werden sollen, was einen wesentlichen Aspekt der Intention bei Searle ausmacht (Searle 1971: 111). Diese Indizien heißen Indikatoren. Sie anzunehmen hat zu einer Klassifikation von Sprechakten geführt, weil z.B. vermittels des Verbs eine solche Signifikanz erzeugt werden kann. Wenn also ein Sprecher sich äußert, dann vermittelt eine illokutionäre Rolle (‘illocutionary force’) eine Signifikanz, wie die Proposition aufzufassen ist, welche Handlung gerade ausgeführt wird und welche Einstellung der Sprecher zum propositionalen Gehalt hat. Dies alles gilt, auch wenn Searle ständig vom Sprecher redet, auf einer abstrakten Ebene, der Ebene des Sprachsystems nämlich. Als problematisch hat sich ausgerechnet der vielleicht größte Erfolg der Theorie herausgestellt: die universale Analysewaffe der bestimmten Sprechakttypen (Repräsentative, Direktive, Kommissive, Expressive, Deklarative), weil aus ihnen eine semantische Festlegung resultiert, die in vielen Fällen nicht überzeugen konnte. Selbst Bedienungsanleitungen scheinen mit ihnen problemlos analysierbar (Göpferich 2004: 149ff.). Der Grund dafür, dass sprechakttheoretische Ansätze eben nicht einfach zur universalen Sprachanalyse auch im Bereich Medien eingesetzt werden können, scheint zunächst einfach: Das sprechakttheoretische Modell beruht auf der dialogischen Standardsituation mit deutlicher Übergewichtung des Sprechers, so dass seine Erweiterungen vor allem Überschreitungen dieses Szenarios leisten müssen. Die Frage, inwieweit dadurch aber die Ausgangskonzepte gefährdet werden, scheint weitgehend ungeklärt. Denn es sollte nicht vergessen sein, dass eine der wesentlichen Ideen der Theorie die ist, dass die volle Bedeutung eines Sprechaktes sich erst über die Äußerungssituation erschließen kann. Sprecher, rezipierende Person, Situation und Zeichensystem Sprache sind die gewichtigsten Marker zur Bestimmung und bilden gemeinsam den stets als notwendig zu denkenden Kontext. Der letztlich alles entscheidende Begriff zur Stützung der These der Sprechakttheorie, dass bestimmte Hervorbringungen sprachlicher Zeichen als kommunikative Handlung zu verstehen sind, ist Sprecherintention. Wird hingegen beispielsweise aufgrund sprachlicher Grammatikalisierung einer analysierten Äußerung in einer Bedienungsanleitung eine expressive Illokution (Sprechhandlung) konstatiert, dann geschieht dies vornehmlich aufgrund der beschreibenden Kraft von Verben, die ihre Funktion also innerhalb einer präskriptiven Beschreibungssprache wie einer Grammatik haben. Zur Identifikation eines solchen Verbs mit dem jeweiligen Illokutionstyp ist es nur noch ein kleiner Schritt, der aber nicht in jedem Fall Geltung beanspruchen kann. Searle hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass Illokution eine Eigenschaft des Sprechens ist, die zur Sprache und nicht einer Einzelsprache gehört, wenn- Semiotik der Behauptung 101 gleich sie ihre Ausführung einzelsprachlichen Konventionen verdankt (Searle 1971: 63f.). Identifikation einer Illokution mit einem Verb hingegen ist einzelsprachlich orientiert. Das Verb aufgrund etwa seiner denotativ-semantischen Bestimmbarkeit als Indiz zur analogischen Folgerung auf die Art der Sprechhandlung, der Illokution zu werten, führt also wohl nicht zu verlässlichen Ergebnissen. Zudem gehen solche Annahmen selbstverständlich vom genannten dialogischen Standard-Modell aus. Wie verändert sich darüberhinaus aber eigentlich Sprechen, wenn ein Dritter lediglich zuhört, der allerdings für den Sprecher deutlich wahrnehmbar anwesend ist, der Sprecher sich diesen Zuhörer als Autorität imaginiert, wenn der Dritte und nicht der Angesprochene überzeugt, zu Zweifeln gebracht oder beeindruckt werden soll, wenn Dritter und Angesprochener lediglich imaginiert sind, sich die Situation also vor allem durch Abwesenheiten charakterisieren lässt? Solche und ähnliche Fragen, für jede Gesprächsanalyse äußerst bedeutsam, psychoanalytisch selbstverständlich, sind sprechakttheoretisch kaum bearbeitbar, ohne kräftig an den Grundfesten der Theorie zu rütteln. Trotzdem ist wohl davon auszugehen, dass selbst eine Dialogsituation innerhalb eines Mediums wie dem Fernsehen genau durch jene komplexe Instanz des Dritten geprägt ist, dass der einfache Sprecher sich nicht an Einen richtet und möglicherweise gar nicht ins Konzept des subjektiven Sprechers einzufassen ist, weil ihm vorgesagt, vorgeschrieben wurde oder weil sein Sagen in einen begrenzten medialen Rahmen gefasst wurde, der die Sprache des Sprechers lenkt. Semiotisch könnte die Versuchung nicht größer sein, einfach auf das technologische Übertragungsmodell von Sender, Nachricht und Empfänger zurückzugehen. Es dürfte aber aus den bisherigen Ausführungen bereits deutlich geworden sein, dass darin ebenfalls keine Lösung des Problems liegt. All diese Einwände nähren Zweifel daran, ob das Konzept des handelnden, subjektiven Sprechers und seines Meinens, der im Großen und Ganzen weiß, was er tut, hier überhaupt nützlich ist. Nicht von ungefähr sind Versuche, sprechakttheoretische Engführungen auf den dialogischen Standard zu überschreiten, im Hinblick auf mediale Äußerungsweisen zu verstehen. Ob dies texttheoretische (vgl. Schröder 2003) oder rhetorische Ansätze (vgl. Ortak 2004) sind, sie eint eben dieser Blick auf Spreizung des Konzepts des Angesprochenen, was durchaus Rückwirkungen auf jenes einheitliche Konzept von Sprecher oder nunmehr Autor zeitigt und schließlich selbst die Einheit der Situation aufzulösen vermag. Den Blick gerichtet auf Medienanalysen erscheint es notwendig, über solche Diversifikationen nachzudenken. Ein guter Einstieg bietet sich durch das Performativ an. 3. Deklarativ performativ behaupten? Zwei Aspekte der Sprechakttheorie allerdings kündigen bereits von sich aus Überschreitungen der eben genannten Engführungen an: das institutionelle Tatsachen schaffende Deklarative und das Performative als die Art von Handlung, die durch ein Verb im Akt selbst indiziert wird. Aber sogar die offenkundig deklarative Äußerung des betrunkenen Butlers im Stück Dinner for One, 5 “I now declare this bazaar opened,” weist schon Merkmale auf, die belegen, wie sehr sie die vollständige Äußerungssituation zur Erfüllung ihrer deklarativen Handlung benötigt, weil sie sonst - wie im vorliegenden Fall - vielleicht ein tokening aber kein token ist. Nicht allein, dass der Sprecher selbst im aufgeführten Stück hier niemals das Recht hatte, ein derartiges Deklarativ mit Konsequenz der Instantiierung einer entsprechenden institutionellen Tatsache zu schaffen, völlig betrunken schlüpft er bloß in die Rolle Ulf Harendarski 102 desjenigen, der vor vielen Jahren einmal jenes Recht besaß. Ein Versuch, diese Verschiebungen rein sprachlich aufzudecken erzeugt erhebliche Probleme, während zeichenkundige Beobachter der Situation ohne Umschweife erkennen können, dass wohl kein Basar eröffnet sein wird, dass der Sprecher lediglich die Theaterrolle desjenigen spielt, der die Rolle spielt und dass hier keine Situation vorliegt, in der es zur Schaffung der entsprechenden institutionellen Tatsache kommen könnte. Derrida hat nun gerade diesen Aspekt als Ermöglichungsbedingung bestimmter Sprechakte gewertet: sie sind iterier- und zitierbar und sie könnten fingiert sein. Ich bin nicht sicher, ob dem zugestimmt werden sollte. Ohne Zweifel aber bestehen solche Möglichkeiten und sie werden nicht in allen denkbaren Fällen als Zitat oder ironische Brechung etc. erkannt. Wieder einmal schaltet sich hier die Rolle der Rezeption als bedeutsam ein. Am Beispiel der fiktionalen Situation ist gut zu erkennen, inwieweit insbesondere Aufspreizungen der Intentionalität auch zu Aufspreizungen dessen führen, was als Gehalt des Gesagten erkannt werden könnte (vgl. Derrida 1972: 38ff.). 6 Ganz ähnlich finden sich Aufspreizungen der Intentionalität wie gesagt auch in medialen Äußerungen, z.B. sobald beabsichtigt deklarative Äußerungen in medialen Zusammenhängen gemacht werden. Es kommt ebenfalls zu spezifischen Aufspreizungen der Einheit der Situation. “Ich fordere sie auf, im nächsten Monat 12 Stunden mehr zu arbeiten.” Wird allein von der Konstruktion ausgehend und der lexikalischen Verbsemantik die Qualität des Sprechaktes bewertet, dann indiziert dies eine Interpretation, die den Akt maßgeblich als Bericht des Sprechers über dessen eigenes Sprechverhalten wertet. Dieser Bericht sagte dann ausdrücklich, in welche Art von Handlung der Nachsatz eingebettet ist. Das kulturwissenschaftliche Interesse auch am Performativ der Sprechakttheorie wird dadurch verständlich, denn es bedürfte gar keiner genauen Situationskenntnis mehr, keiner genauen Analyse der Sprecherabsichten. Das Verb zeigte genug, es wird zum Zeichen für den Akt. Dass dieser Satz im deklarativen Verständnis direktive Aspekte des reinen Aufforderns überschreitet, ergibt sich bereits aus der konventionellen Bedeutung des Verbs. Sollte das Verb die Art der Handlung also anzeigen, dann brauchten wir auch keine derart ausgeweitete Kenntnis der Äußerungsumstände, Sprecherabsichten und -ansprüche, es reichte, sich an der illokutiven Kraft des Verbs zu orientieren, die aus dessen lexikalischer Bedeutung erwüchse, Schrift und gesprochenes Wort wären überdies mit denselben Mitteln zu analysieren, Mitteln, die auf einer Art Hochrechnung der erfüllten Situation beruhten. Eine derartige Analyse unterliegt der Identifikation der Konventionen der eigenen, von den Analysierenden gesprochenen Einzelsprache mit universalen Prinzipien von Sprachen und Zeichensystemen anderer Art. Es schaltet sich eine semiotische Ebene ein, die das Verb zum Indexzeichen, zur Anzeige des Sprechaktes machte, wenn eine Konvention dies festlegte, was durchaus nicht erwiesen ist. In der Geschichte der Sprechakttheorie war nicht immer eindeutig, in welchem Verhältnis performative Verben und Behauptung stehen (vgl. Levinson 3 2000: 255ff.). 7 Die Verben scheinen auf den ersten flüchtigen Blick die Art der Handlung selbst auf die Bühne zu bringen, die Handlung aufzuführen. Schnell gerät aber in zirkuläre Formulierungen, wer zeigen möchte, dass mit “ich behaupte” zugleich ein Akt des Behauptens vollzogen werde, denn schließlich behaupte ich lediglich, zu behaupten, dass ich behaupte, …,. Performative Verben sollen darüber hinaus zwei Funktionen erfüllen: die Illokution bezeichnen und das innerhalb eines Sprechaktes selbst in dem Moment der Äußerung tun. Zwar lässt sich mit Hilfe performativer Verben gut dafür argumentieren, dass sprachliche Äußerungen Handlungen sind und auch der illokutionäre Aspekt ist gut zu beschreiben, aber ob sie zugleich Semiotik der Behauptung 103 und im selben Atemzug die gerade mit ihnen vollzogene Handlung bezeichnen, gilt als höchst problematisch. Meiner Ansicht nach funktioniert das mindestens im Falle des Behauptens nicht: zu sagen, man behaupte und zugleich den Gehalt des Satzes (seine Proposition) wirklich zu behaupten. In diesem Fall kann das Verb nicht als denotativ codierter Indikator dafür herhalten, wie der Sprechakt verstanden werden soll. Andernfalls wäre das Verb semiotisch als Index dafür zu werten, dass die Proposition in der Weise zu modulieren ist, sie nicht zu modulieren. Dieser Einwand wird sich aus der untenstehenden kurzen Analyse heraus bald besser begründen lassen. Überhaupt scheint eine weitere wichtige Frage, die mit diesem Problem zusammenhängt, noch weitgehend ungeklärt, wie nämlich eine pragmatische Funktion von Verben und ihre präskriptive Beschreibungsfunktion zusammenhängen, ja ob sie das überhaupt tun. Ist überhaupt möglich, am performativen Verb den Akttyp einer Sprechhandlung selbst festzumachen oder liegt ihr Vorzug allein in adäquater, aber nachträglicher Beschreibung oder Bezeichnung der Illokution? Breiter Konsens scheint zunächst dafür zu votieren, den Illokutionsverben volle performative Funktion zuzuschreiben, wenn aber davon gesprochen wird, wie es mit Verben möglich sei, dass sie performativ funktionieren, dann, so heißt es normalerweise, bezeichnen oder indizieren sie. Also entweder wird durch sie auf die jeweilige Handlung selbst Bezug genommen oder aber sie fungieren semiotisch auf einer zusätzlichen Ebene. Sobald jedoch erkannt ist, dass dieser Index und tatsächliche Illokution sich nicht decken müssen, resultiert daraus die Erkenntnis, dass ein weiteres Kriterium zur Erfassung der Illokution her muss, um die Differenz überhaupt kennzeichnen zu können. Eine solche Auffassung nennt Frank Liedtke (1998: 191ff.) eine “Intuition”, die performative Äußerungen aufgrund ihrer “Deklarativ-Form” als Behauptung “über das eigene Sprechverhalten interpretierbar macht.” Jede performative Äußerung wäre also und in Bezug auf den jeweiligen Akt selbst neben anderem auch immer eine Behauptung über sich selbst. Das sei eine “reportative Leseart” (191) und die weist er mit bedeutenden Argumenten zurück, Argumenten allerdings, die ohne enge Anbindung an das Sprecherkonzept keine Gültigkeit von vergleichbarer Tragweite mehr beanspruchen können. Berichtend oder reportativ titelt er eine solche Lesart, weil der durch das Verb vermeintlich oder wirklich indizierte Akt im engeren Sinne nicht mehr als Hauptsache gesehen wird, sondern das, was über den Akt in der deklarativen Performanz selbst gesagt wird. Dem stellt er als Hauptkriterium die Sprecherintention gegenüber. Was der Sprecher beabsichtige, sei als primäres Kriterium zur Indizierung der Illokution des Sprechaktes zu werten. Solange er sich in erster Linie um Illokutionen kümmert, ist das stichhaltig. Um die unterschiedlichen Erfolgsbedingungen darstellen zu können, müssen wir auf den Begriff der primären kommunikativen Intention des Sprechers zurückgreifen; gemeint ist die Intention, um deren willen wir Sprechakte überhaupt ausführen, ihr Sinn und Zweck also. Die primäre Intention einer Bitte ist erfüllt - die Bitte selbst also erfolgreich geäußert -, wenn der Adressat die erbetene Handlung ausführt (oder zumindest die Absicht ausbildet, sie auszuführen). Die primäre Intention einer Behauptung ist erfüllt, wenn der Adressat dem Sprecher glaubt, daß die ausgedrückte Proposition wahr ist. […] Wenn man jemanden bittet, zu kommen, dann gibt man sich nicht damit zufrieden, daß der Andere dies als Behauptung versteht und es glaubt. Dies zeigt aber, daß auch auf der Ebene der primären kommunikativen Intention, ein Typenunterschied zwischen dem Performativ und dem Report besteht, der es nicht gestattet, Ersteren auf Letzteren zu reduzieren (Liedtke 1998: 193). Ulf Harendarski 104 Pragmatisch zählt er als das wichtigste Kriterium zur Analyse der Sprechhandlung den illokutionären Effekt als Resultat von Sprechhandlungen, was eben jenen Effekt meint, der darin besteht, dass die Handlungsintention in der Rezeption voll umgesetzt wird, ohne dass allerdings dazu der Bewirkungsversuch, den anderen zu bewegen, X zu tun, zugleich erfolgreich sein müsste. Aus dieser Sicht wäre die reportative Lesart ein Zusatz, weil Liedtke einer Unterscheidung folgt, die bereits Searle gemacht hat, indem er performative Äußerungen als Subklasse von deklarativen versteht. Noch zusätzlich die Sprechaktregeln berücksichtigend, wird schnell deutlich, dass der Effekt des Bittens z.B. im Verb angesiedelt werden muss: bitten, fragen, auffordern haben als Eingangszug regelhaft bestimmte Handlungen zur Folge. Denn zu fragen beispielsweise, erfordert normalerweise eine Antwort. Hier kommt ein weiteres Kriterium ins Spiel, das der Aufrichtigkeit, das sehr problematisch wird, wenn wir annehmen wollen, dass Sprecher innerhalb medialer Zusammenhänge mit einer Äußerung mehrere Akte zugleich ausführen wollen. Das Spezifische am Phänomen der Performativität ist, daß die Performativitätslesart und die reportative Lesart jeweils mit der Äußerung ein und desselben Satzes realisiert werden können, Fälle, in denen die reportative Lesart relevant wird, sind geläufig: Sie umfassen Ankündigungen, Absprachen für eine Inszenierung (auf der Bühne oder im täglichen Leben), Beschreibungen von Gewohnheiten etc. [M]it der reportativen Lesart [beschreibt man] nicht das Handlungsresultat, sondern den Handlungsverlauf des Sprechakts. 8 Wenn wir hier nach den Gelingensbedingungen fragen, dann fragen wir nicht danach, ob eine Bitte ergangen ist, sondern danach, ob die Behauptung, eine Bitte werde geäußert, aufgestellt worden ist, wir fragen also, ob der illokutionäre Effekt des Sprechakts der Behauptung eingetreten ist (Liedtke 1998: 192; Hervorh. im Orig.). Jetzt wird Liedtkes Unterscheidung zwischen dem Akt (Illokution, Zweck der Handlung) und der Behauptung der Handlung (hier bitten) tragend. Was er also ankündigt, ist mit der reportativen eine daran geknüpfte assertive Lesart, denn mit jedem performativen Verb in einem deklarativen Akt wäre der vermeintlich oder wirklich bezeichnete Akt behauptet. Folglich wären die meisten performativ-deklarativen Akte - wie gesagt - eben auch Behauptungen. Um gegen diese “assertive Lesart” zu argumentieren, führt er ein weiteres Kriterium an: das der Wahrheitsbedingung. Wenn ein beschreibender Satz wie der folgende wahr sein soll, dann müsse die Illokution, von der die Rede ist, gelungen sein: i) Ich bitte dich, mir eine Tasse Kaffee zu geben. i’) Die Bitte um eine Tasse Kaffee ist an B ergangen (Beispiel Liedtkes abgewandelt: ebd.: 191) B muss den Handlungscharakter Bitte verstanden haben. Liedtke votiert also dafür, Handlungsvollzüge (Handlungsresultat) und distanzierende Benennung 9 des Handlungsverlaufs zu trennen und in den allermeisten Fällen das performative Verb auch als illokutiven Indikator zu werten. Selten zeigt sich so deutlich, wie geneigt sprechakttheoretische Vorgaben machen, Beschreibung und Präsenz des intentionalen Zustands als identisch anzusehen. Ohne es als Argument deutlich zu formulieren, trennt Liedtke hier Instanzen: Auf der einen Seite stehen Sprecher/ Hörer in ihrer direkten Handlungsbeziehung, zwischen denen die Handlung geschieht, die sich am Performativ erkennen lässt. Illokutionärer Effekt und Glückenskriterien der Illokution sind maßgeblich. Auf der anderen Seite steht aber bereits als zusätzliche Instanz ein wirklicher oder imaginierter intentionaler Hörer, der idealerweise Semiotik der Behauptung 105 beide Lesarten zugleich und gleichgültig erkennen müsste und trotzdem die Tasse mit Kaffee reichte. Deutlich ist Liedtke der Ansicht, dass die reportative Lesart im Handlungsvollzug normalerweise keine Rolle spielt, obzwar sie auch von Hörerseite gelesen werden kann oder könnte. Zielgenau visiert Liedtke damit eine Widersprüchlichkeit an. All das ist nur unter der Voraussetzung zusammen zu denken, dass die Diskussion sich eigentlich auf der Ebene des Sprachsystems bewegt. Insofern aber das Intendierte, das Sollen als Kriterium herangezogen werden muss, um zu bestimmen, welcher Akt vorliegt, steht die Sprecherintention selbst für Funktionen ein, die dem theoretischen Anspruch nach eigentlich sprachlichen Regeln zukommen sollten. Sie bewirkt die Setzung eines Index-Zeichens, für einen Index aber kann ein wirklicher Sprecher im engeren Sinne nicht verantwortlich gemacht werden. Denn es ist kein Urteil und liefert keine Prämisse. Es konfrontiert die Rezeption mindestens mit Vagheit. Daher beruft sich die Theorie genau hier auf den Zusammenhang von Sprecherintention und Konvention. Semiotisch betrachtet ist das ein heikler Moment. Liedtke bemüht sich um eine “Grammatik der Illokution” und argumentiert daher eng am Textuellen der jeweiligen Äußerungen. Er zielt darauf ab, die “Funktion performativer Formeln als illokutionäre Indikatoren” zu erfassen (ebd. 1998: 193). Allerdings zeigt sich hier eine Wirkung der Engführungen der Sprechakttheorie, von denen ich oben bereits gesprochen habe. Es dürfte deutlich geworden sein, dass derartige Konzepte vielleicht noch ein Licht auf den dialogischen Standard werfen können, bis zu medialer Analyse hingegen reichen sie nicht. Liedtke muss sich vollständig auf einen beschränkten Aspekt der Intention stützen: Sinn und Zweck der Äußerung, die der Sprecher beherrscht. Demgegenüber besonders tragend ist, dass überhaupt differenziert werden kann und es müsste nach der Perspektive, aus der das geschieht gefragt werden. Denn eben die Differenz wird für jede Rezeption eines solchen Deklarativs wirksam. Theoretisch erfassbar ist sie - klingt es auch ironisch - als différance, die tatsächlich insbesondere die Einheit des Subjekts und der eindeutigen Intention auflöst. Hier ist eine différance in jenem Sinne, den Derrida herausgetrichen hat (Derrida 1972), erkennbar. Sie wirkt in der deklarativen Äußerung, die die theoretisch-präskriptive Beherrschbarkeit des geäußerten Deklarativs auflöst. Zu fragen bliebe folglich, ob sich die Rezeption ebenfalls in der von Liedtke beschriebene Weise analog zur grammatikalischen Betrachtungsart zu entscheiden hätte zwischen reportativer und performativer Lesart, oder ob nicht gerade die Differenz als entscheidend erachtet wird. Warum die Deklaration? Warum bringt eine Sprecherin die zusätzliche semiotische Ebene ins Spiel, wenn doch bloß der primär ablesbare illokutionäre Akt mitsamt der primären Intention zur Deckung gebracht wird, wie Liedtke letztlich ja vermutet? Diesem Handlungsaspekt - meine ich - ist sehr passend mit einer Theorie nachzuspüren, die sowohl Autorität (i.S.v. sozial anerkannter Kompetenz) und Akzeptanz des Sprechers auf Rezeptionsseite als auch wechselseitige Veränderungen während dialogischer Äußerungsprozesse dieser Akzeptanzen berücksichtigt. Solche sozialen Umstände haben Auswirkungen auf die jeweilige Semantik von Äußerungen, ohne dass theoretische oder wirkliche Sprecher per Intention über das Verstehen-Sollen verfügen. Soziale Position und Autoritätszuweisung spielen also eine Rolle für Sprachinterpretationen, die mithin im Wesentlichen als Schlussprozesse erkannt werden können. Zur Analyse dieser Art hat Robert B. Brandom mit der Theorie des deontischen Kontoführens (Brandom 1994: 141ff.) sehr wichtige Vorarbeiten geleistet, unternimmt von seiner philosophischen Warte aus aber den entscheidenden Schritt weiter nicht: zur Frage nämlich, ob Äußerungen in Massenmedien wie etwa Zeitung und Fernsehen womöglich generell vom Rahmen und sozialen Stellenwert zehren, den die Institution selbst Sprechern gewährt. Allerdings liegt dieser Schluss äußerst nahe, weil Brandom seine Einsichten auf den Ulf Harendarski 106 Terminus “practical commitment” (Brandom 1994: 96) gründet, der konsequenterweise nicht allein sprechergebunden sein kann. Um einen ersten Ansatz zu entwickeln, inwiefern Äußerungen Vorgaben für interpretative Inferenzen sein können, wende ich mich gleich einer Analyse einfacher Äußerungen als Behauptungen zu. Rückblickend auf das Problem der zwei möglichen Lesarten performativ-deklarativer Äußerungen möchte ich lediglich andeuten, dass institutioneller Rahmen, Sozialbeziehung sowie Vorgeschichte, die zur Deklaration geführt haben oder zu dieser autorisieren als entscheidend zu erachten sind. Setzung und damit rezeptionelle Wirksamkeit der ausgedrückten Proposition unterscheiden sich meiner Ansicht nach bei performativ-deklarativen Behauptungen und Behauptungen gravierend. Bei einer deklarativen Äußerung mit dem performativ eingesetzten Verb “behaupten” wird eine Differenz zum geäußerten Sachverhalt der folgenden Art mit gesetzt: “Behaupte ich zumindest - im Falle des Behauptens ein Index zuviel. Die schwer zurückzuweisende Auffassung Liedtkes lautet, ich wiederhole nochmals, dass das Resultat der Illokution, gekoppelt an die primäre Intention der deklarativ-performativen Äußerung zu zählen habe und daher der reportative Aspekt allenfalls den Handlungsverlauf angebe. “Ich behaupte…” zeigt also an, dass die Proposition im nachfolgend geäußerten Teilsatz als Behauptung verstanden werden soll, weil der Sprecher die Proposition z.B. für wahr hält und das eben auch anzeigt. Dass der Sprecher behauptet, zu behaupten, wäre zu vernachlässigen. Liedtke kommt daher in seiner Suche nach illokutionären Indikatoren zum Schluss, dass auch deklarativ eingesetzte performative Verben die anzeigende Funktion erfüllen und sieht schließlich in der performativ-deklarativen Äußerung tatsächlich die durch das Verb bezeichnete Handlung. Er bleibt konsequent im Rahmen der Sprechakttheorie. Die Begriffe Sprecher und Intention bleiben bei einer solch kohärenten Anwendung der Theorie die entscheidenden Bausteine, eingefasst in den Rahmen, den der Regelbegriff gewährleistet. Kann eine so abstrahierte Sprecherintention, die in regelbefolgendes Sprechverhalten eingeschrieben ist, aber wirklich die Rezeption sichern oder berechtigen? 4. Behauptung und Kraft In Gestalt der einfachen Aussage mitsamt dem durch sie thematisierbaren propositionalen Gehalt steht seit langem ein Kandidat bereit, auch solche Äußerungen, die keinerlei offenkundige wir-bezogene Indexikalien aufweisen, kein Ich, kein Du und auch kein Hier und Jetzt, dennoch als Handlungen im vollen sozialen Sinne des Begriffs zu verstehen - also eben auch Behauptungen. 10 Aber um sie als Rezeptionsanlass verstehen zu können, der nicht durch die Äußerung selbst im Moment der Äußerung theoretisch kontrollierbar ist, muss ein anderer Weg beschritten werden als über die regelgestützte Sprecherintention. An dieser Position tut sich die Verflechtung von Wahrnehmung und Äußerung in aller Deutlichkeit auf. Für den Pragmatisten Brandom gilt es beispielsweise, den rationalen Willen anhand der “structural analogies between discursive exit transitions in action and discursive entry transitions in perception” (Brandom 2000: 79) zu zeigen. Kreuzungspunkt ist eben die Assertion. Denn ob per Wahrnehmung oder per Behauptung etwas in den Bereich des sprachlichen Ausdrucks gerät, spielt für die Person, die wahrnimmt oder rezipiert eine entscheidende Rolle. Für Wahrnehmung ist Verantwortung nicht thematisierbar, für Behauptungen schon: als die Verantwortung der Begriffsverwendung dem anderen gegenüber oder des anderen. Manche Wahrnehmung und Behauptung gleichen sich darin, dass sie Semiotik der Behauptung 107 Tatsachen in Diskurse oder Gespräche setzen können, beide können als Urteile mitsamt Proposition erfasst werden. Sobald durch die falsche Person, durch die falsche Zeitung oder ganz generell durch die falschen Medien oder in falscher Situation eine Behauptung gesetzt wird, ist ihr anzumerken, was ihre wichtigste Eigenschaft ausmacht: sie erzeugt der Rezeption eine widerständige Wahrnehmung, sie konfrontiert mit etwas, das inakzeptabel erscheint, nicht geglaubt oder von jemandem geäußert wird, dem ich nichts glaube. Wenn sie aber eingängig ist, dann ist sie kaum zu bemerken, sie wird ganz unwiderständig verarbeitet. So wahrnehmbar widerständig die Setzung einer Behauptung auch wirkt, wenn sie nicht passt, so wenig wird sie fragwürdig, wenn sie akzeptiert wird. Das geschieht eher automatisch. Allenfalls lebhafte Zustimmung ist dann zu erwarten. Wenn die Sache der Behauptung so beschrieben wird, dann fallen bereits die ersten Begriffe, die für eine semiotisch orientierte Analyse von zentraler Bedeutung sind. Aber sie kommen gemessen an den standardisierten Begrifflichkeiten der linguistischen Pragmatik genau anders herum zum Ausdruck. Nicht der intentionale Zustand oder die intendierte Verstehensanweisung, sondern der Akt der Setzung, die Konfrontation der Rezeption mit einem Satz ist nunmehr das Zeichen-Ereignis. Als Singularität kann es nicht gelten. Es verhält sich mit Behauptungen ähnlich wie mit Wahrnehmungen, auch sie können “Eingangszüge” ins diskursive Spiel sein und es ist gut bekannte Tradition, die Verbindung zwischen Sätzen in Aussageform und der Wahrnehmung, wenn sie verschiedene Dinge oder Dinge und Eigenschaften in Beziehung als Sachverhalt setzt, unter dem Begriff Proposition oder Sachverhalt zu erfassen. Diskursiv funktioniert eine Behauptung daher und aus verschiedenen weiteren Gründen, die gleich genannt werden, nicht als ein Etwas, das für etwas anderes steht, sondern als ein Etwas, das für sich steht wie die Sache selbst. Behauptungen werden gleich auf eine Art beschrieben, die sich eng daran orientiert, dass sie strikt vor dem Horizont des Postulates de Saussures zu denken sind: Signifikant und Signifikat sind untrennbar. Im folgenden möchte ich zeigen, inwieweit sie dadurch als Prototyp einer kritisch-reflexiven Semiotik fungieren kann, deren Fokus wesentlich semantisch ist. Brandom widmet einen gewichtigen Teil seiner Ausführungen (Brandom 1994) dem Urteil als Handlung, indem das Urteil eine bestimmte inferentielle Gliederung implizit festlegt. Er spricht übrigens nicht bloß von semantisch Implizitem in jenem Sinne, dass “Es regnet” eben impliziere, die Sonne scheine nicht. Ihn interressiert das nichtlogisch Enthaltene (die materiale Inferenz), so dass in mancher Situation eben folgt: “Also werd ich mal meinen Regenschirm aufspannen.” Dies hänge von der Begriffsverwendung, aber auch vom Wissen der Rezeption ab, denn niemals habe man einen, sondern immer mehrere Begriffe. Das kann verschiedene Rezipierende zu ganz unterschiedlichen Inferenzen führen. Letzteres sagt Brandom zwar nicht in dieser Deutlichkeit, ein vorgeführtes Beispiel leitet aber zu diesem Schluss: The link between pragmatic significance and inferential content is supplied by the fact that asserting a sentence is implicitly undertaking a commitment to the correctness of the material inference from its circumstances to its consequences of application. Understanding or grasping a propositional content is here presented not as the turning on of a Cartesian light, but as practical mastery of a certain kind of inferentially articulated doing: responding differentially according to the circumstances of proper application of a concept, and distinguishing the proper inferential consequences of such application. This is not an all-or-none affair; the metallurgist understands the concept tellurium better than I do, for training has made Ulf Harendarski 108 her master of the inferential intricacies of its employment in a way that I can only crudely approximate. Thinking clearly is on this inferentialist rendering a matter of knowing what one is committing oneself to by a certain claim, and what would entitle one to that commitment. Writing clearly is providing enough clues for a reader to infer what one intends to be committed to by each claim, and what one takes it would entitle one to that commitment. Failure to grasp either of these components is failure to grasp the inferential commitment that use of the concept involves, and so failure to grasp its conceptual content (Brandom 2000: 63/ 4). Es geht hierbei nicht um logische Implikation, sondern semantisch Implizites, das durch nichtlogische Konditionale entblößt werden kann bis hin zur Prüfung durch kontrafaktische Konditionale. Nicht was die Sprecherin über tellurium (dt. Tellur) meint, sondern zu welchen Folgerungen eine Behauptung berechtigt und wer aufgrund welchen Wissens welche Folgerung ziehen kann oder wird, gehört in den Blick. Zwar hält Brandom ebenfalls am Begriff der Intentionalität als Verfügen über (semantischen) Gehalt fest, jedoch ist dies bei ihm ein normativer Zusammenhang, kein mentalistischer. Die Sprechakttheorie setzt mit ihren Glückensbedingungen von Sprechakten darauf, dass die ‘illocutionary force’ eben jene Kraft der Vermittlung ist, die gewährleistet, wie die Proposition eines Sprechaktes verstanden werden soll. Derrida hat am Beispiel Austins gezeigt, dass damit letztlich an eine raffinierte Kommunikation dieser Kraft gedacht wird. “Mitteilen (communiquer) hieße im Falle des Performativs,” lautet die Hypothese Derridas in der Übersetzung, “[…] eine Kraft durch einen Impuls eines Zeichens […] zu kommunizieren” (Derrida 1990: 340). Darunter ist der kommunikative Effekt zu verstehen, den die Sprecherinstanz zu erzielen wünscht. Das Zeichen, wir haben es eben gesehen, ist jener Indikator, jener Index, der den Sprechakt regelgerecht anzuzeigen vermöge. Obwohl also sprechakttheoretisch nicht daran zu denken ist, semantischen Gehalt zu übertragen, gibt es auch hier Vermittlung durch eine Kraft, die von der Theorie wesentlich an eine Sprecherintention (sollen) gebunden wird. Tritt aber Brandoms Art der Intention an die Stelle von Vorstellungen einer Kommunizierbarkeit, braucht nicht mehr von dieser Art der Übertragung ausgegangen zu werden. Brandoms Intentionalität wird im Kern als semantisches Gehaltverfügen beschreibbar. Beschreibbar ist die Intentionalität aufgrund normativer inferentieller Gliederung durch den Begriffsgebrauch. Daher strebt Brandom an, Äußerungen als Urteile mit Hilfe einer Kombination normativen Beschreibungsvokabulars und dem Konditional nichtlogisch darstellen zu können. Ihm geht es also nicht darum, was da durch eine Äußerung übertragen oder vermittelt wird, sondern darum, was wir an Implizitem billigen, wenn wir eine Behauptung für richtig halten und welche Rolle es spielt, welche Autorität die äußernde Person oder soziale Institution uns gegenüber genießt. Nicht Übertragung ist der zentrale Begriff, sondern Übergang (transition), ein Übergang, der die Äußerung, die eben noch Behauptung war, fortan zur Prämisse einer Inferenz macht. Übergegangen ist ein Gehalt von einem Sprecher an eine Rezeption, der folglich nicht identisch geblieben sein kann. Keine Rede muss mehr davon sein, was vom anfänglichen Zeichen (Urteil) der Behauptung identisch bleibt, es besteht die Möglichkeit, dass die rezeptionelle Inferenz nicht die sein muss, an die die Sprecherin gedacht hat - wenn sie überhaupt bestimmte Folgerungen im Auge hatte. Wichtig ist allein, worauf sich ein Sprecher mit einer Behauptung festlegt - und zwar normativ festlegt. Mit dem tellurium-Beispiel oben ist gezeigt, dass diese Festlegung dazu dient, die Verantwortung des Sprechers zu thematisieren, nicht aber zu meinen, der Sprecher wisse um alle Festlegungen. Es sind Festlegungen im sozialen Spiel, nicht mentale Gewissheiten, Aspekte, auf die man mich als Sprecher festlegen kann, manchmal vielleicht gar gegen meine Semiotik der Behauptung 109 Intentionen. Eine Behauptung hat normative Signifikanz auch unabhängig von den Sprecherintentionen. Es dürfte mehr als nur eine Analogie sein, dass dieser Effekt besonders bei Fotos auffällt. Einer Betrachtung ist es kaum möglich, die Darstellung eines Fotos nicht zu erfassen, die inferentielle Gliederung aber hängt stark vom Kontext ab, in dem sich das Bild präsentiert findet. Brandom klärt im Grunde pragmatisch-semantische Eigenschaften, beantwortet aber aus meiner Sicht die eher linguistisch-semiotische Frage nicht, ob Behauptungen als Behauptungshandlungen an die sprachliche Form des Aussagesatzes gebunden sein müssen, ob als Untergrenze vielleicht auch Syntagmen eine Rolle spielen, die die Linguistik als Nominalphrase erfasst, die ja komplexer aufgebaut sein kann als durch lediglich ein Substantiv mit vorangestelltem Artikel (“Der beliebte apfelkauende Vorstandsvorsitzende”.) Er beantwortet nicht, ob diese Handlungen überhaupt an sprachliche Formate gebunden sein müssen oder ob nicht auch andere Zeichensysteme in Betracht gezogen werden können. Eine Antwort kann hier nicht gegeben werden, sicher aber wird sie durch die folgende Kategorienanalyse nahe gelegt. 5. Der Satz als gesetzte Struktur Am Beispiel der Behauptung einfacher grammatischer Form soll nun verdeutlicht werden, inwiefern ihr kategorial in der Tat eine gewisse Kraft zugesprochen werden kann, ein Zwang mit dem die Rezeption durch sie konfrontiert wird. Die Analyse folgt den Vorgaben der Kategorien Peirce’. In seiner Terminologie hieße der Untersuchungsgegenstand Dicizeichen, aber wenn auch Peirce’ Darlegungen (Peirce 1903) als zweiter Generator das Folgende auf den Weg gebracht haben, so soll mit ihnen herausgestrichen werden, was Brandom nicht sagt, nämlich was es kategorial für eine Rezeption bedeutet, mit der normativen Signifikanz einer Behauptung konfrontiert zu sein. Vom Aspekt der begrifflichen Gliederung sehe ich in diesem Zusammenhang aus Platzgründen ab. Vom Dicizeichen werde ich nicht sprechen. Setzung und Handlung trennscharf zu unterscheiden, soll übrigens nicht heißen, dass eine derartige Setzung keinesfalls eine Handlung sei oder sein könne. Ob sie eine Handlung ist oder nicht, spielt für den Setzungseffekt meiner Ansicht nach einfach nur keine nennenswerte Rolle. Es gilt also nicht oder wenigstens zunächst nicht, die kommunikative Kraft zu untersuchen, sondern die Kategorie des Denkens, die der Rezeption nach bis zu einem gewissen Grad vorgesetzt ist. Durchaus zu akzeptieren scheint mir hingegen, dass es eine Leistung der Rezeption sein wird, die ihr gesetzte Behauptung als Handlung zu interpretieren. “Die Märkte wachsen zusammen.” Diese Behauptung - mein Beispielsatz - ist zwar überall und andauernd zu hören und zu lesen, in diesem Fall aber ist die Quelle lokalisierbar. Gleich in der Einleitung zu ihrem Buch führen die Sachautoren der Süddeutschen Zeitung, Balser und Bauchmüller, diese Behauptung ins Feld, ein Buch, dessen Titel bereits den Reigen der Behauptungen eröffnet “Die 10 Irrtümer der Globalisierungsgegner” (Balser/ Bauchmüller 2003). Ihre personen-indexikalische Nacktheit macht die einfache Standardbehauptung, geäußert in der neutralen dritten Person Indikativ Präsenz zu einem Dreh- und Angelpunkt für die Entscheidung, was an sprachlicher Hervorbringung als Handlung gelten kann und was nicht. Zugleich entscheidet das mit, welcher Art der semantische Zugriff auf eine Behauptung sein kann. Um sie als Handlung verstehen zu können, muss sie als sprachliche Äußerung theore- Ulf Harendarski 110 tisch von einer bestimmten intentionalen Eigenheit gelöst werden: der Annahme, dass intentionale Zustände zwingend mentale, repräsentationale sein müssen, die mit einer propositionalen Einstellung verbunden sind. Jene Einstellung ist gemeint, die impliziert, der Sprecher wisse beispielsweise um den möglicherweise strittigen und begründungsbedürftigen Wahrheitsanspruch der Behauptung. Dadurch wird der Weg frei, Behauptungen als theoretischen Startschuss zu nehmen, mediale Äußerungen weder als personennoch als subjektgebunden zu werten, dennoch aber nicht auf die unzweifelhaften Errungenschaften des theoretischen Erfassens der Intentionalität verzichten zu müssen. Es reicht die Zuschreibung des intentionalen Zustandes durch jeweilige Rezeptionen aufgrund der Normativität von Sprache (Wir-Index). Diese Zuschreibung wird als Aspekt der Prämisse, wie die jeweilige Behauptung wohl zu verstehen sein wird, auf den rezeptionellen Prozess einwirken. Eine Behauptung zu setzen, ist so bereits als ein Akt verständlich, denn das Gesetzte wird Einzug halten in inferentielle Rezeptionsprozesse. Auf diese Weise isoliert von anderen theoretischen Stationen, lässt sich die einfache Behauptung nunmehr als Text betrachten. Als geäußerter Text haben Standard-Behauptungen bestimmte Eigenschaften, die sie von anderen Äußerungen in Gesprächen oder Diskursen unterscheiden. Sie können ohne personenanzeigende Indexikalien der Gesprächsteilnehmer geäußert werden, ohne situative und vor allem ohne diskursive Indexikalien usf. (“daher, folglich” u.a. würden als diskursdeiktische Mittel beispielsweise den Bezug zu vorhergehenden geäußerten Sätzen herstellen, der die gegenwärtige Äußerung der Proposition als Teil eines Arguments kennzeichnete, was bei formal reinen Behauptungen nicht der Fall ist). Innerhalb des größeren Textgefüges des Gesprächs oder Diskurses sind sie also in bestimmter Hinsicht Singularitäten, nämlich insofern sie diskursdeiktisch nicht als eingebettet erkennbar sein müssen, hinsichtlich ihrer argumentativen Einbettung sind sie jedoch Urteile und also keine Singularitäten. Ihr argumentativer Schlusszusammenhang wird aber nicht ausgesprochen, sonst wären sie keine Behauptungen in dem engen Sinne, um den es hier geht. Erst sobald Begriffe wie Textthema und Kontext herangezogen werden, gilt diese Feststellung freilich selbst für die grammatikalisch schlichte Behauptungsstruktur nicht mehr zwingend. Es geht hier nur um die Frage, welche Bezüge per Deiktika grammatikalisch nicht enkodiert werden. Behauptungen als geäußerten Text im Sinne einer kategorialen Zeichenstruktur zu betrachten, heißt, sie auf ihr Vorkommen in Gespräch und Diskurs zu reduzieren und als Zeichen in dieser Situation zu untersuchen. Drei Aspekte sind unterscheidbar: a) Äußerung (sprechen, schreiben, Intention) b) kategoriale Zeichenstruktur (geformtes Syntagma, normgerecht) c) Rezeption (semantische, pragmatische Inferenz, [schlussfolgernde Konsequenzen inklusive Schluss auf Intention]) Die folgenden Darstellungen beziehen sich allein auf b) kategoriale Zeichenstruktur und sollen die Behauptung einerseits erfassen, zugleich aber ihre lediglich eingleisige Relation zu einem möglichen Sachverhalt offenbaren. Semiotik der Behauptung 111 Kategoriale Analyse des Standardindikativs (Behauptung) anhand des Deutschen für die Behauptung aller möglichen und existierenden Sachverhalte Bezugswort Index Darstellungsschritt, Gesamtdarstellung: die kategorialen Relationen der Behauptung als Text Ikon (der Erstheit) Etwas Qualität (Erstheit) 2. heit 2.heit 2.heit Quasi 2.heit durch das Verb Relatum und Qualität (Erstheit) Zweitheit (Index) zweier Relata Erklärung der verwendeten Symbole: Durch Drittheit gestiftete Zweitheit P i i l i P i i l i P i i l i P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti P iti l ti Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation Propositionsrelation p p p p p p p p p p p p p Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä Ä ß l i Ä ß l i Ä ß l i Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ß l ti Ä ßer ngsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations- Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations Äußerungsrelations g g g g g g g g g g g g g l i l i l i l ti l ti l ti l ti l ti l ti l ti l ti l ti relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation relation Prädikation Abbildung 1 Die Beziehung zwischen Etwas und Qualität (siehe Abb. 1) der Propositionsrelation zeigt lediglich an, dass mit der Behauptung - dem darunter liegenden Teil - ein Sachverhalt ausgedrückt wird. Den muss es aber nicht als realen geben. Überdies soll die Darstellung nichts zeigen, was außerhalb des Denkens wäre. Etwas und Qualität sind Stationen des Denkens, nicht Reales der Welt. Hier geht es allein darum, dass das Denken Relationen herstellt. Daher zeigt die Darstellung eine Dualität zwischen analytisch und handlungstheoretisch an, ohne sich selbst in vermeintlicher Opposition zu erschöpfen. Sofern die Abbildung als zustimmungsfähige Darstellung gesehen wird, ergeben sich bestimmte Konsequenzen. Da das Folgende selbst im Duktus des Behauptens geäußert wird, verweise ich hier ausdrücklich darauf, dass sich der Duktus auf die graphische Darstellung beschreibend bezieht. Kern einer Behauptung als Setzung dieser hier dargestellten kategorialen Relation ist, genau das über genau dies Bezugswort (Index) genau jetzt auszusagen, auf dieser Ebene der Setzung aber ist es richtig zu sagen, dass es nicht zugleich eine Aussage über ein Bezeichnetes ist. Erst die vermeintliche “Analogie” zwischen Bezugswort und Prädikation zu “Etwas” und “Qualität (Erstheit)” macht die Prädikation zu einer vom Bezeichneten. Das soll heißen, sowohl eine Äußerung als auch eine Rezeption bekommen es Ulf Harendarski 112 jeweils mit dieser Art der Struktur zu tun, welche sie aber erst im Prozess der Äußerung oder Rezeption je vollführen werden. Diese dargestellte Struktur ist Abstraktum, aber es ist auch ein Versuch, Realisierungen abstrakt zu erfassen. Dieser Schritt der Erfüllung muss aufgrund der Setzung (Rezeption) oder für die Setzung (Äußerung) vollzogen werden. Anders als auf der Ebene der Setzung ist es also auf der Ebene von Äußerung und Rezeption nicht richtig, würde gesagt, es werde etwas über das Bezugswort ausgesagt, weil sich sofort die Gesamtrelation herstellt und das Bezugswort zweitheitlich an einen Aspekt der Proposition gebunden ist. Peirce’ Kategorien Erstheit, Zweitheit und Drittheit dienen meiner Analyse von Behauptungen als Voraussetzung. Die Kategorien thematisieren Relationierungen des Denkens, und da Peirce zufolge alles Denken in Zeichen, also jegliche Erfahrung semiotisch ist, sind die Kategorien auch geeignet, die Relationen der Zeichen selbst zu beschreiben. Es sind die Relationen, die Zeichen das Denken idealerweise vollziehen lassen, die aber auf jeden Fall Analysen der Zeichen als Prozesskomponenten des Denkens ermöglichen. Die Kategorien sind für linguistische Analysen interessant wegen der Möglichkeit, Erfahrungen von Sachverhalten und Rezeptionen von Äußerungen kategorial zu vergleichen, denn beide gehen als Eingangszüge in den semiotischen Prozess des Denkens ein. Aus Peirce’ Kategorien folgt, dass jeder sprachliche Ausdruck als Semiotisierung der Erfahrung grundsätzlich immer vermittelt und zudem vermittelt ist, er kann nicht in einer Kategorie unmittelbarer Relation aufgehen, also auch nicht in der der existentiellen Relation (Zweitheit). Und genau dies konnotiert der Terminus ‘Zweitheit’ auch seiner Ausdrucksstruktur nach. Der Ausdruck Peirce’ lässt als Syntagma bereits das angesprochene relationale Verhältnis anklingen - das kann beispielsweise Ich und Nicht-Ich sein. Durch die Opposition von Erstheit und Zweitheit wird die Trennung von “Essenz und Existenz” (Peirce 1991: 19), von Möglichkeit und Sein erkennbar, denn “Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, ohne Beziehung auf etwas Drittes” (Peirce 1903: 55). Die Peirceschen Überlegungen sind vorteilhafterweise nicht auf visuelle Eindrücke festgelegt. Ein gutes Beispiel für Zweitheit ist Widerstand, also etwa der Widerstand, den ein Körper oder eine Tür einem entgegenbringt, wenn man dagegen drückt, das Objekt aber gar nicht oder nicht gleich nachgibt. Dieser wahrgenommene Widerstand ist die Erfüllung des Momentes der Zweitheit, denn ich wende natürlich eine Kraft auf, die den Widerstand überwinden soll. Beide Aspekte geben einen unmittelbaren Eindruck von Zweitheit, sie stehen im Verhältnis. Keiner der beiden Aspekte wäre ohne den anderen, sie bedingen einander. Peirce spricht daher auch von “harten Tatsachen”, “Zwang der Erfahrung” und gelegentlich sogar von “Kampf” (Peirce 1991: 25ff.) im Gefühl der Reaktion von Ich und Nicht-Ich (Peirce 1903: 55). Zweitheit ist also immer nur in Erfüllung, im Moment. Obwohl die Zweitheit recht anschaulich und grundsätzlich anmutet, denkt Peirce auch eine Erstheit. Für den Rahmen dieser Darstellung hier reicht es, sie als Möglichkeit zu interpretieren. Drittheit ist diejenige Kategorie aller Relationen des Denkens, die konventionell sind. Im Allgemeinen wird daher die Kategorie Drittheit als wichtigste für Sprachen angesehen. Dass nachfolgend besonders Zweitheit von entscheidender Bedeutung sein wird, liegt vor allem daran, dass es um die Analyse von Gesetztem aus der Rezeptionsperspektive gehen soll. In der Diskussion der Sprechakttheorie hat sich sehr klar herausstellen lassen, dass die regelgeleitete Sicherung des Sprechaktes, wie er verstanden werden soll, durch einen Index hergestellt werde, zweitheitlich also, der aber dennoch konventionalisiert sei, also auch drittheitlich. Semiotik der Behauptung 113 Semiotisch gesehen können somit nur eindeutig konventionalisierte Indikatoren den Anspruch der Theorie sichern, genau dahin geht ihr Bestreben aber auch. Vom Standpunkt der Kategorien her ist dieser Anspruch sehr problematisch, sobald die Rezeption ins Spiel kommt. Indexe werden inferentiell anders verarbeitet als Behauptungen. Behauptungen bieten sich als Prämissen für Inferenzen an, Indexe als zu Erklärendes oder als Indiz zum Schluss auf eine Regel. Etwas und Qualität sind diejenigen Aspekte eines möglichen wahrnehmenden Denkens, die in Relation innerhalb des semiotischen Prozesses die Proposition bilden. Sie sind - weil auf dieser Ebene nicht ausgedrückt - ein reines Abstraktum, welches dem Umstand Rechnung trägt, dass überhaupt etwas wahrgenommen, gedacht, erinnert oder imaginiert und versprachlicht werden kann. Etwas und Qualität sind folglich auch in dieser Art der Darstellung keine Dinge der Welt. Hierbei überhaupt von Wahrnehmung zu sprechen, ist insofern missverständlich, als Etwas und Qualität keine unmittelbare Verbindung zur Wahrnehmung haben müssen. Es wird sich eher um die Möglichkeit der Relationierung handeln, wie sie auch durch Wahrnehmungen hergestellt werden kann - eine Relation des Denkens. Mit der Darstellung soll keinesfalls die Suggestion zugelassen sein, dass die Proposition ein Seiendes ist. Sie lässt lediglich zu, dass Denken beides relationieren, Zeichen bilden kann, ohne sich speziell der Sprache und mithin eines Verbs bedienen zu müssen. Denken in nicht-sprachlichen Zeichensystemen wird hier nicht ausgeschlossen. Die Proposition muss logisch auch zu anderen Relationierungen als der Äußerungsrelation der Sprache offen sein. Eine wesentliche Einsicht in das Problem der Behauptung wird durch den mittleren, von unten nach oben laufenden Zweitheit-Aspekt der Abbildung illustriert. Der wird durch das Verb der Behauptung gesetzt. Wenn Etwas und Qualität z.B. über Wahrnehmung relationiert werden, dann ist das ein zeitlicher Prozess, wie kurz er auch sein mag. Das Verb innerhalb der sprachlichen Äußerung ist der Weg unserer Sprachfamilie, diesen Zeitaspekt grammatikalisch zu indizieren, nicht aber abzubilden. Während die Beziehung zwischen einem Etwas und einem Bezugswort, gleich ob als Einzelbegriff oder quantifizierend, als Referenz wenigstens insoweit recht eindeutig ist, als sie das Bezugswort per Indexikalität an das Etwas bindet, so ist doch die Relation des Gegenstandes zu einer Qualität (Erstheit) um einiges geheimnisvoller, weil diese Relation nicht aus eigener Kraft die der Zweitheit ist und also zunächst einmal überhaupt keine Relation. Da aber die Ausgangslage meiner Überlegungen hier darin besteht, die Behauptung zunächst als geäußerten und mithin gesetzten Text zu verstehen, lässt sich sagen, dass die notwendigerweise indikativische Verwendung des Verbs als Index fungiert. Das Verb indiziert die Relation von Bezugswort und Prädikation, weil es die Prozesshaftigkeit (Zeit) markiert. In der Aussage bedürfen selbstverständlich Prädikation und Bezugswort ihrer jeweiligen indexikalischen Bindung. Durch das Verb vermittelt stehen sie jeweils indexikalisch zueinander, ein jedes Element in seiner eigenen Zweitheit zum Verb. Hier bringt also das zeitliche Voranschreiten der denkenden, erfahrungsbildenden Wahrnehmung die zwei Elemente Etwas und Qualität in einer Relation zusammen. Wird nun diese direkt aus der erfahrungsbildenden Wahrnehmung bestehende Relation so eingestuft wie Peirce das offenbar getan hat, dann hat sie als geistige Relation bereits semiotischen Charakter, so dass schon hier unmittelbare Erfahrung ausgeblendet oder gar bestritten ist. Das Objekt der Erfahrung kann also in dieser Hinsicht keinen Unterschied machen, sprachliches Zeichen und andere können in dieser Hinsicht überhaupt nicht unterschieden werden. Das ist eine mögliche Beschreibung gehaltvoller oder begrifflicher Wahrnehmung. Es soll anhand der Darstellung auch deutlich werden, dass keine Reihenfolge postuliert ist: Wahr- Ulf Harendarski 114 nehmung, Proposition, Satz, sondern dass hier wirklich von Relation die Rede ist. Ausdrücklich wird hier die Möglichkeit zugelassen, dass der sprachliche Ausdruck seinerseits die Wahrnehmung bedingen könnte. Beides ist in der Darstellung nicht eigens thematisiert. Es geht einzig um die Struktur einer Relation. Mit aller Deutlichkeit ist der Darstellung zu entnehmen, inwiefern Aussagen als Äquivalente zu Sachverhalten interpretiert werden mögen, wie aber zugleich dieser Schein trügt. Denn es zeigt sich, dass Bezugswort (Index) und Prädikation durchaus eine Beziehung zu Etwas und Qualität haben. Die Beziehung beruht auf der indexikalischen Relation von Bezugswort (Index) und dem Erfahrungsgehalt Etwas, Dreh- und Angelpunkt ist das Bezugswort in einer sprachlich aktualisierten Beziehung ihrer Zweitheit. Aber aufgrund dieser Relation kann sich nicht die gesamte Relation von Bezugswort und Prädikation ergeben, weil die Relation von Etwas und Qualität eben nicht aus eigener Kraft indexikalisch oder zweitheitlich ist, sie geschieht in einem Prozess. In der Proposition der Behauptung dagegen verhält es sich anders. Hier haben beide Relata eine nicht zu bezweifelnde Relation der Zweitheit innerhalb der Äußerungseinheit. Aber diese Relation haben sie nicht direkt zueinander, sondern sie sind allein per Vermittlung des Verbs relationiert. Das erinnert stark an Erkenntnisse der Valenzgrammatik. Verben haben dort Valenzstellen, bieten also Voraussetzungen, bestimmte Anzahlen von Satzteilen an sich zu binden. Danach ist “stinkt” ein Verb, bei dem nur eine Position besetzt werden muss, das aber auch zweiwertig sein kann (“Du 1stinkst2 nach Parfum”). Meine Überlegungen sind jedoch viel grundsätzlicher. Denn trotz der Tatsache, dass die Prädikation allein durch ein Verb vollzogen werden kann, ihm also gewissermaßen die Realisation der Zweitheit als eigener grammatikalisch realisierter Position dann fehlt, kann es sich einerseits um ein Ikon der Erstheit (der Qualität also) handeln. Andererseits vertritt auch in jenem Fall das Verb die notwendige Grammatikalisierung der Zeit der erfahrungsbildenden Wahrnehmung. Diese Vertretung allerdings ist arbiträr. Und das liegt ganz einfach daran, dass das konventionsgebundene Verb verschiedene Zeichen-Funktionen erfüllt, von denen die wichtigste für die hier dargestellten Relationen der Zeitindex ist. Etwas und Qualität als begrifflich gehaltvolle Elemente des Wahrnehmungs- oder Denkkontinuums finden ihre Relation, wie sie in Bezug zur Behauptung steht, also innerhalb der Zeit, deren formales Äquivalent in der Behauptung das Verb ist. Das Verb aber kann so gewählt werden, dass sich die Konstellation der Behauptung als Index des erfahrungsbildenden Sachverhalts darstellt. Durch das Verb wird eine Relation der Zweitheit behauptet, es wird behauptet, dass der Sachverhalt der Behauptung ein Index der Relation eines realen Sachverhalts ist, dass ihm Seiendes entspricht und dass die Relation zwingend ist. Das aber kann man sprachlich nur behaupten, mehr nicht. Werden Zeit und Prozess vernachlässigt, dann scheinen einem die Ebene von Bezugswort und Ikon insgesamt als ikonisch zur Ebene von Etwas und Qualität zu sein. Aber wie gesagt, das Verb bringt kategoriale Veränderungen in die Äußerungsebene ein, die sie als nicht analog zur propositionalen Ebene kennzeichnen. Vernachlässigt eine Rezeption den konventionalen Faktor des Verbs und interpretiert eine Behauptung als ikonisch, dann werden alle Inferenzen, die daraus folgen, den ausgedrückten Zwang oder die ausgedrückte Existenz als wesentlichen Faktor des Urteils als übernommene Prämisse berücksichtigen. Auf dieser Kraft beruht die starke Wirkung einer jeden diskursiven Behauptung. Kern der Prämisse wird eine Variante von Notwendigkeit (naturgesetzlich oder normativ) sein. Insoweit behauptet eine Behauptung unabhängig davon, wie sie der Sprecherintention gemäß verstanden werden soll. Die Relationierung von Etwas und Qualität ist auf der oben dargestellten Ebene zunächst einmal zufällig, keine Notwendigkeit steckt dahinter. Sei es, sie werden durch eine Wahr- Semiotik der Behauptung 115 Abbildung 2: (McCloud 2001: 13) nehmung, Einbildungskraft oder andere Antriebe in Relation gesetzt, sie müssen keineswegs zusammengebracht werden. Geschieht es aber doch, so verdankt sich dies einem Prozess. Und sei es auch der der Wahrnehmung. Die Relationierung steht nicht isoliert, sondern verdankt sich zeitlicher Einbettung beispielsweise durch Aufmerksamkeit. Mit einer Behauptung konfrontiert zu sein, heißt zunächst, mit Zweitheit konfrontiert zu sein. Die behauptete Relation wird durch das Verb als zwingend oder seiend ausgewiesen. Erst die Umstände der Situation, soziale Position des Sprechers u.v.m. können den Zwang für die Rezeption deutlich verändern. 6. Sequenzierung Diese kurze Bildersequenz soll das Verhältnis von Etwas und Qualität ein wenig genauer erläutern und zeigen, wie wir auch aufgrund anderer Zeichensysteme als der Sprache zu einer Form der oben dargestellten Relation kommen können. Während das erste Bild unter Vernachlässigung einer tieferen semiotischen Analyse bei entsprechender rezeptioneller Kompetenz recht eindeutig als im Moment abgefeuerter Schuss erkennbar ist, so zeigt das zweite Bild bei ebenfalls vorausgesetzter entsprechender Kompetenz offenbar eine im Moment schreiende Frau. Beide Bilder für sich sind aussagekräftig und beide können so verstanden werden, dass sie jeweils für sich bereits den Stellenwert funktionierender, komplexer Zeichen besitzen, wobei die Komplexität durchaus der von Aussagenketten vergleichbar ist. Beide für sich lassen sich in eine oder mehrere ausgedrückte Propositionen transformieren, etwa, “dass ein Schuss abgefeuert wird.” Nun liegt bereits damit eine erste Behauptung vor, die ich aber vernachlässigen möchte, weil das sogleich in Probleme der Abbildungsfähigkeit von Bildern führte. Würde es sich um ein Foto handeln und das schwebende “PENG” wäre statt dessen durch Mündungsfeuer dargestellt, ließe sich eine solche Diskussion noch leichter anzetteln. Mir ist hier ein anderer Aspekt wichtig, ein Aspekt, der zwar an der Comicform noch relativ unproblematisch erscheinen mag, weil wir doch alle wissen, dass es sich um ein zumeist vollkommen der Fiktion gewidmetes Medium handelt - lassen wir auch hier semiotisch überaus bedeutende Ausnahmen beiseite. Der Aspekt besteht darin, dass der Kausalzusammenhang allein durch die einer bestehenden Norm geschuldete sequentielle Zusammenstellung der Bilder in klassischer Comicleserichtung erzeugt wird. Im japanischen Manga ist die Leserichtung genau entgegengesetzt, womöglich hätte dann der Schrei den Schuss verursacht. Die Frau schreit, weil der Schuss abgefeuert wird, und weil vermutlich über das Abfeuern hinaus noch mehr passiert, womöglich wird jemand getroffen. Dieser Zusammenhang wird rein semiotisch hergestellt, eine kundige Rezeption erkennt ihn aufgrund bestehender Konventionen. Tatsächlich aber gibt es lediglich zwei Zeichnungen. Die Art der sequentiellen Zusammenstellung gibt es insbesondere bei Bild-Sprache gekoppelten Medien (Zeitung, Magazin, Buch, Fernsehen, Hypertext) unzählig. Wichtig scheint mir die Erkenntnis, dass die Zusammenstellung jenem Zweitheitsaspekt analog ist, der in Abbildung 1 zwischen Etwas und Qualität für jemanden besteht, ohne dass er eine irgendwie geartete naturgesetzlich kausale Relation zu repräsentieren hätte oder einer solchen geschuldet wäre. Ulf Harendarski 116 Diese Art der Zusammenstellung, die eine Relation der Zweitheit generiert, ist beispielsweise im Fernsehen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht immer als solche intendiert, aber es können durch die Rezeption verschiedenste hergestellt werden. Es ist dabei ganz gleich, ob es sich um das offenbar zustimmende Auflachen einer kleinen Gruppe des Publikums in einer Talkshow scheinbar auf einen Redebeitrag hin handelt oder das sichtbare Weinen der Opfer eine Katastrophe. Gewährleistet werden kann die Relation vermutlich durch verschiedenste Rahmen wie Thema, Kontext, Norm, Gewohnheit u.a.m. Das ist nicht mehr das dialogische Handlungsspiel der Sprechakttheorie und es ist auch innerhalb der Medien keinesfalls mehr einer Intention geschuldet. Ob diese Art des behaupteten Zusammenhangs in den Medien aber einer Rezeption glaubwürdig, wahr oder fiktional, erlogen oder nicht ernst zu nehmen oder zufällig erscheint, liegt eher im Äußerungsrahmenkonzept (Nachricht, Talk, Kommentar, Film, Dokumentation etc.) begründet als in der Zusammenstellung selbst oder einer etwaigen Autorenbzw. Äußerndenintention. Die Realisierung der Zweitheit im Falle der klassischen sprachlichen Behauptung z.B. durch einen Aussagesatz ist anders. Wenn eine Aussage durch die notwendige Verwendung eines Verbs die Relationierung leistet, dann ist die Relation innerhalb des Satzgefüges zweimal zweitheitlich. Eine sprachliche Behauptung macht aus, dass die interne Relationierung als notwendig, als zwingend gesetzt wird. “Die Märkte wachsen zusammen.” Es scheint sich hier um nichts weiter als eine Beobachtung zu handeln. Natürlich weiß jede aufmerksame Rezeption, dass es keinesfalls einfach ist, den Begriff Markt in diesem Fall zu verdeutlichen und dass ohnehin die Behauptung eher metaphorisch zu lesen ist. Dennoch aber ist schwerlich zu bestreiten, dass hier behauptet wird: “dass es so ist”, dass die ausgedrückte Relation eine Entsprechung auf der Ebene von Etwas und Qualität hat, die nicht kontingent, sondern notwendigerweise so ist wie sie sich darstellt. “Ich vermute sehr stark, dass die Märkte zusammen wachsen” drückt offenkundig eine andere Modalität aus als “Die Märkte wachsen zusammen”, konfrontiert zugleich aber die Rezeption nicht mit einer ins diskursive Spiel gesetzten Tatsache, sondern mit der Möglichkeit einer Tatsache. Die deklarative Form “Ich behaupte, dass …” benennt die Sprecherperspektive mit. Der Sachverhalt besitzt für die Rezeption daher nicht die Härte des Zwanges. Wird die Behauptung in dieser Weise erfasst, zielt die Frage nach ihrer kommunikativen Funktion auf ungewohnte Antworten, die das Problem der Verantwortlichkeit sprecherintentionsunabhängig thematisieren. Moduliert der Sprecher die Proposition intendiert? Die Rezeption wird durch die deklarative Form nicht in gleicher Weise mit einem Zwang konfrontiert. Behauptet wird also eine Zweitheit als zwingend. “Die Märkte wachsen zusammen” heißt folglich, dass diese Relation nur mit Gewalt oder Gegenzwang zu überwinden wäre. “Ich muss die Produktion des Betriebes ins Ausland verlagern” wäre zudem ebenfalls als Behauptung erkennbar und das trotz der Verwendung des Personalpronomens ich als grammtikalisches Subjekt. Denn das Subjekt des Satzes ist nicht zugleich Subjekt des Zwanges, der hier behauptet wird. Dieser Satz bekommt seine volle inferentielle Kraft nicht dadurch, dass ein Sprecher mit ihm in bestimmter Weise zu handeln wünscht, sondern dadurch, dass die sprechende Person von den Angesprochenen als diejenige identifiziert wird, die Wissen und Einfluss genug hat, um diesen Zwang zu konstatieren. Erst in dem Moment hat er als behaupteter den Status von Tatsächlichkeit im Diskurs erlangt. Solche Überlegungen führen direkt zu den Massenmedien hin, innerhalb derer durch eben gerade die Geschlossenheit, die über Etwas und Qualität nicht zurückführt auf Seiendes, erreicht wird, dass die Medien selbst Semiotik der Behauptung 117 bestimmen können, wer als kompetent zu bewerten ist und wer nicht. Der Kompetenzerwerb liegt kaum bei denjenigen, die beispielsweise über ein bestimmtes Fachwissen verfügen. Vielmehr kann das eigene Auftauchen in einem bestimmten Medium - Sachbuch etwa - bewirken, innerhalb des Fernsehens in den Kreis der Kompetenten einer Talkshow zu gelangen. Diese Mechanismen sind bekannt und beschrieben. Entscheidend ist vielmehr die These, dass allein die Zuweisung eines bestimmten Kredits, die die Medien selbst vornehmen, nicht nur das Recht verleiht, behaupten zu dürfen, sondern auch, entsprechende rezeptionelle Inferenzen zu generieren. Das muss als Verantwortung thematisierbar sein auch mit Blick darauf, in welchen diskursiven Anschlüssen auf welche Weise Behauptungen inferentiell verarbeitet werden. Mit der Verantwortung von Sprechern hat das nur noch wenig gemein. Kann ein Sprecher mehrere Sprechakte mit einer Äußerung zugleich ausführen? Im Rahmen der Sprechakttheorie ist das allein als Re-Konstruktion vorstellbar. Es ist daher wohl besser mit der Annahme weiterzuarbeiten, dass unterschiedliche Rezeptionen unterschiedliche Sprechakte ausmachen, Äußerungen unterschiedlich verstehen und zwar aufgrund der Akzeptanz, die Sprecher oder medialer Äußerungsrahmen jeweils genießen. Wie solch eine Untersuchung anzufangen wäre, habe ich kurz skizziert, den Rest möchte ich mit meiner derzeitigen Untersuchung zu Selbstdarstellungen von Geschäftsleitungen in kleinen und mittleren Betrieben erarbeiten. Schwerer wird es sein, die verblose Zusammenfügung von zwei Elementen - z.B. Bildelementen zu einer Sequenz - auf Verantwortung hin zu thematisieren, weil es beinahe so ist, als ob entsprechende Medien bloß die Welt abbildeten und die Relationierung an Ort und Stelle von Teilnehmern genau so vorgenommen würde, als wäre das Medium nicht dazwischen. Das ist allerdings vielfach Trug. Ist Behaupten in Medien mit diffusen Adressaten oder zwischen ihnen also derart spezifisch, dass von einem speziellen Stil gesprochen werden kann? Damit Behauptungen ihre konstruktive Kraft als Behauptung einer Zweitheit erlangen können, muss ihnen eine instutitionelle Ermächtigung vorausgehen. Das ist kein Medienspezifikum, sondern spielt immer dann eine wichtige Rolle, wenn es um Berechtigung von Personen oder Institutionen geht und darum, wie diese Berechtigungen erworben werden. Das Problem der Verantwortlichkeit von Massenmedien liegt darin, dass sie einerseits Rahmen der Behauptungen sind, zugleich aber Recht und beanspruchte Akzeptanz verleihen. Diese systematische Geschlossenheit muss auf Dauer nicht akzeptiert werden - behaupte ich. Literatur Austin, John L. 2002: Zur Theorie der Sprechakte (How to Do Things with Words 1962/ 1975), Stuttgart: Reclam Balser, Markus & Bauchmüller, Michael 2003: Die 10 Irrtümer der Globalisierungsgegner - wie man Ideologie mit Fakten widerlegt, Frankfurt a.M.: Eichborn Becker-Mrotzek, et. al. (eds.) 2004: Angewandte Linguistik : Ein Lehrbuch mit CD-ROM. Tübingen und Basel: A. Francke Brandom, Robert B. 1994: Making it Explicit : Reasoning, Representing and Discursive Commitment. 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In einigen Schritten gelingt es ihr, den semantischen Zentralbegriff Intentionalität von der Annahme reiner Präsenz wegzuführen und psychoanaltisch durchaus dunkle Begriffe wie Verschiebung oder Verdrängung als verschobene Intentionalität und Irrationalität analog zu Intentionalität zu erfassen, ohne dabei zugleich jener häufig anzutreffenden kulturwissenschaftlichen Überzeugung anheimzufallen, es ließe sich aus Gesprochenem Unbewusstes rekonstruieren. Auch sie hält die 1. Person im Singular nicht für geeignet, ihren Fragen nachzugehen und setzt statt dessen auf den Wir-Index, der aus der Normativität der Sprache resultiert. Semiotik der Behauptung 119 5 Das Script ist im Internet zu finden: http: / / german.about.com/ library/ bldinnerone.htm (17.08.2006). 6 Wenn sich der Beschäftigung mit Austin auch diese gebrochene Einstellung zur fiktionalen Brechung der Intentionalität aufdrängt, so ist doch Derrida zu erwähnen, der gegen Austin gar die Möglichkeit der fiktionalen Brechung als notwendige Möglichkeit - wenn das so gesagt werden darf - erfasst wissen will. 7 Als Ausgangsbasis dienen allen Autoren natürlich Austin (2002) und Searle (1971). 8 Liedtke beschreibt hier zwei Beispielsätze, die ich nicht übernehme, um bei meinen eigenen bleiben zu können. Ich habe daher die Verweise auf die Beispiele weggelassen. 9 Vielleicht ist es unglücklich, “reportativ” zu nennen, was tatsächlich ja ankündigend oder kommentierend ist. Die Äußerung “Ich fordere dich auf, X zu tun” kündigt zeitlich gesehen die Aufforderung erst an oder kommentiert das Folgende, es sei eine Aufforderung. Das ist Liedtke allerdings nicht entgangen. Er sieht den Akt der christlichen Taufe auch dadurch konstituiert, dass die Formel “Ich taufe …” die Zeremonie kommentiere (ebd.: 182). Der Begriff des Kommentierens ist hier also bereits für etwas anderes reserviert. 10 Zunächst hat Searles Vorläufer Austin von Sprechakten aus der Trennung von constative und performative heraus gesprochen. Die performatives waren für ihn Sprechakte, constatives nicht, später hat er diese scharfe Trennung nicht gezogen. Für Searle sind konstatierende Äußerungen Sprechakte. Denn selbst wenn ein Sprecher eine Äußerung ohne modulierende Indikatoren äußert, so macht er das aus demselben Grund wie bei anderen Sprechakten auch, weil sie in bestimmter Weise verstanden werden sollen.