eJournals Kodikas/Code 29/1-3

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2006
291-3

Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus: Mapping-Kunst als symbolische Form der Gegenwart

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2006
Roberto Simanowski
Die digitalen Medien haben mit Mapping eine eigene Kunstgattung hervorgebracht, deren Wesensmerkmal darin liegt, Information aus einer medialen Form (Bewegung, Statistik, Text) in eine andere (Musik, Bilder, Performance) zu transformieren. So werden Börsendaten als virtuelle Lebewesen oder bewegliche Plastiken visualisiert, gemessene Zeiteinheiten des Internet-Verkehrs in Musik verwandelt, numerische Daten einer Website in abstrakte Bildanimationen überführt. Die Fallanalysen des Aufsatzes machen deutlich, dass die künstlerische Botschaft weniger in der statistisch-genauen als in der metaphorisch-bedeutungsvollen Transformation der Ausgangsdaten zu suchen ist. Die theoretische Diskussion eröffnet Bezüge zu Readymades, Fotografie, Naturalismus und Postmoderne. Die These ist, dass es sich beim naturalistischen Mapping um einen Stil der ästhetischen Realitätsverarbeitung handelt, in dem sich die Omnipotenz der Informationsverwaltung und -verwandlung mit der Abwesenheit einer spezifischen künstlerischen Botschaft verbindet, ein Verfahren also, die metaphysische Sprachlosigkeit der Postmoderne beredt zu verdecken.
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Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus: Mapping-Kunst als symbolische Form der Gegenwart Roberto Simanowski Die digitalen Medien haben mit Mapping eine eigene Kunstgattung hervorgebracht, deren Wesensmerkmal darin liegt, Information aus einer medialen Form (Bewegung, Statistik, Text) in eine andere (Musik, Bilder, Performance) zu transformieren. So werden Börsendaten als virtuelle Lebewesen oder bewegliche Plastiken visualisiert, gemessene Zeiteinheiten des Internet-Verkehrs in Musik verwandelt, numerische Daten einer Website in abstrakte Bildanimationen überführt. Die Fallanalysen des Aufsatzes machen deutlich, dass die künstlerische Botschaft weniger in der statistisch-genauen als in der metaphorisch-bedeutungsvollen Transformation der Ausgangsdaten zu suchen ist. Die theoretische Diskussion eröffnet Bezüge zu Readymades, Fotografie, Naturalismus und Postmoderne. Die These ist, dass es sich beim naturalistischen Mapping um einen Stil der ästhetischen Realitätsverarbeitung handelt, in dem sich die Omnipotenz der Informationsverwaltung und -verwandlung mit der Abwesenheit einer spezifischen künstlerischen Botschaft verbindet, ein Verfahren also, die metaphysische Sprachlosigkeit der Postmoderne beredt zu verdecken. Digital media have developed an art form that converts one set of data (statistics, text, movement) into another form (music, images, performance). For example, data stream from the stock market are transformed into the behavoir of a virtual person or the movement of a sculpture; numerical data from a server are translated into moving patterns on the screen. The article introduces various examples of mapping and explores what qualifies them as art. The theoretical discussion relates mapping to topics such as ready-mades, photography, Naturalism, and Postmodernism. It is argued that mimetic mapping is a cultural form appropriate to the postmodern denial of grand narrative. It is the absolute administration of data rather than the expression of ideas. 1. Stil als Begriff In den Schriften des Malers Juan Gris, der einst den kubistischen Experimenten George Braques und Pablo Picassos folgte, findet sich folgende Notiz: Ich kann heute nicht mehr die Möglichkeit ins Auge fassen, mich so oder anders auszudrücken, weil für mich der Kubismus nicht ein Verfahren ist, sondern eine Ästhetik und sogar ein Geisteszustand. Wenn das so ist, muss der Kubismus eine Beziehung haben mit allen Manifestationen des zeitgenössischen Denkens. Man kann eine Technik, ein Verfahren isoliert erfinden, aber man erfindet keinen Geisteszustand (Hess 2001: 100). Gris’ Auffassung von einer außerindividuellen Ästhetik oder Geisteshaltung ist keineswegs neu. Unter dem Stichwort Stil begegnet sie in der Geschichte der Ästhetik spätestens seit dem 18. Jahrhundert, als man Stilen die Eigenart von Nationen, Sprachen oder Epochen entnahm. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 29 (2006) No. 1 - 3 Gunter Narr Verlag Tübingen Roberto Simanowski 254 Man denke an Winkelmanns vier Stilepochen in der Geschichte der Kunst des Altertums, an Hegels Rede vom antiken und modernen Stil 1 oder an die Intention des Historizismus, jede Epoche in ihrer Eigenart zu verstehen. Diese Perspektive auf Stil als Epochenphänomen und Ordnungsbegriff, der die Einheit des Vielfältigen in historischer Hinsicht sichert, findet man auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel bei Clement Greenberg, der den verschiedenen Kunstformen der 1960er Jahre - sei es Pop und Op oder Minimal und Neo-Figurative - gemeinsame stilistische Merkmale entnimmt wie klares Design, einfache geometrische Formen und grelle Farben. 2 In all diesen Fällen wird Stil als Verständnis einer Epoche gesehen, relativ losgelöst von den Gegenständen selbst. Meine Untersuchung nimmt diesen abstrahierenden Zugriff auf und geht der Frage nach, inwiefern Stil nicht nur Resultat einer Epoche, sondern auch eines Mediums sein kann. Die Frage liegt nahe, da der Begriff Stil von lateinisch stilus (Schreibgriffel) kommt, was die Bedeutung der Technologie für den Äußerungsprozess unterstreicht. Nietzsches Notiz, die Schreibmaschine schreibe mit, ist bekannt, ebenso, dass die Fotografie eine bestimmte Form der Wirklichkeitsdarstellung mit sich bringt, die Roland Barthes als “uncodiert” und “analog” bezeichnete. 3 Was den Film betrifft, erinnert Erwin Panowsky in seinem Essay Stil und Medium im Film daran, dass der frühe Stummfilm wegen des Fehlens sprachlicher Kommunikation einen Darstellungsstil verlangte, der sich vom Theater unterschied und in seiner notwendigen Übersteigerung des Ausdrucks dem “Stil des Holzschnitts” vergleichbar war (Panowsky 1967: 48). 4 Dem Video wird, im Vergleich zum Film, der Stil des Provisorischen, Authentischen nachgesagt, was Regisseure veranlasst hat, sich in genau dieser Hinsicht dieses Mediums als Zitat im Film zu bedienen. Die Aufzählung lässt sich fortführen auch im Hinblick auf die digitalen Medien. Niemand wird bezweifeln, dass der Computer mit seinen Optionen des Einfügens, Umstellens und Verknüpfens den Schreibprozess steuert. 5 Allerdings sind Bildschirm und Keyboard nur die äußeren Schnittstellen des Schreibgeräts Computer. Seine Grundlage ist die Database: die flexible, jederzeit neu arrangierbare und in andere Zeichensysteme übersetzbare Archivierung von Daten als binärer Code. Im Zentrum meiner Untersuchung steht die besondere Kulturform, die aus dieser Archivierungs- und Präsentationstechnologie resultiert. Genauer, ich werde eine Kunstgattung untersuchen, die aus dieser spezifischen Technologie des Datenmanagements hervorgegangen ist und die, so meine These, paradigmatisch den Geist der Informationsgesellschaft, die Erfahrung der Postmoderne und den Trend zur Ästhetisierung des Alltags verkörpert. Ich beginne mit der Beschreibung einiger Beispiele dieser Kunstgattung, präsentiere allgemeine Überlegungen zu ihr und diskutiere anschließend ihre philosophisch-ästhetischen Bezüge zur gesellschaftlichen Realität. 2. Formen der Datenvisualisierung Die New-Media-Installation Listening Post von Mark Hansens und Ben Rubin besteht aus 231 kleinen Text-Display Screens, die an Aluminium-Stangen in einem leicht konkaven Bogen angeordnet sind. 6 Dieser Vorhang aus Mini-Screens nimmt den ganzen Raum ein (640x426x91 cm in 11x21 Reihen) und entwickelt als Skulptur eine große visuelle Attraktion. Die Attraktion hinter dem Visuellen: Der zur Skulptur gehörende Computer hört den Gesprächen im Internet zu. Listening Post sammelt Text aus Tausenden von Chatrooms und anderen öffentlichen Online-Diskussionsforen, die in verschiedenen, jeweils 17minütigen Kompositionen neu zusammengestellt und auf den Bildschirmen der Skulptur gezeigt Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 255 werden. Ein multi-channal voice Synthesizer spricht zudem Teile dieses Textes in den Raum. 7 So werden zum Beispiel Passagen, die mit I am oder I’m beginnen, gesammelt und führen dem Betrachter der Skulptur vor, welche verschiedenen Formen des Selbstverständnisses und der Selbstbeschreibung in den letzten 24 Stunden in Online-Diskussionsforen zu finden waren. Die Präsentation der Internet-Texte erfolgt auf unterschiedliche Weise. Die Texte werden entweder jeweils auf einem der kleinen Bildschirme dargeboten (und können dann von den vor der Skulptur aufgestellten Bänken kaum mehr gelesen werden) oder sie bewegen sich in Buchstaben, die einen Mini-Screen ausfüllen, von rechts nach links bzw. von oben nach unten über die Bildschirme der Skulptur Die ‘Kommunikations-Plastik’ Listening Post ist Beispiel eines Verfahrens, das Informationen, welche nicht zu Kunstzwecken produziert wurden, in einen neuen Kontext überführt und als Kunst ausstellt. Der Dachbegriff für solche Formen des Datenwandels lautet Mapping: die Kartografierung anfallender Daten eines bestimmten Kontextes bzw. Systems und ihre Überführung in ein anderes (Manovich 2002). In Wissenschaft und Statistik gibt es eine lange Geschichte und reiche Palette an Anwendungen des Mapping, die allerdings keine ästhetischen Absichten hegen, sondern allein der Illustration dienen und deswegen hier nicht weiter zu betrachten sind. Listening Post hingegen wird im Rahmen einer Kunstgalerie präsentiert und transformiert Daten nur bedingt mit dem Ziel der Veranschaulichung. Die vorliegende Mischung aus Les- und Unlesbarkeit der Texte markiert vielmehr die doppelte Funktion dieser Installation als Dokumentation der Online-Kommunikation einerseits und als Skulptur andererseits. Als Dokument will die Installation die Texte in lesbarer Form präsentieren, um einen Eindruck von den besprochenen Themen zu geben. Als Skulptur nutzt sie die schwer- oder nicht lesbaren Texte eher in ihrer ästhetischen Funktion als Ornament, das freilich, anders als das traditionelle Ornament, zugleich als Dokument des Authentischen fungiert und als Symbol für die Unermesslichkeit jener Kommunikation. Während in Listening Post die Daten neu arrangiert werden, werden sie in anderen Werken (auch) einem medialen Transformationsprozess unterzogen. Ein Beispiel dafür, das ebenfalls dem Bereich der Skulptur zugehört, ist der von Roy Want in der Lobby von Xerox PARC manipulierte Springbrunnen, Internet Stock Fountain, dessen Wasserfluss durch Rückkoppelung zum Internet den Aktienkurs des Unternehmens spiegelte: Viel Wasser zeigt einen hohen Kurs an, wenig einen niedrigen (Avzav 1999). Auch The Source (2004) der Künstlergruppe Greyworld im Atrium des neuen Londoner Stock Exchange Gebäudes ist eine Plastik, die Börsendaten visualisiert. In diesem Falle bewegen sich 729 Kugeln an 162 etwa 32 Meter hohen Kabeln entsprechend der Bewegung auf dem Aktienmarkt. Die Künstler selbst nennen es: “a fluid, dynamic, three dimensional television […] a living reflection of market forces” (www.greyworld.org/ #the_source_/ i1). Der künstlerische Einsatz des Mappings bringt sehr verschiedene Formen in mannigfacher medialer Gestalt hervor. George Legradys Making Visible the Invisible (2005) nimmt die Ausleihstatistik der Stadtbibliothek in Seattle zum Ausgangspunkt und visualisiert die Daten in Tafeln über dem Ausgabestand der Bibliothek (www.mat.ucsb.edu/ ~g.legrady/ glWeb/ Projects/ spl/ spl.html). 8 They Rule von Josh On & Futuremore veranschaulicht mittels online gewonnener Daten grafisch, wer mit wem in wie vielen Aufsichtsräten großer Firmen und Institutionen der USA sitzt (www.theyrule.net). Ping (2001) von Chris Chafe und Greg Niemeyer basiert dagegen auf Daten, die keine direkten Produzenten haben, denn es misst die Zeit, die zwischen dem Aufruf einer Website und dem Eintreffen des Echo-Signals vergeht. Das Ergebnis wird über ein ausgeklügeltes Prinzip in Töne transformiert und wurde 2001 innerhalb der Ausstellung 010101 des Mu- Roberto Simanowski 256 seum of Modern Art San Francisco als Klangskulptur ausgestellt bzw. ist noch heute auf einer Website (http: / / crossfade.walkerart.org/ ping) zu hören. 9 Der australische Performancekünstler Stelarc benutzt in Ping Body (1996) das gleiche Verfahren, wandelt die erhaltenen Daten jedoch in Stromstöße um, die innerhalb einer Performance auf die Muskeln des Künstlers weitergeleitet werden und durch entsprechend hervorgerufene Reflexe dessen Bewegung auf der Bühne bestimmen. Black and White von Mark Napier wiederum kontrolliert mittels einer Spionage-Software 10 die 0 und 1 Bits auf dem CNN-Server und visualisiert diese auf einer Website (http: / / potatoland.com/ blackwhite) als schwarze und weiße Pixel in horizontaler und vertikaler Bewegung. Während also in manchen Fällen eine Transmedialität (Meyer 2007) im technologischen und zeichentheoretischen Sinne vorliegt - die Daten wechseln aus dem Internet oder einer internen Datenbank in eine Skulptur, eine Anzeigetafel oder eine Bühne und sie wechseln aus alphanumerischen Zeichen in visuelle Objekte, Ton oder Bewegung -, transformieren andere Werke die Daten innerhalb des gleichen Mediums. 11 3. Mapping als Readymade und Fotografie Die ästhetische Nutzung des Mapping kann als moderne Form des Readymade verstanden werden, da Objekte - in diesem Falle: Daten -, die in bestimmten Alltagskontexten entstehen, in einen ästhetischen Kontext versetzt und in mehr oder weniger manipulierter Form ausgestellt werden. Dabei kommt es zu interessanten Abweichungen vom ursprünglichen Readymade-Modell, wenn etwa in Legradys Bibliotheksinstallation der Produzent des Readymade zugleich das Publikum ist oder wenn in Stelarcs Ping Body nicht nur der Künstler das Readymade bewegt, sondern dieses im wahrsten Sinne des Wortes auch den Künstler. Abgesehen von diesen Kuriositäten gibt es prinzipielle Besonderheiten des Mapping gegenüber dem klasssischen Readymade. Zum einen wird das digitale Readymade aufgrund seiner Natur als Code nicht aus seinem ursprünglichen Kontext entfernt, sondern in den neuen kopiert. Zum anderen war die Intention des klassischen Readymade die Sabotage des Kunstsystems, weswegen Duchamp es als Missverständnis ansah, wenn das Publikum plötzlich von der Schönheit des Urinals sprach und mit dieser Ästhetisierung des corpus delicti dessen Ausstellung im Kunstkontext nachträglich legitimierte. Mapping zielt nicht auf Sabotage, sondern auf Recycling und steht philosophisch-ästhetisch eher in der Tradition von Schwitters als von Duchamp. Es handelt sich um eine Ästhetisierung der Statistik, bei der unaufregende Daten in einem neuen, interessanten Gewand ein zweites Dasein erhalten. Ein dritter Unterschied liegt darin, dass Mapping die Rückkehr des handwerklichen Könnens (die Programmierung) in die Kunst bedeutet, während das klassische Readymade als Konzeptkunst vor allem von intellektueller Kompetenz getragen war. Man kann argumentieren, dass Fotografie die erste Form des Readymade ist, da sie vorgefundene Wirklichkeit nicht in einem Beschreibungsverfahren zum Ausdruck bringt, sondern direkt abbildet. 12 Mapping wiederholt im Grunde das Verfahren der Fotografie, indem es bestimmte Ausschnitte aus der Wirklichkeit der Datenwelt direkt abbildet und eine Identität zwischen Zeichen und Bezeichnetem präsentiert. Die Beziehung zwischen Darstellung und Dargestelltem ist wie bei der Fotografie uncodiert und erfolgt nicht im digitalen, sondern im analogen Modus. Der Unterschied liegt freilich darin, dass Mapping im Gegensatz zur Fotografie ein dynamisches Medium ist (eher dem Dokumentarfilm vergleichbar) und anders als jene (und dieser) nicht im Zeichen des Todes steht, da das bezeugte Hier und Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 257 Jetzt, das auf jedem Foto und im Film immer ein Gewesen-Sein ausdrückt, gegenwärtig bleibt. Wenn Barthes festhält, dass “das Unnachahmliche der Photographie (ihr Noema) darin besteht, dass jemand den Referenten leibhaftig oder gar in persona gesehen hat” (Barthes 1989: 89), kann hinzugefügt werden, dass Mapping die Fotografie in dieser Hinsicht imitiert und überbietet, indem es zugleich immer auch die aktuelle Gegenwart des Referenten bezeugt. Barthes Rede von der unkodierten Abbildung der Realität in der Fotografie provoziert natürlich Widerspruch, da sich die Parameter des Mediums unvermeidlich in die Abbildung einschreiben, die Subjektivität des Fotografen mindestens in der Wahl des Gegenstandes und der Perspektive auf diesen präsent ist und die Objekte implizite durch eine konventionalisierte Zeichenstruktur des Visuellen bestimmt sind. 13 Die Perspektive des ‘Mapping-Fotografen’ auf den Gegenstand manifestiert sich darin, welche Daten er auswählt und wie er diese transformiert und präsentiert. Die Darstellung ist gewissermaßen kodiert durch die Art der Übersetzung, der Kommentar des Mapping-Künstlers ist, so lässt sich vorläufig sagen, die neue Form, die er kreiert. Diese Überlegung wirft zugleich die Frage auf, inwiefern die Form, die der Künstler findet, tatsächlich eine Aussage vermittelt, mit anderen Worten: welche Einheit von Inhalt und Form besteht. Manovich, Theoretiker der neuen Medien, führt diese alte Frage selbst ins Feld und sieht hier “the basic problem of the whole mapping paradigm”: Since usually there are endless ways to map one data set onto another, the particular mapping chosen by the artist often is not motivated, and as a result the work feels arbitrary. We are always told that in good art “form and content form a single whole” and that “content motivates form.” Maybe in a “good” work of data art the mapping used have to somehow relate to the content and context of data - although I am not sure how this would work in general (Manovich 2002). Die erwähnten Beispiele Ping und Ping Body unterstreichen Manovichs Beobachtung, dass ein und dieselben Daten (bzw. Datensorte) in sehr verschiedene Formen überführt werden können. Andererseits motiviert in einem Werk wie They Rule der Inhalt sehr wohl die Form seiner Präsentation. Die Individuen sind durch entsprechende Icons als Geschäftsleute kenntlich gemacht, die sich um das Icon eines typischen Aufsichtsratstisches gruppieren und die Vernetzung untereinander durch entsprechende Pfeile anzeigen; dickere Icons deuten auf größere Machtfülle (d.h. Vertretung in mehreren Aufsichtsräten), die Farbgebung der Grafik, ein unauffälliges Grau, greift das für den Gegenstand typische Design auf. Auch Roy Wants Internet Stock Fountain ist in der Form durch den bezeichneten Inhalt motiviert: Die Stärke des Wasserstrahls entspricht der aktuellen Stärke der ‘gemappten’ Aktie. In beiden Fällen erfolgt die Visualisierung der Daten im Modus nicht-arbiträrer ikonischer Zeichen und präsentiert somit die Einheit von Inhalt und Form. 14 Diese Einheit ist freilich nicht erkennbar bei Ping, Ping Body oder Black and White, was nicht heißt, in diesem Falle Manovichs Klage zuzustimmen. Das Problem des Mapping, so meine These, liegt weniger in der mangelnden Ikonizität der Datentransformation als im Gegenteil in der direkten Übersetzung des den Daten eigenen formalen Aspekts in ihre Zielform. Dieser “imitative naturalism” 15 findet nicht wirklich eine dem Inhalt angemessene Form, sondern spiegelt lediglich die Form, die vorgefunden wurde. Sie trifft daher, wie den Naturalismus, der Vorwurf mangelnder künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Roberto Simanowski 258 4. Mapping und Naturalismus Das ästhetische Verfahren, der Stil des künstlerischen Ausdrucks im Mapping gleicht dem im Naturalismus, jener literarischen Bewegung im Frankreich und Deutschland der 1870er und 1880er Jahre. Ziel des Naturalismus war eine objektive, wahrheitsgetreue Widerspiegelung der Realität unter Ausschließung der Subjektivität des Autors. Der naturalistische Autor wurde, wie etwa in Wilhelm Bölsches Buch Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Prolegomena einer realistischen Ästhetik von 1887, als Experimentator verstanden, der, dem Chemiker vergleichbar, bestimmte Charaktere mit bestimmten sozialen Kontexten in bestimmte Situationen bringt, was zwangsläufig zu bestimmten, voraussehbaren, vom ‘Autor-Chemiker’ unabhängigen, aber von ihm zu notierenden Reaktionen führt (Bölsche 1976). Diese Ästhetik, der die zeitgenössischen Theorien des sozialen Determinismus zugrunde lagen, wurde sowohl von Zeitgenossen wie Nachgeborenen kritisiert gerade wegen der angestrebten Vermeidung einer persönlichen Perspektive. Adorno sieht im Naturalismus die “Regression der Kunstwerke auf die barbarische Buchstäblichkeit dessen, was ästhetisch der Fall ist” (Adorno 1973: 158), Peter Bürger spricht von “Verzicht auf Sinnstiftung durch den Autor” (Bürger 1979: 37), Albert Camus glaubt in der Verherrlichung der rohen Wirklichkeit (Camus 2003: 304) sogar Nihilismus erkennen zu müssen, da der Autor auf die “erste Forderung künstlerischer Schöpfung” (ebd.) verzichtet: der Welt eine bestimmte, unverwechselbare Perspektive zu geben, in der zugleich Kommentar, Protest und Hoffnung des Autors zum Ausdruck kämen. Camus’ Stichwörter sind Stilisierung und Formgebung: Welche Perspektive ein Künstler auch wähle, ein Prinzip bleibt allen Schöpfern gemeinsam: die Stilisierung, die die Wirklichkeit voraussetzt, und der Geist, der ihr seine Form gibt. Durch sie macht das schöpferische Bemühen die Welt neu, immer mit einer leichten Abwandlung, die das Kennzeichen der Kunst und des Protestes ist (Camus 2003: 307). Natürlich weiß Camus, dass reiner Realismus (im Sinne einer analogen, uncodierten Abbildung) unmöglich ist (Camus 2003: 306). 16 Auch die Naturalisten selbst haben gelegentlich auf den verbleibenden subjektiven Faktor im Text hingewiesen. So zieht Julius Hart eine deutliche Trennung zwischen der Sprache der Literatur und der Sprache des Alltags, sieht in der radikalen Kopie letzterer nur einen Mangel an poetischer Kompetenz und spricht im übrigen mit Blick auf die nötige Auswahl beim Beschreiben der Wirklichkeit durchaus von künstlerischer Komposition (Hart 1890). In ähnlicher Weise verweist Zola auf das individuelle Temperament im Schreibprozess und sieht darin den Unterschied zur Fotografie (Zola 1885). Wie auch immer diese Verweise auf die Anwesenheit des Autors im Text mit der Absicht der Unterdrückung des subjektiven Faktors im naturalistischen Text in Übereinstimmung zu bringen sind, die hier interessierende Frage ist, in welchem Maße beim Mapping Stilisierung und Formgebung durch den Autor vorhanden sind oder im Gegenteil ein Mangel an persönlicher Perspektive vorliegt. Da beim Mapping vorliegende Datenstrukturen verlustfrei übertragen werden können, ist der Autor hier, anders als der naturalistische Schriftsteller, tatsächlich nicht mehr zur Auswahl der ihm wichtigen Aspekte und Details gezwungen. Seine individuelle Perspektive äußert sich stattdessen zum einen in der Art der Daten, denen er sich widmet, zum anderen in der Art ihrer Transformation. Die Datenwahl stellt, wie They Rule deutlich macht, mitunter bereits einen mehr oder weniger klaren Kommentar dar, was im übrigen auch für die Naturalisten mit ihrem Augenmerk auf die sozial Unterprivilegierten gilt. Die Transformation kann, wie Manovich beklagt, auf reiner Zufälligkeit beruhen, oder, Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 259 wie ich zu bedenken gebe, sich in einer vordergründigen Inhalt-Form-Einheit erschöpfen. Ich will an zwei Beispielen deutlich machen, worum es geht. George Legradys Making Visible the Invisible beabsichtigt, vergleichbar dem Naturalismus, einen verlässlichen Bericht über seinen Gegenstand, das Leseverhalten eines bestimmten Bevölkerungsteils, zu geben. Im Interesse einer akkuraten Datenpräsentation verschob sich die Art der Transformation im Laufe der Projektkonzeption von einer poetischen, metaphorischen zu einer stärker informativen, statistischen Visualisierung. 17 Die schließlich gefundene Präsentationsform entspricht dem statistischen Aspekt des Gegenstands und dürfte somit Manovichs Forderung nach einer Einheit von Inhalt und Form erfüllen. Legrady erklärt diese Veränderung mit der Herausforderung “to arrive at the ideal balance between information and poetics” und mit dem Wert der Daten an sich: “In the end, the most fascinating element is the cultural narrative and associative resonances that emerges out of the stream of data itself, so its best to let it speak for itself” (Legrady 2005). Die Hochschätzung der Daten als solcher entspricht ganz dem Modell des Naturalismus mit der folgerichtigen Konsequenz einer möglichst genauen Präsentation unter Verzicht auf eine künstlerische Verarbeitung. Aber so verlässlich Making Visible the Invisible in seiner Endform auch über die im Umlauf befindlichen Bücher informiert, es verschweigt, welche Position Legrady selbst seinem Gegenstand gegenüber einnimmt. Es besitzt den dokumentarischen Wert einer soziologischen Studie auf Kosten der von Camus eingeklagten persönlichen (kommentierenden, protestierenden, verstörenden, zustimmenden) Perspektive des Kunstwerkes. Ganz im Gegensatz dazu vermittelt Mark Napiers Black and White offenbar keinerlei brauchbare Informationen. Die Darstellung der 0 und 1 Bits des CNN-Servers als weiße und schwarze Bewegung auf dem Bildschirm erzeugt nicht mehr als ein abstraktes Gebilde und ordnet das Werk zweifellos dem Formalismus zu. Bemerkenswerterweise sieht Camus im Formalismus die zweite Form des Nihilismus, und zwar aus dem gleichen Grund des Mangels an einer spezifischen Perspektive des Künstlers. Formalismus ist, als Flucht vor der Realität, nur das Pendant zur Flucht in die Realität: Der realistische und der formalistische Künstler suchen die Einheit, wo sie nicht ist, in der Wirklichkeit im Rohzustand oder in der Phantasieschöpfung, die jede Wirklichkeit auszutreiben glaubt. Die Einheit in der Kunst erwächst im Gegenteil aus der Umformung, die der Künstler dem Wirklichen auferlegt. Sie kann weder auf das eine noch auf das andere verzichten. Diese Korrektur, die der Künstler durch die Sprache und durch eine Neuverteilung der Wirklichkeitselemente vornimmt, nennt man Stil … (Camus 2003: 305). Es mag plausibel erscheinen, den Naturalismus mit dem Formalismus ob seines ausbleibenden gestaltenden Wirklichkeitszugriffs zu vergleichen. Auch Bürger erklärt: “Den Verzicht auf die symbolische Darstellung gesellschaftlicher Totalität hat der Naturalismus mit dem Ästhetizismus gemein” (1979: 31). Dennoch ist Camus Vorraussetzung insgesamt problematisch. Formalismus bedeutet nicht notwendigerweise L’art pour L’art und verweigert - wie Adornos Verteidigung des Formalismus gegen den Vorwurf der Dekadenz durch Lukács deutlich macht - nicht zwangsläufig einen Kommentar des Autors zur Realität. So ist Black and White viel komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Umstand, dass der Einsatz einer Spionage-Software ausgerechnet auf dem Server einer berühmten Nachrichtenstation nichts weiter als abstrakte Formen erbringt, ist an sich schon Aussage genug, zumal im Vergleich mit dem Einsatz von Carnivore in Jonah Brucker-Cohens Police State (2003), das sich beschreibt als “a reversal of the control of information appropriated by police by using the same information to control them”, so dass “the police become puppets of their own Roberto Simanowski 260 surveillance” (www.mee.tcd.ie/ ~bruckerj/ projects/ policestate.html). Solch nahe liegende Widerstandsrhethorik, das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, ist Napiers Carnivore-Einsatz völlig fremd. Vielleicht äußert sich gerade darin seine persönliche Perspektive, die Brucker-Cohens romantischem Gegenkultur-Optimismus abgeklärten Pessimismus entgegenstellt. Von Interesse ist hier freilich nicht die Berechtigung dieser oder jener Haltung im Umgang mit Spionage-Software, sondern die Frage, wie diese Haltung als künstlerische Botschaft vermittelt wird. In Napiers Fall geschieht es allein durch die Visualisierungsform, die er für die zugrunde liegenden Daten findet. Diese Form ist zwar nicht zwingend (die Daten hätten auch in Töne transformiert werden können), sie ist aber auch nicht zufällig oder zusammenhangslos. Sie entspricht genau dem, was der Künstler vermitteln will, und bildet somit eine perfekte Einheit mit dem Inhalt, als der nicht die Database des CNN Servers zu denken ist, sondern die Perspektive Napiers. 18 Während, so die Konsequenz dieser Betrachtung, das naturalistische Making Visible the Invisible nur kommentarlos vorliegende Informationen spiegelt, informiert das formalistische Black and White über die Haltung, die sein Autor zur Welt einnimmt. Black and White mag Pessimismus vermitteln, es ist jedoch, im Sinne Camus und im Gegensatz zum kommunikationsfreudigen Making Visible the Invisible, nicht nihilistisch. Im Hinblick auf die unterschiedliche Ästhetik dieser beiden Werke sei auf die gegensätzlichen Positionen von Adorno und Lukács in der Formalismusdebatte verwiesen. Während Lukács politisches Engagement auf der Inhaltsebene verortete und daher kritische, wenngleich stilistisch konservative Texte favorisierte, sah Adorno politisches Engagement auch und gerade auf der Ebene der Form und hob den Wert verunsichernder formalistischer Experimente hervor. Making Visible the Invisible und mehr noch They Rule zeigen solches Engagement auf der inhaltlichen Ebene, sind in ihrer formalen Gestaltung aber eher einfalls- und anspruchslos gegenüber dem befremdenden, hintergründigen Black and White. Diese Anspruchslosigkeit resultiert gerade aus der nicht-arbiträren Beziehung zwischen den zugrunde liegenden Daten und der Form ihrer Präsentation. Die Ikonizität ihrer Beziehung ist der Naturalismus des Mapping. Im Gegensatz dazu verbirgt sich bei Black and White in der völlig arbiträren und bis zur Unkenntlichkeit symbolisierten Beziehung zwischen den Bits des CNN-Servers und der Bewegung der weißen und schwarzen Punkte auf dem Bildschirm die persönliche Perspektive des Künstlers. 19 Dieser Zusammenhang wird noch deutlicher im Falle von Ping Body. Die Stromimpulse, die auf der Bühne Bewegungen auslösen, stehen in keinem natürlichen Zusammenhang mit den Ausgangsdaten. Ihre Beziehung ist symbolisch im semiotischen Sinne - Zeiteinheiten besitzen keine natürliche Relation zu Bewegungsintensitäten - und metaphorisch im semantischen - die inszenierte Relation bezeichnet einen Einfluss der Technik auf den menschlichen Körper. Die Willkür der Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem bzw. der Daten-Transformation macht die abzulesende Metaphorik zu einer rein subjektiven Äußerung des Autors. Sie entspricht seiner Theorie von der Obsoletheit des menschlichen Körpers und seiner Obsession mit dessen Cyborgisierung (Stelarc 2000). Ping Body zielt nicht auf die wahrheitsgetreue Präsentation schwer zugänglicher Daten, sondern spielt mit der Authentizität der vorliegenden Ursache-Wirkung-Kette, die freilich vom Autor inszeniert wurde zur spektakulären Illustration seiner Sicht auf die Dinge. Die Daten selbst, die ebenso aus anderen Quellen genommen werden könnten, 20 werden dabei (das gilt auch für die zuvor besprochenen Fälle) in ihrer Struktur nicht verfälscht: Eine längere Zeiteinheit der Ping-Daten verursacht einen höheren Stromimpuls und zwangsläufig eine stärkere Muskelreaktion als eine kürzere Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 261 Zeiteinheit. Die Ordnung der ‘gemappten’ Daten bleibt also, in anderer Form, erhalten, was sich vielleicht mit Peirce als diagrammatischer Ikonismus bezeichnen ließe. 21 Die diskutierten Beispiele veranlassen zur Frage, ob also der Kommentar des Mapping- Künstlers die Arbitrarität der Transformation voraussetzt bzw. ob die präzise Information über einen Gegenstand zwangsläufig den Mangel an persönlicher Perspektive bedeutet. Die Antwort dazu sei wiederum an zwei Beispielen gegeben. Lynn Hershman’s Synthia von 1999 (www.artnet.com/ artwork/ 423861664/ lynnhershman-synthia.html) zeigt auf einem kleinen Bildschirm eine Figur, deren Verhalten sich entsprechend der Bewegung auf dem Aktienmarkt ändert. Synthia tanzt, wenn der Aktienindex steigt, sie schläft, wenn er stagniert, und sie wird zur Kettenraucherin, wenn der Index sinkt. In diesem Falle löst sich die Visualisierungsform von der Ikonizität anderer auf Aktienmarkt-Daten basierender Mapping-Werke (erwähnt wurden Roy Wants Internet Stock Fountain und Greyworlds The Source, die beide die Aufwärtsbewegung der zugrunde liegenden Daten als Aufwärtsbewegung visualisieren) und übersetzt die Entwicklung der Daten in menschliche Verhaltensformen. 22 Indem die Aufwärtsbewegung des Aktenindex mit Freude (des Aktienbesitzers), ihr Fall mit Angst gekoppelt wird, verlässt die Datenpräsentation die Form des Ikonischen. Lässt sich darin schon ein Kommentar der Künstlerin zum vorliegenden Gegenstand entdecken? Die Zeichen, auf die sie sich beruft, sind immerhin etabliert für die Symbolisierung der vorliegenden Zusammenhänge und weisen somit eine Quasi-Ikoniziät auf. Dies wäre anders, würde Hershman Synthia tanzen lassen, wenn der Aktenindex fällt, und durch diese Kopplung die übliche Sichtweise in Frage stellen, mit geradezu politischen Implikationen. Andererseits wäre diese Umkehrung auch sehr vorhersehbar und vielleicht gerade ihrer Aufdringlichkeit wegen ästhetisch wenig überzeugend. Im Grunde bleibt sie selbst in ihrer Abwesenheit hinter der einfallslosen Bestätigung des Klischees präsent - von der Künstlerin intendiert oder vom Werk suggeriert. 23 Ein anderes in diesem Zusammenhang interessantes Beispiel ist Golan Levins The Secret Lives of Numbers von 2002, das jede Zahl von 0 bis 100 000 als Graph darstellt und zwar gemäß ihrer Popularität im Netz (www.turbulence.org/ Works/ nums). So wie Making Visible the Invisible offeriert dieses Werk präzise Informationen über einen bestimmten Gegenstand, wobei die Visualisierung im Modus der Ikonizität erfolgt (hohe Popularität = langer Graph). Gleichwohl handelt The Secret Lives of Numbers, wie schon der Titel ausdrückt, von mehr als einer genauen Datenpräsentation, und es ist auch mehr als die Aufdeckung geheimer Daten; es ist genau genommen die Erfindung von Daten. Indem Levin das Verhältnis der Zahlen unter dem Aspekt ihrer Popularität betrachtet, stattet er sie mit einem individuellen Leben aus. Diese Poetisierung offeriert seinem Publikum eine Perspektive, die sich über die bekannte Ordnung erhebt. 24 Es sei angemerkt, dass die spezifische Perspektive des Künstlers in diesem Falle nicht in der Wahl der Visualisierungsform liegt (die Transformation ist absolut naturalistisch), sondern ganz und gar in der Wahl der zu visualisierenden Daten. Synthia, mit seiner imaginierten Form einer umgekehrten Zuordnung, und The Secret Lives of Numbers bezeugen somit zwei unterschiedliche Wege für die, wie Camus es ausdrückt, “Umformung, die der Künstler dem Wirklichen auferlegt” (Camus 2003: 305). Dass diese Umformung der Wirklichkeit zugleich dem Künstler auferlegt ist, daran lässt Camus keinen Zweifel. Er wiederholt damit, abgesehen von seiner problematischen Behandlung des Formalismus, eine durchaus verbreitete Funktionsbestimmung der Kunst. Kunst muss der Versöhnung mit dem, was ist, entgegenarbeiten: durch Verwirrung, Befremdung, Vermittlung einer neuen Sichtweise. Kunst darf, so Adorno, keine Friedensangebote an die gesellschaftlichen Zustände machen: “Das Nichtseiende in den Kunstwerken ist eine Konstellation Roberto Simanowski 262 von Seiendem. Versprechen sind die Kunstwerke durch ihre Negativität hindurch, bis zur totalen Negation” (Adorno 1973: 204). 25 Während eine Dokumentation oder Sozialstudie über einen Gegenstand so präzise wie möglich informieren, also Denken dazu erst erlauben will, ist es Anliegen der Kunst, das etablierte Denken über einen Gegenstand in Frage zu stellen. Die Dokumentation ist positive Setzung von Wissen (Antwort), die Kunst ist Negation von Wissen (Frage). Während die Dokumentation sich für ihre Zwecke konsequenterweise wissenschaftlicher Objektivität verschreibt, sucht die Kunst für ihre bewusst den subjektiven Zugang. Wie gesehen ändern sich Selbstverständnis und Methoden der Kunst im Naturalismus grundsätzlich: Kunst will nun Wissenschaft sein. Die Gegenwart konfrontiert mit dem gleichen Phänomen. Ähnlich wie im ausgehenden 19. Jahrhundert die Natur- und Sozialwissenschaft einen Aufschwung nahm, so bestimmt in der Informationsgesellschaft seit dem ausgehenden 20. Jahrhunderts die Computerwissenschaft den gesamten Bereich des privaten und gesellschaftlichen Lebens. Erneut verschreiben sich Künstler dem wissenschaftlichen Experiment und seiner Methode des Positivismus, erneut hört man entsprechende Grundsatzerklärungen. Stephen Wilson erklärt in seinem Buch Information Arts: “the role of the artist is not only to interpret and to spread scientific knowledge, but to be an active partner in determining the direction of research” (Wilson 2002: Umschlagtext). Gerfried Stocker, Leiter der Ars Elctronica, ist überzeugt: “Die Kunst von morgen wird gemacht von den Engineers of Experience in ihren Werkstätten der Welterfindung und Welterschaffung. Sie wird inszeniert zwischen Las Vegas und Tate Modern, zwischen IT-Algorithmen und Proteinsequenzen” (Stocker 2001: 19). Diese Äußerungen gehen weit über die traditionelle Verbindung von Kunst und Technologie hinaus. Ist die deklarierte Einheit beider Bereiche das Happy end des alten Widerstreits der zwei Kulturen (Snow 1964), wie Wilson nahe legt (2002: 5)? Wie ändert sich die spezifische Rolle der Kunst in der Gesellschaft, wenn sie nicht mehr kommentieren, sondern entdecken will? Was das historische Vorbild betrifft, so resümiert Stefan Hajduk kritisch: “Der Preis für die naturalistische Überidentifikation mit dem wissenschaftlichen Positivismus aber ist der Verlust der Wahrheitsfähigkeit und des Erkenntnisanspruchs der Literatur als Kunst” (2005: 241). Diese Kritik deckt sich mit Adornos, Camus’ und Bürgers Vorwurf mangelnder Sinnstiftung durch den naturalistischen Autor. Wenn Hajduk im weiteren dem Naturalismus vorwirft, das “szientistisch kurrente Kontrollphantasma” zu übernehmen statt, im Sinne einer Methodendiskussion, den subjektiven Faktor aufzunehmen und sich “offen zu halten für Erkenntnisse, die von den zu erwartenden abweichen” (2005: 243), verbleibt er im Grunde freilich selbst im Modell der Naturwissenschaft, indem er suggeriert, dass der Autor im Prozess des Schreibens auf Verhaltensweisen seiner Figuren stoßen könnte, die seine Ausgangshypothesen falsifizieren. Wichtiger für die vorliegende Diskussion ist allerdings der Aspekt des Kontrollphantasmas, das 120 Jahre nach dem Naturalismus noch eine ganz andere Bedeutung gewinnt. Denn das Paradigma des Naturalismus wiederholt sich nicht nur vor dem Hintergrund einer ähnlich im Aufschwung begriffenen Wissenschaft, sondern auch einer prinzipiellen Erkenntnis- und Glaubenskrise. Die aktuelle Kontrastfolie des Kontrollphantasmas ist der Verlust des Wahrheitsanspruchs in der postmodernen Gesellschaft. Während Hajduk im Koalitionsbestreben der naturalistischen Literatur mit dem gesellschaftlich Anerkennung gewinnenden Paradigma der Wissenschaft Opportunismus argwöhnt (2005: 245), sind die neuerlichen Fusionsbestrebungen vielleicht eher als eine Art Krisenmanagement zu verstehen. Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 263 5. Mapping and Postmodernism Der Brückenbegriff für Mapping und Postmoderne ist die von Manovich konstatierte Ästhetisierung der zugrunde liegenden Daten. Similarly, the graphical clients for Carnivore transform another invisible and “messy” phenomena - the flow of data packets through the network that belong to different messages and files - into ordered and harmonious geometric images. The macro and the micro, the infinite and the endless are mapped into manageable visual objects that fit within a single browser frame (Manovich 2002). Manovich verbindet mit dieser Beobachtung eine Diskussion des Erhabenen und sieht in der durch Mapping erstellten Ordnung dessen Übersetzung in für den Menschen fassbare Ausmaße. Die Perspektive auf Mapping als gegenromantische Auflösung des Erhabenen ist in mehrfacher Weise problematisch und stößt auch auf den Widerspruch einiger Mapping- Künstler. 26 Die Feststellung einer Verschönerung 27 der Daten ist gleichwohl angemessen. Diese stellt, als Visualisierung, eine weitere Stufe des pictorial turn dar (Mitchell 1994: 11), und, als Harmonisierung nüchterner Daten, ein weiteres Kapitel in der Ästhetisierung bzw. Verhübschung des Alltags, die Anfang der 1990er Jahre als Stil-Phänomen der Gegenwart diagnostiziert wurde (Schulze 1992, Welsch 1993). Wie Wolfgang Welsch ausführte, ist das Phänomen der Verhübschung bzw. Oberflächenästhetisierung gekoppelt an eine Tiefenästhetisierung, als “neuartiges, prinzipiell ästhetisches Wirklichkeitsbewusstsein”, das “die Seinsweise der Wirklichkeit und unsere Auffassung von ihr im ganzen” betrifft (1993: 17): Die Ästhetisierung des Bewusstseins schließlich bedeutet: Wir sehen keine ersten und letzten Fundamente mehr, sondern Wirklichkeit nimmt für uns eine Verfassung an, wie wir sie bislang nur von der Kunst her kannten - eine Verfassung des Produziertseins, der Veränderbarkeit, der Unverbindlichkeit, des Schwebens usw (1993: 21). Die philosophische Begründung der Ästhetisierung, so lässt sich Welsch zusammenfassen, ist der Verlust an moralischen, epistemologischen, metaphysischen Gewissheiten. Dieser Verlust äußert sich im Bereich der Kunst - als eigentlicher Heimat des Ästhetischen - in der Schwerpunktverschiebung vom Inhalt zur Form. An die Stelle der Wirklichkeitsdarstellung aus einer bestimmten narrativen Perspektive treten das Experiment mit dem Material sowie das Remix. Welsch greift den Begriff der Trans-Avantgarde des italienischen Kunsthistorikers Achille Bonito Oliva auf und konstatiert: Für dieses Konzept der Trans-Avantgarde ist vor allem der Abschied von einem Eckpfeiler des Avantgarde-Theorems der Moderne, die Absage an den Sozialauftrag der Kunst, charakteristisch. Der Künstler will nicht mehr der ästhetische Handlanger oder Propagandist einer gesellschaftlichen Utopie sein (1991: 24). 28 Die Absage an den Sozialauftrag der Kunst ist eine verständliche Konseqeunz der metaphysischen Unsicherheit, die die postmoderne Aufklärung hinterließ. Die Folge dieser Absage ist eine “culture of the depthless image” (Darley 2000: 192), eine “society of the spectacle” (Jameson 1998: 87), mit einer “prevalence of technique and image over content and meaning” (Darley 2000: 114), in der das Schöne als Dekoration kompromitiert ist: “without any claim to truth or to a special relationship with the Absolute” (Jameson 1998: 84). Manovich bietet neben dem Aspekt der Ästhetisierung einen zweiten Brückenschlag vom Mapping zur Postmoderne, wenn er in der technischen Grundlage des Mappping, der Database, 29 eine neue symbolische Form unseres Zeitalters sieht. Roberto Simanowski 264 Following art historian Ervin Panofsky’s analysis of linear perspective as a “symbolic form” of the modern age, we may even call database a new symbolic form of a computer age (or, as philosopher Jean-Francois Lyotard called it in his famous 1979 book The Postmodern Condition, “computerized society”), a new way to structure our experience of ourselves and of the world. Indeed, if after the death of God (Nietzsche), the end of grand Narratives of Enlightenment (Lyotard) and the arrival of the Web (Tim Berners-Lee) the world appears to us as an endless and unstructured collection of images, texts, and other data records, it is only appropriate that we will be moved to model it as a database (2001: 219). Da die Daten einer Database für verschiedene Zwecke und in immer wieder neuer Anordnung abgerufen werden können, sieht Manovich darin ein epistemologisches Konkurrenzmodell zur Narration: As a cultural form, database represents the world as a list of items and it refuses to order this list. In contrast, a narrative creates a cause-and-effect trajectory of seemingly unordered items (events). Therefore, database and narrative are natural enemies. Competing for the same territory of human culture, each claims an exclusive right to make meaning out of the world (2001: 225). Die Passage ist nicht unproblematisch, da einerseits der User eine Database nicht als ungeordnete “list of items” erfährt, sondern die abgerufenen Daten in einer bestimmten Anordnung erhält und anderseits ja auch die Daten einer Database nach spezifischen Kriterien gesammelt werden (LeMay 2005). Manovichs Erklärung des Aufstiegs der Database-Logic aus dem Niedergang der großen Erzählungen deckt sich hingegen mit meinen Überlegungen, was die geistige Schwester der Database-Logic, das Mapping, betrifft. Mapping verweigert zwar nicht die Ordnung der Dinge, gleichwohl stellt es, in seiner naturalistischen Variante, auch keine her im Sinne einer Narration, denn es verzichtet auf die “symbolische Darstellung gesellschaftlicher Totalität” als “Sinnstiftung durch den Autor” (Bürger 1979: 31, 37). Der Effekt für den Autor ist trotzdem nicht das Gefühl von Unordnung oder Ohnmacht, sondern von Kontrolle. Mapping scheint unter psychologischem Gesichtspunkt eine geeignete Antwort auf die beschriebene Situation des metaphysischen Vakuums zu sein. Die narzistische Kränkung der weltanschaulichen Desorientierung wird verdrängt durch das Phantasma bzw. die Realität absoluter Kontrolle über jegliche Form von Daten. Der gleichzeitige Mangel an Interpretation der Wirklichkeit durch den Künstler kann sich dabei erfolgreich als Aufklärung tarnen, da er oft schwer zugängliche Daten präsentiert und so in Anspruch nehmen darf, seinem Publikum neue Einsichten in bestehende Realitäten zu vermitteln. Die genauere Betrachtung hat gezeigt, dass er dies im Modell der Kunst gerade nicht tut und dass im Gegenteil eher jene Formen des Mapping, die auf die genaue Präsentation von Daten verzichten, eine künstlerische Aussage enthalten. Mapping erscheint aus dieser Perspektive nicht nur als natürliche Verbindung der Kunst zur Technologie, sondern auch als Reaktion auf eine Krise, in der dem Künstler für Sinnstiftung epistemologisch der Boden entzogen wurde. Auch darin ähnelt Mapping dem Naturalismus, der ja ebenfalls mehr als eine opportunistische Anlehnung an ein erfolgreiches Paradigma darstellte. Der Naturalismus war zugleich die Antwort auf die Gründerzeitästhetik, die mit ihrer klassizistischen Gebärde ohnehin keinen Anspruch auf Authentizität und poetische Wahrheit mehr erheben konnte (Hajduk 2005: 245). Ein solches Misstrauen in das Konzept herkömmlicher ästhetischer Ausdrucksformen kennzeichnet auch die Gegenwart. Mapping bricht mit Welterklärungsversuchen und gesamtgesellschaftlichen Wirkungsansprüchen und zeigt stattdessen die Welt, wie sie wirklich ist. Datentransformation, Ikonizität, Naturalismus 265 Es wäre sicher vermessen, Mapping als die kulturelle Ausdrucksform unserer Zeit zu kennzeichnen. Mapping ist ein Genre innerhalb der digitalen Kunst, und wie zu sehen war, versammeln sich unter diesem Dachbegriff wiederum verschiedenste Arten der praktischen Ausführung, im Hinblick auf die beteiligten Medien (Kleidung, Tanz, Installation, Internet, Plastik, Bildschirm), die zugrunde liegenden Daten (Aktenindex, Internet-Traffic, Online- Kommunikation, Machtverhältnisse) sowie die künstlerische Haltung zum Gegenstand (objektive Datenpräsentation, Poetisierung, Kommentar). Jene Form des Mapping, die sich der präzisen, kommentarlosen Datentransformation widmet und die hier mit dem Naturalismus verglichen wurde, ist also nur ein Teil (wenn auch wohl der weitaus größte) der Mapping-Kunst. Kann man in ihm - so wie Gris im Kubismus - mehr als ein spezifisches methodisches Verfahren sehen, nämlich eine Ästhetik und einen Geisteszustand, die die Erfahrung einer Epoche spiegeln? Mein Aufsatz wirbt für eine solche Sicht, indem er die vorliegende Ästhetik und Geisteshaltung aus den Faktoren Informationsgesellschaft und Postmoderne begreift und als Manifestationen des zeitgenössischen Denkens versteht. Im Zugleich virtuoser Datenbeherrschung und ideeller Ratlosigkeit sucht sich die subjektive Erfahrung dieser beiden Faktoren Ausdruck. Insofern ist es durchaus angemessen, das naturalistische Mapping als eine symbolische Ausdrucksform unserer Zeit zu verstehen. Bibliographie Adorno, Theodor W. 1981: Engagement, in: Adorno 1981: 409-430 Adorno, Theodor W. 1981: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main: Suhrkamp Adorno, Theodor W. 1973: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Anne, Susanne (ed.) 1999: Global Fun. Kunst und Design von Mondrian, Gehry, Versace and Friends (Ausstellungskatalog), Ostfildern: Cantz Verlag Avzav, Sentor 1999: “Sowing PARC’s next revolution”, in: The Financial Post (Toronto, ON), 21. 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[…] Well, there are these manifestations in all their variegation, yet from a steady and detached look at them through their whole range some markedly common stylistic features emerge. Design or layout is almost always clear and explicit, drawing sharp and clean, shape or area geometrically simplified or at least faired and trued, color flat and bright or at least undifferentiated in value and texture within a given hue. Amid the pullulation of novelties, advanced art in the 60’s subscribes almost unanimously to these canons of style…” (Greenberg 1968). 3 Nach Barthes ist die Darstellung der Referenten in der Fotografie uncodiert, weil sie diese in identischer Form kopiert, und analog, weil sie nicht bestimmte Daten der vorgefundenen Wirklichkeit zur Darstellung auswählt, sondern alle unterschiedslos aufnimmt (Barthes 2003: 116). 4 Vgl. Panowskys Hinweis, dass der frühe Stummfilm nicht nur Zwischentitel enthielt, sondern anfangs auch Erklärer benötigte, die während der Filmvorführung den Handlungsgang kommentierten (1967: 43). 5 Bemerkenswerterweise lässt das Word-Programm auch zwischen verschiedenen Stilen der Textgestaltung wählen; die Style-Maske enthält u.a. Optionen wie Fußnoten- und Headlinesgestaltung. 6 Für Projektbeschreibung und Fotos siehe www.earstudio.com/ projects/ listeningpost.html - alle in diesem Artikel erwähnten Websites wurden am 4.9.2006 geprüft. 7 Zum Verfahren der Komposition heißt es im Begleitheft der Ausstellung Son et Lumière am MIT List Visual Arts Center in Cambridge, MA, vom 12.2. zum 4.4.2004: “Some scenes react to the data in near real time, while others draw from a larger data pool collected during the last few hours or days.” 8 Für eine Beschreibung des Werkes und seiner Entstehungsgeschichte siehe Legrady (2005). 9 Vgl. die Beschreibung auf http: / / crossfade.walkerart.org/ ping: “Ein Ping mißt die “Entfernung” im Internet, indem es Echos produziert. Die kurze Nachricht des Computers, der sie abschickt, wird von dem Zielcomputer so schnell wie möglich wieder and den Sender zurückgeschickt. Die Zeit, die eine solche “Rundreise” braucht, wird gemessen und festgehalten. Dabei handelt es sich meistens um Dauern im Millisekundenbereich […] Diese vom Ping zurückgelieferten Zeiten werden so skaliert, daß sie in den Rahmen musikalisch sinnvoller Verzögerungsdauern fallen, so ungefähr zwischen 0,25 und 50 Millisekunden. Diese Werte werden dann wiederum so gerundet, daß sie mit jenem nächst benachbarten Wert übereinstimmen, der sich aus einer Tonleiter ergibt, die aus reinen Intervallen besteht (also 1: 3, 1: 4, 2: 5 usw) und die dann erklingen, als würden sie auf einer imaginären Violinsaite gespielt.” 10 Die Software Carnivore wurde 2001 von Alex Gallowey und der Radical Software Group geschrieben (der Name verweist auf die Software DCS 1000 mit dem Spitznamen Carnivore, die das FBI für Telefonüberwachung und Stichwortsuche einsetzte) und im Carnivore-Open-Source-Project (www.rhizome.org/ carnivore) angeboten zum Ausspionieren spezifischer lokaler Netzwerke. 11 Es sei verwiesen auf den Einsatz des Mapping auch im Tanz - vgl. die Umsetzung von Bewegungsimplusen beim Tanz in Musik durch die Tanzgruppen Palindrome (www.palindrome.de) und Troika Ranch (www.troikaranch.org) oder mittels der von Joe Paradiso am MIT entwickelten Instrumented Dance Shoes (www.media.mit.edu/ resenv/ danceshoe.html) - und selbst in der Mode - vgl. das wearable design Projekt soundSleeves, das abhängig von der Armbewegung Töne generiert und über Miniaturlautsprecher in den Ärmeln ausgibt (http: / / uttermatter.com/ sleeev), sowie Sonic City, das Körper- und Umweltfaktoren in Sound umwandelt (http: / / tii.se/ reform/ projects/ pps/ soniccity). 12 Auch ein Film wie Andy Warhols Empire (1964) kann in dieser Hinsicht als Readymade verstanden werden, während John Baldessaris Manipulation gefundener Fotos durch kleine Eingriffe (zum Beispiel Rotfärbung der Schatten) eine Art ‘doppeltes Readymade’ darstellt. 13 Die Geschichte der Fotografie beginnt faktisch mit dem Hinweis auf ihre Fähigkeit zur Lüge, wie die Ausstellung zweier Versionen ein- und desselben Portraits (die eine retuschiert, die andere nicht) durch einen deutschen Fotografen auf der Pariser Weltausstellung 1855 zeigt (Sontag 1997: 85). Politisch motivierte Retuschierungen zum Beispiel im Auftrage Stalins erfolgten später bekanntlich stillschweigend. Gleichwohl bleibt die Tatsache, dass im üblichen Gebrauch des Mediums (zumindest vor der Ankunft der digitalen Kamera und digitaler Bildbearbeitungsprogramme) die Fotografie das abbildet, was objektiv vor dem Objektiv existierte, Roberto Simanowski 268 und dass in Fällen der kriminalistischen und medizinischen Dokumentation die Fotografie als das verlässlichste Medium zum Einsatz kommt. 14 Ein ikonisches Zeichen wird hier verstanden als nicht-arbiträre, motivierte Einheit von Zeichenbedeutung und Zeichenform, die ohne Hilfe konventioneller, erlernter Regeln ermöglicht, von der Zeichenform auf die Zeichenbedeutung zu schließen (wie im Falle der Onomatopöie oder des Rauchs als Zeichen für Feuer). 15 Johanna Drucker benutzt diesen Begriff zur Beschreibung des Formgedichts Il Pleut (1916) von Guillaume Appolinaire’s, dessen “visual form is essentially mimetic” und somit “most limiting” (Drucker 1998: 113). 16 Ausdruck des Bemühens um eine erschöpfende Abbildung aller Details im Naturalismus ist immerhin das Konzept des “Sekundenstils”, das auf die Deckungsgleichheit von Erzählzeit und erzählter Zeit abzielte. 17 Legrady plante zunächst eine eher abstrakte Visualisierung, die zum Beispiel auf schwarzem Hintergrund Begriffe des Dewey Klassifikationssystems präsentierte mit unterschiedlicher starker Leuchtkraft entsprechend der Zirkulation von Büchern der jeweiligen Dewy-Gruppe. In der Endform werden unter Zuordnung zur jeweiligen Dewy-Gruppe die genauen Titel der Bücher lesbar präsentiert. Entwürfe aus der ersten Produktionsphase sind einsehbar unter: www.mat.ucsb.edu/ ~g.legrady/ glWeb/ Projects/ spl/ spl.html. 18 Vgl. James Becketts antirealistische Texte, die menschliche Entfremdung ebenfalls auf der formalen Ebene ausdrücken. 19 Für die Versöhnung von l’art pour l’art und l’art engagé in Adornos Ästhetik und speziell in seinem gegen Jean Paul Sartre gerichteten Essay Engagement vgl. Bürger (1974: 117-133). 20 Andere Daten (man denke im vorliegenden Fall zum Beispiel an Aktienkurse) modifizieren durch eine veränderte Metaphorik freilich auch den eingeschlossenen Kommentar des Autors. 21 Zur Begriffsbestimmung vgl. auch Plank (1978: 252f.): “Im Unterschied zur bereits illustrierten bildlichen Ikonizität, mit Motivation einzelner Zeichenformen durch ihre Bedeutung, besteht diagrammatische Ikonizität darin, dass paradigmatische oder syntagmatische Relationen zwischen Zeichenformen durch Relationen zwischen den betreffenden Bedeutungen motiviert sind, ohne dass eine direkte Motivationsbeziehung bei den einzelnen Form-Bedeutungs-Zuordnungen zu bestehen braucht.” 22 Genaugenommen liegen sowohl eine ikonische wie eine symbolische Zeichenkodierung vor, denn der Aktienindex wird im Hintergrund numerisch angezeigt, was erst die Verbindung zwischen diesem und Synthias Verhalten herstellt. 23 Rezeptionsästhetisch gesehen ist freilich wahrscheinlich, dass der technische Effekt (die Echtzeit-Reaktion auf den Aktienindex) alle Aufmerksamkeit absorbiert und den Klischee-Charakter der vorgenommenen Zuordnung überdeckt. 24 So erfährt man zum Beispiel, dass die Zahl 4 ihr Auftreten im Internet vor allem den Begriffen “easy cd creator 4”, “flash 4”, “need for speed 4”, “netscape 4” und “tomb raider 4” verdankt (und das Übergewicht von Softwarebezeichnungen trifft auf fast alle einstellige Zahlen zu), während 21 seine Popularität vor allem politischen Programmen zum 21. Jahrhundert verdankt, und dass 1789 trotz Französicher Revolution wegen der berühmten Fehlermeldung “1790 Disk 0 Error” 1790 den Vortritt lassen muss. 25 Auch Arthur C. Dantos Konzept, “that works of art are always about something”, lässt sich hier anschließen (Danto 2000: 132), zumal er es im Hinblick auf Readymades entwickelt und Andy Warhols Brillo Box als Kommmentierung der ursprünglichen, kommerziellen Brillo Boxes versteht sowie Mike Bidlos Brillo Box Adaption Not Andy Warhol als Kommentar zur Warholschen Vorlage. In beiden Fällen erschöpft sich das Kunstwerk nicht in der Kopie des Gegenstand, sondern provoziert eine neue Sichtweise auf diesen. 26 Vgl. LeMay (2005), Sack (2006), Jevbratt (2004). Im Hinblick auf das technologisch Erhabene (Nye 1994) kann Mapping zudem als ein neues Kapitel in der Geschichte der von Menschen geschaffenen und gleichsam das Fassungsvermögen der meisten Menschen übersteigenden Phänomene betrachtet werden. 27 Manovich notiert seine Bemerkungen unter dem Zwischentitel Meaningful Beauty: Data Mapping as Antisublime. 28 Zum Verabschiedung “von Weltverbesserungsideologien und gesamtgesellschaftlichen Wirkungsansprüchen” in der bildenden Kunst vgl. Wick (1999: 11), zum Abschied des “‘engagierte[n]’ Autor[s]” aus der Literatur Ende der 1980er Jahre vgl. Hage (1989: 30). 29 Eine Database ist ganz allgemein zu definieren als “a collection of data stored on a computer storage medium, such as a disk, that can be used for more than one purpose” (Downing 2000: 118).