Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2007
301-2
Elliptische Sätze
61
2007
Daniele Langer
Der vorliegende Aufsatz versteht unter Erzählstil in einer engen Definition den spezifischen Sprachstil einer Erzählung, der sich als Gesamtheit wiederkehrender und paradigmatischer Besonderheiten des sprachlichen Ausdrucks auf syntaktischer und textlinguistisch-semantischer Ebene bestimmen lässt. An den Fallbeispielen von Marlene Streeruwitz' Roman "Nachwelt." und Sigrid Damms Biographie "Christiane und Goethe" wird die Funktionalisierung des Erzählstils im Zusammenspiel mit den anderen discours-Elementen eines Erzähltexts und der Rahmung des Textes durch die Gattungserwartung diskutiert. Denn obgleich die Erzählstile beider Texte mit ihren parataktischen Reihungen einfacher und vielfach elliptischer Sätze große Ähnlichkeit aufweisen (und obgleich die Erzeugung von Unmittelbarkeit als kontextunabhängige Funktion der Ellipsen bestimmt werden kann), lässt sich der Wert eines bestimmten Erzählstils nur im Zusammenhang mit dem Gesamttext bestimmen: Im Falle von "Nachwelt." verhindert der elliptische Stil den Entwurf einer geschlossenen und mit einem Wahrheitsanspruch auftretenden Lebensgeschichte; in "Christiane und Goethe" hingegen tragen die Ellipsen maßgeblich zur Konstitution der einen, 'wahren' Biographie bei. Von besonderer Bedeutung für die Funktion des Erzählstils erweist sich dabei die Wechselwirkung des Stils mit den discours-Elementen Modus und Stimme.
kod301-20037
Elliptische Sätze Zur Funktion des Erzählstils als discours-Element in biographischen Erzählungen von Streeruwitz und Damm Daniela Langer Der vorliegende Aufsatz versteht unter Erzählstil in einer engen Definition den spezifischen Sprachstil einer Erzählung, der sich als Gesamtheit wiederkehrender und paradigmatischer Besonderheiten des sprachlichen Ausdrucks auf syntaktischer und textlinguistisch-semantischer Ebene bestimmen lässt. An den Fallbeispielen von Marlene Streeruwitz’ Roman Nachwelt. und Sigrid Damms Biographie Christiane und Goethe wird die Funktionalisierung des Erzählstils im Zusammenspiel mit den anderen discours-Elementen eines Erzähltexts und der Rahmung des Textes durch die Gattungserwartung diskutiert. Denn obgleich die Erzählstile beider Texte mit ihren parataktischen Reihungen einfacher und vielfach elliptischer Sätze große Ähnlichkeit aufweisen (und obgleich die Erzeugung von Unmittelbarkeit als kontextunabhängige Funktion der Ellipsen bestimmt werden kann), lässt sich der Wert eines bestimmten Erzählstils nur im Zusammenhang mit dem Gesamttext bestimmen: Im Falle von Nachwelt. verhindert der elliptische Stil den Entwurf einer geschlossenen und mit einem Wahrheitsanspruch auftretenden Lebensgeschichte; in Christiane und Goethe hingegen tragen die Ellipsen maßgeblich zur Konstitution der einen, ‘wahren’ Biographie bei. Von besonderer Bedeutung für die Funktion des Erzählstils erweist sich dabei die Wechselwirkung des Stils mit den discours-Elementen Modus und Stimme. The following article considers narrative style to be the specific speech-style of a narration, which is defined in its entirety by recurring paradigmatical particularities in the diction on both syntactical and semantical level. The function of the narrative style in its interrelation with the other constituents of the discours and the frame of the literary genre is discussed through the examples of Marlene Streeruwitz’s novel Nachwelt. and Sigrid Damm’s biography Christiane and Goethe. Although the narrative styles of both texts show similar paratactic series of plain and elliptic sentences (and although generally elliptic sentences tend to evoke a feeling of immediacy), the value of the narrative style can only be defined in the context: In the case of Nachwelt. the elliptic style prevents the development of a coherent and believable life-story; in the case of Christiane und Goethe it is the elliptic style itself that actually produces the big, ‘true’ biography. It is therefore concluded that the interrelation of style with the discourse elements of mode and voice has an extraordinary significance for the function of style. 1. Stil und Erzählstil Beschäftigt man sich mit “Stilfragen” 1 , so trifft man allerorten auf den geradezu topischen Verweis auf die Unabgeschlossenheit jeglicher Definitionsversuche, ja auf die Unmöglichkeit jeglicher Bestimmung des Terminus ‘Stil’. 2 Die Schwierigkeiten liegen nicht nur in der K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 30 (2007) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Daniela Langer 38 Überlagerung produktionsästhetischer, normativer, deskriptiver und/ oder rezeptionsorientierter Ansätze zur Klärung des Begriffs, sie scheinen vielmehr grundsätzlicherer Art zu sein, wenn unter Stil - einigermaßen übereinstimmend - generell die Art und Weise einer (sprachlichen) Handlung verstanden wird, 3 ist hiermit doch naturgemäß ein recht weites Feld eröffnet. Zu den bekanntesten Stilkonzepten zählen dabei zwei, die beide unter eine strukturale Stilistik subsumiert werden: 4 einerseits der Ansatz, Stil als Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zu sehen und so das Moment der Selektion in den Vordergrund zu stellen, andererseits der Versuch, Stil als Abweichung von einer Norm zu verstehen. Das Selektionspostulat und die Deviationsstilistik scheinen auf den ersten Blick sehr ähnliche Konzepte zu sein und werden im Handbuch der Semiotik miteinander verknüpft, wenn es heißt, “als gemeinsamer Nenner der meisten semiotischen Untersuchungen zum Stil [kann wohl] zweierlei festgehalten werden: (a) Stil hat mit dem Prinzip der Abweichung von einer wie auch immer zu bestimmenden Norm zu tun und (b) die Abweichung ist das Ergebnis einer Wahl zwischen verschiedenen Alternativen” (Nöth 2000: 398). Diese Zusammenführung bleibt allerdings in sich widersprüchlich, da sich die Frage stellt, in welchem Verhältnis die verschiedenen - also mehrere - Alternativen zu der einen Norm stehen, die im Falle des Abweichungskonzepts vorausgesetzt wird: Denn die Deviationsstilistik schreibt ein zweistelliges Verhältnis fest, sie baut ferner eine implizite Hierarchie zwischen den beiden Polen auf und belegt das von der Norm Abweichende automatisch mit dem Stigma des ‘Anderen’. Die Vorstellung von Stil als Wahl zwischen Alternativen hingegen verzichtet auf diese Zweistelligkeit und öffnet einen hierarchielosen Raum vieler verschiedener, nebeneinander angeordneter Möglichkeiten. Bei diesen Unterschieden sollte jedoch die Gemeinsamkeit beider Ansätze nicht aus dem Blick geraten: Stil erscheint in beiden Fällen als Differenz zu etwas - zu der vorausgesetzten Norm oder zu anderen, im besonderen Text gerade nicht realisierten, jedoch theoretisch auch möglichen Stilformen. Stil ist damit “ein relationales Phänomen: Verschiedenheit der Stile macht diese erst untereinander unterscheidbar” (Sandig 1995: 33). Und obgleich die Abweichungsstilistik aufgrund der Schwierigkeit, die zu Grunde gelegte Norm überhaupt zu bestimmen, 5 und der ideologischen Befrachtung eines solchen Ansatzes an Boden verloren zu haben und die Selektionsthese handlicher zu sein scheint, stellt sich auf pragmatischer Ebene die Frage, wie der Stil eines Textes überhaupt als solcher erkannt werden kann. Ist Stil etwas “Bemerkenswertes, Beobachtbares” (Sowinski 1999: 3) und zielt die Frage nach dem Stil “auf das je Eigenartige und Einmalige” eines Textes (Anderegg 1995: 121), so setzt die Wahrnehmung des Besonderen die Unterscheidung von etwas Allgemeinem voraus, was dem Konzept der Abweichung sehr nahe kommt. Nach Michael Riffaterre wird Stil als Kontrast eines Elements zu seinem Kontext erkennbar: “Der stilistische Kontext ist ein linguistisches pattern, das von einem unvorhersehbaren Element durchbrochen wird; der sich aus dieser Interferenz ergebende Kontrast ist der stilistische Stimulus” (1973: 53, Hervorhebung im Original). Der Begriff des Kontextes ersetzt hier den - problematischen - Begriff der Norm, die Vorstellung vom Stil als Abweichung bleibt gleichwohl bestehen: “Die Hypothese, dass der Kontext die Rolle der Norm spielt und der Stil durch eine Abweichung davon entsteht, ist fruchtbar” (ebd.: 51f.). Entscheidend ist hierbei die “Überraschung des Lesers” (ebd.: 54), die den Kontrast als Stimulus des Stils wahrnimmt. Es bleibt also zu fragen, ob das Moment der Abweichung nicht ein konstitutives Element des Vorgangs des Erkennens von Stil ist. Im Rahmen eines kommunikationstheoretischen Modells hieße dies - unabhängig von der Entstehung des Stils auf Seiten der Produktion, also des Autors -, dass die Vorstellung einer ‘Abweichung’ zumindest für die Elliptische Sätze 39 Seite der Rezeption bedeutsam ist und auch bei Stilanalysen eine zwar vielleicht unscharfe, dennoch aber relevante Größe bleibt. So hält auch Spillner als erklärter Gegner der Abweichungsstilistik fest: “Die Konzeption von Stil als Abweichung ist als heuristisches Mittel geeignet, nicht dagegen als Grundlage einer Stiltheorie” (Spillner 1974: 40). Gleichwohl muss hiermit nicht auch die Norm als Größe restituiert werden: Sinnvoller und heuristisch tragfähig scheint mir zu sein, Stil - auch auf produktionsästhetischer Seite - innerhalb eines Konzeptes der Selektion zu verstehen, wobei zumindest das Erkennen eines bestimmten Stils sich immer (und sei es implizit) im Modus des Vergleichs vollzieht. In der Rezeption (als Differenz, Abweichung, Besonderes) wahrgenommen werden kann allerdings nur, was im Text selbst als Charakteristikum gerade dieses Textes vorhanden ist - und auch hier lässt sich unter ‘Stil’ Verschiedenes verstehen. Im Sinne einer “Makrostilistik” literarischer Texte fasst Bernhard Sowinski auch Phänomene wie die Erzählsituation oder die Erzählperspektive unter den ‘Stil’ eines Textes (Sowinski 1999: 73-89) - Aspekte also, die in der Narratologie klassischerweise als discours-Elemente einer Erzählung behandelt werden. Insofern unter discours allerdings die Art und Weise der Darstellung verstanden wird (vgl. Todorov 1966), scheint es legitim zu sein, unter dem Stil, der ja ebenfalls die Art und Weise, das “Wie” eines Textes betrifft (Gauger 1992, 1995), all jene Strukturelemente eines Textes zu subsumieren, die seine Darstellung und damit die Erzählung als Erzählung betreffen, da jede Erzählung nur in einer spezifischen Darstellung des Erzählten überhaupt existiert. Deutlich dürfte hiermit allerdings auch werden, dass eine solche umfassende Bestimmung von ‘Stil’ (resp. Erzählstil) sich in nichts vom Gegenstandsfeld einer discours-orientierten Erzähltheorie, wie sie Gérard Genette entworfen hat, unterscheidet - der Mehrwert einer solchen Ausweitung des Begriff scheint mir also ausgesprochen zweifelhaft zu sein. In einem engeren Sinne, als “Mikrostilistik”, lässt sich unter Stil eine “Satzstilistik” verstehen (Sowinski 1999: 89-101), womit die Nähe der Stilistik zur Linguistik auch bei literaturwissenschaftlicher Relevanz der Kategorie deutlich wird. So bestimmt etwa Oliver Jahraus Stil in Sicht auf den literarischen Text als “wiederkehrendes Selektionsmuster”, das “insbesondere die Wortwahl, grammatische und vor allem syntaktische Prinzipien” betrifft (Jahraus 2004: 118). In diesem Sinne möchte ich das besondere, auffällige Strukturmuster einer bestimmten Schreibweise zunächst als ‘Sprachstil’ definieren, unter dem ich die Gesamtheit wiederkehrender und damit paradigmatischer Besonderheiten im sprachlichen Ausdruck eines Autors verstehe, die auf dem Prinzip der Selektion aufbauen und die in erster Linie die syntaktische, weiterhin jedoch die textlinguistische Ebene betreffen, womit auch Phänomene der Herstellung von semantischer Kohärenz und grammatischer Kohäsion eines Textes angesprochen sind. In Sicht auf die Selektion ist dabei natürlich anzumerken, dass die - vorausgesetzte - Wahl des Autors aus verschiedenen Möglichkeiten schon durch die Grammatik einer Sprache begrenzt ist, die Wahl des Stils steht also am Ende vorangegangener Restriktionen und Selektionen (vgl. Spillner 1974: 47). Weiterhin müssen historische Faktoren als stilbeeinflussende Größen beachtet werden; “gesellschaftliche Normen, sprachliche Regeln, stilistische Konventionen” (Spillner 1995: 68) sind historisch wandelbar. Hiermit ist jedoch noch nichts in Sicht auf die Stellung eines solchen Sprachstils im spezifischen Kontext eines Erzähltextes gesagt, denn sprachlicher Stil muss zunächst für jede Aussageart angenommen werden. 6 Will man unter ‘Erzählstil’ nicht - in m.E. unproduktiver Ausweitung des Begriffs - alle Aspekte verstehen, die eine Erzählung auf der Ebene des discours konstituieren, so bietet sich die Lösung an, den spezifischen Sprachstil eines Erzähltextes als ein den discours prägender Aspekt neben anderen zu behandeln: neben der Zeitstruktur, dem Modus und der Stimme (vgl. Genette 1998). In diesem Sinne lässt sich der Daniela Langer 40 Sprachstil einer Erzählung als Erzählstil fassen, anders gesagt: Ich verstehe unter dem Erzählstil einer Erzählung den spezifischen - wie oben definierten - Sprachstil eben eines Erzähl-Textes, den es bei einer Erzähltextanalyse neben der Zeitstruktur, dem Modus, der Stimme zu beachten gilt und der - was für die von Genette eingeführten Aspekte ja ebenfalls schon gilt - nicht unabhängig von diesen zu betrachten ist, sondern sich vielmehr in einem Wechselspiel mit den anderen Aspekten befindet. Was die Bestimmung des Erzählstils jedoch nicht nur terminologisch, sondern auch in der Analyse schwierig macht - und von den anderen Strukturelementen einer Erzählung unterscheidet -, ist die Tatsache, dass es sich beim Stil um eine ausgesprochen plurivariable Kategorie handelt: Als wiederkehrendes Strukturmuster des sprachlichen Ausdrucks besteht der Stil aus einer Fülle einzelner Konstituenten, die sich nur schwer in ein übersichtliches Set verschiedener Möglichkeiten gliedern lassen. Im Falle der Erzählsituation ist die Auswahl des Erzählforschers prinzipiell auf wenige Varianten beschränkt: Diese können in der Kombination ihrer einzelnen Elemente wie Fokussierung und Person ungewöhnlich sein, und natürlich gilt es auch hier, einen genauen Blick auf den Text zu unternehmen, kann doch etwa die Fokussierung im Verlauf des Textes wechseln und lässt sich auch die Erzählsituation immer noch im Zusammenspiel mit weiteren discours-Elementen des Textes präzisieren. Dennoch erlaubt eine relativ geringe Anzahl an Kategorien und ihre Kombination untereinander hier eine schnelle Charakterisierung der Sachlage im Text. 7 Dies ist im Falle des sprachlichen Stils als Gesamtheit von Syntaxbesonderheiten, signifikanter Bevorzugung bestimmter Wortarten, Möglichkeiten der Kohärenzherstellung und Textverknüpfung sowie dann auch noch der Semantik (im Falle einer in irgendeiner Hinsicht auffallenden Wortwahl) schon allein durch die Lexik und die Gesamtheit aller grammatischen Regeln einer Sprache kaum gegeben. 8 Zu beachten gilt es weiterhin, welche Funktion dem vorliegenden, bestimmten Stil zukommt. Denn die Frage nach dem “Wie” des Textes ist von der Frage “Wozu” kaum zu trennen (Sandig 1995: 28). Grundannahme der Auffassung vom Stil als Selektion ist zunächst, dass eine Aussage auf verschiedene Arten getätigt werden kann, wobei die Art und Weise des Aussagens allerdings ihrerseits auf die Aussage zurückwirkt. So wird auch der Gegenstand des Textes von seiner Darstellung affiziert, anders gesagt: Die Darstellung hat - und dies betrifft den Erzählstil gleichermaßen wie andere discours-Elemente - eine bestimmte Funktion. “Dasselbe Thema kann zu verschiedenen Zwecken in verschiedenen Stilen entfaltet werden” (Sandig 1995: 31). 9 Stil ist bedeutungstragend, ja bedeutungsgenerierend. Die Funktion eines Erzählstils lässt sich allerdings nur im Zusammenspiel des Stils mit Gattungs- und Genreerwartung, der historischen Verortung des Textes als zeit- und damit auch sprachgeschichtlicher Rahmung sowie nicht zuletzt mit allen anderen discours- Elementen des Einzeltextes bestimmen. Der gleiche sprachliche Stil kann - je nach Kontext und anderen intratextuellen Spezifika des Textes - eine unterschiedliche Wirkung entfalten, so dass man “von der Polyvalenz der stilistischen Merkmale ausgehen [sollte]” (Spillner 1995: 71, vgl. Spillner 1974: 72). Die tatsächliche Valenz eines bestimmten Erzählstils lässt sich also nur in einer Analyse ermitteln, die den relevanten Kontext und das intratextuelle Zusammenspiel des Erzählstils mit anderen discours-Elementen der Erzählung beachtet und nicht zuletzt auch die histoire in die Bestimmung der Funktion des Erzählstils einbezieht. Notwendig ist in Sicht auf den Erzählstil eines Textes also Interpretation - will man nicht Gefahr laufen, die spezifische Funktion eines sprachlichen Stils in einem Erzähltext allzu früh auf etwas festzulegen, was dem Text als Ganzem vielleicht nicht gerecht wird. Elliptische Sätze 41 Die hier in den Blick genommenen Fallbeispiele sind als Texte schon ihrer Gattungszugehörigkeit nach sehr unterschiedlich, drängen sich allerdings in Sicht auf ihre Themen und ihre Erzählstile einem Vergleich geradezu auf. Es handelt sich um Sigrid Damms Christiane und Goethe. Eine Recherche, eine Biographie aus dem Jahre 1998, und um Marlene Streeruwitz’ Nachwelt. Ein Reisebericht. Roman aus dem Jahre 1999, ein Text, der das Thema der Biographie fiktionsintern aufgreift. Beide Texte arbeiten mit einem ähnlichen Erzählstil - dem allerdings, so soll gezeigt werden, jeweils eine unterschiedliche Funktion zukommt. 2. Erzählstil und das biographische Thema der Fallbeispiele Auffällig in Christiane und Goethe ebenso wie in Nachwelt. ist ein parataktischer Stil mit kurzen Sätzen, die oftmals unter Auslassung des Subjekts und/ oder des Verbs als Ellipsen konstruiert sind. These ist zunächst, dass die Spezifik dieses Erzählstils in einem funktionalen Zusammenhang mit dem biographischen Thema der Texte steht: Die Biographie - die ‘tatsächliche Geschichte’, so, wie es wirklich war - bildet in beiden Texten die Folie, vor der das Erzählen sich konstituiert. Zugleich bleibt diese ‘wahre Geschichte’ jedoch in beiden Texten eine Leerstelle - und dies gilt letztlich auch (wenn auch auf andere Weise) für Christiane und Goethe, obgleich dieser Text als Biographie gerade auf die Rekonstruktion dieser ‘wahren Geschichte’ abzielt. In Nachwelt. reist die Wienerin Margarete Doblinger nach Kalifornien, um eine Recherche über das Leben der Bildhauerin Anna Mahler durchzuführen, der Tochter von Gustav Mahler und Alma Mahler-Werfel. Margarete führt einige Interviews mit Freunden von Anna Mahler, gibt das Vorhaben, eine Biographie Anna Mahlers zu verfassen, jedoch am Ende auf. Einer der im Text genannten Beweggründe hierfür ist der Unwillen Margaretes, Urteile über ein fremdes Leben zu fällen: Urteile. Diese Leben anderer ausdeuten. Wie war sie auf die Idee gekommen. So etwas machen zu wollen. Die Idee war auf einmal lächerlich. Das mußten andere machen. Andere, die sich sicherer waren. Sie konnte ja nicht einmal über ihr eigenes Leben Auskunft erteilen. (Streeruwitz 2003: 371) Als zweites Motiv für die Aufgabe des Vorhabens tritt im Roman die Unsicherheit Margaretes über die ‘Richtigkeit’ der geplanten Lebensbeschreibung: Sie würde diese Biografie nie schreiben. Konnte das nicht. Konnte die Frage, ob diese Frau geraucht hatte oder nicht. Sie konnte diese Frage nicht stellen. Und keine mehr. Konnte diese Erwartungen nicht erfüllen. Konnte diesem alten Mann da drinnen auf dem Bett nicht eine Liebe schreiben, wenn sie nicht wußte, was richtig war. Wer die richtige Anna Mahler. (Streeruwitz 2003: 370) Tatsächlich hat Marlene Streeruwitz Interviews mit Freunden von Anna Mahler geführt, die in den Roman Eingang gefunden haben, tatsächlich hatte sie zunächst vor, die Biographie Anna Mahlers zu schreiben (vgl. Streeruwitz 1999). Dass sie es nicht getan hat, sondern das Scheitern dieses Vorhabens in fiktionalem Rahmen erzählt, geschah laut Selbstaussage aus zwei Gründen, die auch im Buch genannt sind: weil historische Wahrheit über Urteile von Biografen nicht herstellbar ist beziehungsweise den autoritären Faktor einer Behauptung oder Urteils in sich tragen. Das ist schon von der Recherche her nicht zu machen: Die einen Leute erzählen, Daniela Langer 42 dass Anna Mahler Kettenraucherin war, die anderen behaupten, sie habe nie geraucht. Ausserhalb einer streng wissenschaftlichen Arbeit, bei der der Biograf die einzelnen Quellen ausweist und gegeneinander hält, ist Biografie eines dieser Genres, die die Lüge in der Literatur besonders heftig aufrecht erhalten, weswegen sie auch so ein Vergnügen sind und sich so gut verkaufen. Es macht die Welt wieder so einfach. Der andere Grund ist, dass alles, was mit der Shoa und Emigration zu tun hat, nicht erfunden werden darf. Dafür gibt es genug Zeugnisse. Für mich war es wichtig, dass das Undenkbare nicht über meine Phantasie zum Denk- und Lesbaren wird. (Streeruwitz 1999) Die Zwischenschaltung der fiktiven Figur Margarete lässt sich als formales Verfahren der Brechung lesen, um die Biographie Anna Mahlers ebenso wie die Erinnerungen ihrer Freunde - und damit auch die Shoa und die jüdische Emigration - sichtbar zu machen 10 , ohne sie mit dem Anspruch auf Vollständigkeit oder Wahrheit zu erzählen - was fast zwangsläufig zur Erfindung führen muss. Die (authentischen) Interviews werden im Text also angeführt - sie werden aber fiktionsintern nicht zur ‘tatsächlichen’, ‘wahren’ Lebensgeschichte von Anna Mahler zusammengefügt. Die Biographie wird so textintern als uneinholbar markiert, und sie wird in dem Roman - obgleich die Interviews punktuelle Sichtweisen auf Anna Mahlers Leben erlauben - als Gesamtbild dieses Lebens gerade nicht entworfen. Sigrid Damm macht mit ihrer “Recherche” Christiane und Goethe etwas vollkommen anderes, stellt dieses Buch doch eine Biographie von Christiane Vulpius dar, Goethes Geliebter und späterer Ehefrau, und wird auf diese Weise ein Gesamtbild Christianes durchaus entworfen. Wie es zu Beginn heißt, möchte Damm “eine[] Annäherung an die tatsächlichen Vorgänge, an das authentisch Überlieferte” vornehmen: “Durch die Recherche, die Rekonstruktion, die nüchterne Spurensuche in den Archiven” (Damm 1998: 11). Das Problem mangelnder Objektivität, das in Nachwelt. zum Scheitern der Biographie führt, scheint in Christiane und Goethe keines zu sein, soll doch die Annäherung “nicht im Sinne einer poetischen Erfindung, eines neu hinzugefügten Bildes” erfolgen (Damm 1998: 11), wie auch die “Nachbemerkung” verdeutlicht: “Ich verzichte auf Fiktionen, auf das Ausfüllen von Leerstellen durch erzählerische Phantasie. […] Ich vertraue ausschließlich dem Verbürgten, dem Dokument” (Damm 1998: 517). Dass ein solches Unternehmen vor der Paradoxie steht, seinen Gegenstand - das wirkliche Leben der Christiane Vulpius - streng genommen niemals einholen zu können, wird mit diesen Aussagen implizit deutlich: Einerseits stellt gerade dieses wirkliche Leben, die ‘Wahrheit’ als ein ‘So-wie-es-wirklich-war’, den Bezugspunkt des Buches dar, denn die Rede ist von den “tatsächlichen Vorgänge[n]”, vom “authentisch Überlieferte[n]” (Damm 1998: 11) - unter Verzicht auf “Fiktionen” und “erzählerische Phantasie” (ebd.: 517). Andererseits kann dies nur eine “Annäherung” sein, eine “Rekonstruktion” mittels einer “Spurensuche” (Damm 1998: 11), der Leerstellen inhärent sind: Die Differenz zwischen dem gelebten Leben und der Biographie ist also auch diesem Text eingeschrieben; die Unmöglichkeit, ein Gesamtbild dieses Lebens zu zeichnen, wird hier mitgedacht. Gleichwohl - und dies stellt den entscheidenden, auch gattungsgebundenen Unterschied zu Streeruwitz Nachwelt.-Projekt dar - wird die Annahme einer punktuell möglichen ‘Richtigkeit’ der Biographie damit nicht aufgegeben, im Gegenteil, denn das Authentische, Nicht-Fiktionale bleibt weiterhin Zielpunkt der Darstellung. Es stellt sich die Frage, auf welche Weise diese Darstellung des Tatsächlichen im Text umgesetzt wird. Denn obgleich es sich um eine “nüchterne Spurensuche” (Damm 1998: 11, Hervorhebung D.L.) handelt, wird der Modus des Erzählens gewählt: “Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Monographie. Ich nähere mich meinem Thema erzählerisch” (Damm 1998: 517). Zu fragen Elliptische Sätze 43 ist nach den Implikationen der hier aufgestellten Opposition: Insofern Wissenschaftlichkeit allgemein dem Objektivitätskriterium unterliegt, würde dies bedeuten, dass der Modus des Erzählens als Gegenpol diesem nicht unterliege, was allerdings dem Programm einer Rekonstruktion des Faktualen auf den ersten Blick widerspricht. Zu fragen ist also gerade bei Damm nach den Spezifika des Erzählstils und seinen Implikationen bei der erzählerischen Darstellung eines möglichst authentisch rekonstruierten Lebens. Zwischen der erzählerischen Vorgehensweise einerseits und der abgelehnten erzählerischen Phantasie andererseits öffnet sich ein Bruch, und es gilt, diesem Bruch gerade in Sicht auf den Umgang mit Leerstellen nachzugehen. Gegenübergestellt werden also im Folgenden die Erzählstile eines Romans, der vom Projekt einer gescheiterten Biographie erzählt, und einer Biographie, die erzählerisch verfährt. Die sprachlichen Verfahrensweisen beider Texte zeigen ähnliche Grundzüge: Die Gänge und Plätze der Shopping mall waren überfüllt. Menschen gingen. Standen vor den Imbißständen an. Saßen essend an den Tischen gegenüber den Ständen. Gingen die Stiegen hinaus und hinunter. Fuhren auf den Rolltreppen. Strömten durch die Türen der großen Geschäfte. Schlenderten an den Auslagen der Boutiquen vorbei. […] Sie würde das später machen. Einkaufen. Die Geschenke. […] In einer Boutique im oberen Stock wurde nur Weißes verkauft. Weiße Kleider. Weiße Tischwäsche. Weiße Einrichtungsgegenstände. Weißes Geschirr. Alle Sorten von Weiß. Und viel weiße Spitze auf den Kleidern und Tischtüchern und Servietten und Polstern. Gegenüber Sportschuhe. Sie ging hinein. Sie fragte nach weißen Tennisschuhen. Der Mann schaute auf ihre Füße. Sie bräuchte ein Männermodell, sagte er. Sie sah den Mann an. (Streeruwitz 2003: 34f.) Diesem Abschnitt aus Nachwelt. sei ein Beispiel aus Christiane und Goethe gegenübergestellt: Ich lese Christianes Briefe. Erstaunlich sind sie, gestisch und genau. Detailfreudig. Eine Frau findet eine Sprache für ihren Körper, ihre Weiblichkeit, ihre Sexualität. Ungewöhnlich für ihre Zeit. Ebenso ungewöhnlich ist, wie sie Alltagsarbeit beschreibt. Eine Frau tritt mir entgegen, unablässig tätig, zwei Haushalte, ein Landgut, zwei Gärten, Krautland. Sie erledigt Erbschaftsangelegenheiten, bereitet den Erwerb von Land und Kaufabschlüsse vor, tätigt Geldgeschäfte. Sie kann einen Schlitten kutschieren. Geht allein auf Reisen, trägt zwei Pistolen bei sich. Sie ißt gern, trinkt gern, am liebsten Champagner. Sie tanzt ausgezeichnet, als Fünfundvierzigjährige nimmt sie noch bei einem Tanzmeister Unterricht. Sie liebt die Komödie, weniger das Lesen, das tut sie nur bei üblem Wetter oder aus langer Weile. Heiter ist sie, witzig, stets gutgelaunt. […] Eine Frau, die stets zuviel Arbeit hat. Die murrt, launisch ist. Stimmungen unterliegt. Depressionen hat. Verletzbar ist. Und einsam. Sehr einsam. Ihre schwere Krankheit in den letzten Lebensjahren. Ihr einsames Sterben, ihr früher Tod. (Damm 1998: 10f.) Die Gemeinsamkeiten des sprachlichen Ausdrucks liegen in der parataktischen Reihung von Sätzen, die nach erster Nennung oftmals auf das Subjekt verzichten, bei Streeruwitz etwa in der Abfolge “Menschen gingen.” und dann, unter Auslassung von “Menschen”: “Standen […]. Saßen […]. Gingen […]. Fuhren […]. Strömten […]. Schlenderten […].” Bei Damm: “Sie kann einen Schlitten kutschieren. Geht […], trägt […].” Streeruwitz schreibt durchgängig extrem kurze Sätze, verzichtet weitestgehend auf jegliche hypotaktischen Konstruktionen, die Anzahl der Kommata im Roman ist gering, und auch bloße Konjunktionen können den Status von Sätzen erhalten (“Und.”). In dieser Extremform wird die Ellipse bei Damm sowohl qualitativ als auch quantitativ nicht eingesetzt, in Christiane und Goethe finden sich durchaus längere, über zwei oder drei (selten mehr) Zeilen gehende Sätze mit leichteren Hypotaxen. Auch hier gibt es allerdings eine starke Tendenz dazu, die Sätze zu Daniela Langer 44 verkürzen und dann auch parataktisch zu reihen - wie am Schluss dieses Beispiels. Schon der Satz “Eine Frau, die stets zuviel Arbeit hat.” kommt ohne vollständigen Hauptsatz aus. Nachfolgend werden unter Weglassung des Subjekts Nebensätze gereiht, die jedoch bald das Relativpronomen (“Stimmungen unterliegt.”) und danach auch das Verb verlieren, bis Adjektive und Nominalphrasen übrig bleiben: “Sehr einsam. Ihre schwere Krankheit in den letzten Lebensjahren. Ihr einsames Sterben, ihr früher Tod.” Solche zu elliptischen Sätzen erhobene Aufzählungen lassen sich auch bei Streeruwitz finden: “Weiße Kleider. Weiße Tischwäsche. Weiße Einrichtungsgegenstände. Weißes Geschirr. Alle Sorten von Weiß.” Dass es sich in den angeführten Beispielen bei Christiane und Goethe um Gefühle und Zustände, bei Nachwelt. hingegen um Gegenstände handelt, verdankt sich zunächst nur den Beispielen: So kommen bei Damm auch Ellipsen vor, die Gegenstände ‘abbilden’, bei Streeruwitz wiederum finden sich auch Ellipsen, die Gedanken der Protagonistin zur Darstellung bringen. Gleichwohl gibt es Unterschiede zwischen beiden Texten in dem Stellenwert und in der Funktion solcher Aufzählungen, die den hier aufscheinenden Gegensatz zwischen Gefühlen/ Zuständen in Christiane und Goethe und Gegenständen in Nachwelt. letztlich doch symptomatisch werden lassen, was in den folgenden Analysen entwickelt werden soll. 3. Marlene Streeruwitz: Nachwelt. Ein Reisebericht. Roman Was durch den sprachlichen Stil in Nachwelt. übrig bleibt, sind allein Eindrücke, entweder ein kurzes Aufblitzen äußerer Realitätsdetails wie im Falle des weißen Warenangebots oder aber Gedankenfetzen der Protagonistin als verkürzte Extremform erlebter Rede: “Sie würde das später machen. Einkaufen. Die Geschenke.” (Streeruwitz 2003: 35). Beides geht beständig ineinander über, die umgebende Außenwelt wird so in großen Teilen als Reflex im Bewusstsein Margaretes erkennbar. Der Text wird damit als (heterodiegetischer) stream of consciousness lesbar. Denn mit Ausnahme der Interviews als intradiegetisch-homodiegetische Texteinsprengsel bleibt die Erzählung durchgängig bei Margarete. Stellenweise wird Margarete in externer Fokussierung wie von einer Kamera begleitet, das Geschehen um sie herum neutral beschrieben: “Manon ging zum Auto hinaus. Sie stützte sich an den Wänden ab. Margarethe folgte ihr. Ging hinter ihr durch die nun dunklen Zimmer. Die schmalen Gänge.” (Streeruwitz 2003: 11). Eine solche externe Fokalisierung geht jedoch beständig in die Wiedergabe von Margaretes Gedanken über, so dass auch die Schilderung der äußeren Realität als Schilderung der von Margarete wahrgenommen Realität lesbar wird: Sie fuhr. Immer wieder sammelte sich Feuchtigkeit in winzigen Tropfen auf der Windschutzscheibe. Wenn sie die Scheibenwischer einschaltete, verschmierte sich die Scheibe. Luftfeuchtigkeit. Knapp vor dem Regen. Wie bei der Hinfahrt. Aber die Vorstellung des Gifts aus den Flugzeugen. Sie würde in die Garage fahren, und von dort an mußte sie sich nur noch im Haus bewegen. (Streeruwitz 2003: 14) Insgesamt dominiert damit deutlich eine interne Fokalisierung. Zugleich mischt sich die erzählte Gegenwart, der Aufenthalt Margaretes in Kalifornien, beständig mit Reflexionen über die Vergangenheit, über das eigene Leben in Wien oder aber über das Leben Anna Mahlers. So beginnt der folgende Abschnitt mit den Gedanken Margaretes über die Töchter der Familie Mahler und die junge Anna Mahler, wechselt dann aber unvermittelt zu der äußeren Situation über, in der Margarete sich befindet, während sie über Anna Mahler nachdenkt: Elliptische Sätze 45 Diese vielen Mädchen. Und alle Mahler heißen hatten müssen. Nur so viel wert. Wahrscheinlich. Und. Dieses kleine Mädchen in England. Sie war ja dann doppelt vertrieben gewesen. Aus Wien. Und aus dem Leben der Mutter. Und durch ein anderes Kind ersetzt worden. Sie lief bei Rot über die Straße. Riß die Glastür zur Shopping mall auf. Sie wollte sich so ein Elend nicht vorstellen müssen. Andere waren in dieser Zeit getrennt worden. Konnte man sich in einer solchen Zeit von jemandem trennen? Freiwillig? (Streeruwitz 2003: 34) An diesem Beispiel wird zugleich deutlich, wie die Gegenwart Margaretes in Kalifornien von der Vergangenheit bestimmt wird. Die Vergangenheit, die in die Gegenwart hineinragt, ist hierbei sowohl Individualals auch Kollektivgeschichte, besteht aus Margaretes Lebensgeschichte und aus den Lebensgeschichten österreichischer Emigranten. Das “Private und Politische”, bei Streeruwitz generell “als untrennbar miteinander verbunden zu verstehen” (Hempel 2004: 48), werden als untrennbar gerade in der Verflechtung der verschiedenen Zeitebenen vorgeführt, “die alle simultan präsent und gleich wichtig sind” (ebd. 49). Ein geschlossener sinnhafter Diskurs (als ‘Vergangenheitsbewältigung’) wird durch den sprachlichen Stil allerdings verweigert. Nicht nur die Zeitstruktur, die also permanent von kurzen Analepsen durchsetzt ist, verhindert das Erzählen einer durchgängigen Geschichte. Es fehlen auf der Ebene des Erzählstils auch Anknüpfungspartikel, die einen kausalen oder temporalen Bezug zwischen den Sätzen herstellen würden. Tauchen sie doch einmal auf, so bilden sie selbst einen eigenen Satz, sind also vom Satz davor und dem danach abgeschnitten: Da war Anna 48 Jahre alt gewesen. Und mit Albrecht Joseph zusammen. Damals schon. 37 Jahre waren die beiden zusammengeblieben. Dann. Im Lebenslauf Anna Mahlers im Katalog zur Ausstellung ihres Werks in Salzburg 1988 war Albrecht Joseph nicht einmal erwähnt gewesen. (Streeruwitz 2003: 9) Der Bezug kann hier vom Leser zwar hergestellt werden, die einzelnen Sätze können hypothetisch zu einer hypotaktischen Konstruktion zusammengesetzt werden. Der Erzählstil jedoch verweigert einen solchen Bezug, indem er das Temporaladverb “Dann.” zu einer eigenen, geschlossenen Aussage erhebt, ohne den Bezugspunkt dieser temporalen Bestimmung anzuführen. Auch Konjunktionen wie das “Und.” im oben angeführten Zitat unterliegen dieser Verfahrensweise. Was an dieses ‘und’ angeschlossen ist, welcher Gedanke sich an den vorigen anknüpft, bleibt so eine Leerstelle - ist es wirklich der nachfolgende Satz, könnten es nicht auch andere Gedanken der Protagonistin sein? Streng genommen verweigert das “Und.” schon den Rückbezug zum vorigen Satz, da es als eigener Satz neu ansetzt. Es bildet also selbst eine Pause, einen Raum für unendlich viele mögliche ‘unds’, die hier ansetzen könnten, es bleibt in sich leer. Das “Und.” oder das “Dann.” bieten gleichermaßen die Möglichkeit, die jeweiligen Sätze davor und danach in eine Verbindung zu bringen, wie sie diese Verbindung durch ihren Satzcharakter verweigern. Zur Verweigerung eines geschlossenen Diskurses gehört auch, dass Nebensätze zu höheren Ehren kommen und an die Stelle von Hauptsätzen treten: “Und alle Mahler heißen hatten müssen.” (Streeruwitz 2003: 34), “Nur die Wolken vorne das Licht auffingen.” oder “Erst die Ankunft wieder Wirklichkeit sein würde.” (ebd.: 57). Man fragt sich unwillkürlich nach der Bedingung, die erfüllt sein muss, damit dies so ist, fragt nach dem übergeordneten Sachverhalt, von dem diese zur Eigenständigkeit gelangten Subordinationen abhängen - doch auch dies bleibt eine Leerstelle. Der Erzählstil von Marlene Streeruwitz arbeitet mit Brüchen, Pausen und Zwischenräumen. In ihren Tübinger Poetik-Vorlesungen heißt es: Daniela Langer 46 Ich habe durch die Notwendigkeit des Akts der Beschreibung eines Unsagbaren im Ausdruck zu Kunstmitteln wie Stille, Pause, dem Punkt als Würgemal und dem Zitat als Fluchtmittel gefunden, um damit dem Unsagbaren zur Erscheinung zu verhelfen. Und das Unsagbare zumindest in ein Beschreibbares zu zwingen. Die bedeutungsbildenden Möglichkeiten der Leere auszuschöpfen. (Streeruwitz 1997: 48) Diese Aussage steht im Kontext einer feministischen Ästhetik, die eine Loslösung vom männlichen Blick als “Blick Gottes” (Steeruwitz 1997: 20) und dem patriarchalischen (Sprach-)Diskurs propagiert (vgl. Kedveš 2004). Dass in ihren Prosatexten keine auktoriale Erzählsituation, kein absoluter Überblick über Diegese, Handlung, Figuren in Form einer Null-Fokalisierung als des “berühmte[n] ‘point of view Gottes’” (Genette 1998: 241) vorkommt, ist hier nur konsequent. Streeruwitz Sprache verweigert sich dem Objektiven, sucht vielmehr nach einem Ort des Subjektiven im Text, “an dem es nicht flüchtig sich verliert, aber auch nicht in das Objektive eingibt und damit Träger des Objektiven wird” (Streeruwitz 1998: 54). Der sprachliche Stil dient Streeruwitz als Mittel, die Suggestion ‘objektiver’ Vollständigkeit zu vermeiden: Der vollständige Satz ist eine Lüge. Im Entfremdeten kann nur Zerbrochenes der Versuch eines Ausdrucks sein. Das Ich des Aktivsatzes müßte leerelos über sich verfügen. Das Ich eines Passivsatzes müßte alle Tiefen kennen, in denen es getroffen werden könne. Mit dem Punkt kann der vollständige Satz verhindert werden. Der Punkt beendet den Versuch. Sätze sollen sich nicht formen. […] Im Stakkato des Gestammels. In den Pausen zwischen den Wortgruppen ist das Suchen zu finden. Nach sich. Nach Ausdruck. (Streeruwitz 1997: 76) Die Frage nach der Darstellbarkeit des ‘Seins’ wird Streeruwitz zu einem poetologischen Problem, da “das Sein im Schein der Sprache zu keiner Erscheinung kommen kann” (Streeruwitz 1997: 46f.). Obgleich Streeruwitz in ihrer Poetik (auch) eine feministische Ästhetik entwirft, die sich auf die Suche nach der Darstellbarkeit des Weiblichen jenseits des als patriarchalisch deklarierten, Vollständigkeit evozierenden Diskurses macht, lässt sich diese Poetik also grundsätzlich als eine Verweigerung der Illusion objektiver Vollständigkeit verstehen. Diese elementare Ebene wird in Nachwelt. explizit zum Thema, indem der Roman die Suche nach einer Biographie fiktionsintern verhandelt. Es lässt sich letztlich behaupten, dass Nachwelt. eine Steigerung der in Streeruwitz’ Prosatexten immer verhandelten Problematik weiblicher Lebensentwürfe und der Darstellbarkeit des Weiblichen darstellt, 11 weil diese (auch und wieder in Nachwelt. angesprochene) Thematik hier auf die grundsätzliche Frage nach der Darstellbarkeit des ‘Seins’ ausgeweitet wird. Womit Streeruwitz in den Frankfurter Poetik-Vorlesungen ihre gesamte Prosa kennzeichnet, lässt sich dezidiert auf Nachwelt. übertragen: Ich suchte eine Möglichkeit, die nicht zu erzählende Geschichte, die Geschichte, die nicht erzählt werden kann, weil ihr keine Sprache zur Verfügung steht, jedenfalls keine verständliche, einzubauen und ihr damit zumindest Raum zu geben. […] Ich denke, daß der Punkt in der zerrissenen Sprache diesen Raum, diese Möglichkeit schafft. (Streeruwitz 1998: 55) Der fragmentarische Erzählstil verweigert die teleologische Sinnhaftigkeit einer Geschichte, und in Nachwelt. wird diese auch in den anderen Romanen von Streeruwitz inszenierte Unmöglichkeit einer geschlossenen Geschichte mit dem fiktionsinternen Thema der Biographie selbstreflexiv in den Text hineingeholt. Die kurzen, elliptischen Sätze evozieren - wenn sie die äußere Umgebung der Protagonistin betreffen - blitzartige Eindrücke von Realität, diese werden durch den beständigen Wechsel mit Gedankenfetzen der Protagonistin aller- Elliptische Sätze 47 dings eben als Eindrücke der Protagonistin, als subjektive Wahrnehmung von Realität lesbar, die weiterhin fragmentarisch erfolgen und eine absolute Verfügbarkeit über das Subjekt und die Welt somit negieren. In Sicht auf die Darstellung nicht Margaretes, sondern Anna Mahlers Geschichte lässt sich bemerken, dass derselbe Stil punktuell auch die intradiegetischen Interviews prägt. Es handelt sich hierbei zwar, wie Marlene Streeruwitz betont, um die unveränderte Niederschrift der authentischen, in Kalifornien geführten Gespräche: Die Berichte über Anna Mahler seien “eins zu eins in die fiktive Handlung eingelassen”, und auf die Nachfrage nach der Überarbeitung erklärt Streeruwitz: “Nein, das ist eins zu eins abgeschrieben beziehungsweise übersetzt, wobei dann verschiedene Arten von Deutsch auch nebeneinanderstehen” (Streeruwitz 1999). Die Punktsetzung unterliegt bei einer solchen Transkription von Tonbandaufnahmen in geschriebenen Text allerdings der Entscheidung derjenigen, die die Transkription vornimmt - und obgleich sich also in den Interviews als authentischen Dokumenten in größerem Maße hypotaktische Konstruktionen finden, als dies in der extradiegetischen Erzählung der Fall ist, und die Anzahl der Ellipsen hier geringer ist, besteht in den Interviewpassagen des Romans die Tendenz, den Aussagediskurs durch Punkte in einzelne Fragmente zu unterteilen und so dem Erzählstil des gesamten Romans anzugleichen: Ich habe in Berlin studiert. Ich war an der Hochschule. Die Hochschule hat da einmal einen Ball gegeben. Das war wahrscheinlich 1922, und da habe ich die Anna kennengelernt. Auf diesem Ball. Da war sie allein, denn zu dieser Zeit war sie ja schon geschieden von ihrem ersten Mann. Koller hat der, glaube ich, geheißen. Rupert Koller. Den habe ich gar nicht gekannt. (“Ernst Kreneks Geschichte”, Streeruwitz 2003: 265) Unterstützt wird diese Tendenz zur Fragmentarität durch die Auslassung der Fragen in den Interviews, deren Position lediglich durch Gedankenstriche markiert wird: Sie begann zu malen. Vom Malen kam sie zur Skulptur. - Sie hat bis zum Ende Klavier gespielt. Aber sie wollte nie, daß ihr jemand zuhört. - Musik. Da wäre sie in einen Konflikt mit ihrem Vater und ihrer Mutter gekommen. Sie mußte sich etwas suchen, was noch keiner getan hattte. - (“Manons Geschichte”, Streeruwitz 2003: 252) Auch wenn Streeruwitz in Achtung vor den Opfer der Shoa (vgl. Lorenz/ Kraft 2002) und unter Umgehung jeglicher “Phantasie” bei der Darstellung des “Undenkbare[n]” (Streeruwitz 1999) die Interviews nicht im eigentlichen Sinne bearbeitet, so zieht doch die Entscheidung für die Punktsetzung einerseits und die Auslassung der Fragen andererseits bestimmte Wirkungen bei der Präsentation der Interviews nach sich, deren Funktion sich im Kontext des gesamten - ansonsten fiktiven - Romans erhellt. Denn die Collagenhaftigkeit des Bildes von Anna Mahler, die sich durch die punktuelle Einfügung der Interviews in den Text - und damit die Trennung der einzelnen Interviews voneinander - ergibt, wird so schon innerhalb jedes einzelnen Interviews deutlich und ein geschlossener Diskurs auch in jedem einzelnen Interview verhindert. Konsequenterweise wird mit der fiktiven Figur Margaretes, die die Interviews führt und der als Biographin die Aufgabe der Zusammensetzung des Puzzles zukommt, die Verweigerung einer gottgleichen Über-Sicht textintern vorgeführt, so dass der Roman selbstreflexiv die Bedingungen einer Biographie - ex negativo - thematisiert. Denn zum Schreiben einer Biographie wäre es notwendig, einen objektiven Standpunkt einzunehmen, der Margarete allerdings fehlt: “Wie sollte sie Höhe gewinnen. Überblick. Wenn sie sich so in die Realitäten fallen ließ. Sich hineinziehen ließ.” (Streeruwitz 2003: 212) Weiterhin würde der Anspruch, Daniela Langer 48 ein fremdes Leben - gerade im Kontext der Shoa - zu beschreiben, eine ethische Grenzüberschreitung darstellen: “Augenblicke wie diesen. Wie könnte man das für jemand anderen beschreiben. Sich in das Elend des Lebens anderer hineindrängen” (Streeruwitz 2003: 264). Mit dem Terminus ‘Augenblicke wie diesen’ ist ein (unglücklicher) Moment in Margaretes Leben angesprochen, die Möglichkeit, Erfahrungen zu beschreiben, wird also allenfalls dem diese Erfahrungen machenden Subjekt zugesprochen. Auf den ersten Blick paradox scheint es dabei zu sein, dass diese Aussage selbst ja aus einer heterodiegetischen Erzählsituation heraus gesprochen ist: Es ist nicht Margarete, die hier einen Moment ihres eigenen Lebens erzählt. Zum einen allerdings ist Margarete - im Unterschied zu Anna Mahler, im Unterschied zu den Interviewten, die folgerichtig auch in Ich-Form sprechen - fiktiv. Zum anderen lässt sich die heterodiegetische Erzählsituation damit als eine Brechung verstehen, die die Problematik der Darstellbarkeit fremden Lebens formal wiederholt. Zu einer solchen formalen Wiederholung der fiktionsinternen Frage nach der Möglichkeit einer Biographie trägt weiterhin auch der Erzählstil bei: Ebenso wie der Zugriff Margaretes auf Anna Mahler nicht vollständig und ‘richtig’ sein kann, versagt der Erzählstil des Textes eine vollständige und ‘richtige’ Erzählung von Margaretes Aufenthalt in Kalifornien, von ihrem Leben, von ihrer Gedanken- und Erfahrungswelt, indem er immer wieder abbricht und durch die Ellipsen einerseits, das Verfahren einer parataktischen Reihung andererseits lediglich (kontingente) Eindrücke sammelt. Die aufblitzenden Realitätsdetails und die externen Passagen kontrastieren dabei die innere Verfasstheit Margaretes mit der sie umgebenden äußeren Welt, wobei gerade durch die punktuelle Unverbundenheit der äußeren Geschehnisse mit Margaretes Gedanken- und Gefühlswelt die Verlorenheit der Protagonistin in der Welt deutlich wird: “Sie überlegte, ob sie etwas für ihr Frühstück brauchte. Sie dachte, sie hätte alles. Sie ging zum Apartment. Der alte Mann schwamm im Pool. Er schwamm bedächtig. Hielt den Kopf steil aus dem Wasser” (Streeruwitz 2003: 209). Der Streeruwitzsche “Pointillismus”, so ein Ausdruck von Alexandra Kedveš, radikalisiert die Details der Realität so weit, dass “der Zusammenhang sich auflöst” (2004: 24). Die Unmöglichkeit, eine sinnhafte Geschichte zu erzählen, und das Wechselspiel zwischen Objektivität (des äußeren Lebens) und Subjektivität (der individuellen, aber kontingenten Wahrnehmung dieses Lebens als Erfahrungshorizont eines einzelnen Menschen) werden so auch auf der Ebene des Erzählstils umgesetzt. Die Realitätsdetails führen ferner zu einem szenischen Modus des Erzählens, dessen Anschein von Unmittelbarkeit allerdings durch die fast immer mittelbare, indirekte Wiedergabe von Figurenrede gebrochen wird: “Im Apartment rief sie Helmut an. Was denn los sei, fragte er. Warum sie nicht anriefe. Er habe sich Sorgen gemacht” (Streeruwitz 2003: 40). Auch hier also ein kontrastierendes Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz, das die partiell erreichte Unmittelbarkeit in der Darstellung der Margarete umgebenden Welt durch die Mittelbarkeit in der Darstellung persönlicher Kontakte der Hauptfigur sofort wieder unterbricht. Eine direkte Figurenrede ist auf der extradiegetischen Ebene ausgesprochen selten, intradiegetisch lassen sich natürlich die Interviews als ‘direkte’ Rede der Interviewten verstehen. Die partielle Übernahme des auch die Rahmenerzählung prägenden, fragmentarischen Erzählstils lässt hier gleichwohl eine Distanz entstehen, da für diese Passagen letztlich dieselbe Vermittlungsinstanz wie für die Haupterzählung angenommen werden muss. Die Zeitstruktur schließlich verweigert ebenfalls die große, objektive, sinnhaft-teleologisch erzählte Geschichte, da die Erinnerungen an Anna Mahler, die Reflexionen über die Nazi-Vergangenheit Österreichs und den Holocaust immer nur bruchstückhaft im Bewusstsein Margaretes auftauchen oder aber in Form der Interviews collagenhaft über den Text verteilt sind, und da sich ferner Kollektiv- Elliptische Sätze 49 geschichte und Individualgeschichte sprunghaft abwechseln. So gehen Margaretes Gedanken über das Stofftier, das Albrecht Joseph, der Lebensgefährte Anna Mahlers, seit seinem fünften Lebensjahr besitzt und also bei der Vertreibung mitnehmen konnte, in Erinnerungen an Margaretes toten Bruder Werner über, bevor wieder der Holocaust in den Vordergrund ihrer Gedanken tritt: Hatte sie etwas, das sie seit dem fünften Lebensjahr besaß? Was hätte sie zum Mitnehmen gehabt? Damals. Ihr fiel nichts ein. Sie hatte immer alles weggeworfen. Auch vom kleinen Werner. Alles. Es hatte damals geheißen, es wäre besser, sich aller Erinnerungen zu entledigen. Und mit dem Leben weiterzumachen. Mit dem Leben weiterzumachen, hatte der Pfarrer gesagt. Zu ihrer Mutter. Danach. Aber hätte man etwas retten können. Überhaupt. Und dann. Als Opfer. War es nicht das Schwierigste zu begreifen, daß einem die Auslöschung gewollt worden war. (Streeruwitz 2003: 18) Der Titel “Nachwelt.” verdeutlicht, dass ein erfülltes Leben im Hier und Jetzt unter Vernachlässigung der Vergangenheit nicht möglich ist, dass die Gegenwart so zu einer ‘Nachwelt’ wird, die in der Vergangenheit wurzelt. Zugleich greift der Titel auch das Vorhaben einer Biographie auf, insofern eben die Nachwelt vom Leben Anna Mahlers Zeugnis haben soll. Möglich ist dies allerdings nur in Form von Spuren, in Form von Erinnerungen an Anna Mahler, womit ihr Leben eben nicht ‘direkt’ erzählt und im Erzählen vergegenwärtigt wird. Der fragmentarische, elliptische Erzählstil ist also im Zusammenspiel mit anderen discours-Elementen des Textes sowie ferner natürlich mit der histoire funktionalisiert: Besteht die histoire von Nachwelt. in der Suche nach der Biographie, so verdeutlicht der discours die Unmöglichkeit der Biographie als ‘wahre, wirkliche Geschichte’, wozu der Erzählstil maßgeblich beiträgt, insofern er die Erzählung ‘der einen’ und überhaupt einer (sukzessive sich entwickelnden, kausal verknüpften) Geschichte schon rein sprachlich verweigert. 4. Sigrid Damm: Christiane und Goethe. Eine Recherche Auch in der Biographie Christiane und Goethe kommt es zur parataktischen Reihung einfacher, kurzer, oft elliptischer Sätze, die Tätigkeiten, Gegenstände oder Abstrakta knapp benennen und so eine blitzartige Vorstellung evozieren - wobei Damm, im Gegensatz zu Streeruwitz, bei meist asyndetischen Reihungen auch mit Kommata arbeitet: Goethe allein ist Hausherr und Gastgeber im Haus am Frauenplan. Er empfängt die Besucher, führt das Gespräch, legt die Speisen vor, bestimmt die Atmosphäre. Christiane hat, sind Gäste im Haus, voll zu tun. Das Menü, kochen, anrichten, die Tafel schmükken, der richtige Wein. Dessert und Kaffee zur gewünschten Zeit. Gesellschaften von zehn und mehr Personen. Das Davor und Danach. Der Haus- und Küchenschatz richtet alles zur Zufriedenheit des Gastgebers. (Damm 1998: 189) 12 Das Genre der Biographie setzt einen Zugang zum wirklichen Leben der realen Person voraus. In welchem Maße die Möglichkeit, ein ‘Gesamtbild’ der Porträtierten zu entwerfen, in Christiane und Goethe relativiert wird, in welchem Maße andererseits das authentisch Verbürgte Zielpunkt der Darstellung bleibt, wurde oben schon herausgestellt. Die textinterne Genre-Reflexion und die damit auch aufgerufene Genre-Erwartung kontextualisieren den Erzählstil von Christiane und Goethe in anderer Weise, als es bei einem fiktionalen Roman der Fall ist. Schon die Erzählsituation ist eine wesentlich andere als in Nachwelt.: So steht zu Daniela Langer 50 Beginn des ersten Kapitels eine Reflexion über die Beweggründe und Zielsetzung des Unternehmens einer Biographie von Christiane Vulpius, die durch die Personalpronomina ‘meine’ und ‘mich’ auf die Ich-Erzählerin verweist: Der tiefe Widerspruch zwischen ihren Selbstzeugnissen und dem Urteil von Mit- und Nachwelt über sie. Meine Neugier ist wach. Für mich könnte der Reiz nur sein, ihrem Lebensweg nachzuspüren. Von ihr aus zu erzählen. Aber nicht im Sinne einer poetischen Erfindung, eines neu hinzugefügten Bildes, sondern einer Annäherung an die tatsächlichen Vorgänge, an das authentisch Überlieferte. Durch die Recherche, die Rekonstruktion, die nüchterne Spurensuche in den Archiven. (Damm 1998: 11) Dass ganz ähnliche, hiermit übereinstimmende Aussagen in der paratextuellen, per se der Autorin zuzuschreibenden “Nachbemerkung” stehen, verifiziert die naheliegende Annahme des Lesers, die Ich-Erzählerin sei Sigrid Damm. Obgleich für die implizite ‘Rahmung’ der Biographie - die Selbst-Explikation der Ich-Erzählerin - also eine homodiegetische (und in der Identität von Ich-Erzählerin und Autorin auch autodiegetische) Erzählsituation vorliegt, so lässt sich bezüglich der dann entworfenen Biographie Christianes festhalten, dass hier eine heterodiegetische Erzählsituation herrscht: Denn wenn Sigrid Damm und Christiane Vulpius auch rein formal in ‘derselben’ Welt leben - und zwar keiner fiktiv entworfenen, sondern unserer realen Welt -, so ist der zeitliche Abstand doch so groß, dass es letztlich zwei Welten sind. Damm hat zur Welt Christianes keinen direkten Zugang. Der unwiderbringliche zeitliche Abstand verhindert, dass die Biographin ihren (toten) Gegenstand direkt beobachten könnte, dies ist nur indirekt über Text- und Bilddokumente möglich, deren Authentizität gleichwohl durch die homodiegetische Ich-Erzählerin verbürgt wird. Verifikation und Distanz - so lassen sich die grundlegenden Parameter dieser biographischen Erzählsituation zunächst bestimmen. In welcher Weise geht nun die Erzählerin mit ihrem Gegenstand um, welche Funktion lässt sich dem Erzählstil zuordnen? Im Gegensatz zu Nachwelt. liegt in Christiane und Goethe keineswegs durchgehend ein parataktischer Stil vor. Kennzeichnendes Merkmal ist vielmehr, dass Passagen mit hypotaktisch konstruierten, komplexen Sätzen stellenweise durch einfache Sätze, auch durch elliptisch verkürzte Sätze unterbrochen werden, bevor am Ende in parataktisch gereihte Ellipsen übergegangen wird: 1995 geht die Nachricht durch die Zeitungen, daß die Stiftung Weimarer Klassik den Vulpius- Nachlaß ankauft. Der letzte Nachfahre der Vulpius-Familie, Melchior Vulpius, Schauspieler und Musikpädagoge, hat im Jahr 1990 seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Aufschlüsse über Christiane durch diesen Nachlaß? Im Thüringer Staatsarchiv existieren Akten über Christianes Vater, über ihren Bruder. Der Editor der Christiane-Briefe berichtet 1916 von drei Jahrgängen des Gothaischen Schreibkalenders, die seit Goethes Tod im vergilbten Papierumschlag in seinem Arbeitszimmer neben den Sedezbänden seiner Werkausgabe letzter Hand und dem Briefwechsel mit Schiller stehen und Tagebucheintragungen aus Christianes letztem Lebensjahr enthalten. Niemand hat die Spur verfolgt. Existiert das Tagebuch noch? Die Handschriften im Goethe- und Schiller-Archiv über Goethes Haushalt; Ausgabenbücher, Rechnungen, Belege. Sollten sich darin nicht Spuren von Christianes Alltag, den achtundzwanzig gemeinsam gelebten Jahren finden? Christiane vor ihrer Begegnung mit Goethe. Ihrem Lebensweg nachgehen. Ihrer Jugend. Kindheit. Herkunft. Ihren Vorfahren. (Damm 1998: 11) Als auffallend kann hier besonders die punktuelle Einfügung einfacher, kurzer und auch elliptischer Sätze sowie die parataktische Reihung von Ellipsen gelten, insofern gerade diese Elemente einen ‘normalen’, weder übernoch unterkomplex gebauten Satzstil unterbrechen. Obgleich das Zusammenspiel von hypotaktischen und einfachen Sätzen bei der Charakteri- Elliptische Sätze 51 sierung des Erzählstils in Christiane und Goethe nicht unterbewertet werden soll, ist es doch gerade die Funktion der kurzen, elliptischen, den Fluss erweiterter und komplexerer Konstruktionen unterbrechenden Sätze, die nachfolgend auf dem Prüfstand steht. In der gerade zitierten Passage, die sich direkt im Anschluss an die oben ebenfalls zitierte Zielsetzung der Biographie als nüchterne Spurensuche findet, wird die Distanz, die sich zwischen der Biographin und ihrem Gegenstand befindet, unterlaufen. So wird schon die Frage, ob anhand des Vulpius-Nachlasses Aufschlüsse über Christianes Leben möglich sind, in Form einer Ellipse vorgebracht: “Aufschlüsse über Christiane durch diesen Nachlaß? ” Zwar verdeutlicht der Kontext der Passage, dass die Ich-Erzählerin es ist, die diese Aufschlüsse sucht - die Auslassung des Subjekts überführt die Frage jedoch in eine allgemeingültige Form, so dass sich der Leser in die Fragestellung eingeschlossen fühlen kann. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Gebrauch des Personalpronomens ‘ich’ im Verlauf der Biographie stark zurücktritt. So wird zu Beginn des ersten Kapitels zwar deutlich, dass es die Ich-Erzählerin ist, die die überlieferten Dokumente in den Blick nimmt. Werden solche Dokumente allerdings später eingeführt, so erfolgt dies weitgehend neutral, ohne noch einen Verweis auf die Lektüresituation der Ich-Erzählerin Damm zu enthalten: “Ein Büchlein im Format 18,2 x 11,2 cm. Ein Pappeinband, mit braunem marmoriertem Papier bezogen, die Goldprägung darauf.” (Damm 1998: 58) - so wird ein Band mit Federzeichnungen des jungen Christian August Vulpius, Christianes Bruder, eingeführt. “Im Staatsarchiv sind die Cassa-Bücher, die Herzoglichen Schatullenrechnungen und die dazugehörigen Belegbücher aufbewahrt. Alles ist säuberlich aufgelistet.” (Damm 1998: 68) - so der Beginn der Einsicht in die Staatsausgaben des Weimarer Fürstenhofes, aus denen ein Bild des Lebens am Weimarer Musenhof gezeichnet wird. Der Effekt eines solches Zurücktretens der Ich-Erzählerin als Subjekt, das die Dokumente sichtet und auswertet, liegt in einer scheinbaren Objektivität, die das “authentisch Überlieferte” (Damm 1998: 11) ohne Zwischenschaltung einer vermittelnden Instanz augenscheinlich unmittelbar zur Darstellung bringt. Unmittelbarkeit lässt sich auch als Effekt der Einstreuung elliptischer Sätze in den Fluss des ‘normalen’ Erzählens benennen: “Die Handschriften im Goethe- und Schiller-Archiv über Goethes Haushalt; Ausgabenbücher, Rechnungen, Belege. Sollten sich darin nicht Spuren von Christianes Alltag, den achtundzwanzig gemeinsam gelebten Jahren finden? ” (Damm 1998: 11). Die Auflistung der Dokumente steht als Reihung (realer) Gegenstände zunächst für sich und fungiert als blitzartiges Aufscheinen der Realität. Diese Unmittelbarkeit bewirkt die Neugier des Lesers auf diese Dokumente; und die Ellipse lässt den nötigen (Frei-)Raum, eigene Vorstellungen an diese Zeugnisse anzuknüpfen, bevor die Schlussfolgerung der Erzählinstanz - wiederum unter Verzicht auf die Ich-Form - die Fragestellung, die sich an die Dokumente richtet, präzisiert. Unmittelbarkeit wird zuletzt durch die parataktische Reihung von elliptischen Sätzen erzeugt, die den Schlusspunkt einer solchen Passage bildet und eine Steigerung des Verfahrens darstellt: “Christiane vor ihrer Begegnung mit Goethe. Ihrem Lebensweg nachgehen. Ihrer Jugend. Kindheit. Herkunft. Ihren Vorfahren.” (Damm 1998: 11) Auch hier wird das Subjekt, das diese Rekonstruktion des Lebensweges unternimmt, ausgelassen: “Ihrem Lebensweg nachgehen” wird so nicht mehr nur als Projekt der Ich-Erzählerin kenntlich, sondern erhält einen allgemeingültigeren Anspruch - es ist das, was das Buch im Folgenden leistet. ‘Lebensweg’, ‘Jugend’, ‘Kindheit’, ‘Herkunft’, ‘Vorfahren’ sind nun die Lexeme, die die Eckpunkte des Folgenden abstecken und blitzartig Vorstellungen aufrufen, ohne jedoch schon mit Inhalten gefüllt zu sein. Auch dieses Verfahren weckt Neugier und umreißt Daniela Langer 52 zugleich eine Vorstellung dessen, was vom Folgenden zu erwarten ist: ein Gesamtbild Christianes zu bekommen, das von ihren Vorfahren und ihrer Herkunft aus über verschiedene Stationen ihren Lebensweg nachzeichnet. In der Spezifizierung, die im Laufe der Biographie dann folgt, nehmen Ellipsen nun oftmals die Funktion ein, Gegenstände oder Situationen unmittelbar zu benennen und die Welt, in der Christiane lebt, anschaulich zu machen: Zu vermuten ist, daß Christiane Vulpius gern in der Blumenwerkstatt gearbeitet hat. Das Zusammensein mit Gleichaltrigen. Mädchen aus den unterschiedlichsten Häusern. Der Austausch untereinander. Die Freude an dem mit eigenen Händen Geschaffenen. Zu Hause dagegen der entlassene Vater. Die kranke Stiefmutter. (Damm 1998: 80) Um die Funktion dieses Erzählstils noch näher zu bestimmen, ist eine Einbettung in den größeren Kontext des Erzählverfahrens von Sigrid Damm notwendig. Zunächst stellt die Ich- Erzählerin dezidiert heraus, dass es für Christianes Tätigkeit in einer Putzmacherinnenfabrik keinerlei Beweise gibt: Christiane Vulpius in der Bertuchschen Putzmacherinnen-Werkstatt. In allen biographischen Arbeiten wird dies als Fakt dargestellt. Ich versuche einen Nachweis darüber zu finden. […] Weder Listen noch Papiere zur Zinsanlegung, keinerlei Dokumente über die Arbeit der Mädchen existieren. Also gibt es auch keinen Beleg für Christiane Vulpius’ Arbeit dort. (Damm 1998: 75) Die Schlussfolgerung lautet: “Mit aller Wahrscheinlichkeit jedoch hat Christiane über mehrere Jahre in der Blumenwerkstatt gearbeitet” (ebd.). Wenn die Wahrscheinlichkeit auch groß ist, so wird hiermit dennoch herausgestellt, dass alles Folgende auf einer Annahme basiert. Deutlich wird dies auch in der Formulierung des obigen Zitats “Zu vermuten ist, daß Christiane Vulpius gern in der Blumenwerkstatt gearbeitet hat.” - wobei sich allerdings die Vermutung hier streng genommen nur auf das ‘gern’ bezieht: Trotz des relativierenden Gestus wird die Tätigkeit selbst schon als gegeben vorausgesetzt. Die nachfolgenden elliptischen Nominalphrasen-Sätze stellen teilweise Fakten dar, teilweise jedoch wiederum Vermutungen. Die Fakten sind die Tatsachen, dass der Vater entlassen und die Stiefmutter krank ist. Auch “Das Zusammensein mit Gleichaltrigen” ist einerseits Fakt: In der Fabrik haben Mädchen eines bestimmten Alters gearbeitet. Der Kontext jedoch schließt Christiane Vulpius in die Gruppe dieser Mädchen ein: Dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach so gewesen sein und nun mittels dieser blitzartigen Nominalphrase als Vorstellung evoziert. “Der Austausch untereinander” sowie vor allem “Die Freude an dem mit eigenen Händen Geschaffenen” veranschaulichen, wiederum im Kontext auf Christiane bezogen, deren Situation in dieser Fabrik. Diese Nominalphrasen beschreiben allerdings nicht äußere Realitätsdetails, sondern eine Handlung (“Austausch”) und ein Gefühl (“Freude”). Die satzbildenden Nominalphrasen dienen bei Damm also zum einen dem bildhaften Entwurf der äußeren Lebenswelt Christiane Vulpius’, zum anderen jedoch auch der bildhaften Evokation ihrer Erfahrungen und Gefühle. Der Übergang von der imaginativen Veranschaulichung äußerer Realität zur Veranschaulichung von Christianes innerer Verfasstheit ist dabei oftmals fließend - wie auch der Übergang zwischen einer einführenden Relativierung der Authentizität des Folgenden zu einer Schilderung, die diese Relativierung zunehmend übergeht, fließend geschieht: Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß Christiane zu den ersten zehn Mädchen gehörte, die für vier Tage in der Woche in der Werkstatt im neuen Haus am Baumgarten arbeiten. Elliptische Sätze 53 Bertuchs neues Haus, groß und hell, liegt inmitten eines schönen Gartens. Die Stube. Der Tisch, an dem die zehn Mädchen sitzen. Ein langer Arbeitstisch, überliefert Wieland. Auguste Slevoigt leitet die Mädchen an. Caroline Bertuch sieht ab und zu herein. Fleiß ist gefordert. Geschick. Sorgsamster Umgang mit dem Material. Wie der Bruder mit Feder, Pinsel und Farben umging, so kann Christiane jetzt mit Stoffen, Draht, Schere und Nadel umgehen. Seide, Plüsch, Leinwand, Samt, Taft. Die Struktur der Materialien. Glätte und Geschmeidigkeit. Leuchtende Farben. Auf dem Arbeitstisch Blumen und Zeichnungen von Blüten, Blattstielen, Knospen und Blumenblättern als Vorlagen. Die Mädchen aus begüterten Häusern, die ihre Stickrahmen verlassen haben, sind vorerst geschickter als die aus ärmeren Häusern, die, wie Christiane, von ihren Spinnrädern kommen. Ihr Ehrgeiz wird vermutlich wach. Blicke auf die Nachbarinnen. Wieder und wieder Versuche. Ausdauer. Wachsendes Geschick. Ungewohntes Glück, wenn eine der beiden Frauen eine gelungene Arbeit lobt. (Damm 1998: 76f.) Nun beschränken sich die kurzen, parataktisch gereihten, elliptischen Sätze bei Streeruwitz ebenfalls nicht nur auf die Wiedergabe äußerer Realitätseindrücke, sondern sie bilden ebenso eine Extremform der erlebten Rede, dienen also auch der Wiedergabe der Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin. Der Unterschied in der Funktion resultiert allerdings aus dem jeweiligen Zusammenspiel des Stils mit der Erzählperspektive und der Gattungszugehörigkeit des Textes: Handelt es sich bei Streeruwitz um eine heterodiegetische Erzählsituation mit interner Fokalisierung auf die fiktive Protagonistin, liegt die Perspektivierung des Erzählten damit von vornherein bei Margarete und stellt sich ferner dadurch, dass es sich um einen fiktionalen Roman handelt, auch die Frage nach der Legitimation dieser Perspektive nicht, so liegt die Sache bei Damm anders. Der Blick der Biographin auf die reale - und zeitlich weit entfernte - Person Christiane Vulpius ist von vornherein ein Blick von außen: Wird die Innenperspektive Christianes eingenommen, ist dies der Schritt über einen objektiven, im Rahmen einer faktualen Erzählung überhaupt realistisch möglichen Zugriff auf den Gegenstand der Biographie hinaus - ein Schritt, der in Form der verkürzten Nominalphrasen-Sätze unternommen wird. Ihnen kommt die Funktion zu, das faktual Nachweisbare auszumalen, Vorstellungen des Lebens von Christiane Vulpius hervorzurufen, die durch die bloße Wiedergabe authentischer Dokumente kaum aufzurufen wären. Die Verfahrensweise changiert dabei zwischen der schlichten Evokation von Christianes Gefühlswelt und deren Relativierung als Vermutung: “Ihr Ehrgeiz wird vermutlich wach. […] Ungewohntes Glück, wenn eine der beiden Frauen eine gelungene Arbeit lobt” (Damm 1998: 77, Hervorhebung D.L.). Zugleich vermeidet Damm es durch die elliptische Kürze, eine wirklich ausgeführte erlebte Rede zu inszenieren. Transportiert die Ellipse nun das Bewusstsein um die Grenzüberschreitung, die hier vorgenommen wird? Immerhin wird punktuell, aber wiederholt durch relativierende Partikel darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei dem anschaulich Dargestellten letztlich um Vermutungen handelt. Gerade die Ellipsen blenden eine solche Relativierung allerdings aus. Sie stellen ferner die zwar immer wiederkehrende, jedoch eben nur punktuell realisierte Zuspitzung eines Erzählprozesses dar, der im Ganzen von den authentischen Dokumenten zu deren Auswertung und Interpretation, von Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen zum imaginativen Entwurf eines ‘So war es’ übergeht. Deutlich wurde dies schon am angeführten Beispiel, der wahrscheinlichen Arbeit Christianes in der Putzmacherinnenfabrik, deren Schilderung über die Wahrscheinlichkeit hinaus allerdings - gerade durch die Ellipsen - den Anschein des So-Seins, des Fakts erhält. Deutlich wird dies auch, wenn man den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten über einen größeren Textverlauf in den Blick nimmt, etwa im Falle von Christianes Anwesenheit bei der Enthauptung der Daniela Langer 54 Kindsmörderin Anna Catharina Höhn in Weimar. Zunächst heißt es: “Mitte April wird nur ein einziges Thema die Gespräche am langen Arbeitstisch beherrschen” (Damm 1998: 81). Es folgt die wahrscheinliche Annahme: “Gewiß wird Christiane Vulpius die Enthauptung der Kindsmörderin miterlebt haben” (ebd.). In der späteren Schilderung der öffentlichen Enthauptung steht dann aber in elliptischer Verkürzung: “Die achtzehnjährige Christiane Vulpius in der Zuschauermenge am Markt, am Rabenstein.” (Damm 1998: 92). Gerade die Ellipse macht diese Aussage zu einer Feststellung, führt zur Vorstellung von Christiane in dieser Situation - und übergeht dabei, dass dies keineswegs überliefert ist. Ähnlich verfährt der Text hinsichtlich des Ursprungs von Christianes Begeisterung für die Komödie. Zunächst wird mehrmals die Frage gestellt, ob Christianes Bruder sie in ihrer Jugend “vielleicht” oder auch “[v]ermutlich” mit in die Komödie genommen habe (Damm 1998: 99, 105, vgl. auch 62). Gegen Ende der Biographie heißt es dann allerdings schlicht: “Ihr Tagebuch bestätigt, daß ihr vom Bruder frühzeitig gewecktes Interesse für das Theater bis in ihr letztes Lebenshalbjahr anhält” (Damm 1998: 483). So werden nicht nur in einzelnen Episoden, sondern auch im Gesamtverlauf des Textes - und damit im Gesamtbild von Christiane Vulpius’ Leben - dezidierte Vermutungen nachfolgend unterlaufen und wird der Anschein eines ‘So war es’ erweckt. Ein ähnliches Verfahren betrifft die direkte Auswertung historischer Dokumente. Zwar werden die Schlussfolgerungen, die sich an bestimmte Textzeugnisse anschließen, deutlich als solche gekennzeichnet, ‘vermutlich’, ‘vielleicht’, ‘womöglich’ und ‘wahrscheinlich’ sind wiederkehrende Relativierungen der Biographie, und auch die Frageform hält das tatsächlich Geschehene in der Schwebe: Wird Goethe zuweilen zum ärmlichen Haushalt der drei Frauen [Christianes, ihrer Stiefschwester und ihrer Tante, D.L.] etwas beisteuern? Oder es wegen der Heimlichkeit vermeiden? Vermutlich letzteres. Erst 1789 finde ich bei den Belegzetteln in den Ausgabenbüchern mehrfach Rechnungen des Conditors Wilhelm Schwarz an den Herrn Geheimen Rath über Biscuit, süße Maronen, gebrannte Mandeln, Boutelgen Mallea und Confect (GSA 34 VIII, 3,6 und 3,9). Näschereien für Christiane? Die Heimlichkeit, die beide in eine Situation der Verstellung drängt. (Damm 1998: 117) Dennoch werden, auch über die Leerzeile des Abschnittswechsels hinaus, die an das Dokument geknüpfte Vermutung und die nachfolgende, elliptisch aufgerufene Vorstellung der Situation eines heimlichen Liebesverhältnisses in einen Zusammenhang gestellt. Die Heimlichkeit des Liebesverhältnisses wird so präzisiert, sie wird mit - möglichen - Bildern darüber gefüllt, in welchen Formen sich diese Heimlichkeit vollzog. Als erzählerisch (vgl. Damm 1998: 517) kann die Vorgehensweise Damms also in dreierlei Hinsicht spezifiziert werden: Zum einen schafft sie Zusammenhänge zwischen den angeführten Dokumenten als authentisch überliefertem Material der Biographie und dem letztlich nicht über solche Dokumente verifizierbaren, ‘tatsächlichen’ Leben Christianes - wobei einerseits oft genug selbstreflexiv darauf aufmerksam gemacht wird, dass diese Schlüsse auf das ‘wirkliche’ Leben Vermutungen bleiben müssen, andererseits allerdings solche Relativierungen in einzelnen Passagen oder im ganzen Textverlauf unterwandert werden. Zweitens ist die Vorgehensweise ‘erzählerisch’, insofern der Erzählstil die vergangene, nur über Textzeugnisse vermittelte Welt Christiane Vulpius’ mit aufblitzenden Realitätsdetails zu einer unmittelbar wirkenden Anschauung bringt, was die Distanz zum Gegenstand der Biographie verringert. Drittens und letztens wird dabei auch - wie eigentlich nur in fiktionalen Erzählungen möglich - ein Einblick in die Erfahrungs- und Gefühlswelt von Elliptische Sätze 55 Christiane gegeben. Dies geschieht teilweise direkt, wenn in den Ellipsen etwa von “Freude” oder “Glück” die Rede ist. Doch auch indirekt kann ein solcher Einblick erfolgen, wenn die Christiane Vulpius umgebende Welt und ihre äußere Situation geschildert werden, sich aber auf Christianes innere Verfasstheit beziehen lassen: Christianes Heimweg. Rollplatz, Kirchhofgasse, Totengasse. Das Licht der Rüböllaternen, das den Schnee mattweiß schimmern läßt. Zu Hause sind Vater, Tante und Schwester vielleicht schon zu Bett. Das spart Feuerholz und Licht. (Damm 1998: 97) Das relativierende ‘vielleicht’ kennzeichnet hier eine Vermutung: Doch ist es die der Autorin oder die von Christiane - in innerer Gedankenrede, die zwar nicht als solche markiert ist, durch das Präsens (“sind”) jedoch zumindest als Möglichkeit aufgerufen wird? Die schmucklose Schilderung des Winterheimgangs dient auch der Charakterisierung von Christianes innerer Situation als Mitglied einer sozial niedrig stehenden, ja armen Familie, sie dient als Hinweis auf ihre (implizit erschließbare) innere Verfassung. In der Wahl des auffälligen, mit Ellipsen arbeitenden Erzählstils verfährt Damm in ihrer Biographie also tatsächlich “erzählerisch” (Damm 1998: 517). Die im gleichen Zuge abgelehnte “poetische[] Erfindung” (Damm 1998: 11) und “erzählerische Phantasie” (ebd.: 517) finden allerdings durchaus ihren Platz, sind es doch gerade die Ellipsen, die über das verbürgte, authentische Material hinaus der Schilderung Anschaulichkeit verleihen und das Gerüst toter Dokumente mit Leben füllen - und dies betrifft nicht nur die äußere Realität, sondern auch die innere Gefühlswelt der ‘Protagonistin’: “Christianes Angst.” (Damm 1998: 130). Die Ellipsen tragen so zur Herstellung einer inneren Wahrscheinlichkeit der in Dokumenten nur äußerlich belegten Biographie bei. “Von ihr aus zu erzählen” (Damm 1998: 11) als Absicht der Darstellung scheint nur möglich zu sein, wenn eine Annäherung an Christianes Leben so weit gelungen ist, dass ihr Standpunkt und ihre Perspektive punktuell eingenommen werden können. Da der Blick einer Biographie aber grundsätzlich ein externer ist, rückt der die Distanz zum Gegenstand überspringende, unmittelbar wirkende elliptische Stil das Verfahren stellenweise auch in die Nähe eines sensationellen Erzählens: “Ihre schwere Krankheit in den letzten Lebensjahren. Ihr einsames Sterben, ihr früher Tod.” (Damm 1998: 11), “Die in Weimar Zurückgebliebene. Das große Haus am Frauenplan.” (ebd.: 171), “Christianes Septemberbriefe. Ihr schlechter Zustand. Goethes Angst.” (ebd.: 473f.) sind Beispiele für einen Schlagzeilen-Stil, der in der blitzlichtartigen Beleuchtung existentieller Situationen und Umstände den Raum für Projektionen offen hält und zugleich die spätere Ausfüllung dieser ‘Ankündigungen’ verheißt, also Spannung erzeugt. Wenn Damm in ihrer Nachbemerkung anmerkt, ihr Thema “Alltag und Alltagsbewältigung” sei ein “Gegenstand, der weder sensationell ist noch als besonders literaturwürdig gilt” (Damm 1998: 517), so hilft der Erzählstil des Buches über diese Schwierigkeit hinweg. 5. Zur Polyvalenz des Erzählstils - Nachwelt. und Christiane und Goethe Verweigert sich Streeruwitz dem Erzählen einer geschlossenen Geschichte und verweigert sich ihre Protagonistin dem Erzählen einer wahren Geschichte, so erzählt Damm letztlich eben doch die ‘wahre’ Geschichte von “Christiane”. Dabei nimmt der ähnliche, mit parataktischen Reihungen, einfachen Sätzen und Ellipsen arbeitende Erzählstil in beiden Texten eine unterschiedliche Funktion ein. Daniela Langer 56 Bei Streeruwitz öffnet die (auf der extradiegetischen Ebene) durchgängig zu findende parataktische Struktur mit extrem kurzen und elliptischen Sätzen Pausen und Zwischenräume, die Punkte markieren das Abbrechen von Aussagen, Zusammenhänge werden durch den elliptischen Satzgebrauch auch von Konjunktionen oder Adverbien verhindert. Im Zusammenspiel mit der Erzählsituation, dem Modus, der Zeitstruktur und den verschiedenen Erzählebenen (den eingebetteten Interviews) verweigert dieser Erzählstil einen geschlossenen Diskurs als Entwurf der einen - und ‘wahren’ - Geschichte, die so als uneinholbar markiert wird. Objektivität (im Sinne von ‘Richtigkeit’) in der Darstellung eines gelebten Lebens wird in Nachwelt. letztlich als eine Leerstelle fassbar, die durch die Ellipsen thematisiert, aber nicht gefüllt wird. Demgegenüber ließe sich Objektivität als ‘Richtigkeit’ im Falle von Christiane und Goethe zunächst als programmatischer Zielpunkt einer am authentischen Material orientierten Biographie benennen, die jegliche Erfindung vermeiden will. Unterlaufen wird dies jedoch schon durch die Kontrastierung von Wissenschaftlichkeit und Erzählen, wodurch dem Erzählen gegenüber der (objektiven) Vorgehensweise einer wissenschaftlichen Monographie ein Mehrwert zugesprochen wird. Dieser Mehrwert des Erzählens liegt einerseits in einer Auffüllung des kargen Gerüsts der Dokumente, insofern die objektiven Daten erzählerisch mit Details ausgeschmückt werden - und gerade die Ellipsen, die zwar nicht die durchgängige Sprachform von Christiane und Goethe bilden, jedoch als auffällige Besonderheit den Erzählstil prägen, dienen dabei der blitzartigen Veranschaulichung von ‘Realität’. Der Mehrwert liegt andererseits in einer Überschreitung des authentischen Materials, insofern die Ellipsen auch zur Veranschaulichung der subjektiven Gefühlswelt von Christiane Vulpius beitragen. Sie helfen ferner dabei, die Distanz zwischen der Biographin und ihrem Gegenstand punktuell zu verringern, sie suggerieren Unmittelbarkeit und blenden so die Vermitteltheit der biographischen Rekonstruktion zugunsten von Spannungserzeugung und Vereinnahmung des Lesers aus. Auch bei Streeruwitz trägt der elliptische Stil zur Erzeugung des Anscheins von Unmittelbarkeit bei. Als “Pointillismus” (Kedveš 2004: 24) ist dieses Verfahren allerdings so radikalisiert, dass die Zusammenhänge zwischen den Details sich auflösen, die einzelnen Elemente bezugslos werden, eine Verbindung zwischen der Protagonistin und der sie umgebenden Welt oft gerade nicht hergestellt werden kann. In dieser Radikalität dienen die Ellipsen also einem Verfremdungsverfahren, das die Distanz zum Erzählten wieder vergrößert. Überspitzt formuliert ließe sich behaupten: Der elliptische Erzählstil trägt im Falle von Nachwelt. zur Zersplitterung von Leben in Fragmente bei, in Christiane und Goethe hingegen hilft er, die Fragmente zu einem Leben zusammenzusetzen. Obgleich also ‘Unmittelbarkeit’ als ein relativ kontextunabhängiges Kennzeichen des elliptischen, parataktischen Erzählstils gelten kann, so lässt sich die Funktion dieses Erzählstils in Sicht auf den Gesamttext erst im Zusammenhang mit anderen Elementen bestimmen: Sie ist bedingt durch die Genrezugehörigkeit, weitere discours-Elemente und nicht zuletzt durch das Erzählte selbst. Als discours-Elemente, die in einem besonders engen Zusammenhang mit dem Erzählstil stehen und dessen Funktion beeinflussen, lassen sich vor allem ‘Fokalisierung’ und ‘Stimme’ nennen: Die verschiedenen Funktionen des Erzählstils beider analysierter Texte generieren sich wesentlich im Zusammenhang mit der je unterschiedlichen Erzählsituation, aus der heraus in einem bestimmten Stil erzählt wird. Auf narratologischer Ebene ließe sich diskutieren, inwiefern der Erzählstil der Kategorie ‘Stimme’ zugeordnet werden könnte. Klassischerweise werden unter ‘Stimme’ drei verschiedene Fragen unterschieden, die alle die Erzählinstanz eines Textes betreffen: die Fragen, Elliptische Sätze 57 wann ein Erzähler (im Verhältnis zur von ihm erzählten Geschichte) erzählt, von wo aus ein Erzähler erzählt (als Unterscheidung verschiedener Erzählebenen) und wer eigentlich erzählt (eine Figur, die der erzählten Welt angehört oder nicht; vgl. Genette 1998: 153). Laut Richard Aczel wird hierbei eine entscheidende Frage ausgelassen: “The question of how a narrator speaks does not appear, for this typology, to belong to the issue of voice” (Aczel 1998: 468). Die Relevanz dieser Frage gerade in Sicht auf die Kategorie ‘Stimme’ liegt allerdings auf der Hand, da zum einen die Identifikation verschiedener Sprechinstanzen im Text durchaus davon abhängen kann, zunächst verschiedene Sprechweisen zu unterscheiden - und umgekehrt verschiedene Sprechinstanzen (so in Nachwelt. die heterodiegetische ‘Haupt’-Erzählinstanz und die Interviewten) durch ihre ähnliche Sprechweise letztlich einer übergeordneten Vermittlungsinstanz zugeordnet werden können. 13 Zum anderen wird ein Konzept von ‘Stimme’ ohne Berücksichtigung qualitativer Faktoren dem Begriff ‘Stimme’ kaum gerecht (vgl. Aczel 1998: 468). Nun bietet sich der Erzählstil als Zusammenfassung solch qualitativer Faktoren von ‘Stimme’ geradezu an, da er ja die Art und Weise des Erzählens, das “Wie” eines Textes, bezeichnet. 14 Die systematische und heuristische Tragfähigkeit einer solchen Subsumierung des Erzählstils unter die Kategorie ‘Stimme’ müsste allerdings noch genauer untersucht werden. In Frage steht einerseits das Verhältnis des Erzählstils auch zur Kategorie ‘Modus’, unter der die Distanz und die Fokalisierung eines Erzähltextes gefasst werden. So betrifft der Anschein von Unmittelbarkeit, der durch die Ellipsen in beiden hier analysierten Texten erzeugt wird, die Frage nach der Distanz; und letztlich ist es das Zusammenspiel von ‘Fokalisierung’ und ‘Stimme’ in der Erzählsituation, das sich in den Analysen als relevantes Kriterium für die Bestimmung der Funktion des Erzählstils erwiesen hat. Zum anderen bekommt die Kategorie der ‘Stimme’, wenn sie um den Erzählstil erweitert würde, eine metaphorische Qualität, die dem Begriff zwar per se inhärent ist, im analytisch-funktionalen System nach Genette allerdings nicht primär vorgesehen ist (vgl. Blödorn/ Langer 2006). Jenseits solcher, zunächst nur Entwurf bleibender Überlegungen zu einer Eingliederung des Erzählstils in den von Genette errichteten Bau eines narratologischen Kategoriensystems sollte jedoch deutlich geworden sein, dass der Erzählstil eines Textes eine funktionale Komponente auf der Ebene des discours einer Erzählung bildet - eine Komponente, deren Funktion gerade im Wechselspiel mit den anderen Aspekten des discours, mit der histoire, dem Thema des Textes und seiner Gattungsbzw. Genrezugehörigkeit modelliert wird. 6. Literaturangaben Primärliteratur Damm, Sigrid 1998: Christiane und Goethe. Eine Recherche, Frankfurt am Main/ Leipzig: Insel. Streeruwitz, Marlene 2003: Nachwelt. Ein Reisebericht. 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Das Handbuch der Semiotik beginnt das Kapitel zur Stilistik mit einer Stellungnahme von Greimas und Courtés (1979: 318) zur Unmöglichkeit jeder Definition, benennt dann allerdings durchaus einen “gemeinsamen Nenner” semiotischer Stiluntersuchungen (Nöth 2000: 397ff.). Elliptische Sätze 59 3 Vgl. zum sprachlichen/ literarischen Stilbegriff Riesel/ Schendels (1975: 15), Sandig (1995: 28) und Anderegg (1995: 122). - Dass Stil in Erweiterung der ursprünglichen, an das Schreiben gebundenen Bedeutung (von lat. stilus = Schreibgriffel) auch nichtsprachlichen Handlungen oder Lebensformen zugesprochen wird, macht die Sache nicht gerade leichter. Vgl. den Stilbegriff bei Gumbrecht/ Pfeiffer (1986) oder den Beginn der Begriffsexplikation im Eintrag ‘Stil’ des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft: “Stil nennt man rekurrente Formen der Manifestation menschlichen Verhaltens im allgemeinen.” (Gumbrecht 2003: 509). 4 So Sowinski (1999: 34ff.) und Czapla (2003: 517). 5 Die umfassendste Kritik an der Deviationsstilistik stammt von Spillner (vgl. 1974: 31-40), der auf die Gefahr des Zirkelschlusses in der Bestimmung von Norm und Abweichung hinweist. Da “beim Aufstellen der Norm des Sprachsystems stilistisch abweichende sprachliche Erscheinungen wegen mangelnder Systemrichtigkeit nicht mit berücksichtigt” werden, erscheinen diese dann zwangsläufig als normwidrig und abweichend (ebd.: 36). 6 Eine umfassende Übersicht über verschiedene Gesichtspunkte, die Stil perspektivieren und so als Kontext angesprochen werden können, bietet Sandig (1995). 7 Unter Absehung der narrativen Ebene, die die Unterscheidung von Rahmen- und Binnenerzählung betrifft, und der Zeit der Narration (die meist als ‘später’ zu charakterisieren ist), sind dies zunächst nur sechs, insofern eine homo- oder heterodiegetische Erzählinstanz (Ebene der ‘Person’) je mit drei verschiedenen Fokussierungsmöglichkeiten (Nullfokussierung, intern oder extern) kombiniert werden kann (vgl. Genette 1998: 273 oder Martinez/ Scheffel 1999: 94). 8 Vgl. die umfassende Liste der unter ‘Mikrostilistik’ zu beachtenden Komponenten bei Sowinski (1999: 89-101), zu denen dann noch verschiedene rhetorische Figuren, Stilmittel des Wortschatzes, Interpunktion und Typografie, lexikalische Stilmittel und Bildlichkeit treten (ebd.: 102-134). 9 Somit ist auch dem Eintrag ‘Stil’ im Reallexikon punktuell zu widersprechen, wenn es heißt: “Die darin [im Stil, D.L.] jeweils zur Erscheinung kommende Form ist kontingent, d. h. man unterstellt gemeinhin, dass die mit dieser Form verbundene Intention oder Funktion auch durch andere Formen verwirklicht werden könnte” (Gumbrecht 2003: 509). Dies scheint man m. E. keineswegs gemeinhin zu unterstellen, gerade im Gegenteil - zumindest in der Stilforschung. 10 Vgl. Streeruwitz im Interview mit Lorenz/ Kraft (2002: 228): “[…] über Shoa muss gesprochen werden, aber es müssen auch formale Mittel verwendet werden, um Erinnerungen besprechbar zu machen, ohne sie sofort wieder in die Wirklichkeit zu reißen. Übrigens vor allem aus Gründen der Achtung für die Opfer. Ich denke, Tabusituationen haben mit Schweigen nichts zu tun, ein Tabu ist ja bekannt, aber es wird nicht benannt. Genau darum geht es in diesem Fall. Es sollen nicht Leerstellen entstehen, sondern es können sogar überfüllte Stellen, dichte Stellen im Informationsnetz entstehen, die mit Achtung umgangen werden, aber trotzdem sichtbar bleiben. Dafür hat die Kunst Mittel entwickelt, unsichtbare Dinge sichtbar zu machen.” 11 Vgl. hierzu Kedveš 2004, die feststellt: “Die heterogene Textur von ‘Nachwelt.’ leistet mehr Verkehrungen von Dominanz- und Unterdrückungsdiskursen als die anderen Texte, verklammert sie inniger” (ebd.: 30). 12 Kursive Hervorhebungen in Zitaten aus Christiane und Goethe stehen im Original, sie kennzeichnen Zitate aus zeitgenössischen Dokumenten. 13 Womit die schwierige Frage nach einer noch über der eigentlichen (hier also extradiegetisch-heterodiegetischen) Erzählinstanz stehenden Organisationsinstanz angesprochen ist, die nicht mit dem Autor gleichgesetzt werden muss und unter dem Begriff ‘impliziter Autor’ diskutiert wird - ein Problem, das an dieser Stelle allerdings nicht verhandelt werden soll. 14 Aczel selbst führt verschiedene Konstituenten des “how” an (Tonfall, Idiomatik, Diktion, Register und Stil), weist dem Stil dabei aber eine besondere Relevanz zu: Vgl. Aczel (1998: 472). M. E. lassen sich Tonfall (ein sehr unscharfer Begriff), Idiomatik, Diktion und Register allerdings alle schon unter dem Begriff ‘Stil’ subsumieren, betreffen sie doch letztlich ebenfalls Fragen der Syntax und Lexik.
