Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2007
301-2
Stilbildung und visuelle Kodierung im Film.
61
2007
Andrea Blödorn
Mit ihren stereotypen Handlungsmustern und motivischen Rekurrenzen scheint die deutsche Edgar Wallace-Filmserie zahlreiche Ansatzpunkte für eine filmische Stilanalyse zu bieten. Zur Wiedererkennbarkeit der Filme tragen jedoch neben dem filmischen discours auch Stereotype auf der histoire-Ebene der erzählten Geschichten bei. Der Beitrag versucht, in der funktionalen Rückbindung des Erzählens auf die erzählten Geschichten 'Erzählstil' als rekurrentes, mediengebundenes Selektionsmuster zu fassen. Die semiotischen Stilkriterien von 'Wahl' und 'Abweichung' werden dabei nicht auf eine verallgemeinerbare Norm bezogen, sondern treten als kontextuelle Faktoren hervor. In einer vergleichenden Stilanalyse von DER HEXER (1964) und DER WIXXER (2004) wird untersucht, inwiefern 'Stil' nicht bloße rhetorische Ausschmückung filmischer Narration, sondern integraler Bestandteil von deren Bedeutungskonstitution ist.
kod301-20137
Stilbildung und visuelle Kodierung im Film Am Beispiel der deutschen Edgar Wallace-Filme der 1960er Jahre und ihrer Parodie in D ER W IXXER Andreas Blödorn Regarding the analysis of style in film, the German Edgar Wallace series seems to provide a perfect example: With their stereotypical plots and recurrent motifs, the individual films of the series achieve a high grade of recognition. Referring to both the filmic discours and the histoire, narrative style can be defined as recurrent and media-related model of selection. According to this concept, the semiotic criteria of style as ‘choice’ and ‘deviance’ are no longer relating to a generalized norm, but emerge as factors conditional on the context of narrating. Based on a comparative analysis of D ER H EXER (1964) and D ER W IXXER (2004), ‘style’ is proposed finally not only as a rhetoric elaboration of narration in film, but as integral part of its signification process. Mit ihren stereotypen Handlungsmustern und motivischen Rekurrenzen scheint die deutsche Edgar Wallace-Filmserie zahlreiche Ansatzpunkte für eine filmische Stilanalyse zu bieten. Zur Wiedererkennbarkeit der Filme tragen jedoch neben dem filmischen discours auch Stereotype auf der histoire-Ebene der erzählten Geschichten bei. Der Beitrag versucht, in der funktionalen Rückbindung des Erzählens auf die erzählten Geschichten ‘Erzählstil’ als rekurrentes, mediengebundenes Selektionsmuster zu fassen. Die semiotischen Stilkriterien von ‘Wahl’ und ‘Abweichung’ werden dabei nicht auf eine verallgemeinerbare Norm bezogen, sondern treten als kontextuelle Faktoren hervor. In einer vergleichenden Stilanalyse von D ER H EXER (1964) und D ER W IXXER (2004) wird untersucht, inwiefern ‘Stil’ nicht bloße rhetorische Ausschmückung filmischer Narration, sondern integraler Bestandteil von deren Bedeutungskonstitution ist. 1. Stil und Wiedererkennbarkeit Die zwischen 1959 und 1972 erschienenen Edgar Wallace-Filme stellen ein prägnantes Beispiel für die Etablierung filmischen Stils dar. Zu dieser längsten deutschen Kinofilmserie, die die Rialto Film von 1959 bis 1972 für den Constantin Film-Verleih produzierte, werden im engeren Sinne 32 ‘echte’ Edgar Wallace-Filme gerechnet, daneben entstanden jedoch eine Reihe weiterer Produktionen ähnlicher Machart (vgl. dazu Kramp 2005). Einen hohen Wiedererkennungswert besitzen diese Filme aufgrund vielfacher Effekte: nur minimale Variation einer gleich bleibenden Erzählstruktur, Erzeugung einer britisch anmutenden Atmosphäre wohligen Grusels, Verknüpfung der Kriminalmit einer Liebesgeschichte, typisierte Situierung in Zeit und Raum (der aus der Vergangenheit in die Gegenwart überkommenen englischen Adelswelt), stereotype Figuration und stets nur leicht variierte Rollenbesetzung mit bekannten Schauspielern, dazu eine leicht durchschaubare (auch visuelle) K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 30 (2007) No. 1-2 Gunter Narr Verlag Tübingen Andreas Blödorn 138 Zweiteilung der dargestellten Welt in ‘gut’ (hell) vs. ‘böse’ (dunkel). Die ‘Wiedererkennbarkeit’ umfasst folglich sowohl zeichenhafte Elemente auf der Ebene des Dargestellten (histoire) als auch der Darstellung (discours). Versucht man nun, den Stil der Filme zu erfassen, so stellt sich zum einen die Frage, aus welchen Elementen sich ‘Stil’ konstituiert, und daraus folgend zum anderen, wie sich der Stil eines Films bzw. einer Serie zur jeweils erzählten Gesamtgeschichte verhält. Dieses zweifache Definitionsproblem tritt in dem Moment umso deutlicher hervor, in dem ein weiterer Film fremdreferentiell Bezug nimmt auf einen kulturell bereits etablierten Stil und diesen damit als ‘Stil’ markiert: Das Beispiel der Wallace-Parodie D ER W IXXER (D 2004) rekurriert auf die deutschen Edgar Wallace-Verfilmungen der 1960er Jahre, und zwar sowohl thematisch als auch ‘stilistisch’. In der übersteigerten, parodierenden Imitation dieser Filme zeigt sich, dass der Stil eines Texts/ Films mehr umfasst als seine rhetorische Ausschmückung, da ein Stil zugleich an eine spezifische Funktion innerhalb des Films gebunden ist. Zu fragen ist daher einerseits nach der Funktion eines Stils in seinem primären, andererseits nach der in seinem sekundären, intertextuell aktualisierten Kontext. Die Umfunktionalisierung stilistischer Elemente verweist damit auf die für die Herausbildung von ‘Stil’ notwendige Rückbindung an die jeweilige Narration, d.h. die funktionale Bindung stilistischen ‘Ausdrucks’ an den jeweiligen ‘Inhalt’. So wird an D ER W IXXER deutlich, dass es einen ‘klassischen’, wiedererkennbaren Wallace-Stil gibt, und darüber hinaus, dass dieser Stil zwar einerseits sowohl Elemente auf der Ebene des discours als auch Elemente auf der Ebene der histoire umfasst, dass er andererseits jedoch als intertextuelles Zitat seine Funktion als Stil verliert. Ich möchte nachfolgend die Herausbildung des spezifischen Wallace-Stils in den 1960er Jahren betrachten und dabei, von den visuellen filmischen Kodes ausgehend, das Verhältnis von erzählter bzw. gezeigter Geschichte zum Zeigeakt auf der discours-Ebene analysieren, bevor ich im Anschluss der Frage nach der Funktionalisierung des Stils in D ER W IXXER nachgehe. In einem ersten Schritt sollen dazu auf der Grundlage eines semiotischen Stilbegriffs Aspekte einer filmischen Stilanalyse aufgezeigt werden. 2. Zum Problem eines semiotischen resp. strukturalen Stilbegriffs Der Stilbegriff zählt noch immer zu den umstrittensten und unschärfsten Kategorien literarischer und filmischer Textanalyse, und auch aus semiotischer Sicht erscheint der Stil als Analysekategorie für die Literatur- und Filmwissenschaft nach wie vor problematisch. Noch immer gilt, dass es “schwierig, wenn nicht sogar unmöglich [ist], eine semiotische Definition von Stil zu geben” (Greimas/ Courtés 1979: 318). Ursächlich für diese Definitionsschwierigkeiten wird vor allem die Tatsache, dass Signifikat und Signifikant stilistischer Textphänomene sowie die allgemeinen Zeichenrelationen hinsichtlich eines Stils nicht allgemeingültig festlegbar, sondern in verschiedener Hinsicht nur relational und relativ erkennbar sind: als “Kontrast” (Sowinski 1999: 36f.) in Abhängigkeit von den jeweiligen inner- und außertextlichen, von den kulturellen und historischen Kontexten (Riffaterre 1973: 124f.). Daraus folgt des Weiteren, dass sich Stil nur als funktionale Größe in Relation zum jeweiligen Bedeutungszusammenhang eines Textes feststellen lässt. Im Versuch, dennoch einen semiotischen Stilbegriff zu finden, kann Stil daher nur als operationale, nicht aber als absolute theoretische Größe gefasst werden. Dies spiegelt sich auch in den beiden Kriterien, die Winfried Nöths Handbuch der Semiotik als Gemeinsamkeit semiotischer Stilbegriffe festhält: 1. “Stil hat mit dem Prinzip der Abweichung von einer […] Norm zu tun”, 2. “die Abweichung ist das Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 139 Ergebnis einer Wahl zwischen verschiedenen Alternativen” (Nöth 2000: 398). Die Konzeption von “Stil als Wahl und Abweichung” (Nöth 2000: 398) bezeichnet diesem Ansatz nach einerseits das Verhältnis der textlichen Oberflächenebene zu einem vorauszusetzenden außerbzw. vortextlichen Kode (aus dem eine neben anderen alternativen Möglichkeiten, jedoch im Rahmen verschiedener “Selektionsrestriktionen” (Sowinski 1999: 36) ausgewählt wurde), andererseits das Verhältnis zu einer Norm (von der abgewichen wird). Insbesondere die Schwierigkeit der Bestimmbarkeit dieser Norm erweist sich dabei als subjektiver Unsicherheitsfaktor, da jede Norm nur implizit aus einem Text rekonstruierbar ist und da die Rekonstruktion einer “stilistisch nicht markierten Nullebene der Sprache” (Nöth 2000: 398) überdies Gefahr läuft, die zu erkennenden Abweichungen beim Erstellen der Norm zirkulär wieder vorauszusetzen (vgl. Spillner 1974: 36). Auch ein Rückzug auf die Grammatik (als Sprachnorm) kann in dieser Hinsicht nur unvollständiger Ersatz bleiben, da nicht jede grammatische Normverletzung zugleich als stilistisches Textphänomen fungieren muss. Insbesondere aber die zentralen Einwände gegen einen semiotischen resp. strukturalen, auf dem Kriterium der Normabweichung beruhenden Stilbegriff, wie sie etwa von Spillner 1974 formuliert wurden, konnten bislang nicht entkräftet werden (Spillner 1974: 39f.; Sowinski 1999: 39). So scheint weder der Begriff der ‘Norm’ noch der der ‘Abweichung’ exakt definierbar. Auch die negative Definition dessen, was Stil ausmache, erscheint kaum befriedigend, und die Tatsache, dass (zumindest der Theorie nach) der Begriff der Normabweichung auch Texte ohne Stil (d.h. ohne Normabweichung) voraussetzt, legt eine Problematik offen, die Stil als nicht von einzelnen Phänomenen her positiv beschreibbare, sondern als nur subjektiv wahrnehmbare und subjektiv erscheinende Größe von Texten zu erklären vermag. Nicht zuletzt scheint sich das subjektive Potential einer textgenerierenden Instanz, die ihren ‘Stil’ als eine “expressive, affektive oder ästhetische Hervorhebung” (Riffaterre 1959: 155) dem Informationswert einer sprachlichen Struktur hinzufügt, nur im Bereich des Konnotativen verorten zu lassen, da auch der in gängigen literaturwissenschaftlichen Stildefinitionen genannte Faktor der Rekurrenz (Jahraus 2004: 117f.) 1 keinen quantifizierbaren Absolutheitswert besitzt, Stil somit nicht ‘messbar’ ist. Michael Riffaterre sieht eine Lösung des Problems einzig im Verzicht auf einen absoluten Stilbegriff. In seiner Strukturalen Stilistik nimmt er den Kontext, vor dem ein Stil erst wahrnehmbar wird, in den Blick - und damit auch die selbstreferentielle Seite einer textinternen Selbstthematisierung von Stil: “Die stilistische Funktion”, so Riffaterre, “zeigt sich also an den Faktoren des Verschlüsselungsprozesses, die die Begrenzung der Wahrnehmungsfreiheit während der Entschlüsselung (und des Spielraums beim Vortrag eines literarischen Werkes) bewirken” (Riffaterre 1973: 127). ‘Abweichungen’ lassen sich für ihn daher als Stilmerkmale immer nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext bestimmen (Riffaterre 1973: 124f.). Die Leistungsfähigkeit des Stilbegriffs hängt damit jedoch zunächst davon ab, wie sich der textinterne Kontext zu den Abweichungen und damit wie sich Stil zum allgemeineren und umfassenderen discours-Begriff (als Summe aller Gestaltungs- und Präsentationselemente für die Ereignisfolge eines Textes) verhält. Dieser Frage möchte ich am Beispiel des Mediums Film nachgehen. 3. Stil im Film Innerhalb der deutschsprachigen Film- und Fernsehwissenschaft spielt der Stilbegriff nur eine untergeordnete Rolle. 2 An Stelle von “Stil” betrachtet die Filmwissenschaft im Film auftretende “Codes”, die Film als je spezifische Kombination verschiedener Zeichensysteme Andreas Blödorn 140 kennzeichnen (vgl. etwa Kuchenbuch 2005: 92f.). Einzig Hickethier verweist auf eine zunehmende Reaktivierung des Stilbegriffs im Zusammenhang mit “epochen- und autorenspezifischen Erzähl- und Darstellungsweisen”, deutlich etwa am Beispiel des expressionistischen Films (vgl. Hickethier 2001: 159f.). Mit dem Stilbegriff werde nach Hickethier eine “filmästhetische Konstellation”, ein wiederkehrendes “Set von Mustern auf […] allen Ebenen der Filmgestaltung” beschreibbar (Hickethier 2001: 160). Diese stilistischen Gestaltungsmittel gelte es jedoch stets in Beziehung zu setzen “mit den Funktionen, die sie für das Dargestellte haben” (Hickethier 2001: 160). Neuere Untersuchungen versuchen Stil darüber hinaus als prozessuales Verfahren zu betrachten hinsichtlich der “Wirkungen der Kameraarbeit im filmischen Text”, so dass Stil als “kalkulierte[r] Zusammenhang des Ausdrucks und der Form” verstehbar wird (Prümm 1999: 17f.). Im Unterschied zu diesen wenig konkreten Stilkonzepten spielt die Kategorie “style” in der angloamerikanischen Filmwissenschaft eine nicht unbedeutende Rolle bei der Filmanalyse. Bordwell und Thompson, die dem Filmstil das längste Kapitel ihrer Film-Einführung widmen, definieren Stil als ein ‘formales System’, das die Bereiche “Mise-enscene”, “Cinematography” (kinematographische Gestaltung), “Editing” (Montage) und “Sound” umfasst (Bordwell/ Thompson 2001: 327f.). Konkreter definiert Bordwell ‘Stil’ als System spezieller Filmtechniken: “‘style’ simply names the film’s systematic use of cinematic devices. Style is thus wholly ingredient to the medium” (Bordwell 1985: 50). Filmstil wird bei Bordwell folgerichtig als “audiovisuelle Formierung” beschreibbar (vgl. dazu auch Röwekamp 2003: 168), die innerhalb der filmischen Narration mit dem syuzhet und der fabula interagiert: “In the fiction film, narration is the process whereby the film’s syuzhet and style interact in the course of cueing and channeling the spectator’s construction of the fabula”(Bordwell 1985: 53). Während “syuzhet” hier den medienunabhängigen, dramaturgischen Aspekt bezeichnet, umfasst “style” den medienabhängigen technischen Aspekt. Nach Bordwell wäre filmischer Stil folglich anzusehen als Funktionalisierung technischer Mittel innerhalb der filmischen Narration. Dass letzten Endes jedoch auch ein solcher Stilbegriff unzureichend ist, um die alltagssprachlich mit ‘Stil’ bezeichneten Phänomene zu erfassen, kritisiert Burkhard Röwekamp mit dem Hinweis auf die unbeantworteten “Fragen nach der Möglichkeit, wiederkehrende Erzählstrukturen oder thematische Schwerpunktbildungen mit dem Stilbegriff zu erfassen” (Röwekamp 2003: 168). Am Beispiel von D ER H EXER sollen nachfolgend die Möglichkeiten einer solchen funktionalen Zusammensicht von histoire- und discours-Elementen für den Stilbegriff untersucht werden. Zu fragen ist, ob ‘Stil’ dann als rekurrentes, mediengebundenes und funktional auf die erzählte Gesamtgeschichte bezogenes Selektionsmuster beschreibbar wird. 4. D ER H EXER und die Herausbildung eines deutschen Edgar Wallace-Stils Die ab 1959 nach Stoffen des britischen Kriminalautors Edgar Wallace entstandene deutsche Kinofilmserie gehört zu den wenigen ins kulturelle Gedächtnis eingegangenen filmischen Erfolgen einer deutschen Pop-Kultur. Man verbindet mit ihr stereotype Motive und Handlungselemente um exzentrische englische Adlige und Verbrecher der Londoner Unterwelt, man denkt an düstere, nebelumwobene Landsitze, an Verfolgungen im nächtlichen Schlosspark und an technische Tricks des schnellen Auf- und Abtauchens. Diese abrufbaren Stereotype verdecken jedoch, dass die einzelnen Filme der Serie kein durchgehender Stil im Sinne eines reinen ‘Ausdrucksstils’ verbindet, handelt es sich bei den bekannten Stereotypen doch Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 141 Abb. 1: Einbruchsdiebstahl der Taucher in D ER F ROSCH MIT DER M ASKE (1959) überwiegend um Rekurrenzen auf der Ebene der histoire, die zum Wiedererkennungswert der erzählten Geschichten beitragen. Einzelne Versatzstücke der Handlung wie beispielsweise Verfolgungsjagden, Vorgänge des Maskierens und Demaskierens, des schnellen Verschwindens und des plötzlichen Erscheinens (mittels Fall- und Geheimtüren) oder der Einsatz moderner Kommunikations- und Überwachungstechniken kennzeichnen die Filme als Kriminalgeschichten, die den Fokus auf moralisierende Kampfhandlungen zwischen ‘gut’ und ‘böse’ legen. Zu diesen Handlungselementen treten Figurenstereotypen, in denen sich Rollenklischees und eine gleich bleibende Starbesetzung vermengen (dauerhaft bzw. wiederholt eingesetzte Schauspieler der Serie sind u.a. Heinz Drache, Joachim Fuchsberger, Siegfried Schürenberg, Eddi Arent, Klaus Kinski). Zu den Rekurrenzen auf der discours-Ebene der Filme gehört zunächst die genretypische Handlungsstruktur, die Anordnung der erzählten Ereignisse nach dem klassischen Krimimuster des Whodunit: Der initialen Darstellung des Mordfalles folgt die Detektionsgeschichte, in deren Verlauf die Vorgeschichte des Mordes aufgeklärt wird und an deren Ende die Auflösung der Täterfrage steht (zur Systematisierung der diskursiven Strukturen von Kriminalgeschichten vgl. Marsch 1983: 94f.), wobei der Fokus hier jedoch weniger auf einer vergangenheitsbezogenen Rekonstruktion des Tathergangs liegt, als vielmehr auf der in die Zukunft gerichteten Festnahme des Täters. So kombiniert D ER H EXER u.a. Handlungselemente der Detektivgeschichte, des Polizeifilms, des Thrillers und des Horrorfilms (vgl. dazu Seeßlen 1999: 406f.). Auf der Ebene der Kamerahandlung folgt dabei insbesondere die Darstellung der Ermordung einem stereotypen kameraperspektivischen Muster: Aus der Beobachterperspektive des unbeteiligten Zuschauers, der eine sich öffnende Tür, dann sich herannahende Schritte aus der Aufsicht beobachtet, wird in die Perspektive des Mordenden gewechselt, der aus der leichten Aufsicht auf sein Opfer herabblickt, um schließlich wieder aus der Beobachterperspektive das Opfer zu zeigen. Damit einhergehend wird das wiederholte Motiv des Auftauchens ins Bild übersetzt; es verkörpert auf der discours-Ebene (der Kamerahandlung), was auf der histoire (der Handlung vor der Kamera) erzählt wird: Aus der Aufsicht wird in die Normalsicht übergewechselt, in der Regel mittels eines die Bewegung des Auftauchens imitierenden Vertikalschwenks von unten nach oben. Dieses im ersten Film der Serie, D ER F ROSCH MIT DER M ASKE (BRD/ DK 1959, R: Harald Reinl) eingeführte ‘Frosch’bzw. Taucher-Motiv wird paradigmatisch für die semantische Struktur der Serie insgesamt: auftauchende Verbrecher mit Froschmasken und in Taucheranzügen (Abb. 1), U- Boot-Kapseln mit ‘Froschaugen’ (Abb. 2) und andere Variationen des Motivs deuten zeichenhaft das Auftauchen von Gefahr aus der Unterwelt an. An das bedrohliche Auftauchen gekoppelt ist das Gegenmotiv des schnellen Abtauchens und Verschwindens, das in den Filmen eines der größten Hindernisse für eine erfolgreiche Ermittlungstätigkeit von Scotland Yard darstellt. An der Art und Weise der rekurrenten stereotypen Muster wird deutlich, Andreas Blödorn 142 Abb. 2: Motiv des auf- und abtauchenden U-Bootes in D ER H EXER (1964) dass sich der Stil der Serie nur aus der Zusammensicht von discours-Elementen und der Konstruktion der histoire betrachten lässt: Stilprägend für die (Chrono-)Logik der erzählten Geschichte sowie für ihre filmische Präsentation wird eine semantische Struktur von ‘Bedrohung’ vs. ‘Beruhigung’, ein synkopisch gesteigerter Wechsel von Spannungsaufbau und Phasen der ‘Entspannung’ (vgl. Grob 1993: 218). Die übergeordnete Erzählstruktur der Filme lässt sich daher als Überführung von ‘Bedrohung’ in ‘Beruhigung’ charakterisieren: zum einen in verbrechensbezogener Hinsicht auf der Ebene der Wiederherstellung gesellschaftlicher, rechtlicher und moralischer Ordnung, zum anderen, wie zu zeigen sein wird, in erotischer Hinsicht auf der Ebene der Privathandlung um die männliche Hauptfigur der Ermittlung. Wie sich diese übergeordnete Struktur in den Wallace-Filmen stilprägend auswirkt, möchte ich nachfolgend am Beispiel von D ER H EXER näher betrachten, der 1964 als 17. Film der Reihe entstand. D ER H EXER erzählt die Geschichte, die sich an die Ermordung Gwenda Miltons anschließt. Dieser Mordfall wird katalytisch für den Kampf des Verbrechersyndikats um den Rechtsanwalt Messer (der den Mord in Auftrag gab und der einen Mädchenhandel im Untergrund betreibt) gegen den “Hexer” Arthur Milton, den Bruder Gwenda Miltons, der ihren Tod nun rächen will. Scotland Yard muss daher nicht nur den Mörder Gwenda Miltons finden, sondern gleichzeitig den Hexer fassen, der dem Yard zuvorkommen will. Die Geschichte impliziert eine raumsemantische, vertikal ausgerichtete Aufteilung der dargestellten Welt in eine obere, äußere und sichtbare Welt einer am Adel ausgerichteten und als moralisch ‘gut’ ausgewiesenen Gesellschaft und in eine verborgene untere, ‘innere’ und unsichtbare (Unter-)Welt des ‘Bösen’, in der Gewalt, Kriminalität und Unmoral dominieren. Der Ort, an dem beide Teilwelten aufeinander treffen und der zeichenhaft für die dargestellte Gesellschaft insgesamt steht, ist das Mädchenpensionat, das auf der Oberfläche als “Verein zum Schutze alleinstehender Mädchen” die ‘Unschuld’ sowie das moralisch ‘Gute’, als Ort des in der Tiefe des Unter- und Kellergeschosses organisierten Mädchenhandels jedoch das verdeckte moralisch ‘Böse’ repräsentiert. Kriminalität dringt, so das metaphorische Modell dieser Raumsemantik, aus der bedrohlichen Unterwelt an die Oberfläche der nur scheinbar geordneten Gesellschaft. Die Unterwelt ist dabei häufig als Unterwasser-Welt gestaltet, aus der Froschmänner oder U-Boote auf- und abtauchen, um Verbrechen zu begehen bzw. um diese zu verschleiern. Diese narrative Makrostruktur des bedrohlichen Auf- und Abtauchens von (in der Vorgeschichte der Vergangenheit begründeter) Kriminalität vs. ihrer gegenwärtigen Verfolgung, Bekämpfung und Tilgung durch die Organe einer moralisch ‘guten’ Gesellschaft prägt die gesamte Wallace-Serie. Wie in D ER H EXER , so wird das Aufbzw. das komplementäre Abtauchen in eine labyrinthisch unüberschaubare Unterwelt in der Folge immer wieder variiert, etwa durch Falltüren, Kanalisationsschächte oder andere geheime Verbindungen zwischen ‘oben’ und ‘unten’. Aus der Unterwelt tauchen zugleich die Zeichen krimineller Handlungen auf, so v.a. die Leichen der Mordopfer, die an die Oberfläche gespült werden und als Störungen zeichenhaft auf die gesellschaftliche Ordnung zurückverweisen, Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 143 Abb. 3: Unterirdisches Labyrinth: Paradigma ‘Unsicherheit’ deren Störung es nachfolgend durch Überführung und Bestrafung der Täter wiederherzustellen gilt (vgl. dazu Linder/ Ort 1999, 26f.). Der Moral von ‘gut’ vs. ‘böse’ hinsichtlich krimineller Aktivitäten korrespondiert nun jedoch eine zweite Handlungsebene, die in den Wallace-Filmen mit der gesellschaftlichen Ebene korreliert ist: die private Ebene um den männlichen Ermittler (in D ER H EXER : Inspektor Higgins, gespielt von Joachim Fuchsberger). Dessen erotisches Leben ist latent bedroht durch weibliche Verführungen. Diese ironisch gebrochene erotische Handlungsebene ist derselben Struktur wie auch die Kriminalhandlung unterworfen, der Struktur von Bedrohung (durch weibliche Verführung, v.a. durch die Sekretärin am Arbeitsplatz) vs. Beruhigung (durch die finale Einwilligung in eine Heirat der Freundin/ Verlobten, in D ER H EXER : Elise Penton, gespielt von Sophie Hardy). Verknüpft werden private und gesellschaftlichberufliche Ebene dabei nicht nur logisch-kausal (so kann das Verbrechen erst nach der Abwehr sexueller Bedrohung gelöst werden), sondern auch hinsichtlich ihrer visuellen Kodierung. ‘Bedrohung’ wird dabei visualisiert durch die Maskierung/ Verschleierung der Täter, durch die Unübersichtlichkeit und die Beschleunigung von Situationen sowie durch Schauermotive (dunkle Nacht, Kellergewölbe und Verliese, Nebel, Schreie, Schatten usw.), während ‘Beruhigung’ visualisiert wird durch brave, biedere und Ihre Pflicht erfüllende Beamte, die mit individuellen Charakterzügen ausgestattet sind (deren Identität somit zumindest partiell offengelegt wird) und durch übersichtliche, ruhige und klare Situationen (bei Tageslicht, in hochgelegenen Räumen bzw. an der Oberfläche oder im Freien). Der Stil der Wallace-Filme bildet sich somit auf der Ebene visueller Kodierung durch eine funktional gebundene Strukturierung des discours im Verhältnis zur histoire heraus, und zwar als beständiger Wechsel von bedrohlichen und humoristisch entspannenden Sequenzen. Diese werden filmisch inszeniert mit Hilfe von vier visuellen Relationen: oben vs. unten (auf der vertikalen Bildachse), hell vs. dunkel, ruhig vs. unruhig (resp. diagonal/ vertikaler Bildaufbau vs. horizontale Bildordnung) und scharf vs. unscharf. Auf der Ebene der Mise-en-scène werden Momente der Bedrohung und der Spannung signalisiert durch expressive Gruseleffekte, in denen starke Hell-Dunkel-Kontraste und dunkle Schatten sowie generell low key-Beleuchtung bzw. single source lighting eingesetzt werden (Abb. 3). Ein unruhiger Aufbau, kurze Einstellungen und bisweilen unscharfe Bilder vermitteln dann Desorientierung und Unordnung: Diagonale und vertikale Achse dominieren das Bild, wenn Täter aus dem Untergrund auf- oder in ihn abtauchen oder wenn erotische Spannung den Inspektor von seiner Ermittlungstätigkeit abhält. Häufig wird Untersicht eingesetzt, um die Szenerie bedrohlich wirken zu lassen; bedrohliche Details werden außerdem in Nah- und Großaufnahme fokussiert (z.B. sich bewegende Türklinken, näherkommende Schritte). Es dominiert der offene point of view, so dass einzelne Sequenzen nicht in sich beruhigend abgeschlossen werden, sondern der Fortgang der Handlung offen und durch diese Form der Montage etwas ‘Unerzähltes’, eine Leerstelle bestehen bleibt. So wird als Moment der Spannungssteigerung häufig der Gegenschuss verweigert und entweder gezeigt, wer beobachtet oder Andreas Blödorn 144 Abb. 4: Das Liebespaar als Garant privater ‘Sicherheit’ was beobachtet wird. Kennzeichnend für Situationen der Bedrohung ist somit eine Limitierung des Blicks und eine begrenzte Wahrnehmung. Im Gegensatz dazu stehen Situationen der Beruhigung, in denen Entspannung durch Komik sowie durch die Übersichtlichkeit der Bilder hergestellt wird, um die Restituierung gesellschaftlicher Ordnung zu suggerieren. Diese ‘beruhigenden Sequenzen’ arbeiten daher auch mit gegensätzlichen Mitteln: Ordnung und Orientierung wird durch ruhige, übersichtlich aufgebaute helle und klare, d.h. scharfe Bilder vermittelt, die aus Normalsicht gefilmt sind (Abb. 4). Kennzeichnend ist die horizontale Bildaufteilung, die insbesondere in Sequenzen der Privathandlung Verwendung findet, in denen der Inspektor und seine Verlobte als Liebespaar präsentiert werden. Natürliches Licht und high key- Ausleuchtung lassen diese Orte ‘sicher’ erscheinen. Diese Sequenzen sind stets in sich abgeschlossen, sie werden eingeleitet durch establishing shots, in denen die ganze Raumsituation überblicksartig mittels halbnaher bzw. halbtotaler Einstellungen dargeboten wird. Hinsichtlich der Montage werden hier außerdem der geschlossene point of view, der keine offenen ‘Fragen’ hinterlässt, sowie längere Einstellungen bevorzugt, nicht selten aufgelöst in Ironie und Situationskomik. Der moralische Gegensatz von ‘gut’ vs. ‘böse’ lässt sich mit gegensätzlichen Modellierungen auf der Ebene der Mise-en-scène fassen als Gegensatz von hellem ‘Oben’ und ‘Innen’ vs. dunklem ‘Unten’ bzw. ‘Außen’. Zudem wird diese moralische Weltordnung temporalisiert: Das ‘Böse’ hat seine Wurzeln stets in einer verdrängten Vergangenheit, die sich nun in Form krimineller Handlungen in der Gegenwart Bahn bricht. Insofern erweist sich die ‘gute’ Gegenwartsgesellschaft, wie sie in den Wallace-Filmen präsentiert wird, als nur scheinbar gut. Doch die Schablonenhaftigkeit dieser polaren Schwarzweiß-Ordnung wird im Mittelteil des Films, der Ermittlungsphase, vorübergehend aufgebrochen und weitgehend durch eine Mischform ersetzt, bei der eine latente Bedrohung spürbar wird, die das kriminalistische Rätselspiel durch eine Strategie der Verunsicherung aufrechterhält. So wird die Allgegenwart des ‘Bösen’ durch vielfältige Überwachungs- und Beobachtungstechniken kameraperspektivisch inszeniert. In Mischräumen an der Grenze zwischen oben und unten, etwa dem Mädchenpensionat oben mit seinen geheimen Gängen und Falltüren zum Kellergewölbe, deutet beispielsweise leichte Untersicht bei heller Ausleuchtung auf kriminelle Aktivitäten in der ‘Tiefe’ hin. So werden außerdem die Ermittlungen auf der Ebene der Privathandlung durch erotische Verführungsversuche kurzzeitig gestört; vertikale Kamerabewegungen deuten dann auch in sicheren Räumlichkeiten bzw. bei Tageslicht auf das Auftauchen von ‘Gefahr’ hin: Der Vertikalschwenk von den Beinen der ‘gefährlichen’ Frau aufwärts führt diese Momente erotischer Gefährdung ein. Das rekurrente Selektionsmuster, durch das der Stil des Gesamtfilms beschreibbar wird, besteht folglich im Wechsel von humoristisch ‘entspannter’ und ‘beruhigender’ Ordnungswiederherstellung auf der einen Seite und gegenläufiger, sich steigernden Bedrohungsmomenten auf der anderen Seite, wobei sich beide Momente in der Kopplung von privater und gesellschaftlicher Ebene immer wieder gegenseitig durchdringen. ‘Typisch’ wird dieser Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 145 Stil jedoch erst im Moment seiner Serialisierung, d.h. in seiner Verfestigung vom Individualstil (eines einzelnen Films, z.B. in D ER H EXER ) zu einem Kode (verstanden als “Zuordnungs- “ bzw. “Übertragungsvorschrift”, die den individuellen Stil auf ein einzeltextübergreifendes Muster beziehbar macht, vgl. Nöth 2000: 216f.). Deutlich wird dies am Beispiel der Refunktionalisierbarkeit des Wallace-‘Stils’ als eines Kodes, auf den sich ein Film wie D ER W IXXER funktional beziehen kann. Bevor nachfolgend der Aspekt der Zitierbarkeit und Funktionalisierbarkeit von ‘Stil’ betrachtet werden soll, seien noch einmal die Spezifika des Wallace- Stils im Hinblick auf die erzählten Geschichten rekapituliert. Zu unterscheiden ist Stil zunächst vom discours-Begriff, da Stil nicht die Menge aller discours-Elemente umfasst, sondern lediglich diejenigen, die sich als medienspezifische von den nicht-medienspezifischen discours-Elementen abheben. Am Beispiel der Wallace- Filmserie ließe sich so etwa unterscheiden zwischen der diskursiven, aber nicht stilbildenden Präsentation der histoire einerseits (z.B. der spezifischen Organisation der erzählten Kriminalgeschichten, ihrer zeitlichen Anordnung von Fall, Vorgeschichte und Detektion auf der Ebene des discours) und dem ‘typischen’, medienspezifischen Erzählstil der Serie, z.B. dem visuellen Wechsel von hell/ dunkel, Untersicht/ Normalsicht, Unübersichtlichkeit/ Übersichtlichkeit, kurze Einstellungsdauer/ lange Einstellungsdauer. Während die medienunspezifischen narrativen Muster des discours auch in anderen, stilistisch gleichwohl abweichenden Kriminalfilmen vorkommen können, kennzeichnet sich der ‘Wallace-Stil’ der Filme durch die spezifische (audio-)visuelle Kombination einzelner stilistischer Merkmale auf der Ebene der Kamerahandlung, der Montage und der Mise-en-scène zu einem Muster, das funktional rückgebunden ist an die erzählte Geschichte. Der stete Wechsel von spannenden Grusel- und entspannenden Komiksequenzen, dem auf der Ebene der histoire das Nebeneinander zweier Geschichten entspricht (einer Kriminal- und einer Liebesgeschichte), gestaltet sich so filmtechnisch als Wechsel zwischen Kameraperspektiven, Mise-en-scène und Mise-en-cadre. Stilbildend wird eine solche funktionale Rückbindung diskursiver Gestaltung in dem Moment, wo sie als ‘wiederkehrendes Selektionsmuster’ auch auf andere narrative Sequenzen angewendet wird, das Muster also innerhalb der Sukzession wiederholt paradigmatische und syntagmatische Achse - allerdings variierend - verknüpft. Das Moment der aktualisierenden Variation des stilistischen Musters lässt sich dabei nicht nur als Modell der ‘frustierten Erwartung’ beschreiben, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext zu denken ist (Riffaterre 1973: 127), sondern lenkt die Aufmerksamkeit zugleich überhaupt erst auf die “Form der Nachricht” (Riffaterre 1973: 127) und führt damit zur Verfestigung des Stils. Augenfälligstes Beispiel für ein solches Stilprinzip der Wallace-Serie ist die rekurrente Struktur des bedrohlichen ‘Auftauchens’: Wird das ‘Frosch’-Motiv durch einen Vertikalschwenk der Kamera (von unten nach oben) begleitet, so wird dieser Schwenk in der Folge auch auf das ‘Auftauchen’ anderer Bedrohungen übertragen (etwa auf sexuelle ‘Bedrohungen’, Konkurrenzkämpfe usw.). So wird sowohl die Selektion (Paradigma: Elemente der Bedrohung), als auch die Kombination der narrativen Elemente (ihrer Inszenierung und Verknüpfung) durch das visuelle Strukturmuster ‘Auftauchen’ bestimmt. Aus dem einzelnen discours-Element an sich (dem Vertikalschwenk) ließe sich kein spezifischer Stil ableiten, sondern es handelte sich um eine Struktur, die auch in beliebigen anderen filmischen Kontexten eingesetzt werden könnte. Erst in der Kombination aller Stil-Elemente und aus ihrer Rückbindung an die erzählte Geschichte, aus dem Kontext des Films heraus wird diese Struktur als Stilelement wahrnehmbar. Die Schwierigkeit der Definition eines allgemeingültigen Stilbegriffes lässt sich vor diesem Hintergrund besser verstehen, sind doch filmischer Text und Kontext relational aufeinander bezogen: 3 “Nur diese Veränderlichkeit kann erklären, warum das gleiche Andreas Blödorn 146 linguistische Faktum seine stilistische Wirkung in Funktion seiner Stellung erhält, verändert oder verliert (und auch, warum eine Abweichung gegenüber der Norm nicht notwendigerweise mit dem Stil zusammenfällt)” (Riffaterre 1973: 127). Dass sich hieraus freilich noch keinesfalls eine allgemeine positive Stildefinition ableiten lässt, sei dabei explizit eingeräumt; filmischer Stil lässt sich nur individuell und in Relation zum spezifischen Kontext (und eben nicht im Verhältnis zu einer verallgemeinerbaren Norm) bestimmen. 5. “Warum ist denn das hier eigentlich so grau in grau? ” Das Spiel mit ‘Stil’ in D ER W IXXER Unübersehbar bezieht sich die Filmsatire D ER W IXXER auf parodierende, travestierende und persiflierende Weise auf die deutschen Edgar Wallace-Filme, 4 was bereits paratextuell durch den Filmtitel und dessen graphische Gestaltung indiziert wird, wenn “D ER W IXXER ” im Stil von “D ER H EXER ” erscheint. Grundfigur stilistischer Bezugnahme stellt die Kombination von Imitation bzw. nachahmender Transformation des Wallace-Stils und seiner Überbietung, seiner funktionellen Verkehrung hinsichtlich der erzählten Geschichte dar. So wird etwa das visuelle Muster des Beobachtet-Werdens verkehrt, indem nun nicht wie z.B. in D ER H EXER Verdächtige, sondern die Ermittler beobachtet werden, und zwar durch einen der gesuchten Kriminellen. Erzählt wird in D ER W IXXER die Geschichte zweier sich bekämpfender krimineller Parteien, wobei vielfältige Motive aus D ER H EXER aufgegriffen werden. In der Londoner Unterwelt versucht der Wixxer absolute Herrschaft zu erlangen, indem er die Verbrecher des National Syndicate of Notorious Criminals (als “N.S.Y.N.C” zugleich als reine ‘boygroup’ ausgewiesen) erpresst und sie schließlich der Reihe nach ermordet. Sein jüngstes Opfer ist der ‘Mönch mit der Peitsche’, der in dem Moment vom Wixxer ermordet wird, als er das ostdeutsche Touristenehepaar Dubinsky im nächtlichen Schlosspark von Blackwhite Castle angreift. Der Schlossherr, der Earl of Cockwood, gleichzeitig Chef des Unterwelt-Syndikats N.S.Y.N.C, betreibt dort nach außen hin eine Mops-Zucht, veranstaltet im Kellerverlies jedoch brutale Castings, bei denen er Girls Groups zusammenstellt, um sie dann ins Ausland zu exportieren. Dem Mädchenhandel kommen die Ermittler des New Scotland Yard (Inspektor Very Long und Chief-Inspektor Even Longer) nur zufällig auf die Spur, als sie in Blackwhite Castle nach Hinweisen auf den toten Mönch und das gleichzeitige Verschwinden von Doris Dubinsky suchen. Am Ende enttarnt das Ermittler-Duo die Maskerade des Wixxers, hinter der sich der tot geglaubte frühere Partner des Chefinspektors, Rather Short, verbirgt, der nach dem von ihm selbst vertuschten Tod des Wixxers in dessen Rolle geschlüpft war. Die dominante Struktur des discours liegt in der funktionalen Bezugnahme auf den Stil der Wallace-Filme der 1960er Jahre, ebenso wie andererseits das Handlungsmuster der Wallace-Serie auf der Ebene der histoire imitiert wird. Insbesondere D ER H EXER wird als Bezugsfolie erkennbar: Dem initialen Mordfall folgt die Ermittlung, während der ein Mädchenhändlerring aufgespürt wird. Diesem kommt jedoch nicht nur (New) Scotland Yard in die Quere, sondern auch der selbsternannte ‘Richter’ der Unterwelt (hier: der Wixxer). Schließlich wird der Mädchenhändlerring ausgehoben, während der mächtige, maskierte Richter der Unterwelt entkommt. Neben der erzählten Geschichte und ihrer Präsentation als Kriminalgeschichte gibt es aber auch intertextuelle und stilistische Anleihen bei den Wallace- Filmen - doch ohne dass diese stilprägend für den Film D ER W IXXER werden, da sie nicht Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 147 Abb. 5: Persiflage auf die Wallace-Filmtitel innerhalb eines übergeordneten, strukturbildenden semantischen Wechsels von spannender Bedrohung vs. entspannender Beruhigung funktional sind. Die Atmosphäre des nächtlichen, nebligen Schlossparks von Blackwhite Castle mit dem Schlossteich und seinen quakenden Fröschen bleibt so beispielsweise als zitiertes Einzelmotiv stehen, das nicht in eine Bedrohungssituation eingebunden, sondern unmittelbar in eine Situation selbstreflexiver Persiflage aufgelöst wird, wenn vor dem verirrten ostdeutschen Touristenehepaar Dubinsky plötzlich der Mönch mit der Peitsche auftaucht: Dieter Dubinsky (stellt sich vor): “Guten Abend, Dubinsky.” Doris Dubinsky: “Das ist der schwarze Abt, du Idiot.” (Der Mönch schüttelt den Kopf.) Dieter Dubinsky: “Nicht? Dann sind Sie die seltsame Gräfin? ” (Der Mönch zeigt auf seine Peitsche.) Dieter Dubinsky: “Der Peitschen-August mit der Zippelmütze? ” (Der Mönch schwenkt seine Peitsche und ritzt Dieter Dubinsky damit seinen Namen in die Brust.) Doris Dubinsky (entziffert den Schriftzug): “Der - Mönch - mit - der - Peitsche. Der Mönch mit der Peitsche, da hätt’ mer aber auch drauf kommen können, Dieter! ” Dieter Dubinsky: “Manchmal ist man aber auch wie vernagelt.” (In dem Moment holt der Mönch zum Angriff aus, wird aber von einem vorbeifahrenden Bus überfahren.) Dieter Dubinsky: “Und schwupp, weg war er.” (0: 02: 59-0: 03: 41) Außer intertextuellen Referenzen auf die Filme der Wallace-Serie finden sich in D ER W IX - XER jedoch auch zahlreiche intertextuelle Verweise und Bezugnahmen auf Elemente der jüngeren Film-, Musik- und Medienkulturgeschichte. So werden Filmtitel als Schriftzüge im Bild zitiert (“T ITANIC ”, daneben “D ER F ROSCH MIT DER M ASKE ”, “D ER SCHWARZE A BT ”, “D ER M ÖNCH MIT DER P EITSCHE ”) travestiert (als “D IE B ANDE DES S CHRECKENS ” sind im Bild die “Wildecker Herzbuben” zu sehen) oder persifliert (“D ER B LÖDE B OGENSCHÜTZE ”, “D ER F ISCH MIT DER S ENSE ” oder “D ER A RSCH MIT DEN O HREN ”, Abb. 5). Mise-en-scène und Mise-en-cadre verschiedener Filme werden in einzelnen Einstellungen zitiert (u.a. T RIUMPH DES W ILLENS , D AS S CHWEIGEN DER L ÄMMER , M ATRIX , T HE B LAIR W ITCH P RO - JECT , E.T., vgl. Abb. 6), ganze Filmsequenzen werden parodiert (die erste Verhörsequenz Dr. Lecters im Gefängnis aus D AS S CHWEIGEN DER L ÄMMER , 1: 04: 06-1: 06: 11) ebenso wie das Filmgenre des Western parodiert wird (1: 08: 49-1: 09: 17). Die Summe der Referenzen weist als diskursive Hauptstrategie die Frage nach der Wiedererkennbarkeit aus und macht den Film zum Rätselspiel mit filmischen (Bild-)Zitaten. Das dadurch markierte, vielfach überdeterminierte Verfahren zitierender Imitation löst Bildzitate immer wieder in Formen parodistischer Bezugnahme auf (z.B. in dem Moment, als die THE BLAIR WITCH PRO- JECT entliehene kameraperspektivische Bedrohungssituation in der travestierenden Konfrontation mit einem “süße[n]” Mops endet und von der Andreas Blödorn 148 Abb. 6: Filmzitat E.T. Abb. 7: Serialisierung und Differenz: Selbstreferenz in D ER W IXXER Untersicht in die Aufsicht gewechselt wird, 0: 02: 13). Der Stil von D ER W IXXER lässt sich folglich mittels der zentralen Struktur der ‘pervertierenden Imitation’ beschreiben, die der Imitation (als transformierender Nachahmung) die Verkehrung/ Pervertierung/ Radikalisierung von Motiven, thematischen Bezugnahmen oder Handlungsstrukturen folgen lässt. Stil- Referenzen auf die Wallace-Filme werden daher in D ER W IXXER funktionalisiert, um einen spezifischen Verstehensrahmen zu etablieren: Das Whodunit-Muster in seiner spezifischen Wallace-Ausprägung der 1960er Jahre stellt die Ausgangsbasis für eine neue Geschichte dar, die auf diesen Kode referiert, ihn aber nur als Kontrast einsetzt, um einen neuen Stil der ‘pervertierenden Imitation’ zu etablieren. Das Spiel mit dem Wallace-Stil wird darüber hinaus im Film selbst als Spiel thematisiert: Auf einem Gemälde Sir Johns, das Chief Inspector Even Longer in dessen Büro betrachtet, ist zu sehen, wie Sir John sich beim Malen eines Gemäldes malt, das der Chief Inspector gleichzeitig von der Seite betrachtet (Abb. 7). Die Repräsentation der Situation vor der Leinwand auf der Leinwand erweist sich als selbstreferentielle Ineinanderstaffelung auf fünf Ebenen: Sir John malt, wie er malt, dass er malt, dass er malt, dass er malt. Indem jedoch die Situation auf dem Gemälde durch die Kadrierung des Filmbildes ein weiteres Mal inszeniert wird, wird neben dem Thema ‘Serialisierung’ zugleich die fortgesetzte ontologische Differenz markiert zwischen Bild und Betrachter sowie zwischen originalem Urbild und seiner Kopie. Der Film zeigt also insgesamt, so wird nahegelegt, wie gezeigt wird, dass gezeigt wird, dass gezeigt wird, wie gezeigt wird, dass gezeigt wird. D ER W IXXER thematisiert damit nicht nur, dass er die Serie der Wallace-Filme integral fortsetzt, zugleich aber nie Teil dieser Serie sein kann, weil er sich zu ihr wie die Kopie zu einem Original verhält. Der Film zeigt vielmehr auch, dass der Vorgang stilistischer Imitation die Bezugnahme auf einen bekannten Kode voraussetzt. Mit der Selbstthematisierung von Serialität verweist D ER W IXXER jedoch auch darauf, dass innerhalb der Wallace-Serie bereits eine stark ausgeprägte intertextuelle Referenz auf vorausgegangene Wallace-Filme vorliegt. Der dabei außerdem zunehmende intraserielle Wandel der Serie in den 1960er Jahren liegt in der partiellen Durchbrechung von und im Spiel mit jenen Erzähl- und Stilmustern, die zuvor etabliert wurden. Vor allem aber ist bereits die Wallace-Serie durch eine Tendenz der Radikalisierung gekennzeichnet, die ich am Beispiel von D ER B UCKLIGE VON S OHO (BRD 1966) kurz skizzieren möchte. In diesem ersten Farbfilm der Serie lässt sich eine Radikalisierung auf zwei Ebenen feststellen: auf der Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 149 Abb. 8: Sexualisierung männlicher Gewalt in D ER B UCK - LIGE VON S OHO (1966) Ebene einer leitmotivischen Sexualmetaphorik, die den Film durchzieht, und auf der Ebene der Gewaltdarstellung. Sexuelle Motive und Gewaltdarstellungen nehmen dabei nicht nur quantitativ zu, sondern erfahren auch eine qualitative Steigerung, die sich insbesondere in der drastischen Korrelation beider zeigt: der Sexualisierung von Gewalt. Betrachtet man den intraseriellen Wandel innerhalb der Wallace-Serie in den 60er Jahren, so fällt auf, dass zugunsten des Unterhaltungs- und Sensationswertes der Filme besonders jene Momente ausgebaut und radikalisiert wurden, die schon von Beginn an den Spannungsbogen steuerten: der Tempowechsel zwischen ruhigen Sequenzen und dynamischer Beschleunigung durch action- Elemente, die sexuellen Verwicklungen, die es in eine glücklich endende Liebesgeschichte zu überführen gilt sowie die komischen Elemente. Diese Tendenzen gingen immer weiter zulasten der Glaubwürdigkeit der erzählten Geschichten und endeten letztlich in abstrusen Storys, die weniger wichtig waren als das selbstreferentielle Spiel mit Anspielungen auf andere Filme der Serie und als das Spiel mit der Durchbrechung von Rollenklischees und Zuschauererwartung. So wurde etwa die stereotype Besetzung der Rollen durch einen gleichbleibenden Kern an Schauspielern gelegentlich durchbrochen, so dass die Spannung auch auf der Frage beruhte, wer die Seiten von ‘gut’ und ‘böse’ gewechselt hatte (z.B. Eddi Arent in D ER B UCKLIGE VON S OHO ). Bereits die Eröffnungssequenz mit dem initialen Mord inszeniert die Kombination von Sexualität und Kriminalität in dramatischer Übersteigerung: eine leichtbekleidete Frau flieht in Panik vor ihrem buckligen Mörder, der sie dennoch erwischt und vor dem an die Szene heranspringenden Auge der Kamera frontal erwürgt. Die erzählte Geschichte nimmt Handlungsmotive aus D ER H EXER wieder auf, auch hier geht es um hinter der Oberfläche eines ehrbaren Pensionats organisierten Mädchenhandel im Keller eines Schlosses. Sexuelle Anspielungen häufen sich: auf lesbische Neigungen der Aufseherin, die ihre Schützlinge auspeitscht, auf den Inspektor, der als Hausfrau verkleidet seinen Chef in der Waschküche empfängt, während der sich an der Wäsche seines Inspektors vergreift, und auf die sexuelle und sadistische Komponente männlicher Gewalt an Frauen (Abb. 8). Die Sexualisierung von Gewalt übersteigert jedoch lediglich, was von Beginn an den Stil der Wallace-Serie prägte, und so greift daher D ER W IXXER nicht nur den zum Kode verfestigten historischen Wallace-Stil auf, sondern zugleich dessen auf dem Prinzip der Radikalisierung und Pervertierung beruhende intraserielle Wandlung. Mit seiner Zweiteilung der Diegese in eine Schwarzweiß-Welt (die Gegend um Blackwhite Castle) und eine Farbwelt (der Rest der dargestellten Welt) fiktionalisiert er nicht zuletzt jene Schnittstelle, die D ER B UCKLIGE VON S OHO in der Wallace-Serie markiert. Die am Beispiel des ersten Wallace- Farbfilms beobachteten Tendenzen einer Radikalisierung von Gewalt und einer Sexualisierung der Handlung werden in D ER W IXXER noch einmal zu einer Persiflage übersteigert. So Andreas Blödorn 150 ‘rettet’ Chief Inspector Even Longer nach der Explosion eines Fabrikgebäudes nur noch die verkohlte Leiche seines Partners Rather Short, die er bis zum Zerfall der Überreste zu reanimieren versucht. Und der Earl of Cockwood enttarnt sich schließlich als Transvestit, der in Frauenkleidern mordet. Das Stilprinzip der pervertierenden Imitation ist somit in D ER W IXXER funktional auf den stilistischen Kode der Wallace-Serie bezogen, indem es nicht nur deren Struktur und Stilprinzip parodierend offenlegt, sondern zugleich den Akt der Stilbildung innerhalb des intraseriellen Wandels reflektiert. 6. Fazit Versteht man Stil als rekurrentes, mediengebundenes Selektions-Muster, so wird in der grundlegenden semantischen Struktur von ‘Bedrohung vs. Beruhigung’ am Beispiel von D ER H EXER ein Stilprinzip erkennbar, das die Wallace-Filme der 60er Jahre prägt. Die medienspezifische ‘audiovisuelle Formierung’, die als ‘Wallace-Stil’ wahrnehmbar wird, beruht auf dem Modell der ‘frustrierten Erwartung’: Phasen der Spannungssteigerung enden immer wieder jäh in grotesker Situationskomik, wobei das anfangs gesetzte und dann kameraperspektivisch häufig variierte Mord-Muster des bedrohlichen ‘Auftauchens’ aus dem Hinterhalt/ Untergrund nur selten wieder in einem Mord endet (und dann nur das als unmoralisch und ‘böse’ gesetzte Filmpersonal dezimiert). In variierenden Einzelfallkonstellationen wird die Fallhöhe und das Umschlagen von akuter ‘Bedrohung’ in komisch-groteske ‘Beruhigung’ filmisch immer wieder vorgeführt (z.B. wenn sich eine Todesdrohung als Fernsehdialog herausstellt). Durch die stilprägende Struktur des Wechsels und durch die Überführung von Spannung in Entspannung wird damit zugleich das happy ending der einzelnen Filme vorweggenommen: Die simple Schwarzweißwelt der Wallace-Serie endet stets mit der Wiederherstellung der Ordnung auf beiden Ebenen, der verbrechensbezogenen wie der privaten. Das moralisch ‘Böse’ in Form gesellschaftlicher und sexueller Bedrohungen ist am Ende getilgt. Funktional auf die narrative Struktur der histoire bezogen, wird der Wallace-Stil auf der Ebene visueller Kodierung dabei als Wechsel zwischen zwei diskursiv aufeinander bezogenen Darstellungsmodi beschreibbar, deren übergeordnete ‘Aufklärung’ der dargestellten Verwicklungen in der Herstellung von Übersichtlichkeit, ‘heller’ Klarheit und Ordnung liegt. Dem entspricht auf der Ebene der Kriminalgeschichte die finale Entschleierung und Demaskierung des Täters (bzw. der Täter). Das spezifische Selektionsmuster als ‘stilistisches System’ des Films lässt sich mit Bordwell als funktionale Kombination technischer Mittel analysieren. Die Anordnung dieser discours-Elemente aber ist weniger als Abweichung von einer allgemeinen filmischen Norm erkennbar (etwa einer angenommenen Nullebene filmischen ‘Zeigens’, das sich der Normalsicht, mittlerer Ausleuchtung und mittlerer Distanz zum Dargestellten bediente), als vielmehr aufgrund kontextuell erkennbarer Bezogenheit auf die histoire - erkennbar mithin durch die Herstellung von Bedeutung durch (kontextuelle) Differenz. Der Zeichenprozess selbst wird daher in der Wahrnehmung von ‘Stil’ wahrnehmbar: das stilistische Muster der Selektion erzeugt Bedeutung, indem es sekundäre semiotische Bedeutung auf innerhalb der syntagmatischen Narration neue Einstellungen und Sequenzen (und deren primäre Bedeutung) überträgt. Als in diesem Sinne prozessuales Verfahren reflektiert sich Stil bereits innerhalb der Wallace-Serie selbst, wie am Beispiel des selbstreferentiellen Spiels mit der funktionalen Umkehrung von ‘gut’ vs. ‘böse’ sowie in der Radikalisierung der Sexualitäts- und der Gewaltdarstellung in D ER B UCKLIGE VON S OHO deutlich wurde. Stilbildung und visuelle Kodierung im Film 151 Als Prinzip der pervertierenden Imitation wird der intraserielle Wandel der gesamten Wallace-Serie schließlich zum intertextuellen Stilprinzip von D ER W IXXER , der unterschiedliche Ausprägungen der Serie in seiner Narration vereint: die frühe Phase ‘expressiver’ Schwarzweißfilme sowie die Tendenz zur Radikalisierung in der Farbfilmzeit. Die Refunktionalisierung einzelner stilistischer Elemente jedoch ist hier in einen anderen Funktionszusammenhang eingebettet: Das kriminalistische Rätselspiel gilt nicht primär der Tätersuche, sondern der Suche nach filmgeschichtlichen Motiven und anderen Anspielungen auf die jüngere deutsche Politik sowie auf die Medien- und Kulturgeschichte. Als Metanarration reflektiert D ER W IXXER damit zugleich nicht nur, wie sich ‘Stil’ im Film herausbildet, sondern auch, dass stilistische Muster im Film nur in ihrer spezifischen narrativen Funktion für die erzählte Geschichte überhaupt als distinkter ‘Stil’ erkannt werden können. 7. Literaturangaben Filmverzeichnis D ER B UCKLIGE VON S OHO , Alfred Vohrer, BRD 1966 D ER F ROSCH MIR DER MASKE , Harald Reinl, BRD/ DK 1959 D ER H EXER , Alfred Vohrer, BRD 1964 D ER W IXXER , Tobi Baumann, D 2004 Sekundärliteratur Beicken, Peter 2004: Wie interpretiert man einen Film? , Stuttgart: Reclam. 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Fernsehanalyse relevant: Beicken (2004), Borstnar/ Pabst/ Wulff (2002), Faulstich (2002), Korte (2001), Kuchenbuch (2005), Kühnel (2004), Mikos (2003). 3 “Dieser Kontextbegriff”, so Riffaterre, “hat gegenüber der Norm den Vorteil, automatisch zugehörig zu sein; er variiert für jede Stilwirkung” (Riffaterre 1973: 127). 4 Ich gebrauche “Parodie” im traditionellen Sinn als Oberbegriff für verschiedene Formen satirischer Bezugnahme und verwende damit die gebräuchliche Terminologie, gegen die Genette in Palimpseste anzuarbeiten versucht hat, vgl. Genette (1993: 39ff.). Sein Vorschlag einer Neugliederung scheint mir für die Textbzw. Filmanalyse kaum sinnvoll, da zum einen die Formen parodistischer Bezugnahme im Text bzw. Film ineinander übergehen, und da zum anderen Art der Bezugnahme und Funktion eben gerade nicht voneinander trennbar sind (dagegen Genette 1993: 40f.).