eJournals Kodikas/Code 30/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2007
303-4

Bausteine zu einer Emotionssemiotik

121
2007
Gesine Leonore Schiewer
Die verschiedenen Dimensionen des verbalen und nonverbalen Emotionsausdrucks, seine Rezeption auf Seiten des Empfängers und die sich daraus entwickelnde Kommunikation in Text und Dialog sind Gegenstand dieser synoptischen Darstellung. Sie versteht sich mit der Zuordnung der gegenwärtig prominenten Emotionstheorien als ein Beitrag zur Konzeptualisierung kommunikativ relevanter Aspekte von Emotionen in einer Emotionslinguistik und -semiotik. Berücksichtigt werden unter anderem kognitive Emotionstheorien, die in der Linguistik ebenso wie in den Bereichen des affective computing und der Mensch-Computer-Interaktion zur Zeit besondere Beachtung finden und auch für literaturwissenschaftliche Fragestellungen von besonderem Interesse sein können. Einige Bemerkungen zur Soziologie der Emotionskommunikation runden diesen Aufriss der semiotischen Felder des emotional "Verhüllten" ab.
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Bausteine zu einer Emotionssemiotik Zur Sprache des Gefühlsausdrucks in Kommunikation und affective computing Gesine Lenore Schiewer (Bern) 1. Einleitende Bemerkungen zu Interesse und Wissenschaftsgeschichte der Emotionssemiotik 2. Thematisierung und Ausdruck als Formen der Emotionsmanifestation 3. Manifestation von ‘hot emotions’ als Symptom 4. ‘cold emotions’ und die Ebene des Symbols 5. Zur Steuerung von Gemeinschaftshandlungen: Kybernetik und Kommunikation - Synopse II 6. Zur Soziologie der Emotionskommunikation 7. Abschließende Bemerkungen: Emotionssemiotik als integratives Forschungsfeld 8. Literaturangaben Different dimensions of verbal and non-verbal expressions of emotion from the sender, their reception at the receiver-side and the corresponding communication are the subject of this synoptical presentation. Correlating some of the actually most prominent emotion theories, it aims for a conception of the relevant aspects of emotions in communication and hence for a contribution to linguistics and semiotics of emotion. Especially cognitive emotion theories are regarded which actually attract interest in linguistics and in the fields of affective computing and human-computer-interaction as well. Even in literary studies this type of emotion theories might be of specific interest. Some remarks concerning the sociology of emotion communication conclude this survey of the semiotic fields regarding the emotionally “wrapped”. Die verschiedenen Dimensionen des verbalen und nonverbalen Emotionsausdrucks, seine Rezeption auf Seiten des Empfängers und die sich daraus entwickelnde Kommunikation in Text und Dialog sind Gegenstand dieser synoptischen Darstellung. Sie versteht sich mit der Zuordnung der gegenwärtig prominenten Emotionstheorien als ein Beitrag zur Konzeptualisierung kommunikativ relevanter Aspekte von Emotionen in einer Emotionslinguistik und -semiotik. Berücksichtigt werden unter anderem kognitive Emotionstheorien, die in der Linguistik ebenso wie in den Bereichen des affective computing und der Mensch-Computer- Interaktion zur Zeit besondere Beachtung finden und auch für literaturwissenschaftliche Fragestellungen von besonderem Interesse sein können. Einige Bemerkungen zur Soziologie der Emotionskommunikation runden diesen Aufriss der semiotischen Felder des emotional “Verhüllten” ab. K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 30 (2007) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Gesine Lenore Schiewer 236 […]; für die Gefühle der Liebe und des Hasses gibt es kein Thermometer, und die vielerlei Stimmungen sind kaum durch einen Namen kenntlich zu machen. Daher auch in diesem Gebiet die Klage über die Unzulänglichkeit der Sprache allgemein ist. Die Menschen möchten oft so gern sagen, wie so ganz eigen und stark ihre Liebe, wie seltsam und tief ihr Entzücken, wie hochschwebend und beseligend ihre Andacht ist; weil aber die - auch von den besten Dichtern gebrauchten - Wörter es nicht verkünden, darum meinen alle Liebenden, so sei noch nie geliebt, und alle Romantiker überhaupt, so sei noch nie gefühlt worden, wie sie fühlen und lieben. Moritz L AZARUS , Das Leben der Seele (1855-1857) Die menschliche Sprache auf ihrer tiefsten Stufe ist deiktisch. “Geben Sie mir Leberwurst! ” Der Stumme zeigt mit den Fingern auf die Leberwurst mit dem gleichen Erfolg. Der Hund schnappt nach er Leberwurst mit noch schnellerem Erfolg. Die Sprache auf ihrer höchsten Stufe ist Kunstmittel. Goethe setzt Wort an Wort, wie Rafael Farbe an Farbe. Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1901) Es ist eine neue und vielleicht naive, aber trotzdem eine erkenntnistheoretisch belangvolle Frage, ob auch Roboter träumen können. Karl B ÜHLER , Das Gestaltprinzip im Leben des Menschen und der Tiere (1960) 1 Einleitende Bemerkungen zu Interesse und Wissenschaftsgeschichte der Emotionssemiotik Der Komplex von Zeichen, Sprache und Emotion impliziert die Beobachtung, dass Kommunikationspartner in der Lage sind, die Emotionen ihres Gegenübers zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Diese Zusammenhänge verweisen auf eine weit verzweigte Wissenschaftstradition innerhalb der Sprach- und Literaturforschung; so wurden Fragen der Emotionalisierung durch Kommunikation und Sprache schon in der Antike in Rhetorik, Poetik und Ethik reflektiert. Aktuelle Emotionsdefinitionen, die in vielfältigen Ausprägungen und Varianten vorliegen, profitieren von dieser Tradition und tragen den Variablen des Emotionsbegriffs in unterschiedlichen Akzentuierungen Rechnung. Sie umfassen dementsprechend neben solchen Aspekten wie etwa dem subjektiven Erleben, der physiologischen Erregung, kognitiven Facetten und eventuell sozialen Dimensionen auch die Komponente des Ausdrucks von Emotionen. Damit rückt hier neben den innerindividuellen, persönlichen Prozessen des Emotionalen die Kundgabe von Gefühlen - die Visualisierung oder die Manifestation über andere semiotische Kanäle des vordergründig Nicht-Sichtbaren - in den Blick. Die entsprechenden verbalen, vokalen, mimisch-gestischen sowie die Postur betreffenden Formen des Emotionsausdrucks stehen daher zunehmend im Interessenhorizont einer Linguistik, die in Ergänzung reduktionistischer Sprachauffassungen sowohl das mündliche Gespräch als auch den geschriebenen Text aus einer Perspektive des “Ganzen Menschen” analysiert. Denn der Ausdruck von Gefühlen ist eine zentrale Aufgabe von Sprache und findet auf vielfältige Weise statt: Das Spektrum reicht von unter Umständen kaum wahrnehmbaren prosodischen Veränderungen über die explizite Kundgabe und Benennung von Freude, Wut oder Trauer bis zum unkontrollierten Gefühlsausbruch. Ebenso wie diese alltagssprachlichen emotivexpressiven Funktionsebenen leisten die poetischen Formen der Sprachverwendung äußerst differenzierte sowohl explizite als auch implizite Thematisierungen des Emotionalen. 1 Jüngste Forschungen auch im Bereich der Mensch-Maschine-Kommunikation befassen sich damit, diesen für reale Kommunikationsprozesse zentralen Verhaltensaspekt des Bausteine zu einer Emotionssemiotik 237 Emotionalen auf Computer zu übertragen (vgl. z.B. André 2004). Neuere Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz-Forschung fokussieren daher verstärkt ausgerechnet den Bereich, der diesem Untersuchungsfeld diametral entgegen zu stehen scheint: den Komplex der Emotionen. Verschiedene aktuelle Emotionstheorien wurden bereits speziell im Hinblick auf eine Implementierung formuliert. Die Anwendungsmöglichkeiten einer infolge dieser Ergänzung substantiell beförderten Künstlichen Intelligenz werden als vielfältig erachtet: Die Zielsetzungen umfassen im Feld des affective computing (P ICARD 1997) sowohl die Realisierung von Computern, die Emotionen “verstehen” (Analyse) und “ausdrücken” (Synthese) können, als auch solcher Computer, die Emotionen “besitzen” (vgl. R UEBENSTRUNK 1998). Die informationstechnologische Emotionsforschung bezieht sich in Nutzerperspektive auf Fragen des Erfolgs von Benutzerschnittstellen mit Konversationsagenten, auf die Mitteilbarkeit von Emotionen in computervermittelter Kommunikation einschließlich der nonverbalen Kommunikation, die Induzierbarkeit von Stimmungslagen über das www, den Einfluß von Emotionen auf computerunterstützes Lernen, die Zusammenhänge von Motivation und Screen-Design, Emotionen und interface-Konzeptionen und anderes mehr. 2 Die Applikation humaner Kommunikationsgegebenheiten auf die Interaktion von Mensch und Maschine ist jedoch nicht allein aus einem Praxisinteresse heraus geleitet, sondern theoretisch und wissenschaftshistorisch fundiert. Schon 1927 hat Karl B ÜHLER in Die Krise der Psychologie den Begriff der Steuerung aus dem Bereich der Technik auf die sprachliche Kommunikation übertragen. 1960 hat er dann die Kybernetik aus einer gestalttheoretischen Perspektive heraus in Bezug auf die Leistung von Computern und Robotern einerseits und menschliche Verstehens- und Verständigungsprozesse einschließlich der hierbei zu beobachtenden schöpferischen Facetten andererseits diskutiert. B ÜHLER verkörpert auf diese Weise in seinem Denken eine ganz entscheidende Schnittstelle im Hinblick auf die wissenschaftshistorischen Fundamente von Kybernetik, Künstlicher Intelligenz und Kognitionswissenschaften: die Bedeutung gestalt- und denktheoretischer Grundlegungen für diese Entwicklungen waren in den USA schon vor 1950 bestens bekannt (vgl. S IMON o.J., 147; für einen Überblick zu der Entwicklung von der Gestaltpsychologie zu den Kognitionswissenschaften vgl. M URRAY 1995, S CHIEWER 2004 und zum Gestaltdenken Karl B ÜHLERS vgl. V ONK 1992). Dass Herbert A. S IMON ebenfalls schon früh den Komplex der Emotionen in die Künstliche Intelligenz- und Kognitionsforschung eingebracht hat, überrascht angesichts der Verhaftung in der gestalttheoretischen Denktradition keineswegs, da hier die Frage der “Gemüthsbewegungen” schon um 1900 eine bedeutende Rolle gespielt hat (vgl. z.B. S TUMPF 1899 und für einen Überblick S CHIEWER 2004). 3 Die Überlegungen zur Emotionssemiotik sollen hier daher ihren Ausgang nehmen von dem Zeichenbegriff B ÜHLERS , der im Hinblick auf die unterschiedlichen Formen der Emotionsmanifestation zu differenzieren sein wird. Dass dabei im Folgenden von Anfang an die Codierung von Emotionen sowohl in Bezug auf die menschliche Kommunikation als auch die Mensch-Maschine-Interaktion in den Blick genommen wird, ergibt sich in erster Linie aus der Fokussierung des kybernetischen Steuerungsbegriffs, die - wie skizziert - bei B ÜHLER theoretisch motiviert ist, und in zweiter Linie aus der aktuellen praxisnahen Interessenlage heraus. Unter dem Aspekt der Emotionskundgabe soll in dem vorliegenden Beitrag die Facette der maschinenseitigen Synthese, das heißt der Ausdruck von Emotionen auf Maschinenseite, einschließlich der kommunikativen Wirkungsfunktion auf den menschlichen Systembenutzer Berücksichtigung finden. Gesine Lenore Schiewer 238 Ziel der Ausführungen ist eine synoptische Darstellung verschiedener Dimensionen der Emotionsbekundung, ihrer Rezeption und ihrer Kommunikation in Text und Dialog sowie die Zuordnung relevanter Emotionstheorien mit ihren spezifischen analytischen Ansätzen und Beschreibungsformen (vgl. die Übersichten in 4.3 und 5.). Diese Zusammenschau versteht sich als ein Überblick über linguistisch relevante Aspekte von Emotionen und als Schritt in die Richtung der Konzeptualisierung einer Emotionssemiotik und -linguistik; in einem weiteren Schritt können auch literaturwissenschaftliche Perspektiven der Emotionscodierung an solche Grundlegungen angeknüpft werden (vgl. Schiewer 2007). Ähnlich haben Marcel Z ENTNER und Klaus R. S CHERER in jüngerer Zeit für die Psychologie die Entwicklung integrativer Ansätze zur umfassenden theoretischen Erklärung des Emotionsphänomens angemahnt und hier bereits eigene Vorschläge vorgestellt (vgl. Z ENTNER / S CHERER 2000, 157ff.). In vergleichbarer Absicht haben John W. O LLER und Anne W ILTSHIRE den bisher bestehenden Mangel an systematischer Zusammenarbeit von Linguistik und Psychologie im Feld der Emotionsmanifestation beklagt (vgl. O LLER / W ILTSHIRE 1997, 35). 4 2 Thematisierung und Ausdruck als Formen der Emotionsmanifestation Eine erste grundlegende Unterscheidung innerhalb der vielfältigen Formen der kommunikationstheoretisch und linguistisch relevanten Emotionsbekundungen betrifft die zwischen dem Ausdruck und der Thematisierung von Emotionen. Unter den Ausdrucksformen des Emotionalen wird in der Linguistik die nicht explizit thematisierende Form der Kommunikation von Emotionen subsumiert. Es handelt sich dabei um flexible Zusammenhänge zwischen zugrunde liegenden Emotionen und der Ausdrucksmanifestation, die gleichwohl in systematischer Weise in Erscheinung treten. (vgl. F IEHLER 1990, 99ff.). Das Spektrum möglicher Ausdrucksformen umfasst Manifestationsweisen der paraverbal-prosodischen Phänome wie zum Beispiel Stimmcharakteristika und Sprechtempo, physiologische Reaktionen, die Mimik einschließlich des Blickverhaltens, weiterhin Gestik, Körperhaltungen und -bewegungen. Manifestationen im verbalen Anteil von Äußerungen wie etwa die spezifische Wortwahl einschließlich stilistischer Besonderheiten, Ausrufe oder Interjektionen sowie verbal-emotionale Äußerungen wie die Verwendung bestimmter Sprechakte (Vorwürfe, Drohungen etc.) gehören ebenfalls zu den Formen des Emotionsausdrucks. Aber auch prozessuale Aspekte wie die unterschiedlichen Formen des Gesprächsverhaltens sind hier unbedingt zu berücksichtigen (vgl. F IEHLER 1990, 96f.). Auch Thematisierungen von Emotionen decken eine Reihe unterschiedlicher Formen ab. Hierzu gehören die verbale Benennung und Beschreibung erlebensrelevanter Ereignisse und Sachverhalte, die Beschreibung und das Erzählen der situativen Umstände des Erlebens und insbesondere die konkrete verbale Thematisierung und Beschreibung des Erlebens. Dabei spielt der entsprechende Gefühlswortschatz einer Sprache und hier wiederum ein Kernbereich erlebensbenennender Begriffe sowohl im Hinblick auf die entsprechenden Ausdrucksmöglichkeiten als auch im Sinn einer typisierenden Rückwirkung auf die betreffende Emotionskonzeption selbst eine bedeutende Rolle (vgl. F IEHLER 1990, 96f. und 115ff.). Das mit dieser Unterscheidung grob umrissene Feld der Emotionsmanifestationen ist im Folgenden zu differenzieren. In systematisierender Absicht werden hierbei die von Karl B ÜHLER in seinem ‘Organon-Modell’ zusammengefassten Kategorien der semiotischen Symptom-, Symbol- und der Signal- oder Appellfunktion zugrunde gelegt. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 239 Als Symptom kann dabei eine Emotionsäußerung gewertet werden, die mit einer so genannten ‘hot emotion’, das heißt einer unmittelbaren Emotionalisierung im Sinn eines affektivgeprägten Erlebens oder einer subjektiv-gefühlsorientierten Erlebnisqualität einhergeht und vor diesem Hintergrund zu sehen ist (vgl. z.B. die Darstellung in T EASDALE / B ARNARD 1993, 42f.). Als Symbol sind dahingegen solche Äußerungen zu sehen, denen der Zustand der ‘cold emotion’ zugrunde liegt, so dass es sich hierbei seitens des Emittenten um eine sachorientierte Emotionsäußerung ohne unmittelbare Emotionalisierung handelt. Unter dem Aspekt des Appells schließlich ist die Frage der Emotionalisierung im Hinblick auf den Emittenten und den Rezipienten zu differenzieren. Es sind hier also Unterscheidungen vorzunehmen, die sich - in Abhängigkeit davon, ob es angesichts des Zustands einer ‘hot emotion’ oder aber in der Verfassung der ‘cold emotion’ seitens des Emittenten zur Emotionsthematisierung oder zum Emotionsausdruck kommt - auf die Reaktionen des Rezipienten beziehen. Dieser kann seinerseits jeweils sowohl mit ‘emotionaler Ansteckung’ reagieren - respektive bereits im Sinn der ‘hot emotion’ emotionalisiert sein - oder aber kühl bleiben. 5 Dabei ist selbstverständlich nicht von diskreten Kategorien, sondern vielmehr von kontinuierlichen Übergängen und dominanten, statt ausschließlicher Funktionen auszugehen. 3 Manifestation von ‘hot emotions’ als Symptom Sowohl der Ausdruck als auch die Thematisierung können als Manifestation von Emotionen im Sinn eines Symptoms - nach Karl B ÜHLER - fungieren und damit auf die Abhängigkeit von einem sich mitteilenden Sender verweisen. Gegenwärtiges eigenes Erleben im Sinn der ‘hot emotion’ werden explizit thematisiert oder in der einen oder anderen Form zum Ausdruck gebracht (vgl. hierzu 3.1 und 3.2 in diesem Text); typischerweise geht mit starker Emotionalisierung die Tendenz zum Kontrollverlust und stilistischer Direktheit, wenn nicht sogar der Ausfälligkeit oder Exaltation einher. In der Terminologie von Charles S. P EIRCE handelt es sich hier um eine indexikalische Beziehung von Emotion und Manifestation (vgl. R ELLSTAB 2006 zu der Sprachtheorie P EIRCE ’, die hier erstmals sowohl quellenkritisch als auch systematisch dargestellt wird). Im Feld der Emotionstheorien sind mindestens vier Konzeptionen zu nennen, die korrespondierende Ansatzpunkte im Hinblick auf die Manifestation von Emotionen im Sinn eines Symptoms aufweisen: die evolutionstheoretischen Theorien, die psychophysiologischen Theorien, die ausdruckstheoretischen Theorien und spezifische Ausprägungen der kognitiven Emotionstheorien. Evolutionstheoretische Theorien werden vor allem mit Charles D ARWIN und Paul E KMAN verbunden; sie fokussieren die als universell angenommenen typischen Formen der Mimik im Zusammenhang einer begrenzten Anzahl von Basisemotionen und gehen von einer biologischen Anlage der entsprechenden Formen des Gesichtsausdrucks aus. 6 Psychophysiologische Theorien, zu deren Vertretern William J AMES und Samuel S CHACHTER gerechnet werden, rekurrieren generell verstärkt auf die physiologischen Facetten von Emotionen. Ausdruckstheoretische Konzepte mit der Untersuchung der “Nonverbalen Kommunikation” respektive der so genannten “Körpersprache” beziehen sich demgegenüber auf Verhaltensweisen, körperliche Erscheinungen oder Artefakte, welche Rückschlüsse auf emotionale Aspekte zulassen. Im Rahmen der kognitiven Emotionstheorien - die im allgemeinen eher mit den unten angesprochenen Formen der Emotionsmanifestation als Symbol zu verbinden sind - gibt es in jüngster Zeit sehr wohl auch Entwicklungen, die auf der Basis der Modellvorstellung der Emergenz die Integration wesentlicher Facetten einer Gesine Lenore Schiewer 240 ‘hot emotion’ mit den entsprechenden physiologischen Veränderungen und inneren Gefühlserlebnissen anstreben (vgl. G ESSNER 2004). Im Bereich der linguistischen Theoriebildung kann in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Konzept einer Linguistischen Ethologie hingewiesen werden, das seit geraumer Zeit maßgeblich von Sven Frederic S AGER entwickelt wird (z.B. S AGER 1995). Der kommunikationstheoretische Ansatz Gerold U NGEHEUER s akzentuiert die anthropologische Fundierung verbaler Interaktion und berücksichtigt damit die Individualität einschließlich der Emotionalität von Kommunikationsteilnehmern in systematischer Weise. 3.1 Thematisierung von Emotionen als Symptom Die Thematisierung einer gegenwärtig erlebten ‘hot emotion’ kann etwa durch eine Sprechhandlung erfolgen, mit der die betreffende subjektive Wahrnehmung geäußert wird: “Ich bin wütend! ” Hierbei handelt es sich um Äußerungen, die sprechakttypologisch gesehen gelegentlich zu einer eigenen Klasse der Emotive gerechnet werden. Ihr Charakteristikum besteht darin, dass in ihnen die psychischen Zustände des Sprechers zum Ausdruck kommen und deswegen der Hörer an ihnen die Verfassung des Sprechers erkennen und sich unter Umständen auf sie einstellen kann (vgl. W AGNER 2001, 138). W AGNER zählt zu den Emotiven beispielsweise “Angst-äußern”, “Ekel-äußern”, “Freude-äußern” und andere mehr. Weder S EARLE und V ANDERVEKEN noch Eckard R OLF berücksichtigen diese Klasse emotiver Sprechakte in ihren Klassifikationen; vielmehr schließen sie diesen Typus unmittelbarer Thematisierung der eigenen Befindlichkeit des Sprechers aus ihren Überlegungen aus. 7 Eckard R OLF betrachtet aber ausdrücklich emotionsthematisierende Äußerungen wie: “Das tut mir leid” oder “Ich freue mich mit Dir” als Bekundungen eines psychischen Zustandes, die der Stützung eines vorangehendes expressiven Sprechaktes dienen, etwa einer Entschuldigung oder einer Gratulation. In den stützenden emotionsthematisierenden Sprechakten wird dabei die Aufrichtigkeitsbedingung des vorangehenden Sprechaktes explizit zum Ausdruck gebracht (vgl. R OLF 1997, 218). Der Zweck eines solchen expliziten Ausdrucks einer emotionalen Einstellung besteht R OLFS Ansicht nach in dem “Versuch einer Beeinflussung der emotionalen (Gesamt-)Lage des Adressaten” (R OLF 1997, 223), so dass hier der Appellfunktion zentrale Bedeutung zukommt. Das Kommunikationsmotiv kann im Fall der Emotionsthematisierung daher oftmals als selbstzweckhaft mit dem Ziel sozialer Rückversicherung bezeichnet werden. Ob nun ein emotiver Sprechakt tatsächlich angestrengt und das eigene Erleben unmittelbar thematisiert wird, hängt ohne Frage von Aspekten individueller, situativer, sozialer und kultureller Art ab, die beispielsweise die gesellschaftliche Akzeptanz der expliziten Äußerung von Unmut, Missfallen oder Wut und damit Verhaltensnormen und -erwartungen prägen. So werden das Äußern von Ärger und die damit verbundene Tendenz der Durchsetzung eigener Ziele in westlichen Gesellschaften üblicherweise als zulässig gewertet. Dahingegen erfahren in östlichen Gesellschaften Scham und die damit verbundene Tendenz der intrapersonalen Emotionsregulation im Zusammenhang einer Anpassung an gesellschaftlich erwartete Vorgaben typischerweise eine positive Wertung (vgl. H OLODYNSKI 2006). Zu erwarten ist hier natürlich auch eine entsprechende phonetisch-prosodische Akzentuierung sowie ein mimischer Ausdruck, der im Fall der sogenannten fünf bis acht oder neun Basisemotionen - sofern er nicht aufgrund von ‘display rules’ oder von Manifestationsregeln modifiziert, überformt oder unterdrückt wird - prototypisch dem von Paul E KMAN beschriebenen, als universell angenommenen Gesichtsausdruck entspricht. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 241 Im Hinblick auf die Appellfunktion solcher Emotionsmanifestationen, die mit einer ‘hot emotion’ seitens des Emittenten einhergehen, ist davon auszugehen, dass es auch beim Rezipienten zur Emotionalisierung und unter Umständen auch zu besonders intensiven Formen kommen kann. Im Allgemeinen kann die direkte Thematisierung bei geringer oder fehlender Maskierung der Mimik in stilistischer Hinsicht als eine Form von Direktheit oder Unmittelbarkeit aufgefasst werden. In ontogenetischer Perspektive entspricht dieser Art der Emotionsmanifestation auch der frühkindliche Emotionsausdruck des Säuglings. Er kann als interpersonale Emotions- und Handlungsregulation beschrieben werden, da es hier darum geht, an die elterliche Intuition zu appellieren und auf diese Weise die Zuwendung der Bezugspersonen zu initiieren. Sofern schließlich im Bereich der Robotik und speziell von Androiden Emotionen Berücksichtigung finden, wie beispielsweise im Fall von Cynthia B REAZEALS sozialem Roboter K ISMET (vgl. Breazeal 2002), wird hier gegenwärtig ebenfalls vielfach auf die Ebene des unmittelbaren Emotionsausdrucks respektive der Thematisierung bei ‘hot emotion’ rekurriert: As the robot’s affective state changes, […] the robot’s facial expression changes to mirror this. As positive valence increases, Kismet’s lips turn upward, the mouth opens, and the eyebrows relax. However, as valence decreases, the brows furrow, the jaw closes, and the lips turn downward. […] The expressions become more intense as the affect state moves to more extreme values in the affect space. Hence, Kismet’s face functions as a window by which a person can view the robot’s underlying affective state. This transparency plays an important role in providing the human with the necessary feedback to understand and predict the robot’s behavior. (B REAZEAL 2003, 6) Als wichtiges Ziel wird auch hier die interpersonale Emotions- und Handlungsregulation gesehen: In many cases, Kismet must work in partnership with the human to achieve its goals. To do so, it must communicate its motives and goals to the person in an effective way through expressive cues and goal-directed behavior. As a result, human and robot work together, mutually regulating the others behavior through social cues, to establish and maintain a suitable interaction where the robot’s motives and goals are satisfied in a flexible and timely manner. This benefits the robot. (Breazeal 2003, 8) Ähnlich verhält sich der multimodale Dialog-Agent (multimodal conversational agent) M AX , der seine Befindlichkeit sogar verbal einschließlich einer emotionstypischen Prosodie zum Ausdruck zu bringen vermag: Instead of demonstrating the well-known expression of basic emotions on the agent’s face, we show here an example situation in which the current emotional state of M AX , being engaged in a conversation with a visitor, arises from the previous discourse and significantly influences the agent’s behavior. After being offended several times by verbal input of the visitor, the accumulation of the respective impulses in the emotion system results in increasingly negative emotions that become available to the agent’s deliberative processes. When first becoming “angry” the agent says “Now I’m getting angry” with a low pitch and rate of his voice as well as an appropriate facial expression of angriness. (Becker et al. 2004, 163) Darüber hinaus ist M AX sogar zu emotionsgesteuerten Handlungen in der Lage, die bereits eine Form des über die Thematisierung hinausgehenden Ausdrucks von Emotionen als Symptom aufzufassen sind: Further negative impulses result in the emotional state of “annoyance” together with a bad mood. In effect, a plan is triggered which causes the agent to leave the display and to stay away until the emotion system has returned into balanced mood. The period of absence can either be shortened by complimenting M AX or extended by insulting him again. (Becker et al. 2004, 163) Gesine Lenore Schiewer 242 3.2 Ausdruck von Emotionen als Symptom Im Zusammenhang des Ausdrucks einer ‘hot emotion’ wird von “sich ereignenden” Ausdrucksphänomenen gesprochen, die unwillkürlich auftreten. Ein kommunikativer Effekt und damit eine kommunikative Funktion bestehen hier vor allem, wenn es zu einer Deutung des Ausdrucks seitens eines Kommunikationspartners kommt (vgl. F IEHLER 1990, 102f.). Die entsprechenden Ausdrucksphänomene können sich auf die verschiedensten sprachlichen Ebenen beziehen. Wenngleich dem stimmlich-prosodischen und dem mimischgestischen Bereich hierbei aufgrund der engen Kopplung an physiologische und neurologische Prozesse eine herausragende Bedeutung zukommen mag, können insbesondere auch sprachliche Ebenen wie z.B. die Wahl von stilistisch markierten Ausdrucksformen oder spezifischer Sprechakte durch den emotional indizierten Ausdruck tangiert sein. 8 So kann das Erleben von Wut etwa zur Wahl von Sprechakten wie “fluchen” disponieren. 9 Zu den Ausdrucksphänomenen von Emotionen als Symptom kann - das Gegebensein einer ‘hot emotion’ vorausgesetzt - insbesondere die Sprechaktklasse der Expressive gerechnet werden, zu der beispielsweise der Sprechakt “jemanden beschimpfen” gerechnet wird. Der illokutive Punkt der Klasse der Expressive besteht Klaus W AGNERS Klassifikation zufolge darin, dass der Sprecher seinen psychischen Zustand für einen Hörer in kommunikativer Absicht zum Ausdruck bringt; dies ist zum Beispiel im Fall der Gratulation gegeben, in der ein Sprecher sein Sich-Mitfreuen dem Hörer gegenüber artikuliert (vgl. zu der Unterscheidung von Emotiven und Expressiven W AGNER 2001, 138). Der betreffende Zustand etwa des Sich- Mitfreuens kann dabei durchaus als ‘hot emotion’ wahrgenommen werden, muss es jedoch nicht - in diesem Fall wäre dann jedoch die Appellfunktion von zentraler Bedeutung. Andere Expressive sind W AGNER zufolge beispielsweise “Abneigung-zeigen”, “ausschimpfen”, “Mitgefühl-zeigen”. Ähnlich äußert sich auch Eckard R OLF , der betont, dass mit expressiven Sprechakten nicht nur bestimmte Emotionen zum Ausdruck gebracht werden, sondern auch versucht wird, “auf bestimmte, beim Adressaten vorhandene oder nichtvorhandene oder als vorhanden bzw. nichtvorhanden unterstellte Emotionen einzuwirken (vgl. R OLF 1997, 219; Hervorhebung bei R OLF ). Etwas zurückhaltender formuliert Daniel V ANDERVEKEN : “Expressive illocutionary verbs name forces whose point is to express (that is to say, to manifest) mental states of the speaker such as joy, approbation or discontent which are important in our social forms of life.” (V ANDERVEKEN 1990, 218). Gegenüber W AGNERS Liste expressiver Typen, die 95 Einträge umfasst, präsentieren sich die von R OLF mit 32 Typen und die von V ANDERVEKEN , der 29 Typen nennt, eher knapp. Diese Diskrepanz erklärt sich dadurch, dass im Gegensatz zu W AGNER sowohl R OLF als auch V ANDERVEKEN das gesamte Feld der sogenannten Gefühlswörter, das heißt der explizit emotionsbenennenden Wörter wie “glücklich sein”, “Angst haben” etc. ausklammern. 10 Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Expressive - im Verständnis von R OLF und auch von V ANDERVEKEN - als Ausdrucksphänomene zu betrachten sind und nicht als Thematisierungen von Emotionen. 11 Weiterhin können auch Belobigungen, Anerkennungen, Vorwürfe, Drohungen, Warnungen etc. durch den Zustand einer ‘hot emotion’ bedingt sein. In semiotischer Hinsicht liegen die Dinge hier jedoch etwas anders als bei den Emotiven und den Expressiven, bei denen der illokutionäre Zweck darin besteht, einem Gefühl oder einer emotionalen Einstellung Ausdruck zu verleihen: Direktive (z.B. Warnungen) mit fremdverpflichtender und Kommissive (z.B. Versprechungen) mit eigenverpflichtender Funktion, die beide den Aspekt der Appellfunktion akzentuieren, sowie Assertive (z.B. etwas bezweifeln) und Deklarative (z.B. Wetten) einschließlich der handlungsbegleitenden Akkompagnemente (z.B. das Äußern einer Kom- Bausteine zu einer Emotionssemiotik 243 plikation) mit dominanter Darstellungsfunktion werden in diesem Fall des symptomatischen Emotionsausdrucks durch aktuelles emotionales Erleben elizitiert. 12 Dieser Aspekt eines anzeigenden, symptomatischen Charakters von Sprache und Sprechakten - die Elizitation bestimmter Äußerungsformen - wird in der Theoriebildung allerdings vielfach als linguistisch nicht relevant betrachtet (vgl. z.B. K ONSTANTINIDOU 1997, 36). In psycholinguistischer Orientierung wird hier hingegen - immerhin - von Martina H IELSCHER eine Forschungslücke markiert: Sie betont, dass es unter psycholinguistischer Perspektive wichtig wäre, die speziellen Einflüsse aktuell vorliegender Stimmungen oder Emotionen auf die Wahl bestimmter Sprechakttypen (z.B. Bitte vs. Aufforderung oder Drohung) unter Berücksichtigung des appelativ/ conativen, des representativ/ referentialen, des expressiv/ emotiven und des beziehungsdefinierenden Aspektes zu untersuchen. Hypothesen hierzu finden sich H IELSCHER zufolge bislang vorwiegend in der psychologischen Literatur zu kommunikativen Strukturen in Therapie und Beratung, z.B. bei Schulz von T HUN (1981, 1989) oder auch schon bei S ATIR (1990). Die genannten Autoren postulieren globale kommunikative Stile, die mit bestimmten Grundemotionen und frühkindlich erworbenen ‘seelischen Axiomen’ von Angst, Hilflosigkeit, Wertlosigkeit und Schwäche in Zusammenhang gebracht werden. Diese Verbindung bestimmter Emotionen mit entsprechenden kommunikativen Mustern ist bislang H IELSCHERS Kenntnis nach jedoch nicht in kontrollierten Studien überprüft und einer genaueren linguistischen Analyse unterzogen worden (vgl. H IELSCHER 2003, 480). Eine emotionssemiotische Klärung des Sprachgebrauchs kann diese Fragen natürlich keinesfalls ausklammern. In ihrer “Communicative Theory of Emotions” beschreiben Keith O ATLEY und Philip N. J OHNSON -L AIRD entsprechende Elizitationsdispositionen in einer sehr allgemeinen Form. Sie schreiben Emotionen - neben einer internen Funktion flexibler Verhaltensabstimmung - eine Kommunikationsfunktion im sozialen Sinn zu. Emotionen unterrichten den Sozialpartner über Pläne und Ziele und eröffnen so die Möglichkeit, die gegenseitigen Rollen in einer Situation neu zu verhandeln. Diese Auffassung der kommunikativen Funktion von Emotionen im sozialen Sinn bezieht sich auf die Funktion von Emotionen in Planung und zielorientiertem Handeln, welches andere Menschen einschließt: Happiness, attachment emotions, and love induce and maintain cooperation. Sadness is the emotion of disengagement from a relationship. Anger sets up a script for competition, aggression, and perhaps renegotiation of the relationship. Interpersonal fear signals deference. Contempt and disdain signal withdrawal from relationship. (O ATLEY / J OHNSON -L AIRD 1996, 94) Kooperation, Distanzierung, Aggression und Neuverhandlung, das Erweisen von Respekt und Abbruch einer Beziehung als generelle Verhaltensdipositionen gehen mit spezifischen sprachlichen und mimisch-gestischen Ausdrucksformen einher. Wie aber können die bislang nur skizzierten Zusammenhänge von emotionalen Zuständen, latenten Dispositionen und konkreten Sprechhandlungen spezifiziert werden? Hier gilt es in einem ersten Schritt die vorhandene Literatur auszuwerten. So sind beispielsweise in dem von Peter A. A NDERSEN und Laura K. G UERRERO herausgegebenen “Handbook of Communication and Emotion” Darstellungen typischer Sprechhandlungslatenzen zu einigen Einzelemotionen zu finden. Zur “dark side” von Emotionen werden gerechnet: strategic embarrassment - guilt and hurt - jealousy experience and expression in romantic relationships - the experience and expression of anger in interpersonal settings - interpersonal communication problems associated with depression and loneliness. Die “bright side” von Emotionen umfasst demgegenüber folgende Aspekte: alleviating emotional distress Gesine Lenore Schiewer 244 through conversationally induced reappraisals - feelings about seeking, giving, and receiving social support - interpersonal warmth as a social emotion - loving and liking - communication and sexual desire (vgl. A NDERSEN / G UERRERO 1998). Exemplarisch soll an dieser Stelle das Beispiel der Erfahrung und des Ausdrucks von Ärger als Repräsentation der “dunklen Seite” von Emotionen herangezogen werden. Die Autoren des betreffenden Beitrags, Daniel J. C ANARY , Brian H. S PITZBERG und Beth A. S EMIC , machen einleitend richtig auf die historischen Dimensionen und damit die Wandelbarkeit und kulturelle Relativität aller Konzeptionen von Wut und der entsprechenden Ausdrucksformen aufmerksam. Sie fokussieren eine allgemeine Auffassung von ‘anger’ mit den potentiell destruktiven Manifestationsformen der Aggression (vgl. C ANARY / S PITZBERG / S EMIC 1998, 189). Phillip R. S HAVER et al. haben eine Übersicht typischer Reaktionsformen bei Ärger zusammengestellt, in der sowohl verbale als auch physische Angriffe, nonverbale Formen der Missbilligung, Formen des Unbehagens und des inneren Rückzugs sowie Verhaltensweisen der Vermeidung berücksichtigt werden (vgl. S HAVER et al. 1987, 1078). Zu den verbalen Angriffen zählen beispielsweise obszöne Äußerungen, Flüche, Schreie, das Erheben der Stimme, Gezeter, Geschrei, Klagen, Meckern. Weiterhin können Phänomene wie Drohen, Schimpfen, sich Beschweren, sich Wehren etc. genannt werden. Hinsichtlich der Appellfunktion von ‘hot emotion’-Ausdrucksmanifestationen ist von einem Spektrum möglicher Wirkungen auszugehen. Es kann - bei entsprechender Deutung des Ausdrucks und gegebener Reaktionsbereitschaft seitens des Rezipienten oder auch aufgrund ‘emotionaler Ansteckung’ - zur interpersonalen Handlungs- und Emotionsregulation kommen, ähnlich wie im Fall der ‘hot emotion’-Thematisierung. Auf der Seite des Emittenten kann dieser mögliche Effekt durchaus volitional angestrebt werden: so zielt Emotionsausdruck häufig auf die Erlangung sozialer Zuwendung (vgl. F IEHLER 1990, 102). Ebenso treten jedoch insbesondere bei unwillkürlichen Ausdrucksmanifestationen auch nicht intendierte und unabsichtlich herbeigeführte Appellwirkungen auf. Generell finden sämtliche Formen des Ausdrucks mit einer kommunikativen, und daher appellativen Funktion im Rahmen von Interaktionen in der Linguistik besondere Aufmerksamkeit (vgl. F IEHLER 1990, 99ff). Ebenso kann ein Ausdrucksphänomen auch zur intrapersonalen Emotions- und Handlungsregulation beitragen, indem beispielsweise dem Emittenten nachträglich bewusst wird, “dass mit ihm etwas passiert ist, das von anderen als Emotionsausdruck gedeutet werden kann” (F IEHLER 1990, 103), so dass er sich dann stärker kontrolliert. Oder dem Emittenten wird die eigene Befindlichkeit auf diese Weise selbst überhaupt erst bewusst. Auch hier sind wiederum sowohl Formen des intendierten Abreagierens als auch unwillkürlich auftretende Manifestationen anzutreffen. In stilistischer Hinsicht können die Ausdrucksphänomene dabei zwischen mehr oder weniger direkten Formen variieren. 4 ‘cold emotions’ und die Ebene des Symbols Die von Bühler akzentuierte sprachliche Funktion der Darstellung von Gegenständen und Sachverhalten, die auf der Konventionalität von Sprache mit der semiotischen Kategorie des Symbols - auch in der Terminologie Charles S. P EIRCE ’ - basiert, kann der ‘kühlen’ Thematisierung emotionaler Aspekte dienen. Weiterhin bestehen aber auch vielfältige Möglichkeiten der Ausnutzung und Modifikation der Sprachebenen selbst, um Emotionales zu codieren. Hierbei handelt es sich um Formen des Ausdrucks emotionaler Inhaltswerte, die ebenfalls nicht den Zustand einer ‘hot emotion’ voraussetzen. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 245 Im Feld der theoretischen Emotionskonzeptionen zeichnen sich insbesondere die verschiedenen kognitiven Emotionstheorien und unter Umständen auch psychoanalytische Konzepte durch ihre Nähe zur Emotionsmanifestation in Sinn eines Symbols aus. Beide stellen insofern Gegenspieler zu den oben genannten Ansätzen dar, als hier Kognitionen als Basis emotionaler Prozesse betrachtet werden. Während in jenen Emotionen als der Tendenz nach kognitionsunabhängig und unkontrollierbar betrachtet werden, postulieren kognitive Ansätze, dass eine Situation zunächst bewusst kognitiv gedeutet wird und erst infolge der Deutung unter Umständen Emotionen elizitiert werden. Reinhard F IEHLER schlägt vor, den Allgemeingültigkeitsanspruch dieser Modelltypen zu relativieren und davon auszugehen, dass beide Mechanismen der Emotionsgenese existieren, aber sich auf unterschiedliche Domänen beziehen. So würden in Ausnahmesituationen äußerst intensive Emotionen ausgelöst, die unter Umständen höchstens minimale kognitive Leistungen erlaubten (vgl. F IEHLER 1990, 65). Der Typus kognitionsunabhängiger Emotionen entspricht der Emotionsmanifestation im Sinn eines Symptoms. Die Domäne des kognitiven Modells sind hingegen vertraute und sich wiederholende Situationen des Alltags, die eher schwächere Emotionen als bewertende Stellungnahme zu der gegebenen Situation auslösten. F IEHLERS eigenes Interesse richtet sich dabei auf diesen zweiten Typus von Emotionen, so dass für seine Untersuchung die Emotionsmanifestation im Sinn eines Symbols zentral ist (vgl. Fiehler 1990, 64ff.). Jedoch gibt es im Rahmen der kognitiven Emotionstheorien sehr wohl auch Entwicklungen, die - wie bereits erwähnt - die Integration wesentlicher Facetten einer ‘hot emotion’ anstreben und die daher das Potential bergen, beide von F IEHLER skizzierte Domänen mit den betreffenden Ausdrucksformen zu erfassen (vgl. G ESSNER 2004). 13 Oben wurde bereits erwähnt, dass es auch der Typus kognitiver Emotionstheorien ist, der im Zusammenhang der so genannten künstlichen Emotionen von größter Bedeutung ist. Zu nennen sind im Hinblick auf die Symbolfunktion weiterhin solche Emotionstheorien, die als kultur-konstruktivistisch bezeichnet werden (vgl. z.B. A VERILL 1980, 1985; H OLO - DYNSKI 2006; V ESTER 1991; W EBER 2000). Hier wird von einer prägenden Einflussnahme kultureller Variablen mit den spezifischen Emotionsregeln und ‘display rules’ auf emotionale Prozesse und ihre Ausdrucksformen ausgegangen. So komme es zur Ausbildung des jeweils relevanten soziokulturellen Wissens, das sich auf vertraute Situationen und Situationsbewertungen bezieht, die etwa unter Anleihe bei den Modellen der Künstlichen Intelligenz in typisierenden ‘frames’ und ‘scripts’ erfasst werden. 4.1 Thematisierung von Emotionen als Symbol Emotive ebenso wie sämtliche Formen der expliziten Verbalisierung von Emotionen können selbstverständlich auch im Zustand der ‘cold emotion’, das heißt ohne Emotionalisierung, Verwendung finden, um über Gefühle - seien es eigene oder fremde, vergangene oder zukünftige - zu sprechen. In diesem Fall rücken der sachliche Austausch, die Darstellungsfunktion sowie die Appellfunktion in den Vordergrund. Der sachlich-rationale Austausch hat sich in vielen Diskursformen des Alltags, Berufslebens und der Wissenschaft zum Maßstab der Objektivität entwickelt (vgl. H ABERMAS 1981) und wird beispielsweise für die Praxis der ‘Mediation’ als grundlegend erachtet. Affektive Gefühlsäußerungen sollen hier oftmals dadurch der Kritik zugänglich gemacht werden, dass sie in kognitive Aussagen und logisch aufgebaute Argumente überführt werden. In diesem Zusammenhang wurde auch vorgeschlagen, eine entsprechende “Übersetzungs- Gesine Lenore Schiewer 246 arbeit” in getrennten Sitzungen vorzunehmen (vgl. R ENN / K ASTENHOLZ 1998, 59f. und S CHIEWER 2002). Hinsichtlich der Appellfunktion können mit der Thematisierung sowohl volitionale Formen der intrapersonalen Emotions- und Handlungsregulation einhergehen als auch solche der interpersonalen Regulation. ‘Emotionale Ansteckung’ im weiteren Sinn einer ‘hot emotion’-Emotionalisierung des Rezipienten bei Kühlbleiben des Emittenten ist hier ebenfalls möglich. In noch stärkerem Maß als im Fall von ‘hot emotion’-Thematisierungen als Symptom spielen bei ‘cold emotion’-Thematisierungen als Symbol Fragen des Gefühlswortschatzes der betreffenden Sprache eine Rolle. Dieser Teil des Lexikons einer Sprache stellt einen wesentlichen Teil der verbalen Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich des Emotionalen bereit und hat damit zugleich prägenden Einfluss auf die Typisierung der alltagsweltlichen Emotionskonzepte. Damit einher gehen gesellschaftliche Relevanzen der betreffenden Erlebnisform und soziale Normierungen (vgl. F IEHLER 1990, 115ff. und besonders 117). Daher wird seit geraumer Zeit ein Instrumentarium so genannter ‘semantischer Primitiva’ entwickelt, das die einzelsprachunabhängige Erfassung des semantischen Gehalts von Emotionsausdrücken erlauben soll (vgl. W IERZBICKA 2003 und eine Reihe weiterer Arbeiten W IERZBICKA s). Hinzuweisen ist hier in aller Kürze auf eine weitere Dimension der Thematik, die sich auf die sprachhistorische Ausbildung des Emotionswortschatzes bezieht. So hat beispielsweise für den betreffenden Wortschatz des Deutschen das achtzehnte Jahrhundert unter anderem aufgrund philosophischer und literarischer Kontexte einen entsprechenden Schub mit sich gebracht (vgl. B LACKALL 1966; J ÄGER 1988). In soziologischer Perspektive wurden dabei zwei mit dieser Ausbildung sprachlicher Möglichkeiten des Emotionsausdrucks komplementäre Entwicklungen akzentuiert: während auf der einen Seite eine Differenzierung und Verfeinerung der Kommunikation von Emotionen hervorgehoben werden kann, ist auf der anderen Seite nicht außer acht zu lassen, dass es so zugleich zu verstärkten Möglichkeiten gegenseitiger sozialer Kontrolle und womöglich sogar der Machtausübung kommen kann (vgl. E LIAS 1990). 4.2 Ausdruck von Emotionen als Symbol Auch die Expressive können ohne gegenwärtige Emotionalisierung in der Funktion eines Symbols Verwendung finden. Komplimente, Gratulationen und Dankesbekundungen werden mindestens genauso häufig ohne innere Beteiligung geäußert wie mit und unterliegen in hohem Maß dem Gebot konventioneller Darbietungsregeln. Direktive und kommissive Sprechakte als Grundformen der Appellfunktion sind hier gleichfalls zu berücksichtigen, sofern sie mit einer Wirkungsabsicht verbunden sind, die auf die Emotionen des Rezipienten abzielen. Das Ziel einer volitionalen interpersonalen Emotions- und Handlungsregulation, und damit der Effekt einer intendierten ‘emotionalen Ansteckung’, spielt hier insgesamt eine zentrale Rolle. Auch strategisch induzierte Emotionalisierung des Gegenübers oder Täuschungsabsichten seitens des Emittenten können unter Umständen vorliegen. Reinhard F IEHLER hat darauf hingewiesen, dass in diesem Fall verhältnismäßig eindeutige Manifestationsphänomene Verwendung finden, die konventionellen sozialen Symbolen entsprechend allgemein mit einer bestimmten Emotion - wie zum Beispiel kurz angebundenes Sprechen mit Ungeduld - identifiziert werden (vgl. F IEHLER 1990, 80ff.). Traditionell ist dies das Gebiet der Rhetorik, die insbesondere mit der Darlegung der Charakteristika der ‘hohen Stilebene’ immer schon die Instrumente für eine gezielte Emotionalisierung von Zuhörern Bausteine zu einer Emotionssemiotik 247 zur Verfügung gestellt hat. In diesem Zusammenhang dürfen die Emotionstheorie A RISTOTE - LES , die er im Rahmen seiner Rhetorik entwickelt hat, sowie das dramentheoretische Konzept der ‘katharsis’ in seiner Poetik natürlich nicht unerwähnt bleiben. Auch hier sind indes Rückwirkungen auf die intrapersonale Regulation ubiquitär, die etwa im Sinn des von Erving Goffman diskutierten ‘face’-Konzeptes das Selbstbild des Emittenten betreffen. Unter dem Stichwort des ‘Publikumseffekts’ werden die Folgen der Variation des sozialen Kontexts sowohl auf die jeweils als verbindlich erachteten Darbietungsregeln als auch die erlebten Emotionen des Emittenten erörtert (vgl. z.B. F RIDLUND 1994 und für einen Überblick M EYER et al. 3 2003, 88ff.). Ein unerschöpfliches Reservoir von Codierungen mit emotionalem Ausdruckswert stellt darüber hinaus die Sprache selbst dar. Im Sinn der ‘poetischen Sprachfunktion’ Roman J AKOBSON s können praktisch alle sprachlichen Formebenen Qualitäten emotionalen Aussagewerts aufweisen. Eine entsprechende Übersicht hat jüngst Carla B AZZANELLA vorgestellt (vgl. B AZZANELLA 2004, 62ff.; Stephen U LLMANN hat schon in den sechziger Jahren ähnliche Analysen vorgenommen, vgl. U LLMANN 1962, 163ff.; ausführlich diskutiert Richard W. J ANNEY die Typen des “affective indexing in speech”, vgl. J ANNEY 1996, 155-250). Unter Akzentuierung ästhetischer Aspekte wurden vor allem in den siebziger Jahren im Umfeld der Linguistischen Poetik solche Möglichkeiten sprachlicher Codierung von Emotionen untersucht (vgl. z.B. K ÜPER 1976). Als exemplarische Auswahl solcher Formen der Codierung ist folgende Übersicht zu verstehen: Sprachebene Formbeispiele Phonetik/ Phonologie Tonhöhe - Lautstärke - Tempo - Intensität - Artikulation - Rhythmus - Pausen - Metrik etc.; Onomatopoesie - Lipogramm etc. Graphemik Ausrufezeichen - Großbuchstaben zur besonderen Hervorhebung wie z.B. in der noch im 18. Jahrhundert verbreiteten Schreibweise “GOtt” etc. Morphologie/ Lexikon Suffixe (z.B. Verwendung von Diminutiva und Augmentativa) - Interjektionen - Schlagwörter - stilistische Markierungen etc. Syntax expressive Satztypen wie Exklamationen - formelhafte Wendungen - emphatische Konstruktionen (z.B. spezifische Thema/ Rhema-Strukturen) - Wortstellung etc. Semantik Denotation-Konnotation - Metaphorik - Indirektheit - Ironie - Ambiguität - Polysemie Text spezifische Textsorten wie Liebesbrief, Streitgespräch mit entsprechenden Formmerkmalen - funktionale Stile - Registerwahl - rethorische Aspekte - soziolinguistische Merkmale Literarische Formen der Sprachverwendung sind in diesem Feld sprachlich-emotionaler Codierung von besonderer Bedeutung, da hier den Phänomenen des Neuen, Abweichenden und Überraschenden eine entscheidende Rolle zukommt. Sie sind es, die im Kontext des Strukturalismus der P RAGER S CHULE mit dem Stichwort der ‘Entautomatisierung’ verknüpft wurden und auf die auch im Rahmen der Erforschung der Prozesse emotionaler Kreativität rekurriert wird (vgl. O ATLEY 1994). 14 Vielfach sind sie es auch, die eine Fortentwicklung und Verfeinerung der verfügbaren Formen des Emotionsausdrucks in einer Sprache überhaupt erst ermöglichen. Gesine Lenore Schiewer 248 4.3 Synopse I: Thematisierung und Ausdruck als Formen der Emotionsmanifestation Semiotischtheoretische Ebene (B ÜHLER ) indexical perspektive (J ANNEY ) - Emittentenseite - Manifestationsform von Emotionen (F IEHLER ) Sprachausdruck Sprechaktklasse (S EARLE / V ANDERVEKEN , W AGNER ) Funktion - Appell Entwicklungsstufe (B ÜHLER , H OLODYNSKI ) pragmatic perspective (J ANNEY ) - Rezipientenseite - Symptom ‘hot emotion’ Emotionstheorien: - evolutionstheoretische - psychophysiologische - ausdruckstheoretische - kognitive Thematisierung Emotive (ego) [Wagner] Interpersonale Emotions- und Handlungsregulation “Elterliche Intuition” [H OLODYNSKI ] Selbstzweckhaftes Kommunikationsmotiv sozialer Rückversicherung; vergleichbar mit direktem Ausdruck von Basisemotionen in der Mimik direkter Stil u.U. emotionale Ansteckung Beispiele der Robotik: KISMET [B REAZEAL ] MAX [K OPP et al.] Ausdruck Expressive (ego-alter) [S EARLE / V ANDERVEKEN ] Symptomatisch indizierte Sprechhandlungen: alle Sprechakttypen, falls durch ‘hot emotion’ elizitiert Ansätze zur Erfassung systematischer Zusammenhänge bei: O ATLEY / J OHNSON -L AIRD A NDERSEN / G UERRERO (volitionale) Inter- und intrapersonale Emotions-und Handlungsregulation mehr oder weniger direkter Stil Deutung seitens Rezipienten u.U. emotionale Ansteckung Direktive (ego) Kommissive (ego-alter) Fremdverpflichtung Selbstverpflichtung Symbol ‘cold emotion’ Emotionstheorien: - kognitive - psychoanalytische - kulturkonstruktivistische Emotionale Kreativität Thematisierung Emotive (ego) [W AGNER ] Alle Formen expliziten Sprechens über eigene und fremde Gefühle ohne aktuelle Emotionalisierung Volitionale inter- und intrapersonale Emotions- und Handlungsregulation Sach- und Gegenstandsorientierung u.U. Versachlichung [H ABERMAS ] u.U. emotionale Ansteckung Ausdruck Expressive (ego-alter) Assertive (ego-alter) Deklarative (ego), Akkompagnemente (ego) Sämtliche Sprachebenen können genutzt werden - literarische Formen der Sprachverwendung ist hier besonders innovativ Volitionale inter- und intrapersonale Emotions- und Handlungsregulation Entwicklung/ Verfeinerung sprachlicher Formen des Emotionsausdrucks u.U. emotionale Ansteckung strategisch induzierte Emotionalisierung Publikumseffekt [F RIDLUND ] Rhetorik Katharsis Direktive (ego) Kommissive (ego-alter) Fremdverpflichtung Selbstverpflichtung Bausteine zu einer Emotionssemiotik 249 5 Zur Steuerung von Gemeinschaftshandlungen: Kybernetik und Kommunikation - Synopse II Im Hinblick auf die Funktion sprachlich-emotionaler Manifestationsformen muss über die bereits berücksichtigten Formen des Appells hinaus die Ebene menschlichen Gemeinschaftslebens in den Blick genommen werden. Denn das Problem der gegenseitigen Verhaltens- und Handlungsabstimmung in ständigem Kontakt impliziert neben individualpsychologisch zu erfassenden Fähigkeiten des Individuums der Sprachverwendung auch eine soziologisch zu beschreibende Ebene. Die entsprechenden Formen wechselseitiger Koordination von Gemeinschaftshandlungen unter Einbezug von externen Orientierungspunkten im geteilten Wahrnehmungsraum betrachtet Karl B ÜHLER als Steuerungsprozesse, die er mit kybernetischen und gestalttheoretischen Instrumenten zu beschreiben sucht. Da es sich dabei um überaus weitreichende Überlegungen B ÜHLERS handelt, sind hierzu einige Erläuterungen angebracht. B ÜHLER geht zunächst davon aus, dass sowohl verbalsprachliche als auch para- oder nonverbale Kommunikationsmittel zu berücksichtigen sind, die manchmal äußerst subtil eingesetzt werden. Unter Umständen ermöglichen sie allein aufgrund gegenseitiger Beobachtung der Handlungspartner schon Verständigung. Generell können jedoch sämtliche bereits erörterte Manifestationsformen von Emotionen zum Tragen kommen. Daher sind nach B ÜHLER vier Stufen hinsichtlich der wechselseitigen Einflussnahme zur Ermöglichung von Gemeinschaftshandlungen zu unterscheiden: die gegenseitige Beobachtung stellt eine elementare Form dar, die gleichwohl bereits als Gestaltphänomen aufzufassen ist, da hier die Tätigkeit des anderen schon verstanden wird und der Handlungsabstimmung dient. Alle weiteren Stufen implizieren insofern Gestaltbildungen, als die verwendeten Sprachzeichen in Relation zum konkreten gegenständlich-‘symphysischen’ Umfeld (2. Stufe), zum ‘empraktischen’ Handlungskontext (3. Stufe) oder zum ‘synsemantisch’textuellen Umfeld (4. Stufe) interpretiert werden (vgl. B ÜHLER 1982[1934] und für eine Zusammenfassung U NGEHEUER 1972). Die Prozesse wechselseitiger Steuerung implizieren B ÜHLER zufolge daher schon auf der ersten Stufe Gestaltphänomene, denn seiner Auffassung nach spielen auch im Bereich des menschlichen Wahrnehmungsvermögens kognitive Züge eine Rolle. Gerold U NGEHEUER hat die außerordentliche semiotische Relevanz diese gestaltistischen Grundlegung hervorgehoben: Für die Sprachtheorie ist sie von besonderer Bedeutung, weil es somit bereits auf der Wahrnehmungsstufe mannigfaltige Prozesse gebe, die den Charakter des Bedeutens tragen. Generell gilt B ÜHLERS Ansicht nach, dass das “anschauungsnahe Denken” und damit gestaltistische Aspekte für die Umgangssprache eine bedeutende Rolle spielen (vgl. B ÜHLER 1960, 73f.). U NGEHEUER betont nachdrücklich, dass “jede ernstzunehmende allgemeine Zeichen-Theorie” gezwungen sei, von diesen Tatbeständen auszugehen (vgl. U NGEHEUER 1972, 189). Damit werden ganzheitlich oder als Gestalt zu beschreibende Vorgänge zu einem zentralen semiotischen Aspekt erklärt. Hierbei hat Karl B ÜHLER sogar schon 1960 für möglich gehalten, dass Roboter gebaut werden könnten, die “Weh und Leid” und “echte Gestaltreaktionen” zeigen (vgl. B ÜHLER 1960, 51 und 72). Wenngleich B ÜHLER zudem hier erstaunlich weit vorstößt in dem Versuch, sozialpsychologische Probleme mit kybernetischen Kategorien wie Steuerung, Regelung, Kontakttiefe und Stabilität zu lösen (vgl. U NGEHEUER 1972, 182), dann ist die Schlussfolgerung, die sich aus seinen gestalttheoretischen Grundlegungen für Fragen der Robotik, Künstlichen Intelligenz und Mensch-Maschine-Interaktion Gesine Lenore Schiewer 250 ergibt, sogar fast noch folgenreicher. Denn Roboter, die “Weh und Leid” zum Ausdruck bingen, sind heute im Rahmen des affective computing keine Phantasievorstellung mehr; B ÜHLER hat jedoch bereits die gestalttheoretischen Dimensionen im Hinblick auf die Folgen für Mensch-Maschine-Schnittstellen offengelegt: Menschen und Tiere jedenfalls besitzen sie [echte Gestaltreaktionen. G.L.S.], und sie unterliegen oder entziehen sich ihnen in ihrem orientierten und lebensförderlichen Verhalten. […] Man denkt […] auch an das Nervensystem und speziell an das Gehirn der höheren Tiere, wenn von deren gestaltlicher Verhaltenssteuerung die Rede ist, […]. Doch die Roboter bleiben deshalb in unsere Betrachtung eingeschlossen, weil sie bekanntlich mit einem ausgesprochen funktionalen Analogon zum (animalischen) Nervensystem ausgestattet sind. (B ÜHLER 1960, 72f.) B ÜHLER bezieht also die gestaltistischen Prozesse wechselseitiger Verhaltenssteuerung grundsätzlich auch auf Roboter. Dies hat aber zur Konsequenz, dass mit der Realisierung von Computern und Robotern, welche semiotisch relevante Formen des Emotionsausdrucks zeigen, deren Komplexität über die ‘hot emotion’-Thematisierung - wie sie bei Cynthia B REAZEALS “K ISMET ” anzutreffen ist - hinausgeht, auch anspruchsvollere Deutungs- und Interpretationsprozesse seitens des Rezipienten erforderlich werden. Damit eröffnet sich hier dann aber aufgrund der ubiquitären Fallibilität von Kommunikation auch das Feld möglicher Fehlinterpretationen seitens des Rezipienten; und womöglich sogar der Infragestellung des Prinzips der Kooperativität von Kommunikation. Dass dies nicht science fiction ist, hat Cristiano C ASTELFRANCHI deutlich gemacht, der eine Fundierung der Kognitionswissenschaften und der Künstlichen Intelligenz in kooperativistischen und harmonisierenden Interaktionstheorien kritisiert. 15 - Es bestätigt sich hier erneut die von U NGEHEUER schon 1972 akzentuierte Modernität der Ideen B ÜHLERS , “die von keinem seiner Zeitgenossen in Europa übertroffen wurde” (U NGEHEUER 1972, 182): Mit seinem Ansatz hat B ÜHLER die Basis für eine Beschreibung der Kommunikation mit ernst zunehmenden Androiden - von deren Entwicklung inzwischen auszugehen ist - geschaffen. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 251 Kommunikatives Kontaktsystem der Sprache (B ÜHLER / U NGEHEUER ) Formen der Handlungskoordination Eingesetzte Mittel Funktion Entwicklungsstufe System von agierenden Individuen Theorien: soziologische und sozialpsychologische neben individualpsychologischer Fundierung Emotionstheorien: - soziologische [z.B. E LIAS ] - sozial-konstruktivistische Handeln in ständigem Kontakt mit den Handlungspartnern Einbezug von externen Orientierungspunkten alle Manifestationsformen von Emotionen können von B ÜHLERS Stufe 1-4 in zunehmender Indirektheit und sprachlicher Fundierung/ Subtilität zum Tragen kommen kommunikative Mittel sprachlicher und nichtsprachlicher Art: entweder Beobachtung der handelnden Partner und darauf eingestellte Kooperation oder Sendung und Empfang von Signalen und Zeichen, die Aufmerksamkeit und/ oder Handlung im Partner auslösen wechselseitige Steuerung, kybernetischer Prozess, d.h. Sprache als Einflussnahme aufeinander zur Ermöglichung von Gemeinschaftshandlungen 1. Stufe: elementar Einstellung aufeinander, gegenseitiges Verstehen der Tätigkeit des anderen Handlungsabstimmung ohne Gesten und Worte in gemeinsamer Wahrnehmungssituation (gestaltistischer Ansatz) 2. Stufe: höhere Stoff- und Gegenstandsgebundenheit der Zeichen; Symphysische Verwendung der Zeichen, d.h. erst das symphysische Umfeld legt die Grundlage ihrer Interpretation Kooperation auf Distanz bei nur teilweise gemeinsamer Wahrnehmungssituation 3. Stufe: fortentwickelt empraktischer Gebrauch der Kommunikationszeichen 4. Stufe: volle Entfaltung synsemantischer Gebrauch Kommunikationshandlung 6 Zur Soziologie der Emotionskommunikation Die Perspektive soziologisch orientierter Emotionstheoriebildung, welche durch den Aspekt der Steuerung von Gemeinschaftshandlungen erforderlich wird, kann hier nur angedeutet werden (vgl. für einen Überblick S CHÜTZEICHEL 2006). So kann Norbert E LIAS zufolge das gesamte äußere Verhalten des Menschen - Körperhaltung, Gebärden, Kleidung, Gesichtsausdruck, kurz das breite Feld des Para- und Nonverbalen - zum Zeichensystem werden, mit dessen Hilfe sich die Individuen immer differenzierter darzustellen und innere Stimmungslagen nach außen kundzutun vermögen. Zugleich werde es für den einzelnen wichtig, den anderen genau beobachten und “lesen” zu können, um von seinen sichtbaren Äußerungsformen auf seine unsichtbaren inneren Motive, Gefühls- und Seelenzustände zu schließen und das eigene Verhalten und Handeln darauf abstimmen zu können. Das heißt nach Thomas A LKEMEYER , dass mit wachsender Komplexität der sozialen Beziehungen den Individuen sowohl neue Kompetenzen der Fremddeutung als auch der Gesine Lenore Schiewer 252 Selbstdarstellung durch Sprache, Mimik, Gestik, Haltung, Kleidung etc. abverlangt werden, welche gelernt werden müssen. Gleichzeitig mit der Ausdifferenzierung und Komplexitätssteigerung der gesellschaftlichen Strukturen erfolgt eine Verfeinerung der individuellen Ausdrucks-, Darstellungs- und Deutungsfähigkeiten ebenso wie des emotionalen und psychischen Innenlebens der Subjekte. Bei diesem wechselwirksamen Prozess von Gesellschaftsstruktur, emotional-psychischer Individualentwicklung und Semiosen handelt es sich um Aspekte einer Figuration, die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. A LKEMEYER 2003, 2808). Mit diesem Prozess zunehmender Verfeinerung und Differenzierung der Emotionen sowie der Möglichkeit ihrer gegenseitigen Mitteilung wird, wie E LIAS 1978 betonte, das friedfertige Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft überhaupt erst denkbar. Emotionen bestimmt auch E LIAS dabei nicht als bloßen Gefühlsausdruck, sondern als Komplex aus einer physiologischen Komponente, einer Verhaltenskomponente und einer Gefühlskomponente, dem eine besondere Bedeutung für die menschliche Interaktion und Vergesellschaftung zukommt (vgl. A LKEMEYER 2003, 2810). Die skizzierte Entwicklung impliziert jedoch auch eine andere Tendenz: Denn die sublimierten Mitteilungsformen von Emotionen bringen sowohl eine Zunahme der Verständigungsmöglichkeiten und des Verständnisses füreinander mit sich als auch - dies ist die Kehrseite - der Möglichkeiten gegenseitiger Beobachtung und Kontrolle sowie der echten Unterdrückung, wenn entsprechende Machtstrukturen und -verhältnisse bestehen (vgl. E LIAS 1978, 106). Norbert E LIAS verweist damit über die Affektsublimierung vermittels Mitteilung hinausgehend sowohl auf die verständigungssichernde Perspektive als auch die Aspekte der Kontrolle und Unterdrückung. Mit E LIAS ’ prinzipiell wertfrei angelegter Konzeption ergeben sich somit sowohl positive Möglichkeiten der Kommunikationsoptimierung als auch solche der Korruption (vgl. die Diskussion dieses Ansatzes im Zusammenhang mit Fragen eines interkulturellen ‘Dialogs der Kulturen’ S CHIEWER 2006). 7 Abschließende Bemerkungen: Emotionssemiotik als integratives Forschungsfeld Selbst eine vorläufige Skizze der emotionssemiotischen Perspektivierung des Gefühlsausdrucks in Kommunikation und affective computing - die selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Abgeschlossenheit erheben kann - lässt erkennen, dass sich hier auf mehreren Ebenen die Chance und zugleich die Notwendigkeit der Integration sowohl in methodischer als auch disziplinärer Hinsicht bislang disparater Ansätze ergeben. Zusammenfassend sind insbesondere vier Aspekte hervorzuheben: Erstens ist die von B ÜHLER begründete Parallelisierung eines gestalttheoretisch gefassten und daher nicht informationstheoretisch reduzierten Kommunikationsbegriffs einerseits und kybernetischer Grundlagen andererseits zu betonen. Es ergeben sich auf diese Weise hochaktuelle Perspektiven für Fragen der Mensch-Maschine-Interaktion. Zweitens fällt die Parallelisierung von systematischen und historischen Perspektiven auf den Gegenstand auf, wie die Schlüsselfunktion der Theoriebildung Karl B ÜHLERS für die Integration von wissenschaftshistorisch älteren gestalttheoretischen Grundlagen und jüngeren Entwicklungen hin zur Kybernetik und Künstlichen Intelligenz erkennen lässt. Drittens ist die Komplementarität von innerindividuellen Prozessen, dialogisch-mikrosoziologischen und gemeinschaftlich-makrosoziologischen Dimensionen des Emotionalen von erheblicher Tragweite. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 253 Und schließlich ist viertens die Komplementarität von Theorie und Praxis - von wissenschaftshistorischer Grundlegung und aktuellem Anwendungsinteresse - zu akzentuieren, wie sie im Hinblick auf die Applikation humaner Kommunikationsstrukturen auf die Mensch- Maschine-Interaktion und das affective computing aufgezeigt werden kann. Insgesamt ergibt sich daher in der Reflexion von Zeichen, Sprache und Emotion eine Thematik, die transdisziplinär vernetzte Zugänge von Kognitions-, Informations- und Geisteswissenschaften mit sowohl systematischer als auch historischer Methodik besonders fruchtbar erscheinen lässt. 8 Literatur Alkemeyer, Thomas (2003): Semiotische Aspekte der Soziologie: Soziosemiotik, in: Posner, Roland et al., Semiotik - Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, 3. Teilbde., Berlin/ New York: de Gruyter, 2758-2846. Andersen, Peter A. / Guerrero, Laura K. (ed.) 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Beispielsweise werden die Rolle des Emotionalen für die Interaktion im Gespräch untersucht (vgl. z.B. F IEHLER 1990; Marie-Louise K ÄSERMANN ; W EIGANG 2004), semiotische Zugangsweisen sondiert (z.B. C AFFI / J ANNEY 1994; J ANNEY 1996; Magdalena K ONSTANTINIDOU ; FRIES 2003), die Emotionalität in Sachtexten beschrieben (J AHR 2000; D RESCHER 2003), Gefühle hinsichtlich kognitiver Prozesse und des Gedächtnisses auf linguistischer Ebene erfasst (Marco B ATTACCHI et al.; F RIES 2000). In der intensiven Forschung im anglo-amerikanischen Sprachraum zu diesem Gebiet spielen Fragen der interkulturellen Kommunikation eine bedeutende Rolle (z.B. H ARKINS / W IERZBICKA 2001; N IEMEIER / D IRVEN 1997), diskutiert werden aber auch verschiedene emotionstheoretische Konzepte im Hinblick auf ihre Bedeutung für linguistischkommunikationstheoretische Fragen wie die Kommunikation von Emotionen im täglichen Leben und der sozialen Interaktion (vgl. für einen Überblick A NDERSEN / G UERRERO 1998). 2 Grundlage solcher Systeme sind “künstliche Emotionen” und damit verschiedene Modelle von Emotionen. Dominierende Bedeutung kommt hierbei dem Typus der kognitiven Emotionstheorien zu, denen zufolge die Entstehung von Emotionen als Folge bestimmter Kognitionen und ihrer Bewertung und Interpretation zu sehen ist. 3 Vgl. zu den Beziehungen der modernen Semiotik zur Gestalttheorie S TADLER / W ILDGEN 2003, 2473-2483. 4 “Rarely, for example, have linguists and psychologists talked about the remarkable coordination of affective indicators in speech as related to segmental phonology, lexicon, syntax, semantics, and pragmatics, and even more rarely still has research looked systematically toward gestural and other visible manifestations of affect. The crying need, it seems, is for a theory that will embrace the full spectrum of semiotic phenomena and also take on the essential task of examining the incorporation of affect into all those semiotic systems.” O LLER / W ILTSHIRE 1997, 35. 5 In der Terminologie der Sprechakttheorie entspricht der Appellfunktion der perlokutionäre Akt: “the speaker can occasionally (intentionally or not) perlocutionarily please or amuse the hearer.” (V ANDERVEKEN 1990, vol. I, 69). V ANDERVEKEN betont dabei, dass perlokutionäre Akte nicht von der Satzbedeutung determiniert seien, nur gelegentlich auftreten und daher keinen Aspekt der Satzbedeutung darstellen (vgl. V ANDERVEKEN 1990, vol. I, 69f.). 6 Paul E KMAN beschreibt jedoch auch Phänomene gestellter und übernommener Mimik. Beispielsweise beschreibt er eine Form der “affektierten Skepsis”, die er in Hollywoodfilmen der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts bei “hübschen und kultivierten Frauen” zum Ausdruck “ihres vornehmen Zweifels” beobachtet habe. Damals hätten sich Jugendliche bemüht, die entsprechende Bewegung der Augenbrauen nachzuahmen und jeden bewundert, der es konnte. E KMAN betont, dass er diese Bewegung nur selten in natürlichen Situationen beobachtet habe. Vgl. E KMAN 1988, 96. 7 Dies wird damit begründet, dass mentale Zustände sich auf einen Sachverhalt beziehen, der in einer Proposition zum Ausdruck kommt. Daher wird z.B. die Äußerung “ich bin zornig” nicht als Sprechakt betrachtet. Hingegen stellt V ANDERVEKEN zufolge die Äußerung “ich drücke meinen Zorn darüber aus, dass …” einen Sprechakt dar (vgl. V ANDERVEKEN 1990, 213ff.). Dies ist insofern eine folgenreiche Festlegung, als in der Mensch-Maschine- Interaktion bislang Äußerungen wie “ich bin zornig” eine zentrale Rolle spielen. 8 Einen bedeutenden integrativen Ansatz, in dem die verbale Ebene unter dem Aspekt stilistischer Wahlmöglichkeiten, prosodische Aspekte sowie kinesische mit den Facetten Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Blickkontakt einbezieht, haben A RNDT und J ANNEY entwickelt. Vgl. A RNDT / J ANNEY 1987. 9 Klaus R. W AGNER zählt “fluchen” zu der Klasse der emotiven Sprechakte: “Der Sprecher versucht durch stehende Redewendungen (Kraftausdrücke) […] sich eine Abfuhr von negativen Gefühlen (Ärger, Wut, Aggressionen, Frustrationen) zu verschaffen.” W AGNER 2001, 221. R OLF zählt “fluchen” dahingegen zu den Expressiva; vgl. R OLF 1997, 236. “Verfluchen” oder “einen Fluch über jemanden aussprechen” wird von S EARLE / V ANDERVEKEN und von R OLF zu den Deklarativa gerechnet. Vgl. W AGNER 2001, 284; R OLF 1997, 213; S EARLE / V ANDERVEKEN 1985, 209. 10 So nennt V ANDERVEKEN folgende englische Expressive: “approve”, “compliment”, “praise”, “laud”, “extol”, “plaudit”, “applaud”, “acclaim”, “brag”, “boast”, “complain”, “disapprove”, “blame”, “reprove”, “deplore”, “protest”, “grieve”, “mourn”, “lament”, “rejoice”, “cheer”, “boo”, “condole”, “congratulate”, “thank”, “apologize”, “greet”, “welcome”. Vgl. V ANDERVEKEN 1990, 213. Bausteine zu einer Emotionssemiotik 257 11 W AGNERS Liste der Expressive umfasst dahingegen sowohl thematisierende als auch ausdrückende expressive Typen. 12 Klaus R. W AGNER geht davon aus, dass in ontogenetischer Perspektive zwei Niveaus zu unterscheiden sind. Der Erwerb der Direktive soll auf dem ersten Niveau erfolgen und die Klasse der Aufforderungshandlungen die erste, die das Kind erwirbt: “Sie muß als der zündende Funke, als der Angelpunkt nicht nur des Sprechhandlungserwerbs, sondern des gesamten Spracherwerbs angesehen werden. Kinder lernen nicht die mehr oder weniger komplizierten Sprachstrukturen, um sprechen zu können, - sondern sie sprechen, weil sie gemerkt haben, wie wunderschön sie damit ihre Bezugspersonen dirigieren können.” (W AGNER 2001, 139). Daher spricht W AGNER hier von ego-Zentrierung und ordnet die direktiven Sprechhandlungen der Appellfunktion zu. 13 Kommissive gehören dagegen dem zweiten Niveau an. Hier muß das Kind lernen, zwischen der Fremdverpflichtung, die ihm durch die Verwendung von Direktiven sehr geläufig ist, und der Selbstverpfllichtung zu unterscheiden. W AGNER spricht daher von ego-alter-Zentrierung (vgl. W AGNER 2001, 140). 14 Eine Implementierung auf der Basis dieses Ansatzes erfolgt im Rahmen des Projekts “Emotionale Agenten zur Kontrolle von Ausdruck, Handeln und Sprechen in der Mensch-Maschine Interaktion - Emotional Agents for Controlling Expression, Action and Speech in Man-Machine Interaction”, das von der Hasler Stifung, Bern (Schweiz) finanziert wird. Mitwirkende sind Wolfgang G ESSNER , Guerrino M AZZOLA , Alex R INGENBACH und Gesine Lenore S CHIEWER . 15 Erwartungsverletzungen werden auch im Bereich der kognitiven Emotionstheorien, und zwar speziell von attributionstheoretischen Ansätzen reflektiert. Der hier zentrale Gedanke, dass Verhaltensweisen dann außergewöhnlich erscheinen, wenn sie einer Situation nicht angemessen sind, kann auf die Frage des Erwartbaren respektive Abweichenden und Ungewöhnlichen im verbalen Verhalten übertragen werden (vgl. H ÜBLER 2001, 42f.). 16 “No more Cooperation, Please! ” lautet der provokante Obertitel des Beitrags von C ASTELFRANCHI und er macht deutlich: “Conversational and interactional studies are dominated by a ‘cooperativistic’ or ‘benevolent’ conception of the agents. […] Generalized benevolence is in contradiction with the alleged rationality and autonomy of the agent in AI models. The cooperativeness of the agent is in actual fact quite executive. The agent must be capable of understanding and adopting other people’s goals, even beyond the limits of what he is asked to do and is communicated to him.” C ASTELFRANCHI 1992, 205.