Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2008
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Ernest W.B. Hess-Lüttich (Hrsg.) Eco-Semiotics. Umwelt- und Entwicklungskommunikation, Francke Verlag 2006, 409 S. 78,- €, ISBN 978-3-7720-8184-2
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2008
Monika Huch
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Reviews 168 führt, sollte die Phänomene, die es beschreibt, zumindest flüchtig unter semiotischen Gesichtspunkten erläutern. Das vorliegende Werk beschränkt sich jedoch häufig darauf, in jedem Kapitel irgendwo zu erwähnen, dass das jeweils Besprochene etwa “in zahlreichen Kontexten als Zeichen wahrgenommen” wird (S. 83). Meist endet jedes Kapitel abrupt mit dem Ende der Beispielschilderung, die zwar unterhaltsam ist, aber ins Leere läuft. Eine schöne Ausnahme ist die kurze und treffende Zusammenfassung am Ende des Kapitels “Der Körper als Zeitaufzeichnungsgerät”, die es schafft, in nur vier keineswegs theorieüberlasteten Zeilen dem Leser den Sinn des Kapitels vor Augen zu führen (S. 118). Was aber z.B. soll am - zugegeben witzigen - Unterkapitel zu Intelligent Design (S. 112ff), welches als Gutachten der Examensarbeit eines gewissen G. Ott aufgemacht ist, semiotisch sein? Die Auseinandersetzung mit Sexualdelikten im Spiegel der Lyrik (S. 175ff) ist höchstens literaturwissenschaftlicher Art, die einzige Verbindung zur Semiotik besteht, wohlwollend betrachtet, in der Erwähnung von Symbolen. Ganze zehn Seiten sind der Jagd als Metaphernspender gewidmet, aber mit Ausnahme dessen, dass Spuren ein “sehr grundlegender Typ von Zeichen” (S. 33) seien, wird keine semiotisch interessante Erkenntnis gewonnen. Auch wenn der Hauptzweck der Semiotischen Streifzüge erklärterweise Spaß ist, sollte der Bezug zur Semiotik gewahrt werden. Schmauks’ Anmerkung im Vorwort, das vorliegende Werk sei nicht als Einführung zu verstehen, ist keine Generalentschuldigung dafür, dass der semiotische Gehalt der Empirie zu oft nicht erklärt wird. Selbstverständlich geht es hier im weitesten Sinne durchweg um Zeichendeutung, aber wo der Bezug nicht klargemacht wird, geht es ebenso semiotisch zu wie in jedem anderen Buch auch, in dem ja ebenfalls beständig Zeichen gedeutet werden. Die Autorin verschriftlicht zu einem großen Teil lediglich ihre eigenen Deutungen, ohne dazu nähere Erklärungen abzugeben. Besonders sichtbar wird das an Kapiteln wie dem zum Schatten, in dem auf dreieinhalb Seiten aufgelistet wird, welche Informationen sich aus Schlagschatten ziehen lassen (S. 48-52). Will man diese Vorgehensweise zur Verdeutlichung auf einen anderen Wissenschaftsbereich übertragen, bietet sich der Vergleich mit einem Ozeanologen an, der behauptet, sein Betätigungsfeld sei das Fischefangen. Um eine leichte Lektüre zu garantieren, gibt Schmauks ihren aus zahlreichen anderen Publikationen bekannten objektiven Ton auf und schießt damit über das Ziel hinaus. Ihr neues Werk würde nicht an Unterhaltsamkeit verlieren, wenn der Theoriegehalt erhöht würde - im Gegenteil könnte dieser dem Leser zu echten Erkenntnissen verhelfen. Trotzdem kann es sich lohnen, die Semotischen Streifzüge zu lesen. Stellenweise sind die Beschreibungen tatsächlich so lustig, dass man nicht umhin kann zu lachen. Damit hat das Buch auf jeden Fall schon einmal den Pluspunkt des Kurzweiligen. Im Lehrbetrieb könnte es sogar sehr nützlich sein, um anhand eines der zahlreichen Beispiele eine gerade durchgenommene Theorie zu erklären und ihren Alltagsbezug aufzuzeigen. Die Semiotischen Streifzüge sind also keineswegs unnütz. Schön wäre es, wenn die Essaysammlung bis zur nächsten Ausgabe auf sachliche Unrichtigkeiten durchgearbeitet und der Bezug zur Semiotik stellenweise deutlicher herausmodelliert würde. So geläutert wäre das Buch ein echter Gewinn. Literatur Duden. 2006. Deutsches Universalwörterbuch. Mannheim et al.: Dudenverlag Duden Bd. 11. 2008. Redewendungen. Wörterbuch der deutschen Idiomatik. Mannheim: Dudenverlag. Brecht, Bertolt. 1968 [geschrieben 1928]. Die Dreigroschenoper. Berlin: Suhrkamp. Burenhult, Göran. 2004. Menschen der Urzeit. Köln: Karl Müller. Hurth, G. & I. Eibl-Eibesfeld. 1975. Hominisation und Verhalten. Stuttgart: Fischer. Schenda, Rudolf. 1995. Das ABC der Tiere: Märchen, Mythen und Geschichten. München: Beck. Sarah Thelen (Dortmund) Ernest W.B. Hess-Lüttich (Hrsg.) Eco-Semiotics. Umwelt- und Entwicklungskommunikation. Francke Verlag 2006, 409 S. 78,- , ISBN 978-3-7720-8184-2 Verständigung über “Umwelt” hat viele Hürden zu überwinden - angefangen von der Definition von “Umwelt” allgemein bis hin zu Sprachbarrieren Reviews 169 zwischen Fachleuten verschiedener Disziplinen oder zwischen Experten und Bevölkerung. Hess- Lüttich und die von ihm versammelten Autorinnen und Autoren spannen den Bogen zwischen Umwelt, Linguistik und Semiotik. Damit stecken sie den Rahmen einer Ökosemiotik ab, in dem “die transdisziplinäre Erforschung der zeichenhaften Wechselbeziehungen zwischen Organismen und deren Umwelt” angesiedelt sein könnte, wie Hess- Lüttich es in seiner Einführung beschreibt. Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt “Grundlagen” gibt es drei Beiträge, die auf die verschiedenen Aspekte des Themas Eco-Semiotics eingehen - Peter Finke: Wendezeit auch für die Semiotik? Ökosemiosen im Lichte der neuesten Entwicklung in der Kulturökologie; Wilhelm Trampe: Zur Notwendigkeit einer ökologischen Semiotik; Peter Plöger: Asymmetrien in der Kommunikation nachhaltiger Entwicklung. (Alle Autorinnen und Autoren werden übrigens am Ende des Bandes in Kurzportraits vorgestellt.) Der zweite Abschnitt “Umweltkommunikation” stellt fünf Fallstudien aus verschiedenen Fachbereichen vor. Im dritten Abschnitt “Entwicklungskommunikation” setzen sich vier Beiträge mit der sprachlichen (und zeichnerischen) Vermittlung von umweltrelevanten Sachverhalten auseinander. Der vierte Abschnitt “Medienkultur: Sprache, Literatur, Presse” verdeutlicht die Bedeutung von Sprache in verschiedenen Medien. Was ist nun das Besondere an dem Band, sowohl für Umweltwissenschaftler und für Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe als auch für Semiotiker und für Sprachwissernschaftler? Zunächst sind die Fallbeispiele aus den Abschnitten 2, 3 und 4 zu nennen, aus denen die jeweiligen Fachleute Erfahrungen für ihre eigene Arbeit erhalten können. Die Beiträge des Bandes zeigen aber gleichzeitig - und sicher nicht erschöpfend - die Bandbreite der von Hess-Lüttich angesprochenen zeichenhaften Wechselwirkungen zwischen Organismen - hier im speziellen Fall des Menschen - und ihrer Umwelt auf. Darüber hinaus stellt diese Sammlung von Arbeiten eine Art Standortbestimmung der Ökosemiotik dar, wie Peter Finke es in seinem Grundlagen-Beitrag andeutet. Er stellt fest, dass die Ökologie - als ein Teil der Wortschöpfung “Ökosemiotik” - heute de facto ein weites wissenschaftliches Feld weit über die Grenzen der Biologie und der Naturwissenschaften, aus der sie hervorging, hinaus ist. Und er hält die Zeit für gekommen, dass sich die ökologische Sichtweise bereits auf die Semiotik auszuwirken beginnt. Seiner Meinung nach geht es bei der Ökosemiotik nicht nur um die Ausbildung einer neuen Teildisziplin, sondern auch um ein verändertes Verständnis von Semiotik insgesamt: “Dabei schließt das eine das andere nicht aus: Man kann sowohl die Ökosemiotik als eine vergleichsweise neue Teildisziplin der Semiotik entwickeln und betreiben und zugleich ein eher konservatives Wissenschaftsverständnis an den Tag legen (dies ist im wesentlichen die heutige Realität im Fach), als auch die Ökosemiotik als Lernfeld für ein tiefergehendes Verständnis der Probleme des Zusammenhangs von Ökologie und Semiotik nutzen, das später zu grundsätzlicheren Neuorientierungen führen kann.” (Finke, S. 35) In letzterem Sinne versteht sich übrigens die Sektion Ökosemiotik in der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (www.semiose.de/ Ökosemiotik). Finke bezieht auch - über die Evolutionäre Kulturökologie - den Menschen in die Ökosemiotik ein: “Die Ökosysteme des Menschen sind seine Kulturen.” Das heißt: “Wir leben in kulturellen Ökosystemen wie die Tiere in ihren natürlichen.” (Finke, S. 45) Er verweist auf die Entwicklung von “Regeln oder Konventionen, die statt der strikt geltenden Naturgesetze den neuen Arten - und hier wiederum insbesondere dem Menschen - ein viel freieres Verhalten zu lernen ermöglichte: das zielgerichtete Handeln, dem es prinzipiell auch möglich ist, sich anders zu verhalten, als die jeweilige Regel sagt.” (Finke, S. 44) Es ist diese Fähigkeit, sich anders zu verhalten als gewisse Regeln vorschreiben, die in den auf Finke folgenden Beiträgen des Bandes in den verschiedensten Facetten zur Sprache kommt. Auch Trampe geht von der Ökologie aus und stellt dann die Verknüpfung zur Semiotik her. Ihm geht es darum, “welchen Beitrag eine angewandte ökologisch-semiotische Theorie der Lebewesen-Umwelt-Gefüge zur Lösung der ökologischen Krise leisten könnte.” (Trampe, S. 57) Und er sieht eine ökologische Semiotik als eine Art “Brückenwissenschaft” zwischen naturwissenschaftlicher und sozial-/ kulturwissenschaftlicher Betrachtung: “Ökologische Systeme kön- Reviews 170 nen in semiotischer Sichtweise als Zeichen-Welt- Systeme aufgefasst werden. Zeichen-Welt-Prozesse stellen die semiotischen Prozesse in Ökosystemen dar. Die Ökologie der Zeichen kann somit verstanden werden als die Lehre von den an Zeichenprozesse gebundenen Prozessen in Ökosystemen. Die semiotischen Prozesse stehen als Erkenntnisgegenstand also keineswegs isoliert, sondern sind eingebunden in das Beziehungsgefüge aller Einflüsse und Auswirkungen, von denen sie betroffen sind und welche sie selbst hervorrufen.” (Trampe, S. 65) Trampe konstatiert, dass alle bisherigen Bemühungen zur Überwindung der ökologischen Krise, die davon ausgingen, dass ökologische Probleme ein primär technisches Problem darstellten, versagt haben. Den Grund sieht er darin, dass monokausale Erklärungen und eindimensionale Lösungsversuche der ökologischen Krise zum Scheitern verurteilt sind, weil ökologische Probleme keine Disziplin-, aber auch keine Staats- und Sprachgrenzen kennen. “Ausgehend von der Vorstellung, dass es neben materiellen und energetischen Prozessen informationelle Prozesse sind, die die Dynamik ökologischer Gefüge bestimmen, erhalten semiotische Untersuchungen einen bedeutenden Stellenwert nicht nur für die Analyse und Bewertung von ökologischen Problemen, sondern auch für die Entwicklung von Lösungsstrategien.” (Trampe, S. 70) Plögers Ausgangspunkt ist der Begriff der Nachhaltigkeit und “sein Verweis auf eine Lebens- und Wirtschaftsweise, die die natürlichen, sozialen und ökonomischen Ressourcen dauerhaft reproduktionsfähig hält, mit anderen Worten auf eine zukunftsfähige Lebensweise” (Plöger, S. 77 zitiert nach Luks 2002) und er fährt fort: “Paradoxerweise werden nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsformen traditionell bis heute in Regionen gepflegt, die wir zu den Entwicklungsländern rechnen. … Der Versuch, eine nachhaltige Entwicklung global durchzusetzen, würde aber bedeuten, dass wir, nachdem wir jahrzehntelang ein ökonomisch sehr erfolgreiches, aber langfristig fatales Modell vorgelegt haben, es nun um einen Ansatz ergänzen, den bestimmte Kulturen in den Entwicklungsländern gerade im Begriff sind, endgültig aufzugeben.” (Plöger, S. 77/ 78) Hier führt er dann den Begriff asymmetrischer Verhältnisse zwischen industrialisierten und nicht-industrialisierten Kulturen ein und schreibt: “Tatsächlich ist der Aspekt der sozialen Asymmetrien unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ein zentraler Punkt im Nachhaltigkeitsdiskurs.” (Plöger, S. 78) Ihm geht es darum, kommunikative Asymmetrien im Bereich der Umwelt- und Entwicklungskommunikation zu finden, um dann Strategien zu entwickeln, wie sie vermieden oder ausgeglichen werden können. Als Quelle sozialer Asymmetrien macht Plöger Kompetenzgefälle und das sich dadurch konstituierende Experten-Laien-Verhältnis aus. Um trotz dieser Asymmetrien erfolgreich kommunizieren zu können, braucht es Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die entscheidend von der Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe abhängt. Es muss also nach einer Alternative zur einseitigen Kommunikation nach dem Sender-Empfänger- Prinzip gesucht werden. “Eine Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte muß den sozialen und praktischen Kontexten, in denen sie benutzt werden sollen, Rechnung tragen.” (Plöger, S. 85) Angewendet auf das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung heißt das die Einbeziehung sozialer, ökonomischer, emotionaler und ästhetischer Bedürfnisse, die sowohl für die Menschen in den Industrieländern als auch diejenigen in der Dritten Welt gelten. Plögers Vorschlag, wie kommunikative Asymmetrien vermieden werden können, ist eine dialogische Kommunikationspraxis, die die Lebenswelt, Wahrnehmungen und Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt und einbezieht. Natürlich bringt jeder beim Lesen seine eigenen Vorerfahrungen ein, stimmt das Gelesene mit diesen ab, wägt ab, ob die neue Sichtweise “passt” oder ob sie “klemmt” und wo sie “klemmt”. Das führt also zu einem ständigen Dialog zwischen dem Leser und den verschiedenen Autorinnen und Autoren. Für mich war es dieser Dialog, der die Sammlung dieser Beiträge so spannend und anregend macht. Als Mitglied der Sektion Ökosemiotik in der Deutschen Gesellschaft für Semiotik wünsche ich mir, dieses Buch als Grundlage für zukünftige Aktivitäten zu übernehmen. Die Beispiele, die in dem Band vorgestellt werden, können auf viele Bereiche unseres Lebens ausgedehnt werden - diese Herausforderung sollten wir annehmen. Monika Huch (Adelheidsdorf)
