Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
313-4
Wolfgang Werner: Illustrierte Poetik des Impurismus. Morphologie und Funktion der Genitalien am Ursprung von Sprache und Mythos, Schrift und Literatur, Essen: Die blaue Eule 2008, 1346 S., ISBN 978-3-89924-176-1
121
2008
Nicolas Bollinger
kod313-40366
Reviews 366 zu müssen, strapaziert die durch das Schema vorgeschriebenen Begrifflichkeiten mitunter zu sehr. So muss es innerhalb der pragmatischen Sigmatik (1.3), in der es um die Bedeutungseinführung in der Handlungseinbettung geht, auch ein objektbezogenes Unterglied geben (1.3.1), das Heinrichs in der Referenz verkörpert sieht. Diese muss dem Schema zufolge auch eine auf ein anderes Subjekt bezogene Ausprägung haben (1.3.1.3), und Heinrichs findet (oder er-findet? ) hier die konventionelle, verabredete Referenz (vgl. I, 151). Was so betrachtet etwas gezwungen erscheint, ist in umgekehrter Blickrichtung schlicht beliebig: Dass sich das Relativpronomen welcher im Kapitel 2.1.1.3 findet, da innerhalb der sigmatischen Semantik (2.1), die semantisierte Zeigefunktionen untersucht, auch objektbezogene Demonstrativa (2.1.1) thematisiert sind, von denen eben die Relativpronomen “auf einen syntagmatischen Zusammenhang zur intersubjektiven [(2.1.1.3)] Einführung ihrer Bedeutung angewiesen sind und dies auch thematisieren” (II, 44), lässt sich aus dem besagten Wörtchen selbst kaum rechtfertigen. Vor allem bei den Kapiteln, die einen Bezug zur intersubjektiven bzw. pragmatischen Dimension aufweisen und in denen von den sozialen Funktionen von Sprache die Rede ist, hätte ein wenig Empirie den Überlegungen Heinrichs’ sicher gut getan. Über die Rolle von Interjektionen im sozialen Regelverhalten vor dem Hintergrund ihrer konkreten Wahrnehmbarkeit (vgl. I, 92) lässt sich wohl allein reflexionslogisch-rekonstruierend nur wenig aussagen - entsprechend dünn sind auch Heinrichs’ Ausführungen hierzu. Mit fortschreitender Lektüre wird das Schema, das ja eigentlich ordnen soll, zunehmend Ursache der Verwirrung, und nur durch stetes Zurückblättern zum Inhaltsverzeichnis zur Vergegenwärtigung der genauen Position innerhalb des (daran sei hier erinnert) im Ganzen fünfbändigen Werkes kann der Leser den Überblick bewahren und über Sinn und Begründetheit der einzelnen Ausführungen entscheiden. Die Durchführung der vorliegenden Sprachtheorie enttäuscht also, obwohl wie bereits erwähnt der Grundansatz viele interessante Punkte bereithält. Hier sei vor allem die Kritik am Morris’schen Pragmatikbegriff hervorgehoben, dessen mangelnde Schärfe und Begründetheit Heinrichs durchaus plausibel zu zeigen vermag. Auch die an Kant geschulte These, “dass gerade die kennzeichnende Objektivierungsfunktion der Semantik eine Subjektleistung darstellt” (II, 17), ist es wohl wert, einmal umfassend auf ihre möglichen Konsequenzen für eine philosophisch fundierte Sprachtheorie durchdacht zu werden. Gleichwohl unternimmt Heinrichs selbst zu wenig, um diese Ansätze wirklich fruchtbar zu machen, und verliert sich allzu bald in seinem eigenen methodischen Schema. Doch auch in theoretischer Hinsicht bleibt die vorliegende Sprachtheorie an mancher Stelle unbefriedigend. Vor allem das Ausschlagen der in der semiotischen Tradition bereitliegenden Hilfen und Vorarbeiten fällt ins Auge. So muss sich der Leser fragen, warum Heinrichs etwa die Peirce’sche Semiotik trotz der Erwähnung seiner Schriften im Literaturverzeichnis nahezu völlig unberücksichtigt lässt. Als Vertreter eines semiotischen ‘Gevierts’ sieht er womöglich Peirce wegen seines triadischen Zeichenmodells von vornherein als nicht einschlägig an - dabei hätten gerade Peirce’ Begriffe des Interpretanten (nicht der Morris’sche, den Heinrichs zurecht kritisiert) sowie der Semiose (Peirce 1993) z.B. bei der Ausarbeitung der These der vollzugstheoretischen Voraussetzungen der Verbindung der Zeichen zueinander durch Interpretationsleistungen verstehender Subjekte (vgl. I, 56) hilfreich sein können. Bei der Unterscheidung von Sigmatik und Semantik, die den Übergang vom situations- und objektgebundenen Zeigen hin zu einem Zeigen auf subjektive, aber allgemeine Gehalte markiert, wäre ein Blick auf Bühlers Konzept der Deixis am Phantasma (Bühler 1934) von Nutzen gewesen. Heinrichs verweist zwar auf die Bühler’schen Begriffe des Zeig- und Symbolfeldes (vgl. I, 142), ohne jedoch den Faden ernsthaft aufzunehmen. Die Ausführungen zur Sigmatik und zur Wahrnehmbarkeit des Zeichens hätten durch die Berücksichtigung des Bühler’schen Prinzips der abstraktiven Relevanz sowie seiner ausdruckstheoretischen Überlegungen (Bühler 1933) mit Sicherheit an Kohärenz gewonnen. Doch sei abschließend zugegeben, dass ein so systematisch angelegtes Werk wie Heinrichs’ Sprachtheorie wohl erst in seiner Gesamtheit, Reviews 367 und das heißt einschließlich der Bände zur Pragmatik und Syntaktik, angemessen gewürdigt werden kann. Und diverse Hinweise lassen vermuten, dass die Philosophische Semiotik nach der Handlungs- und Sprachtheorie noch durch eine Kunst- und Mystiktheorie zu einem - natürlich - vierteiligen opus magnum ergänzt werden wird. Der gespaltene Eindruck, den die ersten beiden Bände der Sprachtheorie beim Leser hinterlassen, müssen jedoch befürchten lassen, dass auch die Gesamtheit - außer der Gewissheit, dass das Viererschema tatsächlich bis zum Ende durchgehalten wurde - nicht allzu viel erbringen wird. Literatur Bühler, Karl 1933: Ausdruckstheorie. Das System an der Geschichte aufgezeigt, Jena: Fischer Bühler, Karl 1934: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena: Fischer Heinrichs, Johannes 1980/ 1981: Reflexionslogische Semiotik. 2 Bände, Bonn: Bouvier Heinrichs, Johannes 2007: Handlungen. Das Periodensystem der Handlungsarten, München: Steno Klaus, Georg 1972: Semiotik und Erkenntnistheorie, Berlin: Deutscher Verlag der Wissenschaften Peirce, Charles Sanders 1993: Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Simon Meier (Bern) Ingo Warnke (ed.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände, Berlin: de Gruyter 2007, 283 S., ISBN 978-3-11-019299-5 Ingo Warnke & Jürgen Spitzmüller (eds.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene, Berlin: de Gruyter 2008, 449 S., ISBN 978-3-11-020041-6 Der durch Foucaults Werk geprägte Begriff des Diskurses hat sich in den letzen dreissig Jahren nicht nur in den Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften, in der Psychologie und in der Geographie durchsetzen können. Auch in der Sprachwissenschaft konnte sich dieser nach einem langen fachinternen Rechtfertigungsprozess etablieren. Obwohl die Vagheit und Unklarheit des Foucault’schen Begriffes mit dem zeitgenössischen Verständnis von Transparenz der Wissenschaft kaum zu vereinen ist und somit anachronistisch scheint, “entzieht sich der Diskursbegriff bis heute nicht seiner wissenschaftlichen Relevanz” (Band I, S. 3). 1 Die beiden im Jahr 2007 von Warnke und im Jahr 2008 von Warnke und Spitzmüller herausgegebenen Bände Diskurslinguistik nach Foucault bzw. Methoden der Diskurslinguistik sind eine Sammlung der im Herbst 2004 am Kasseler Symposium Diskurslinguistik - Gegenstände, Methoden und Grenzen und im September 2006 am 41. Linguisten Kolloquium vorgestellten Beiträge zum theoretischen Stand der aktuellen Diskurslinguistik. Es ist das Ziel der beiden hier vorgestellten Bände, einen diskurslinguistisch einschlägigen Begriff des Diskurses zu entwickeln. Es wird hier der Versuch gemacht, “eine differenzierte Rekonstruktion der Begriffsdimension” (Band I, S. 3) und “ein Angebot zur Qualitätssicherung von diskurslinguistischen Methoden vorzulegen, das die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen der linguistischen Teildisziplinen nicht verwischt” (Band II, S. VII). Dabei wird der Anspruch erhoben, eine Diskkurslinguistik nach Foucault zu entwickeln, “deren zentrales Merkmal die Ausrichtung an Foucault ist und deren Konzepte und Gegenstandsbereiche gemäss Foucault’scher Theoreme” (Band I, S. 10) verstanden werden. Der 2007 erschienene erste Band gliedert sich in zwei Teile, Theorie der Diskurslinguistik und Gegenstände der Diskurslinguistik, und zehn Artikel. Die theoretische Beschäftigung mit dem Begriff Diskurs hat allerdings einen deutlich prominenteren Status im Werk als die Präsentation der Gegenstände. Wer jedoch eine einheitliche Theorie des Diskurses nach Foucault erwartet, wird enttäuscht. Ingo Warnke betont in der Einleitung, dass es hier um eine Beleuchtung von verschiedenen Standpunkten aus geht. Im Gegensatz zu Foucaults Insistieren auf einen vagen Gebrauch des Ausdrucks Discours und auf eine Distanzierung von sprachwissenschaftlichen Ansätzen schlägt Warnke eine Festigung dieses Begriffs vor. In dem er sich auf die Foucault’schen Schriften über den Diskurs stützt und eine Bilanz aus der zeitgenössischen germa- Reviews 368 nistische Debatte zieht, skizziert er einen Zuständigkeitsbereich der diskurslinguistischen Forschung, die sich “um die Analyse der Positionen von Aussagen im diskursiven Gefüge und das heißt, um die Kennzeichnung der Positivität von Ausdrücken” (Band 1, S. 12) kümmert. Dabei muss die Positivität als eine durch die “Streuung und Überlagerung von Sprache in diskursiven Netzen” (Band 1, S. 12) entstehende Bedeutung und Funktion von Ausdrücken verstanden werden. In Bezug auf die zeitgenössische diskurslinguistische Forschung entwickelt er ein Analyseinstrumentarium, das die “anonyme Verstreuung durch Texte, Bücher und Werke” (Band 1, S. 16) in den Mittelpunkt stellt. Dabei soll die Analyse des Diskurses im Sinne Foucaults sich erstens auf dessen Entstehungsbedingungen fokussieren (Prinzip der Umkehrung). Zweitens soll das Prinzip der Diskontinuität im Vordergrund stehen, das heisst, dass man nicht von einer kontinuierlichen sprachlichen Produktion ausgehen kann, sondern dass der Diskurs als zeit- und textübergreifend zu betrachtend ist. Drittens muss die Bedeutung einer Aussage immer in Bezug zum spezifischen Diskurs verstanden werden, in dem sie sich befindet (Prinzip der Spezifität), und schliesslich ist viertens diese Bedeutung immer materiell und auf der sprachlichen Oberfläche zu finden (Prinzip der Äusserlichkeit). Zudem muss die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit Diskursen einerseits immer eine Fokussierung auf textübergreifende Strukturen von Sprache beinhalten. Andererseits sollen schriftliche Äusserungen wegen des besonderen Interesses für deren Regelhaftigkeit im Vordergrund stehen. Ausserdem stehen intertextuelle Bezüge von Aussagen im Zentrum des Interesses, da sie für die Entstehung von Bedeutung des Diskurses von Interesse sind. Schliesslich “werden die Möglichkeitsbedingungen für diskursive Bedeutungen in den Blick genommen, so dass die Diskurslinguistik […] die prozessualen Erzeugungen von Diskursstrukturen untersucht” (Band 1, S. 17). Das hier von Warnke vorgeschlagene Modell ist auch für einen ungeübten Leser des Foucault’schen Werkes trotz der Komplexität seiner Argumentation sowohl sprachlich, wie auch argumentativ trotz der Komplexität seiner Argumentation nachvollziehbar und verständlich. Trotzdem wäre eine Exemplifizierung des gesagten anhand ausgewählter Beispiele hilfreich gewesen, um sich über die konkreten Anwendungsmöglichkeiten der vorgeschlagenen Analyse-Methode klar zu werden. Die weiteren Beiträge in diesem Band befassen sich mit der Diskurslinguistik nach Foucault und präsentieren programmatisch den aktuellen Stand der methodischen Auseinandersetzung der deutsprachigen germanistischen Linguistik mit dem Thema: Andreas Gardt stellt z.B. in seinem Artikel die Frage, ob die Diskursanalyse eine Theorie, eine Methode oder eine Haltung im Sinne einer Schule, ist. Er beantwortet seine Frage, indem er zuerst den Diskurs als “die semantische Dimension sprachlicher Äußerungen auf grundsätzlich allen Ebenen des Sprachsystems, aber auch auf der Ebene der Textgestaltung, nicht im Sinne einer transphrastischen Textgrammatik, sondern im Sinne eines pragmatisch-funktionalen Textverständnisses” (Band 1, S. 35) definiert. Daraus schliesst er, dass die Diskursanalyse als eine klar konstruktivistisch orientierte Theorie, Methode und Haltung verstanden werden muss, welche einen wichtigen Platz in einer als Kulturwissenschaft betrachtete Sprachwissenschaft hat. Ein weiterer interessanter Text ist von Dietrich Busse. Er richtet sein Interesse in seinem Beitrag auf die Analyse der sprachlichen Äusserung in Kontexten mit etablierten und schon bekannten sprachwissenschaftlichen Methoden. Es stellt sich dabei die Frage nach den Aspekten des Kontextualisierungsbegriffes, die für eine Diskursanalyse von Interesse sind. Dabei expliziert er zuerst den Begriff der Kontextualisierung und beantwortet somit weniger in einem Modell, als vielmehr eher in einer Art Gedankensammlung seine Anfangsfrage. Im zweiten Teil des Bandes beschäftigt sich z.B. Anja Stuckenbroch mit der Sprachnation und mit dem Sprachnationalismus in Verbindung mit einer Auswahl an Texten aus der Zeit zwischen dem frühen 17. Jahrhundert und dem Nationalsozialismus. Dabei untersucht sie anhand einer Analyse von Topoi, die sprachlich als metasprachliche Begriffe, Metaphern und Argumentationsmuster in Erscheinung treten, “ein Netz von Diskurskonstituenten, die die nationsbezogene Sprachreflexion in Deutschland über Jahrhunderte hinweg” prägten (Band 1, S. 217).
