eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
313-4

Christa Dürscheid & Jürgen Spitzmüller (eds.): Perspektiven der Jugendsprachforschung - Trends and developments in youth language research, Frankfurt/Main: Lang 2006, 476 S., ISBN 978-3-631-53734-3

121
2008
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod313-40377
Reviews 377 gungen der Bildrezeption. Felder geht unter anderem den Fragen nach, welche Handlungen mit Hilfe von Sprach- und Bildzeichen zur Konstitution von Sachverhalten vollzogen werden und wie sich der Einsatz von Bild- und Sprachzeichen methodologisch beschreiben läßt. Er geht davon aus, daß sich mit Fotografien als Bildzeichen genauso Handlungen vollziehen lassen wie mit sprachlichen Zeichen. Seine Untersuchung zeigt, daß Bilder je nach Text-Bild-Äußerung einem oder mehreren Bild-Handlungstypen zugeordnet werden können. Dieselben Bilder können je nach Fokus eine andere Funktion übernehmen. Durch die häufige Verwendung von demselben Bild kann es zu einer symbolischen Verwendung und Stereotypsierung kommen, was die “Nicht-Arbitrarität” von Bildern in Frage stellt. Abschließend behandelt Werner Holly (S. 387-426) in seinem Beitrag die audiovisuelle Hermeneutik am Beispiel eines Kampagnen-TV- Spots. “So wichtig das Verstehen im Zusammenhang mit Sprache ist, so wenig läßt sich Verstehen auf Sprache reduzieren”, hebt er an und fordert zu Recht (wenn auch nicht als erster: s. Hess-Lüttich 1978) eine Einbettung des Sprachverstehens in ein “semiotisch integriertes Gesamtverstehen” (S. 388), zumal bei elektronischen Medien mit ihrem Einsatz von Bildern, Tönen und Musik. Holly versteht unter audiovisueller Hermeneutik nicht eine Addition von Sprach- und Bildanalysen, sondern eine Verschränkung der beiden Analysen, wobei spezifische Muster herausgearbeitet werden. Diese Verschränkung erklärt er mit Jägers Idee der “Transkriptivität” (S. 389, s. Jäger 2002). Sprache und Bilder beeinflussen sich gegenseitig und lassen Neues entstehen. Die Wechselseitigkeit ist es also, welche die Bedeutung generiert. Diese Erklärung erinnert an das Prinzip der Emergenz, welches besagt, dass auf jeder höheren Komplexitätsstufe neue Eigenschaften auftreten, die auf den tieferen Komplexitätsstufen nicht vorhanden waren. In diesem Sinne läßt sich das Ganze nicht auf die einzelnen Teile zurückführen. Holly zeigt dann auch, wie die Bilder im TV-Spot “Du bist Deutschland” den Sprachtext transkribieren und anders lesbar machen. In Ergänzung zu den anderen Beiträgen setzt sich Holly mit einer hermeneutisch orientierten Medienlinguistik auseinander, die den heutigen Anforderungen an eine “moderne Hermeneutik” in einer multimedialen Gesellschaft gerecht zu werden sucht (cf. Hess- Lüttich ed. 2001/ 2005 a, b). Es steht zu wünschen, daß dieser sehr verdienstvolle Band dazu beiträgt, dem “noch bestehenden Mißtrauen gegen alle Hermeneutik” (S. 2) entgegen zu wirken. Denn in dem Maße, in dem sich die Linguistik mit linguistischer Hermeneutik auseinandersetzt, bekommt sie die Chance, “am Verstehensdiskurs anderer Verstehenswissenschaften verstärkt teilzunehmen” (ibid.) - eine unabdingbare Voraussetzung, um Verstehen bzw. Interpretieren nicht als “starres Gebilde”, sondern als vielseitiges, interessantes und flexibles Phänomen zu betrachten, das es zu untersuchen lohnt. Die dazu nötigen interdisziplinären Anschlußpunkte markieren die Autoren selbst in ihren Bezügen auf psychologische, neurologische und literaturwissenschaftliche Ansätze und tragen damit dazu bei, das Verstehen nicht nur als das “A und O von Sprache” (S. 2) zu begreifen, sondern endlich auch als das A und O einer nicht-reduktionistischen Linguistik. Literatur Brenner, Peter J. 1998: Das Problem der Interpretation. Eine Einführung in die Grundlagen der Literaturwissenschaft, Tübingen: Niemeyer Busse, Dietrich 1991: Textinterpretation. Sprachtheoretische Grundlagen einer explikativen Semantik, Opladen: Westdeutscher Verlag Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1978/ 2004: “Semiotik der multimedialen Kommunikation”, in: Tasso Borbé & Martin Krampen (eds.), Angewandte Semiotik, Wien: Egermann 1978, 21-48; aktualisierte Neufassung in: Roland Posner, Klaus Robering & Thomas A. Sebeok (eds.), Semiotik / Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur / A Handbook on the Sign-Theoretic Foundations of Nature and Culture (= HSK 13.4), Berlin/ New York: de Gruyter, 3487-3503 Hess-Lüttich, Ernest W.B. (ed.) 1980: Literatur und Konversation. Sprachsoziologie und Pragmatik in der Literaturwissenschaft, Wiesbaden: Athenaion Hess-Lüttich, Ernest W.B. 1991: Grundlagen der Dialoglinguistik, Berlin: Erich Schmidt Hess-Lüttich, Ernest W.B. (ed.) 2001/ 2005 a: Medien, Texte und Maschinen. Angewandte Mediensemiotik, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Reviews 378 Hess-Lüttich, Ernest W.B. (ed.) 2001/ 2005 b: Autoren, Automaten, Audiovisionen. Neue Ansätze der Medienästhetik und Tele-Semiotik, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2008: “‘Die bösen Zungen …’. Zur Rhetorik der diskreten Indiskretion in Fontanes L’Adultera”, in: Werner Faulstich (ed.), Das Böse heute. Formen und Funktionen, München Fink 2008, 113-128 Jäger, Ludwig 2002: “Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik”, in: id. & Georg Stanitzek (eds.): Transkribieren. Medien / Lektüre, München: Fink, 19-41 Levinson, Stephen 2000: Presumptive meanings, Cambridge/ MA: MIT Press Wegener, Philipp 1885: Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens, Halle: Niemeyer Ernest W.B Hess-Lüttich (Bern) Ellen Fricke: Origo, Geste und Raum. Lokaldeixis im Deutschen (= Linguistik - Impulse und Tendenzen 24), Berlin/ New York: de Gruyter 2007, 401 S., ISBN 978-3-11-019227-8 Die von Ellen Fricke vorgelegte Arbeit ist aus einer preisgekrönten Dissertation an der TU Berlin hervorgegangen und gliedert sich in zwei Hauptteile: der erste entfaltet die theoretischen Grundlagen, der zweite behandelt die drei im Titel genannten Themen: das Origoproblem, das Raumproblem und das Gestenproblem. In den Grundlagen entwickelt die Verf. aus der Kritik von bisherigen Deixistheorien zunächst eine Neukonzeption der Lokaldeixis des Deutschen, wobei auch empirische Beispiele von Zeigegesten bzw. redebegleitenden Gesten einbezogen werden. Diese Neuklassifikation erlaubt es, komplexe Formen des gestischen Zeigens und der Konstitution deiktischer Verweisräume zu beschreiben. Die Klassifikationsvorschläge im ersten Teil der Arbeit (Grundlagen) beruhen im wesentlichen auf drei Thesen, die im zweiten Teil der Arbeit (Fokussierungen) in je einem Kapitel ausführlich diskutiert werden (S. 3 f.): (i) Die Origo ist komplex strukturiert und besteht aus einer primären Origo, die beim Sprecher liegt und mit der Übernahme der Sprecherrolle beim Sprecherwechsel erworben wird, und verschiedenen sekundären Origines, die in origozuweisenden Akten vom Sprecher einer Entität zugewiesen werden. (ii) Die Unterscheidung zwischen einer demonstratio ad oculos und einer Deixis am Phantasma innerhalb der Zeigmodi ist den zu beschreibenden Phänomenen nicht adäquat. Sie ist durch die Unterscheidung zwischen einem Zeigen auf Nichtzeichen und einem Zeigen auf Zeichen zu ersetzen. (iii) Das Verbaldeiktikon, auf das sich die Zeigegeste bezieht, muß auf der verbalen Ebene nicht explizit geäußert werden, sondern kann aufgrund einer elliptischen Auslassung auch nur implizit gegeben sein. Die erste These, das Konzept des origozuweisenden Aktes, soll das Origoproblem lösen, die Unterscheidung zwischen einem Zeigen auf Zeichen und einem Zeigen auf Nichtzeichen das Raumproblem, und die Annahme einer impliziten verbalen Lokaldeixis das Gestenproblem. In der Deixisforschung ist die deutsche von der angloamerikanischen Tradition zu unterscheiden. In der deutschen Tradition (cf. Bühler 1934/ 1982, Ehlich 1982/ 1983, Herbermann 1988, Sennholz 1985) wird der Begriff der Deiktizität meist mit dem Begriff der Origorelativität in Verbindung gebracht, in der angloamerikanischen Forschung (cf. Fillmore 1982/ 1997, Hanks 1992/ 1993, Lyons 1980) wird der Begriff der Deiktizität mit dem Begriff der Indexikalität gleichgesetzt. In der angloamerikanischen Tradition werden als deiktisch nur Phänomene angesehen, bei denen die Origo dem Sprecher zugeordnet ist. Die Sprecherzentriertheit ist somit in der angloamerikanischen Tradition größer als in der deutschen. Phänomene, die nach Bühler als Versetzungen in andere Entitäten gelten, werden theoretisch kaum berücksichtigt. Ähnliches gilt auch für die Deixis am Phantasma bzw. die Deixis am Vorstellungsraum. In der angloamerikanischen Tradition liegt der Fokus stärker als in der deutschen auf der Deixis am Wahrnehmungsraum. In allen Ansätzen hat die Zeigegeste gegenüber verbalen Deiktika einen eher marginalen Status (S. 17). Reviews 379 Mit Karl Bühler beginnt im 19. Jahrhundert die moderne deutsche Deixisforschung. Bei ihm sind begleitende Zeigegesten und außersprachliche Kontextfaktoren für die Deixis relevant. In der sogenannten “Zweifelderlehre der Sprache” unterscheidet Bühler zwischen dem Zeigfeld und dem Symbolfeld. Die Zeigwörter, die dem Zeigfeld angehören, steuern die Aufmerksamkeit des Adressaten. Die Nennwörter gehören dem Symbolfeld an und beinhalten die Darstellungsfunktion. Die Bedeutungserfüllung der Zeigwörter ist nach Bühler an sinnliche Zeighilfen gebunden. Zeigegesten sowie auch Deiktika verweisen von einem Ausgangspunkt, der Origo, zu einem Zielpunkt. Bühler unterscheidet weiter drei Dimensionen der Deixis: die Lokal-, Temporal- und Personaldeixis. Das Zeigfeld kann verschiedene Zeigmodi annehmen: demonstratio ad oculos (Zeigen am Anwesenden), Anaphora und Deixis am Phantasma, welche wiederum drei Hauptfälle unterscheidet. An einem Beispiel (S. 22) - “Ich frage 500 Hörer in der Vorlesung ‘wo ist der Stephansdom? ’ und schätzungsweise 300 Zeigefinger erheben sich und deuten (mit allerhand interessanten Abweichungen) im Raum des Hörsaals” - wird Bühlers dritter Hauptfall deutlich: weder versetzt sich der Sprecher (in diesem Fall die Zeigenden) wie im zweiten Hauptfall noch wird das Zeigobjekt als imaginiertes Objekt wie im ersten Hauptfall im geteilten Wahrnehmungsraum von Sprecher und Adressat lokalisiert. Der Unterschied zur demonstratio ad oculos besteht nur darin, dass das Zeigeobjekt Stephansdom der visuellen Wahrnehmung der im Hörsaal Anwesenden aktuell nicht zugänglich ist (S. 18-22). Frickes Ansatz besteht nun, grob zusammengefaßt, darin, daß Äußerungen lokaler Deiktika und Zeigegesten durch die Zugehörigkeit zu einer deiktischen Dimension bzw. zu einer ihrer Subkategorien, einer deiktischen Reflexionsstufe, einem Zeigmodus und die Zuweisung einer sekundären Origo durch den Sprecher charakterisiert sind. Ausgehend von den drei klassischen Dimensionen der Lokal-, Temporal- und Personaldeixis, wird der Subklassifikation dieser Dimensionen ein Kernbereich zugrunde gelegt, der sich aus der Kreuzklassifikation der Entfernungsstufen (origo-inklusiv vs. origo-exklusiv) mit den Abgegrenztheitsstufen (abgegrenzt vs. nicht-abgegrenzt) ergibt. Origo-inklusiv meint dabei die ‘Nahdeixis’, also diejenige Deixis, bei der das Deixisobjekt die Origo einschließt, im Gegensatz zur origo-exklusiven Deixis, der ‘Ferndeixis’, bei der das Deixisobjekt die Origo nicht einschließt. Daneben nimmt Fricke weitere dimensionsspezifische Differenzierungen an. Sie unterscheidet für die Lokaldeixis sechs Subdimensionen: auf der verbalen Ebene die Raumbereichsdeixis, die Entitätendeixis, die Wegdeixis und die qualitative Deixis, auf der gestischen Ebene die Raumpunktdeixis und die Richtungsdeixis (S. 86-139). Im Gegensatz zu den meisten bisherigen deixistheoretischen Ansätzen, die die Äußerung als deiktischen Verweisraum entweder den Dimensionen oder den Zeigmodi zuordnen, macht Frikke die strikte Unterscheidung zwischen Dimensionen, Zeigmodi und deiktischen Reflexionsstufen. Die Reflexionsstufen werden unterteilt in Metadeixis und Objektdeixis. Auf der Stufe der Metadeixis konstituiert die Äußerung selbst den deiktischen Verweisraum eines Deiktikons, auf der Stufe der Objektdeixis hingegen besteht der Verweisraum aus situativen Kontextelementen, die nicht Bestandteil der Äußerung des Sprechers sind. Eine Deixis am Nichtzeichenraum ist gegeben, wenn das Demonstratum eines verbalen Deiktikons oder einer Zeigegeste mit dem vom Sprecher intendierten Referenzobjekt identisch ist. Wenn das Demonstratum und das intendierte Referenzobjekt auseinander fallen und das Demonstratum vom Sprecher als Zeichen für das intendierte Referenzobjekt interpretiert wird, handelt es sich um eine Deixis am Zeichenraum. Auf der Reflexionsstufe der Objektdeixis ersetzt die Deixis am Nichtzeichenraum den Bühlerschen Begriff der demonstratio ad oculos und die Deixis am Zeichenraum den Begriff der Deixis am Phantasma. Die Metadeixis ist von der Objektdeixis dadurch unterschieden, dass die sekundäre Origo, die der Sprecher in einem origozuweisenden Akt zuweist, in der lokaldeiktischen Metadeixis durch die Position des entsprechenden Verbaldeiktions instanziiert ist. Metadeixis ist nach dieser Konzeption immer eine Versetzungsdeixis. Versetzungen sind Operationen über deiktische Verweisräume und der Konstitution eines deiktischen Verweisraumes nachgeordnet. Es können auf der Stufe der Objektdeixis sowohl verbale als auch gestische Versetzungen stattfinden. Von einer primären Origo ausge-