eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
313-4

Andreas Gardt & Bernd Hüppauf (eds.): Globalization and the future of German, Berlin/New York: Mouton de Gruyter 2004, 375 S., ISBN 3-11-017918-0

121
2008
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod313-40379
Reviews 379 Mit Karl Bühler beginnt im 19. Jahrhundert die moderne deutsche Deixisforschung. Bei ihm sind begleitende Zeigegesten und außersprachliche Kontextfaktoren für die Deixis relevant. In der sogenannten “Zweifelderlehre der Sprache” unterscheidet Bühler zwischen dem Zeigfeld und dem Symbolfeld. Die Zeigwörter, die dem Zeigfeld angehören, steuern die Aufmerksamkeit des Adressaten. Die Nennwörter gehören dem Symbolfeld an und beinhalten die Darstellungsfunktion. Die Bedeutungserfüllung der Zeigwörter ist nach Bühler an sinnliche Zeighilfen gebunden. Zeigegesten sowie auch Deiktika verweisen von einem Ausgangspunkt, der Origo, zu einem Zielpunkt. Bühler unterscheidet weiter drei Dimensionen der Deixis: die Lokal-, Temporal- und Personaldeixis. Das Zeigfeld kann verschiedene Zeigmodi annehmen: demonstratio ad oculos (Zeigen am Anwesenden), Anaphora und Deixis am Phantasma, welche wiederum drei Hauptfälle unterscheidet. An einem Beispiel (S. 22) - “Ich frage 500 Hörer in der Vorlesung ‘wo ist der Stephansdom? ’ und schätzungsweise 300 Zeigefinger erheben sich und deuten (mit allerhand interessanten Abweichungen) im Raum des Hörsaals” - wird Bühlers dritter Hauptfall deutlich: weder versetzt sich der Sprecher (in diesem Fall die Zeigenden) wie im zweiten Hauptfall noch wird das Zeigobjekt als imaginiertes Objekt wie im ersten Hauptfall im geteilten Wahrnehmungsraum von Sprecher und Adressat lokalisiert. Der Unterschied zur demonstratio ad oculos besteht nur darin, dass das Zeigeobjekt Stephansdom der visuellen Wahrnehmung der im Hörsaal Anwesenden aktuell nicht zugänglich ist (S. 18-22). Frickes Ansatz besteht nun, grob zusammengefaßt, darin, daß Äußerungen lokaler Deiktika und Zeigegesten durch die Zugehörigkeit zu einer deiktischen Dimension bzw. zu einer ihrer Subkategorien, einer deiktischen Reflexionsstufe, einem Zeigmodus und die Zuweisung einer sekundären Origo durch den Sprecher charakterisiert sind. Ausgehend von den drei klassischen Dimensionen der Lokal-, Temporal- und Personaldeixis, wird der Subklassifikation dieser Dimensionen ein Kernbereich zugrunde gelegt, der sich aus der Kreuzklassifikation der Entfernungsstufen (origo-inklusiv vs. origo-exklusiv) mit den Abgegrenztheitsstufen (abgegrenzt vs. nicht-abgegrenzt) ergibt. Origo-inklusiv meint dabei die ‘Nahdeixis’, also diejenige Deixis, bei der das Deixisobjekt die Origo einschließt, im Gegensatz zur origo-exklusiven Deixis, der ‘Ferndeixis’, bei der das Deixisobjekt die Origo nicht einschließt. Daneben nimmt Fricke weitere dimensionsspezifische Differenzierungen an. Sie unterscheidet für die Lokaldeixis sechs Subdimensionen: auf der verbalen Ebene die Raumbereichsdeixis, die Entitätendeixis, die Wegdeixis und die qualitative Deixis, auf der gestischen Ebene die Raumpunktdeixis und die Richtungsdeixis (S. 86-139). Im Gegensatz zu den meisten bisherigen deixistheoretischen Ansätzen, die die Äußerung als deiktischen Verweisraum entweder den Dimensionen oder den Zeigmodi zuordnen, macht Frikke die strikte Unterscheidung zwischen Dimensionen, Zeigmodi und deiktischen Reflexionsstufen. Die Reflexionsstufen werden unterteilt in Metadeixis und Objektdeixis. Auf der Stufe der Metadeixis konstituiert die Äußerung selbst den deiktischen Verweisraum eines Deiktikons, auf der Stufe der Objektdeixis hingegen besteht der Verweisraum aus situativen Kontextelementen, die nicht Bestandteil der Äußerung des Sprechers sind. Eine Deixis am Nichtzeichenraum ist gegeben, wenn das Demonstratum eines verbalen Deiktikons oder einer Zeigegeste mit dem vom Sprecher intendierten Referenzobjekt identisch ist. Wenn das Demonstratum und das intendierte Referenzobjekt auseinander fallen und das Demonstratum vom Sprecher als Zeichen für das intendierte Referenzobjekt interpretiert wird, handelt es sich um eine Deixis am Zeichenraum. Auf der Reflexionsstufe der Objektdeixis ersetzt die Deixis am Nichtzeichenraum den Bühlerschen Begriff der demonstratio ad oculos und die Deixis am Zeichenraum den Begriff der Deixis am Phantasma. Die Metadeixis ist von der Objektdeixis dadurch unterschieden, dass die sekundäre Origo, die der Sprecher in einem origozuweisenden Akt zuweist, in der lokaldeiktischen Metadeixis durch die Position des entsprechenden Verbaldeiktions instanziiert ist. Metadeixis ist nach dieser Konzeption immer eine Versetzungsdeixis. Versetzungen sind Operationen über deiktische Verweisräume und der Konstitution eines deiktischen Verweisraumes nachgeordnet. Es können auf der Stufe der Objektdeixis sowohl verbale als auch gestische Versetzungen stattfinden. Von einer primären Origo ausge- Reviews 380 hend, die der Rolle des Sprechers gegeben ist, werden sekundäre Origines Entitäten zugewiesen, die als Zeichen oder Nichtzeichen interpretiert werden können. Instanzen für sekundäre Origines können der Körper des Adressaten, aber auch der Körper des Sprechers sein. Von Versetzungen ist nur dann die Rede, wenn die sekundäre Origo der relationalen Komponente eines verbalen Deiktikons oder einer Zeigegeste nicht durch den Körper des Sprechers instanziiert ist (S. 139-141). In Kapitel drei wird eine Klassifikation redebegleitender Gesten (S. 222) unter der Berücksichtigung der Zeigegesten entworfen, welche die im zweiten Kapitel eingeführten deixistheoretischen Unterscheidungen berücksichtigt, insbesondere diejenige zwischen einer Deixis am Zeichenraum und einer Deixis am Nichtzeichenraum. Es wird beschrieben, wie deiktische Verweisräume gestisch konstituiert werden. Um die neue Subklassifikation redebegleitender Gesten in den Kontext bisheriger Klassifikationen stellen zu können, werden diese Klassifikationssysteme kritisch diskutiert (cf. Wundt 1900/ 1911, Efron 1941/ 1972, Ekman/ Friesen 1969/ 1981, Freedman 1972 und id. 1975, McNeill 1992, Müller 1998). Die redebegleitenden Gesten werden von anderen Gestentypen wie den emblematischen, pantomimischen und gebärdensprachlichen Gesten abgegrenzt. Die Zeigegeste tendiert einerseits zu den emblematischen Gesten, andererseits sind gewisse Vorkommnisse von Zeigegesten eher den redebegleitenden Gesten zuzurechnen. Fricke schlägt auf der Grundlage des Zeichenbegriffs von Peirce eine Klassifikation der redebegleitenden Gesten vor, deren zentrales Kriterium die Unterscheidung zwischen einem Zeigen auf Zeichen und Nichtzeichen bildet (S. 221). Mit der grundlegenden Unterscheidung zwischen einem Zeigen auf Zeichen und einem Zeigen auf Nichtzeichen lässt sich nicht nur die Klassifikation der Zeigegesten, sondern die der redebegleitenden Gesten insgesamt so rekonstruieren, daß die Widersprüche bisheriger Klassifikationssysteme beseitigt werden. So berücksichtigt Wundt nur die redegegenstandsbezogenen Gesten, verfügt also nicht über den Begriff der diskursbezogenen Geste, in Müllers Teilklassifikation werden Zeigegesten nicht berücksichtigt, bei Efron spielt es bei seiner Abgrenzung zwischen redegegenstands- und diskursbezogenen Gesten eine Rolle, ob die Geste Bezug nimmt auf ein Wahrnehmbares oder ein Vorgestelltes, eine Kreuzklassifikation auf der Grundlage beider Kriterien nimmt Efron nicht vor, deshalb entstehen Lücken in seiner Klassifikation (S. 179). Fricke kann so alle deixistheoretisch relevanten Unterscheidungen für Zeigegesten und auch für ikonische Gesten als Demonstrata erfassen und alle wesentlichen Differenzierungen der bisherigen Klassifikationssysteme in ihr Schema (S. 222) integrieren. Ausgehend von Bühlers Origobegriff sucht das vierte Kapitel Fragen der Anzahl der Origines, der Fixiertheit auf den Sprecher oder der Origohierarchien zu beantworten. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß man nicht nur von einer einzigen Origo, sondern von mehreren Origines auszugehen hat, und daß diese als abstrakte ausdehnungslose Punkte gedacht werden müssen, die nicht auf den Sprecher fixiert sind, sondern auch in andere Entitäten versetzbar sind bzw. mit diesen als Instanzen belegt werden können. Es wird eine hierarchische Struktur angenommen, welche von einer primären Origo verbunden mit der Sprecherrolle ihren Ausgangspunkt nimmt. Mit der primären Origo wird im Rahmen des Sprecherwechsels die Möglichkeit erworben, sekundäre Origines über einen intentionalen Akt der Origozuweisung mit wahrnehmbaren oder vorgestellten Instanzen zu belegen bzw. mit Instanzen, die als Zeichen oder Nichtzeichen interpretiert werden (S. 225-248). Im fünften Kapitel wird das zweite konkrete Problem angegangen, das Raumproblem. In diesem Kapitel wird die klassische Unterscheidung zwischen einer Deixis am Wahrnehmungsraum und einer Deixis am Vorstellungsraum durch die Unterscheidung zwischen einer Deixis am Nichtzeichenraum und einer Deixis am Zeichenraum ersetzt, “da das Kriterium der Wahrnehmbarkeit die den Phänomenen der demonstratio ad oculos und der Deixis am Phantasma eigentlich zugrunde liegende Dichotomie zwischen einem Zeigen auf Zeichen und einem Zeigen auf Nichtzeichen verzerrt” (S. 273). Eine Deixis am Nichtzeichenraum liegt in einer deiktischen Äusserung dann vor, wenn das Demonstratum und das vom Sprecher intendierte Referenzobjekt identisch sind. Bei einer Deixis