eJournals Kodikas/Code 31/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2008
313-4

Kersten Sven Roth & Jürgen Spitzmüller (eds.): Textdesign und Textwirkung in der massenmedialen Kommunikation, Konstanz: UVK (Universitätsverlag Konstanz) 2007, 309 S., ISBN 978-3-89669-601-4

121
2008
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod313-40381
Reviews 381 am Zeichenraum fallen Demonstratum und intendiertes Referenzobjekt hingegen auseinander. Das Demonstratum wird als Zeichen für das intendierte Referenzobjekt interpretiert. Von dieser Unterscheidung ausgehend, klassifiziert Fricke das deiktische Demonstratum für die Objektdeixis innerhalb der Deixis am Zeichenraum danach, ob es flüchtig oder dauerhaft fixiert ist, ob es vorgefunden oder in der Kommunikation erzeugt wird und ob es intersubjektiv wahrnehmbar ist oder nicht. Werden Bestandteile des deiktischen Verweisraumes erzeugt, kann dies durch die Kommunikationspartner separiert oder gemeinsam, zeitlich sukzessiv oder simultan geschehen (S. 249-258). Innerhalb der Metadeixis entspricht die Deixis am Zeichenraum der Textphorik, die Deixis am Nichtzeichenraum der Textdeixis. Der dritte Hauptfall der Deixis am Phantasma nach Bühler ist ebenfalls nach diesen beiden Zeigmodi differenziert. Das erwähnte Beispiel des Zeigens auf den Stephansdom ist als Deixis am Nichtzeichenraum zu interpretieren, da das intendierte Referenzobjekt Stephansdom zwar nicht wahrnehmbar, aber in die gegebene Wahrnehmungsordnung integriert ist, und die Referenz nicht über ein zwischengeschaltetes Demonstratum erfolgt, das als Zeichen für den Stephansdom interpretiert wird (S. 258-264). Der Zeichenaspekt des deiktischen Verweisraumes ist von seinem Formaspekt zu unterscheiden. Unabhängig von seiner Zeichenfunktion kann der deiktische Verweisraum unterschiedliche Formen annehmen. Auf seine Räumlichkeit bezogen unterscheidet Fricke, ob der Sprecher in einen Verweisraum integriert ist, der ihn wie einen Umraum umgibt, oder ob der Verweisraum als Modell in Form eines Behälters vor dem Sprecher liegt, in den der Sprecher nicht integriert ist. Weiter wird der Verweisraum als Modell in kartenähnliche und bildschirmähnliche Modelle unterteilt (S. 264-272). Das Gestenproblem wird in Kapitel sechs angegangen mit dem Ziel, die Frage “Wo ist hier? ” anhand unterschiedlicher Fallbeispiele und auf der Grundlage der Neufassung der Lokaldeixis zu beantworten. Es wird ein breites Spektrum von Beispielen mit ‘hier’ und begleitender Zeigegeste vorgestellt, anhand der Neufassung geprüft und mit anderen bereits bestehenden Ansätzen verglichen. Fricke geht davon aus, dass das Verbaldeiktikon ‘hier’ und die begleitende Zeigegeste erstens unterschiedliche Deixisobjekte bezeichnen und zweitens die verbale Bezugsgröße der Zeigegeste verbal implizit sein kann. Es wurde für die Beispielanalysen von ‘hier’ mit begleitender Zeigegeste eine Unterscheidung zwischen einfachen und komplexen Zeigegesten vorgenommen. Die einfachen Zeigegesten verfügen im Gegensatz zu den komplexen Gesten über keine ikonische Komponente. Mit den einfachen Zeigegesten zeigt der Sprecher entweder auf einen Raumpunkt oder in eine bestimmte Richtung. Mit komplexen Gesten wird eine Entität nicht nur deiktisch lokalisiert, sondern auch ikonisch präsentiert (S. 274-308). Es zeigt sich bei der Analyse der Beispiele für die verschiedenen Vorkommnistypen von ‘hier’ mit begleitender Zeigegeste, dass sich diese Beispiele mit der Neukonzeption der Lokaldeixis beschreiben und erklären lassen. Dies gelingt mit den bisherigen Deixistheorien kaum, da sie weder die Annahme erfüllen, daß das geäußerte ‘hier’ und die begleitende Zeigegeste nicht auf dieselbe Deixisobjektinstanz referieren, noch die Annahme, daß bei einer komplex strukturierten Origo in einem origozuweisenden Akt mindestens zwei lokale sekundäre Origines (verbal, gestisch) durch unterschiedliche Instanzen belegt werden können (S. 305-307). Die Neukonzeption der Lokaldeixis und das von Ellen Fricke vorgeschlagene Klassifikationssystem redebegleitender Gesten stellen einen geeigneten Ausgangspunkt für eine weiterführende Forschung sowohl in der Sprachwissenschaft als auch in der Gestenforschung dar und eröffnet überdies eine erweiterte Forschungsperspektive grundlegender Art, nämlich im Hinblick auf die für die Sprachwissenschaft wichtige Frage, ob es neben der Deixis noch weitere Bereiche gibt, in denen redebegleitende Gesten systemlinguistisch relevant sind. Die Arbeit von Ellen Fricke verfolgt - ganz im Sinne des Programms der Reihe (Linguistik - Impulse und Tendenzen), in der sie erschienen ist - einen anspruchsvollen und innovativen Ansatz in der Deixisforschung. Dies macht die Lektüre auch für den Experten nicht immer leicht, aber er wird belohnt durch die überaus kenntnisreiche, stringent argumentierende und nicht-reduktio- Reviews 382 nistische Darstellung. Ihr Aufbau gibt dem Werk eine übersichtliche Struktur, und die zahlreichen Beispiele, teils in bildlicher Form, helfen auch dem weniger gut eingearbeiteten Leser beim Verstehen ihres Inhalts. Literatur Bühler, Karl [1934] 1982: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Stuttgart/ New York: Fischer Efron, David [1941] 1972: Gesture, Race and Culture, The Hague: Mouton Ehlich, Konrad 1982: “Anaphora and Deixis: Same, Similar, or Different? ”, in: Jarvella & Klein (eds.) 1982: 315-338 Ehlich, Konrad 1983: “Deixis und Anapher”, in: Gisa Rauh (ed.), Essays on Deixis, Tübingen: Narr, 79-97 Ekman, Paul & Wallace V. Friesen [1969] 1981: “The Repertoire of Nonverbal Behavior: Categories, Origin, Usage and Coding”, in: Adam Kendon (ed.) 1981: Nonverbal Communication, Interaction, and Gesture. Selections from Semiotica, The Hague: Mouton, 57-105 Fillmore, Charles J. 1982: “Towards a Descriptive Framework for Spatial Deixis”, in: Robert J. Jarvella & Wolfgang Klein (eds.): Speech, Place and Action: Studies in Deixis and Related Topics, New York: Wiley, 31-59 Fillmore, Charles J. 1997: Lectures on Deixis, Stanford/ CA: CSLI Lecture Notes no. 65 Freedman, Norbert 1972: “The Analysis of Movement Behavior During the Clinical Interview”, in: Aron Wolfe Siegman & Benjamin Pope (eds.): Studies in Dyadic Communication, New York: Pergamon, 153-175 Freedman, Norbert & Irving Steingart 1975: “Kinesic Internalization and Language Construction”, in: Psychoanalysis and Contemporary Science 4 (1975): 355-403 Hanks, William F. 1992: “The Indexical Ground of Deictic Reference”, in: Alessandro Duranti & Charles Goodwin (eds.): Rethinking Context: Language as an Interactive Phenomenon, Cambridge: Cambridge University Press, 43-76 Hanks, William F. 1993: “Metalanguage and Pragmatics of Deixis”, in: John A. Lucy (ed.): Reflexive Language: Reported Speech and Metapragmatics, Cambridge: Cambridge University Press, 127-157 Herbermann, Clemens-Peter 1988: “Entwurf einer Systematik der Deixisarten”, in: id. 1988: 47-93 Herbermann, Clemens-Peter 1988: Modi referentiae: Studien zum sprachlichen Bezug zur Wirklichkeit, Heidelberg: Winter Lyons, John 1980: Semantik, 2 vols., München: C.H. Beck McNeill, David 1992: Hand and Mind: What Gestures Reveal about Thought, Chicago: Chicago University Press Müller, Cornelia 1998: Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte-Theorie-Sprachvergleich, Berlin: Berlin Verlag Sennholz, Klaus 1985: Grundzüge der Deixis, Bochum: Brockmeyer Wundt, Wilhelm 1900/ 1911: Völkerpsychologie: eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte, Leipzig: Engelmann Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Christa Dürscheid & Jürgen Spitzmüller (eds.): Perspektiven der Jugendsprachforschung - Trends and developments in youth language research, Frankfurt/ Main: Lang 2006, 476 S., ISBN 978-3-631- 53734-3 Der Band versammelt einen Teil der Erträge einer Tagung, die die Herausgeber 2005 in Boldern bei Zürich organisiert haben, und er bietet damit einen Überblick sowohl über die generellen Trends der Entwicklung der Jugendsprache während der vergangenen Jahre (z.T. Jahrzehnte) als auch einen Einblick in Schwerpunkte der aktuellen einschlägigen Forschung in diesem Kommunikationsbereich - und zwar nicht nur im engeren Bezirk der germanistischen Jugendsprachforschung im deutschsprachigen Raum, sondern auch in der internationalen Forschung zur Jugendsprache in fünfzehn europäischen, amerikanischen und afrikanischen Ländern. Deshalb enthält der Band auch englischsprachige Beiträge. Die einzelnen Beiträge orientieren sich an vier Leitfagen: (i) Wie reden und schreiben Jugendliche? (ii) Wie manifestiert sich Jugendsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit und Sprachenkontakt? (iii) Welchen Einfluss haben die neuen Kommunikationsmittel auf den Sprachgebrauch? (iv) Wie gestaltet sich der Diskurs über Jugendsprache in der Öffentlichkeit? Insgesamt ist der Band in drei Kapitel gegliedert: a) Sprachgebrauch und Sprachkompetenz; Reviews 383 b) Sprachgebrauch und Identität; c) Jugendsprachen global und lokal. Zu Beginn des ersten Kapitels Sprachgebrauch und Sprachkompetenz geben Christa Dürscheid und Eva Neuland zum einen die nützliche Zusammenfassung der wesentlichen Forschungsfragen nach Methodik, Differenzierung, Einordnung ins Sprachsystem, linguistischem Diskurs und Funktionalität in den letzten beiden Dekaden, zum andern die Erläuterung neuer Fragen nach Formen und Funktionen der Jugendsprache im Kontext von Mehrsprachigkeit, Sprachkontakt und Globalisierung sowie nach der Rolle der neuen technischen Kommunikationsmöglichkeiten. Die Autorinnen gelangen dabei zu dem Fazit, daß Jugendsprache natürlich nichts Homogenes sei, daß aber Gemeinsamkeiten im Sprach- und Kommunikationsverhalten noch genauer untersucht werden müßten, um zu ermitteln, inwiefern Jugendliche ‘anders’ reden und ob dies ein sprachübergreifendes Phänomen ist, wofür die Befunde andernorts derzeit zu sprechen scheinen. Jürgen Spitzmüller zeichnet sodann die Geschichte der sprachkritischen Bewertung jugendsprachlicher Phänomene in Öffentlichkeit und Medien, aber auch bestimmten Teilen der Sprachwissenschaft nach. Da werde immer schon der “Untergang des Abendlandes” beschworen, mit dem angesichts des sprachlichen Verfalls allgemein und besonders bei der Jugend leider zu rechnen sei. Untermauert mit statistischem Material gelangt der Verf. dann freilich zum Schluß, daß Jugendsprache heute in der Öffentlichkeit kaum noch Gegenstand erhöhter Aufmerksamkeit sei, und wenn doch, sei die Wertung nicht mehr überwiegend negativ, vielleicht sogar eher im Gegenteil: sein Material läßt den Verf. auf einen gesellschaftlichen Einstellungswandel zur ‘Jugend’ bzw. ‘Jugendlichkeit’ schließen, der von der linguistischen Forschung noch kaum erfaßt worden sei. In ihrem Rückblick auf Beobachtungen zum Thema, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, gelangt Eva Neuland unter dem Titel “Deutsche Schülersprache heute: total normal” zu dem Schluß, daß Jugendsprache und Schülersprachen als wichtige Entwicklungsphasen in der lebenslangen Sprachsozialisation der vermehrten Aufmerksamkeit der Forschung bedürften. Andere Autoren nehmen im ersten Kapitel Bezug auf die sprachliche Unterrichtssituation. Kersten Sven Roth (Greifswald) interessiert sich für die Möglichkeiten, die Rhetorik als Unterrichtsgegenstand in den Schulen wieder zur Geltung zu bringen. Johannes Volmert (Magdeburg) äußert sich zum Einfluss und Stellenwert jugendsprachlicher Stile für die Kommunikation im Unterricht und entwickelt einen Orientierungsrahmen für Lehrer, wie mit der Schüler- und Jugendsprache angemessen umzugehen sei. Der Beitrag von Ulla Kleinberger Günther und Carmen Spiegel befaßt sich unter dem Titel “Jugendliche schreiben im Internet” mit den schriftsprachlichen und formalen Gepflogenheiten der Online-Sprache (namentlich des ‘Chattens’) von Jugendlichen und haben dabei überraschend wenige eigentliche Rechtschreibe- und Interpunktionsfehler gefunden. Im letzten Beitrag des ersten Kapitels setzt Christa Dürscheid die Beobachtungen zum Verhältnis von Medienkommunikation und Jugendsprache fort und geht dabei besonders auf das ‘Messaging’ ein, das infolge der quasi-synchronen Kommunikation (Rede und Gegenrede) stark unter dem Einfluß der Bedingungen gesprochener Sprache stehe. Interessante Ergebnisse bietet auch das zweite Kapitel des Buches unter dem Titel “Sprachgebrauch und Identität”, in dem sich mehrere Autoren dem Spannungsfeld zwischen Jugendsprache und Identitätsgruppen widmen, wobei sowohl Dialekte und Sprachen als auch Sub- Kultur-Gruppen wie die Hip-Hop-Szene betrachtet werden. Wir erfahren in diesem Abschnitt, wie kommunikative Stile der sozialen Abgrenzung dienen, insbesondere auch am Beispiel einer jugendlichen Mädchengruppe, aus deren Optik dargelegt wird, wie sie die Menschen in ihrer Umwelt mit gruppenspezifischen Bezeichnungen bestimmten Referenzrahmen zuordnen. Anhand von Schülerzetteln wird etwa auch untersucht, wie Jugendliche ihre Interdependenzen und Identitäten konstruieren, wobei der Schriftlichkeit bei der Gruppendefinition eine wichtige Funktion zuzukomme. Gruppenbildung über Sprache kann auch am Beispiel des ‘Kreolischen im Internet’ beobachtet werden, in dem die Dynamik des Identitätsmanagement im Internet eine zunehmend bedeutsame Rolle spiele.