Kodikas/Code
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0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2009
323-4
Das konkrete Hineinschneiden: Eli Roths HOSTEL und der zeitgenössische Horrorfilm
121
2009
Christian Vittrup
Im Kontext einer knappen Diskussion relevanter Positionen des Horrorfilmgenres steht Eli Roths Spielfilm HOSTEL als Repräsentant spezifischer Tendenzen des zeitgenössischen amerikanischen Horrorfilms im Mittelpunkt des folgenden Artikels. HOSTEL erzählt von einer allgegenwärtigen Lust an gewalttätiger Dominanz und entgrenztem Handeln in einer als ideologisch instabil gezeichneten Welt. Mit Rückgriff auf den Film umgebende Paratexte wie Filmtrailer und Plakatmotive wird dargestellt, dass HOSTEL als selbstreflexiver Horrorfilm gelesen werden kann, der das Genre und die Position von Gewalt im Horrorfilm kommentiert. Abschließend wird ein Beispiel der Inszenierung körperlicher Gewalt im Detail analysiert und bezüglich etablierter Genrekonventionen diskutiert.
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Das konkrete Heineinschneiden 399 Abb. 4.4: Joshs Schreie verhallen in den Gängen der alten, verlassenen Fabrik der einleitenden Genrediskussion schon beschriebene Abfolge von Sequenzen erwartet, in denen die gewalttätige Konfrontation mit dem Undenkbaren und Monströsen wiederholt durchgespielt wird und die sich oft durch das auch in der besprochenen Foltersequenz zu beobachtende Nebeneinander von impliziten und expliziten Inszenierungen von Gewalt und Verwundung auszeichnen. Als Höhepunkt solcher Sequenzen erscheint die ‘Wundeinstellung’ zuweilen als Pendant zum ‘Money Shot’ des pornographischen Films (in dem die externe Ejakulation eines männlichen Sexualpartners zu sehen ist), die Konfrontationssequenzen erscheinen den ‘Nummern’ des pornographischen Films vergleichbar, wie sie Linda Williams in ihrer Arbeit zum Pornofilm diskutiert (Williams 1995, 165ff., vgl. auch Meteling 2003). Wie Williams es für den pornographischen Film beschrieben hat, unterbrechen die ‘Nummern’ des Horrorfilms nur scheinbar die Handlung. In ihnen werden vielmehr zentrale Konflikte der erzählten Welt wiederholt durchgespielt, bis der Text zu einer Konklusion kommt. Dennoch unterscheiden sich beide - der pornographische Film mehr, der gewalt- und splatterlastige moderne Horrorfilm doch beträchtlich weniger - von der Ikonographie und Narration konventionellerer Erzählfilme ohne entsprechende ‘Nummern’ (vgl. Meteling 2003). Dementsprechend wird die explizite Inszenierung von Gewalt und Verwundung innerhalb des Genres, die ‘Nummern’ und die ‘Wundeinstellungen’ als (auch buchstäblich) hineingeschnittenes ‘Konkretes’ in verschiedenen Kohärenzzusammenhängen verortet und diskutiert, sei es in Bezug auf das Genre, das Kino oder andere allgemeine kulturelle Kontexte. Ist aus einer Perspektive das konkrete Textmaterial als realisierter und gefilmter Spezialeffekt von Interesse, werden die ‘Wunddarstellung’ und die Quantität von Gewalt im Film andernorts etwa in Hinblick auf Konventionen des Darstellbaren oder auf das Verhältnis von Kultur und Körperlichkeit bezogen betrachtet (vgl. z.B. Köhne/ Kuschke/ Meteling 2005). Mit dem Vergleich zwischen Folterkammer und Horrorfilm verortet H OSTEL diese für den modernen Horrorfilm charakteristische Tendenz zur maximalen Sichtbarkeit und der einhergehenden Überdeterminierung der Verwundung als Befriedigung einer ebenso allgegenwärtigen wie unmoralischen, antizivilisatorischen Lust an Entgrenzung. Wie ernst dem Film diese provokante Selbstverurteilung ist, sei dahingestellt. Indem der Film die Lust der Zuschauer in den monströsen Figuren spiegelt und keinen Protagonisten überleben lässt, der eine positive Identifikation zulassen würde, erscheint das moralische Lehrstück selbst als sadistisches Instrument der Folter. Christian Vittrup 400 Filmographie (chronologisch und alphabetisch) T HE W OLF M AN (USA 1941, George Waggner) B LOOD F EAST (USA 1963, Herschell Gordon Lewis) N IGHT OF THE L IVING D EAD (USA 1968, George A. Romero) S CREAM (USA 1996, Wes Craven) S CREAM 2 (USA 1997, Wes Craven) U RBAN L EGEND (USA/ F 1998, Jamie Blanks) S CREAM 3 (USA 2000, Wes Craven) T HE R ING (USA 2002, Gore Verbinski) H AUTE T ENSION (F 2003, Alexandre Aja) T HE T EXAS C HAINSAW M ASSACRE (USA 2003, Marcus Nispel) W RONG T URN (USA/ Kanada/ D 2003, Rob Schmidt) S AW (USA 2004, James Wan) D AWN OF THE D EAD (USA/ Japan/ F 2005, Zakk Snyder) H OSTEL (USA 2005, Eli Roth) H OSTEL (offizieller dt. Trailer, 2005 [http: / / www.youtube.com/ watch? v=esYsj70HBR8, am 30.07.09]) W OLF C REEK (Australien 2005, Greg McLean) T HE H ILLS H AVE E YES (USA 2006, Alexandre Aja) H OSTEL P ART II (USA 2007, Eli Roth) Literaturverzeichnis Barck, Karlheinz et al. (eds.) 2002: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart/ Weimar: J.B. Metzler Verlag. Borstnar, Nils & Eckhard Pabst & Hans Jürgen Wulff 2008 (2. Auflage): Einführung in die Film- und Fernsehwissenschaft, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft (UTB 2362). Clover, Carol J. 1993: Men, Women and Chain Saws. Gender in the Modern Horror Film, Princeton: Princeton University Press. Genette, Gérard 1992: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/ New York: Campus. Grant, Barry Keith (ed.) 1996: The Dread of Difference. Gender and the Horror Film, Austin: University of Texas Press. Jancovich, Mark (ed.) 2002: Horror. The Film Reader, London/ New York: Routledge. Köhne, Julia & Ralph Kuschke & Arno Meteling (eds.) 2005: Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin: Bertz + Fischer. Krah, Hans (ed.) 2000: All-Gemeinwissen. Kulturelle Kommunikation in populären Medien, Kiel: Ludwig. Krah, Hans & Marianne Wünsch 2002: “Phantastisch/ Phantastik”, in: Barck et al. (eds.) 2002: 198-214. Lotman, Jurij M. 1972: Die Struktur literarischer Texte. München: Wilhelm Fink Verlag. Meteling, Arno 2003: “Wundfabrikation”, f-lm.de (Heft 3, Texte & Essays) (http: / / www.f-lm.de/ ? p=2436, am 27.07.09). Neale, Steve (ed.) 2002: Genre and Contemporary Hollywood, London: British Film Institute Publishing. Pabst, Eckhard 2000: “Is anybody out there? Zur Funktion von Architektur im Horrorfilm”, in: Krah (ed.) 2000: 194-211. Renner, Karl Nikolaus (1983): Der Findling. Eine Erzählung von Heinrich von Kleist und ein Film von George Moorse. Prinzipien einer adäquaten Wiedergabe narrativer Strukturen. München: Fink. Tudor, Andrew 1977: Film-Theorien, Frankfurt am Main: Kommunales Kino Frankfurt. [Hilmar Hoffmann und Walter Schobert (eds.)] Tudor, Andrew 1989: Monsters and Mad Scientists. A Cultural History of the Horror Movie, Oxford/ Cambridge: Basil Blackwell. Tudor, Andrew 2002: “From Paranoia to Postmodernism? The Horror Movie in Late Modern Society”, in: Neale (ed.) 2002: 105-116. Williams, Linda 1995: Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films, Basel/ Frankfurt am Main: Stroemfeld. [Originalausgabe 1989] Das konkrete Heineinschneiden 401 Williams, Linda 1996: “When the Woman Looks”, in: Grant (ed.) 1996: 15-34. Wood, Robin 1986: “The American Nightmare. Horror in the 70s”, in: Jancovich (ed.) 2002: 25-32. Wünsch, Marianne 1991: Die Fantastische Literatur der Frühen Moderne (1890-1930). Definition. Denkgeschichtlicher Kontext. Strukturen, München: Wilhelm Fink Verlag. Rezensionen Busche, Andreas: “Frivole Freude am Knacken der Knochen”, taz - Die Tageszeitung, 29.04.06. Edelstein, David: “Now Playing at Your Local Multiplex: Torture Porn”, New York Magazine, 28.01.06 (http: / / www.nymag.com/ movies/ features/ 15622, am 30.07.09). Friedrich, Florian: “Hostel. Ein Film von Eli Roth”, mannbeisstfilm.de (http: / / www.mannbeisstfilm.de/ kritik/ Eli-Roth/ Hostel/ 63.html, am 30.07.09). Rodek, Hanns-Georg: “Hütet Euch vor Bratislava”, Die Welt, 28.04.06. Anmerkungen 1 Vgl. etwa David Edelstein: “Now Playing at Your Local Multiplex: Torture Porn”, New York Magazine, 28.01.06. 2 Diese Zahlen beziehen sich auf Angaben der auf die Veröffentlichung vergleichbarer Daten spezialisierten Internetseite www.boxofficemojo.com (http: / / www.boxofficemojo.com/ movies/ ? id=hostel.htm, am 07.04.09). 3 Zu den Begriffen Paratext und Epitext im Folgenden siehe Genette 1992. 4 Vgl. etwa Andreas Busche: “Frivole Freude am Knacken der Knochen”, taz, 29.04.06; Hanns Georg Rodek “Hütet Euch vor Bratislava”, Die Welt, 28.04.06. 5 Vgl. etwa Friedrich, Florian: “Hostel. Ein Film von Eli Roth”, mannbeisstfilm.de (http: / / www.mannbeisstfilm. de/ kritik/ Eli-Roth/ Hostel/ 63.html) 6 Zum Konzept des Final Girl siehe vor allem Clover 1993, zur Diskussion dieser Figurenkonzeption siehe Jancovich (2002: 57ff). 7 Ein inhaltlich vergleichbares alternatives Ende fiel bei den Zuschauern der Probescreenings durch: Paxton ermordet in dieser Version nicht den Folterer, er entführt dessen kleine Tochter. Suchend bleibt der Vater auf dem Bahnsteig zurück, während Paxton mit dem schreienden Mädchen in seiner Gewalt davonfährt. 8 Für eine kurze Diskussion der hier zu Grunde liegenden Definition der Selbstreflexivität vgl. Borstnar/ Pabst/ Wulff (2008, 94ff). 9 Eine Auswahl an Plakat- und Covermotiven des Films ist beispielsweise in der Internet Movie Database (imdb.com) zu finden: http: / / www.imdb.com/ title/ tt0450278/ mediaindex, am 03.08.09. 10 Im Gegensatz zum Text des deutschen Trailers, der aus dem englischen Original übersetzt ist, stellt der Untertitel des deutschen Plakats und DVD-Covers eine Neuschöpfung dar. Die Verunsicherung der Grenze zwischen Diegese und außersprachlicher Wirklichkeit findet sich in vergleichbarer Form jedoch auch in den amerikanischen Epitexten, die H OSTEL beigeordnet sind. So impliziert das amerikanische DVD-Cover mit dem Untertitel “Welcome to Your Worst Nightmare” ebenfalls die Infragestellung der entsprechenden Grenze. Auch andere paratextuelle Elemente und andere Paratexte spielen mit dieser Verunsicherung. So findet sich etwa im deutschen Booklet des Films die Behauptung, der Film beruhe insofern auf einem realen Hintergrund, als dass Regisseur Eli Roth von einer nicht belegten Internetseite, auf der von vergleichbaren Vorgängen in Thailand berichtet wurde, zu der Erzählung um die Folterorganisation inspiriert worden sei. Auf diesen vielfältig kolportierten Entstehungsmythos bezieht sich auch der Hinweis im Trailer, der Film sei “n wahren Ereignissen” inspiriert.