eJournals Kodikas/Code 33/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2010
331-2

Uptown Girls and Suburb Pleasures: Gleichgerichtete metaphorische Projektionen bei Shakespeare und in der Pop- und Werbesprache der Gegenwart

61
2010
Martin Siefkes
kod331-20013
Uptown Girls und Suburb Pleasures: Gleichgerichtete metaphorische Projektionen bei Shakespeare und in der Pop- und Werbesprache der Gegenwart Martin Siefkes 1. Gleichgerichtete metaphorische Projektionen Eve Sweetser analysierte in einem Artikel, der 2003 in der Zeitschrift für Semiotik erschien, das System der gleichgerichteten metaphorischen Projektionen im Englischen (Sweetser 2003). Sweetser bezieht sich auf die Metapherntheorie der kognitiven Semantik, die mit dem 1980 erschienenen Buch “Metaphors We Live By” von George Lakoff und Mark Johnson ihren Auftakt nahm und inzwischen als eine der einflussreichsten Metapherntheorien gelten kann. Sie versteht Metaphern nicht zuerst als Erscheinung der Sprache, sondern als kognitive Konzepte, die auf unserem Funktionieren als Menschen in unserer Umwelt beruhen und sich in der Sprache wiederspiegeln. Unser ‘Konzeptsystem’ (“conceptual system”) bestimmt unser Denken und unser Handeln, somit also unser Verständnis der Welt und unsere Interaktion mit ihr: Dieses Konzeptsystem basiert grundlegend auf metaphorischen Strukturen (Lakoff u.a. 1980: 3). Somit bestimmen jene Strukturen, die sie als ‘konzeptuelle Metapher’ (“conceptual metaphor”; ebd.: 4) oder ‘metaphorisches Konzept’ (“metaphorical concept”; ebd.: 7) bezeichnen, in entscheidender Weise unsere Realität. M e t a p h o r i s c h e P r o j e k t i o n e n bestehen in der Abbildung eines gegliederten Wirklichkeitsbereichs auf einen anderen gegliederten Wirklichkeitsbereich (vgl. Lakoff 1987: 276ff, Lakoff u.a. 1989: 4). Ein Beispiel ist die weit verbreitete metaphorische Projektion gut ist oben, schlecht ist unten (vgl. ebd.: 16). Die Funktionsweise metaphorischer Projektionen beruht auf der Abbildung der Gliederung des Quellbereichs in den Zielbereich; im Gegensatz dazu funktionieren gewöhnliche Metaphern wie “Achill ist ein Löwe” für sich allein (ohne etwa den Vergleich anderer Kämpfer mit anderen Tieren zu benötigen, wodurch eine metaphorische Projektion entstehen würde, die die Gliederung des Tierreichs auf die Gliederung der Kämpfer überträgt). Bei vielen metaphorischen Projektionen wird wie im genannten Beispiel eine Skala auf eine andere Skala abgebildet; wir werden jedoch sehen, dass auch andere Gliederungen vorkommen (etwa in der Zentrum/ Peripherie-Metapher). Da es sich um konzeptuelle Metaphern handelt, sind oben und unten hier nicht als Begriffe, sondern als Eigenschaften der Wirklichkeit aufzufassen, für die es viele sprachliche Ausdrücke gibt: So ist die Metapher in dem Satz “In dieser Aufnahme hört man die Künstlerin auf dem Gipfel ihres Könnens” ebenso ein Ausdruck der genannten metaphorischen Projektion wie diejenige in “Nach dem Start des Rennens bildete sich eine Spitzengruppe”: In beiden Fällen wird eine Leistung, die als besonders gut gewertet wird, metaphorisch mit K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Martin Siefkes 14 einer räumlichen Erhöhung ausgedrückt. Umgekehrt werden in den Ausdrücken niedriges Verhalten und Untergang die Bewertung als moralisch “schlecht” sowie die Verschlechterung der Situation durch geringe Höhe bzw. räumliche Absenkung ausgedrückt. Wichtig ist zudem, dass die vertikale Skala, deren Endpunkte oben und unten sind, vollständig als Quellbereich der metaphorischen Projektion zur Verfügung steht: So kann man die Fähigkeiten eines Lernenden mit dem Satz “er hat ein mittleres Niveau erreicht” bezeichnen. In “das ist unter ihrem Niveau” oder “da steh ich drüber” wird die Skala relativ gebraucht. Auch Bewegung auf der Skala ist übertragbar, wie die Ausdrücke “die Qualität sank” oder “er hat sich gesteigert” beweisen. Parallel zur metaphorischen Projektion gut ist oben, schlecht ist unten gibt es eine Reihe von weiteren, die denselben Quellbereich benutzen, um andere Zielbereiche zu gliedern: glücklich ist oben, unglücklich ist unten (“die Stimmung steigt”, “Hochgefühl”, “ich bin in einem Tief”); mehr ist oben, weniger ist unten (“ihr Einkommen ist gestiegen”, “eine hohe Zahl”, “Stell die Heizung herunter”), hoher Status ist oben, niedriger Status ist unten (“er ist ein hohes Tier”, “Aufstieg”, “Obdachlose sind ganz unten in unserer Gesellschaft”, “Oberschicht”, “Unterschicht”). Zusammen genommen bezeichnen Lakoff und Johnson diese Metaphern als Orientierungsmetaphern (Lakoff u.a. 1980: 14-21), wobei sie sich auf die vertikale Dimension als Quellbereich konzentrieren. Zu den Raummetaphern gehören jedoch auch diejenigen Metaphern, die die anderen beiden Raumdimensionen als Quellbereich verwenden: vorne - hinten und rechts - links (vgl. Turner 1991: 68ff, Sweetser 2003: 265). G l e i c h g e r i c h t e t e m e t a p h o r i s c h e P r o j e k t i o n e n nennt Sweetser nun solche Projektionen, bei denen derselbe Zielbereich mit Hilfe verschiedener Quellbereiche gegliedert werden kann. So wird zum Beispiel die Lage, in der sich eine Person gesellschaftlich gesehen befindet, sowohl durch die Vertikalitäts-Metapher als auch durch die Behälter-Metapher (Lakoff u.a. 1980: 29ff, Johnson 1987: 21ff, Lakoff 1987: 271ff) gekennzeichnet, wie Sweetser anhand des Beispiels “down and out” (‘heruntergekommen’; Subst. “down-and-out” - ‘Stadtstreicher’, ‘Penner’) zeigt: Das “down” von “down and out” charakterisiert eine Person metaphorisch als entweder (1) unten in einer sozialen oder finanziellen Hierarchie oder (2) nicht mehr gefestigt in sich ruhend, sondern umgeworfen oder zu “schwach”, um sich als soziale Entität behaupten zu können. Es nimmt also Bezug auf zwei vertikale Schemata und bildet sozioökonomische Verhältnisse ab auf eine Stufenleiter bzw. persönliche sozioökonomische Stabilität auf die selbsttragende aufrechte Haltung des menschlichen Körpers. Geht es bei “up” um Macht, Status und Selbstkontrolle, so betrifft “out” die Gruppenzugehörigkeit. Es verweist auf die Vorstellung, dass eine funktionierende Gesellschaft (oder soziale Gruppe) metaphorisch als Behälter oder abgegrenztes Gebiet verstanden werden kann, aus dem Mitglieder, die nicht vollständig funktionieren, ausgeschlossen werden. Interessant an diesen Metaphern ist das gegenseitige Verhältnis der Übertragungen […]: Derselbe Teil der Gesellschaft, der in der hierarchischen Struktur “unten” steht, befindet sich im horizontalen Modell wahrscheinlich “außen” an der Peripherie. Zwischen Hierarchie und gesellschaftlicher Zentralität oder Anerkennung gibt es in unserer Erfahrung eine starke Übereinstimmung, wodurch sich erklärt, warum man in unserem Gesellschaftsmodell nicht “down and in” sein kann (Sweetser 2003: 264). Die Gleichgerichtetheit verschiedener metaphorischer Projektionen geht auf grundlegende Erfahrungen zurück, die durch unsere Körperlichkeit und die physikalischen Bedingungen des Lebens auf der Erde bestimmt sind. Als Quellbereich für Metaphern bieten sich diese Erfahrungen aufgrund ihrer Alltäglichkeit an: Sie bedingt jene “Anschaulichkeit”, die solchen Uptown Girls und Suburb Pleasures 15 Metaphern zugesprochen wird und die sie geeignet machen, abstrakte Konzepte durch konkrete Erfahrungen (oft Körpererfahrungen) darzustellen. Dies gilt insbesondere für die Orientierungsmetaphern, deren Gleichgerichtetheit lange bekannt ist: Wie bereits Aristoteles schreibt, gehören aufwärts, vorwärts und nach rechts für die Menschen zusammen und stehen damit im Gegensatz zu abwärts, rückwärts und nach links. Sie sind in der Struktur menschlicher Interaktion “positive” Richtungen. Was sich vor uns befindet, können wir sehen (und eventuell genau beobachten) und handhaben im Gegensatz zu den Dingen in unserem Rücken […]. Die rechtshändige Mehrheit der Menschen ist mit der rechten Körperseite besser in der Lage, Gegenstände zu handhaben, als mit der linken, und daher können wir mit der Umwelt rechts von uns besser umgehen als mit der links von uns […]. Außerdem erreichen wir, wenn wir auch oben sind, also aufrecht stehen, die größtmögliche Beweglichkeit und Kontrolle unserer Umgebung, und unsere Kontrollmöglichkeiten verbessern sich zusätzlich, wenn wir größer sind oder höher stehen als die Umgebenden (ebd.: 265). Wichtig ist zudem die Behälter-Metapher, die oft gemeinsam mit Orientierungsmetaphern verwendet wird: Unsere Körper sind […] von Natur aus Behälter und werden auch als solche erfahren. [… U]nsere lebensnotwendigen und verletzlichen inneren Organe sind umgeben und geschützt durch Haut und Fleisch, und sogar durch Behälter aus Knochen: den Schädel, den Brustkorb und das Becken. […] Finger und Zehen, so wichtig sie sind, sind nicht geschützt, und sie sind für das Überleben des Körpers als ganzen auch nicht unbedingt notwendig. Nägel und Haare sind ganz an der Peripherie am äußeren Rand unseres Körpers und in keiner Weise wesentlich für das Weiterleben (ebd.: 266). Diese Überlegung zu unserem Körper als Grundlage der Behälter-Metapher ergänzt Sweetser mit dem Hinweis auf die Anordnung der wichtigeren Teile am oberen Ende des Körpers, mit dem Kopf als ‘Steuerzentrale’ ganz oben und dem Rumpf als Sitz der lebenswichtigen Organe in der Mitte. Sie weist darauf hin, dass wir die Beine, die die untere Hälfte unserer Körperlänge ausmachen, verlieren können, ebenso die Arme oder auch die Ohren, wodurch “oben”, “zentral” und “wichtig” auf dasselbe Ende einer Skala projiziert werden: Der menschliche Körper gibt uns also mit seiner eigenen Struktur wichtige Gründe dafür, das obere Ende seiner vertikalen Erstreckung mit dem Innenraum einer behälterförmigen Struktur und dem Zentrum einer Zentrum/ Peripherie-Struktur in Zusammenhang zu bringen. Die Behälterstruktur ist dabei nicht nur mit der Zentrum/ Peripherie-Struktur verwandt, sondern kann sogar als ein Spezialfall von ihr verstanden werden: Ein Behälter legt eine Zentrum/ Peripherie- Beziehung fest und erhält sie aufrecht, wobei er das zentrale, in ihm enthaltene Gebiet von den peripheren Gebieten außerhalb des Behälters abgrenzt (ebd.: 267). Aus den beschriebenen Eigenschaften unserer Körper und unseres Lebens in der Welt ergibt sich, dass die verschiedenen Skalen bzw. Anordnungen innen - außen, oben - unten, Zentrum/ Peripherie und innerhalb/ außerhalb (eines Behälters oder einer Begrenzung) eindeutig auf die Skalen wichtig - unwichtig bzw. gut - schlecht abgebildet werden können. Daher handelt es sich um gleichgerichtete metaphorische Projektionen, worunter wie oben erläutert solche Projektionen verstanden werden, bei denen derselbe Zielbereich mit Hilfe verschiedener Quellbereiche gegliedert werden kann. Zu beachten ist nun, dass die Zielbereiche wichtig - unwichtig bzw. gut - schlecht keine Gegenstandsbereiche sind, sondern Wertungen darstellen, die fast allen Gegenstandsbereichen zukommen können. Somit kann mit Hilfe der genannten metaphorischen Projektionen eine Gliederung unterschiedlicher Gegenstandsbereiche nach den genannten Wertungen vorgenommen werden. Martin Siefkes 16 2. Shakespeare und die Vorstädte In dem genannten Artikel analysiert Sweetser zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Literatur: das Gespräch zwischen Portia und Brutus in Shakespeares Julius Caesar (II, 1). Sie betont, dass die künstlerische Wirkung der Stelle auf metaphorischen Strukturen beruht (Sweetser 2003: 272). In der Folge untersucht sie diese ausführlich. Von besonderem Interesse ist dabei die Gleichgerichtetheit zwischen der Oben-unten-Metapher und der Zentrum/ Peripherie-Metapher. Nachdem in der ersten Hälfte der Szene eine nächtliche Besprechung der Verschwörer im Haus von Brutus stattgefunden hat, tritt Portia zu Brutus in den Garten hinaus. Sie fordert ihn auf, sie in das Geschehen einzuweihen. Ihre Argumentation stützt sich auf die - natürlich mehr der elisabethanischen Zeit als der Zeit Cäsars zuzuordnende - Vorstellung des ‘einen Fleisches’, zu dem sie durch die Eheschließung geworden seien: Durch diese ist sie ein Teil von Brutus’ Selbst geworden und hat ein Recht, an dem teilzuhaben, was ihn beschäftigt (Julius Caesar, II, 1, 271ff): I charm you, by my once-commended beauty, By all your vows of love, and that great vow Which did incorporate and make us one, That you unfold to me, your self, your half, Why are you heavy, and what men to-night Have had resort to you […] Portia begründet die Forderung, das Geheimnis ihres Mannes zu erfahren, damit, dass sie von Rechts wegen ein Teil des Selbst von Brutus geworden sei. Das Teilen von Tisch und Bett sowie gelegentliches Gespräch reichten jedoch nicht aus, um sie zur Ehefrau des Brutus zu machen (II, 1, 280ff): Within the bond of marriage, tell me, Brutus Is it excepted, I should know no secrets That appertain to you? Am I yourself But, as it were, in sort of limitation, To keep with you at meals, comfort your bed, And talk to you sometimes? Dwell I but in the suburbs Of your good pleasure? If it be no more, Portia is Brutus’ harlot, not his wife. Diese Argumentation wird von einer komplexen metaphorischen Struktur getragen. Dazu gehören die Metaphern Die Ehe ist eine Vereinigung zweier getrennter Hälften in ein Ganzes und Eheleute sind ein Fleisch, die auch einem heutigen Leser geläufig sind. Schon ungewöhnlicher ist die Interpretation, der zufolge Portia als Ehefrau ein Teil von Brutus’ ‘Selbst’ ist. Sie leitet dies aus der Metapher Die Ehe ist eine Vereinigung zweier getrennter Hälften in ein Ganzes ab, indem sie die Begriffe ‘Hälfte’ und ‘Selbst’ parallel setzt, um ihre Vertauschbarkeit zu postulieren: “unfold to me, your self, your half” (II, 1, 274). Diesen Aussagen liegt ein kulturell verankertes System konzeptueller Metaphern zum Selbst zugrunde. Zur Analyse der Metaphern zum Selbst verweist Sweetser auf eine Arbeit von George Lakoff (siehe Lakoff 1996). Ebenso kulturspezifisch sind natürlich die konzeptuellen Metaphern zur christlichen Ehe, die von Shakespeare ohne Weiteres auf vorchristliche Zeiten übertragen werden und Portia als Ausgangspunkt ihrer Argumentation dienen. Da- Uptown Girls und Suburb Pleasures 17 gegen beruhen die gleichgerichteten metaphorischen Projektionen, die wir in Abschnitt 1 untersucht haben, auf dem menschlichen Körper und sind daher kulturübergreifend festzustellen (vgl. Sweetser 2003: 283ff). Für die Struktur der gleichgerichteten Metaphern ist Portias Verweis auf die ‘Vorstädte’ von besonderem Interesse: “Dwell I but in the suburbs / Of your good pleasure? ” (II, 1, 285f). Sweetser verweist dafür auf die Struktur der römischen Stadt, die in entscheidenden Punkten der Renaissance-Stadt ähnelt (Sweetser 2003: 277): Die Vorstädte solch einer Stadt liegen nicht nur an ihrem Rand, sondern auch außerhalb der Stadtmauer, jenseits der Verteidigungslinie um die zentralen religiösen und Verwaltungsbauten. Illegale und schutzlose Gewerbe siedelten sich in der Vorstadt an. […] Die Bordelle befanden sich in der Vorstadt, im antiken Pompeji ebenso wie im London der Renaissance-Zeit. Daraus erklärt sich die nächste Folgerung in Portias Argumentation, die für den heutigen Leser überraschend kommt: “If it be no more / Portia is Brutus’ harlot, not his wife.” (II, 1, 286f) Diese kühne Aussage erklärt sich daraus, dass die Stadt als Quellbereich für die Gliederung des Selbst durch eine metaphorische Projektion verwendet wird. Wenn Brutus seine Frau nicht an den zentralen Bereichen seines Selbst - wozu Portia sein Geheimnis zählt - teilhaben lässt, drängt er sie an die Peripherie dieses Selbst. Während sie als Ehefrau im Zentrum seiner metaphorischen ‘Stadt’ wohnen würde, ist sie damit zu seiner Hure geworden, die in den ‘Vorstädten’ haust und nur dann besucht wird, wenn er Lust dazu hat. Fassen wir zusammen: Die Gleichgerichtetheit der metaphorischen Projektionen ordnet dem Zentrum, das innerhalb der Stadtmauer liegt, bestimmte Institutionen zu, die man als wichtig für die Stadt und moralisch gut wertet (Wohnsitze der Mächtigen, Kirchen oder Tempel, Gerichte und Behörden). An der Peripherie der Stadt, außerhalb der Stadtmauer, befinden sich dagegen die Institutionen, die man als unwichtig für die Stadt und moralisch schlecht wertet (Bordelle, Schlachter, Henker und ‘schmutzige’ Gewerbe). Zusätzlich spielt hier noch die vertikale Zuordnung eine Rolle, die für den heutigen Leser nicht mehr direkt nachvollziehbar ist (Sweetser 2003: 278f): Die (engl.) “suburbs” (‘Vorstädte’) einer befestigten Stadt waren ursprünglich eine (lat.) “sub urbs”, eine ‘Unterstadt’ oder ‘tiefergelegene Stadt’ unterhalb der Mauern des befestigten Bereichs (der sich häufig wie in Rom auf einem oder mehreren Hügeln befand). Aus Gründen sowohl der Sicherheit als auch der Zentralität befanden sich Tempel, Gerichte und die Häuser angesehener Bürger auf den befestigten Hügeln, während Bordelle ins Flachland außerhalb der Stadtmauer ausweichen mussten. Bekanntlich wird Moral, wie bereits erläutert, metaphorisch in die Begrifflichkeit vertikaler Beziehungen gefasst: gut ist oben; schlecht ist unten. In dieser Hinsicht sind das Zentrum/ Peripherie-Modell der Moral und das Oben-unten-Modell deckungsgleich: […] Die moralisch und gesellschaftlich überlegenen Elemente der Gesellschaft sind sowohl zentral als auch auf dem Gipfel der räumlichen Struktur angeordnet. Es ist also eine dritte metaphorische Projektion beteiligt: oben ist wichtig und moralisch gut - unten ist unwichtig und moralisch schlecht. Diese Projektion mit der vertikalen Skala als Quellbereich lässt sich, ebenso wie die Projektionen mit den Quellbereichen Zentrum/ Peripherie und innerhalb - außerhalb, zur Gliederung jedes Gegenstandsbereichs mit Hilfe der Skalen wichtig - unwichtig und moralisch gut - moralisch schlecht verwenden. Somit ist sie diesen Projektionen gleichgerichtet. Martin Siefkes 18 3. Uptown girls and what they’re up to - oder: was passiert, wenn oben außen ist Nachdem wir bislang eine auf bestimmte Aspekte der Metaphernstruktur fokussierte Wiedergabe der Analyse Sweetsers vollzogen haben (deren Ausführlichkeit man mir nachsehen möge, da sie auch eine systematische Fundierung der Begrifflichkeit versuchte), machen wir einen großen Sprung in der Zeit, um das Englisch Shakespeares mit der heutigen Umgangssprache zu vergleichen. 1983 veröffentlichte Billy Joel auf seinem Album An Innocent Man den Song Uptown Girl: 1 Uptown Girl Billy Joel Uptown girl She’s been living in her uptown world I bet she’s never had a back street guy I bet her mama never told her why [5] I’m gonna try for an uptown girl She’s been living in her white bread world As long as anyone with hot blood can And now she’s looking for a downtown man That’s what I am [10] And when she knows what She wants from her time And when she wakes up And makes up her mind She’ll see I’m not so tough [15] Just because I’m in love with an uptown girl You know I’ve seen her in her uptown world She’s getting tired of her high class toys And all her presents from her uptown boys [20] She’s got a choice Uptown girl You know I can’t afford to buy her pearls But maybe someday when my ship comes in She’ll understand what kind of guy I’ve been [25] And then I’ll win […] Hier finden wir das umgekehrte Verhältnis zwischen der Höhe der Stadt und der Zentralität ihrer Lage: “uptown” bedeutet ‘Vorstadt’, “downtown” bedeutet ‘Innenstadt’. Die metaphorischen Projektionen mit den Quellbereichen oben - unten und Zentrum/ Peripherie sind damit auch hier gleichgerichtet, die Anordnung hat sich jedoch im Vergleich mit der von Sweetser analysierten Shakespeare-Passage umgekehrt! Um dies genauer betrachten zu können, sollen die einzelnen Pole der untersuchten Skalen (oben und unten; gut und schlecht) sowie Anordnungen (Zentrum und Peripherie) in der Folge als M e r k m a l e betrachtet werden (zur Merkmalstheorie der Semantik vgl. Geckeler Uptown Girls und Suburb Pleasures 19 1978 und Coseriu u.a. 1981; vgl. als Einführung auch Albrecht 2000: 153-163). Eine vollständige metaphorische Projektion kann vier Merkmale enthalten, zwei im Quellbereich und zwei im Zielbereich (jeweils als Pole einer Skala): gut ist oben - schlecht ist unten. Man beachte, dass bei der sprachlichen Formulierung der Metapher das Merkmal des Quellbereichs Teil des Prädikats ist (als Prädikatsnomen) und das Merkmal des Zielbereichs im Subjekt steht. Die Skala gut - schlecht (als Zielbereich) wird durch die Skala oben - unten (als Quellbereich) metaphorisch charakterisiert: “er ist am Boden”; “sie schwebt in den Wolken”; “Hochgefühl”; “Niederlage”. Die Beispiele bestätigen die These der kognitiven Metapherntheorie, dass es sich um konzeptuelle Metaphern und nicht um ausdrucksbezogene Metaphern handelt: nicht die Ausdrücke oben - unten sowie gut - schlecht werden hier miteinander in Bezug gesetzt, sondern die Konzepte, die wir mit ihnen ausdrücken. Dort, wo die kognitive Metapherntheorie Konzepte einführt, spricht die semantische Merkmalstheorie von Merkmalen: Das Wort “Boden” würde demnach das Merkmal unten enthalten, das Wort “Wolken” das Merkmal oben. Diese Merkmale werden durch die genannte metaphorische Projektion den Merkmalen gut und schlecht zugeordnet, wodurch die metaphorische Bedeutung entsteht. Somit kann man mit Hilfe der Merkmalstheorie unmetaphorisch vorhandene Merkmale eines Wortes (die als Quellbereich für die Bildung einer Metapher verwendet werden können) von Merkmalen trennen, die durch Metaphern einem Wort erst zugeordnet werden (indem sie sich im Zielbereich der gebildeten Metaphern befinden). Doch zurück zum Song von Billy Joel: Wir haben gesehen, dass sich die Merkmalszuordnung umgekehrt hat: Die metaphorischen Projektionen sind auch hier gleichgerichtet, jedoch solcherart, dass in “uptown” oben mit Peripherie, in “downtown” unten mit Zentrum verbunden wird. Genau wie bei “suburb” befinden sich auch hier die Merkmale auf verschiedenen Ebenen: Das Wort “uptown” enthält die Merkmale oben auf der Ausdrucksebene und Peripherie auf der Inhaltsebene, das Wort “downtown” die Merkmale unten auf der Ausdrucksebene und Zentrum auf der Inhaltsebene. Während die Zuordnung zwischen den Merkmalen Höhe und Zentralitätsgrad hier also vertauscht ist, bleibt die Zuordnung des Merkmals Höhe zum Merkmal sozialer Rang gleich: In beiden Anordnungen ist die “hohe Stadt” diejenige, in der die gesellschaftlich Bessergestellten leben, während die “tiefe Stadt” diejenige ist, in der die gesellschaftlich Schlechtergestellten und sogar die “Außenseiter” der Gesellschaft, die “outlaws”, zu Hause sind (die beiden Begriffe stammen erkennbar aus der Zeit, als sich die Ordnung noch nicht umgekehrt hatte und der Wert einer Wohngegend mit ihrer Entfernung vom Zentrum abnahm). Aber die Verhältnisse im Song von Billy Joel sind komplexer. Im Dialog zwischen Portia und Brutus wird klar zum Ausdruck gebracht, dass die ‘Unterstadt’ und ihre Bewohner denen der ‘Oberstadt’ nicht gleichwertig sind, so dass es für Portia einer Beleidigung gleichkommt, wie eine Vorstadtbewohnerin behandelt zu werden. Hier wird also hoch gelegen mit gut und niedrig gelegen mit schlecht verbunden. Diese Gleichsetzung findet in Uptown Girl nicht statt. Vielmehr spielt der Song mit der Frage, in welche Richtung die beiden Skalen gegeneinander auszurichten sind. “I bet her mama never told her why” impliziert, dass die Mutter einige Einwände gegen einen Mann aus der Innenstadt wie den Sprecher des Songs hätte vortragen können; man darf vermuten, dass sie damit im Namen der Gesellschaft sprechen würde, zumindest aber im Namen gutsituierter Eltern in den Vorstädten. Man kann also gleichsetzen: downtown = schlecht - uptown = gut [für gutsituierte Eltern/ die Gesellschaft im Allgemeinen] Martin Siefkes 20 Abb. 1: Semiotisches Quadrat aus “interessant” und “gefährlich”. Doch der Song selbst schließt sich dieser Wertung nicht an. Der Sänger zeigt keine Komplexe über seine Herkunft, sondern gibt verschmitzt zu verstehen, dass er einem ahnungslosen Vorstadtmädchen einiges zu bieten hat. Den Jungs aus der Vorstadt (“her uptown boys”, V. 19), die sich offenbar mit Geschenken um sie bemühen (“all her presents”, V. 19), fühlt er sich überlegen. Er stellt sie in eine Reihe mit den “high class toys” (V. 18) seiner Angebeteten und ist sich sicher, dass beide ihr bereits langweilig werden (“She’s getting tired of”, V. 19). Der Einschätzung des Sängers zufolge gilt also: downtown = interessant - uptown = langweilig [für ein junges, ‘heißblütiges’ (V. 7) Mädchen] Gewöhnlich würde man das Merkmal interessant (man könnte auch attraktiv dafür einsetzen) mit dem generischen Merkmal gut verbinden. In diesem Fall weisen einige Andeutungen des Sängers darauf hin, dass dies vielleicht nicht angemessen ist. So singt er “I bet she never had a back street guy” (V. 2), was darauf hinweisen könnte, dass auch seiner Meinung nach Ärger mit ‘solchen Leuten’ droht, der ein Mädchen beim nächsten Mal vielleicht anders wählen lässt. Die beschriebenen Widersprüche - die sich in weiteren metaphorischen Gegensätzen wie dem ‘good girl’ und dem ‘bad guy’ ausbauen ließen - dienen dazu, die erotische Spannung des Songs aufzubauen. So ist der Gegensatz zwischen den Merkmalen interessant und dem implizierten Merkmal gefährlich für den “downtown man” (V. 8) einerseits sowie zwischen den Merkmalen langweilig (ableitbar aus “tired”; V. 18) und dem implizierten Merkmal sicher für die “uptown boys” die Grundlage des erotischen Paradigmas des Songs. Die beiden Gegensätze a und b kann man als W e r t u n g s d i m e n s i o n e n bezeichnen. Wertungsdimension a berücksichtigt die Anziehung und den Unterhaltungswert der Wohnbereiche sowie, damit assoziiert, der dort lebenden Männer. b berücksichtigt dagegen das Risiko, dass sich mit dem Leben in den Wohnbereichen sowie mit einer Beziehung mit einem von dort stammenden Mann verbindet. a kann somit die “erotische Dimension”, b die “Risikodimension” genannt werden. (Angemerkt sei, dass a und b skalare Gegensätze sind und somit nicht kontradiktorisch, wie es gewöhnlich im semiotischen Quadrat der Fall ist.) Wir verstehen nun, warum der Mann aus der Innenstadt für das Mädchen aus der Vorstadt so attraktiv ist: Sie verbindet ihn einfach mit den Eigenschaften der jeweiligen Wohngegend. Diese ist gefährlich (was ihre Mutter abschreckt und ihr selbst aus genau diesem Grund a b interessant sicher gefährlich langweilig positive Merkmale negative Merkmale „uptown“ „downtown“ Uptown Girls und Suburb Pleasures 21 Abb. 2: Semiotisches Quadrat aus “qualitativ gut” und “moralisch schlecht”. gefällt) und zugleich interessant. Beide Eigenschaften werden auf den Mann aus der Innenstadt übertragen. Ähnlich geht der Sänger selbst vor, wenn er die “uptown boys” mit den “high class toys” des Mädchens parallel setzt: Er geht davon aus, dass ihr diese Jungen ebenso sicher erscheinen wie die Wohngegend, aus der sie kommen, und damit zu bloßen ‘Spielzeugen’ für sie werden. Wir hatten oben gesehen, dass interessant gewöhnlich mit dem generischen Merkmal gut verbunden wird, was für den Song so allgemein aber nicht möglich ist. Gut lässt sich jedoch in qualitativ gut und moralisch gut aufteilen. Der Song legt nahe, interessant mit dem Merkmal qualitativ gut zu verbinden; ergänzt man für gefährlich das Merkmal moralisch schlecht, so erhält man ein weiteres semiotisches Quadrat: Man kann dieses zweite semiotische Quadrat verstehen als eine Bewertung des ersten mit Hilfe der beiden Skalen qualitativ gut - qualitativ schlecht und moralisch gut - moralisch schlecht. Damit erhält man zwei weitere Dimensionen, die “qualitative Dimension” c und die “moralische Dimension” d. Der Song enthält eine Reihe weiterer Merkmale, die sich dem Gegensatz zwischen “uptown” und “downtown” zuordnen lassen. In mehreren Fällen lässt sich ein Merkmal eindeutig einer Seite zuordnen; das gegensätzliche Merkmal tritt jedoch nicht auf. Ergänzt man die fehlenden Merkmale [Angabe in eckigen Klammern], so ergibt sich folgende Merkmalsstruktur: c d qualitativ gut moralisch gut moralisch schlecht qualitativ schlecht positive Merkmale negative Merkmale „uptown“ „downtown“ Martin Siefkes 22 Abb. 3: Gleichgerichtete metaphorische Projektionen in Billy Joels Song “Uptown Girl” V. 20 drückt aus, dass das “uptown girl” - dessen Vorbild, das Model Christie Brinkley Joels zweite Ehefrau wurde - zwischen den beiden Möglichkeiten wählen kann. Die metaphorische Struktur des Textes dient dazu, diese Möglichkeiten in ihrem Kontrast zu erläutern. Der Song von Billy Joel demonstriert, dass das im offiziellen amerikanischen Englisch durchaus noch gebräuchliche “suburb” in der Umgangssprache bereits teilweise durch “uptown” ersetzt wurde. Der Grund dafür dürfte in der Wertungsumkehrung zwischen Innenstadt und Vorstadt liegen, die sich vorwiegend in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogen hat. Durch sie gerät das Wort “suburb” zunehmend in einen Widerspruch zwischen der Zusammensetzung seiner Ausdrucksseite und der Wertung seines Referenten. Genauer gesagt, entfernt sich bei “suburb” die metaphorisch mit dem ersten Teil seines Signifikanten verbundene Bedeutung schlecht, die auf der metaphorischen Projektion oben ist gut - unten ist schlecht beruht, von der kulturellen Wertung des Referenten, den sein Signifikat bezeichnet: die Vorstädte gelten heute vorwiegend als gute Wohnlagen. Zu Shakespeares Zeiten ermöglichte die metaphorische Bedeutung des “sub-“ hingegen noch eine zusätzliche Kodierung der kulturellen Wertung des Referenten, womit der Ausdruck “suburb” als ikonisch und damit als besonders passend für die Vorstädte empfunden werden konnte. Sollte es nicht zu jener ‘Renaissance der Innenstädte’ kommen, die in regelmäßigen Abständen von Stadtpolitikern beschworen wird, doch bislang nicht in allen Fällen erfolgreich war, steht zu vermuten, dass “city center” und “suburb” durch die ins System gleichgerichteter Metaphern besser passenden Ausdrücke “downtown” und “uptown” ersetzt werden. 9 A = Nicht-B B = Nicht-A V.1: uptown (‚Vorstadt‘) - V.8: downtown (‚Innenstadt‘) V.1: up- (‚oben‘) - V.8: down- (‚unten‘) V.18: high class (‚Oberklasse‘) - [lower class (‚Unterklasse‘)] [metaphorisches Gegenstück nicht vorh.] - V.3: back street (‚Seitenstraße‘; ‚zwielichtig‘) [front] (Adj. ‚Vorder-‘, Subst. ‚Vorderseite‘) - V.3: back (Adj. ‚Hinter-‘, Subst. ‚Rückseite‘) V.6: white bread world (europ. Essen; ‚slow food‘; ‚vornehmes Essen‘) - [? hot dog; ? burger (amerik. Essen; ‚fast food‘; ‚gewöhnliches Essen‘)] [cold] - V.7: hot V.6: white - [red], vgl. V.7: blood V.1: girl (‚Mädchen‘) - V.8: man (‚Mann‘) V.19: boy (‚Junge‘) - V.3: guy (‚Kerl‘) V.22: pearls (‚Perlen‘: hier metaphorisch für überflüssigen Luxus) - V.23: ? ship (‚Schiff‘: hier metaphorisch für ehrbaren geschäftlichen Erfolg) V.20: choice (‚Wahl‘); V. 13: she makes up her mind (‚sie entscheidet sich‘) → in ihrer Welt kann man wählen - V.5: try for [sth.] (‚versuchen, etw. zu bekommen‘); V. 25: win (‚gewinnen‘) → in seiner Welt muss man kämpfen V. 20: „She's got a choice“ (‚Sie hat die Wahl‘) Uptown Girls und Suburb Pleasures 23 Über die Gründe der Wertungsumkehrung lässt sich spekulieren. Eine wichtige Rolle dabei hat sicher der Autoverkehr gespielt. Dieser hat dafür gesorgt, dass die Innenstadt heute insgesamt weniger attraktiv ist als das ‘Leben im Grünen’ in den Vorstädten, das etwa ab den fünfziger Jahren (in den USA bereits einige Jahrzehnte zuvor) zu einem neuen bürgerlichen Ideal wurde, welches beispielsweise die Gartenstadtbewegung des frühen 20. Jahrhunderts (Ebenezer Howard) oder Frank Lloyd Wrights Broadacre City-Projekt prägte. Doch auch innerhalb der Innenstadt hat sich die Wertung der Wohnlagen umgekehrt, so dass eine “back street” (V. 3), eine Seitenstraße, heute eine beliebtere Wohnlage als die großen Straßen ist. In Berlin haben beide Entwicklungen zusammen dazu geführt, dass die repräsentativen gutbürgerlichen Wohnungen an großen Durchgangsstraßen (etwa der Bismarckstraße) heute bezogen auf den Quadratmeterpreis zum billigsten Wohnraum der Stadt gehören, während sie im 19. Jahrhundert als Stadtwohnungen für die oberen Schichten erbaut worden waren. 4. Starke Männer, starke Mentholpastillen 4.1 Die metaphorische Struktur eines erfolgreichen Werbespruchs Es hat sich gezeigt, dass metaphorische Projektionen auf verschiedene Art gleichgerichtet sein können; die Art ihrer Gleichrichtung hängt von kulturellen Wertungen und Assoziationen ab, die den Zielbereich gliedern. In diesem Abschnitt wollen wir anhand eines weiteren Beispiels, des Werbespruchs der Marke “Fisherman’s Friend”, untersuchen, wie mit metaphorischen Projektionen noch komplexere Strukturen gebildet werden können. Unter dem Namen “Fisherman’s Friend” werden starke Mentholpastillen vertrieben, die im englischen Fischerstädtchen Fleetwood an der Irischen See produziert werden. Der sehr bekannte deutsche Werbespruch der Marke lautet: Sind sie zu stark, bist du zu schwach. Interessant ist, dass der Slogan weder direkt eine Eigenschaft des Produkts benennt (die Stärke kann höchstens erschlossen werden), noch dieses mit einem Gegenstandsbereich in Verbindung bringt. Zudem wirkt er durch seine Formulierung als Bedingungssatz (entsprechend einer logischen Implikation) abstrakter als ein Aussagesatz: Er legt sich nicht auf einen bestimmten Sachverhalt fest, sondern macht nur eine Aussage über die Relation zwischen zwei Sachverhalten. Verstärkt wird dieser Eindruck der Abstraktion durch den Verzicht auf die Konnektoren “wenn” und “dann”: Das Konditionalverhältnis wird hier durch Verb-Erststellung im bedingenden Satz ausgedrückt. Die logische Form dieses Satzes ist eine Implikation, wobei der bedingende Satz den Vordersatz, der bedingte Satz den Nachsatz bildet. Dass der Werbespruch trotzdem sehr wirkungsvoll ist - er tritt so häufig in abgewandelter Form und ohne Bezug auf das beworbene Produkt auf, dass man von einer beginnenden Idiomatisierung sprechen kann -, liegt an seiner raffinierten metaphorischen Struktur. Er basiert auf mehreren metaphorischen Projektionen, die in unserer Kultur so fest verankert sind, dass sie bei Bedarf automatisch aktiviert werden: (1) hohe Konzentration eines Stoffes ist Stärke - niedrige Konzentration eines Stoffes ist Schwäche (2) große physische und psychische Belastbarkeit ist Stärke - geringe physische und psychische Belastbarkeit ist Schwäche (3) stark ist gut - schwach ist schlecht Martin Siefkes 24 Mit Hilfe von (1) verstehen wir, dass stark im ersten Teil des Slogans metaphorisch die hohe Konzentration des Menthols in den Pastillen ausdrückt. Doch schwach im zweiten Teil des Slogans können wir mit (1) nicht erklären. Eine wörtliche Bedeutung ist unwahrscheinlich, da die körperliche Stärke der angesprochenen Kunden nicht entscheidend sein kann, also kommt (2) zur Anwendung. Eine Paraphrase für die komplexe Metapher des Slogans, zur Verdeutlichung der logischen Struktur in “Wenn-dann”-Form formuliert, könnte daher lauten (vgl. zur Möglichkeit der Paraphrasierung von Metaphern Searle 1979: 96f): ( PAR ) Wenn ihre Konzentration von Menthol zu hoch ist, dann bist du zu wenig belastbar. Zum Verständnis der Werbewirkung des Spruchs ist wiederum (3) entscheidend. Gälte diese metaphorische Projektion nicht in unserer Kultur, könnten die potenziellen Kunden reagieren, indem sie sich fragen, ob die “Fisherman’s Friend” eine zu hohe Dosis von Menthol enthalten. Die Botschaft des Werbespruchs basiert darauf, dass sie an die Leidensfähigkeit ihrer Werbekunden appelliert: ‘Sei keine Memme! ’ Zu schwach zu sein ist wegen (3) keine wünschenswerte Alternative für die Angesprochenen. Das Produkt zeichnet sich laut der Botschaft des Slogans dadurch aus, dass es nur für starke Menschen geeignet ist, und aufgrund von (3) ist die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe begehrenswert. Darauf basiert die p r i m ä r e W e r b e w i r k u n g . Eine zusätzliche Brechung erfährt die Bedeutung dieses komplexen Werbespruchs durch den ironischen Gebrauch der Aufforderung, sich nicht als zu schwach zu erweisen. Schließlich ist wohl jedem klar, dass die Konzentration von Menthol in Bonbons eine Frage des Geschmacks ist - und nicht etwa das endgültige Urteil über die Belastbarkeit eines Menschen spricht! Der ironischen Wirkung liegt eine Hyperbel zugrunde: Die tatsächlich beim Einnehmen einer zu starken Mentholpastille benötigte Standhaftigkeit wird so weit übertrieben, bis sie nicht mehr ernst gemeint sein kann. Der Leser des Slogans erkennt daher sofort, dass dessen wörtlich genommen recht herablassende Haltung ein Spiel mit gesellschaftlichen Klischees darstellt. Indem er die Struktur des “daring” (‘Aufforderung zu einer Mutprobe’) aufnimmt und ironisch auf das Probieren von Drops überträgt, macht der Slogan sich - ganz zeitgemäß - über altmodische Männlichkeitsrituale lustig. “Dieses Image wurde früher auch auf der Internetseite des Herstellers fortgeführt, die eine vielschichtige Veräppelung von Seemannsmythen in Wort, Bild und Ton präsentierte, in der von der Schatztruhe über die steife Brise bis zum Seemannsgarn alle üblichen Versatzstücke der Schiffs- und Fischereiromantik durch den Kakao gezogen wurden.” 2 Die indirekte Formulierung der Werbebotschaft, die auf metaphorisch kodierte gesellschaftliche Klischees zurückgreift und diese ironisch bricht, wobei ihr - beiläufig und ohne jeden direkten Hinweis auf Eigenschaften des Produkts - die Vermittlung der primären Werbebotschaft gelingt, gibt dem Slogan zudem ein hohes kulturelles Prestige. Sein ‘Coolnessfaktor’ lässt sich daran ablesen, dass er gerade bei jungen Menschen gut angekommen ist und seit Jahren in zahlreichen Abwandlungen im Internet kursiert. ‘Coolness’ könnte in diesem Zusammenhang als eine Distanzierung durch Indirektheit der Formulierung analysiert werden, welche eine Verneinung unmöglich macht. Dazu tragen die mehrschichtige Metaphorik, die Ironie und auch die Indirektheit der logischen Form bei: Statt einer einfachen Aussage - einem Assertiv -, der einen bestimmten Sachverhalt als wahr behauptet, wird eine Implikation ausgesagt, die den Zusammenhang zwischen zwei Sachverhalten untersucht und sich nicht auf die einzelnen Wahrheitswerte für sie festlegt. Die s e k u n d ä r e W e r b e w i r k u n g kann darin gesehen werden, dass die beschriebene Art der Formulierung dem Werbespruch jenen ‘Coolnessfaktor’ verleiht, dem hohes gesell- Uptown Girls und Suburb Pleasures 25 Abb. 4: Die verschiebbare Standardmarkierung bei “Sind sie zu stark, bist du zu schwach”. schaftliches Prestige zukommt. Die Lockerheit und der raffinierte Witz des Slogans wird mit dem Produkt selbst assoziiert. Die Ankurbelung des Konsums funktioniert also ohne Assoziation einer positiven Eigenschaft mit dem Produkt - dass dieses besser sei als Konkurrenzprodukte, wird nicht behauptet - über die Assoziation wünschenswerter Eigenschaften (‘Coolness’, Distanzierung durch Indirektheit, Unwiderlegbarkeit) mit der Produktwerbung. 4.2 Verschiebbare Standardmarkierungen Für unser Verständnis gleichgerichteter metaphorischer Projektionen ist von Interesse, dass hier eine zusätzliche Gliederung vorgenommen wird, die für die Erzeugung der Bedeutung des Slogans wesentlich ist: eine verschiebbare Standardmarkierung. Die folgende Graphik verdeutlicht dies: Wie bei jeder Implikation wird für den Fall, dass der Vordersatz falsch ist, gar nichts ausgesagt: der Nachsatz kann dann wahr oder falsch sein, ohne dass die Implikation falsch wird. Ist jedoch der Vordersatz wahr, dann wird die Wahrheit des Nachsatzes ausgesagt; für die Implikation gilt: A B - (A - B). Dabei ist die Besonderheit zu beachten, dass der Vordersatz die subjektive Ansicht des Werbekunden wiedergibt, während der Nachsatz eine andere Ansicht wiedergibt, die als Korrektur durch den Werbeslogan eingeführt wird. Der Slogan fordert also dazu auf, die neue Ansicht zu übernehmen; salopp formuliert: ‘Raff dich auf und erwarte etwas mehr von dir! ’ Entscheidend für die Erzeugung dieser Bedeutung ist das Vorhandensein der verschiebbaren Standardmarkierung. Ohne sie wäre es unverständlich, wie gleichzeitig die Pastillen zu stark und der Kunde zu schwach sein können. Es kann doch, so fragt man sich zunächst, nur eines oder das andere gelten? Dies stimmt tatsächlich aus jeder einzelnen Perspektive; die Verschiebung der Standardmarkierung geschieht beim Perspektivenwechsel zwischen Vorder- und Nachsatz. Sie wäre bei einer als objektiv gültig behaupteten Norm nicht möglich; bei Standards, die subjektiv sein können, erscheint sie plausibel. Die Standardmarkierung als verschiebbar zu bezeichnen, statt einfach von zwei unterschiedlichen Standards zu sprechen, rechtfertigt sich dadurch, dass sie hier für den Kunden 12 Belastbarkeit eines Konsumenten, der der Ansicht ist, dass der Vordersatz zutrifft Anforderung des Produkts schwach Standardmarkierung stark „Sind sie zu stark“ (Vordersatz der Implikation) Konsument ist zu schwach Pastillen sind zu stark Verschiebung Standardmarkierung „bist du zu schwach“ (Nachsatz der Implikation) Konsument ist zu schwach Pastillen sind zu stark Martin Siefkes 26 tatsächlich verschoben wird, sofern dieser den Satz als richtig akzeptiert. Dann ist eben - bei Wahrheit des Vordersatzes - der Nachsatz auch wahr: Der Kunde ist nicht nur aus einer bestimmten Sicht, sondern tatsächlich zu schwach! Er übernimmt die Perspektive des Nachsatzes, durch die die unterstellte Perspektive des Vordersatzes ausgelöscht und ein neuer Standard gesetzt wird. Der Werbekunde wird somit aufgefordert, die Standards für sich selbst höher zu setzen. Dies macht den Werbespruch schwer widerlegbar: Wer ihm mit einem “Nein” widerspricht, sagt damit nur, dass er mit der Standardverschiebung nicht einverstanden ist: er bejaht den Vordersatz und verneint den Nachsatz, womit er sich selbst als Schwächling kennzeichnet, der mit seinen eigenen niedrigen Standards lieber weiterleben möchte, als sich der Herausforderung zu stellen. Die oben erwähnte ironische Brechung erschwert einen Widerspruch gegen den Satz weiter. Selbst wenn ein aufgebrachter Werbekritiker sagte: “Man muss doch gar nicht besonders stark sein, um diese Pastillen zu vertragen! ”, würde er damit nur Gelächter auf sich ziehen. Denn die eigentliche Werbebotschaft verbirgt sich hinter der Ironie, dass man dies selbstverständlich nicht sein muss! Der Slogan sagt gar nichts über “Fisherman’s Friend” aus, wenn man einmal davon absieht, dass er einen hohen Gehalt an Menthol impliziert. Er besagt dafür sehr viel über die Fähigkeit ihrer Werber, einen höchst raffinierten Werbespruch zu kreieren, und ihrer Hersteller, ihr Produkt in seinen tatsächlichen Eigenschaften hinter einem starken Schutzwall zu verbergen: einem Slogan, dessen Werbebotschaft nicht verneint werden kann, weil sie nicht in seinem Inhalt, sondern in seiner Struktur liegt, die auf gleichgerichteten metaphorischen Projektionen beruht. 5. Fazit Die Gleichgerichtetheit von metaphorischen Projektionen, die kulturell verankert ist, ermöglicht es, mit wenigen Worten umfangreiche Bedeutungsstrukturen aufzubauen. Die vorgestellten Beispiele - der bereits von Eve Sweetser analysierte Shakespeare-Dialog, ein Song von Billy Joel und ein Werbespruch - zeigen die weite Verbreitung von gleichgerichteten metaphorischen Projektionen beim kreativen Sprachgebrauch und die Komplexität der Vorstellungen, die mit ihrer Hilfe aufgerufen werden. Darüber hinaus ist deutlich geworden, wie stark diese metaphorischen Projektionen als kulturelle Konventionen wirken, die unser Denken grundlegend bestimmen; die Kehrseite der Leichtigkeit ihres Aufrufs und ihrer ‘Anschaulichkeit’ ist die Allgegenwart dieser Strukturen und unsere Unfähigkeit, ohne ihre Hilfe rasch zu denken. Vor diesem Hintergrund ist die Gleichgerichtetheit metaphorischer Projektionen von besonderem Belang: Diese Zuordnungen bestimmen unsere Assoziationen unterschiedlicher Gegenstandsbereiche miteinander und mit einem System von Wertungen mit einer Starrheit und einem Automatismus, die als dogmatisch zu bezeichnen nicht übertrieben scheint. Die kognitiven Semantiker haben immer wieder betont, dass Metaphern unser Denken prägen und damit unsere Kultur und Lebensweise nachhaltig beeinflussen (Lakoff u.a. 1980: 3ff, Lakoff u.a. 1989: 1-139). Unsere Analyse hat jedoch erwiesen, dass dieser Prozess in beide Richtungen abläuft: Zweifellos gibt es Gründe in der Stadtentwicklung, die die Assoziation der Peripherie der Städte mit dem Merkmal unten (und damit der Wertung schlecht) nicht mehr angemessen erscheinen lässt. Wie grundlegend die gleichgerichteten metaphorischen Projektionen für die Sprachentwicklung sind, zeigt sich darin, dass auch das neue Wort “uptown” eine Gleichrichtung enthält. Uptown Girls und Suburb Pleasures 27 Bei der - bislang nur in Ansätzen erfolgten - Ersetzung von “suburb” durch “uptown” hat sich die Bindung von oben an gut als stärker erwiesen als die Bindung von oben an innen. Der entstehende Widerspruch zu anderen Bereichen, in denen oben nach wie vor mit innen assoziiert wird (z.B. wenn die “Spitzenkräfte” eines Unternehmens dem “innersten Kreis der Macht” zugeordnet werden), bildet allerdings einen Bruch in der Metaphernstruktur, der verhindern könnte, dass sich der Begriff allgemein durchsetzt. Ein weiterer Nachteil von “uptown” in heutiger Zeit gegenüber “suburb” in elisabethanischer Zeit liegt darin, dass der ikonische Aspekt des Ausdrucks weniger ausgeprägt ist: Eine ‘Vorstadt’ ist heute nur im metaphorischen, nicht im wörtlichen Sinn eine ‘Ober’-‘stadt’, während sie damals im metaphorischen und im wörtlichen Sinn eine ‘Unter’-‘stadt’ war. Literatur Albrecht, Jörn (2000), Europäischer Strukturalismus. 2., überarb. Aufl. Tübingen u.a.: Francke. Coseriu, Eugenio und Horst Geckeler (1981), Trends in Structural Semantics. Tübingen: Narr. Geckeler, Horst (ed.) (1978), Strukturelle Bedeutungslehre. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. Johnson, Mark (1987), The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago: University of Chicago Press. Lakoff, George (1987), Women, Fire and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago: University of Chicago Press. Lakoff, George (1996), “Sorry, I’m Not Myself Today: The Metaphor System for Conceptualizing the Self”. In: Gilles Fauconnier und Eve Sweetser (eds.), Spaces, Worlds, and Grammar. Chicago: University of Chicago Press: 91-123. Lakoff, George und Mark Johnson (1980), Metaphors We Live By. Chicago: University of Chicago Press. Lakoff, George und Mark Turner (1989), More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor. Chicago: University of Chicago Press. Searle, John S. (1979), “Metaphor”. In: Andrew Ortony (ed.), Metaphor and Thought. Cambridge GB: Cambridge University Press: 92-123. Sweetser, Eve (2003), “Über gleich gerichtete metaphorische Projektionen in Literatur- und Alltagssprache: Der Dialog zwischen Portia und Brutus in Shakespeares Julius Caesar”. Zeitschrift für Semiotik 25, 3-4: 263-291. Turner, Mark (1991), Reading Minds. The Study of English in the Age of Cognitive Science. Princeton: Princeton University Press. Notes 1 http: / / www.lyricsfreak.com/ j/ joel+billy/ uptown+girl_20072915.html mit Rechtschreibkorrekturen; Einsicht am 8.7.2009. 2 www.fishermansfriend.de; Einsicht am 15.09.06. (Inzwischen wurde die Seite leider verändert und hat ihren ironischen Charakter weitgehend verloren.)