eJournals Kodikas/Code 33/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2010
331-2

Grammatik multicodal: Ein Vorschlag am Beispiel ortsgebundener Schriftlichkeit

61
2010
Mathilde Hennig
kod331-20073
Grammatik multicodal: Ein Vorschlag am Beispiel ortsgebundener Schriftlichkeit 1 Mathilde Hennig 1. Einleitung Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind grammatische Strukturen sprachlicher Zeichen, die - etwa durch die Platzierung auf einem Schild - an einen Ort gebunden sind: Als ein zentraler Gegensatz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit gilt die stärkere Situationsgebundenheit von Mündlichkeit bzw. Situationsentbundenheit von Schriftlichkeit: Beim ‘message parlé’ partizipieren Sprecher und Hörer an der gleichen (außersprachlichen) Situation, im ‘message écrit’ muß der Schreiber für den räumlich getrennten Leser die Situation vermitteln - was nur sprachlich geschehen kann -, jedenfalls auf die Hilfe der Situation für das Verstehen verzichten. (Söll 1974: 14) Es ist offensichtlich, dass dies für die abgebildeten Fälle der Verwendung von Schrift auf Schildern nicht gilt (vgl. Auer 2009/ 2010). Die auf den Schildern verwendeten sprachlichen Zeichen sind in den Handlungskontext des Ortes eingebunden: Die schriftlichen Zeichen sind “essentially linked to the place in which their carriers were erected” (Auer 2009: 32). Das, was Auer “esentially linked to the place” nennt, kann man semiotisch mit dem Begriff der Indexikalität erfassen. Auffällig ist nun, dass die Indexikalität nicht verbal realisiert wird. Eine verbale Realisierung der Indexikalität von Naturwiese nicht betreten würde etwa lauten Diese Naturwiese dürfen Sie nicht betreten. Da die indexikalischen Verweise auf die gemeinte Naturwiese und die angesprochene Person nicht verbal realisiert sind (es handelt sich K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 33 (2010) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Mathilde Hennig 74 also um implizierte Indices), ist die situationale Einbettung der Botschaft unabdingbar. Da wir mit Schildern dieser Art aufgewachsen sind, könnten wir sie zwar prinzipiell auch außerhalb der einschlägigen Orte verstehen, sie büßen dadurch aber ihren Charakter als Bestandteile von Handlungsstrukturen ein (vgl. Kapitel 4). 2 Im vorliegenden Beitrag soll es um die Frage gehen, welche Auswirkungen die Situationseinbettung der Verwendung von Schriftlichkeit auf Schildern, also ihre Ortsgebundenheit, auf die Grammatik dieser spezifischen Verwendungsform von Schriftlichkeit hat. Die hier aufgeführten Beispiele ergeben folgenden ersten Eindruck der Grammatik ortsgebundener Schriftlichkeit: • die Verwendung sprachlicher Zeichen geschieht äußerst sparsam. Schilder kommen mit wenig Text aus; • folglich enthält der Schildtext nur sehr wenige Propositionen, häufig sogar nur eine; • wenn mehrere Propositionen versprachlicht werden, werden diese juxtapositiv aneinandergereiht, auf kohäsive Mittel wird weitestgehend verzichtet; • die Propositionen werden in der Regel nicht finit realisiert, 3 d.h. es überwiegen nominale Strukturen und deontische Infinitive (Deppermann 2006). Man könnte deshalb von einer grammatischen Restringiertheit sprechen: Die Möglichkeiten, die das grammatische System einer Einzelsprache bietet, werden nicht ausgeschöpft, vielmehr werden ausgesprochen wenige grammatische Mittel bevorzugt verwendet. Diese Diagnose wirft die Frage auf, wie diese Restringiertheit zu erklären ist: Warum ist ortsgebundene Schriftlichkeit auf wenige grammatische Muster beschränkt, und warum kommen diese Strukturen häufig ohne verbale Finitheit aus? 4 Die fehlende verbale Finitheit steht ja eigentlich im Widerspruch zur Indexikalität des Schildes. Man könnte zunächst sprachstrukturelle Gründe für die fehlende Finitheit annehmen, da im Deutschen nur so die Möglichkeit gegeben ist, die Entscheidung für eine der beiden Anredeformen zu vermeiden. Das erklärt aber noch nicht, warum der indexikalische Bezug trotz Fehlen einer verbalen Finitheit gegeben ist. Ich vertrete hier die These, dass für die Beantwortung der Frage nach Gründen für die scheinbare grammatische Restringiertheit ein Grammatikbegriff benötigt wird, der sich nicht auf die verbale Codierung beschränkt, sondern das Zusammenspiel des verbalen Codes mit anderen Zeichensystemen (Schilder, Bilder) bzw. semiotisch anders gelagerten Wahrnehmungsräumen (landscapes) erfasst. Bei Überlegungen zu einer semiotisch interaktionalen Grammatik ist zu hinterfragen, ob bzw. inwieweit in der auf die Beschreibung des verbalen Codes ausgerichteten Linguistik etablierte Kategorien auf multicodale Systeme übertragen werden können. Weil das Fehlen verbaler Finitheit als ein besonders auffälliges Merkmal ortsgebundener Schriftlichkeit gelten kann, werden diese Überlegungen hier am Beispiel der Kategorie ‘Finitheit’ ausgeführt. 5 Da der Gedanke der Übertragung linguistisch-grammatischer Kategorien auf andere semiotische Zeichensysteme nicht neu ist, werden in Kapitel 2 Ansätze zur Übertragung des Grammatikgedankens auf nonverbale Zeichensysteme vorgestellt. Kapitel 3 stellt den linguistischen Begriff der Finitheit vor. Dabei wird der Schwerpunkt auf mögliche Anhaltspunkte für eine Übertragbarkeit des Begriffs auf nicht-linguistische Kontexte gelegt. Aus diesen Überlegungen zu einem funktional ausgerichteten Finitheitsbegriff folgt in Kapitel 4 der Erklärungsversuch für die in der Einleitung diagnostizierte grammatische Restringiertheit ortsgebundener Schriftlichkeit. Grammatik multicodal 75 2. Grammatik nonverbaler Zeichensysteme Der Gedanke der Übertragung von für sprachliche Zeichensysteme entwickelten grammatischen Kategorien auf andere Zeichensysteme war eines der Hauptthemen der Semiotik der 1970er und 1980er Jahre, wie Winfried Nöth mit seinem Handbuch der Semiotik belegt. Nöth spricht diesbezüglich von einem “Linguozentrismus” (2000: 478). In Bezug auf die folgenden semiotischen Systeme wurde der Grammatikgedanke verfolgt: 1. Musik (vgl. Nöth 2000: 437); 2. Film (vgl. Nöth 2000: 505 ff.); 3. Bild (vgl. Nöth 2000: 478 ff.). 6 Ad 1: In Bezug auf die Musik interessiert sich die Semiotik für “Berührungspunkte zwischen Sprache und Musik […], die womöglich die Redeweise von einer Grammatik der Musik (Baroni 1983; Powers 1980) rechtfertigen” (Nöth 2000: 437). Wie viele andere linguozentristische Versuche der Übertragung des Grammatikgedankens auf nicht-verbale Zeichensysteme aus den 70er und 80er Jahren sind auch die Überlegungen zu einer Grammatik der Musik stark von Chomskys generativer Transformationsgrammatik geprägt. Richtungsweisend ist Fred Lerdahl und Ray Jackendorffs “A Generative Theory of Tonal Music” (1983). Als Schnittstellen zwischen generativer Transformationsgrammatik und Musiktheorie stellen Lerdah/ Jackendoff “the combination of psychological concerns and the formal nature of the theory” heraus (1983: 5). Bei einer Übertragung von Grundgedanken der generativen Transformationsgrammatik könne es nicht um “superficial analogies” gehen, d.h., laut Lerdah/ Jackendoff mache es wenig Sinn etwa nach “‘parts of speech’, deep structures, transformations, or semantics” in der Musik zu suchen (ebd.). Lerdah/ Jackendoff plädieren vielmehr dafür, Musiktheorie zunächst unabhängig zu modellieren (zentrale Faktoren sind dabei etwa “rhythmic and pitch organization, dynamic and timbral differentiation, and motivic-thematic progresses” (1983: 6)) und anschließend nach Parallelen zu suchen. Die Anwendung der linguistischen Theorie und Methode wird motiviert dadurch, dass “this approach has suggested a fruitful way of thinking about music itself” (ebd). Als wichtigste Parallele arbeiten Lerdah/ Jackendoff “the similarity between the theory of time-span reduction and the theory of prosodic structure” heraus (1993: 329). Während die generative Theorie für Lerdahl/ Jackendoff eher als allgemeiner Rahmen für die Musiktheorie fungiert, gehen andere Musiktheoretiker so weit, Teile der generativen Transformationsgrammatik auf die Musik zu übertragen. So führt Mario Baroni als einen der Gründe für eine ‘musical grammar’ anstelle einer ‘musical theory’ den folgenden an: “[…] grammar - at least as it is conceived here - means the study of generative rules” (1983: 183). Dabei hält Baroni insbesondere die Chomsky’schen Ideen der “hierarchical organization of grammatical levels” und der “generative capacity of grammar” für übertragbar (1983: 184). Baroni betrachtet als zentrale Analyseeinheit auf der Ebene der Mikrosowie der Makrostruktur die ‘phrase’. Auf der Ebene der Mikrostruktur definiert er ‘phrase’ als “an identifiable level superior to that of pitch-class” (1983: 187). Auf der Ebene der Makrostruktur ist ‘phrase’ für Baroni “a structural model in which the last note is the fulfillment of one of the possibilities implied by the first note so that the intervening notes represent the process of realizing the expectations” (1983: 190 f.). Neben dem aus der Anwendung des Phrasenbegriffs folgenden Gedanken, dass Musikstücke in phrases segmentiert werden können, greift Baroni auch den Gedanken der Generierung von Phrasen aus einem Regelsystem und somit den Mathilde Hennig 76 Phrasenbegriff auf: “[…] all the phrases in the repertory can be defined homogeneously as note-groups generated by a single system of rules” (1983: 187). Trotz aller Anleihen an der auf den verbalen Code ausgerichteten generativen Transformationsgrammatik gibt Baroni zu: “[…] the function of transformation in grammar of spoken language ist quite different; in our model, transformation has the task of modifying each phrase, adding certain features in order to complete them” (1987: 188). Ad 2: Die Verwendung des Ausdrucks ‘Syntax’ ist in der Filmtheorie bereits seit Ende der 1920er Jahre üblich (Möller 1981: 248). Ansätze zu einer Grammatik des Films greifen dabei “auf Modelle der neueren Linguistik” zurück (Nöth 2000: 505). So wandten sich die Filmsemiotiker nach einer Orientierung am Saussure’schen Strukturalismus bis Mitte der 70er Jahre den Modellen der generativen Transformationsgrammatik, der Textlinguistik und der linguistischen Pragmatik zu. Karl-Dietmar Möller, auf dessen Arbeit zur Syntax und Semantik in der Filmsemiotik hier exemplarisch zurückgegriffen werden soll, weist von Vornherein darauf hin, dass Beziehungen zwischen sprachlicher und filmischer Syntax auf sehr abstrakter Ebene gesucht werden müssen, weil sprachliche und filmische Syntax grundsätzlich verschieden seien. Er spricht von einer “orchestralen” und “plurisemiotischen” Struktur des Films, die eine “Form der Komplikation syntaktischer Strukturen [ist], die filmspezifisch ist und keine Parallele in den natürlichen Sprachen hat” (1981: 247). In der strukturalistischen Filmsyntax spielt der Begriff ‘Sequenz’ eine zentrale Rolle: “Die Sequenz ist die syntaktische Einheit des Films per excellence und entspricht daher ihrem Status nach, nicht aber in der syntaktischen Form, dem Satz in der Sprache.” (Möller 1981: 249) Als zentrales Problem für die Filmsemiotik ergibt sich folglich die Frage der Segmentierung eines Films in Sequenzen, die in Anlehnung an die Linguistik auch als Syntagmen bezeichnet wurden. Eine Syntagmatik kann aber laut Möller erst der Ausgangspunkt sein, da sie nicht “in die Struktur der Sequenz hinein[geht]” (1981: 250). Möller kritisiert die einseitige Ausrichtung an linguistisch-strukturalistischen Beschreibungskonzepten, die zu einer Art “negativer Linguistik” des Films geführt hat: “[…] die Texte lesen sich gelegentlich so, als fragten sich die Autoren, was der Film, verglichen mit der Sprache, alles nicht ist (hat - kann), statt den Mechanismus der filmischen Kommunikation selbst zu untersuchen” (1981: 251). Dennoch hält Möller den Grammatikgedanken auf den Film übertragbar, wenn dies nicht durch die linguistische Brille geschieht. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass der Film “ein heterogenes semiotisches System” ist: “Solche komplizierten Systeme verwehren sich einem einheitlichen und direkten Zugriff, sie können nicht als ein System beschrieben werden, sondern müssen in der Analyse auf eine Komplikation aus einfacheren Systemen zurückgeführt werden.” (1981: 255) Trotz seiner Kritik an linguozentristischen Darstellungen zur Filmgrammatik hält auch Möller einige linguistische Kategorien für übertragbar auf die Filmgrammatik, insbesondere die ‘Konstituenz’ und ‘Dependenz’. Ad 3: Laut Nöth haben zahlreiche Semiotiker “Homologien zwischen Bildern und Sprache auf der Ebene des Satzes (bzw. der Propositionen) und ihrer Gliederung in Subjekte (Argumente) und Prädikate postuliert” (2000: 479). So wurde etwa in den 1980er Jahren von einer Gliederung des Bilds in zwei Grundeinheiten, Aktanten und Prädikate, ausgegangen. Interessant für die hier verfolgte Fragestellung sind insbesondere solche Bemühungen, die Text- Bild-Beziehungen, also das Aufeinandertreffen zweier semiotischer Systeme, zu erfassen versuchen: “Nach syntaktischen Gesichtspunkten lassen sich die Text-Bild-Beziehungen hinsichtlich ihrer räumlichen Beziehungen in der Bild-bzw. Schreibfläche klassifizieren.” Grammatik multicodal 77 (Nöth 2000: 484). Exemplarisch sei hier auf die Modellierung von Text-Bild-Beziehungen durch Manfred Pfister verwiesen: Dialogues of Text and Image -1 -2 -3 Text and image two separate works Text and image separate elements of one work Text and image integrated elements of one work (a) (b) (c) text as index text as part of the pictorial fiction text as image: “world image” (Pfister 1993: 322) Obwohl Pfisters Typologie Text-Bild-Beziehungen der bildenden Kunst zum Gegenstand hat (am Beispiel von Bildern von Antoni Tapies und Anselm Kiefer), dürfte sie auf weitere Text- Bild-Beziehungen übertragbar sein (vgl. Kapitel 4). Neben Bemühungen zur Erfassung von Text-Bild-Beziehungen findet sich in der Bildsemiotik auch eine Debatte über die Abhängigkeit der semiotischen Systeme voneinander. Während Pfister von einem “dialogue” spricht (1993: 321), vertreten Gunther Kress and Theo van Leeuwen in ihrer “grammar of visual design” eine autonomistische Position: “[…] the visual component of a text is an independently organized and structured message - connected with the verbal text, but in no way dependent on it: and similarly the other way around.” (1996: 17) Es könne deshalb nicht einfach darum gehen, linguistische Theorien und Methoden zu importieren: “We take the view that language and visual communication both realize the same more fundamental and far-reaching systems of meaning that constitute our cultures, but that each does so by means of its own specific forms, and independently.” (ebd.) Kress und van Leeuwen gehen so weit, anzunehmen, dass sprachliche und visuelle Kommunikation deshalb gleiche Bedeutungen ausdrücken, weil die dafür zur Verfügung stehenden Formen unter den gleichen kulturellen Bedingungen entwickelt wurden. 7 Dennoch hat jedes Medium seine eigenen Möglichkeiten und Begrenzungen: “Not everything that can be realized in language can also be realized by means of images, or vice versa.” (ebd.) Mit Einschätzungen dieser Art lösen sich Kress/ van Leeuwen von dem starken Linguozentrismus in der Semiotik. Sprachliche und visuelle Kommunikation werden als gleichberechtigte semiotische Codes angesehen, die durch ihre jeweils eigenen Mittel teilweise ähnliche semantische Relationen ausdrücken: What in language is realized by words of the category ‘action verbs’ is in pictures realized by elements that can be formally defined as vectors. What in language is realized by locative prepositions, is realized in pictures by the formal characteristics that create the contrast between foreground and background. (Kress/ van Leeuwen 1996: 44) Mathilde Hennig 78 Es geht folglich nicht um die Übertragung von linguistischen Beschreibungskategorien auf ein anderes semiotisches System, ‘grammar of visual design’ ist vielmehr als Metapher zu verstehen, die von Parallelen in der internen Strukturiertheit von sprachlicher und visueller Kommunikation ausgeht: “Just as grammars of language describe how words combine in clauses, sentences and texts, so our visual ‘grammar’ will describe the way in which depicted people, places and things combine in visual ‘statements’ of greater or lesser complexity and extension.” (1996: 1) Das Zusammenspiel verschiedener semiotischer Systeme wie etwa sprachlicher und visueller Kommunikation beschreiben Kress/ van Leeuwen mit dem Begriff ‘semiotic landscape’: The place of visual communication in a given society can only be understood in the context of, on the one hand, the range of forms or modes of public communication available in that society, and, on the other hand, their uses and valuations. We refer to this as ‘the semiotic landscape’. The metaphor is worth exploring a little, as its etymology. Just as the features of a landscape (a field, a wood, a clump of trees, a house, a group of buildings) only make sense in the context of their whole environment […], so particular modes of communication should be seen in their environment, in the environment of all the other modes of communication which surround them, and of their functions. (Kress/ van Leeuwen 1996: 33) Offenbar bezieht sich die jüngere linguistische Forschungsrichtung, die sich mit dem Terminus ‘linguistic landscapes’ auf Schriftlichkeit auf Schildern bezieht (vgl. Landry/ Bourhis 1997: 25; Cenoz/ Gorter 2007: 67), nicht auf den Begriff ‘semiotic landscape’, was an der stärker ethnolinguistischen Ausrichtung dieser Forschungsrichtung liegen dürfte. Der kurze Überblick über verschiedene Bestrebungen, linguistische Kategorien auf andere Zeichensysteme zu übertragen, hat erkennen lassen, dass linguistische Kategorien vor allem dann übertragen werden, wenn man von Parallelen zwischen linguistischen Strukturen und den Strukturen anderer Zeichensysteme ausgeht. Dabei steht in der Regel die Erfassung des jeweiligen Zeichensystems im Mittelpunkt des Interesses, d.h., die Verwendung linguistischer Kategorien ist nicht durch ein linguistisches Erkenntnisinteresse motiviert. Offenbar wird auf linguistische Kategorien als Hilfsmittel zur Beschreibung nicht-linguistischer semiotischer Systeme zurückgegriffen, weil die Linguistik über einen differenzierten, über einen langen Zeitraum tradierten Beschreibungsapparat verfügt. Die Frage nach einem möglichen Zusammenspiel von verbalen und nonverbalen Codes spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Zwar liegen Modelle zur Erfassung von Text-Bild-Beziehungen vor, diese beschäftigen sich aber nicht mit der Frage nach spezifischen Ausprägungen des verbalen Codes in einem Text- Bild-Zusammenhang. Der hier zu verfolgende Ansatz knüpft zwar global an der Praxis der Übertragung von linguistischen Kategorien auf nonverbale Zeichensysteme an, unterscheidet sich aber in der Motivation von den vorgestellten semiotischen Ansätzen: Der Ausgangspunkt der hier vorzustellenden Überlegungen ist die linguistische Fragestellung, warum ortsgebundene Schriftlichkeit häufig ohne verbale Finitheitsmarkierungen auskommt. Im Mittelpunkt des Interesses steht also nicht die Beschreibung eines semiotischen Systems unter Zuhilfenahme linguistischer Kategorien, sondern ein linguistisches Phänomen soll im Kontext seines Auftretens in einer semiotic landscape erklärt werden, ausgehend von der Auffassung, dass Schilder ein plurisemiotisches System darstellen, dessen Teilsysteme nicht ohne Rückgriff auf die anderen beteiligten Systeme funktionieren. Im Gegensatz zu den skizzierten semiotischen Ansätzen, in denen der jeweilige Grad des Linguozentrismus eher den Zeitgeist widerspiegelt, handelt es sich hier um einen intendierten Linguozentrismus, d.h., die Beschäftigung mit der Grammatik multicodal 79 Frage nach der Übertragbarkeit linguistischer Kategorien auf nonverbale Zeichensysteme bzw. das Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Zeichensysteme folgt einem linguistischen Erkenntnisinteresse. Eine wichtige Rolle wird dabei die Auffassung von Kress und van Leeuwen spielen, dass Sprache und visuelle Kommunikation gleiche Bedeutungssysteme realisieren. Der Vorschlag der Übertragung linguistischer Kategorien auf das Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Zeichensysteme geht von folgendem Grundsatz aus: Wenn eine linguistische Beschreibungskategorie einen Funktionsbereich erfasst, der auch mit Hilfe eines anderen Zeichensystems oder im Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Zeichensysteme realisiert werden kann, kann diese Beschreibungskategorie zur Erfassung der entsprechenden Funktionalität verwendet werden. Diese Leitidee soll im folgenden Kapitel am Beispiel der grammatischen Kategorie ‘Finitheit’ ausgeführt werden. Zunächst sei aber noch auf den geistesverwandten Ansatz von Ellen Fricke (i.Dr.) verwiesen, die in ihrer in Erscheinung befindlichen Habilitationsschrift “Grammatik multimodal” 8 auf das Zusammenspiel von Gesten und dem verbalen grammatischen System eingeht. Dabei konzentriert sie sich vor allem auf auf den Artikel son 9 folgende Gesten, denen sie Attributstatus zuschreibt, und geht von folgendem Grundsatz aus: Wenn man nun dieselben Strukturen und Funktionen in Gestik und Lautsprache findet, dann lässt eine Umkehrung der Betrachtungsweise den Schluss zu, dass dieselben sprachlichen Strukturen und Funktionen sich zugleich in Gestik und Lautsprache manifestieren […] Gestische Konstituenten kombinieren sich jedoch nicht nur auf der gestischen Ebene zu höheren Einheiten, sondern können auch in lautsprachliche Konstituentenstrukturen integriert werden und dort syntaktische Funktionen übernehmen. (Fricke i.Dr.: 2) 3. Finitheit Die grammatische Kategorie der Finitheit gehört zu den bereits in der grammatischen Tradition der späten Antike etablierten Kategorien: “The term ‘finite’ adopted in European linguistics goes back to the Latin finitus, the perfective participle of the verb finio ‘finish, limit, set bounds to, determine’.” (Nikolaeva 2007: 1). 10 Zwar wurde der Terminus zunächst auf den Bereich der Personalpronomina angewendet (“pronomina finita”, ebd.), rasch hat er sich aber als eine zentrale Beschreibungskategorie des Verbs etabliert: “Following this tradition, most descriptive grammarians think of finitness as a property of a verb.” (ebd.) Heutzutage sind Diskussionen um den Finitheitsbegriff vor allem typologischer Natur: Ist Finitheit eine universale Kategorie? Mit welchen Mitteln wird sie in verschiedenen Sprachen realisiert? (Cristofaro 2007; Nikolaeva 2007) Im Mittelpunkt des Interesses der Finitheitsforschung steht darüber hinaus die Frage, über welche verbalen Kategorien Finitheit zu definieren ist: Nur Person und Numerus? Oder auch Tempus, Modus und Genus verbi? (Vgl. Nikolaeva 2007: 1 f.; Eisenberg 2006: 198) Es soll hier nicht darum gehen, in die typologisch ausgerichtete Debatte um den Finitheitsbegriff einzugreifen. So geht es hier nicht um die Frage, ob Finitheit eine “cross-linguistically relevant categor[y]” ist (Cristofaro 2007: 91), sondern eher um die Frage, inwieweit Finitheit als “cross-constructionally […] categor[y]” angesehen werden kann (ebd.). Mathilde Hennig 80 Ich folge der in funktional ausgerichteten Grammatiktheorien vertretenen Auffassung, dass es sich bei Finitheit und Nichtfinitheit nicht um “internally consistent classes” handelt (ebd.). Finitheit und Nichtfinitheit werden in solchen Theorien häufig angesehen als “scalar categories defined in terms of a variety of properties that may combine in different ways from one construction to another” (Cristofaro 2007: 92). Im Folgenden soll es um die Frage gehen, ob es sich bei den Eigenschaften, die zur Finitheit einer Proposition beitragen, tatsächlich ausschließlich um Eigenschaften verbaler Zeichensysteme handeln muss, oder ob zu den “specific constructions” auch auf Multicodalität basierende Konstruktionen gerechnet werden können. Da es um die Frage einer möglichen Übertragbarkeit des Finitheitsbegriffs auf nichtlinguistische Kontexte gehen soll, stehen funktionale Gesichtspunkte der Finitheit im Mittelpunkt des Interesses. Die folgende funktional-grammatische Definition von Finitheit von Halliday soll den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen bilden: The Finite element, as its name implies, has the function of making the proposition finite. That is to say, it circumscribes it; it brings the proposition down to earth, so that it is something that can be argued about. A good way to make something arguable is to give it a point of reference in the here and now; and this is what the Finite does. It relates the proposition to its context in the speech event. (Halliday 1994: 75) Zwar wendet Halliday seine Begriffsbestimmung nur auf verbale Finitheitsoperatoren an, die funktionale Ausrichtung macht aber eine Übertragbarkeit auf non-verbale Systeme prinzipiell möglich: Zwar verfügen die eingangs aufgeführten Beispiele ortsgebundener Schriftlichkeit nicht über verbale Finitheitsoperatoren, d.h., die Propositionen werden nicht mit verbalen Mitteln im Hier und Jetzt verortet, durch die Platzierung der Propositionen auf Schildern und die Anbringung der Schilder an einschlägigen Orten findet aber eine örtliche und zeitliche Relationierung statt. Mit anderen Worten: Hallidays Definitionsmerkmale treffen zu, obwohl das von Halliday definierte Element nicht vorhanden ist. Es ist deshalb zu überlegen, ob neben den von Halliday definierten verbalen Finitheitsoperatoren auch nicht-verbale Finitheitsoperatoren angenommen werden sollten. Einen Anhaltspunkt für die Annahme von auf verschiedenen Ebenen anzusiedelnden Finitheitsbegriffen bildet die von Utz Maas vorgeschlagene Unterscheidung semantischer und morphologischer Finitheit, mit der er eine terminologische Präzisierung herbeiführen möchte: […] different levels of analysis of finiteness have to be distinguished: - at the syntactic level: semantic finiteness with regard to the interpretation of a sentence construction, - at the morphological level: morphological finiteness with regard to the form of the “wording” of a construction. (Maas 2004: 361) Der im Zusammenhang mit der hier verfolgten Fragestellung viel versprechende Begriff der semantischen Finitheit wird von Maas folgendermaßen bestimmt: Thus, semantical finiteness is related to the utterance and concerns all questions of reference, that is, the mapping of the sentence onto the context of the utterance. In the following this will be called the grounding of the sentence: the grounding sets the consequences for the action, the deictic binding (reference) of the actants of the scenario (arguments of the proposition), and the temporal anchorage of the event or the state designated by the proposition. (Maas ebd.) Grammatik multicodal 81 Die Parallelen zu Hallidays funktionaler Finitheitsdefinition sind verblüffend: In beiden Begriffsbestimmungen spielt die deiktische Verortung einer Proposition im Kontext der Äußerung eine zentrale Rolle. Die Ansätze unterscheiden sich aber in ihrer Ausrichtung: Während Halliday mit dieser Begriffsbestimmung morphologischen Finitheitsoperatoren eine Funktion zuweist, ist mit der Bestimmung von Maas die Annahme einer über die morphologische Ebene hinausgehenden Ebene von Finitheit verbunden. Maas knüpft mit seinem Vorschlag, den Bezug von Sätzen zum Kontext der Äußerung als ‘grounding’ zu bezeichnen, nicht an Langackers ‘grounding’-Begriff an, obwohl auch hier Parallelen vorliegen. Langacker verwendet den Begriff ‘ground’ “for the speech event, its participants, and its immediate circumstances (such as the time and placing of speaking)” (1990: 318). Das grounding beschränkt sich bei Langacker nicht auf den Bereich der Finitheit von Propositionen, sondern er wendet den Begriff auch auf den nominalen Bereich an: 11 It is well-established and uncontroversial that nominals (noun phrases) and finite clauses represent universal grammatical categories with special structural significance. I attribute the distinctive character of these constituents to the fact that they are “grounded”, by which I mean that the profiled entity bears some relationship to the ground in regard to such fundamental issues as reality, existence, and speaker/ hearer knowledge. In the case of English nominals, grounding is effected by articles, demonstratives, and certain quantifiers. […] Likewise, wheras a simple verb (e.g. fall) merely names a type of process, a finite clause (It fell; It may fall; It would fall) profiles a process instance and situates it with respect to the time and immediate reality of the speech event. Tense and the modals effect the grounding of finite clauses in English. (Langacker 1990: 321) Auch hier lassen sich gegenüber der Maas’schen Verwendung des grounding-Begriffs zunächst vorrangig terminologische Unterschiede konstatieren: Maas spricht von den “actants of a scenario”, Langacker von “participants” und “profiled entity”. Bei Maas werden die Mitspieler durch grounding im “context of the utterance” verortet, bei Langacker in der “immediate reality of the speech event”. In beiden Konzepten spielt die temporale Verortung der Proposition eine wesentliche Rolle. Der entscheidende Unterschied in beiden grounding- Konzepten besteht darin, dass Maas grounding zur näheren Bestimmung der semantischen Finitheit, also einer der beiden von ihm angenommenen Finitheitstypen, annimmt, während bei Langacker Finitheit eine Form von grounding ist. Halten wir fest: Funktionale Begriffsbestimmungen von ‘Finitheit’ bieten durchaus Anhaltspunkte für eine Übertragung des Finitheitsbegriff auf nicht-verbale Zusammenhänge. Da der Finitheitsbegriff in der Linguistik geprägt wurde und verwendet wird, ist es nicht verwunderlich, dass die Linguistik sich insbesondere für die Realisierung der in den Begriffsbestimmungen beschriebenen Funktionalitäten durch sprachliche Mittel interessiert. Das schließt aber m.E. eine semiotische Umorientierung auf eine mögliche Realisierung der Funktionalitäten durch andere Zeichensysteme oder auch durch das Zusammenspiel verschiedener Zeichensysteme nicht aus. 4. Finitheit ortsgebundener Schriftlichkeit Auf der Basis der im vorigen Kapitel erfolgten funktionalen Begriffsbestimmung von Finitheit soll nun am Beispiel der Finitheit versucht werden, die Diagnose der restringierten Grammatik ortsgebundener Schriftlichkeit zu erklären. Mathilde Hennig 82 Ausgangspunkt der im Folgenden vorzustellenden Überlegungen zur Finitheit ortsgebundener Schriftlichkeit ist die Einschätzung, dass es sich bei ortsgebundener Schriftlichkeit um ein multicodales System handelt, dessen Bestandteile nicht sinnvoll ohne Rückgriff auf die weiteren beteiligten Codes beschrieben werden können. Multicodalität ortsgebundener Schriftlichkeit bedeutet das Zusammenspiel • des verbalen Codes; • des Schildes; • des Ortes (“geographical space” Auer 2009). Dass Schilder den Status von Zeichensystemen haben, dürfte außer Frage stehen. Die natürliche Welt dagegen wird in der Semiotik in der Regel als nichtsemiotische Welt den Zeichensystemen gegenübergestellt (Nöth 2000: 133 f.). Ich folge hier der Auffassung einer “Semiotisierung der natürlichen Welt”, nach der die natürliche Welt insofern zeichenhaft ist, “als sie von Menschen semiotisiert wird” (Nöth 2000: 134). Das Zusammenspiel zwischen der semiotisierten natürlichen Welt und kulturellen Zeichensystemen bezeichnet Nöth als ‘intersemiotische Relation’: “Die Relation zwischen einer auf diese Weise semiotisierten Natur und den von Menschen konventionell produzierten Zeichen ist eine intersemiotische, denn die Zeichen der natürlichen Welt werden durch kulturelle Zeichensysteme kodifiziert und interpretiert.” (ebd.) Die Annahme einer intersemiotischen Relation lässt sich mit Pfisters Typ (3) des Dialogs von Text und Bild in Verbindung bringen: Schild, Beschriftung des Schildes und Ort der Anbringung des Schildes sind “integrated elements of one work” (1993: 322). Pfister beschreibt diesen Typ als einen Typ, “in which the text is actually inscribed into, or embedded in, the image. Here, the two elements are not only co-present within one work, they have ceased to be spatially separate” (ebd.). Durch die Ausführungen zu verschiedenen Facetten des Finitheitbegriffs in Kapitel 3 dürfte deutlich geworden sein, warum ortsgebundene Schriftlichkeit häufig ohne verbale Finitheitsoperatoren auskommt: Ortsgebundene Schriftlichkeit ist grounded, indem sie • im Hier und Jetzt des Sprechakts verortet ist (wobei der Schwerpunkt auf der lokalen Verortung liegt); • den Sprechakt mit der außersprachlichen Realität verbindet sowie • am Sprecher- und Hörer-Wissen anknüpft. Ortsgebundene Schriftlichkeit kommt häufig ohne Finitheitsoperatoren im verbalen Bereich und auch ohne grounding elements im nominalen Bereich wie Determinative aus, weil der ground (insbesondere der place of speaking) bereits gegeben ist. Eine verbale Relationierung zum Ort muss nicht vorgenommen werden. Das grounding ortsgebundener Schriftlichkeit setzt die Interaktion von Schild, Beschriftung des Schildes und Ort der Anbringung des Schildes voraus. Das zeigt sich besonders deutlich durch den Vergleich von an dafür vorgesehenen Orten angebrachten Schildern mit nicht in Betrieb genommenen oder an einem nicht dafür vorgesehenen Ort angebrauchten Schildern: Grammatik multicodal 83 Das “Achtung Rutschgefahr”-Schild im rechten Bild ist zusammen mit Putzutensilien in eine Ecke gestellt worden. Dadurch wird die Gültigkeit der darauf angebrachten Äußerung zurückgenommen: Die Warnung vor der Rutschgefahr gilt nicht für den Ort, an dem sich das Schild befindet. Ähnliches gilt für das zweite Beispielpaar: Das linke Schild “Naturwiese bitte nicht betreten” befindet sich an einem für ein solches Schild einschlägigen Ort. Im rechten Bild dagegen ist kein Rasen vorhanden, für den die Aufforderung gelten könnte. Die jeweils rechts abgebildeten Beispiele zeigen, dass die semiotisierte natürliche Welt auch Auswirkungen auf kulturelle Zeichensysteme haben kann: Im Falle ortsgebundener Schriftlichkeit setzt die Interpretation des kulturellen Zeichensystems eine sinnvolle Relationierung der kulturellen Zeichen zur natürlichen Welt voraus. Natürlich können wir aufgrund der Konventionalisierung intersemiotischer Schrift-Schild-Beziehungen auch die nicht am dafür vorgesehenen Ort angebrachten Schilder interpretieren, sie sind aber nicht grounded, d.h., es wird keine Beziehung zu den unmittelbaren Umständen der Kommunikationssituation hergestellt. Die als grounded eingestuften Fälle ortsgebundener Schriftlichkeit können im Sinne des am Ende von Kapitel 2 vorgestellten Grundsatzes nun auch als finit eingeordnet werden, da Finitheit nach Langacker eine Form von grounding ist. Darüber hinaus rechtfertigt die Tatsache, dass ortsgebundene Schriftlichkeit die Kriterien der Halliday’schen Finitheitsdefinition erfüllt, die Einordnung als finit. Prinzipiell wäre auch eine Verwendung des Mathilde Hennig 84 Maas’schen Begriffs der semantischen Finitheit denkbar. Da seine Begriffsbestimmung aber auf pragmatischen Konzepten wie ‘Kontext’ und ‘Deixis’ aufbaut, scheint mir eine Einordnung als pragmatische Finitheit angemessener. 12 Es wurde in Kapitel 3 bereits darauf hingewiesen, dass zu den strittigen Fragen der Finitheitsforschung gehört, welche verbalen Kategorien Finitheit ausmachen. Relevant für die hier erfolgende Bestimmung pragmatischer Finitheit scheint mir die folgende Einschätzung von Maas zu sein: “As there are languages that have complex morphology without any marking of person on the (verbal) predicate, sentence modality proves to be the more robust parameter of morphological finiteness […]” (2004: 367). Eine Binnendifferenzierung von pragmatischer Finitheit ortsgebundener Schriftlichkeit scheint in der Tat nur in Bezug auf den Parameter Modalität möglich zu sein. In Bezug auf die Parameter Person und Temporalität ist ortsgebundene Schriftlichkeit unspezifisch, da Adressat der schriftlichen Äußerung stets alle Personen sind, die das Schild wahrnehmen und die schriftliche Äußerung zu allen Zeiten Geltung hat, an denen das Schild an einem einschlägigen Ort platziert ist. Dagegen können in Bezug auf den Satzmodus zwei Handlungsfunktionen unterschieden werden: 1. Aufforderung: Ortsgebundene Schriftlichkeit wird häufig eingesetzt, um zu Handlungen aufzuordern, dieser Typ wird hier durch das Bitte nicht betreten - Beispiel belegt. Dieser Modus wird häufig durch infinite verbale Strukturen realisiert, aber auch nominale Strukturen wie im Rutschgefahr - Beispiel können zu bestimmten Handlungen auffordern. 2. Aussage/ Benennung: Schilder wie das Galeria Kaufhof - Beispiel haben die Funktion, einen Ort zu charakterisieren, zu benennen. Sie treffen also eine Aussage darüber, um was für einen Ort es sich handelt. Neben Schildern auf Gebäuden gehören bspw. auch Ortseingangsschilder zu diesem Typ, aber auch Auers Beispiele von visible dialect (2009). Halten wir fest: Ortsgebundene Schriftlichkeit ist finit, wenn die beteiligten kulturellen Zeichensysteme Schrift und Schild sowie die semiotisierte natürliche Welt eine sinnvolle Einheit bilden. Da der am Ende von Kapitel 2 aufgestellte Grundsatz erfüllt ist, kann der linguistische Finitheitsbegriff auf das beschriebene plurisemiotische System übertragen werden. Durch eine präzisierende Erfassung der vorliegenden Finitheit als pragmatische Finitheit kann der semiotisch umorientierte Finitheitsbegriff von rein verbaler Finitheit abgegrenzt werden. Die auf der Einschätzung einer Interaktion verschiedener semiotischer Systeme basierende Konzeption von Finitheit ist linguistisch relevant, weil sie eine Erklärung für das Fehlen verbaler Finitheit bietet: Das Vorhandensein pragmatischer Finitheit ermöglicht das Fehlen verbaler Finitheit. Insofern kann nicht von einer restringierten Grammatik ortsgebundener Schriftlichkeit die Rede sein, es handelt sich vielmehr um ein plurisemiotisches Funktionieren von Grammatik: Die grammatische Struktur wird hier nicht - wie wir es von Schriftlichkeit im Allgemeinen gewohnt sind - rein verbal realisiert, sondern multicodal. Auf der Basis der bisher aufgeführten Beispiele könnte der Eindruck entstehen, dass die vorgestellten Überlegungen lediglich einzelsprachlich relevant seien. So könnte man zumindest in Bezug auf Beispiele des Typs Aufforderung annehmen, dass das Verzichten auf eine verbale Finitheit durch die strukturellen Bedinungen des Deutschen motiviert ist. So könnte dieser Verzicht in Aufforderungsstrukturen wie Rasen nicht betreten im Deutschen damit zusammenhängen, dass wir im Deutschen über zwei Möglichkeiten des Adressatenbezugs verfügen und dass aus diesem Grunde die deontischen Infinitive hier bevorzugt werden, weil sie diesbezüglich unspezifisch sind und es somit ermöglichen, auf eine Festlegung auf eine der beiden Adressatenformen zu verzichten. Grammatik multicodal 85 Ein kleiner Blick über den einzelsprachlichen Tellerrand zeigt uns aber, dass die Verwendung verbal-finiter-Strukturen auch in anderen Sprachen hier zumindest stark eingeschränkt ist (vgl. Bild). Im Englischen wird auf den Imperativ zurückgegriffen, dessen Status als finite Verbform umstritten ist, Peter Eisenberg beispielsweise betrachtet ihn als Infinitheitskategorie, weil er keine Spezifizierung bezüglich der Kategorie Person aufweist (2006: 194). Im Französischen liegt in Il est defendu zwar ein finites Verb vor, dieses ist aber eingebettet in eine Formel, die den Adressatenbezug neutralisiert, d.h., dieser Satz mag zwar im syntaktisch-morphologischen Sinne finit sein, in funktional-pragmatischer Hinsicht ist er es nicht. Auch das italienische Pendant beinhaltet mit si prega eine unpersönliche Struktur, in der das Finitheitsmerkmal der Person nur morphologisch-syntaktisch gegeben ist. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die hier vorgestellte Auffassung der pragmatischen Finitheit nicht für alle Fälle ortsgebundener Schriftlichkeit in gleichem Maße gilt. Ausgeführt wurden die Überlegungen am Beispiel solcher Schilder, die sich durch ein auffällig geringes Maß an Verbalität auszeichnen. Nun gibt es natürlich auch Schilder mit mehr Text. Auf zwei Beispiele sei hier verwiesen: Bei Beispiel 1 handelt es sich um einen so genannten ‘Stolperstein’, der an Wohnorten von Opfern des Naziregimes angebracht wird. Beispiel 2 ist ein Beispiel des ‘cimitir vesel’ (= lustiger Friedhof) in Sapanþa in der Maramures in Rumänien. Der Grabstein erzählt (in der ersten Person Singular) die Geschichte des an dieser Stelle beerdigten Mannes, der sein Leben lang hart gearbeitet hat, Häuser gebaut hat, zwei Kinder großgezogen hat und nun seinen Hinterbliebenen ein angenehmes Leben wünscht. Auch der Stolperstein weist eine Erzählstruktur auf. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung 1941 in Hadamar vergast worden ist. Durch die Erzählstruktur unterscheiden sich diese beiden Beispiele von den vorher angeführten, die eher benennenden und/ oder argumentativen Charakter haben. Durch den Mathilde Hennig 86 Erzählcharakter büßen die Schilder ihre Indexikalität teilweise ein. Was erzählt wird, hat nur teilweise mit dem Ort zu tun, an dem die Schilder angebracht sind. Die nicht mit dem Ort verbundenen Bestandteile der Erzählung erfahren kein grounding durch ihre Lokalisierung auf dem Schild. Die Finitheit muss hier deshalb verbal hergestellt werden. Paradoxerweise geschieht dies auf dem Stolperstein teilweise durch afinite Konstruktionen. Trotz des Fehlens eines finiten Auxiliars weisen diese einen höheren Grad an verbaler Finitheit auf als der Infinitiv wie im Beispiel “Bitte nicht betreten”. Da das Partizip II in Verbalkomplexen für die Markierung der Abgeschlossenheit verantwortlich ist, reicht hier die afinite Konstruktion für die Verortung des Geschehens in der Zeit. Der Stolperstein weist mehrere Propositionen auf. Diejenige Proposition, die den Stein mit dem Ort, an dem er sich befindet, verbindet, ist durch das Lokaladverb hier als solche gekennzeichnet. Das gilt ebenso für den Grabstein vom lustigen Friedhof Sapanþa. In beiden Beispielen entfernen wir uns mit Hilfe der verbal-finiten Sätze vom Ort des Geschehens. Das Verbale wird zwar jeweils noch mit einem deiktischen Element am Ort verankert (hier), durch die finiten Sätze werden die dargestellten Sachverhalte aber quasi aus dem multicodalen System herausgelöst, der verbale Code wird auf seine eigenen Füße gestellt. Die verbale Finitheit bewirkt hier eine Art pragmatisches degrounding. Ausblick Die Überlegung, linguistische, für die Beschreibung des verbalen Codes entwickelte grammatische Begriffe auf das Zusammenspiel verbaler und nonverbaler Codes zu übertragen, wurde hier am Beispiel der Kategorie Finitheit ausgeführt. Erweiterungen dieser Überlegung sind in zweierlei Richtung möglich: 1. Übertragung der Grundidee auf weitere multicodale Systeme; 2. Übertragung weiterer grammatischer Kategorien auf multicodale Systeme. Ad 1: Ortsgebundene Schriftlichkeit ist nur ein Beispiel für die Beteiligung des verbalen Codes an einem multicodalen System. Als ein weiteres Beispiel kann mensch-technik/ objektinteraktionsbasierte Kommunikation gelten (Göpferich 1995, Hennig 2010), die einen hohen Anteil an deontischen Infinitiven und anderen handlungsbezogenen Verweisstrukturen aufweist. Auch das Zusammenspiel von Text-Bild-Elementen auf Webseiten (vgl. Schmitz 2006) könnte als Gegenstand von Untersuchungen zur Grammatik multicodaler Systeme dienen. Ad 2: Hier wurde die grammatische Kategorie Finitheit als Beispiel für die Illustration der Grundidee gewählt, weil das häufige Fehlen verbaler Finitheit ein besonders augenscheinliches Merkmal ortsgebundener Schriftlichkeit ist. Es ist aber auch denkbar, das Zusammenspiel der verschiedenen Codes in ortsgebundener Schriftlichkeit oder anderen multicodalen Systemen mithilfe weiterer Begriffe aus der Grammatik zu erfassen, sofern der Grundsatz gilt, dass der durch die Kategorie erfasste Funktionsbereich realisiert wird. Dabei kann, wie hier erfolgt, das Fehlen einer verbalen Markierung als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Übertragung der Kategorie auf ein multicodales System dienen: Wenn eine für monocodale verbale Äußerungen besonders relevante grammatische Kategorie in multicodalen Systemen nicht durch den verbalen Code realisiert wird, stellt sich die Frage, wie die durch die Kate- Grammatik multicodal 87 gorie erfasste Funktionalität anderweitig hergestellt wird. Auffallend an den hier aufgeführten Beispielen ortsgebundener Schriftlichkeit ist bspw. auch die stärker kategoriale als relationale Organisation, sodass sich die Frage stellt, mit welchen Relationsbegriffen die Relationen zwischen den verbalen und anderen beteiligten Codes erfasst werden können. Neben vom Fehlen einer verbalen Markierung ausgehenden Fragestellungen könnten aber auch grundlegendere Fragen verfolgt werden wie beispielsweise die Frage, ob und wenn ja inwiefern das Kompositionalitätsprinzip hier greift. 13 Literatur Auer, Peter 2009: Visible Dialect. In: Hovmark, H. / Stampe Sletten, I. / Gudiksen, A. (Hrsg.), I mund og bog. 25 artikler om sprog tilegnet Inge Lise Pedersen på 70-årsdagen d. 5. juni 2009. Kopenhagen: Nordisk Forskningsinstitut, 31-46. Auer, Peter 2010: Sprachliche Landschaften. Die Strukturierung des öffentlichen Raums durch die geschriebene Sprache. In: A. Deppermann / A. Linke (Hrsg.), Sprache intermedial - Stimme und Schrift, Bild und Ton. 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Feilke (2010) am Beispiel von “HUNDE ANLEINEN SCHAFE”. 3 Da die Termini ‘afinit’ und ‘infinit’ im Deutschen bereits auf verbale Konstruktionen bzw. Formen festgelegt sind, spreche ich hier von ‘nicht finit’, um auch verblos realisierte Propositionen damit erfassen zu können. Ich verwende den Begriff in Anlehnung an die typologische Finitheitsforschung, die ‘Finiteness’ und ‘Nonfiniteness’ unterscheidet (vgl. Kapitel 3). 4 In dieser Formulierung ist die Doppeldeutigkeit von ‘verbal’ (A: das Verb betreffend, B: sprachlich) durchaus intendiert. 5 Natürlich ist ortsgebundene Schriftlichkeit nicht völlig frei von finiten Formen, wie die Beispiele von Auer (2010) belegen. Es wird hier nicht der Anspruch erhoben, alle in Frage kommenden grammatischen Strukturen ortsgebundener Schriftlichkeit zu erfassen und zu charakterisieren, sondern der Schwerpunkt wird auf das eine oben erwähnte besonders auffällige Merkmal gelegt. In Kapitel 4 wird aber auch auf Beispiele von ortsgebundener Schriftlichkeit mit finiten verbalen Strukturen eingegangen. 6 Auf die Diskussion zur Grammatik der Gebärdensprache (Nöth 2000: 383 f.) wird hier nicht eingegangen, da diese nicht als nonverbale Zeichensysteme im engeren Sinne angesehen werden, da sie zentrale Eigenschaften gesprochener Sprachen teilen (Nöth 2000: 379). Ohnehin ist die neuere Multimodalitätsforschung stark semiotisch geprägt, vgl. bspw. Kress/ van Leuwen (2001); Jewitt (2009). 7 Evidenz bietet Angelika Linkes These, dass die Parallelen zwischen dem Abbau hypotaktischer syntaktischer Strukturen und der Einzug von mehr Bescheidenheit in die leibliche Kommunikation (Gestik, Kleidung, Körpersprache) im 18. Jahrhundert kein Zufall sei (Linke 2010). 8 Dass Ellen Fricke von ‘Multimodalität’ und nicht von ‘Multicodalität’ spricht, tut der Geistesverwandtschaft keinen Abbruch, sondern spiegelt lediglich eine andere Priorisierung wider: Im Vordergrund steht bei ihr das Vorhandensein mehrerer Sinnesmodalitäten, ‘multicodale Grammatik’ dagegen fokussiert den semiotischen Aspekt. 9 Zu son als Artikel sieheHole/ Klumpp (2000) sowie Canisius (2004). 10 Vgl. auch Maas (2004: 362), der darüber hinaus darauf hinweist, dass ‘Finitheit’ schulgrammatisch tradiert ist. 11 Die auf diese Weise herausgestellte Gemeinsamkeit des nominalen und verbalen Bereichs könnte der Grund dafür sein, dass der Finitheitsbegriff über den Terminus ‘definit’ auch heute noch ein Anwendungsfeld im nominalen Bereich aufweist. 12 Maas selbst bezeichnet ‘semantische Finitheit’ als “pragmatic category of the analysis of utterances” (2004: 381). 13 Für hilfreiche Kommentare danke ich Winfried Nöth.