eJournals Kodikas/Code 33/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2010
331-2

Peter Gendolla & Jörgen Schäfer (eds.): The Aesthetics of Net Literature. Writing, Reading and Playing in Programmable Media, Bielefeld: transcript 2007, 388 S., ISBN 978-3-89942-493-5

61
2010
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Peter Dängeli
kod331-20169
Reviews 169 zentrale Triebfeder des Menschenwerdens” betrachte (S. 28). Für die Autorin ist ‘Handschrift’ nicht nur eine Schrift, die mit der Hand geschrieben wird, von Hand gefertigt sind auch die Einritzungen in Baumrinden oder die gestempelten Hieroglyphen der mesopotamischen Schriftkultur. Auch den Hieroglyphen der Rosette liegen zwei Basisoperationen zugrunde. Eine Schreibtechnik ist das Ritzen, Stechen oder Graben von Inschriften mit einem Stilus, der sich eindrückt (daher glujein = ritzen). Die andere - und dabei kommt die ‘Spur’ der Handschrift ins Spiel - trägt Schreibflüssigkeit auf eine Schreiboberfläche auf und erzeugt damit Aufschriften (S. 75). Diese Unterscheidung ist grundlegend, wenn man der historischen Evolution der Handschrift folgen will: Handschrift als ‘Spur’ gehört zu den Aufschriften, Handschrift als ‘Abdruck’ zu den Inschriften in Pyramiden, Tempeln oder Grabanlagen. So begründet sich der Unterschied zwischen dauerhaften “monumentalen” (monere = bedenken) Inschriften und “dokumentarischen” (docere = unterrichten) Aufschriften. Anhand dieser Differenzierung beschreibt Neef die Entwicklung der sinaitischen, phönizischen, griechischen und etruskischen Schrift sowie die Entstehung der Kurrentschrift, der Majuskel- und Minuskelschrift. Ein anderes Kapitel widmet die Autorin der Beschreibung der historischen Evolution von Schreibtechniken, stellt den Übergang von traditionellen Schreibtechniken auf Papyrus über moderne wie den Buchdruck bis zu den digitalisierten wie beim Word-Prozessor dar und erläutert die Entwicklung zur Industrie- und Mediengesellschaft, die nach Schnelligkeit, Ästhetik und Effektivität beim Schreiben verlangt. Die Frage nach Handschrift und Schriftkultur gewinnt ohne Zweifel an Bedeutung im Kontext der heutigen globalisierten und technisierten Mediengesellschaft. Das Interesse an der Medienkultur, an ihrer Transformation und Materialität, gehört auch zu einem der dynamischsten Forschungsgebiete der Diskursanalyse. Lesenswert ist das Buch für jeden, der ein kritisches Verständnis von Schriftkultur erstrebt, es weckt Lust darauf, nicht nur wieder einmal in eine der klassischen Studien zur Schriftentwicklung (wie Haarmann 1991 oder Robinson 1996) zu schauen oder zeichentheoretisch gegründete Reflexionen über Schriftkultur (wie die hier nicht zitierte gründliche Studie von Stetter 1997) heranzuziehen, sondern selbst wieder zum Füllfederhalter zu greifen und ‘eigenhändig’ Linien zu ziehen und ein paar Zeilen zu schreiben. Literatur Daniels, Peter T. & William Bright (eds.) 1996: The World’s Writing Systems, New York/ Oxford: Blackwell Haarmann, Harald 1991: Universalgeschichte der Schrift, Frankfurt/ New York: Campus Robinson, Andrew 1996/ 2004: Die Geschichte der Schrift, Bern: Haupt; Düsseldorf: Albatros Stetter, Christian 1997: Schrift und Sprache, Frankfurt/ Main: Suhrkamp Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Peter Gendolla & Jörgen Schäfer (eds.).: The Aesthetics of Net Literature. Writing, Reading and Playing in Programmable Media, Bielefeld: transcript 2007, 388 S., ISBN 978-3-89942-493-5 Mit dem hier zu besprechenden Band über The Aesthetics of Net Literature geben der Sprecher des hochproduktiven kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs Medienumbrüche der Universität Siegen, Peter Gendolla, und sein Kollege Jörgen Schäfer zum zweiten Mal gemeinsam einen Band der gleichnamigen Schriftenreihe heraus, die ihrerseits bereits 24 Bände umfaßt und der Untersuchung von Veränderungen des Mediensystems zu Beginn des 20. Jahrhunderts und im Übergang zum 21. Jahrhundert gewidmet ist. Der vorliegende 16. Band dieser Reihe ging aus einer vom Kolleg im November 2004 in Siegen durchgeführten Konferenz über “Netzliteratur. Umbrüche in der literarischen Kommunikation” hervor und versammelt 17 Beiträge, die zum Zwecke internationaler Wahrnehmung überwiegend ins Englische übertragen wurden. Ihnen gemeinsam ist das Interesse an (Um-) Brüchen der ‘literarischen Kommunikation’ in computerisierten, vernetzten Medien. Computer können längst nicht mehr im Sinne überkommender Kommunikationsmodelle der Publizistikwissenschaft als einfache Kanäle der Nachrichtenübermittlung gelten, sondern greifen in den Pro- Reviews 170 zess der Generierung von Inhalten hinein. Mit dem Terminus Netzliteratur bezeichnen die Herausgeber Texte, denen explizit rekursive Prozesse zwischen Mensch und Maschine zugrunde liegen. Die traditionelle Einteilung und Hierarchisierung der Literaturwissenschaften in Autor, Werk und Leser wird damit herausgefordert. Die neuen Medien begünstigen Schreibprozesse, in denen diese Rollen neu verteilt werden und sich auch überlagern können (cf. Hess-Lüttich 2003, id. 2006). Die damit aufgeworfenen Fragestellungen werden vor allem im ersten Teil des Bandes behandelt, der mit Approaches and Terminologies überschrieben ist. Die drei folgenden Teile (Typologies, Histories, and Case Studies; Playable Literature; Stories and Games) spannen eine Debatte auf zwischen ludologischer und narratologischer Perspektive auf Formen digitaler Literatur. Beispiele aus dem Feld digitaler Literatur versammeln sich in den abschließenden Sektionen (Writing and Programming; Practical Examples), die anhand von Praxisbeispielen zeigen, wie Erkenntnisse der Analyse von Netzliteratur in den Bereichen Bildung, Theater und Geschäftskommunikation genutzt werden können. Unter dem Titel “Playing With Signs. Towards an Aesthetic of Net Literature” entwickeln Peter Gendolla und Jörgen Schäfer in ihrem den ersten Teil einleitenden Beitrag ein allgemeines Modell rechnergestützter und vernetzter Kommunikation. Gesucht wird dabei nach Gemeinsamkeiten, die es rechtfertigen, in verschiedenen Medienkonstellationen den übergreifenden Begriff der Literatur zu verwenden. Sie wollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten, die durch verschiedene Produktions-, Distributions- und Rezeptionsmethoden entstehen. Dazu greifen sie auf die Medientheorie von Hartmut Winkler und die Cybertext-Theorie von Espen Aarseth zurück. Kennzeichnend für digitale Literatur und ihre Textualität seien “recursive loops on and between different levels and actants” (S. 23) und “reciprocal connections between ‘authors’, ‘works’, and ‘readers’” (S. 24 f.). Das Spektrum literarischer Produktion reiche in diesem Kontext von netzwerkgestützter Mensch-Mensch-Kooperation über teilautomatisierte Mensch- Maschinen-Kommunikation bis zu kaum präzise auflösbaren Produktionskomplexen (Mensch- Maschine-Mensch-Maschine-usw.). Das zuerst technisch formulierte Modell, das für jede computerisierte Kommunikation stehen kann, wird in der Folge um den Aspekt der Literarizität erweitert. Literatur als Sprach-Kunst unterscheide sich nämlich von der Alltagssprache dadurch, daß sie (wie schon die Prager Schule wußte) den Sprachgebrauch de- oder ent-automatisiere (S. 27) through distancing, exhibiting irony, and by using effects of alienation, i.e. through playing with utilitarian processes of communication, thereby creating […] aesthetic difference that always is a difference in perception by observing itself, thereby simultaneously distancing itself from becoming merely utilitarian. Literatur wandle sich aber auch mit dem und durch das Medium, in dem sie geschaffen und erfahren wird. Das Medium schreibe sich gleichsam immer mit in die Inhalte ein. Besonders sichtbar würden solche Prozesse in der Domäne der Netzliteratur, wo der Text als dynamisches Produkt erst mit der Lektüre entsteht. Durch die rekursiven Prozesse wird aus dem Rezipienten, einer traditionell relativ passiven Rolle, ein aktiver Nutzer, der die Entstehung des Textes steuert. Genauer widmet sich dann Roberto Simanowski der Rolle des Rezipienten in seinem Beitrag über “Holopoetry, Biopoetry and Digital Literature. Close Reading and Terminological Debates”. Ausgehend von den (schon in seinem Buch zum Thema beschriebenen) Charakteristika digitaler Literatur wie Interaktivität, Intermedialität, Performanz und Meta-Reflexivität (cf. id. 2002), fordert er einen neuen hermeneutischen Ansatz, der die Flüchtigkeit digitaler Medien berücksichtigt. An die Stelle einer linguistischen Hermeneutik solle eine Hermeneutik intermedialer, interaktiver und performativer Zeichen treten. Nicht die Wortbedeutung allein verdiene Beachtung, sondern auch die performative Bedeutung des Wortes im jeweiligen Medium und als Reaktion auf Aktivität des Rezipienten (S. 48). Eine breite Palette an Beispielen digitaler Literatur ergänzt diese Überlegungen. Es wird dabei deutlich, daß viele digitale Projekte Grenzfälle darstellen, die je nach Kontext verschiedene Rollen spielen können. Systematische Rückschlüsse auf das Leserverhalten können aus diesem Grund nur begrenzt erfolgen. Terminologische Probleme nimmt Frank Furtwängler in seinem Beitrag “Human Practice. Reviews 171 How the Problem of Ergodicity Demands a Reactivation of Anthropological Perspectives in Game Studies” ins Visier, insbesondere den Ausdruck ergodicity, den Aarseth in seinem Buch Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature (1997) in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich eingeführt hatte und der in der Folge die in Entstehung begriffenen game studies maßgeblich beeinflußte. Furtwängler analysiert, wie das aus der Physik stammende Konzept der Ergodizität auf den Bereich der Cybermedien transferiert wurde und kommt dabei zu dem Schluß, daß der Begriff nur mit Vorsicht gebraucht werden dürfe, weil sich zu viele Aspekte des physikalischen Konzeptes von den zu beschreibenden Beobachtungen im literarischen Feld unterscheiden. Mit dem Beitrag über “The Problem of Form. Transitoire Observable, a Laboratory for Emergent Programmed Art” beschließt Philippe Bootz den ersten Teil des Sammelbandes. Bootz setzt sich eingehend mit der Trias ‘Autor / Werk/ Leser’ auseinander, wobei er ein ausdifferenziertes Modell entwickelt. Auch für ihn bestimmt der Leser das Leseerlebnis (S. 90): The reader is a partner. He has a special role to play in the work. His reading no longer remains outside of the work. Through its dark moments, its failures, its shortcuts, its questionings, and its great place of non-meeting, the reading activity fully participates in the work, it is a process of the work, it is an intrinsic component of the work. Wenngleich das Modell die Flüchtigkeit der digitalen Medien berücksichtigt, erklärt es nicht, wie die Autorintention in Netzliteratur konkret umgesetzt werden kann. Die meta-rules, welche in diesem Bereich angesiedelt sind, bleiben eher unscharf definiert. Eine bemerkenswerte Sammlung von Beispielen experimenteller deutscher Texte vom Barock bis zur Gegenwart präsentiert Jörgen Schäfer im seinem Beitrag “Gutenberg Galaxy Revis(it)ed: A Brief History of Combinatory, Hypertextual and Collaborative Literature from the Baroque Period to the Present.” Durch diese Texte, die für frühere ‘Medienumbrüche’ stehen können, schafft Schäfer eine fundierte Grundlage, auf der sich neue Entwicklungen beurteilen lassen. Friedrich W. Block löst sich in seinem Beitrag über “Humor - Technology - Gender. Digital Language Art and Diabolic Poetics” von den technischen Bedingungen der vernetzten Kommunikation und leitet aus zwei Beispielen, die etablierte Gender-Semantiken humorvoll ausschlachten, sieben poetologische Thesen ab, deren eine (die fünfte) besagt, daß “all art in movement tends towards humour” (S. 171). Kunst, die sich jeden Humor verbiete, erscheine geradezu ideologieverdächtig. Der Beitrag zeigt, inwieweit Netzkunst auch ein probates Mittel für Gesellschaftskritik sein kann. Mela Kocher verbindet in ihrem Beitrag “The Ludoliterary Circle. Analysis and Typology of Digital Games” Interaktivität, narrative Modi und Perspektive der Rezipienten zur Typologie des ludoliterary circle. Netzliteratur - womit hier Computerspiele gemeint sind - können danach auf den Achsen dynamisch-statisch, mimetischdiegetisch und internextern verortet werden. In einer deskriptiven Analyse, die schlüssig wirkt, aber unter Umständen auch zu anderen Resultaten führen könnte, ordnet Kocher die Genres Adventure-Spiele, Hyperfiktion, Interaktive Filme, Gesellschaftssimulationen und Online-Rollenspiele jeweils einer Position auf dem ludoliterary circle zu. Kochers Typologie beschränkt sich bewußt auf einen relativ überschaubaren Bereich interaktiver Texte. Durch die Abstraktion einzelner Aspekte ist - auf Kosten der präzisen Verortung der Texte - eine Einteilung möglich, welche die einander entgegenstehenden Positionen von Ludologisten und Narrativisten berücksichtigt. Diese Positionen werden in den beiden folgenden Teilen durch je zwei Aufsätze repräsentiert. Inwiefern Computerspiele digitale Literatur sind, ist durchaus umstritten. Die Position der Ludology vertritt Markku Eskelinen in seinem Beitrag über “Six Problems in Search of a Solution. The Challenge of Cybertext Theory and Ludology to Literary Theory.” In Computerspielen präsentiere sich eine fundamental andere Situation als in linearer Literatur (S. 179): In short, in literature we may have to configure in order to be able to interpret, but in games we have to interpret in order to be able to configure and proceed from the beginning to the winning or some other situation. Die Analyseinstrumente der Literaturwissenschaft sind aus diesem Blickwinkel für die Ana- Reviews 172 lyse von Computerspielen unzulänglich. Nützlicher erscheint Eskelinen die cybertext theory. In Anbetracht der 576 unterschiedlichen Positionen, die diese Theorie offeriert, ist deren Anwendbarkeit freilich auch zu bezweifeln. Noah Wardrip-Fruin stellt unter dem Titel “Playable Media and Textual Instruments” fest, daß nicht alles, was gespielt werden kann, auch ein Spiel ist. Weil der Begriff der Interaktivität zu weit gefaßt sei, schlägt er vor, Spielbarkeit als Aspekt zu verwenden, der verschieden stark ausgeprägt sein könne (S. 221). Wardrip-Fruin stellt neben weiteren Beispielen spielbarer Texte zwei eigene interessante Projekte vor aus einem Bereich, der sich in absehbarer Zeit noch weiter öffnen dürfte. Der narratologische Ansatz der Computerspielforschung wird ebenfalls durch zwei Beiträge vertreten. Marie-Laure Ryan geht in “Narrative and the Split Condition of Digital Textuality” davon aus, daß es eine Kluft zwischen Mainstream- Computerspielen und spielerischen literarischen Experimenten gebe, die nur von einem kleinen akademischen Publikum wahrgenommen würden. Die große Mitte des kulturellen Spektrums blieb bislang von solchen Formen unberührt. Ryan glaubt, daß durch verstärkte Narrative digitaler Texte dieser Graben eingeebnet werden könne. Problematisch ist dabei, daß sich im interaktiven Kontext stringente Narrativität nur schwer herstellen läßt. Neben den von ihr analysierten Spielen Myst und The Sims, die zu beträchtlichen Teilen auf vorgegebene Schemata zurückgreifen, entstanden in den letzten Jahren internetbasierte Spielwelten wie Secondlife. Auch wenn deren Attraktivität bereits stark nachließ (vielleicht weil die durch die bloße Koexistenz der Avatare geschaffenen Narrative zu banal sind), erreichten sie doch eine verhältnismäßig große Streuung. Diese Entwicklungen könnten den Aufsatz durchaus fruchtbar ergänzen. Der Beitrag von Fotis Jannidis über “Event- Sequences, Plots and Narration in Computer Games” beschäftigt sich mit Massive Multiplayer Role Player Games. Ausgehend von der Forderung, daß für jedes Medium eigene Erzähltheorien geschaffen werden sollten, definiert Jannidis drei Ebenen, die hinsichtlich der Narration zu beachten seien, nämlich die Sequenzen der Spieleraktivitäten, die durch das Spiel vorgegebene Ereignisfolge und die Abfolge chronologisch geordneter und kausal verknüpfter Ereignisse. Dieser Ansatz stößt indes spätestens dort an Grenzen, wo sich Medien nicht mehr klar voneinander trennen lassen. Der Beitrag von Jean-Pierre Balpe, “Principles and Processes of Generative Literature. Questins to Literature”, setzt sich mit ‘generativer Literatur’ auseinander, d.h. mit Literatur, bei der ein Text aus spezifischen Wörterbüchern anhand formaler Regeln durch den Computer zusammengestellt wird. Vergleichbar der Auffassung von Bootz bilden sich Texte für Balpe erst durch den Lesevorgang. Der Autor ist vorrangig Meta-Autor, der zu definieren versucht, wie Literatur für ihn beschaffen ist, und diese Konzeption formell beschreiben will (S. 309). Literarische Aktivität wird mit Spiel verbunden, die traditionelle Geisteshaltung im Grunde herausgefordert. Loss Pequeño Glazier, Forscher und Dichter, illustriert in “Code, Cod, Ode. Poetic Language & Programming or Pequeño Lector / Klein Leser: Es gibt (See)lachsfilet? ”, welche Funktionen Leerstellen und mehrdeutige Wörter haben können. Ähnlich den Arrays wie sie Programmiersprachen kennen, kann die Bedeutung der Summe aller Teile eines Objekts größer sein als die Summe an sich. Wie es der Titel des Beitrags andeutet, können solche Verknüpfungen auch sprachübergreifend geschaffen werden. Im letzten Teil bieten Laura Borras Castanyer, Susanne Berkenheger und Thomas Kamphusmann Practical Examples, indem sie Anwendungen vernetzter Texte beschreiben und Schnittstellen zu andern Disziplinen markieren. Insgesamt liefert der Sammelband einen guten Überblick über das weite Gebiet von Netzliteratur. Die versammelten Beiträge decken ein breites Spektrum ab und folgen nicht strikt einem übergeordneten Konzept, wodurch terminologische und inhaltliche Debatten Nahrung finden. Es gelingt den Autoren, anschauliche Beispiele aus einem Bereich zu präsentieren, der oftmals weit verstreut und kurzlebig ist. Da die Möglichkeiten der Vernetzung weiter zunehmen werden, dürften künftige Aktualisierungen und damit einhergehend Ausdifferenzierungen der einzelnen Bereiche kaum ausbleiben. Literatur Aarseth, Espen J. 1997: Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature, Baltimore: Johns Hopkins University Press Reviews 173 Friedrich W. Block, Christiane Heibach & Karin Wenz (eds.) 2001: p0es1s. Ästhetik digitaler Literatur / Aesthetics of digital literature (= K ODIKAS / C ODE Special Issue 24), Tübingen: Gunter Narr Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2001/ 2005: “Net-Art. Neue Aufgaben der Medienästhetik und Telesemiotik”, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich (ed.), Autoren, Automaten, Audiovisionen. Neue Ansätze der Medienästhetik und Telesemiotik, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag [2001]; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [2005], 9-32 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2003: “Netzliteratur - ein neues Genre? ”, in: Acta Germanica. German Studies in Africa (= Jahrbuch des S AGV ) 30/ 31 (2003): 139-156 Hess-Lüttich, Ernest W.B. 2006: “Net-lit - a new genre? Contemporary digital poetry in the German speaking countries - a survey”, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich (ed.), Media systems - their evolution and innovation (= K ODIKAS / C ODE Special Issue 29), Tübingen: Gunter Narr, 321-336 Ernest W.B. Hess-Lüttich & Peter Dängeli (Bern) Markus A. Hediger, Benjamin Stein & Hartmut Abendschein (eds.): Literarische Weblogs (= spa_tien. zeitschrift für literatur 5), Bern: edition taberna kritika 2008, 130 S., ISBN 978-3- 905846-00-3 Das Sonderheft der Berner Literaturzeitschrift mit dem hübschen Titel spa_tien versammelt zwölf Texte zum Thema Literarische Weblogs von Autoren, die jeweils ein eigenes Weblog führen und beim Internetportal “litblogs.net”mitarbeiten (www.litblogs.net). Die meisten Texte entstammen diesen Weblogs. Das Vorwort von Markus Hediger stellt zunächst die Frage, was ‘literarische Weblogs’ eigentlich seien, um sie dann aber sogleich wieder fallen zu lassen. Die gibt dafür Alban Nikolai Herbst mit seinen “Thesen zu einer möglichen Poetologie des Weblogs”: es unterscheide sich vom Printmedium durch seine Unmittelbarkeit und Sozialität. An die Stelle der Einsamkeit des Dichters trete die community, ein Publikum erhalte unmittelbar Einblick ins künstlerische Schaffen und könne jederzeit mit dem Autor in Kontakt treten. Als “eine Art im Internet öffentlich geführtes Tagebuch meist privaten, weniger häufig themengebundenen Inhalts” und oft mit der Möglichkeit der Kommentierung, werde ein Weblog nicht schon dadurch zu einem ‘literarischen Weblog’, daß es literarische Texte veröffentliche, also Statthalter eines Printmediums im Netz sei, sondern erst dann, wenn es sich zu einer Publikationsform entwickle, die sich selber zum poetischen Gegenstand mache, “indem auch die sie basierende Technologie poetisiert und in die Gestaltung einbezogen” werde (S. 18). Der Prozeß der Entstehung werde selber zum Gegenstand des Kunstwerks: ein Buch sei immer schon ‘fertig’, ein literarisches Weblog fortlaufend im Entstehen begriffen. Dem Einwand, daß das kulturelle Gedächtnis durch den Transfer auf neue Medien aufgrund ihrer größeren Flüchtigkeit ausgelöscht werde, sucht Herbst zu begegnen, indem er darauf hinweist, daß die stets mitverarbeiteten Inhalte sich jederzeit aus ihrem Zusammenhang lösen ließen und dann getrennt und herkömmlich publiziert werden könnten. Flüchtig sei demnach das literarische Weblog nur insofern es als Gestalt Kunst sein wolle. Markus A. Hediger ist in den literarischen Weblogs die zentrale Stellung des Ausdrucks Ich aufgefallen, durch dessen privilegierte Stellung es dem Leser zufalle, sich ein Bild des Autors zu machen, wodurch dieser ein machtvolles Instrument zur Hand habe (S. 32). Inwiefern unterscheiden sich Weblogs diesbezüglich von anderen literarischen Gefäßen? Als definierendes Merkmal für die Literarizität eines Weblogs ist die Verwendung der Ich-Perspektive wenig geeignet, weil nicht ausreichend distinkt. Hartmut Abendschein will sich durch die Interviewform zwar von einer schriftlich manifestierten Poetik des Weblogs distanzieren (S. 41), aber in den Ausführungen zu seinem Weblog T ABERNA K RITIKA kommen dennoch einige Charakteristika von Weblogs zur Sprache. Die unterschiedlichsten Texte, die innerhalb eines langen Textflusses und durch wechselseitige Dynamiken entstehen, sollen dabei doch einigen Regeln gehorchen. Die technische Verknüpfung durch Links trete dabei in den Hintergrund, elementar seien die mentalen Verknüpfungsprozesse, die bei der Rezeption der Texte abliefen. Verknüpfung, Recherche, Poetisierung und Einbezug guter Kommentare sollen im Weblog den kreativen Prozess begünstigen. Michael Perkampus, Betreiber des Weblogs P.-’s Veranda, schildert im Plädoyerstil die Entwicklungen, welche dem klassischen Literatur-