eJournals Kodikas/Code 33/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2010
331-2

Ursula Heukenkamp &Peter Geist (eds.), Deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts, Berlin: Erich Schmidt 2007, 787 S., ISBN 978-3-305-07999-5

61
2010
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod331-20176
Reviews 176 Ursula Heukenkamp & Peter Geist (eds.), Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts, Berlin: Erich Schmidt 2007, 787 S., ISBN 978-3- 305-07999-5 Der von Ursula Heukenkamp und Peter Geist edierte Sammelband über Deutschsprachige Lyriker des 20. Jahrhunderts ergänzt die Reihe der erfolgreichen Vorgängerbände über Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts und Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts im Berliner Erich Schmidt Verlag. Auch wenn im Titel wieder (wie zuvor und m.E. sinnvollerweise) auf die weibliche Form verzichtet wurde, finden sich unter den 69 Porträts auch zehn von namhaften Lyrikerinnen und fünf Gruppenporträts (‘Lyriker des Expressionismus’, ‘Dada in Zürich und Berlin’, ‘Die Wiener Gruppe’, ‘Konkrete Poesie’, ‘Die Lyrik der nichtoffiziellen Literaturszene in der DDR’ und ‘Rumäniendeutsche Lyrik der 70er bis 90er Jahre’). Es geht dabei um deutschsprachige Lyriker (also nicht nur ‘deutsche’), denn sowohl in den Gruppen als auch in den einzelnen Porträts sind Autoren vertreten, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind (wie Paul Celan, der zugleich als Vertreter der deutschsprachigen Bukowina figuriert, oder Autoren aus dem Elsaß wie Hans Arp und Yvan Goll). Zwei wichtige Kriterien der Auswahl der vorgestellten Lyriker waren für die Herausgeber zum einen die Auseinandersetzung der einzelnen Schriftsteller mit der Gattung Lyrik und mit der Moderne (durch die sie die Poesie um neue Aspekte erweitert und das Feld der Lyrik erweitert haben), zum andern ihre Wirkung auf andere Autoren (womit Lyrik auch als Medium der ‘Kommunikation’ zwischen Lyrikern verstanden werden kann). Dabei ist den Herausgebern bewußt, daß dieses Kriterium bei Lyrikern der jüngeren und jüngsten Generation nur begrenzt zu greifen vermag. Das der Anordnung und Reihenfolge zugrunde liegende Strukturprinzip des Bandes ist übersichtlich: die 69 Porträt-Kapitel folgen der Chronologie der Geburtsdaten der Porträtierten. Dieses Prinzip wird auf die Gruppenporträts übertragen, indem sie mit einem Anfangs- und Enddatum versehen werden (auch wenn sich das vielleicht nicht bei jeder - Geburtstag des Dadaismus? Todestag der DDR-Lyrik? - so genau bestimmen läßt). Aus diesem Strukturprinzip folgt, daß die Gruppen nicht in der Nähe ihrer vorgestellten Vertreter stehen (die ja vorher geboren wurden). Jedem Artikel ist eine kleine Bibliographie zum Werk des Porträtierten und zur Forschung beigefügt; am Ende des Bandes gibt es eine Auswahlbibliographie zu Anthologien und Nachschlagewerken, die auch einige nützliche Internetseiten aufführt; ein hilfreiches Namensregister rundet den Band ab. Die Form der Artikel wird als “essayistisch mit wissenschaftlichem Anspruch” beschrieben und soll eine Mittelform zwischen literaturgeschichtlicher Arbeit und Lexikonartikel darstellen. Wie weit dabei z.B. auf die Forschung oder die biographischen Umstände der Porträtierten eingegangen wird, lag im Ermessen der beteiligten Verfasser. Bei insgesamt 53 Autoren können Unterschiede in Darstellung und Methode kaum ausbleiben (so verzichtet z.B. Eberhard Sauermann auf ausführliches Zitat der Primärtexte und setzt voraus, daß man Georg Trakls Gedichte auswendig kennt oder greifbar hat, während etwa Hermann Korte von dem Trakl verwandten Georg Heym nicht weniger als 43 Gedichtstrophen abdruckt). Die je unterschiedliche Herangehensweise kann vielleicht anhand des genaueren Vergleichs zweier Artikel exemplarisch veranschaulicht werden. Sauermann präsentiert zunächst eine Kurzbiografie Trakls, ergänzt um eine detailreiche Auflistung der gescheiterten Anläufe des Lyrikers, eine Anstellung zu bekommen oder zu behalten. Dann folgt der Versuch einer literaturgeschichtlichen Einordnung, der sich kritisch mit dem ihm meist angehefteten Etikett ‘expressionistisch’ auseinandersetzt. Dabei werden die wichtigsten Motive seines lyrischen Schaffens angesprochen (Untergang, Verfall, chiffrierte Sprache, Farben als abstrakte Motive) und die Frage nach seiner ‘Modernität’ gestellt (etwa durch die Konstruktion einer poetischen Welt, in der die Sprache ‘befreit’ werde durch Ablösung der dargestellten Vorgänge von der Wirklichkeit). Sauermann wählt seine Primärtexte so, daß sie die Biographie Trakls näher beleuchten oder stellvertretend für sein lyrisches Werk stehen: so steht das Gedicht Vorstadt im Föhn für den Beginn seiner Publikationstätigkeit in der Kulturzeitschrift Der Brenner und die Bekanntschaft mit seinem Förderer Ludwig von Ficker; über das Kaspar Hauser Lied werden Bezüge zu literarischen Vorbildern Trakls (Rimbaud, Baudelaire, Reviews 177 Hölderlin) hergestellt. Aus der Forschung werden zwei wichtige Positionen hervorgehoben, die auch die Anlage der beiden Werkausgaben bestimmen: während die erste nur die Endfassungen der Gedichte untersucht, bezieht die andere ihren Entstehungsprozeß in die Interpretation ein. Ein kurzer Blick auf die Rezeptionsgeschichte rundet den Eintrag mit einer Erwähnung von Autoren ab, die Gedichte an oder über Trakl geschrieben haben (wie Else Lasker-Schüler, Johannes R. Becher, Robert Walser, Michael Hamburger, Ilse Aichinger, Rose Ausländer) bzw. von deren Lyrik Trakl beeinflußt wurde (wie Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Günter Eich usw.). Die Renaissance der Trakl- Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 70er-Jahren werden ebenso erwähnt wie der Einfluß, den sein Werk auf andere Kunstgattungen (Erzählungen, Romane, Filme, Illustrationen, Vertonungen) hatte. Insgesamt wird so ein kondensierter Überblick über Biographie und Werk Georg Trakls geboten, der auch Fragen nach seiner Auseinandersetzung mit der Moderne und seinem Einfluss auf andere Dichter verständlich und fundiert behandelt. Dorothea von Törnes Artikel zu Ingeborg Bachmann ist anders aufgebaut. Die Verf. beginnt zwar auch mit einer kurzen biographischen Skizze, die aber eine gewisse Skepsis gegen eine Fokussierung auf das Leben Bachmanns nicht verhehlt, zumal sich die literarische Öffentlichkeit mit voyeuristischer Neugier bislang mehr ihrem Privatleben als ihrem Werk gewidmet habe. Deshalb wird nur die frühe Phase von Bachmanns Leben thematisiert: ihre Jugend in der Nazi-Zeit, Promotion über Heidegger, Berufseinstieg als Redakteurin beim Radio, Lesung bei der ‘Gruppe 47’. Schluß. Von diesem Zeitpunkt an wird auf Informationen zum Privatleben Bachmanns verzichtet, die Beziehung zu Paul Celan wird ebenso ausgespart wie die zu Max Frisch (abgesehen von dem passageren Hinweis, daß die aus dem Nachlass veröffentlichten Gedichte im Band Ich weiß keine bessere Welt nach der Trennung von Max Frisch entstanden sind). Der weitgehende Verzicht auf biographisches Interesse provoziert die Frage, ob damit nicht auch wichtige Einflüsse auf Bachmanns Werk vernachlässigt würden. So wird zwar die Frankfurter Vorlesung und deren Auseinandersetzung mit der Stellung des denkenden Individuums in der postnationalsozialistischen Gesellschaft erwähnt, es wird jedoch nicht diskutiert, ob diese Vorlesungen auch als Auseinandersetzung mit Paul Celan gelesen werden können (wie Wolfgang Emmerich in seinem Celan-Porträt darlegt). Ein weiterer Unterschied zu Sauermanns (oder auch Emmerichs) Artikel liegt in der Art und Weise, wie die Primärtexte selbst behandelt werden. Dorothea von Törne beschäftigt sich nicht intensiv mit einzelnen Gedichten, sondern sucht im gelegentlich nur streifenden Blick auf über 46 Texte - unabhängig von ihrer Entstehungszeit, teils aus der Jugend, teils aus den beiden erfolgreichsten Gedichtsammlungen Die gestundete Zeit und Anrufung des Großen Bären - die wichtigsten Motive in Bachmanns Lyrik herauszuarbeiten. Der Verzicht auf eine chronologische Ordnung erschwert dem Leser die Orientierung im Werk, und er stellt sich die Frage, ob das Herausgreifen einzelner Motive oder Elemente der enormen Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit der Gedichte Ingeborg Bachmanns gerecht werde (wenn etwa das Gedicht Böhmen liegt am Meer reduziert wird auf einen resignativen Rückblick aufs Leben, der aber ein Utopia der Sprache entwerfe) oder ob er von einer intensiveren Analyse ausgewählter Texte mehr profitiert hätte (wie das eben Wolfgang Emmerich in seinem Artikel zu Paul Celan und seiner exzellenten Interpretation der Todesfuge zu leisten sucht). Die beiden Beispiele illustrieren, was praktisch für jeden Sammelband gilt: die Herausgeber mögen inhaltliche und formale Rahmenbedingungen vorgeben, die von den einzelnen Verfassern der Artikel doch recht unterschiedlich erfüllt werden. Bei der hier angestrebten Mischform zwischen literaturgeschichtlichem Essay und forschungsgegründetem Lexikonartikel entfaltet sich eine eindrucksvolle Bandbreite der Auffassungen von einer solchen Textsorte. Das wird im Vorwort auch eingeräumt und hinzugefügt, dass die jeweilige Konzeption der Artikel auch die Beziehung der Autoren zu den Porträtierten spiegle. Die Frage nach dem damit anvisierten Zielpublikum wird im Klappentext beantwortet: der Band wende sich “an alle Lyrikinteressierte [sic], darunter natürlich auch an Lernende und Lehrende an Schulen und Universitäten”. Entsprechend unterschiedlich dürften die Interessen der Leser sein, die zu diesem Buch greifen werden: die einen vermissen vertiefte Analysen und umfangreichere bibliographische Verweise, die Reviews 178 andern würden gerade dadurch eher abgeschreckt. Das Interesse des Verlags an einem möglichst großen Leserkreis wird durch den Preis von 118 Euro bzw. 180 CHF vielleicht nicht sehr befördert, aber je nach Thema und Interesse wird gewiß jeder auf einen Artikel stoßen, der das Bedürfnis nach einem vertieften Einblick oder einem kursorischen Überblick, nach einer literaturgeschichtlichen Arbeit oder einem Lexikoneintrag, nach wissenschaftlicher Forschung oder essayistischer Unterhaltung befriedigt. Über deutsche Lyrik lernt mal allemal dazu. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Norbert Mecklenburg, Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft, München: Judicium 2008, 553 S., ISBN 978-3-89129-552-6 Der in Köln lehrende Hamburger Germanist Norbert Mecklenburg legt in dem hier zu annoncierenden gewichtigen Werk eine Art summa seiner seit über zwei Dekaden stets ertragreichen Forschung im Bezirk der interkulturellen Literaturwissenschaft vor: Das Mädchen aus der Fremde bietet damit zugleich dem Orientierung suchenden Leser einen wertvollen Querschnitt zum allgemeinen Forschungsstand auf diesem so reich facettierten Feld. Der Verfasser gliedert das Buch in einen, so könnte man vereinfachend sagen, theoretischen und einen angewandten Teil: “Problemfelder und Theorien” einerseits, “Autoren und Texte” andererseits. Daß der umfangreiche Theorieteil so viel Raum einnimmt, kommt nicht von ungefähr, denn die interkulturelle Literaturwissenschaft arbeitet mit verschiedenen methodischen Ansätzen und geht immer wieder fruchtbare Allianzen mit anderen Wissenschaften ein: Ethnologie, Anthropologie, Soziologie, Philosophie usw. Die Ansätze der wichtigsten Vertreter aus verschiedenen Forschungsrichtungen - aus den so genannten post colonial studies etwa Edward Saids Orientalismus-Konzept, Homi K. Bhabhas Hybriditäts-Modell und Gayatri C. Spivaks Leitbegriff der Subalternen, aber auch Adornos und Horkheimers kritisches Schlagwort ‘Kulturindustrie’ oder Jürgen Habermas’ Theorie des kommunikativen Handelns - werden vorgestellt und differenziert diskutiert auch im Hinblick auf die innerhalb dieser Ansätze auftretenden Nuancen. Auf dem solchermaßen solide errichteten Fundament baut Mecklenburg dann seine eigenen Positionen auf. Dabei distanziert er sich von jenen Kulturrelativisten, die nach seiner Meinung blind seien für Elemente der Kunst, die die Künste weltweit und Kulturen übergreifend verbinden. So findet sich wiederholt die Bemerkung, daß es schwieriger sei, etwas zu finden, das nur alle Menschen einer Kultur gemeinsam hätten, als etwas, das allen Menschen gemeinsam sei. Sein besonderes Interesse gilt denn auch gerade diesem vermittelnden, universalistischen Aspekt der Kunst, der sie zu einem Verständigungsmittel über die Kulturgrenzen hinaus macht. Im zweiten Teil werden dann einige der vorgestellten Theorien und Fragestellungen aus dem ersten (über 300 Seiten starken) Teil wieder aufgegriffen und an konkreten Beispielen illustriert. Hier bestätigt sich nun in der interpretatorischen Praxis, wie vielschichtig die interkulturelle Literaturwissenschaft sein kann. Das läßt sich schon an der Frage zeigen, was zum Forschungsgegenstand der interkulturellen Literaturwissenschaft gehöre: Bilder von Fremden in der Literatur (Imagologie), Migrantenliteratur, Reiseliteratur, deutsche Minderheitenliteratur (z.B. in Rumänien, im Elsass etc.), Literarischer Regionalismus, kultureller Austausch als Motiv in der Literatur und manches mehr. Den Auftakt des zweiten Teils bildet ein Kapitel zu Alejo Carpentiers Concierto barroco. Daß die Wahl gerade auf diesen Roman gefallen ist, ist ein subtiles Präludium, ist er doch als intertextuelles, intermediales und besonders interkulturelles Spiel zu lesen: intertextuell, insofern sich immer wieder Anspielungen und Zitate aus anderen Werken finden (Horaz, Aristophanes, Voltaires Zaide, Shakespeares Hamlet, Wagners Rheingold, Cervantes’ Don Quijote); intermedial, insofern das zentrale Motiv des Romans ein fiktives Gespräch über Musik zwischen einem mexikanischen Herrn und den Komponisten Georg Friedrich Händel, Domenico Scarlatti und Antonio Vivaldi ist, das letzteren zu seiner Montezuma-Oper inspiriert; und interkulturell, insofern die verschiedensten Kulturdifferenzen dargestellt werden, nicht nur zwischen den Europäern und den Amerikanern, sondern jeweils auch innerhalb