Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2010
331-2
Sascha Demarmels: Ja. Nein. Schweiz. Schweizer Abstimmungsplakate im 20. Jahrhundert. Konstanz: UVK 2009, 300 S. ISBN 978-3-86764-158-6
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2010
Hartmut Stöckl
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Reviews 181 den sich neben solchen in streng wissenschaftlicher Rede auch solche mit Meditationen (etwa über ein Bild von Paul Klee), Thesensammlungen oder eher persönlich gefärbten Reflexionen, Erlebnisberichten zu Forschungen, Tagungen und Seminaren. Die Darstellungen auf den verschiedensten Stilebenen bieten freilich dem verständnisvollen Leser nicht nur eine abwechslungsreiche Lektüre, sondern lassen ihn auch ein wenig teilhaben an der tiefen und klugen Beschäftigung des Autors mit seinem Lebens- Thema. Ernest W.B. Hess-Lüttich (Bern) Sascha Demarmels: Ja. Nein. Schweiz. Schweizer Abstimmungsplakate im 20. Jahrhundert. Konstanz: UVK 2009. 300 S. ISBN 978-3- 86764-158-6 1 Fragestellung & Ziele Das vorliegende Buch ist eine stark überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift, die Sascha Demarmels im Herbst 2007 am Deutschen Seminar der Universität Zürich erfolgreich abschloss. Im Unterschied zum jetzt publizierten Band trug der damalige Text den etwas genauer kennzeichnenden Untertitel “Linguistische Analyse Schweizer Abstimmungsplakate von 1848 bis heute unter besonderer Berücksichtigung der Strategien zur Emotionalisierung”. Sowohl den linguistischen Zuschnitt als auch das Schwergewicht auf Emotionalisierung unterschlägt der jetzige UVK-Titel in der Reihe ‘Kommunikationswissenschaft’. Das Buch widmet sich einer in medien- und textlinguistischer Forschung unterrepräsentierten Textsorte, dem Plakat. Anhand eines beeindrukkend großen Korpus (977 Kommunikate) von Schweizer Abstimmungsplakaten (einer Subtextsorte des politischen Plakats) stellt sich die Verfasserin einem recht breiten Kreis von miteinander verknüpften Fragestellungen. Sie will in erster Linie herausfinden, welche “Möglichkeiten zur Emotionalisierung” es gibt, wie “[lassen] sich diese Möglichkeiten an sprachlichen Strategien festmachen” lassen und was für eine Rolle [spielen] dabei Bilder und visuelle Gestaltung spielen”. (S. 30). Dazu macht sich eine fein abgestimmte Analysemethodik notwendig, die sie ausarbeitet und erfolgreich anwendet. Außerdem berührt sie dabei auch eher theoretische Aspekte wie z.B. die spezifische Multimodalität der Kommunikationsform Plakat, das Verhältnis von Sprache und Bild sowie Zusammenhänge zwischen Sprachgebrauch und Emotionsauslösung. Den Wert der Arbeit sehe ich einerseits im detaillierten Nachweis der Gestaltungs- und Emotionalisierungsstrategien Schweizer Abstimmungsplakate im Zeitraum von 1898 bis 2006, andererseits in der gelungenen Zusammenschau relevanter theoretischer Grundlagen und deren eigenständigen Weiterentwicklung sowie insbesondere in der Ausarbeitung und akribischen Applikation einer sehr breiten, detailtiefen und gründlichen Textanalysemethodik, wie sie für multimodale Texte erforderlich ist. Der Arbeit gerät insgesamt zum großen Verdienst, dass unterschiedlichste Sichtweisen und Textbeschreibungsaspekte Berücksichtigung finden, u.a. auch soziokulturelle und kulturvergleichende Elemente. Sie ist einerseits dem kulturhistorisch und sozialpolitisch interessierten Leser zu empfehlen, der sich eine Vorstellung vom strategischen Funktionieren politischer Kommunikation (in der Schweiz) machen möchte. Andererseits bringt sie für alle diejenigen Leser wertvolle methodologische Einsichten, die selbst ein größeres Korpus multimodaler Texte unter verschiedensten Fragestellungen kommunikationstheoretisch und pragmalinguistisch zu bearbeiten haben. 2 Anlage der Arbeit Das Buch ist klar in fünf große Teile gegliedert. Teil I klärt die ‘theoretischen Voraussetzungen”, indem Grundlagen referiert und bewertet sowie Modelle und Überlegungen weitergeführt bzw. verfeinert werden. Die thematischen Bereiche sind hier das Plakat selbst (1.1), Sprache und Politik (1.2), das Verhältnis von Sprache und Emotionen (1.3) sowie von Sprache und Bild (1.4) und die Werbung (1.5). Insbesondere die Ausführungen zum Plakat (2) verdienen Anerkennung, denn hier werden auf effiziente Weise medienlinguistische Grundüberlegungen gebündelt und pointiert, indem sie in einen größeren semiotischen Rahmen gestellt werden. Ebenso finden sich detaillierte Überlegungen zu den einzelnen im Plakat vertretenen Zeichentypen und Gestaltungsmitteln (2.4). Zentral für die gesamte Reviews 182 Arbeit ist die Erörterung verschiedener Modelle zur Auslösung von Emotionen (3), in der vor allem sprachliche Ebenen bzw. Strategien des Textes zur Emotionalisierung (3.2) und wichtige Typen von Emotionsauslösung (3.3) unterschieden werden. Teil II beschreibt und illustriert dann das Korpus wie auch die Methodik in groben Zügen; hier werden quantitative und qualitative Methoden reflektiert (5), Materiallage und Korpusbildung (6) erläutert sowie ein kurzer Einblick in die Erhebung und Bearbeitung der Untersuchungsdaten (7) gegeben. Darauf folgt dann in Teil III die feingliedrige und detaillierte Analyse der politischen Plakate nach einer Vielzahl von Kriterien, die von Aspekten der Kommunikationssituation (8.1.- 8.3) über Gestaltungsmerkmale und Textgliederung (8.4 & 8.5) hin zur Auswertung der verschiedenen sprachlichen Strategien auf den Ebenen Semiotik, Grammatik, Semantik, Pragmatik und Text (9) reichen. Hervorzuheben ist hier auch Kapitel 8.6, das intertextuelle Bezüge zwischen verschiedenen Plakaten in Form von Serien und Zitaten behandelt und damit den Rahmen über den Einzeltext hinaus öffnet. Die Zusammenführung der wichtigsten Ergebnisse leistet Kapitel 10. Teil IV ‘Synthese und Ausblick’ fasst die Ergebnisse unter dem zentralen Aspekt der verschiedenen Emotionalisierungsstrategien und -ebenen zusammen (11), erweitert sie aber zugleich erheblich, indem besonders prominente Emotionalisierungsinstrumentarien behandelt werden, wie z.B. nationale Symbolik (13), Text- Bild-Bezüge (14), ‘gender’-bezogene Darstellungsstereotype (15) und provokant-riskante Plakattexte und ihre Gestaltungsmerkmale (16). Kapitel 12 wagt zudem den vergleichenden Blick über die Plakatpraxis der Schweiz hinaus auf andere europäische Länder und zeigt die wichtigsten Gestaltungsparallelen im Bereich der Bildsemiotik. Kapitel 17 widmet dann neben einem äußerst knappen Resumé auch einige Überlegungen der Frage, in welchen intermedialen Bezügen das klassische Abstimmungsplakat steht. Hier kommen Internetkampagnen, andere Druckmedien sowie neuere Formen der Außenwerbung (Leuchtplakat, ‘rollig star’ und e-board’) zur Sprache. Teil V bietet im Unterschied zur Dissertationsschrift nun leider keine genaue Dokumentation und Illustration der Analyseergebnisse und der Handhabung der Methodik mehr; für die vollständige Korpusübersicht, die Abschriften aller Plakattexte und einen Einblick in die Gewinnung der Analyseergebnisse im Codebuch wird auf eine Internetseite verwiesen (S. 277). Der Leser findet in Teil V also nunmehr nur Literaturverzeichnis, Abbildungsnachweis und Index. 3 Textanalyse Um die diversen Emotionalisierungsstrategien und -mittel zu beschreiben, bedarf es einer angemessenen Methodik der Textanalyse (s. Kapitel 3 und 9). Bei der Ausarbeitung dieser Methode zeigt die Verfasserin großes Geschick und Sinn für die Textanalysepraktik. Sie wählt zunächst große Untersuchungsbereiche - d.h. die Ebenen Semiotik, Grammatik, Semantik, Pragmatik und Text - und untersetzt diese dann mit spezifischen Kriterien der Analyse. Dies sind ausgewählte Texteigenschaften, die ihr besonders relevant erscheinen; sie beschreibt sie dann anhand mehr oder weniger fester Parameter, für die sie entweder auf etablierte Methodiken zurückgreift oder aber diese erweitert und eigene einführt. Auf der semiotischen Ebene (3.2.1, 9.1) gelangt hauptsächlich der Gebrauch der Zeichentypen Ikon, Index und Symbol in den Blick. Dies scheint zu simpel, um zu aussagekräftigen Ergebnisse kommen zu können. Hinzu kommt das bekannte Problem, das Zeichenkomplexe im Gebrauch schwer einem Typ zugeordnet werden können. Auf der grammatikalischen (evtl. besser grammatischen) Ebene (3.2.2, 9.2) werden Satztypen, Satzlängen und die Häufigkeit zentraler Wortarten untersucht. Die semantische Ebene (3.2.3, 9.3) behandelt das konnotative Potenzial wichtiger Schlüssel- und Schlagwörter, den Einsatz rhetorischer Figuren sowie Metaphorik und Phraseologie - alles auch mit Blick auf die enge Verknüpftheit dieser sprachlichen Mittel mit bildsemantischen Elementen. Auf der pragmatischen Ebene (3.2.4, 9.4) interessieren die Verfasserin wichtige Sprechakt- und Sprachhandlungstypen und von den Produzenten bewusst kalkulierte Inferenzen und Implikaturen als Formen der sprachlich-kommunikativen Indirektheit. Die textlinguistische Ebene (3.2.5, 9.5) ist mit den persuasiven Textfunktionen der Plakate, ihrer graphischen Strukturierung, der Herstellung von Reviews 183 Kohäsion und Kohärenz sowie der Themenbehandlung und Argumentation befasst. Konsequenter Weise liegt das Augenmerk der Verfasserin hier sowohl auf dem sprachlichen wie auch auf dem Bildtext sowie deren Interaktion. Im Ergebnis entsteht ein Textanalyseraster oder ein “Codebuch” (S. 123), das auf alle Texte des Korpus angewendet wird. Dem Leser begegnet eine Synthese aus qualitativer und quantitativer Textanalyse. Primär geht es der Verfasserin um valide Aussagen über die Textqualitäten der Plakate im untersuchten Zeitraum - weil aber viele Texteigenschaften akribisch erfasst werden und das Korpus einen vergleichsweise großen Zeitraum abdeckt, bieten sich quantitative Erhebungen quasi an (z.B. zur Verteilung des Bildes auf den gesamten Plakatraum von 1890er bis 2000er Jahren, vgl. Diagramm 8.5, S. 137). Auf diese Weise zeichnet die Verfasserin ein sehr genaues und facettenreiches Bild des Plakats. Zugleich offeriert sie eine Textanalysemethodik, die sich für andere Textsorten adaptieren ließe und setzt damit Maßstäbe in der praktischen Textanalyse, vor allem auch, weil ihre Auffassung vom Text eine semiotisch fundierte ist - hier geht es um Ganzheitlichkeit, nicht allein um Sprache, weswegen sich Abhandlungen zu Formaten, Layoutmustern und Schriftarten genauso finden wie zu Sprache-Bild-Bezügen. Hervorzuheben sind die Analysen und Überlegungen zu paradigmatischen Bezügen zwischen einzelnen Plakaten in Form von Serien und intertextuellen Bezügen (S. 146ff., 86f.). Kritisch aber bleibt anzumerken, dass die Detailtiefe den Leser bisweilen auch verwirren und überfordern kann. Das Codebuch (leider nur im Internet) und dessen Illustration anhand der Stichprobenplakate helfen dem interessierten Leser zwar, die Feingliedrigkeit zu überblicken bzw. zu durchschauen. Es fragt sich aber, ob eine einfachere Methodik nicht punktuell sinnvoller gewesen wäre. Nicht jedes Kriterium ist in gleicher Weise nützlich und dem Hauptzweck (d.h. Emotionalisierung) dienlich - dies räumt die Verfasserin auch hier und dort ein. Hier zeigt sich die Kehrseite einer streng gehandhabten, weil auf quantifizierbare Aussagen zielenden Methodik: sie verliert sich bisweilen im Detail und verliert das große Ziel aus dem Blick. Insgesamt aber ist das entworfene Analyseraster äußerst brauchbar, auch und besonders was vergleichende Studien angeht. 4 Korpus Das Korpus ist mit fast 1.000 Plakaten sicherlich recht groß, was die Validität der Untersuchung unterstreicht. Das Material erstreckt sich über einen Zeitraum von 1901 bis 2006 und ist in einem Fünfjahresabstand nach dem Konzentrationsprinzip gesammelt worden. D.h. es wurden jeweils die Plakate und -serien ausgewählt, bei denen die Abstimmungsbeteiligung, die auch als kommunikative Resonanz der Plakate gewertet werden kann, besonders hoch war. Äußerst positiv ist der analytische Umgang mit den Plakaten im gesamten Buch zu bewerten; neben einer Zusammenstellung von zentralen Plakaten in der Farbtafel (S. 19-28) ist der gesamte Text des Buches mit einer Vielzahl konkreter Plakatbeispiele illustriert - dies ermöglicht dem Leser eine gute Vorstellung vom visuellgraphischen Stil der Texte und erlaubt es der Verfasserin auch, die einzelnen Plakate ausführlich und anschaulich zu diskutieren. Der im vorliegenden Buch betriebenen Korpusarbeit gereicht zum Vorteil, dass sie zur umfassenden Analyse politischer Plakate umfassend nutzbar gemacht wird. Es ist gerade die Vielfalt der Perspektiven, die beeindruckt und ein großes Mosaik der Textsorte entstehen lässt - von soziohistorischen, politographischen und kulturvergleichenden Aspekten über Fragen der Textstruktur, Themenwahl und Argumentationsstrategie bis hin zu materiellen Qualitäten der Texte (Typographie, Format, Papier, Druck etc.). Man fragt sich allerdings an einigen Stellen, ob es nicht bei der Bearbeitung der vielen einzelnen Texte mit dem einen oder anderen Analysekriterium Probleme derart gegeben hat, dass Mischformen oder gar keine klaren Zuordnungen möglich waren. Die Arbeit präsentiert eben nur die bereits kumulierten Werte, was beeindruckend ist, aber leider auch einen etwas mechanistischen Eindruck vermittelt. Meines Erachtens sind nicht alle Kriterien in gleicher Weise handhabbar und ergeben auch nicht dieselbe Qualität von Daten. Dies hätte man reflektieren können. Im Übrigen ist dies ein bekanntes Dilemma korpusbasierter Arbeiten: die Begeisterung für die Datenmengen ist groß und die Suche nach klaren Kriterien verständlich, mit denen man die Daten ordnen und bewerten kann. Eine Bewertung der Aussagekraft und Handhabbarkeit der einzelnen Kriterien wäre eine Reviews 184 sinnvolle Ergänzung gewesen. Abgesehen von der ungleichen Relevanz der Kriterien offenbart die Korpusarbeit ein hohes Maß an Akribie, Fleiß und Detailtiefe. Die Nachvollziehbarkeit der komplexen Untersuchungen am Plakatkorpus hätte verbessert werden könne, wenn ein Plakat exemplarisch durchgängig auf allen Ebenen zu Demonstrationszwecken analysiert worden wäre. Mit diesem geringen Aufwand hätte für die Verständlichkeit und Durchdringbarkeit des Buches viel gewonnen werden können. 5 Emotionalisierung Unter Emotionalisierungsstrategie versteht die Autorin den “gezielte[n] Einsatz von visuellen und/ oder verbalsprachlichen Mitteln mit dem Ziel, bei den Rezipierenden Emotionen auszulösen, welche eine weitere, bestimmte Handlung beziehungsweise Haltung gegenüber einem Gegenstand oder Sachverhalt nach sich ziehen soll”. (S. 93f.) An verschiedenen Stellen der Arbeit (s. 94) betont die Verfasserin zu Recht, dass Aussagen über die Wirkung der Texte aufgrund der verwendeten Methodik nicht gemacht werden können. Andererseits aber kommt sie nicht darum herum, plausible Wirkungsweisen bestimmter Gestaltungsmittel und -strategien hypothetisierend zu schildern. Hier liegt ein gewisses Dilemma oder ein “systemimmanenter” Widerspruch: Emotionen sind Textwirkungen (emotionale Appelle) und die Analyse der Emotionalisierungsstrategien unterstellt - stillschweigend oder explizit - bestimmte Wirkungsmechanismen. Insofern ergibt sich eine Mittel-Zweck-Relation, die davon ausgeht, dass gewisse Formen und Strukturen in Texten zu vorhersagbaren emotionalen Reaktionen führen. Konstruktivistische Semiotiker würden diese Art von Erklärung wenn nicht pauschal, so zumindest teilweise ablehnen. Im Grunde genommen setzt die Verfasserin einen idealtypischen Rezipienten voraus und beschreibt nach gesundem Menschenverstand einleuchtende Zusammenhänge zwischen Textmerkmalen im weitesten Sinne und Wirkungen beim Rezipienten. Die Verfasserin wird sich dieses Problems an einigen Stellen selbst bewusst und lehnt Wirkungsforschung aus einleuchtenden Gründen als gangbare Strategie für ihre Arbeit ab. Vollständig gegen erwartbare Kritik aus diesen Reihen kann sie sich dadurch aber auch nicht immunisieren. Insbesondere die Unterschiede in den Prozessen von Persuasion, Manipulation, Emotionalisierung, Ablenkung und Argumentation sind - wenn auch plausibel - nicht trennscharf. Obwohl in Kapitel 3.3 eine systematische Durchsicht verfügbarer Ansätze zur Typologisierung von psychologischen Reizwirkungen geleistet wird, vermag mich vor allem die Umsetzung der psychologischen Kategorien in linguistische als Dreiteilung in ‘materielle’, ‘kognitive’ und ‘emotionale’ Emotionalisierungsstrategien (sic! ) nicht überzeugen. Zumindest die tautologische Formulierung - die auch nicht durch den Zusatz “im engen Sinne” gemildert wird - hätte man vermeiden können, in dem man für emotional z.B. perzeptiv gesetzt hätte. Letztlich aber scheint mir, dass die Strategien auf “emotionaler Ebene” eigentlich zu den kognitiven gehörten; geht es doch bei Stereotypen, Mythen, Symbolen und Schemata etc. um etablierte Wissensmuster, die genutzt werden. Der Katalog emotionalisierender Gestaltungselement in den Schweizer Abstimmungsplakaten (in Zusammenfassung S. 199ff.) ist vielgestaltig. Die Palette reicht von tiefenpsychologisch motivierten Symbolen und Mythen, konnotationsreichen Schlag- und Schlüsselwörtern über Bedeutungsverschiebungen, semantische Unbestimmtheit und Spiele (hauptsächlich vermittels literalisierender Metaphern) bis hin zu expressiven und kommissiven Sprachhandlungen sowie fiktionalisierenden Narrationen, die Angst, Drohung oder Glücksverheißung intendieren. Eine besonders zentrale Rolle wird dem Bild eingeräumt, das die sachlichen Texte emotionalisiert und Raum für Bedeutungsspiele und individuelle Interpretationen bietet. Trotz ihrer Gründlichkeit und Stringenz weist die Arbeit einige Schwächen auf. So zeigt sich in einigen Passagen (z.B. Kapitel 16) eine etwas starke deskriptive Verfahrensweise statt eines klaren analytischen Vorgehens auf der Grundlage klarer Untersuchungskriterien; weitergehende Verallgemeinerungen fehlen zuweilen. Einige Kapitel sind extrem kurz gehalten und wirken daher kursorisch und komprimiert; z.B. der Exkurs zur Plakatgeschichte auf Seite 89 oder die knappen Ausführungen zur Typographie (in 13.4. und 2.4.3). Vor allem zur Methodik generell wünschte man sich mehr als nur zwei Seiten (S. 115f.) - die eigentliche, spezifische Methodik für die Studie wird dagegen ausreichend verdeut- Reviews 185 licht. Die Systematisierung der Forschungsergebnisse fällt stellenweise ein wenig dünn aus - hier werden Einzelergebnisse additiv aneinandergereiht statt eher integrativ und akzentuierend vorzugehen. Manche Argumentationen sind ein wenig schwach, so z.B. in Kapitel 14.3. Der Index mag zwar aufgrund seiner Schlankheit übersichtlich sein, für meinen Geschmack fehlt ihm Breite und Tiefe, um wirklich nutzbringend verwendet werden zu können. 6 Erträge Abgesehen davon, dass wichtige Strategien der Textgestaltung von politischen Plakaten als relative historische Konstanten in reichhaltig illustrativer Weise beschrieben werden, hat die Arbeit eine Vielzahl konvergierender Erträge. Der Textanalytiker findet in ihr praktisch verwertbare Anregungen für das Textanalysedesign und dessen Handhabung in einem großen Korpus. Der semiotisch orientierte Texttheoretiker gewinnt Aufschlüsse über den Stand einer ganzheitlichen Auffassung vom Text. Der Medienlinguist erfährt in kompakter Art alles Relevante zum Genre Plakat. Der Werbeforscher goutiert die Parallelen zwischen politischer und Warenwerbung. Der Sprachpsychologe erhält einen Einblick in emotionalisierende Wirkungspotenziale text- und sprachgestalterischer Mittel. Das Buch verbindet Theorie und Praxis, Pragma- und Medienlinguistik mit historischer Textsortenforschung, textwissenschaftliche mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Aspekten sowie Akribie im Detail der Arbeit am Textkorpus mit Weitblick für die großen Zusammenhänge zwischen Sprache/ Text und Gesellschaft. In ihrer Anlage und Gestaltung ist die Publikation eine lesenswerte Abhandlung zum politischen Plakat. Wertvolle Anregungen und Denkanstöße gibt der Band auch für kulturvergleichende Fragestellungen und die Verbindung und Synthese verschiedener Werbemedien in der Zukunft. 7 Form Das Buch ist in vorbildlicher Form hergestellt worden: Layout, Satz und Formalia der wissenschaftlichen Textgestaltung sind allesamt ästhetisch ansprechend und normgetreu. Die Autorin versteht sich auf eine gute Balance von Verständlichkeit und Wissenschaftlichkeit; ihr Schreibstil ist effizient, geradlinig und der Publikation angemessen. Besonderes Lob verdient der fleißige analytische Umgang mit dem Korpus. Die verwendete und zitierte Literatur ist umfangreich und weitestgehend auf dem neuesten Stand. Bildqualität, Bildunterschriften sowie Graphiken und Diagramme lassen keine Wünsche offen, wenngleich die Bilder ein wenig größer hätten reproduziert werden können. Hartmut Stöckl (Salzburg) Peter ur o (Hrsg.): Feste Wortverbindungen und Lexikographie. Kolloquium zur Lexikographie und Wörterbuchforschung. Lexicographica. Series Maior 138. Berlin/ New York: Walter de Gruyter 2010. 180 Seiten, ISBN 978-3-11- 023405-3. Das Kolloquium zur Lexikographie und Wörterbuchforschung wurde 2000 von Herbert Ernst Wiegand und Pavel Petkov ins Leben gerufen. Nach Sofia, Varna und Maribor fand es im Jahr 2008 in Bratislava statt. Nachdem bei den vorangegangenen Treffen theoretische und praktische Probleme der (bilingualen) Lexikographie sowie Wörterbuch und Übersetzung erörtert wurden, lag der Schwerpunkt dieses fünften Kolloquiums auf der Darstellung von festen Wortverbindungen im Lexikon. Der von Peter ur o herausgegebene Sammelband zu dieser Veranstaltung erschien im August 2010 bei De Gruyter. Der Band enthält 16 Aufsätze, die sich aus verschiedenen Perspektiven und Sprachen lexikographischen Fragestellungen von festen Wortverbindungen widmen. Terminologisch herrscht unter den Beitragenden - wie in der internationalen Phraseologie allgemein - keine Einigkeit. Als Oberbegriff für den Bereich der “festen Wortverbindungen” werden auch die Termini “Phraseologismen”, “Phraseme”, “phraseological units” oder “fixed expressions” verwendet (im Folgenden: “Phraseme”). Bei den untersuchten Subklassen handelt es sich in den Aufsätzen zumeist um Kollokationen (i.S.v. nicht oder nur schwach idiomatischen Zwei- oder Mehrwortverbindungen), was nicht verwundert, da bereits fünf Beiträge aus dem Umfeld des vom Heraus-
