Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2010
331-2
Joachim Knape (Hrsg.) 2009: Rhetorik im Gespräch. Ergänzt um Beiträge zum Tübinger Courtshiprhetorik-Projekt, Berlin: Weidler (= neue rhetorik 4). 341 S. ISBN: 978-3-89693-545-8
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2010
Simon Meier
kod331-20190
Reviews 190 verlangen würde, der für das Produkt Wörterbuch aber äußerst fruchtbar sein könnte. Literatur 1 Der MI-Wert (Mutual Information) ist ein Maß für die Korreliertheit der gemeinsamen Informationen von x und y. Der t-Wert ist ein Maß für die Abweichung eines Wertes vom erwarteten Wert. Die Log-Likelihood-Ratio entspricht prinzipiell dem Chi²-Test, d.h. sie vergleicht beobachtete und erwartete Häufigkeiten, ist aber robuster gegenüber niedrigen Frequenzen. 2 Rufus H. Gouws (2010): Fixed word combinations as second level treatment units in dictionaries. S. 51. Britta Juska-Bacher (Basel) Joachim Knape (Hrsg.) 2009: Rhetorik im Gespräch. Ergänzt um Beiträge zum Tübinger Courtshiprhetorik-Projekt, Berlin: Weidler (= neue rhetorik 4). 341 S. ISBN: 978-3-89693- 545-8 Der seit Cicero vielzitierte Gegensatz zwischen Rede und Gespräch, der die Ausbildung einer Rhetorik des Gesprächs verhindert (vgl. Schmölders 1979: 9f.), kann, sofern er jemals überzeugend war (vgl. etwa Fausers (1991) Bemerkungen zur Gesprächsrhetorik des 18. Jahrhunderts), heute nur noch bedingt aufrechterhalten werden. Zwar hat sich auch die moderne Gesprächsforschung zunächst nur zögerlich rhetorischer Fragestellungen angenommen. Doch spätestens seit dem richtungsweisenden Band zur “Gesprächsrhetorik” (Kallmeyer 1996a) gehören auch “rhetorische Verfahren im Gesprächsprozeß” zu den Gegenständen der Gesprächslinguistik (vgl. Gansel 2009). Der “interaktionstheoretisch fundierte gesprächsanalytische Zugang” (Kallmeyer 1996b: 9) der Gesprächsrhetorik entfernt sich dabei jedoch von der für die herkömmliche Rhetorik charakteristischen Sprecherperspektive und rückt vielmehr die prinzipielle Interaktivität und Prozessualität von Gesprächen in den Fokus. Damit wird im Übrigen auch jeglicher normativer Anspruch aufgehoben. Hier setzt der vorliegende Band an, der sich, wie Herausgeber Joachim K NAPE in seinem einleitenden Beitrag schreibt, “in Sachen Gespräch methodisch ganz der Problemlage des auf erfolgreiche Kommunikation eingestellten Orators in der Gemengelage des Gesprächs” zuwendet, wofür “alle Fragestellungen oratorisch zu perspektivieren und alle Forschungsergebnisse auf die Oratorperspektive herunterzubrechen” sind. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang “Strategien und Kalküle der Persuasion” (24). Die Rhetorik hat demnach die Aufgabe, “Möglichkeiten erfolgsorientierten kommunikativen Handelns” (26) aufzuzeigen. Für eine so konzipierte Rhetorik des Gesprächs, so die dem Band zugrundeliegende Prämisse, kann nun die linguistische Gesprächsforschung nicht mehr alleiniger Bezugspunkt sein. Vielmehr gilt es, die Anschlussstellen zu benachbarten, am Gespräch interessierten Disziplinen wie der Psychologie und der Soziologie aufzusuchen, die eine empirisch fundierte und auch praktisch relevante Rhetorik des Gesprächs begründen können. Es handelt sich also um ein interdisziplinäres Projekt im besten Sinne: Die Rhetorik greift auf Erkenntnisse der Gesprächsforschung zurück, um auch für die Situation des Gesprächs in sachadäquater Weise rhetorische Kompetenzen und Strategien beschreiben zu können. Die Gesprächsforschung wiederum profitiert von der Rhetorik, indem diese den Blick auf die persuasiven Elemente der Gesprächsereignisse lenkt und ein differenziertes analytisches Instrumentarium bereitstellt. Der Band gliedert sich in drei Teile: Nach dem bereits erwähnten einleitenden Beitrag des Herausgebers folgen acht Beiträge namhafter Autoren zum Thema “Persuasion im Dialog”, die überwiegend aus einer im Jahre 2003 abgehaltenen Tagung gleichen Titels hervorgegangen sind. Den Abschluss des Bandes bilden vier Beiträge, die ausgewählte Ergebnisse des Tübinger DFG- Projektes zur Courtshiprhetorik, also zu rhetorischen Aspekten des Flirtens und der Partnerwerbung zusammenfassen. Joachim K NAPE skizziert in seiner Einleitung “Rhetorik des Gesprächs” nach einigen theoriegeschichtlichen und begriffsklärenden Bemerkungen den Kern des gesprächsrhetorischen Ansatzes: “Gesprächsrhetorik untersucht, wie ein individueller oder kollektiver Orator seinen eigenen kommunikativen Erfolg (d.h. sein Anliegen zu verteidigen oder gar durchzusetzen) in situativen, daher flüchtigen Kommunikationsereignissen sichern kann” (27). Somit rücken Kompetenzen und Strategien Reviews 191 der Gesprächsvorplanung, der Gesprächsanalyse und des Gesprächsmanagements in den Fokus, die in Anknüpfung an gesprächs- und argumentationsanalytische Forschungsergebnisse ausführlich hergeleitet werden. Insbesondere dem oratorischen Gesprächsmanagement (35ff.), also den Möglichkeiten des dem eigenen Interesse dienlichen lenkenden Eingreifens in den Gesprächsverlauf wird viel Raum gewidmet. Die Tagungsbeiträge im Hauptteil des Bandes kreisen “um die Frage der Persuasion, also um die Frage, wie insbesondere durch sprachliches Handeln vom Kommunikator (rhetorisch: Orator) Überzeugung bei Adressaten evoziert oder wie überhaupt irgendeine Form der Beeinflussung bewirkt werden kann” (53). Die Ausrichtung der einzelnen Beiträge reicht dabei von theoretischen Überlegungen über Forschungsüberblicke bis hin zu empirischen Arbeiten. Walther K INDT versucht “Rhetorik zwischen Logik, Linguistik und Psychologie” (61) zu verorten und führt dies an einem der zentralen Forschungsgegenstände, der Argumentation, vor. Dabei zeigt er an einer Vielzahl von Beispielen auf, dass die “Resultate der Logik Wesentliches für die empirische Argumentationsforschung” (65) leisten können, indem sie Argumentationsexplikationen präzise fundieren und auch die “Beurteilung der Korrektheit von Argumentationen” ermöglichen. Während die Psychologie vor allem die emotiven Verarbeitungsprozesse rhetorischer Mittel modellieren kann, liefern inferenzsemantischen und phraseologischen Ansätze der Linguistik ihrerseits wertvolle Beiträge zu einer adäquaten Beschreibung und Erklärung rhetorisch-argumentativer Prozesse. Klaus B RINKER stellt ein sprechakttheoretisch fundiertes Modell für die “Analyse strategischpersuasiven Sprachhandelns in dialogischer Kommunikation” (95) vor. Aus einer handlungstheoretischen Explikation des Begriffs des strategischen Sprachhandelns heraus werden drei Analyseschritte unterschieden und anhand von zwei Gesprächsausschnitten aus Radio-Beratungssendungen erprobt. Die Analyse zeigt auf überzeugende Weise, dass mit den Handlungszielen der Meinungs- und Handlungsbeeinflussung je verschiedene sprachliche Mittel korrelieren. Ebenfalls sprechakttheoretisch orientiert sind die Beiträge von Fritz H UNDSNURSCHER und Theo H ERRMANN . Während Herrmann Aufforderungen als “individuelle Dialogbeiträge” (200) in den Blick nimmt und die überraschende Vielfalt sprachlicher Aufforderungsvarianten durch eine sprachpsychologische Modellierung der Verbalisierungsprozesse zu erklären versucht, ergänzt Hundsnurscher das monologische Sprechaktkonzept um den Begriff des dialogischen Sprachhandelns. Persuasion erscheint hier als Resultat von dialogischen Sprechzug-Reaktionszug-Abfolgen, deren Regeln sich dialoggrammatisch beschreiben lassen. Weniger in der illokutionären Kraft einzelner Sprechakte als vielmehr in der “Beherrschung einer flexiblen Gesprächstaktik” (145) liegt demnach der Grund für kommunikativen Erfolg. Während in den bisher genannten Beiträgen die Beispiele vornehmlich illustrativen Zwecken dienen, handelt es sich bei Johannes S CHWITTAL - LA s Beitrag zu Streitgesprächen und bei Hubert K NOBLAUCH s Beitrag über die “Rhetorik des Dialogs in informellen Diskussionen” (150) um genuin empirische Arbeiten. Schwitalla untersucht, welche Rolle das Argumentieren in Streitgesprächen spielt und worin die persuasive Kraft bestimmter Verhaltensweisen liegt. Entgegen der scheinbaren Irrationalität der hochemotionalen Gespräche kann Schwitalla zeigen, dass auch hier die Beteiligten häufig aufgrund von logisch nachvollziehbaren Schlussregeln argumentieren. In eine ähnliche Richtung zielt auch Knoblauch, der Tischgespräche unter Familienmitgliedern in den Blick nimmt und die dort stattfindenden spontanen Argumentationen und informellen Diskussionen auf die eingesetzten rhetorischen Mittel analysiert. Insbesondere “die Formulierung des Dissens ist eine eigenständige persuasive Handlung, die sich […] rhetorischer Formen bedient” (163). Entgegen der in der Rhetorik üblichen Konzeptualisierung von Dissens als der Argumentation vorgegebene Quaestio kann Knoblauch jedoch zeigen, dass in alltagsweltlichen Kontexten der Dissens erst interaktiv erzeugt werden muss. Dies bedeutet jedoch auch, “dass Argumente erst in einem (expandierten) Kontext des Dissens als Argumente verständlich werden” (156). René Z IEGLER erstattet in seinem Beitrag ausführlichen Bericht über die Ergebnisse der sozialpsychologischen Persuasionsforschung. Da sich diese meist der experimentellen Überprüfung von Hypothesen - etwa über den Einfluss der (behaupteten) Expertise des Kommunikators auf die Überzeugungskraft seiner Argumente - bedient und sich somit notgedrungen von der Ebene der Reviews 192 kontextgebundenen sprachlich-rhetorischen Mittel löst, sind die Ergebnisse jedoch nur bedingt an die eher linguistisch orientierten Beiträge anschlussfähig. Michael H OPPMANN zeigt in seinem Beitrag auf, “wie eine vereinfachte Version der antiken Streitpunktfindungslehre und ihrer modernen Entsprechungen” zur “Effizienzsteigerung der Gesprächsführung” (219) angewendet werden kann. Er liefert somit einen Beitrag zur Rhetorik in Sinne einer Kunst des Redens, indem er den Sprechern ein Werkzeug an die Hand gibt, das den ökonomischen Umgang mit den eigenen persuasiven Ressourcen erlaubt. Wie dieses Werkzeug in der Praxis funktionieren könnte, bleibt jedoch leider unklar. Die vier Beiträge zum Tübinger Courtshiprhetorik-Projekt am Schluss des Bandes führen eindrücklich vor, wie die von Joachim Knape in seiner Einleitung herausgestellte Konzeption einer Rhetorik des Gesprächs in empirische Forschungsarbeiten münden kann. Auf Grundlage zweier umfangreicher Korpora mit elizitierten Erstkontaktgesprächen wurde in den einzelnen Teilprojekten “das rhetorisch orientierte Interaktionsverhalten in Partnerwerbungssituationen mit Erstbegegnungscharakter” (56) untersucht. Nils B ECKER zeigt typische Sprechhandlungssequenzmuster auf, die sich je nach Setting und Gesprächsphase weiter differenzieren lassen und deren Realisierung in der Realität “über Erfolg oder Misserfolg der erotischen Persuasion” (290) entscheidet. Dagny G UHR geht in ihrem Beitrag dem interessanten Phänomen nach, dass der potentiell gesichtsbedrohende Akt der erotischen Partnerwerbung dadurch abgefangen wird, dass die Beteiligten unpersönliche Nutzargumente vorbringen und als Indirektheitsstrategie nutzbar machen. Die Relevanz der Rhetorik und Argumentationsforschung für die Gesprächsanalyse wird hier unmittelbar einsichtig. Alexander S CHINZ arbeitet schließlich die persuasionstheoretischen Grundlagen von populärwissenschaftlichen Flirtratgebern heraus, die sich bei genauerer Prüfung zwar als erstaunlich differenziert, wegen der sowohl humanethologischen als auch soziokulturellen Begründungen jedoch als zu heterogen erweisen. Der Band gewährt einen umfassenden und vielschichtigen Einblick in Untersuchungsfelder, Ansätze und Forschungsergebnisse einer Rhetorik des Gesprächs. Die Vielschichtigkeit geht jedoch auf Kosten der Kohärenz des Bandes. Während die Einleitung und die Beiträge zum Courtshiprhetorik-Projekt eine thematische Einheit bilden und letztere die geforderte oratorische Perspektivierung der Fragestellungen konsequent umsetzen, fallen die Tagungsbeiträge aus dieser Einheit heraus und lassen sich nur ansatzweise auf den in der Einleitung vorgestellten gesprächsrhetorischen Ansatz beziehen. In diesem Zuge fällt auch auf, dass der überaus gelungene Beitrag von Hubert Knoblauch, der m.E. auch für die Rhetorik die interessantesten Anregungen bereithält, sich gerade von der oratorischen Perspektivierung hin zu einer interaktionistischen Sichtweise entfernt. Somit bleibt der nicht eigens behandelte, aber sich durch den ganzen Band hinziehende Gegensatz zwischen womöglich sachadäquateren, aber rein deskriptiven Ansätzen auf der einen Seite sowie vereinfachenden, dafür jedoch in normative Vorgaben mündenden und mithin praktisch relevanten Ansätzen auf der anderen Seite bestehen. Dieser Kritik zum Trotz handelt es sich bei dem Band um ein lesenswertes Buch oder vielmehr um zwei lesenswerte Bücher - die Tagungsbeiträge hätte man auch ausgliedern können. In seiner Gesamtheit wird der Band sowohl für am Gespräch interessierte Rhetorikerinnen und Rhetoriker als auch für rhetorisch interessierte Gesprächsforscherinnen und -forscher mit Gewinn zu lesen sein. Literatur Fauser, Markus 1991: Das Gespräch im 18. Jahrhundert. Rhetorik und Geselligkeit in Deutschland, Stuttgart: M&P Gansel, Christina 2009: “Rhetorik und Stilistik in Text- und Gesprächslinguistik”, in: Fix, Ulla et al. (eds.): Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung, Berlin, New York: de Gruyter, 1907-1921 Kallmeyer, Werner (ed.) 1996a: Gesprächsrhetorik. Rhetorische Verfahren im Gesprächsprozeß, Tübingen: Narr Kallmeyer, Werner 1996b: “Was ist Gesprächsrhetorik? ”, in: Kallmeyer (1996a), 7-18 Schmölders, Claudia (ed.) 1979: Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie, München: dtv Simon Meier, M.A. (Bern)
