Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
351-2
Sprache und Diskriminierung
61
2012
Oksana Havryliv
Obwohl die verbale Aggression für den Menschen eine wichtige Rolle spielt und mit 90% des allgemeinen aggressiven Verhaltens die physische weit übersteigt (cf. Kiener 1983, Huber 1996), wird ihr in der Linguistik bis heute erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gezollt. Die Studien, die es zum Thema gibt, beschränken sich auf die kontextuell-pragmatische Ebene, wobei in den meisten Fällen auch die Grenze der illokutiven Akte nicht überschritten wird und die mit ihnen zusammenhängenden perlokutiven Akte nicht in die Analyse miteinbezogen werden. Sprachwissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit den usuellen Mitteln sprachlicher Gewalt wie Schimpfwörtern, Flüchen, Drohungen oder Verwünschungen, ihren morphologischen, strukturell-semantischen, syntaktischen, phraseologischen Besonderheiten, mit Problemen lexikographischer Erfassung sowie in komparativer Hinsicht mit sprach- und kulturspezifischen Zügen. Die Erforschung von Sprache als Gewaltmittel (verbale Gewalt) wird dagegen der Sprachphilosophie (Liebsch 2007: Herrmann, Krämer & Kuch 2007: Krämer & Koch 2010) überlassen.
kod351-20157
Review article Sprache und Diskriminierung Oksana Havryliv Obwohl die verbale Aggression für den Menschen eine wichtige Rolle spielt und mit 90% des allgemeinen aggressiven Verhaltens die physische weit übersteigt (cf. Kiener 1983, Huber 1996), wird ihr in der Linguistik bis heute erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gezollt. Die Studien, die es zum Thema gibt, beschränken sich auf die kontextuell-pragmatische Ebene, wobei in den meisten Fällen auch die Grenze der illokutiven Akte nicht überschritten wird und die mit ihnen zusammenhängenden perlokutiven Akte nicht in die Analyse miteinbezogen werden. Sprachwissenschaftliche Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit den usuellen Mitteln sprachlicher Gewalt wie Schimpfwörtern, Flüchen, Drohungen oder Verwünschungen, ihren morphologischen, strukturell-semantischen, syntaktischen, phraseologischen Besonderheiten, mit Problemen lexikographischer Erfassung sowie in komparativer Hinsicht mit sprach- und kulturspezifischen Zügen. Die Erforschung von Sprache als Gewaltmittel (verbale Gewalt) wird dagegen der Sprachphilosophie (Liebsch 2007: Herrmann, Krämer & Kuch 2007: Krämer & Koch 2010) überlassen. Innovative Aspekte Vor diesem Hintergrund ist das Erscheinen des Bandes “Schimpfwörter - Beschimpfungen - Pejorisierungen. Wie in Sprache Identitäten verhandelt werden” kaum hoch genug einzuschätzen, denn mit ihren Studien beziehen die AutorInnen die gesellschaftliche Dimension in die Untersuchung aggressiver Sprechakte mit ein. 1 Ausgehend von einem pragmatischen Sprachverständnis werden dabei sprachliche Diskriminierungen als “interaktive und vor allem gesellschaftliche, soziale Prozesse und Handlungen verstanden” (Acke, Hornscheidt & Jana 2011: 8 - hier und im Folgenden werden die Namen der AutorInnen des betreffenden Beitrags im Band angeführt). Ein weiteres Novum besteht darin, dass das Konzept “sprachliche Diskriminierung” schrittweise um weitere Dimensionen erweitert wird: zuerst auf privilegierende sprachliche Handlungen, weiterhin auf die indirekten und die nicht-adressierten sprachlichen Diskriminierungen. Mit indirekten sprachlichen Diskriminierungen haben wir es z.B. bei sexistischen, rassistischen oder Behinderung aufrufenden Metaphern zu tun (schwarz-weiß-Farbsymboliken wie “blackout”, “schwarzfahren”; Äußerungen wie “Bist du blind/ taub/ stumm? ”), denn K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen 158 mit ihnen werden strukturell diskriminierende Vorstellungen bezüglich dieser Personengruppen, die von den Normalvorstellungen abweichen, widergespiegelt und verfestigt. Bei den nicht-adressierten Pejorisierungen werden Personen und Personengruppen nicht direkt angesprochen, die Reproduktion der auf Personen(gruppen) bezogenen Vorstellungen vollzieht sich aber “im Reden und Schreiben über Anderes” (Hornscheidt, S. 43): “die Argumentation hinkt”, “die momentane Politik ist schizophren” u.a. Durch diese Herangehensweise entwickeln die AutorInnen ein neues Konzept personaler Appellation, das sich nicht ausschließlich auf Substantive und Pronomina erstreckt, sondern auch auf “metaphorische Sprachhandlungen und Verbphrasen, die direkt oder indirekt Vorstellungen von Personen bzw. Personengruppen konzeptualisieren, ohne diese direkt in erster, zweiter oder dritter Person zu appellieren” (Hornscheidt, S. 43). Die letzte Stufe der Konzepterweiterung ist die Betrachtung von Nicht-Äußerungen (Enterwähnungen, Ententnennungen) als sprachlichen Diskriminierungen. Der Band stellt Querverbindungen zu anderen Wissenschaften wie z.B. der Rechtswissenschaft her, indem auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, ins aktuelle deutsche Strafrecht gesellschaftlich-strukturelle Aspekte aufzunehmen und sich nicht ausschließlich auf zwischenmenschliche, individualisierte Handlungen beschränken. Andererseits werden auch Aspekte, die in der Schimpfwortforschung seit längerem erforscht werden, auf neue Art und Weise thematisiert.: So verstehen die AutorInnen unter Beschimpfungen “alle diejenigen sprachlichen Handlungen, die konventionalisiert verletzend, abwertend oder benachteiligend wirken können und in und durch welche solche Vorstellungen in der sprachlichen Appellation auf Personen reproduziert werden” (Acke, Hornscheidt, Jana, S. 8). Allerdings müssen nicht alle Beschimpfungen konventionalisiert sein, denn von einer Reihe von Sprachwissenschaftlern werden Schimpfwörter nach funktionalen Merkmalen bestimmt (Aman 1972: 165, Bally 1961: 354, Butler 2006: 27, Cherubim 1991: 23, Holzinger 1984: 26, Pluzer-Sarno 2001: 81, Schachovskij 1983: 69, Schippan 1972: 80, Schumann 1990: 276, Seibicke 1996: 496, Sornig 1975: 165, Telia 1986: 5, Stavyzka 2008: 22). Unter diesen Umständen entbehren die Behauptungen, dass mit dem im Band eingeführten Terminus “Pejorisierung” “ein handlungsbetontes, mehrdimensionales pragmatisches Modell zur Analyse von sprachlichen Beschimpfungen eingeführt” sowie “eine Sichtweite, die das diskriminierende Potential in einzelnen Wörtern sieht, relativiert werden” (Hornscheidt, S. 15), der Grundlage. Die Struktur des Bandes und Materialerhebungsverfahren Der Band besteht aus einer Einleitung und 10 Kapiteln. Im ersten Kapitel wird von Lann Hornscheidt das Konzept der Pejorisierung erörtert, das die theoretische Basis für die weiteren Beiträge im Band bildet. Im nachfolgenden empirischen Teil (Kapitel 2-8) wird an Hand empirischer Daten aus dem Schwedischen, Isländischen und Deutschen ein breites Spektrum an Forschungsfragen formuliert und untersucht. Diese reichen von der Reproduktion einer Grammatik der “politisch korrekten” Integration (Evelyn Hayn), dem Umgang mit Pejorisierungen in einsprachigen schwedischen Wörterbüchern (Hanna Acke), der Wiederspiegelung in der Jugendsprache (am Beispiel des Isländischen) von Normalitätsvorstellungen (Gisa Marehn), der Untersuchung der schwedischen Appellationsform hora in Medien und wissenschaftlichen Verhandlungen hinsichtlich ihrer Verwendung als Beschimpfung bzw. Pejorisierung (Lann Horn- Oksana Havryliv 159 scheidt) bis zum feministischen HipHop als Medium zur Hinterfragung konventionalisierter Vorstellungen von Gender und Sexualität und der positiven Resignifizierung weiblicher Sexualität (Ines Jana), der strategischen Resignifizierung der rassistisch-pejorisierenden Bezeichnung blatte durch die schwedische Zeitschrift “Gringo” (Undine Zimmer) und den pejorisierenden Sprachhandlungen in der Telefonkommunikation mit zwei Müttern im Rahmen medizinischer Telefonberatung in Schweden (Mats Landqvist). Es werden verschiedene Materialerhebungsverfahren und unterschiedliche Analysemethoden angewendet, die vielseitige Zugangsweisen zum Phänomen sprachlicher Diskriminierungen ermöglichen. Das Kapitel 9 stellt eine Fragebogenuntersuchung zum Umgang mit Beschimpfungen vor, was das Thema einiger Beiträge war. Beim letzten, 10. Kapitel, handelt es sich um eine Einführung zum beiliegenden Lern- und Lehrmaterial auf CD-ROM sowie um einen Überblick. Einige Beiträge (Gisa Marehn, Lann Hornscheidt) im Band beruhen auf Umfragen unter deutschen (722 Personen), isländischen (390 Personen) und schwedischen (96 Personen) Jugendlichen. Wie so oft bei den Studien zur (verbalen) Aggression, beruhen diese Beiträge also auf einer empirischen Basis, die durch die Umfrage nur einer Altersgruppe - Jugendlicher - gewonnen wurde. In diesem Alter erlebt das verbale aggressive Verhalten seinen Höhepunkt und weist eine Reihe von Funktionen auf, die für andere Altersgruppen nicht typisch sind (Provokation der Erwachsenen, Demonstrieren eigener Coolheit oder Zugehörigkeit zur bestimmten Teenagergruppe, sprachliche kreative Selbstrealisierung, verbale Aggression als Kontaktaufnahme u.a.), weshalb die Ergebnisse deshalb nur beschränkt bei der Diskussion um sprachliche Diskriminierungen/ Pejorisierungen eingebracht werden können. Die empirische Grundlage trägt außerdem kaum zum besseren Verständnis des Phänomens sprachlicher Diskriminierungen bei, denn die AutorInnen verzichten mit einigen wenigen Ausnahmen, um, wie sie es begründen, “die sprachliche Gewalt nicht unnötig zu reproduzieren”, auf konkrete Beispiele und geben diese durch Umschreibungen wieder, die an Kommunikation mit Außerirdischen erinnern: “Dein (cisgegendert, heterosexueller männlicher, älterer biologisiert Verwandter) Verb (negativer Ausdruck für eine prototypisch heterosexuelle sexualisierte körperbezogene Handlung) deine Mutter” (Hornscheidt, S. 29). Die Wiedergabe sprachlicher Gewalt ist in einem wissenschaftlichen Text zum Thema gerechtfertigt, denn sie trägt zum besseren Verständnis der Sachverhalte bei: In der rezensierten Studie werden einzelne Formulierungen gerade durch die Illustrationen aus dem empirischen Material verständlich: Die frequente Verwendung der Adressa_tinnenappellation hora durch die Jungen […] als ein Versuch eine alte Genderordnung aufrechtzuerhalten, in der (Hetero-)Typen Bestimmungsmacht über frauisierte Sexualität besitzen. In diesem Kontext kann eine Adressa_tinnenappellation mit hora auch als strategisch eingesetzte Wahl der Jungen angesehen werden, um ihre heterogendernormative sexuelle Macht durchzusetzen, wie in der Äußerung eines Jungen deutlich wird: […] “Die Situation sieht folgendermaßen aus. Wenn ein Mädchen kein Sex mit ihm haben will, wird sie hora genannt, will sie Sex haben, wird sie auch hora genannt (Hornscheidt, S. 147). Im Band werden unkonventionelle Schreibweisen wie Unterstriche und Großschreibungen im Inneren von Wörtern verwendet. Dynamische Unterstriche in personalen Appellationsformen, die “naturalisierte Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen” und somit “die Idee der Zweigeschlechtlichkeit herausfordern und ihr Brüche und Irritationen zufügen sollten” (Acke, Hornscheidt, Jana, S. 14), irritieren in erster Linie den Leser und erschweren das Verständnis des ohnehin komplizierten wissenschaftlichen Textes. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die in einem anderen Band - “Feminismus schreiben lernen” (2011) - von Lann Horn- Sprache und Diskriminierung 160 scheidt formulierte Stellungnahme eben dieser Kritik gegenüber hinweisen: Die Autorin bekennt sich von Anfang an zu allen Punkten, die Anlass zur Kritik bieten und geht manchmal so weit, dass sie kritische Diskussion von Anfang an unmöglich macht, indem sie in Kritik schlechthin Diskriminierung am Werke sieht: Aussagen, dass solche Texte (mit dynamischen Unterstrichen - O.H.) schwer verständlich sind, diskriminieren mich, schließen mich erneut aus, denken mich als Dyke_Trans nicht mit. Es gibt keine neutrale Aussage von schwerer Lesbarkeit für mich, sondern diese Wahrnehmungen hängen auch immer eng mit der eigenen Positionierung und ihrer Reflexion zusammen und drücken diese damit auch aus. Dynamische Unterstriche geben mir eine Präsenz, eine Anwesenheit, ein Angesprochensein in Texten (Feminismus schreiben lernen 2011, S. 172). Die Terminologie sowie Formulierungen sind von den AutorInnen übernommen und absichtlich auf die absolute Kompliziertheit des wissenschaftlichen Textes stilisiert worden (um nur einige zu erwähnen: “hegemonial imaginierte hetera- und sicgegenderte frauisierte sexuelle Verfügbarkeit” (Hornscheidt, S. 145), “Ansatz zu cisgegenderter heteragendernormativen Frauisierung” (Hornscheidt, S. 139)). Dass dieser Stil nicht nur von der Autorin dieser Rezension als kompliziert wahrgenommen wird, lesen wir in “Feminismus schreiben lernen”: “Sagen mir (Lann Hornscheidt - O.H.) einige ‘meiner’ Dokt_orandinnen, immer mal wieder ungefähr so: ‘Deinen Text im Buch X musste ich absatzweise viermal lesen, so kompliziert hast du geschrieben’ […].” An gleicher Stelle finden wir auch die Erklärung dazu: “Bestimmt spielt/ e dabei auch eine Rolle, dass ich mich so absichern wollte, gegen Kritik und Angriffe und Infragestellungen versichern wollte” (Feminismus schreiben lernen 2011, S.118). Über die Zweckmäßigkeit dieser Stilisierung ließe sich diskutieren, denn wenn sich auch der wissenschaftliche Text durch charakteristischen Stil auszeichnet, so sollte die Form doch nicht den Inhalt dominieren. Im von Lann Hornscheidt verfassten Einführungskapitel wird eine Reihe in Bezug auf sprachliche Diskriminierung relevanter rhetorischer Fragen formuliert, die den Leser zum Nachdenken und Suchen nach einer Antwort bzw. Antworten anregen: - Was aber ist mit Diskriminierungshandlungen, die nicht als solche wahrgenommen werden, die ich aber meine, analytisch feststellen zu können? Wie komme ich dazu, bestimmte Sprachhandlungen analytisch als Diskriminierungen aufzufassen, auch wenn die dadurch Diskriminierten in meiner Sicht dies für sich nicht so wahrnehmen? (S. 22). - Wie kann bestimmt werden, welche strukturellen Diskriminierungsdimensionen in konkreten Äußerungsakten aufgerufen bzw. realisiert werden? (Hornscheidt, S. 25). - […] wer dann definiert, ob eine Diskriminierung vorliegt oder nicht (S. 23), Welche wie positionierten Personen eine für dieses Analysemodell relevante Aussage zu Diskriminierung treffen können? (Hornscheidt, S. 26). Manche Standpunkte, die im Band vertreten werden, sind durchaus diskutabel: So werden die Termini “Sexismus” und “Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes” im engen Sinne verwendet, indem als Opfer ausschließlich Frauen betrachtet werden. Dabei sollten die Termini auf beide Geschlechter anwendbar sein, sowie das Problem des Einsatzes von Sexismus-Vorwürfen als Erpressungsmittel in Sexismus-Debatten angesprochen werden, welches dann akut wird, wenn es dem “Sexismus-Opfer” nicht um die durch Sexismus erlittene Verletzung, sondern um Sexismus als Mittel zur Ausübung von Druck, zum Kompromittieren geht (z.B. von männlichen Politikern). Indem die Rolle des Opfers nicht nur für die Frauen reserviert wäre, würde das einen weiteren Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter bedeuten. Oksana Havryliv 161 Pejorisierung als sprachliche Äußerung struktureller Diskriminierungen Unter sprachlicher Diskriminierung wird jene Form des Sprachgebrauchs verstanden, bei der andere Personen oder Personengruppen von einzelnen Personen oder Personengruppen bewusst oder unbewusst verbal herabgesetzt, beleidigt oder angegriffen werden. 2 Laut dieser Definition stellt der große Teil der Schimpfwörter sprachliche Diskriminierungen dar, denn Schimpfwörter sind gerade auf die für die jeweilige Gesellschaft typischen Vorstellungen von Normalitätsabweichungen gerichtet und lassen sich nach synonymischen Reihen gliedern, etwa synonymische Reihen zur Bezeichnung eines dünnen und hageren Menschen, eines dicken Menschen, eines alten Menschen, Nationalschelten. Im Rahmen der synonymischen Reihe variiert die Intensität einzelner Schimpfwörter von scherzhaft-neckenden (Spaghettifresser) bis zu den stark herabsetzenden (Nigger), so dass ihre potentielle diskriminierende Wirkung unterschiedlich ist. Der Ausdruck “sprachliche Diskriminierung” ist breiter als der von den AutorInnen vorgeschlagene Terminus “Pejorisierung”, denn “Pejorisierung” ist sprachliche Äußerung nur einer Form der Diskriminierung - der strukturellen Diskriminierung, die in der Strukturbeschaffenheit der Gesamtgesellschaft liegt. Dieser Definition zufolge wären z.B. in der patriarchal strukturierten Gesellschaft Frauen strukturell diskriminiert, die Männer hingegen nur durch individuelle Stereotypen oder einzelne Institutionen: “[…] dass privilegiert positionierte Personen beschimpft, aber nicht pejorisiert werden, dass Männer z.B. aufgrund von Genderzuschreibungen beschimpft, aber nicht sexistisch diskriminiert werden können” (Hornscheidt, S. 33). Der Ausdruck “Pejorisierung” erfährt im Band eine Erweiterung: Termini wie “pejorativ”, “pejorative Lexika”, “Pejorativum” oder “Pejoration” (lat. “peior” - schlimmer) haben sich seit Jahrzehnten in der sprachwissenschaftlichen Literatur gerade bei den Forschungen auf der syntagmatischen Ebene (pejorative Halbaffixe, Präfixe/ Suffixe) etabliert. In meinen Arbeiten auf dem Gebiet der verbalen Aggression (z.B. Havryliv 2003, Havryliv 2009) verwende ich auf der syntagmatischen Ebene die Termini “Pejorativum”, “pejorative Lexik”. Im Kontext bzw. in der Rede können sich die Pejorativa sowohl zu Schimpfwörtern als auch zu den Kosewörtern entwickeln, d.h. “Schimpfwort” wäre nur eine mögliche Rolle, die ein Pejorativum spielen könnte. Dasselbe betrifft die Dimension der sprachlichen Diskriminierung. In dem rezensierten Band wird der Begriff der Pejorisierung aber nicht nur über die Grenzen der strukturell-semantischen Ebene, sondern über den sprachlichen Kontext hinaus zum gesellschaftlichen Kontext erweitert. Produktiver wäre es meines Erachtens, den Begriff der sprachlichen Diskriminierung einzuengen und ihn allein für die Fälle sprachlicher Äußerungen struktureller Diskriminierungen zu verwenden. Definitionsversuche des Begriffs “Pejorisierung” Zu den Definitionen des neu eingeführten Terminus “Pejorisierung” kommen die AutorInnen des Bandes immer wieder zurück, wobei sich die Definitionen sowohl gleichen als auch widersprechen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Wiederholungen. Ein Aspekt, der als besonders wichtig apostrophiert wird, ist, dass Pejorisierungen “situativ konkret zu fassende Phänomene” (Hornscheidt, S. 20) sind und dass eine konventionalisierte Pejorisierung auch nicht-pejorisierend gebraucht werden kann. Dies wäre zum Beispiel bei den Selbstbezeichnungen mit pejorativen Lexemen oder beim freundschaftlichen Sprache und Diskriminierung 162 Necken der Fall. Damit beim freundschaftlichen Necken bei der adressierten Person der gewünschte perlokutive Effekt des Nicht-Beleidigtseins eintritt, muss sich diese der Intention, die die sprechende Person verfolgt, bewusst sein, d.h. das Übereinstimmen illokutiver und perlokutiver Akte spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle. Ebenso kommt individuellen Wahrnehmungen eine wichtige Bedeutung zu: “[…] dass es für meine Konzeptualisierung ganz zentral ist, Wahrnehmungen von Diskriminierten als wichtige Momente in sozialen Interaktionen und für eine Bemessung von sprachlichen Diskriminierungen anzuerkennen” (Hornscheidt, S. 26). An anderen Stellen heißt es jedoch: “Die im Band ausgearbeitete Konzeptualisierung von Pejorisierung gibt damit nicht nur der Intention der Sprech_erinnen, sondern auch der von einer appellierten Person wahrgenommenen Dimension einer Kränkung nur sekundäre Relevanz für die Klassifizierung einer Sprachhandlung als Pejorisierung” (Hornscheidt, S. 37), “Die Frage der Intention der sprechenden Person rückt für die Bewertung einer Sprachhandlung als Pejorisierung in den Hintergrund” (Hornscheidt, S. 35), “dass der diskriminierende Effekt auch ohne Intentionalität und unabhängig vorgestellter, sprachlicher Regeln wirkt” (Hayn, S. 49) oder “Um von einer Diskriminierung sprechen zu können, ist es nicht relevant, ob die sprechende Person eine Pejorisierung beabsichtigt hatte oder nicht” (Hayn, S. 65). Und dann wiederum heißt es: “Pejorisierende Wirkung entsteht […] in einem komplexen Zusammenspiel von Intention der Sprecherin, den Reaktionen der Hörerinnen und anderer Beteiligten, dem Verständnis der benutzten Phrasen und Wörter, das die an der Sprachhandlung Beteiligten haben, dem konkreten sowie dem gesellschaftlichen Kontext und den unterschiedlichen Machtpositionen, die die Beteiligten innehaben” (Acke, S. 74). Danach würde es sich auch bei der Beschimpfung “Du Esel! ” z.B. seitens des Chefs um eine Diskriminierung handeln? Laut den zuvor angeführten Definitionen, nach denen die Pejorisierungen unabhängig des Kontextes zu verstehen sind, dürften aber die Situation, die Intention und die Wahrnehmung nur eine unwesentliche Rolle spielen. Der entscheidende und wunde Punkt in der Diskussion um sprachliche Diskriminierungen und Pejorisierungen ist gerade “der gesellschaftliche Kontext”: Davon, wie dieser wahrgenommen und gedeutet wird, hängt ab, was als sprachliche Diskriminierung verstanden wird. Für die einen stellen die Anreden mit generischem Maskulinum eine sprachliche Diskriminierung dar und für die anderen tun dies selbst die stärksten Pejorativa (z.B. Nationalschelten) nicht. Es ist wichtig zu betonen, dass der Band “Schimpfwörter - Beschimpfungen - Pejorisierungen” eine breite Auffassung sprachlicher Diskriminierungen vorschlägt und somit zu Diskussionen sowohl über sprachwissenschaftliche als auch gesellschaftlich relevante Themen anregt. Das Ergebnis dieser Diskussionen würde ich, wie bereits erwähnt, in der Einengung des Begriffs der sprachlichen Diskriminierung sehen, wenn sich diejenigen lexikalischen Einheiten herauskristallisieren, die als “konventionelle sprachliche Diskriminierungen”, die über ein diskriminierendes Potenzial auch außerhalb des Kontextes verfügen, bezeichnet werden. Meines Erachtens wäre dieser Kreis nicht sehr umfassend und würde in erster Linie zum Beispiel rassistisch und kolonialistisch geprägte Wörter (Neger), historisch stark negativ belastete Wörter und Wendungen (Saujude, vergasen, durch den Rost fallen) und ähnliche umfassen. Die stark diskriminierenden Konnotationen dieser Wörter und Wendungen sind außerhalb jeglichen Kontextes vorhanden. Es ist kaum denkbar, diese Konnotationen bei dem scherzhaften Gebrauch verschwinden zu lassen. Bei den anderen potentiellen sprachlichen Diskriminierungen ist dies nicht der Fall, weil sie auch scherzhaft, als freundschaftliches Necken gebraucht werden können. Dabei können durchaus auch starke Pejorativa zum Einsatz kommen (in meinem empirischen Korpus finden sich zum Beispiel Oksana Havryliv 163 Scheißtschusch oder Kanack, die mit diesem Ziel und mit der gewünschten Wirkung gebraucht werden). Starke Pejorativa stellen beim scherzhaften Gebrauch im Freundeskreis einen Tabubruch dar und signalisieren: “Unsere Freundschaft ist so stark, dass wir uns ‘das verbotene Spiel’ erlauben können”. Dasselbe betrifft den Gebrauch von vulgären Pejorativa in der Kommunikation zweier Liebenden: Es sind schon alle zärtlichen Wörter gesagt worden, deren Umfang bekanntlich nicht so groß wie der der pejorativen ist (Chudjakov (1980), Devkin (1996), Jontes (1987), Kremich (1980), Lötscher (1980), Mayr (1980), Opelt (1965) u.a.)). Welche Wörter können für weitere zärtliche Anreden gebraucht werden? Die positiven emotiven Semen können zwar im Kontext bzw. in der Rede in die Bedeutungsstruktur eines neutralen Wortes okkasionell “eingepflanzt” werden, aber in der Praxis wird in solchen Situation das Wort aus derselben emotiven Sphäre genommen, dessen emotiver Bedeutungsaspekt über ein negatives emotives Sem verfügt, das sich im Kontext bzw. in der Rede in das Gegenteil umwandeln lässt. Kontextuelle Transformation des Semkonkretisators (von “-“ zu “+”) erscheint somit produktiver als kontextuelle Entwicklung emotiver Bedeutung eines neutralen Lexems. Demnach könnte bei einer kleinen Gruppe von Wörtern und Wendungen von “potentiellen sprachlichen Diskriminierungen”, die als solche auch außerhalb des Kontextes verstanden werden, die Rede sein. Abgesehen von dieser Gruppe kann über sprachliche Diskriminierung nur im Rahmen der ganzen Kommunikationssituation befunden werden (soziale Positionen der Beteiligten, das Übereinstimmen von Intentionen und Perlokutionen). Andere Autoren gehen dagegen davon aus, “dass Sprache nur durch den Gebrauch existiert und ein System an sich, welches Diskriminieren könnte, nicht greifbar ist” (Kusterle 2011: 34). Objektivität der Wissensproduktion - ein Mythos? Die Einbeziehung der Machtdimensionen in die Analyse ist eine Gratwanderung, denn sie verlangt besondere Sensibilität, muss aus einer neutralen unvoreingenommenen Position erfolgen und darf nicht für bestimmte politische Zwecke genutzt werden. Die von AutorInnen verlangte Reflexion der eigenen strukturellen Positionierung, die als “untrennbarer notwendiger Teil einer sozial verantwortlichen, kritischen Analyse betrachtet wird” (Hornscheidt, 34), würde meines Erachtens zu Subjektivität und Voreingenommenheit führen. Andererseits stellt sich die Frage, ob neutrale Positionen in den Studien, die gesellschaftlich-politische Bereiche miteinbeziehen, überhaupt möglich wären? Eine migrierte Forscherin/ ein migrierter Forscher würden in Bezug auf Migration die strukturellen Machtverhältnisse unmittelbarer und daher anders erleben als statisierte; dasselbe betrifft die Situation, wenn die Forscherin selbst engagierte Feministin ist. Der Einwand der Subjektivität würde die Herausgeberinnen des Bandes wie auch die AutorInnen der Beiträge nicht irritieren, denn sie (unter anderem Lann Hornscheidt) gehen davon aus, “dass jegliche Wissensproduktion nicht neutral ist” (Feminismus schreiben lernen, S. 168) und jede Forschung politisch ist, wobei der Unterschied lediglich darin liegt, “ob ich dies explizit mache und reflektiere oder ob ich mich auf eine Idee einer neutralen Position zurückziehe, von der ich nicht glaube, dass es sie gibt” (Feminismus schreiben lernen, S. 170). Hornscheidt macht es explizit: “Als Forsc_herin mit einer Festanstellung an einer Universität habe ich die gesellschaftliche Verantwortung, sinnvolles und für die Gesellschaft wichtiges Wissen zu produzieren und zu vermitteln. Wie ich das definiere, ist stark von meiner feministischen Einstellung geprägt” (Feminismus schreiben lernen, S. 168). Sprache und Diskriminierung 164 Schokolade zum Frühstück In der Diskussion um sprachliche und außersprachliche Diskriminierung sowie um Gruppenbezeichnungen sollten sowohl die Empfindungen der Diskriminierten berücksichtigt, als auch die von ihnen selbst bevorzugten Bezeichnungen verwendet werden (wie es z.B. bei dem Wort “Schwarze/ er” der Fall ist). Doch es gibt kaum Erkenntnisse zu diesen Präferenzen, anstatt dessen wird von den Bezeichnungen ausgegangen, die in der Outgroup als “rücksichtsvoll” oder “politisch korrekt” gelten (vgl. hierzu Germann 2007: 60) - ein Standpunkt, der leider auch im rezensierten Band vertreten wird: So spielt es nicht nur keine Rolle, ob die appellierte Person oder Gruppe danach gefragt worden ist (ob eine Handlung als diskriminierend empfunden wird - O.H.) - auch eine von den Appellierten nicht so empfundene Diskriminierung kann mit dem vorliegenden Modell als Diskriminierung und damit als Pejorisierung aufgefasst werden (Hornscheidt, S. 22). Während die Wahrnehmung einer Handlung als diskriminierend seitens strukturell Diskriminierter als “bindende und nicht zu hinterfragende Einschätzung” (Hornscheidt, S. 22) betrachtet wird, gehen die Autorinnen des Bandes davon aus, dass die strukturellen Diskriminierungen so stark und hegemonial verfestigt seien, “dass die Diskriminierten dies nicht als Pejorisierung aktiv und bewusst wahrnehmen können müssen” (ibid.). Um Einseitigkeit und Subjektivität zu vermeiden, sollten sich die Studien auf eine umfassende empirische Basis stützen und nicht auf individuellen Erfahrungen und Reflexionen eines Forschers oder einer Arbeitsgruppe beruhen. Hier wäre es die Aufgabe der Soziolinguistik, die “Betroffenen” nach ihren Empfindungen, Wahrnehmungen zu befragen, um später die Impulse, die aus solcherart Erhebungen kommen, bei der Einführung neuer Bezeichnungen zu berücksichtigen. Andernfalls würde die Situation an einen sowjetischen Witz erinnern: Der Schüler fragt den Lehrer, wie das Leben im Kommunismus aussehen würde. “Oh, es wird sehr schön sein, - antwortet der Lehrer, “dann wirst du jeden Tag zum Frühstück Schokolade essen können”. “Aber ich mag gar keine Schokolade” - entgegnet der Schüler. Darauf der Lehrer: “Aber Du wirst sie trotzdem essen”. Die AutorInnen des Bandes gehen davon aus, dass in der Pejorisierungs-Konzeption bei Diskriminierungen gesellschaftlich verankerte Machtstrukturen eine entscheidende Rolle spielen, individuelle Empfindungen zu Verletzungen und Kränkungen dagegen nicht diskriminierend sein müssen. Was ist aber, wenn die individuellen Gefühle mit der gesellschaftlichen Sicht nicht zusammenfallen? Darauf gehen die AutorInnen nicht ein. Es ist jedenfalls sinnvoll, sich diese Frage zu stellen: Wäre es nicht auch eine Diskriminierung, für andere aus privilegierter Position zu entscheiden, welche (sprachlichen) Handlungen Diskriminierungen sind und welche nicht? Die Impulse sollten nicht von den Privilegierten, sondern von den Diskriminierten ausgehen, andernfalls verfestigen die Studien die gesellschaftliche Situation, die sie kritisieren, weil hinsichtlich migrierten Personen von der “Un_Möglichkeit, sprechen zu können und gehört zu werden” (Hayn, S. 64), die Rede sein könnte. Die Sprache in der Wunderwelt der Rede Die pragmatische Sichtweise auf Sprache und Bedeutung, die im Band vertreten wird, muss nicht automatisch den Systemcharakter von Sprache in Frage stellen, wie etwa Acke behauptet: Oksana Havryliv 165 Aus einer pragmatischen Sicht auf Sprache und Bedeutung stelle ich die Existenz eines vom Sprechen unabhängigen Systems infrage. Sprache ist Sprechen, und Bedeutung wird bei jeder Benutzung eines Wortes im Kontext durch die Produzentinnen, die Rezipientinnen und eventuelle weitere Beteiligte neu hergestellt (Acke, S. 73). Das Potenzial liegt auf der sprachlichen Ebene und wird in der Rede bzw. im Text in dem für diese Situation notwendigen Umfang realisiert und transformiert (Bedeutungskonkretisierung, -erweiterung, -verschlechterung, -verbesserung usw.): die Sprache lebt und entwickelt sich somit in der Rede (“Die Sprache spricht” [Heidegger]). Sollte es unmöglich sein, von abwertender Bedeutung auf der Ebene der Sprache zu reden, so hätten die AutorInnen keinen Grund dazu, in ihren Umfragen die Jugendlichen nach den Äußerungen zu fragen, “die sie selbst verwenden oder die ihnen bekannt sind oder die ihnen geeignet erscheinen, um andere Personen verbal herabzusetzen oder zu beleidigen” (Acke, Hornscheidt, Jana, Marehn, S. 228), denn ausgehend von ihrer Hypothese wäre dieses kontextunabhängige Aufzählen nicht möglich. Die Kritik “der traditionell-sprachwissenschaftlichen Fokussierung auf einzelne Wörter” (Hornscheidt, S. 30), wenn etwa von Schimpfwörtern oder Invektiven die Rede ist, sowie auf “individuell zugefügte und/ oder empfundene Kränkungen und Verletzungen” (Hornscheidt, S. 32) ist nachvollziehbar, das vollkommene Verdrängen des “menschlichen Faktors” dagegen eine Übertreibung. Sinnvoller erscheint mir der Weg vom Individuellen zum Interindividuellen. Wo wohnt die Beleidigung? Während für die Bestimmung eines Sprechaktes als Beschimpfung die Intention der sprechenden Person ausschlaggebend ist, gehört die Beleidigung in den Bereich der perlokutiven Akte, die der Sprechakt “Beschimpfung” bei der adressierenden Person hervorrufen könnte. Diese Sichtweise auf Beleidigung findet sich ebenfalls in der neueren sprachphilosophischen Literatur: “Allemal steht es zunächst den von sprachlicher Gewalt getroffenen zu, über sie zu befinden. Dem kann man in einer allein auf Sprecherabsichten sich stützenden Analyse, wie sie auch in der Sprechakttheorie bevorzugt wird, nicht gerecht werden” (Liebsch 2007: 136). Hornscheidt begrüßt Liebschs Erweiterung der SprecherInnenintention um die Wahrnehmung der Adressierten, hält sie aber keinesfalls für die Bestimmung einer Sprechhandlung als Pejorisierung ausreichend: “[…] würde aber nicht das von ihm angesetzte Kriterium, dass es die von sprachlicher Gewalt ‘Getroffenen’ in seiner Terminilogie sind, die ausschließlich darüber befinden können, was eine sprachliche Beschimpfung sei, zustimmen” (Hornscheidt, S. 21). An diesem Punkt zieht Hornscheidt eine Grenzlinie zwischen Beschimpfung und Pejorisierung, was bisher in der Forschung noch nicht gemacht worden ist: Während für die Definition eines Sprechaktes als “Beschimpfung” illokutionäre Akte maßgebend sind, ist in der Frage der Einordnung einer Sprachhandlungssituation als Pejorisierung das Einbeziehen der Ebene struktureller Diskriminierungen entscheidend. Bezüglich des im Band verwendeten Terminus “konventionalisierte Pejorisierungen” kommt die Frage auf: Entspricht dies nicht der Position, abwertende Wirkung im Wort außerhalb des Kontextes zu sehen - ein Standpunkt, der von AutorInnen des Bandes kritisiert wird? Anders ausgedrückt: Wäre deshalb die Ebene struktureller Diskriminierung für Pejorisierungen nicht mit der Ebene der Sprache für ein Schimpfwort zu vergleichen? Sprache und Diskriminierung 166 Das Vermeiden der Gewalt durch die Sprache ohne die Gewalt an der Sprache Die starke Abwehrhaltung gegen machtsensible Interventionen und Aktivitäten und gegen entsprechend propagierte sprachliche Veränderungen zeigt, so die AutorInnen des Bandes, “dass Sprache von Relevanz ist - denn sonst müssten entsprechende Änderungen nicht so stark argumentativ und im aktiven Sprachhandel abgewertet und verunmöglicht werden” (Hornscheidt, S. 44). Der häufigste Grund für die Abwehrreaktionen wäre m.E. die Gewohnheit der Sprachbenutzer. Deshalb sollten die Befürworter der sprachlichen Veränderungen in Betracht ziehen, dass die Veränderung des Sprachgebrauchs nicht von heute auf morgen erfolgen kann, sondern dass dieser Prozess Zeit braucht, der Gebrauch neuer Bezeichnungen bzw. das Vermeiden schon zur Gewohnheit gewordener sind Folge eigener sprachlicher Reflexionen, zu denen der rezensierte Band Anstoß gibt. So hat die Autorin dieser Rezension in ihren wissenschaftlichen Publikationen bisher gewohnheitsmäßig das generische Maskulinum (“Intention des Sprechers”, “An den Leser”, “Perlokutive Effekte beim Adressaten” usw.) oder das unpersönliche Pronomen “man” gebraucht und begann sich mit diesen Formen auseinanderzusetzen, um schließlich in dieser Rezension (vor allem aus Rücksicht auf die AutorInnen des rezensierten Bandes) bewusst auf sie zu verzichten. Bei der breiten Auffassung des Begriffs sprachlicher Diskriminierung entsteht, wie auch im Falle anderer breiten Zugänge an ein Phänomen, an einem bestimmten Punkt die Frage, wie weit er ausgedehnt und wie weit die damit verbundenen Sprachveränderungen gehen dürfen oder sollen? Für die bildhafte Sprache sind z.B. Vergleiche, Metapher, Wortspiele charakteristisch, die als diskriminierend betrachtet werden könnten. Bei Wörtern und Wendungen wie “negerarm”, “herumzigeunern”, “geizig wie ein Jude” etc. ist es durchaus nachvollziehbar, denn auf diese Weise werden einer ganzen Nationalität bestimmte (negative) Eigenschaften oder Lebensweisen zugeschrieben. Die anderen Fälle sind weniger eindeutig, etwa die diskriminierende Wirkung des Phraseologismus “zu jemanden Füßen liegen”, wie diese in Richtlinien zum nichtdiskriminierenden Sprachgebrauch am Beispiel des Satzes “Nicht nur Bälle, sondern auch die Frauen liegen zu seinen Füßen” über einen erfolgreichen Fußballspieler illustriert wird. Denn mit diesem Wortspiel wird bildhaft das Verhalten dargestellt, das bestimmte Gruppen (z.B. sowohl männliche, als auch weibliche Fans) den “Stars” gegenüber entwickeln; auf der Grundlage dieses Phraseologismus kann im anderen Kontext dann ein Wortspiel entstehen, das sich auf eine männliche Gruppe bezieht. Das heißt, der Phraseologismus zielt hier nicht auf das gesamte Geschlecht, sondern auf das situative Verhalten. Die Angst vor Diskriminierungseinwänden könnte sich negativ auf das Facettenreichtum der Sprache auswirken, wenn nicht mehr umgangssprachliche “schwarz fahren” oder “schwarz arbeiten” gebraucht werden sollten, da sie auf negativen Konnotationen, die mit der Farbe “schwarz” verbunden sind, beruhen (Vgl. Empfehlungen von Noah Sow (2008: 273)), sondern nur noch neutrale Formulierungen, die dem Amtsstil entsprechen - “Ohne Ticket fahren” oder “illegal arbeiten”. Dabei ist zu beachten, dass diese Wörter und Wendungen schon im Gebrauch waren, als das Wort “Schwarze/ er” noch nicht zur Personenbezeichnung durch Selbstbenennung verwendet wurde. Die AutorInnen des Bandes erweitern die Konzeption der sprachlichen Diskriminierung um mehrere Dimensionen, so dass z.B. auch die Fragen, die über das Aufrufen bestimmter Normalitätsvorstellungen für Personen ohne entsprechende finanzielle oder zeitliche Möglichkeiten (Wohin fahrt ihr in den Urlaub? Warum kaufst du dir keinen neuen/ größeren Fernseher? u.a.) als diskriminierend empfunden werden könnten (Hornscheidt, S. 38). Dabei sind sich die AutorInnen durchaus bewusst, dass mit dieser Konzeptualisierung jede Äußerung als Oksana Havryliv 167 potentielle Diskriminierung verstanden werden könnte und darauf befragt werden muss, womit der sprechenden Person “eine hohe Verantwortung für ihr kommunikatives Tun gegeben und eine kontinuierliche Reflektion potentiell diskriminierender Handlungen eingefordert wird” (ibid). Diese Konzeptionserweiterung regt einerseits dazu an, sich mit dem eigenem Sprachgebrauch auseinanderzusetzen, andererseits aber auch Überlegungen darüber anzustellen, ob die breite Auffassung sprachlicher Diskriminierung nicht zur Verunsicherung der Sprecherin/ des Sprechers und folglich zur Verkomplizierung menschlicher Kommunikation führen würde? Während das Spektrum potentieller sprachlicher Diskriminierungen stark ausgedehnt wird, wird dem ungewollten Gebrauch potentiell diskriminierender Äußerungen geringe Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Hayn, S. 49). Dabei spielt es meines Erachtens eine entscheidende Rolle, ob die als diskriminierend empfundene Äußerung als solche intendiert war und infolge deren geplanter Wirkung die sie äußernde Person das Gefühl der Genugtuung empfindet oder ob diese Äußerung ungewollt (z.B. aus Unwissenheit) spontan geäußert wurde und die sie geäußerte Person dies bedauert. Auch wenn für die Klassifizierung einer Äußerung als diskriminierend die Intention der sprechenden Person in den Hintergrund tritt und das Empfinden der Adressatin/ des Adressaten ausschlaggebend ist, so wird der bei der diskriminierten Person hervorgerufene perlokutive Effekt infolge der Entschuldigung seitens der sprechenden Person gemildert. Besonders schwierig würde sich angesichts des breiten Zugangs zur sprachlichen Diskriminierung die Kommunikation zwischen zwei unbekannten Menschen gestalten, die über keinerlei Hintergrundwissen übereinander verfügen (finanzielle und familiäre Situation, Herkunft, politische Ansichten usw.). Deshalb erscheint mir gerade in der modernen mobilen Welt die entgegengesetzte Position sinnvoll: Äußerungen als apriori nicht diskriminierend bzw. nicht beleidigend wahrzunehmen. Zu dieser Schlussfolgerung bin ich infolge meiner Forschungen auf dem Gebiet verbaler Aggression gekommen, denn die durch Umfragen gewonnene empirische Basis 3 zeigt unter anderem, dass die sprechende Person sogar mit dem Gebrauch von Pejorativa nur selten (11% des gesamten verballaggressiven Verhaltens) das Ziel verfolgt, die Adressatin/ den Adressaten beleidigen zu wollen. In den allermeisten Fällen geht es bei der verbalen Aggression darum, negative Emotionen abzureagieren (64% des gesamten verballaggressiven Verhaltens); sogar der scherzhafte Gebrauch ist häufiger (25% des gesamten verballaggressiven Verhaltens) als der mit der beleidigenden Intention. Die adressierte Person sollte sich deshalb bewusst sein, dass verbale Aggressionsäußerungen möglicherweise nichts mit ihr zu tun haben, sondern mit der sprechenden Person, denn sie sind Ausdruck ihrer Probleme, ihres Charakters und Temperaments. Anschließend möchte ich noch ein weiteres Diskussionsthema ansprechen: Ein von den Gegnern von Sprachveränderungen häufig angeführter Einwand besagt, dass den Sprachveränderungen die Veränderungen in der Gesellschaft vorangehen sollten, welche Sprachveränderungen automatisch mit sich bringen würden. Andernfalls müssten (ähnlich wie im Tabu- Euphemismus-Zyklus) immer wieder neue Bezeichnungen geschaffen werden, weil die unverändert negative gesellschaftliche Stellungnahme bestimmten Gruppen gegenüber auf die neuen Bezeichnungen abfärben würde. Ich halte den Versuch der Sprachveränderungen auf jeden Fall sinnvoll, denn er könnte sich durchaus auf die Veränderung gesellschaftlicher Vorstellungen und sozialer Wirklichkeit auswirken. Die vielen Fragestellungen und Diskussionsvorschläge, die sich aus den Bandbeiträgen ergeben, sind für die Studien, die sich auf ein neues Forschungsterrain begeben, charakteristisch. Im rezensierten Band werden gesellschaftlich relevante Themen angesprochen, die zum Nachdenken und zu Diskussionen anregen, sowie Impulse für künftige Forschungen geben. Sprache und Diskriminierung 168 Literatur AK Feministische Sprachpraxis (ed.) 2011: Feminismus schreiben lernen (= Transdisziplinäre Genderstudien 3), Frankfurt/ Main: Brandes & Apsel Aman, R. 1972: Bayrisch-Österreichisches Schimpfwörterbuch, München: Süddeutscher Verlag Bauer-Jelinek, Ch. 2012: Der falsche Feind. Schuld sind nicht die Männer, Salzburg: Ecowin Butler, J. 2006: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt/ Main: Suhrkamp Cherubim, D. 1992: “Sprache und Aggression. Krieg im Alltag - Alltag und Krieg”, in: Karl Ermert (ed.) 2012: Surgery Strike. Über Zusammenhänge von Sprache, Krieg und Frieden, (= Loccumer Protokolle 58/ 1991), Rehburg-Loccum: Evangelische Akademie Loccum, 11-35 Devkin, V.D. 1996: Der rusische Tabuwortschatz. Leipzig: Langenscheidt Verlag Enzyklopädie Germann, S. 2007: Vom Greis zum Senior. Bezeichnungs- und Bedeutungswandel vor dem Hintergrund der “Political Correctness”, Hildesheim: Olms Havryliv, O. 2003: Pejorative Lexik. Untersuchungen zu ihrem semantischen und kommunukativ-pragmatischen Aspekt am Beispiel moderner deutschsprachiger, besonders österreichischer Literatur. Frankfurt/ Main etc.: Peter Lang Havryliv, O. 2009: Verbale Aggression. Formen und Funktionen am Beispiel des Wienerischen, Frankfurt/ Main etc.: Peter Lang Herrmann, S.K., Krämer, S., Kuch, H. 2007: Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung, Bielefeld: transcript Hess-Lüttich, E.W.B. 2008: “HimmelHerrgottSakrament! Gopfridstutz! und Sacklzement! Vom Fluchen und Schimpfen - Malediktologische Beobachtungen”, in: Kodikas/ Code. An International Journal of Semiotics 31.3-4 (2008): 327-337 Holzinger, H. 1984: Beschimpfungen im heutigen Französisch. Pragmatische, syntaktische und semantische Aspekte, Universität Salzburg: Diss.phil. Hornscheidt, L. 2011: “Dyke_Trans schreiben lernen. Schreiben als feministische Praxis”, in: AK Feministische Sprachpraxis (ed.) 2011: Feminismus schreiben lernen (= Transdisziplinäre Genderstudien 3), Frankfurt/ Main: Brandes & Apsel, 100-138 Hornscheidt L. 2011: “Sie fragen - Prof. Dr Lann Hornscheidt antwortet. FAQs zur Sprache, Diskriminierung und Feminismus”, in: AK Feministische Sprachpraxis (ed.) 2011: Feminismus schreiben lernen (= Transdisziplinäre Genderstudien 3), Frankfurt/ Main: Brandes & Apsel, 162-179 Huber, A. 1996: “Die hohe Schule des richtigen Schimpfens”, in: Psychologie heute 23.11: 28-31 Kiener, F. 1983: Das Wort als Waffe. Zur Psychologie der verbalen Aggression, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Krämer, S., Koch, E. (eds.) 2010: Gewalt in der Sprache. Rhetoriken verletzenden Sprechens, München: Wilhelm Fink Kusterle, K. 2011: Die Macht von Sprachformen. Der Zusammenhang von Sprache, Denken und Genderwahrnehmung, Frankfurt/ Main: Brandes & Apsel Liebsch, B. 2007: Subtile Gewalt. Spielräume sprachlicher Verletzbarkeit. Eine Einführung, Weilerswist: Velbrück Lötscher, A. 1980: Lappi, Lööli, blööde Siech! Schimpfen und Fluchen im Schweizerdeutschen, Frauenfeld: Huber Mayr, M. 1980: Das Wienerische. Art und Redensart, Wien/ München: Amalthea Meier, S. 2007: Beleidigungen. Eine Untersuchung über Ehre und Ehrverletzung in der Alltagskommunikation (= Essener Studien zur Semiotik und Kommunikationsforschung 20), Aachen: Skaker Opelt, I. 1965: Die lateinischen Schimpfwörter und verwandte sprachliche Erscheinungen, Heidelberg: Winter Schippan, Th. 1972: Einführung in die Semasiologie, Leipzig: Bibliographisches Institut Schumann, H.B. 1990: “Sprecherabsicht: Beschimpfung”, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 43 (1990): 259-281 Sornig, K. 1975: “Beschimpfungen”, in: Grazer Linguistische Studien 1 (1975): 150-170 Sow, N. 2008: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus, München: C. Bertelsmann Seibicke, W. 1996: “Nachwort”, in: H. Pfeiffer (ed.) 1996: Das große Schimpfwörterbuch, Frankfurt/ Main: Eichborn, 494-501 Oksana Havryliv 169 Anmerkungen 1 Antje Lann Hornscheidt, Ines Jana & Hanna Acke (eds.) 2011: Schimpfwörter - Beschimpfungen - Pejorisierungen. Wie in Sprache Identitäten verhandelt werden, Frankfurt/ Main: Brandes & Apsel, 251 S., ISBN-10: 3860996843, ISBN-13: 978-3860996843 2 Vgl. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Diskriminierung#Sprachliche_Diskriminierung [23.05.2013]. 3 36 mündlich befragte Wienerinnen und Wiener - je 6 Frauen und 6 Männer in jeder der drei sozialen Gruppen, die nach der abgeschlossenen Bildung und dem ausgeübten Beruf der Befragten gebildet wurden: Gruppe 1 - Personen ohne Abitur, Gruppe 2 - Personen mit Abitur, Studierende oder Personen ohne Studienabschluss, Gruppe 3 - Personen mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Sprache und Diskriminierung