Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
351-2
Shin Tanaka. 2011: Deixis und Anaphorik. Referenzstrategien in Text, Satz und Wort. Berlin/Boston: Walter de Gruyter GmbH & Co. KG. 224 S. ISBN: 978-3-11025641-3.
61
2012
Marion Grein
kod351-20171
Reviews Shin Tanaka. 2011: Deixis und Anaphorik. Referenzstrategien in Text, Satz und Wort. Berlin/ Boston: Walter de Gruyter GmbH & Co. KG. 224 S. ISBN: 978-3-11- 025641-3. Mit Deixis und Anaphorik wirft T ANAKA einen sprachübergreifenden Blick auf die Textorganisation im Allgemeinen und die Referenzherstellung im Text im Besonderen - und dies aus japanischer Perspektive. Die japanische Perspektive ist insofern interessant, da deutlich wird, dass Textkohäsion nicht - wie in eurozentrischen Darstellungen forciert - nur mit Anaphern als universalen Instrumentarien hergestellt wird. Häufigstes textkohäsives Mittel in europäischen Sprachen sind Pronomina, in Form von Personal- Reflexiv- und Possessivpronomina. Diese werden jedoch im Japanischen vermieden, so dass andere Strategien zum Einsatz kommen müssen. Es stehen sich also unterschiedliche Prinzipien gegenüber. Die herausgearbeiteten Prinzipien werden anhand des Deutschen (als anaphorisch-deiktischer Sprache) und des Japanischen (als deiktischer Sprache) exemplifiziert. Daraus abgeleitet konzipiert T ANAKA ein sprachübergreifendes Kontinuum von deiktischen Sprachen (Japanisch) an einem Ende des Kontinuums über deiktischanaphorische Sprachen (Deutsch) zu anaphorischen Sprachen (Englisch) am anderen Ende des Kontinuums. “Deiktische Sprachen sind solche, die im pronominalen Bereich nur deiktische Ausdrücke kennen. In diesen Sprachen fehlen anaphorische Sprachmittel” (6). Anaphorische Sprachen hingegen weisen ein umfangreiches Set an Anaphern auf. Das Konzept, auch wenn in der Analyse auf das Deutsche und Japanische bezogen, zielt darauf, auch eine konzeptuelle Hilfestellung für die sprachliche Universalienforschung leisten zu können. Sprachen erfahren dabei eine Klassifizierung in die eben bereits genannten Typen (deiktischer, deiktisch-anaphorischer und anaphorischer Typ, die sich durch die vorwiegend vorkommenden Referenzstrategien ergeben. Das Buch gliedert sich in elf Kapitel, beginnend mit der Einleitung, die sich der Methodik widmet. Das 2. Kapitel stellt die beiden später als Prinzipien herausgearbeiteten Strategien: Deixis und Anaphorik dar. Im 3. Kapitel wird die Dichotomie zwischen Deixis und Anaphorik anhand von Sprachmodellen wieder aufgegriffen. In den Kapitel 4, 5 und 6 stellt T ANAKA die grammatischen Konsequenzen der Dichotomie dar, einmal die Markierung von Person (Kapitel 4), die Differenzierung von Subjekt und Topik (Kapitel 5) und als Exkurs im 6. Kapitel die Topikpartikel und Negation. Das 7. Kapitel fokussiert die Ellipse als Referenzstrategie. Dieses Kapitel ist insofern besonders relevant, zeigt es, dass das Verständnis von Ellipsen ebenfalls sehr sprachspezifisch ist: Im Japanischen werden in der geschriebenen Sprache ca. 50%, in der mündlichen Kommunikation über 70% der Argumente nicht versprachlicht, vor allem das Subjekt (und damit oft auch das Topik). Das 8. Kapitel zeigt auf, wie die unterschiedliche Referenzherstellung nun zu einer ganz anderen Textorganisation führt. Dabei zeigt T ANAKA (131) zunächst auf, dass japanische Texte zunächst Details thematisieren und erst gegen Schluss das Thema deutlich wird, während im Englischen sich die Hauptargumentation durch den gesamten Text zieht und Details nur dann genannt werden, wenn sie der Argumentation dienlich sind. Auch dies ist auf die unterschiedliche Kohärenzbildung zurückzuführen. Das 9. Kapitel zeigt das Phänomen der unterschiedlichen Kohärenzbildung nun in der gesprochenen Sprache. Im 10. Kapitel wird der Ansatz auch mit Hinblick auf die Wortebene überprüft. Das 11. Kapitel schließlich fasst die K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 35 (2012) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Reviews 172 zentralen Ergebnisse, auch tabellarisch (S. 196), zusammen. Die Darstellung wird durch sehr viele konkrete Sprachbeispiele untermauert und bietet einen überaus faszinierenden Ansatz für den sprachübergreifenden Sprachvergleich. Gerade aufgrund des spannenden und gewinnbringenden Ansatzes, bei dem aus einer kontrastiven Analyse sprachtypologische oder bzw. und universale Prinzipien abgeleitet werden, erstaunt es, dass T ANAKA zum einen auf sehr alte Darstellungen z.B. des Systems der Personalpronomina (B ENE - VISTE 1977) zurückgreift und nicht auf sehr aktuelle sprachtypologische Darstellungen (z.B. im World Atlas of Language Structure), die deutlich gezeigt hätten, dass Verbalkongruenz eher selten ist und auch Personalpronomina in pro-drop- Sprachen fakultativ sind. Ebenfalls hätte eine Anknüpfung an den ebenfalls kontrastiv vorgehenden und sich eines Kontinuums bedienenden Ansatzes der highvs. low-context Sprachen (heiße vs. kühle Sprachen) Erwähnung finden müssen (vgl. zu high-lowcontext-Sprachen H ALL (1976), K IM , P AN & SOO P ARK (1998), zu heißen und kühlen Sprachen: B ISANG (1992), zu kontrastiven Arbeiten Japanisch-Deutsch G REIN , Marion (1998, 2006). Bei kühlen Sprachen werden die aus dem Kontext erschließbaren logisch-semantischen Elemente ausgelassen, so dass T ANAKA direkt auf das Kontinuum heiße-kühle Sprachen hätte zurückgreifen können (vgl. G REIN , Marion 1998: 13). Hier hätte Tanaka auch weitere Beispiele für sowohl die Konnektoren (sein Kapitel 8.6.2.) als auch gerade für die Kohäsionsunterschiede in Übersetzungen (sein Kapitel 8.7.) gefunden. Bis auf das häufige “wir” mit dem T ANAKA auf sich selbst verweist, ist die Arbeit wohl formuliert. Insgesamt: Eine spannende Arbeit, die jedoch noch einen gezielteren Blick auf die im Bereich der Sprachtypologie entstandenen Werke hätte werfen müssen. Ein Übertragen auf andere Sprachen erscheint vielversprechend. Literatur Beneviste, Emile (1977): Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft. Frankfurt/ Main: Syndikat. Bisang, Walter (1992): Das Verb im Chinesischen, Hmong, Vietnamesischen, Thai und Khmer. Vergleichende Grammatik im Rahmen der Verbserialisierung, der Grammatikalisierung und der Attraktorpositionen. (Language Universals Series, 7.) Tübingen: Narr. Grein, Marion (1998): Mittel der Satzverknüpfung im Deutschen und Japanischen. Eine typologisch-kontrastive Analyse. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Grein, Marion (2007): Kommunikative Grammatik im Sprachvergleich. Die Sprechaktsequenz Direktiv und Ablehnung im Deutschen und Japanischen. Tübingen: Niemeyer. Hall, Edward T. (1976): Beyond culture. Garden City, New York. Kim, Donghoon, Pan, Yigang & Soo Park, Heung (1998): “High versus low-context culture: A comparison of Chinese, Korean, and American Cultures. Psychology & Marketing Vol. 15(6): 507-521. World Atlas of Language Structure (http: / / wals.info/ , 01.08.2012) Marion Grein (Mainz) Klos, Verena 2011: Komposition und Kompositionalität. Möglichkeiten und Grenzen der semantischen Dekodierung von Substantivkomposita, Berlin/ New York: de Gruyter, 365 S., ISBN-10: 3110258862, ISBN-13: 978-3110258868 Zitronenfalter falten keine Zitronen, Landstreicher streichen kein Land und Hundekuchen wird nicht aus Hunden zubereitet. Das wissen durchschnittliche Sprachbenutzer. Doch woher wissen sie das eigentlich? Schließlich wird die Relationsbeziehung zwischen den beiden unmittelbaren Konstituenten von Substantivkomposita (N+N) nirgends expliziert, sondern erscheint als ein ‘unsichtbares Drittes’, das die Interpretation steuert. Bei Beispielen wie den drei eingangs gemachten liegt die Erklärung für die mühelose Dekodierung noch nahe. Alle drei sind lexikalisierte, nennfeste und verbreitete Komposita, die kaum dekodiert werden müssen, sondern viel eher ‘erkannt’ bzw. ‘wiedererkannt’ werden. Zwischen diesen lexikalischen Einheiten und ihren Referenten herrschen äußerst stabile semantische Zuordnungsverhältnisse, durch welche alternative Lesarten so gut wie ausgeschlossen werden.