Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2012
351-2
Klos, Verena 2011: Komposition und Kompositionalität. Möglichkeiten und Grenzen der semantischen Dekodierung von Substantivkomposita, Berlin/New York: de Gruyter, 365 S., ISBN-10: 3110258862, ISBN-13: 978-3110258868
61
2012
Marc Schneider
kod351-20172
Reviews 172 zentralen Ergebnisse, auch tabellarisch (S. 196), zusammen. Die Darstellung wird durch sehr viele konkrete Sprachbeispiele untermauert und bietet einen überaus faszinierenden Ansatz für den sprachübergreifenden Sprachvergleich. Gerade aufgrund des spannenden und gewinnbringenden Ansatzes, bei dem aus einer kontrastiven Analyse sprachtypologische oder bzw. und universale Prinzipien abgeleitet werden, erstaunt es, dass T ANAKA zum einen auf sehr alte Darstellungen z.B. des Systems der Personalpronomina (B ENE - VISTE 1977) zurückgreift und nicht auf sehr aktuelle sprachtypologische Darstellungen (z.B. im World Atlas of Language Structure), die deutlich gezeigt hätten, dass Verbalkongruenz eher selten ist und auch Personalpronomina in pro-drop- Sprachen fakultativ sind. Ebenfalls hätte eine Anknüpfung an den ebenfalls kontrastiv vorgehenden und sich eines Kontinuums bedienenden Ansatzes der highvs. low-context Sprachen (heiße vs. kühle Sprachen) Erwähnung finden müssen (vgl. zu high-lowcontext-Sprachen H ALL (1976), K IM , P AN & SOO P ARK (1998), zu heißen und kühlen Sprachen: B ISANG (1992), zu kontrastiven Arbeiten Japanisch-Deutsch G REIN , Marion (1998, 2006). Bei kühlen Sprachen werden die aus dem Kontext erschließbaren logisch-semantischen Elemente ausgelassen, so dass T ANAKA direkt auf das Kontinuum heiße-kühle Sprachen hätte zurückgreifen können (vgl. G REIN , Marion 1998: 13). Hier hätte Tanaka auch weitere Beispiele für sowohl die Konnektoren (sein Kapitel 8.6.2.) als auch gerade für die Kohäsionsunterschiede in Übersetzungen (sein Kapitel 8.7.) gefunden. Bis auf das häufige “wir” mit dem T ANAKA auf sich selbst verweist, ist die Arbeit wohl formuliert. Insgesamt: Eine spannende Arbeit, die jedoch noch einen gezielteren Blick auf die im Bereich der Sprachtypologie entstandenen Werke hätte werfen müssen. Ein Übertragen auf andere Sprachen erscheint vielversprechend. Literatur Beneviste, Emile (1977): Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft. Frankfurt/ Main: Syndikat. Bisang, Walter (1992): Das Verb im Chinesischen, Hmong, Vietnamesischen, Thai und Khmer. Vergleichende Grammatik im Rahmen der Verbserialisierung, der Grammatikalisierung und der Attraktorpositionen. (Language Universals Series, 7.) Tübingen: Narr. Grein, Marion (1998): Mittel der Satzverknüpfung im Deutschen und Japanischen. Eine typologisch-kontrastive Analyse. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Grein, Marion (2007): Kommunikative Grammatik im Sprachvergleich. Die Sprechaktsequenz Direktiv und Ablehnung im Deutschen und Japanischen. Tübingen: Niemeyer. Hall, Edward T. (1976): Beyond culture. Garden City, New York. Kim, Donghoon, Pan, Yigang & Soo Park, Heung (1998): “High versus low-context culture: A comparison of Chinese, Korean, and American Cultures. Psychology & Marketing Vol. 15(6): 507-521. World Atlas of Language Structure (http: / / wals.info/ , 01.08.2012) Marion Grein (Mainz) Klos, Verena 2011: Komposition und Kompositionalität. Möglichkeiten und Grenzen der semantischen Dekodierung von Substantivkomposita, Berlin/ New York: de Gruyter, 365 S., ISBN-10: 3110258862, ISBN-13: 978-3110258868 Zitronenfalter falten keine Zitronen, Landstreicher streichen kein Land und Hundekuchen wird nicht aus Hunden zubereitet. Das wissen durchschnittliche Sprachbenutzer. Doch woher wissen sie das eigentlich? Schließlich wird die Relationsbeziehung zwischen den beiden unmittelbaren Konstituenten von Substantivkomposita (N+N) nirgends expliziert, sondern erscheint als ein ‘unsichtbares Drittes’, das die Interpretation steuert. Bei Beispielen wie den drei eingangs gemachten liegt die Erklärung für die mühelose Dekodierung noch nahe. Alle drei sind lexikalisierte, nennfeste und verbreitete Komposita, die kaum dekodiert werden müssen, sondern viel eher ‘erkannt’ bzw. ‘wiedererkannt’ werden. Zwischen diesen lexikalischen Einheiten und ihren Referenten herrschen äußerst stabile semantische Zuordnungsverhältnisse, durch welche alternative Lesarten so gut wie ausgeschlossen werden. Reviews 173 Doch wie verhält sich bei dem Sprachbenutzer bisher unbekannten Substantivkomposita? Wenn durchschnittliche Sprachbenutzer ein Substantivkompositum dekodieren sollen, dessen Bedeutung sie nicht kennen, so besteht eine beliebte Methode im Versuch, die Bedeutung der Zusammensetzung aus den Einzelteilen zu erschließen. Wer so vorgeht, der versucht - ob Linguist oder nicht - das auf Frege zurückgehende Kompositionalitätsprinzip anzuwenden, das hier in den Worten Löbners (2003, 20) wiedergegeben sei: “Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich eindeutig aus der lexikalischen Bedeutung seiner Komponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und aus seiner syntaktischen Struktur.” Die Dissertation von Verena Klos macht sich zum Ziel, “das Kompositionalitätsprinzip systematisch auf die Substantivkomposition anzuwenden und zu untersuchen, ob das Prinzip eine hinreichende Voraussetzung für das Verständnis unbekannter Benennungseinheiten bildet.” (Klos 2011, 313). Kann man immer zuverlässig die ‘Gesamtbedeutung’ aus den Konstituenten und den Informationen, die sie liefern, bestimmen? Konkret sucht die Arbeit auf empirischem Weg Antworten auf die folgenden Fragen: Welche Wissensressourcen nutzen Sprachbenutzer, um die zwischen den unmittelbaren Konstituenten herrschende Bedeutungsrelation (‘das unbekannte Dritte’) zu erschließen? Welche Rolle spielt der Ko(n)text (sic! ) einer Benennungseinheit bei der Dekodierung eines N+N? Wie werden nennfeste Komposita prozessiert? Wie läßt sich der ‘Kompositionalitätsgrad’ eines Kompositums ‘berechnen’? Die Autorin geht dabei von der Hypothese aus, das Kompositionalitätsprinzip sei zwar ein nützliches heuristisches Leitprinzip, gewährleiste aber keineswegs die eindeutige Interpretation eines N+N. Daher betrachtet sie Kompositionalität als graduelles Phänomen. Die sehr sauber durchgeführte und gut dokumentierte empirische Untersuchung basiert auf einer Online-Informantenbefragung mit 117 Teilnehmern, so dass sie keinerlei Anspruch auf Repräsentativität erheben, sehr wohl aber Tendenzen in einiger Deutlichkeit aufzeigen kann. Der erste Teil der Untersuchung lässt die Versuchspersonen (VPn) 20 verschiedene Substantivkomposita kontextfrei interpretieren. Die N+N sind in vier Gruppen à je fünf Items geordnet, die Gruppen wurden nach dem Grad an Erwartbarkeit der entsprechenden Items gebildet: Lexikalisiert (Geisterfahrer, Seestern), usualisiert (Raucherkneipe, Heuschrecken-Debatte), okkasionell (Autofieber, Krebspersönlichkeit) und zufällig komponiert (Tassentier, Hausleger). Dieser Teil bildet das Herzstück der Untersuchung; auf die Daten und Ergebnisse aus dieser Online-Befragung wird immer wieder referiert und zurückgegriffen. Der zweite Teil der empirischen Untersuchung besteht in einer textlinguistischen Analyse der drei Belegtexte, aus denen die Okkasionalismen Klatschguru, Autofieber und Turbo-Abi jeweils entnommen sind (alle in SPIEGEL 8/ 2008). Die Analyse soll zutage fördern, wie es einem Leser gelingen kann, “einen Zusammenhang zwischen einem okkasionellen Kompositum und einem textuellen Referenten herzustellen.” (Klos 2011, 117). Das Verstehen von Okkasionalismen erfordert ja offensichtlich ‘Ko(n)textwissen’. Welche Hilfe leistet dabei die Textoberfläche? Welche kontextuelle Aspekte sind tatsächlich Voraussetzungen einer gelingenden Dekodierung? Der dritte Teil der empirischen Untersuchung will messen, ob bzw. wie stark sich die vorgenommenen Erstinterpretationen von zunächst kontextfrei präsentierten Okkasionalismen durch nachträglich hinzugefügten Kontext beeinflussen bzw. verändern lassen. Dazu interpretieren 30 VPn fünf Okkasionalismen - zuerst kontextfrei, danach ein zweites Mal anhand des Belegtextes oder der Belegstelle. “Was können Ko(n)textinformationen tatsächlich leisten und inwieweit können nicht-nennfeste Komposita auch auf Basis eines rein kompositionalen Dekodierungsprozesses interpretiert werden’? ” (Klos 2011, 118f.) Die empirisch erhobenen Daten erlauben Rückschlüsse auf die Verstehensmechanismen, die der Dekodierung von Substantivkomposita zugrunde liegen. Es zeigt sich etwa, dass Paraphrasen, die die Bedeutung von Komposita beschreiben sollen, nicht immer nach Heringers (1984b, 6) Formel ein AB ist ein B, das etwas mit A zu tun hat ablaufen. Vielmehr wählen durchschnittliche Sprachbenutzer häufig Beschreibungen, in denen das fragliche Kompositum situativ eingebunden ist. Die extrem hohe Akzeptabilität spricht für die uneingeschränkte Produktivität des Typs Reviews 174 N+N - bis auf eine einzige Ausnahme (eine VP verweigert eine Antwort mit dem Hinweis darauf, das Kompositum Hausleger existiere in der deutschen Sprache nicht) akzeptieren die Befragten sämtliche ihnen vorgelegten N+N “als potentielle Nominationseinheiten der deutschen Gegenwartssprache und zwar ganz unabhängig davon, ob diese lexikalisiert, usualisiert, okkasionell oder das Ergebnis eines zufälligen Kombinationsprozesses waren.” (Klos 2011, 155). Die Sprachbenutzer verfügen über ein Bewusstsein über die prinzipielle Mehrdeutigkeit und die prinzipielle Unterdeterminiertheit von N+N. Die Hypothese, dass Kompositionalität als ein graduelles Phänomen zu betrachten sei, bestätigt sich in der Tatsache, dass einige N+N offenbar eine kompositionale Dekodierung eher zulassen als andere. Klos führt diesen Umstand auf die unterschiedlichen ‘Kompositionalitätsgrade’ der verschiedenen N+N zurück. Der Kompositionalitätsgrad soll die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der die Bedeutung eines N+N durch kompositionale Dekodierung kalkuliert werden kann. Beim Versuch, ein unbekanntes Kompositum zu dekodieren, nutzen die Sprachbenutzer alles, was die Sprachoberfläche zur Verfügung stellt, aktivieren dabei aber auch andere, außersprachliche Wissensbestände. Mit dem Determinationsschema der Substantivkomposition wird dabei flexibel umgegangen - zahlreiche Paraphrasierungen der VPn zeigen ein postdeterminatives Verhältnis zwischen Erst- und Zweitglied. Die Ergebnisse zeigen, dass auch die kontextfreie Präsentation von Benennungseinheiten Bedeutungsdekodierungen nicht unmöglich macht. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob eine Benennungseinheit lexikalisiert ist oder nicht. Entscheidend dafür, ob sie problemlos und sicher dekodiert werden kann ist ganz einfach, ob der Sprachbenutzer “die zur Diskussion stehende Benennungseinheit schon (mindestens) einmal gehört oder gelesen hat und ein konkretes Denotat mit ihr verbinden kann.” (Klos 2011, 168). Die textlinguistische Untersuchung kann nicht mit mehr aufwarten als mit den erwartbaren und hinlänglich bekannten Techniken der Kohäsions- und Kohärenzherstellung sowie der Andeutung des einen oder anderen Isotopiestrangs. Immerhin wird hier anschaulich gezeigt, wie sich Komposita etwa durch Konstituentenwiederholung für Rekurrenzen oder Wiederaufnahmen mit gleichzeitiger Informationsanreicherung als wichtiges Mittel der Textkonstituierung und Kohärenzherstellung nutzen lassen. Die dritte Versuchsanordnung, nämlich das zweimalige Interpretieren von fünf Okkasionalismen - das erste Mal isoliert, das zweite Mal von Kontext umgeben - hat insbesondere gezeigt, dass zusätzliche Kontextinformationen in der Regel nicht zu einer Revidierung einer zuvor isoliert geleisteten Interpretation führen. Hier zeigt sich in den Augen der Autorin einmal mehr die Tatsache, dass der ‘Kontext’ per se und seine Leistungsfähigkeit als Disambiguierungshilfe in der Literatur maßlos überschätzt werden. Wenn die erfolgreiche Dekodierung nichtusualisierter N+N also nicht allein von Kontextfaktoren abhängt, so fragt sich weiter, welche Wissensbestände es sind, auf die Sprachbenutzer zurückgreifen, wenn sie N+N interpretieren. Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Begründungen der VPn für ihre Bedeutungszuweisungen in der Online-Umfrage zurückgegriffen. Die Auswertung ergibt, dass sich die Begründungen der Befragten insgesamt zehn verschiedenen Mustern zuordnen lassen. Diese zehn Begründungsmuster werden von der Autorin in sechs ‘Wissensressourcen’ verteilt, die bei der Interpretation von Substantivkomposita als Wissenskomponenten eine Rolle spielen. Es sind dies folgende Wissensressourcen: 1. Existenzpräsupposition (bezogen auf einen potentiellen Referenten); 2. Wissen über die Benennungsfunktion von Substantivkomposita; 3. Bedeutungswissen; 4. Wissen über Wortstrukturregeln; 5. Wissen über Gebrauchsspuren der unmittelbaren Konstituenten (z.B. bestimmte Kollokationsbedeutungen einzelner Konstituenten) und 6. Ko(n)text und Diskurswissen. Die Existenzpräsuppposition erscheint als conditio sine qua non - wer nach einem Referenten sucht, muss schließlich einen solchen voraussetzen. Die Untersuchung zeigt, dass N+N grundsätzlich als (potentielle) Benennungseinheiten akzeptiert werden - unabhängig von ihrer Nennfestigkeit. Die Bereitschaft, ein unbekanntes N+N zu dekodieren, (er)scheint unmittelbar. Weil sich die Sprachbenutzer i.d.R. der prinzipiellen Mehrdeutigkeit von N+N bewusst sind, wird auch die Oberflächenstruktur des N+N sehr ernst genommen. Grundsätzlich geht alles, was Reviews 175 sich an der Oberfläche festmachen lässt, in die Interpretation des Kompositums ein. Sogar Fugenmorphemen wird dann gelegentlich bedeutungstragende Funktion zugesprochen. Wie zu erwarten war, konnte auch eine Korrelation zwischen Nennfestigkeit und top-down- Dekodierung festgestellt werden: Je höher die Nennfestigkeit, desto weniger kompositionale Dekodierarbeit ist notwendig. Bekannte N+N wie der berüchtigte Geisterfahrer müssen nicht durch kompositionales bottom-up-Vorgehen aufgeschlüsselt werden, ihre Verarbeitung läuft über eine holistische top-down-Prozessierung. Unter Berücksichtigung ihrer empirischen Ergebnisse und der Erkenntnis, dass das Kompositionalitätsprinzip nicht leisten kann, was es verspricht, schlägt die Autorin folgende Reformulierung des Kompositionalitätsprinzips bezüglich der Dekodierung von N+N vor: “Indizes für die mögliche Bedeutung eines unbekannten N+N liefern einerseits die lexikalischen Bedeutungen seiner Komponenten, andererseits eine sie verbindende Relation, die zwar nicht expliziert wird, jedoch auf Basis von Wissenskomponenten, die die Wortstrukturregeln und N+N und/ oder die Gebrauchsspuren der unmittelbaren Konstituenten und/ oder dasKo(n)text- und Diskurswissen betreffen, erschlossen werden kann.” (Klose 2011, 269) Wenn nun Kompositionalität eine graduelle Angelegenheit ist, so verfügen Komposita über unterschiedliche ‘Kompositionalitätswerte’, wobei gilt; “Je höher der K-Wert, desto eher ist das Kompositum kompositional erschließbar.” (Klos 2011, 272) Bestimmungsgrößen, die in die ‘Berechnung’ des K-Wertes mit eingehen, finden sich verschiedene. Tendenziell hoch ist der K- Wert bspw. immer dann, wenn es sich bei den unmittelbaren Konstituenten um konkrete Nomina handelt, wenn die unmittelbaren Konstituenten einen engen Bedeutungsumfang haben, usw. Tendenziell niedrig ist der K-Wert, wenn es sich bei den unmittelbaren Konstituenten um abstrakte Nomina handelt, wenn eine oder beide Konstituenten mehrdeutig sind, usw. Die Daten bestätigen diese Hypothesen. In der linguistischen Forschung zur Kompositionalität lassen sich drei Gruppen mit je eigenem Ansatz ausmachen: Autoren, die die Annahme der Kompositionalität als heuristische Annahme grundsätzlich voraussetzen, bspw.: Paul (1903), Fanselow (1981), Günther (1987) u.a. Autoren, die die Annahme des Kompositionalitätsprinzips als grundlegenden Irrtum betrachten, finden sich etwa in Lukkainen (1990), Dunbar (2005) und Libben (2006). Autoren, die das Prinzip nicht grundsätzlich verneinen, aber seine Modifikation vorschlagen, bilden die dritte Gruppe. Mit Grandy (1990), Szabó (2000) oder Johnson (2006) gehört auch die Autorin zu ihr. Sie geht davon aus, “dass die Semantik der Bestandteile bei der Bedeutungsfindung eine zentrale Rolle spielt, dass darüber hinaus auch andere Faktoren hinzugezogen werden müssen.” (Klos 2011, 97) . Den sog. ‘Kontextualisten’, für die nur lexikalisierte Komposita über konsensuelle Kodebedeutung verfügen, während Okkasionalismen ausschließlich Textbedeutung haben sollen, schließt sich Klos nicht an, sondern geht davon aus, dass es sowohl lexikalisierte als auch nicht-lexikalisierte Komposita gibt, die über einen so hohen Kompositionalitätsgrad verfügen, dass sie im Normalfall kontextfrei interpretiert werden können. Etwas neues liefert Klos schließlich mit ihrer empirisch abgesichterten Systematisierung der Wissensressourcen, die an der Dekodierung von N+N beteiligt sind. Sie unterscheidet sich deutlich von bisherigen Klassifikationsversuchen, wie sie etwa Feine (1993), Kanngießer (1987) oder Barz (1995) geliefert haben. Die sechs von ihr identifizierten Ressourcen sind, wie sie betont, sowohl notwendig als auch hinreichend, um alle Wissenskompponenten zu berücksichtigen und gleichzeitig voneinander abzugrenzen. Für Klos spricht hier, dass dieses Konzept es erstens erlaubt, die ohnehin viel zu weit gefassten Kategorien Weltwissen und Sachwissen fallen zu lassen, und dass es zweitens zum Reformulierungsvorschlag des Kompositionalitätsprinzips führt. Aus Klos’ Neuformulierung ist das Wort eindeutig getilgt. Das ursprüngliche Kompositionalitätsprinzip war ausschließlich normativ - demgegenüber “vermag die Reformulierung des Prinzips aufgrund der Tatsache, dass sie auf Basis empirisch erhobener Daten entwickelt worden ist, auch deskriptiv zu erklären, wie Sprachbenutzer tatsächlich bei der Dekodierung vorgehen. Sie liest sich also nicht nur als Dekodierungsanweisung, sondern auch als Dekodierungserklärung.” (Klos 2011, 269) Marc Schneider (Universität Bern)
