eJournals Kodikas/Code 36/1-2

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2013
361-2

Merz – vorMERZ – NachMERZ

61
2013
Alexander Schwarz
kod361-20045
MERZ - VorMERZ - NachMERZ Alexander Schwarz MERZ, related to Dada „through their contradictions", is the name the Hanover avant-garde artist Kurt Schwitters (1887-1948) gave to his work. Since MERZ defies all media and genre frontiers, semiotics seems the best tool to analyze it. The results of this analysis, the generalization of its specifics and the decontextualization of its context, permit the search for recontextualizations before and after MERZ. Early modern facetia and postmodern theories add still more genres to Schwitters’ poems, pictures and manifestos, thereby contributing to his project of transforming the whole world into art. Ich bin ein Künstler, das kann mir kein Mensch abstreiten, ich betreibe die große Kunst, auf Unkosten anderer Leut’ zu leben. (Johann Nepomuk Nestroy, Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack) 1 MERZ 1.1 Avantgarde Während des 1. Weltkrieges, als die Stimmung von allseitiger Kriegsbegeisterung umkippte in eine ähnlich radikale Desillusionierung und einer Infragestellung aller Werte wie am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, da taten sich 1916 in Zürich einige Emigranten, darunter Tristan Tzara aus Rumänien, Hans Arp aus dem Elsass und Emmy Hennings und Hugo Ball aus Deutschland, zusammen und überredeten einen Wirt, ihnen an der Spiegelgasse eine Gaststätte für private Treffen und öffentliche Veranstaltungen zu überlassen. Sie nannten die Gaststätte „Café Voltaire“ und ihre keiner Richtung zugehörige Richtung „Dada“. Sie waren nicht die ersten Avantgardisten. In Frankreich und Russland gab es vor allem im Bereich des absurden Theaters und der abstrakten Malerei Vorgänger, aber die Dadaisten waren die erste internationale avantgardistische Bewegung. Einer, mit dem über Hans Arp ein anhaltender Austausch hergestellt wurde, war ein Hannoveraner Bürgersohn, bald aber auch Bürgerschreck, namens Kurt Schwitters. Er kam 1887 zur Welt, „als ganz kleines Kind“, wie er selbst schreibt, war Maler und Grafiker, Dichter und Kunsttheoretiker, Komponist, Bildhauer und Architekt und am liebsten alles zusammen. Nach dem Machtantritt Hitlers, für den Schwitters der Entartetste aller entarteten Künstler war, wanderte er nach Norwegen aus, als die Nazis dorthin kamen, floh er nach England, wo er 1948 starb (Nündel 1981, Centre Pompidou 1994). K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Alexander Schwarz 46 1.2 i - pornographisch, unsittlich und überhaupt Sehen wir uns als Einstieg Schwitters Pornographisches i-Gedicht von 1923 an: Die Zie Diese Meck ist Lieb und friedlich Und sie wird sich mit den Hörnern (Schwitters V, 140) Es ist nicht sehr deutlich, was daran pornographisch und was daran ein i-Gedicht sein soll, auch wenn dieser Vokal der häufigste darin vorkommende ist. Will Schwitters uns veräppeln? Diese Frage ist nur durch den Beizug weiterer Texte zu beantworten. Es gibt von Schwitters auch ein Unsittliches i-Gedicht: Dames-Hemden Dames-Pantalons, fransch model Dames-Pantalons Prima Dames Nachtponnen Dames-Combinations Heeren Hemden, zwaar graslinnen (Schwitters V, 139) Wenn hier die Nennung von Unterwäsche und dann noch von solcher für Damen und Herren gemischt und vielleicht dann noch auf Holländisch etwas Unsittliches an sich haben könnte, so hat dafür das i seine phonetisch-graphemische Vorherrschaft eingebüßt. Es gibt noch ein drittes i-Gedicht, das schlicht i-Gedicht heiß. Und hier scheint endlich der Titel zu passen, denn unter der großen grafischen Wiedergabe eines kleinen i in Sütterlin- Schrift steht der Vers: Rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf. (Schwitters V, 139) Dafür stellt sich das Problem, dass jedem Sütterlin-Schüler der Vers bekannt war, also von Schwitters eher zitiert als kreiert worden ist. An solche Bekanntheit ohne Neuheit scheint Schwitters Freund Moholy-Nagy anzuknüpfen, von dem jener ein i-Gedicht publiziert, das nur aus Verbformen besteht. Hier die mit „Zukunft“ überschriebene Strophe: Ich werde haben, Du wirst haben, er sie es wird haben, wir werden haben, Ihr werdet haben, sie werden haben. (MERZ 4, 37) Schwitters selbst sowie sein Freund Hans Arp haben auch i-Bilder produziert. In Arps i-Bild erscheint der Buchstabe i - im Gegensatz etwa zu zwei Röntgenbildern, die Schwitters zusammen mit den Gedichten ebenfalls als Zwei i-Bilder veröffentlicht. Die ersten zwei Bände des ‚Catalogue raisonné‘, bearbeitet von Karin Orchard und Isabel Schulz, lassen bei 27 nachprüfbaren i-Zeichnungen 24 Mal auch beim besten Willen kein i erkennen, und auch die übrigen drei Mal nur bei bestem Willen. Jean Arp hat also möglicherweise genau mit seinem i das Konzept i missverstanden, und nicht etwa dadurch, dass er eine Collage Bild nennt. Zum Namen „Zeichnung“ für Fotografien, Fehldrucke und eben auch Collagen usw. schreibt Isabel Schulz (Schulz 2011, 8 u. 37), dass man berücksichtigen müsse, dass der heutige Begriff Collage noch nicht verbreitet war. 1922 hat Schwitters in der Zeitschrift Sturm sein i (Ein Manifest) veröffentlicht, das folgendermaßen beginnt: „Was MERZ ist, weiß heute jedes Kind. Was aber ist i? “ (Schwitters V, 120) MERZ - VorMERZ - NachMERZ 47 1.3 MERZ? Was, so möchte ich kurz unterbrechen, denn die Kinder von 1922 sind inzwischen weit über 90 Jahre alt, was aber ist MERZ? Die klarste und persönlichste Antwort findet man in einem Text von Schwitters aus dem Jahr1930, in dem er autobiografisch über das Ende des 1. Weltkriegs schreibt, dessen Bedeutung für Dada ich schon erwähnt habe: Ich fühlte mich frei und mußte meinen Jubel hinausschreien in die Welt. Aus Sparsamkeit nahm ich dazu, was ich fand, denn wir waren ein verarmtes Land. Man kann auch mit Müllabfällen schreien, und das tat ich, indem ich sie zusammenleimte und -nagelte. Ich nannte es MERZ, es war aber mein Gebet über den siegreichen Ausgang des Krieges, denn noch einmal hatte der Frieden wieder gesiegt. Kaputt war sowieso alles, und es galt aus den Scherben Neues zu bauen. Das aber ist MERZ. (Schwitters, V, 335) „Aus Scherben Neues zu bauen“, ist MERZ, und das Neue sowie das Bauen des Neuen sind Kunst. In Die Bedeutung des MERZgedankens in der Welt präzisiert Schwitters 1923 sowohl die Scherben oder Schnipsel als „unbekannte Größen“ wie auch das Prinzip des „Bauens“ als „Werten“: Es ist im Kunstwerk nur wichtig, daß sich alle Teile aufeinander beziehen, gegeneinander gewertet sind. Und werten lassen sich auch unbekannte Größen. Das große Geheimnis von MERZ liegt in dem Werten von unbekannten Größen. (Schwitters 1981, 124) Das Ziel ist es dabei, wie Schwitters an derselben Stelle sagt, „die ganze Welt zu einem gewaltigen Kunstwerk umzugestalten“. 1.4 Und i? Kehren wir jetzt zurück zum i-Manifest. Es beginnt, wie wir gesehen haben, so: „Was MERZ ist, weiß heute jedes Kind. Was aber ist i? “ Und die Fortsetzung lautet: MERZ bedient sich zum Formen des Kunstwerks […] fertiger Komplexe, die als Material gelten, um den Weg von der Intuition bis zur Sichtbarmachung der künstlerischen Idee möglichst abzukürzen […]. i setzt diesen Weg = null. Idee, Material und Kunstwerk sind dasselbe. i erfaßt das Kunstwerk in der Natur. (Schwitters V, 120) i-Kunst ist also die unveränderte, auch unkombinierte, Überführung eines Stückes Nicht- Kunst, dessen künstlerische Potenz der i-Künstler entdeckt, in den Status von Kunst. Peter Handkes Gedicht Mannschaftsaufstellung des 1. FC Nürnberg vom 19. Januar 1968 ist gemäß dieser Definition ein i-Gedicht - auch wenn sich Handke dieses Umstandes vielleicht ebenso wenig bewusst war, wie die Natur und Umwelt, in der der Künstler Kunst entdeckt und mit der Bekanntgabe dieser Entdeckung in Kunst verwandelt. In der Nummer i, der 2. Nummer seiner eigenen Zeitschrift MERZ, in der er 1923 alle hier zitierten i-Gedichte veröffentlicht hat, fügt Schwitters hinzu: Wer nun denkt, dass es leicht wäre, ein i zu schaffen, der irrt sich. Es ist viel schwerer, als ein Werk durch Wertung der Teile zu gestalten, denn die Welt der Erscheinungen wehrt sich dagegen, Kunst zu sein, und selten findet man, wo man nur zuzugreifen braucht, um ein Kunstwerk zu erhalten. (Schwitters V, 140) Alexander Schwarz 48 Ist Natur survival of the fittest, so wird ihre Abwehr gegen die Verwandlung in „brotlose“ Kunst verständlich. Entdeckt hat Schwitters sein Prinzip offenbar an einem alltäglichen Fundstück, dem Merkvers für den Sütterlinbuchstaben klein i, „Rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf.“ Dieser Buchstabe gab dann der i-Kunst ihren Namen, wie der Briefkopf der KOM- MERZ UND PRIVATBANK MERZ den Namen gab (Schulz 2000, 244). 2 VorMERZ 2.1 Schwitters, ein Eulenspiegel Bevor Dada da war, war bekanntlich Dada da, und so mag man sich den Kalauer mit dem VorMERZ ungern verkneifen auf der Suche nach Avantgarde vergangener, auch vor hundert Jahren vergangener, Jahrhunderte. Beginnt man diese Suche bei Schwitters selbst, so stößt man auf Verbindungen zwischen ihm und Till Eulenspiegel. Hans Arp schrieb für die Einladungskarte zur Basler Gedächtnisausstellung, die 1948 wenige Wochen nach Schwitters Tod organisiert wurde, einen Nachruf, in dem er von „Eulenspiegeleien“ spricht. Isabel Schulz, Leiterin der Schwitters-Abteilung im Sprengel Museum Hannover, schreibt mir, nachdem in Basel nichts zu erfahren war, auf meine diesbezügliche Anfrage hin: In unserer Datenbank haben wir zu der Ausstellung 1948 in Basel u.a. folgende Angaben notiert: Auf der Ein[ladung]skarte ist ein Nachruf von Hans Arp (Wiederabdruck in: Kurt Schwitters: „Bürger und Idiot“. Beiträge zu Werk und Wirkung eines Gesamtkünstlers, hrsg. von Gerhard Schaub, Berlin 1993, S. 135.) abgedruckt. […] Die originale Einladungskarte haben wir leider nicht im Kurt Schwitters Archiv. Da der Kartentext in Deutsch verfasst ist und die Ausst. in Basel stattfand, kann man vermuten, dass der Text dort auch in Deutsch gedruckt war. Schaub gibt zumindest nicht an, dass er ihn übersetzt hätte. Es heißt darin „Mit seltenem Humor und unzähligen Eulenspiegeleien hat er diese Reise [sein Leben] zurückgelegt.“ Frau Schulz konnte mir zudem eine Eulenspiegel-Ausgabe aus dem Besitz Schwitters zeigen, die sich erstaunlicherweise erhalten hat, obwohl sie ihn offensichtlich aus Hannover nach Norwegen und England begleitet hat. Es handelt sich um eine Kinderbuchfassung von Karl Freund aus dem Meidinger-Verlag Berlin, ohne Jahr, aber wohl etwa 1920 entstanden. Das Fehlen des Einbandes lässt darauf schließen, dass Schwitters das Buch nicht nur besessen, sondern auch benutzt hat. Bei Schwitters ist, abgesehen von dem Buch aus seinem Besitz und von der Einschätzung des Freundes Hans Arp, nicht sehr viel zu Eulenspiegel zu finden, z.B. kein einziges Werk, das seinen Namen trägt. Und natürlich würde man im Eulenspiegelbuch vergeblich nach Spuren des 400 Jahre jüngeren Schwitters suchen. Trotzdem soll hier die Behauptung gewagt und geprüft werden, dass der Vergleich mit Schwitters einen ganz neuen Blick auf Eulenspiegel eröffnet, einen neuen Blick, wie wir ihn in den letzten hundert Jahren Eulenspiegel- Rezeption schMERZlich vermissen. Peter Rusterholz in seinem Beitrag in diesem Band, der mir erlaubt, manches zu Schwitters nicht noch einmal zu sagen, vergleicht die Postmoderne mit der Frühmoderne, „der Zeit der Genese jener Grundsätze, die jetzt verworfen werden“ (Rusterholz 2013, 40). Wenn er, als ausgewiesener Eulenspiegelkenner, auf der anderen Seite bei Schwitters „Eulenspiegels logisch-rhetorische Kunst, den konkreten und den metaphorischen Gebrauch der Sprache in virtuoser Manier zu wechseln und aufeinander zu beziehen“ (Rusterholz 2013, 42) wieder- MERZ - VorMERZ - NachMERZ 49 findet, so möchte ich im Folgenden versuchen, diese Übereinstimmung als eine nicht nur der Mittel zu profilieren. 2.2 Eulenspiegel, ein Schwitters? Einer der populärsten und langlebigsten Deutschen Prosaromane, und dann noch einer, der aus dem Deutschen den wesentlich selteneren Weg in viele andere Sprachen fand, als das beim umgekehrten Weg der Fall war, ist Ein kurtzweilig Lesen von Dil Vlenspiegel. Bis 1973 galt ein Straßburger Druck von 1515, der in einem einzigen Exemplar im British Museum erhalten ist, als die älteste brauchbare Quelle von Eulenspiegels Streichen und Abenteuern. Ein lateinischer Briefwechsel aus dem Jahre 1411 spielt zwar auf eine Eulenspiegel-Historie an, erzählt sie aber nicht, und die paar urkundlichen Hinweise, die sich möglicherweise auf den nach Aussage des Prosaromans in Kneitlingen geborenen und 1350 in Mölln gestorbenen Eulenspiegel oder auch auf seine Mutter beziehen, die ihn im Prosaroman überlebt, sind noch viel vager. Der Straßburger Druck von 1515 zählt 96 Historien oder Kapitel, wobei das nicht heißt, dass genau 96 Geschichten erzählt werden, denn manchmal scheint eine Geschichte auf zwei Kapitel verteilt zu sein, manchmal werden in einer Historie gleich mehrere Geschichten erzählt, und eine 42. Historie gibt es gar nicht. Ob aus Nachlässigkeit oder Prinzip, diese Frage lässt sich, wie so viele Fragen zu diesem seltsamen Buch über eine seltsame Figur, nicht beantworten. 1973 nun hat Peter Honegger, ein Büchersammler in Zürich, seinen Fund im Ledereinband eines kleinformatigen lateinischen Reineke Fuchs mitgeteilt (Honegger 1973). 32 zusammengeleimte kleinformatige Papierblätter gaben diesem Buch den Halt, die sich zu 16 Blättern oder 32 Seiten aus der Mitte eines Eulenspiegeldruckes im doppelten Format zusammensetzen ließen. Sie sehen in graphischer Erscheinung, Text und Bild dem Druck 1515 so ähnlich, dass Honegger zum Schluss kam, es müsse sich um eine andere Ausgabe desselben Druckers handeln. Bei seinem Versuch, das Entstehungsjahr seines Fragmentes zu bestimmen, kam ihm die Eigenart von Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern zu Hilfe. Sie bedeutet, dass ein Drucker dieselben Bleibuchstaben solange für verschiedene Druckwerke verwendete, bis sie abgenutzt waren. Dann goss er neue, die nie ganz identisch mit den alten waren. Johannes Grüninger, so heißt der Straßburger Drucker, hat so viele Bücher produziert, dass Honegger die Typen seines Fragmentes und ihre Formen und Größen mit Grüningers jahrweiser Produktion vergleichen konnte. Er kam zum Resultat, dass er auf eine Ausgabe aus dem Jahr 1510 oder 1511 gestoßen war. Die Forschung hat sich von Honeggers Argumenten überzeugen lassen, und so wurde 2010 und 2011 der 500. Geburtstag des Eulenspiegelbuches gefeiert. Das deutsche Bundesfinanzministerium gab eine Sonderbriefmarke und eine 10 Euro-Gedenkmünze heraus, die beide in der Eulenspiegelstadt Schöppenstedt der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Peter Honegger machte noch eine zweite Entdeckung. Er beschäftigte sich nicht nur intensiv mit seinem Fragment, sondern auch mit dem ältesten vollständigen Druck von 1515. Jede Historie ist darin - wie auch im Fragment - mit einer Überschrift versehen, die mit der Nummer der Historie beginnt und oft schon die Pointe verrät. Beispiel: „Die 19. Historie sagt, wie Ulenspiegel zu Brunßwick sich verdingt zu einem Brotbäcker für ein Bäckerknecht und wie er Eulen und Merkatzen buch“ (Ein kurtzweilig Lesen, 57). Dann folgt eine Holzschnittillustration, wohl aus der Werkstatt des Dürerschülers Hans Baldung Grien, die sehr oft die Situationskomik einer Historie ins Bild bringt und in unserem Beispiel Eulenspiegel zeigt, wie Alexander Schwarz 50 er die Brottiere aus dem Backofen holt. Der daran anschließende Erzähltext beginnt mit einer großen, ebenfalls in Holz geschnittenen Initiale. Bei der 19. Historie ist es ein D: „Da nun Ulenspiegel wider gen Brunßwick kam“. Honegger schrieb die Initialen aller Historien untereinander, und es ergab sich - cum grano salis - vier Mal das Alphabet (das es nicht ganz stimmt, ersieht man schon daran, dass die 19. Historie mit einem D anfängt, dem 4. Buchstaben des Alphabetes). Jedenfalls aber beginnen die letzten sechs Kapitel mit der Initialenfolge ERMANB, die Honegger als versteckten Hinweis auf den Autor deutete (Honegger 1973, 94). Er suchte nach einem Schriftsteller um 1500, dessen Vorname (H)ermen oder (H)erman wäre und dessen Familienname mit B begänne. Schon lange war der Name des Braunschweiger Zollschreibers Hermann Bote als Verfasser oder zumindest Sammlers und Herausgebers des Ulenspiegel im Gespräch, da gleich zwei Eulenspiegelhistorien hier mit Angabe nicht nur des Ortes sondern der Straße lokalisiert werden. Jetzt akzeptiert die Forschung mehrheitlich das Akrostichon als Beweis für Hermann Botes Verfasserschaft. Er hat in Braunschweig zwei Weltchroniken, eine Geschichte der Aufstände in seiner Heimatstadt, eine Sprichwörtersammlung, eine Allegorie der Gesellschaft und einige politische Gedichte verfasst (Blume 2009, bes. 19-24) - und offensichtlich auch das Eulenspiegelbuch. Alle seine anderen Werke sind niederdeutsch, das Eulenspiegelbuch mit seinem ERMANB-Akrostichon ist seltsamerweise hochdeutsch - eines seiner vielen Geheimnisse. Sein größtes Geheimnis betrifft seine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Immer wieder neue Drucke erscheinen in Deutschland, sei es in Straßburg selbst, sei es in Erfurt, Frankfurt oder Köln, rasch auch niederländische, englische und französische Fassungen aus Antwerpen, noch vor 1550 ein polnischer Druck aus Krakau. In der zweiten Jahrhunderthälfte folgen lateinische, dänische und jiddische Eulenspiegelausgaben und finden bis ins 19. Jahrhundert, und zum Teil bis heute, Nachfolger. Charles de Coster mit seinem französisch geschriebenen Roman La légende d’Ulenspiegel von 1867 und Erich Kästner mit seinem Kinderbuch von 1938 lösen zwei weitere Übersetzungswellen aus. Zumindest im deutschen und im niederländischen Sprachgebiet kennt heute jedes Kind (und jeder Erwachsene, weil er einmal Kind war) Eulenspiegel. Und all das bei einem Buch, dessen älteste Fassungen weder lateinisch noch gereimt, weder ein Liebesroman noch religiös sind, ja sich mit allen Kräften weigern, eine irgendwie geartete Lehre zu geben. Reformatoren wie Gegenreformatoren haben sehr kritisch von dem Buch gesprochen - was vielleicht zu seinem Erfolg beigetragen hat. Jedenfalls geben sie damit auch schon den Zeitgenossen zu erkennen, dass auch sie es gelesen hatten. Fischart, der protestantische elsässische Dichter, hat es in Verse gebracht und dabei die Satire der Pfarrer, die ja katholische sind, genüsslich verschärft, doch am Schluss lässt er Eulenspiegel nicht nur ins Grab sondern auch in die Hölle fahren. Auch vor dem kritischen Auge Lessings, der als Bibliothekar die Eulenspiegelausgaben der Wolfenbütteler Bibliothek kannte und über sie geschrieben hat, konnten sie nicht bestehen. Ja, er machte den Eulenspiegel - zusammen übrigens mit dem Reineke Fuchs - geradezu für den Untergang des Niederdeutschen als Schriftsprache verantwortlich: Eine Sprache, in der nichts Besseres produziert wurde, verdiente es in den Augen ihrer Sprecher nicht, in der Schrift am Leben erhalten zu werden (Lessing 1902, 82). Ohne von Hermann Bote zu wissen, geht Lessing also von einem plattdeutschen Ur-Eulenspiegel aus. Doch nicht nur diese Sprache kränkelt, sondern auch das Buch: das Papier wird immer schlechter, die Einbände immer dünner, die Holzschnitte immer erbärmlicher. Charles Nisard, Sekretär der staatlichen französischen Prüfungskommission für Kolportagebücher, gibt 1854 eine Übersicht über die von ihm eingesehenen Bücher, darunter auch eine „Histoire plaisante et MERZ - VorMERZ - NachMERZ 51 recréative de Tiel Ulespiègle, contenant ses faits et subtilités“, Epinal 1835. Er nennt sie ein Machwerk „ohne Geist und ohne Sinn, völlig absurd, aber, wie es scheint, immer noch beliebt“ (Nisard 1854, 544). Ist das der Gnadenstoß für das Eulenspiegelbuch und seinen wenig salonfähigen Titelhelden? Ganz im Gegenteil. Im 19. Jahrhundert sind vielmehr zwei dramatische Dinge in der Rezeptionsgeschichte des Eulenspiegel passiert, die ihr neuen Schwung gegeben haben, der bis heute anhält. Das erste, zu Beginn des Jahrhunderts, betrifft, wie wir an Nisards ein halbes Jahrhundert später immer noch negativer Reaktion ablesen können, zunächst vor allem Deutschland. Die Romantiker entdecken gewissermaßen in der Gosse die armseligen Heftchen - neben vielen anderen mit anderen Geschichten, aber auch Kalendern und anderer anspruchslosen Kost, die aber für sie den Reiz hat, inhaltlich zum Teil bis ins Mittelalter zurück zu reichen. Joseph Görres erfindet 1807 für sie den Ehrentitel „Die teutschen Volksbücher“ (Görres 1807). Die nationale Einheit, die man in der damaligen deutschen Gegenwart vermisste, wurde in das angebliche nationale Bewusstsein eines „Volkes“ zurückgespiegelt, das bei genauerer Betrachtung im 15. und 16. Jahrhundert weder lesen noch schreiben konnte und bestenfalls als Zuhörerschaft, niemals aber als Leserschaft oder gar für die Autorschaft des Eulenspiegelbuches in Frage kam. Trotzdem wurde dieses als Ausdruck des urwüchsigen deutschen Volkshumors angesehen. Mit diesem Humor - der jedenfalls der Figur Eulenspiegel in den Fassungen des 16. Jahrhunderts ziemlich abgeht - verband sich die Betonung der Spuren von Weisheit des Narren, die man in einigen der Historien finden kann. Das zweite große Ereignis der Eulenspiegel-Rezeption im 19. Jahrhundert ist ein sprachlich höchst komplexes: der in München geborene Flame Charles de Coster schrieb 1867 in französischer Sprache einen politisch-fantastischen Roman über den Aufstand der Niederlande gegen die spanische Herrschaft im 16. Jahrhundert und mischte unter das bunte Volk der spanischen und niederländischen Gestalten drei, die bis anhin nichts damit zu tun hatten: Thyl Ulenspiegel, seine Geliebte Nele und seinen dicken Freund Lamme Goedzak. Ulenspiegel wurde zur Titelfigur, und viele seiner traditionellen Streiche erzählt de Coster nach, freilich alle nur im 1. Buch, ehe Ulenspiegel durch den Tod seines Vaters auf dem Scheiterhaufen der Inquisition eines Besseren belehrt wird und sich schlagartig zum überzeugten Freiheitskämpfer wandelt. Dieses Buch war zu Lebzeiten de Costers kein Erfolg - im jungen neuen Staat Belgien konnte man Flamentum und französische Sprache nicht miteinander und schon gar nicht mit einer antikatholischen Haltung verbinden. Sobald dann aber Übersetzungen ins Niederländische und Deutsche den Sprachenwiderspruch aufgelöst und Nachfolgeromane des zunächst kaum bekannten de Costerschen Eulenspiegel rekatholisiert hatten, wurde das heute weitgehend in Vergessenheit geratene Epos im frühen 20. Jahrhundert zum nationalistischen wie sozialistischen Identifikationsangebot, je nachdem, ob man darin den Kampf des Volkes gegen die Willkürherrschaft oder den Kampf der germanischen Niederländer gegen die romanischen Spanier sehen wollte. Das Interesse in der DDR, wie es etwa in Skizzen Brechts, der Filmerzählung von Christa und Gerhard Wolf und im Anschluss daran im DEFA-Film von Rainer Simon zum Ausdruck kommt, verbindet die de Coster-Linie mit der traditionellen Linie der Sammlung von Eulenspiegels Streichen. Das 16. Jahrhundert, in dem de Costers Roman spielt und aus dem die ältesten Bücher mit den Streichen stammen, erlaubte es, Eulenspiegel aus dem Mittelalter in die Frühe Neuzeit zu verpflanzen und zum Vorkämpfer von Reformation und Bauernkrieg zu machen, also dessen, was in der DDR die „frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ genannt wurde. Die traditionelle Linie der Eulenspiegel-Bearbeitungen ist vor allem durch die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ausdrücklich für Kinder und Jugendliche bestimmten Bücher aktiv Alexander Schwarz 52 geblieben, die einzelne Historien auch in die Schullesebücher Eingang finden ließen. In den Übersetzungen von Kästners Nacherzählung kam der große Wanderer Eulenspiegel überall hin, doch es sind weitgehend die deutschsprachigen und die niederländischsprachigen Länder geblieben, in denen Eulenspiegel bis heute populär ist. Die Rezeption im 20. und 21. Jahrhundert führt dabei weitgehend weiter, was im 19. angelegt wurde. Eulenspiegel als Sympathieträger und Identifikationsfigur ließ sich keine Ideologie entgehen. In Belgien ist das besonders auffällig, wo er zum Kommunisten und Faschisten, zum Patrioten und Kollaborateur wurde (Beyen 1998). Auch in Braunschweig erschien nach Stalingrad ein Jugendbuch, das Kraft durch Freude, Durchhaltewillen durch Lachen verbreiten sollte (Roloff 1942). Der romantische Blick auf Eulenspiegel scheint den deutschen Widerstand im In- und Ausland daran gehindert zu haben, Eulenspiegels Potential als boshaft lachender Saboteur zu erkennen und zu nutzen. 2.3 Eulenspiegel, ein Schwitters! Im folgenden soll die These vertreten werden, der Eulenspiegel der ältesten Drucke habe es in seinen Streichen geschafft, „die ganze Welt zu einem gewaltigen Kunstwerk umzugestalten“, und der angesichts des dürftigen bis übel riechenden Inhaltes erstaunliche Erfolg in vielen Jahrhunderten und Kontinenten rühre daher, dass immer wieder Menschen den Hauch dieser Weltverwandlung gespürt hätten. Gibt es im Ulenspiegel denn beispielsweise auch den für Schwitters so zentralen Fund eines i mit Kunstpotential in der Natur? Die Antwort ist Ja, genauer I-A. Suchen wir nämlich bei Eulenspiegel nach einem I, so landen wir in der 29. Historie, die erzählt, wie Eulenspiegel in Erfurt einem Esel das Lesen beibrachte. Viele Historien beruhen darauf, dass Eulenspiegel sich nicht um die Interessen seiner Opfer schert, sondern diesen gezielt zuwiderhandelt und dabei ihre eigenen Worte benutzt, aber anders interpretiert, als sie es sich hätten träumen lassen. Dabei kann ihm, der meist allein zugange ist, auch einmal ein Esel helfen. Ihm soll Eulenspiegel an der Universität Erfurt - die er nicht „wirklich“ heimgesucht haben kann, da sie erst 1392 gegründet wurde, von ihm aber erzählt wird, dass er 1350 in Mölln gestorben ist - das Lesen beibringen. Er hatte nämlich unvorsichtiger Weise Zettel angeschlagen, er könne „ein jegliche Creatur in kurtzen Zeiten […] leren schreiben und lesen“ (Ein kurtzweilig Lesen, 87). Eulenspiegel dehnt in seinem Vertrag die „kurtzen Zeiten“, in der richtigen Annahme, dass entweder der Rektor der Universität oder der Esel oder auch er selbst sterben dürften, ehe der Esel sowohl das Lesen wie auch das Schreiben perfekt beherrschen würde. Um eine kleine, aber grundsätzliche Demonstration des Lern- und damit Lehrerfolges würde er allerdings nicht herumkommen. Dass der Esel mit seiner Nase einen alten Psalter - ganz ohne Verspottung der Religion geht es offenbar nicht - durchblättern kann, besonders wenn er durch Haferkörner zwischen den Blättern entsprechend konditioniert wird, genügt da nicht, obwohl das durchaus auch zum Lesen gehört. Dank der Protestschreie des Esels, wenn er keinen Hafer findet, kann aber Eulenspiegel dem Rektor sagen, dass sein Schüler „etlich Buchstaben und sunderlich etlich Vocal k[e]nt und nennen kan“ (87). Bald nach dieser ersten Demonstration - die immerhin nicht das Ende der Übung bedeutet - stirbt der Rektor, und Eulenspiegel verzichtet darauf, alle Erfurter Esel weise zu machen. Diese letzte Überlegung beweist, dass er, der gerne auf sein angebliches Wörtlichnehmen festgelegt wird, genauso gut bildlich denken kann. MERZ - VorMERZ - NachMERZ 53 Eulenspiegel also als i-Künstler 400 Jahre vor der i-Kunst und vor MERZ, Eulenspiegel eine Art VorMERZ? Das I-A ist jedenfalls Material, das er unverändert aus der Natur nimmt und zum Kunstwerk erklärt. Dieser zweite Vokal entfernt ihn übrigens durchaus nicht von Schwitters, erstens weil i-Gedichte sich nicht auf Is beschränken müssen, und zweitens, weil Schwitters auch zum A eine besondere Beziehung hat. Schwitters erste Collagen nannte er „Zeichnung A plus eine folgende Nummer“ (Schulz 2011, 8). Und bei seiner Beschreibung von MERZ im MERZbühne-Manifest spricht Schwitters vom zweiten Schritt nach der Sammlung der Materialien: „Nun beginne man die Materialien miteinander zu vermählen. Ein Beispiel ist die „Ehe zwischen Anna Blume und dem Kammerton a“. Vergleicht man Schwitters’ Leben und Werk mit dem vollständigen Eulenspiegelbuch, so kann man eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten finden: 2.3.1 Das Leben als Kunstwerk Schwitters wollte die ganze Welt in ein Kunstwerk verwandeln und fing bei sich selbst und seiner nächsten räumlichen Umgebung an. Er scheint immer gebückt gegangen zu sein, um Materialien für seine Collagen und Assemblagen zu suchen. An Dada-Abenden im In- und Ausland hat er als Vortragskünstler sich selbst inszeniert. Sodann hat er alle seine Ateliers in Hannover, Norwegen und England in MERZ-Bauten verwandelt, die wie weiße Tropfsteinhöhlen aussahen. Eulenspiegel als Titelheld einer „Dichtung“ ist trivialerweise Kunst. Doch es kommt mehr dazu. Wir müssen bedenken, dass Kunst um 1500 funktional war und beispielsweise positive oder negative Beispiele dafür gab, wie man leben sollte. Das Eulenspiegelbuch verweigert beharrlich eine solche Lehre. Das gilt im Buch selbst auch für die Figur: Eulenspiegel ruft die Schneider von weither zusammen, um ihnen etwas mitzuteilen, das sie schon lange wissen, dass man nämlich beim Nähen einen Knoten in den Faden machen kann, wenn er nicht aus der Nadel herausrutschen soll (Hist. 50). Eulenspiegel ist der unbrauchbare Held eines unbrauchbaren Buches. Dessen Literarizität und Kunst als pragmatische Unbrauchbarkeit erfasst ihn mit. Das führt zum 2. Thema: 2.3.2 Das Nichts Eulenspiegel stellt es beispielsweise in der 27. Historie als Künstler her - und verkauft es dem Landgrafen von Hessen als ein deshalb so kunst- und wertvolles Gemälde, weil es nur sehen könne, wer ehelich geboren sei. Hermann Bote ist da ehrlicher: mehr als „ein frölich Gemüt zu machen in schweren Zeiten“ verspricht er nicht. Umgekehrt ist es Schwitters ergangen: Er baute, wie wir gehört haben, aus Scherben Neues, wertete sie auf, ohne dass, wenn wir seinen Tran-Texten Glauben schenken, die Kritiker das erkannt und gewürdigt hätten. Sie sahen in seinen Werken nur die Scherbenhaufen, aus denen sie geformt und vor allem „gewertet“ waren. Eulenspiegel lässt in der 87. Historie eine Bremer Marktfrau einen solchen Scherbenhaufen aus ihren schönen Töpfen machen. Er gewinnt die Wette mit dem Bischof, der ihm nicht glauben wollte, dass er sie mit einem bloßen Händewink dazu bringen könnte. Was der Bischof freilich nicht weiß, ist dass Eulenspiegel der Frau die Ware für weniger Geld abgekauft hatte, als was er durch die Wette gewinnt. Eulenspiegel, der vorgibt, ein Künstler zu sein, und keiner ist (jedenfalls für den Leser des 16. Jahrhunderts), steht zwischen Schwitters, der nichts als Künstler sein wollte und nichts als Künstler war, und den Dadaisten, die ihre Werke als Verneinung der herrschenden Werte verstanden. Einer von ihnen, Francis Picabia, schreibt 1920 in einem der vielen Dada-Manifeste: Alexander Schwarz 54 Dada ist wie Euere Hoffnungen: nichts wie Euer Paradies: nichts wie Euere Idole: nichts wie Euere politischen Führer: nichts wie Euere Helden: nichts wie Euere Künstler: nichts wie Euere Religionen: nichts. (Picabia 1920) Scherben und Zerbrochenheit als Ausgangspunkt bei Schwitters, als Endpunkt bei Eulenspiegel und als Zustand der Welt in der Botschaft der Dadaisten - bei allen Unterschieden dürfen wir sie als Gemeinsamkeit über die Jahrhunderte hinweg abbuchen. 2.3.3 Ihr Material Schwitters Scherben sind Fundstücke, die er in Kunst verwandelt - und Eulenspiegels Streiche, also seine Kunstwerke oder zumindest Kunststücke, sind ebenfalls die Verwandlung von Fundstücken. Als er in der 48. Historie für einen Berliner Schneider arbeitet, gibt dieser ihm einen halb fertigen groben grauen Rock und den Auftrag, den Wolf fertig zu machen. Eulenspiegel verbindet beide Fundstücke, das sprachliche und das textile, zu einem Stofftier in Gestalt eines Wolfes. Der Schneider sieht seine Worte und seinen Rock entwertet, Eulenspiegel will einfach den Worten des Meisters gefolgt sein und zerstört so nachhaltig das Vertrauen des Meisters in seine eigene linguistische Laientheorie. 2.3.4 Das universale Prinzip MERZ ist ein universales, auf viele Medien, von der gesprochenen, geschriebenen und gesungenen Sprache über Bilder und Skulpturen bis hin zur Bühne und zu Architektur und Städtebau anwendbares Prinzip. Ähnlich schlüpft Eulenspiegel in viele Berufe und Rollen, nicht freilich, um sie wie Schwitters zu werten oder gar wie Dürrenmatts babylonischer Bettler Akki aufzuwerten, sondern um sie zu entwerten. Schwitters wäre nicht Schwitters, wenn er nur gemalt oder nur gedichtet hätte, Eulenspiegel wäre nicht Eulenspiegel, wenn er nur gerade bei einem Schneider oder einem Bäcker gearbeitet oder nur als Gast Wirtsleute geärgert hätte. 2.3.5 Die Provokation Wenn Schwitters ein Plakat mit einem Gedicht - und dann noch mit einem unverständlichen und grammatisch fragwürdigen - aushängt, wenn Eulenspiegel als Kutscher den Fluch seines Arbeitgebers, er solle zum Galgen fahren, als Befehl versteht, dann sind ihre Techniken verschieden, aber beide provozieren sie. Das heißt, sie handeln beide überraschend, sie sind frech und verachten letztlich all die, die sich von ihnen provozieren lassen und die sie wütend, sprachlos, lächerlich machen. Sie bringen deren Werte und Standpunkte zum Wanken und kehren so - für einen Augenblick - die Machtverhältnisse um (Schwarz 1988, 92). 2.3.6 Ihre Manifeste Nicht nur Kurt Schwitters und die Dadaisten haben sich in schriftlicher Form an die Öffentlichkeit gewandt, auch Eulenspiegel hat das getan, etwa an die Schneider, denen er etwas MERZ - VorMERZ - NachMERZ 55 Wichtiges mitzuteilen habe, vor allem aber an die Angehörigen der Universitäten Prag und - wir haben es gehört - Erfurt (Rusterholz 1979). Und so wie Schwitters rote Papierscheiben mit sich trug, auf denen „Anna Blume“ stand, signierte Eulenspiegel auf den Handwerkertüren seine Werke mit einem „Hic fuit! “ samt Eule und Spiegel. 2.3.7 Die Sinnfrage Haben die Produkte von Eulenspiegel und Schwitters Sinn oder gar einen Doppelsinn oder sind sie Widersinn, Unsinn, Sinnverweigerung, Dissemination oder abstrakte Kunst, also reine Form? Wenn Literaturtheoretiker den „Tod des Autors“ verkündet haben, so sehen wir bei der Sinnfrage die Konsequenzen: Eine Collage von Schwitters, auf der Buchstaben oder Worte zu lesen sind, lässt den Betrachter allein mit der Entscheidung, ob er hinter den Buchstaben und Wörtern nach einem Sinn suchen will, ob er ihre „Botschaft“ darin sieht, dass sie zum „ursprünglichen“, also etymologischen Sinn der Fundstücke einen zweiten, möglicherweise paradoxen, hinzufügen, den der Rolle (dem Wert) der Wörter im Kunstwerk, ob sie damit den Sinn der Fundstücke schlicht außer Kraft setzen oder gar Sinn überhaupt, und ob all diese und alle weiteren denkbaren Lesarten Fehler und Missverständnisse sind, weil es allein auf die Anordnung der Buchstabengebilde auf der Bildfläche ankomme. Und auch Eulenspiegels wiederholte Behauptung, jedes Wort und jeder Satz habe nur eine Bedeutung, nämlich die, die er ihnen in seinem Handeln gibt, beispielsweise seiner Eulen und Meerkatzen- oder Wölfeproduktion, muss der Leser nicht akzeptieren. Andererseits wird in diesem Falle auch die Annahme von Eulenspiegels Auftraggebern und Opfern, ihre Worte hätten ebenfalls nur eine Bedeutung, in Frage gestellt. Alle endgültigen Aussagen der Interpreten scheinen fehlzuschlagen. Eulenspiegel als Avantgardist des 16. oder, wenn er denn gelebt hat, des 14. Jahrhunderts, das ist vielleicht nicht die einzige Antwort auf die Frage nach dem erstaunlichen Erfolg des Buches, immerhin aber eine, die weniger als Antwort daherkommt, denn als neue Frage. 3 NachMERZ 3.1 Kritische Theorie, Systemtheorie, Dekonstruktion Postmoderne Theorie, wie sie nach 1968 academia überrollt und sich seither soweit beruhigt hat, dass mit Abstand über sie gesprochen werden kann und muss, soll hier als NachMERZ bezeichnet werden, als theoretische Avantgarde nach der künstlerischen Avantgarde vor hundert Jahren. Für diese Andockung postmoderner Theorie an MERZ und VorMERZ spricht mehr als nur ein vages Gefühl von Familienähnlichkeiten, als ein Wiedererkennen des ersten Leseeindruckes, Gumbrecht würde sagen, „diesseits der Hermeneutik“ (Gumbrecht 2004), wie ich ihn bei Ulenspiegel oder Anna Blume gehabt habe, bei der Lektüre von Derrida und den andern. Anknüpfungspunkt, also selbst „Joker“ im Sinne des Schaffens unerwarteter Verzweigungen in der Linearität von Theorien, soll der Begriff des „Jokers“ in der Systemtheorie sein (Baecker o.J., bes. 83-90; Serres 1980, bes. 241-249). Dort lockt er, als Geld oder als polyseme, nein: als diffuse, disseminierte Sprache, für Baecker aber auch als das Theorie selbst (Baecker o.J., 83), die „Parasiten“ an, die Kommunikation (als „Rauschen“) verhindern Alexander Schwarz 56 - und sie gleichzeitig überhaupt erst erzeugen (Serres 1980). Gelingende Kommunikation erfordert ihren sisyphushaft ständigen Ausschluss, ist in der Theorie unmöglich und in der Praxis selten (Serres 1980, 89). Der „Parasit“ ist gleichzeitig eine der Kernmetaphern der Dekonstruktion. Bei Derrida (1988) Felman (2004) und Butler (2004) wird sein Ausschluss, den Austins Sprechakttheorie im Interesse ihres Gelingens vornimmt, wegen seiner theoretischen Unmöglichkeit attackiert. J. Hillis Miller wehrt sich ohne Bezug zu Austin gegen den auf jedes neue Paradigma übertragbaren Vorwurf, „that the ‚deconstructionist‘ reading of a given work‚ is plainly and simply parasitical’ on ‚the obvious or univocal reaging‘“ (Miller 1979, 217). Es kann kein Zufall sein, dass ungefähr zeitgleich Hans Mayer (1981) mit seinem „Außenseiter“ und natürlich Michel Foucault in seinen Schriften zu den „monstres humains“ (Foucault 1999) Chiffren finden und erfinden, die zum Parasiten und auch zum Joker passen, der „bekanntlich oft ein Irrer“ ist (Serres 1987, 243) - und die ebenso wie diese zu Schwitters und Eulenspiegel und zur Reaktion der Umwelt auf sie passen. An den sieben Gemeinsamkeiten, die wir oben herausgearbeitet haben (2.3.1 - 7), lässt sich diese Vermutung Punkt für Punkt erhärten. Zu 2.3.1: Es ist auffällig, wie hemmungslos die Theorien literarische Spuren nichtliterarischen zur Seite stellen. Hans Mayer analysiert Trotzky neben Shylock, ja Trotzky als „Genosse[n] Shylock“ 1981, 422). Shoshana Felman mischt schon im Untertitel ihres The Scandal of the Speaking Body (2004) die Katergorien: „Seduction in Two Languages: Austin with Don Juan“. Beide, der sprachphilosophische und der literarische Verführer, geben Versprechen, die sie nicht halten (können), der eine die Unterscheidung von konstativem und performativem Sprachgebrauch, der andere immer wieder immer wieder anderen Frauen die Ehe. Schwitters verspricht Kunst, Eulenspiegel Können, und beide frustrieren ihr Publikum, ihre Kritiker, ihre Auftraggeber. Für Derrida wäre eine (semiotische) Theorie, die dergleichen Frustrationen ausschlösse, und zwar nicht nur für ihren Gegenstand, sondern auch für sich selbst, keine ernst zu nehmende Theorie (Derrida 1988, 72 und 118). Zu 2.3.2: Sprache ist für Serres so gut wie nichts: „Der Parasit […] kauft sein Mahl mit der Münze der Sprache. Das ist das älteste Gewerbe“ (Serres 1987, 57). Der Joker steht, im Gegensatz zu den nicht parasitären, den „Wirtskarten“, für den Schein. Anna Blume ist der Schein eines Liebesgedichtes, und Serres erzählt selbst (ohne den Namen zu nennen) die 80. Eulenspiegelhistorie, in der der Duft des Bratens mit dem Klang der Münzen erkauft wird (Serres 1987, 57). Zu 2.3.3: Das 12. der 36 chinesischen Strategeme, „Mit leichter Hand das Schaf wegführen“ (von Senger 1992, 203ff.), also immer auf der Suche nach mehrdeutigen Worten, ästhetisierbaren Stückchen Wirklichkeit, Schafen sein, das haben sich auch die Theoretikerinnen und Theoretiker auf die Fahne geschrieben, um die es hier geht. Was wären Serres oder Mayer ohne ihre Beispielfülle, was die Dekonstruktivisten ohne ihre Wirtstheorien? Derrida zitiert in Limited Inc den Prätext von Searle so gut wie vollständig, und Judith Butler hat sich immer gegen den Vorwurf des Konstruktivismus als creatio ex nihilo gewehrt (Finke 2008, bes. 72). Zu 2.3.4: Schwitters wird nicht müde, seine Prinzipien zu formulieren; bei Eulenspiegel lassen sie sich rekonstruieren, und auch in der postmoderne Theorie zieht sich ein roter Faden durch die hier betrachteten Texte, der Gestus des Ausschlusses (und damit immer auch des Einschließens in beiden Wortbedeutungen). Bei Foucault muss er nicht behauptet werden, der MERZ - VorMERZ - NachMERZ 57 Begrifflichkeit des „Parasiten“ ist er inhärent, sei es bei den Dekonstruktivisten als von Austin, also von außen, vollzogener, sei es als happiness condition der Kommunikation bei Serres. Mayer spricht von „Absonderung“ (Mayer 1981, 22f.) und „Grenzüberschreitung“ (17); Eulenspiegel ist für ihn einer, der „Fremdheit in der bestehenden Gemeinschaft“ bedeute (16), das würde auch für Schwitters gelten, der freilich (wie genau genommen auch Eulenspiegel) in keine der drei von Mayer aufgemachten Schubladen der starken Frauen, der Homosexuellen und der Juden passt. - Es ist auch festzuhalten, dass Schwitters Partner und Nachfolger willkommen heißt (wie auch die Systemtheoretiker und die Angehörigen der Frankfurter Schule [sic]), während Eulenspiegel auf Nachahmungsversuche betont aggressiv reagiert (wie ich es zu den Ideosynkrasien der Dekonstruktivisten stellen würde). Zu 2.3.5: Wer sich selbst absondert, und wenn es nur durch ein fremdartiges Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft ist, wird (bei allen, von Mayer vernachlässigten geschichtlichen Kontingenzen; vgl. Runte 2013) diese Gemeinschaft provozieren. Eulenspiegels Streiche sterben, sobald sie nicht mehr provozieren, die Aktionen Schwitters’ und der anderen Avantgardisten nehmen dadurch einen besonderen Platz in der Kunstgeschichte ein, dass sie sofort intensiv und negativ rezipiert worden sind - und ich erinnere mich an die Zeit, in der man auf der einen Seite ohne postmoderne Theorie oder zumindest Terminologie nicht in die PMLA kam und auf der anderen mit ihnen auf keine akademische Stelle. Derrida ist stolz, dass er Dinge schreibt, die für Searle „obviously false“ sind, und er verspottet ihn als einen, der schreibe, was „obviously true“ sei (Derrida 1988, 30). Man mag sich heute dazu stellen, wie man will, aber man wird sich wahrscheinlich ähnlich dazu stellen wie zu Eulenspiegel und zu Schwitters und den anderen Avantgardisten. Zu 2.3.6: Die Manifeste der beiden sind ihre eigenen Schritte auf theory zu. Ihr Schicksal ist verschieden: Eulenspiegel verspricht, was die Leser gerne hätten, er aber nicht halten kann: Antwort auf alle wissenschaftlichen Fragen; unglaubliche Lernerfolge (der Esel); eine für das Gedeihen des Handwerks wichtige Lehre. Alle glauben ihm und werden enttäuscht. Schwitters erklärt, wie man aus seiner Kunst ästhetischen Genuss ziehen kann, und nicht alle glauben ihm. Sie werden nicht enttäuscht, aber sie blockieren ihre eigene Weiterentwicklung. Hier sehe ich Schwitters auf der Seite der theory. Beide aber, und das ist insgesamt der Kernpunkt meiner Vergleiche über die Jahrhunderte hinweg, personifizieren vorwegnehmend, avantgardistisch, die zentralen Thesen der Theorie nicht nur zu Parasitismus und Anormalität, sondern zu Aufklärung, Sprache, Kommunikation und Gesellschaft insgesamt, vor allem aber zur Sinnfage, um die es hier abschließend geht. Die postmodernen Theorien sind insgesamt als semiotische Theorien zu bedenken und MERZ und VorMERZ als die Verkörperung, Versprachlichung und Verbildlichung ihrer Thesen. Zu 2.3.7: Für Derrida ist es der Sprache (als Schrift in weiterem Sinne) eigen, dass sie nur auf Kosten jeder bestimmbaren und einklagbaren Intention und damit jedes sprecherseitig ein für allemal festgelegten Sinnes funktioniert (Derrida 1988, 8 u. 142, und immer wieder in seinem Werk). Für Baecker ist Kommunikation „nicht Mitteilung von Wissen […], sondern Eruierung von Nichtwissen“ (Baecker 107), und für Felman scheitert mit der Unterscheidbarkeit von konstativ und performativ auch unskandalöses, nicht vom sexuellen Körper wie einem „Rauschen“ gestörtes Sprechen. Performativität in ihrer anderen Bedeutung als der Austinschen von Ausführung von ritualisierten Regeln, nämlich als Aufführung von etwas primär gerade nicht Referentiellem (Fischer-Lichte 2002, 279), scheint dagegen diesseits oder Alexander Schwarz 58 1 Mein Dank geht an alle Partner, persönlich besonders an Isabel Schulz und Charlotte Papendorf für die vielen Gespräche im Vorfeld und während des Projektes sowie an Christina Vogel und Peter Rusterholz für ihre Einladung in die Sektion „Historische Semiotik“ der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Semiotik im Oktober 2011 in Potsdam und an alle, die dort mit mir diskutiert haben, allen voran Villö Huszai und Dieter Mersch. Auf der Ebene der Institutionen danke ich der VolkswagenStiftung für die Finanzierung des Projektes und dem SNF für die Unterstützung des Lausanner Forschungsprojektes „De(kon)struktive Kommunikation im Eulenspiegelbuch“ (SNF 100015_129682). jenseits von Sinn und Hermeneutik möglich - und ist dann wohl von Eulenspiegel (ohne dass er oder Hermann Bote das hätten zugeben wollen oder können) und Schwitters (dessen Werte andere sind als die Saussures und der Strukturalisten) realisiert worden - in, wie wir jetzt sehen werden, ansteckender Weise. 3.2 Kurt Schwitters trifft Till Eulenspiegel Wenn der Historiker mit seinem Gegenstand unzufrieden ist, dann wird er gerne zum Ideologiekritiker. Aus Anlass des 500. Geburtstages des Ulenspiegel sollte im Herbst 2011 für einmal etwas anderes versucht werden, nämlich die nachträgliche Verbesserung des Gegenstandes. Der unbefriedigende Gegenstand, das ist, wie wir gesehen haben, die rückwärtsgewandte, „romantisierende“ (Robert Walser) Beschäftigung mit Eulenspiegel im 20. und 21. Jahrhundert. Und als Ausweg bot sich Schwitters’ eulenspiegelnahe MERZ- und i-Kunst an, denn es gibt vieles zu entdecken, was vor einem künstlerischen Auge bestehen respektive als Kunst entstehen kann - warum also ausgerechnet nicht Eulenspiegel? Es handelte sich bei diesem Versuch um ein Projekt des Till Eulenspiegel-Museums Schöppenstedt in Zusammenarbeit mit der Universität Lausanne und dem Sprengel Museum Hannover, das im Rahmen der Förderinitiative „Forschung in Museen“ von der Volkswagen- Stiftung finanziert wurde. 1 In dem Projekt mit dem Namen „Kurt Schwitters trifft Till Eulenspiegel“ sollten auf der Grundlage der Erforschung von Schwitters’ und Eulenspiegels Umgang mit Sprache und anderen Abfall-Materialien eigenständige Kunsterfahrungen gemacht werden - ohne den Anspruch, sich mit dem Original messen zu müssen oder zu wollen, aber mit dem Anspruch, kurz vor Schwitters’ 125. Geburtstag dem eulenspiegelschen VorMERZ ein bescheidenes NachMERZ entgegenzusetzen. In Hannover machte Isabel Schulz die MERZ-Technik von Kurt Schwitters anhand seiner Werke von der kleinformatigen Collage bis zum begehbaren MERZbau erlebbar. In Schöppenstedt präsentierte ich das „Making of“ der Eulenspiegelstreiche. An einem weiteren Abend im Eulenspiegel-Museum Schöppenstedt ließ die Obertonsängerin Libena Karsch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Erfahrungen mit der eigenen Stimme machen, die ihnen deutlich machten, dass in diesem wunderbaren Instrument mehr steckt als nur das korrekte Wiederholen einer Melodie mit einem Text und einer Botschaft. Am 11.11.11, anlässlich einer MERZhaften Kulturnacht im Eulenspiegel-Museum, verdeutlichte Karsch diese These mit ihrer eigenen außergewöhnlichen Stimme. Tilman Thiemig las Schwitters so, dass man meinte, er wäre aus einem seiner zwei Gräber in England und in Hannover erstanden. Das Holzbanktheater mischte sein Eulenspiegel-Puppenstück mit Texten des Zürcher Dadaisten Tristan Tzara, die auf Deutsch nicht weniger exotisch klangen als in seiner rumänischen Muttersprache, und der Chor „Unverhofft“ bewies musikalisch, dass schön nicht gleich verständlich ist. An dem schrägen Abend wurden aber vor allem die Ergebnisse des Workshops präsentiert. MERZ - VorMERZ - NachMERZ 59 Es sind Nonsense- und Lautgedichte, zweidimensionale Collagen und dreidimensionale Assemblagen entstanden. Wichtiger als die vorzeigbaren Ergebnisse aber war das individuelle Erleben der Freiheit von allen Zwängen, aber auch der damit verbundenen Einsamkeit. Auch dieses Erleben stellte und stellt einen Zugang zum Eulenspiegelbuch und zu seinem sozial unverträglichen Helden dar. Mehr als ich es je zuvor erlebt habe, füllte sich der Schöppenstedter Eulenspiegel-Spruch „Hei lewet noch! “ mit Sinn - oder war es doch eher Unsinn? 4 Bibliographie Baecker, Dirk o.J.: „Die Theorieform des Systems“ in: ders.: Wozu Systeme? Berlin: Kadmos, p. 83-110 Beyen, Marnix 1998: Held voor alle werk, Antwerpen: Houtekiet Blume, Herbert 2009: Hermann Bote. Braunschweiger Stadtschreiber und Literat. Studien zu seinem Leben und Werk. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte (=Braunschweiger Beiträge zur deutschen Sprache und Literatur 15) Centre Pompidou (ed.) 1994: Kurt Schwitters, Paris: Centre Pompidou Derrida, Jacques 1988: Limited Inc, Evanston: Northwestern UP [die Texte reichen bis 1971 zurück und sind in weiten Teilen erstmals 1977 in Glyph 1 und 2 gemeinsam auf Englisch publiziert worden] Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel, ed. Wolfgang Lindow, Stuttgart: Reclam 1966 Felman, Shoshana 2003: The Scandal of the Speaking Body. Don Juan with J.L. Austin, or Seduction in Two Languages, Stanford: Stanford University Press [Originalausgabe: Le scandale du corps parlant, Paris: Seuil 1980] Finke, Marcel 2008: „Materialität und Performativität. Ein bildwissenschaftlicher Versuch über Bild/ Körper“, in: Ingeborg Reichle, Steffen Siegel und Achim Spelten (eds.): Verwandte Bilder. Die Fragen der Bildwissenschaft, (2) Berlin: Kadmos, p. 57-78 Fischer-Lichte, Erika 2002: „Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Weg zu einer performativen Kultur“, in: Uwe Wirth (ed.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt: Suhrkamp, p. 277-300 Foucault, Michel 1999: Les anormaux, Paris: Seuil & Gallimard Gumbrecht, Hans Ulrich 2004: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt: Suhrkamp Habermas, Jürgen 1988: Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt: Suhrkamp Hayden-Roy, Priscilla 1990: „Parasitic Discourse in Till Eulenspiegel“, in: Alexander Schwarz (ed.): Lesarten. New Methodologies and Old Texts, Bern: Lang, p. 79-87 Lessing, Gotthold Ephraim 1902: „Über das Plattdeutsche“, in: K[arl] Lachmann / F[ranz] Muncker (eds.): Sämtliche Schriften Bd. 16, Leipzig: Göschen, p. 81-83 Mayer, Hans 1981: Außenseiter, Frankfurt: Suhrkamp MERZ, Heft 2 und 4, ed. Kurt Schwitters 1923: Hannover: Merzverlag Miller, J. Hillis 1979: „The Critic as Host“, in: Harold Bloom et al.: Deconstruction & Criticism, New York: Continuum, p. 217-253 Nisard, Charles 1854: Histoire des Livres Populaires ou de la littérature du colportage depuis le XVe siècle jusqu’à l’établissement de la Commission, Paris: Amyot Nündel, Ernst 1981: Kurt Schwitters, Reinbek: Rowohlt Orchard, Karin und Isabel Schulz 2000, 2003, 2006: Catalogue raisonné, 3 Bde., Ostfildern: Hatje Cantz Picabia, Francis 1920: „Manifeste cannibale dada“, in: 391 Tableau Dada, Paris 1920, http: / / www.391.org/ ; darin: archive / 27/ 03/ 1920 (zuletzt besucht 24. 07. 2012) Roloff, Ernst August 1942: Achtung, hier lacht Eulenspiegel! Braunschweig: Hafferburg Runte, Annette 2013: „Comment saisir les hors-la-loi? Théories sur la marginalité“, in: Alexander Schwarz (ed.): Traduire l’original, Lausanne: CTL Rusterholz, Peter 1979: „Till Eulenspiegel als Sprachkritiker“. In: Werner Wunderlich (ed.): Eulenspiegel-Interpretationen, München: Fink, p. 242-250 Rusterholz, Peter 2013: „Konstruktiver Dekonstruktivismus: Die Merz-Kunst von Kurt Schwitters“, in : Kodikas/ Code. Ars Semeiotica, Vol. 35, No. 3-4, S. 33-44 Alexander Schwarz 60 Schulz, Isabel 2000: „‚Was wäre das Leben ohne Merz? ‘ Zur Entwicklung und Bedeutung des Kunstbegriffes von Kurt Schwitters“, in: Susanne Meyer-Büser und Karin Orchard (eds.): Aller Anfang ist Merz - Von Kurt Schwitters bis heute, ed., Ostfildern: Hatje Cantz, p. 244-251 Schulz, Isabel 2011: Anna Blume und ich. Kurt Schwitters Zeichnungen, Ostfildern: Hatje Cantz Schwarz, Alexander 1988: „Eulenspiegelei als politischer Diskurs. Ein Versuch über das Müllern“. In: Werner Wunderlich (ed.): Eulenspiegel heute, Neumünster: Wachholtz, p. 91-100 Schwitters, Kurt 1973, 1974, 1975, 1977, 1981: Die literarischen Werke, ed. Friedhelm Lach, 5 Bde., Köln: DuMont Schwitters, Kurt 1987: „Eile ist des Witzes Weile“, ed. Christina Weiss und Karl Riha, Stuttgart: Reclam Serres, Michel 1987: Der Parasit, Frankfurt: Suhrkamp (Originalausgabe: Le parasite, Paris: Grasset 1980) von Senger, Harro (1992): Strategeme, Bern: Scherz