eJournals Kodikas/Code 36/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2013
363-4

Die Pyramide

121
2013
Dietrich Gutterer
kod363-40177
1 Die Zahlen in Klammern, denen eine 10 vorgesetzt ist, bezeichnen die Seitenzahlen von Hegels „System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes“ in der Glockner-Ausgabe von 1965. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) Die Pyramide Hegels Charakterisierung des nichtsprachlichen Zeichens Dietrich Gutterer 1 „Das Zeichen muß für etwas Großes erklärt werden“ (10, 344). 1 Dieser lapidare Satz Hegels ist geeignet, auf die große Wichtigkeit aufmerksam zu machen, die Hegel dem Zeichen zuerkennt. Dem entspricht es, daß wir Hegel in verschiedenen Schriften immer wieder auf das Zeichen zu sprechen kommen sehen. So finden sich schon in der bis vor kurzem „Jenenser Realphilosophie“ genannten „Jenaer Realphilosophie“ von 1805 Erwähnungen des Zeichens (cf. Meiner, 182, 188). Es handelt sich um dunkle, in sehr dichter Sprache gehaltene Ansätze Hegels zu seiner philosophischen Zeichentheorie. Die Hauptaussage dieser Stellen kann man etwa in Hegels Bemerkung auf den Punkt bringen, daß der „Gegenstand“, wenn und insofern er ein Zeichen ist, „nicht ist, was er ist“ (Meiner, 182). Diese Bestimmung wird in der „Phänomenologie des Geistes“ von 1807 in einer neben mehreren Erwähnungen des Zeichens K O D I K A S / C O D E Ars Semeiotica Volume 36 (2013) No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Dietrich Gutterer 178 2 Die Zahlen in Klammern, denen eine 3 vorgesetzt ist, bezeichnen die Seitenzahlen von Hegels „Philosophische Propädeutik“ in der Glockner-Ausgabe von 1961. sich findenden kurzen Erklärung des Zeichens wiederaufgenommen und ein wenig näher ausgeführt. Von den Zeichen heißt es dort, daß „noch irgendetwas anderes damit gemeint ist als das, was sie unmittelbar nur sind“ (Meiner, 244). Solche Gegenstände im weitesten Sinne - Hegel führt als Beispiele „Miene und Gebärde, Ton, auch eine Säule, ein Pfahl, der auf einer öden Insel eingeschlagen ist“ (ibid.), an - „geben sich selbst sogleich für Zeichen aus, indem sie eine Bestimmtheit an ihnen haben, welche auf etwas anderes dadurch hinweist, daß sie ihnen nicht eigentümlich angehört“ (ibid.). Diese Bestimmtheit, die hier noch etwas umständlich als dem Zeichen nicht eigentümlich angehörend beschrieben wird, wird später, an der zeichenphilosophischen Hauptstelle Hegels in seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“ kurz und treffend als „fremd“ (10, 344) charakterisiert. Doch so weit sind wir noch nicht. Zunächst soll kurz verfolgt werden, wie Hegel immer wieder auf das Zeichen zurückkommt. In den „Nürnberger Heften“, an denen Hegel von 1808 bis 1811 schrieb und die er seinem Gymnasialunterricht zugrunde legte - von Karl Rosenkranz 1840 unter dem Titel „Philosophische Propädeutik“ herausgegeben -, in seinen „Nürnberger Heften“ also finden sich etwas zusammenhängendere Erwähnungen des Zeichens als in der „Phänomenologie des Geistes“. Hier, in den „Nürnberger Heften“, steht die Behandlung des Zeichens auch schon in einem Kontext, der dem, in dem dann später, an der zeichenphilosophischen Hauptstelle, über das Zeichen gesprochen wird, in etwa entspricht, nämlich im Zusammenhang mit u.a. „dichtender Phantasie“ (3, 208) 2 , „Symbolisieren“ (ibid. u. 3, 211), „Wortzeichen“ (3, 210, 211) und Sprache (3, 210f.). In den „Nürnberger Heften“ hat Hegel offenbar seine Aversion gegen Definitionen vorübergehend abgelegt, denn wir finden dort folgenden Satz: „Die willkürliche Verknüpfung eines äußerlichen Daseins mit einer ihm nicht entsprechenden, sondern auch dem Inhalt nach davon verschiedenen Vorstellung, so daß jenes die Vorstellung oder Bedeutung von dieser sein soll, macht dasselbe zu einem Zeichen“ (3, 209). In der Betonung der Willkürlichkeit als einer für das Zeichen relevanten Bestimmung klingt eine an der zeichenphilosophischen Hauptstelle ausgeführte, zum Verständnis des Zeichens unumgängliche Bestimmung an, und die stark verklausulierte Beschreibung der Bedeutung - die „jenes“ von „dieser“ sein soll, durch welche Verklausulierung sich auch noch ein fehlerhafter ‚Dreher‘ in den Bezug der Demonstrativpronomina eingeschlichen hat - kehrt an der Hauptstelle als der klare Ausdruck „fremde Bedeutung“ (10, 344) wieder, die einem „sinnlichen Stoff“ (ibid.) gegeben wird, womit er uno actu Zeichen wird. Die recht wenig umfangreichen Ausführungen über das Zeichen in den „Nürnberger Heften“, die man kaum als zeichenphilosophische Ansätze bezeichnen kann, finden eine gewisse, allerdings immer noch wenig umfangreiche Ausarbeitung in Hegels „Heidelberger Enzyklopädie“ von 1817. Auch die zeichenphilosophischen Ansätze in der „Heidelberger Enzyklopädie“ können nur als Vorformen der zeichenphilosophischen Hauptstelle interessieren. In den Jahren 1817, 1820, 1828 und 1830 arbeitete Hegel an der Psychologie innerhalb der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, also - vielleicht zu jedem dieser Termine, vielleicht auch nur an dem einen oder anderen - damit auch an den Ausführungen, die man als seine zeichenphilosophische Hauptstelle bezeichnen kann, aus der auch der anfangs zitierte Satz stammt; auf einige Passagen aus dieser Stelle werde ich in der vorliegenden Untersuchung näher eingehen. Die Pyramide 179 3 Die Zahlen in Klammern, denen das Paragraphenzeichen vorgesetzt ist, bezeichnen die Paragraphen in Hegels „System der Philosophie“ in der Glockner-Ausgabe von 1965. 4 Cf. dazu Dietrich Gutterer 1986: „Die Bedeutung von Hegels erstem zeichentheoretischen Hauptsatz für seine Charakterisierung des künstlerischen Bildes“, in: Heinz Paetzold (ed.) 1986: Modelle für eine semiotische Rekonstruktion der Geschichte der Ästhetik, Aachen: Rader, 115-129. 5 Cf. etwa „Phänomenologie des Geistes“, Meiner 1952, S. 46. 2 Der anfangs zitierte Satz steht im Zusatz zum § 457 der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, die ich nunmehr nur noch kurz als Enzyklopädie bezeichnen werde. Er steht damit in etwa am Anfang der zeichentheoretischen Ausführungen Hegels in der Enzyklopädie, die die §§ 457-462 umfassen. „Das Zeichen muß für etwas Großes erklärt werden.“ So, wie der Satz da steht, würde gerade Hegel ihn als versicherungsweise vorgebracht bezeichnen. Dadurch ärgert man sich geradezu über diesen Satz und wird dazu gebracht, nach einer Erklärung dafür zu suchen, daß Hegel das Zeichen für etwas Großes erklärt. Der engere Kontext, in dem der Satz steht, lautet: „Indem nun die von dem Inhalte des Bildes freigewordene allgemeine Vorstellung sich in einem willkürlich von ihr gewählten äußerlichen Stoffe zu etwas Anschaubaren macht; so bringt sie Dasjenige hervor, was man, - im bestimmten Unterschiede vom Symbol, - Zeichen zu nennen hat. Das Zeichen muß für etwas Großes erklärt werden. Wenn die Intelligenz Etwas bezeichnet hat, so ist sie mit dem Inhalte der Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben.“ (§ 457 Zus.) 3 Ich habe diese Passage ausführlich zitiert, weil sich in ihr einige Hegelische Bestimmungen zusammengedrängt finden, die für die hier geführte Untersuchung relevant sind. In der Parenthese macht Hegel darauf aufmerksam, daß er das Zeichen im bestimmten Unterschied vom Symbol sieht und genommen haben will. Aber die Behauptung dieser strikten Trennung ist nicht Hegels einziges Wort in dieser Sache. 4 Wenn sie es wäre, so hätte Hegel den Übergang vom Symbol zum Zeichen nicht mehr sehen können. In der Enzyklopädie geht aber unter dem Blick des philosophischen Beobachters Hegel - Hegel spricht in der „Phänomenologie des Geistes“ von „Zusehen“ 5 - die Tätigkeit der Intelligenz als symbolisierender Phantasie in die Tätigkeit der Intelligenz als zeichenmachender Phantasie über. Dieser Übergang soll hier nicht nachvollzogen werden. Vielmehr halte ich mich hier an den von Hegel herausgestellten Unterschied von Symbol und Zeichen, weil ohne diese Arbeit des Verstandes die Vorstellungen von Symbol und Zeichen in einen sit venia verbo Brei zusammenflössen. Wenn das Zeichen ‚im bestimmten Unterschied vom Symbol‘ betrachtet wird, kann auch klar werden, inwiefern Hegel sagen kann, daß das Zeichen für etwas Großes erklärt werden muß. Dieser Hegelsche Satz gilt für alle Zeichen, für die Zeichen, die er einfach ‚Zeichen‘ nennt, und für die Zeichen, die er ‚Sprachzeichen‘ nennt. Die Sprachzeichen machen bei Hegel eine höhere Stufe aus als die anderen Zeichen, die ich nichtsprachliche Zeichen nennen möchte. Die Sprachzeichen sind bei Hegel schon der Übergang zum „Denken“ (§ 465); entsprechend lautet ein berühmter Satz in der Anmerkung zum § 462 der Enzyklopädie: „Es ist in Namen, daß wir denken.“ Oder eine fast ebenso bekannte Formulierung aus dem Zusatz zu diesem Paragraphen: „Ohne Worte denken zu wollen, … erscheint … als eine Unvernunft.“ Auch das Sprachzeichen und der Übergang zum Sprachdenken sollen hier nicht Dietrich Gutterer 180 untersucht werden. Im Hinblick darauf, daß man ohnehin nicht ‚alles auf einmal‘ machen kann, und weil überdies zwar nicht alles, was für die Sprachzeichen gilt, für das nichtsprachliche Zeichen gilt, aber das Meiste, das für das nichtsprachliche Zeichen gilt - mit Ausnahme einer Differenz im Stoffmoment, auf die ich später kurz eingehen werde -, auch für die Sprachzeichen gilt, konzentriert sich meine Betrachtung auf das nichtsprachliche Zeichen und seinen für seine Charakterisierung unvernachlässigbaren Unterschied vom Symbol. In der weiter oben zitierten längeren Passage heißt es weiter, daß die allgemeine Vorstellung ein Zeichen hervorbringt. Das ist von Hegel sehr kurz gesprochen. Unter Hinzuziehung des weiteren Kontextes ist genauer zu sagen, daß nach Hegel die Intelligenz des Menschen, die eine allgemeine Vorstellung hat oder besser: leistet, vorstellt, qua als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz ein Zeichen hervorbringt. Die Intelligenz arbeitet als zeichenmachende Phantasie, indem sie die allgemeine Vorstellung - so ist zunächst einmal zu sagen; es müssen aber weitere Bestimmungen hinzukommen - zu etwas Anschaubarem macht, und zwar im Zeichen. Im von der Intelligenz hervorgebrachten Zeichen ist die Vorstellung anschaubar geworden. Auch auf der vorhergehenden Stufe, auf der Stufe der symbolisierenden Phantasie, genauer zu sprechen, auf der Stufe, auf der die Intelligenz als symbolisierende Phantasie arbeitet, macht die Intelligenz ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem, aber eben im Symbol oder, wie Hegel auch sagt, im Bild. Und hier wird eine weitere Bestimmung sichtbar, durch die Hegel die Arbeit der als zeichenmachende Phantasie arbeitenden Intelligenz charakterisiert, nämlich die in der zitierten Passage erwähnte Willkürlichkeit. Wie es dort heißt, wird der äußerliche Stoff, in dem die Vorstellung anschaubar wird, „willkürlich“ gewählt, und zwar - obwohl Hegel sagt, von der Vorstellung - von der Intelligenz, die ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht. Die Vorstellung ist dabei und damit, wie es in derselben Passage heißt, von dem Inhalt des Bildes frei geworden, nämlich von dem Inhalt des Bildes, das als Symbol diente. Hegels Beispiel für ein Symbol ist der Adler, der als Symbol für „die Stärke Jupiters“ (ibid.) dient, und zwar deswegen, weil der Adler „dafür gilt, stark zu seyn“ (ibid.). Als symbolisierende Phantasie kann die Intelligenz also den äußerlichen Stoff, in dem sie ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht, nicht willkürlich wählen, sondern muß vielmehr einen solchen „sinnlichen Stoff“ wählen, „dessen selbständige Bedeutung dem bestimmten Inhalt des zu verbildlichenden Allgemeinen entspricht“ (ibid.). Das von Hegel hier erwähnte Allgemeine ist eine allgemeine Vorstellung. Ein einer solchen Vorstellung, z.B. der Stärke Jupiters, entsprechender sinnlicher oder äußerlicher Stoff ist z.B. der Adler, dessen selbständige Bedeutung darin besteht, daß er dafür gilt, stark zu sein. Die Intelligenz kann als symbolisierende Phantasie einen solchen entsprechenden Stoff u.U. wählen, aber sie bleibt dabei davon abhängig, ob sie einen findet; sie kann nicht willkürlich einen wählen. Das kann sie erst als zeichenmachende Phantasie. Demgemäß ist in der hier betrachteten Passage im Zusammenhang mit dem Produkt der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz, also mit dem nichtsprachlichen Zeichen, von der von dem Inhalt des Bildes ‚freigewordenen‘ Vorstellung die Rede. Solange die Intelligenz als symbolisierende Phantasie arbeitet, muß sie einen sinnlichen oder äußerlichen Stoff wählen und zuvor finden, dessen selbständige Bedeutung der Vorstellung, die zu etwas Anschaubarem gemacht werden soll, entspricht. Die allgemeine Vorstellung braucht noch den ihr entsprechenden Inhalt des Bildes, um sich artikulieren - hier ist dabei noch nicht an Sprechen zu denken - zu können, und zwar in einem Bild, also nach vollzogener Artikulation als Bild. Erst sobald die Intelligenz als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitet, kann sie den äußerlichen Stoff, in dem sie ihre Vorstellung zu etwas Anschaubarem macht, willkürlich wählen, und das heißt auch, daß sich die Vorstellung Die Pyramide 181 6 Vgl. z.B. „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“, Glockner-Ausgabe, S. 258 oder (etwas ausführlicher) „Vorlesungen über die Aesthetik“, Bd. 1, Glockner-Ausgabe, S. 474f. 7 Vgl. die letzte in der Anmerkung 6 angegebene Stelle. unabhängig von einem ihr entsprechenden Inhalt eines Bildes artikulieren kann. So kann Hegel sagen, daß die Vorstellung von dem Inhalt des Bildes freigeworden ist, wenn sie sich in Zeichen, genauer, in nichtsprachlichen Zeichen äußert. Hegel nennt als Beispiele „Cocarde … Flagge … Grabstein“ (ibid.). In der weiter oben zitierten längeren Passage heißt es schließlich, daß die Intelligenz - und es handelt sich hier um die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz -, wenn sie ein Zeichen gemacht hat, dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben hat. Hegel hebt „fremde“ durch Sperrung heraus und führt sofort anschließend die soeben zitierten Beispiele an. Das dritte Beispiel, der Grabstein, ist zur Erklärung dieser Fremdheit der Bedeutung am geeignetsten, weil Hegel es im nächsten Paragraphen nochmals aufnimmt und ein wenig ausführlicher vorführt. Dort ist von der Pyramide, die ja auch ein Grabstein ist, als von einem Zeichen (cf. § 458 Anm.) die Rede: „die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist“ (ibid.). Die Pyramide ist für Hegel ein schlagendes Beispiel, an dem er seinen Begriff des Zeichens plastisch schildern kann; seine begriffliche Fassung bringt dann ein paar Zeilen später ein Satz, auf den ich nach der Betrachtung der Schilderung eingehen werde. Die Pyramide ist ein Grabstein besonderer Art und damit, wie sich herausstellen wird, viel geeigneter zur Illustration von Hegels Zeichenbegriff als ein christlicher Grabstein. Nach Hegel - er beruft sich dabei u.a. in seiner Geschichtsphilosophie auf Herodot - haben die alten Ägypter die Unsterblichkeit der Seele entdeckt. 6 Nach dem Tode eines Pharaos wurde seine unsterbliche Seele in seine Pyramide versetzt. Die Pyramide, das steinerne Bauwerk, der, wie Hegel sich in seiner Ästhetik ausdrückt, „ungeheure Krystall“ 7 , hat keine eigene Seele. Aber sie bekommt nach dem Tode des Pharaos eine fremde Seele, nämlich die Seele des Pharaos, die in die Pyramide versetzt in ihr aufbewahrt ist. Wie die steinerne Pyramide eine fremde Seele hat, womit sie ein Zeichen dieser Seele und diese Seele ihre, der Pyramide, fremde Bedeutung ist, so hat der sinnliche Stoff eines jeden Zeichens eine ihm fremde Bedeutung zur Seele, wie es an der hier betrachteten letzten Stelle innerhalb der Passage heißt. Das Beispiel der Pyramide illustriert aber noch mehr. Während die Körper der dafür zuständigen ägyptischen Träger den einbalsamierten Körper des Pharaos samt Eingeweidetopf in die Pyramide überführt haben, hat die Intelligenz, und zwar die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz der Ägypter die Seele des Pharaos in die Pyramide versetzt. Damit hat die Intelligenz der Pyramide eine fremde Seele gegeben und die Pyramide zum Zeichen für diese Seele ihre, der Pyramide, Bedeutung gemacht. Ebenso hat der sinnliche Stoff eines jeden Zeichens eine ihm fremde Bedeutung zur Seele, nachdem die als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz des Menschen dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben und ihn damit zu Zeichen gemacht hat. Der am Beispiel der Pyramide geschilderte Zeichenbegriff Hegels wird besonders prägnant und zusammenfassend begrifflich gefasst in einem in der Anmerkung zum § 458 stehenden Satz, der besagt, daß die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz „ihren selbständigen Vorstellungen ein bestimmtes Daseyn aus sich giebt, … die Anschauung als die ihrige gebraucht, deren unmittelbaren und eigentümlichen Inhalt tilgt, und ihr einen andern Inhalt zur Bedeutung und Seele giebt.“ Eine dieser selbständigen Vorstellungen der Intelligenz, von denen Hegel hier spricht, war in dem soeben betrachteten Dietrich Gutterer 182 Beispiel die unsterbliche Seele eines Pharaos, deren Zeichen eine Pyramide ist, in der diese Seele ist, welche also deren, der Pyramide, dieses Zeichens „Inhalt“ ist, auch im wörtlichen Sinne, weswegen die Pyramide ein Beispiel ist, an dem Hegels Zeichenbegriff besonders plastisch zu schildern war. Auch ein christlicher Grabstein ist ein Zeichen für die von der Intelligenz geleisteten Vorstellung der unsterblichen Seele eines verstorbenen Christen, dessen Seele allerdings nicht als in diesem Grabstein, sondern vielmehr als in dem Himmel oder in der Hölle oder in dem Fegefeuer vorgestellt wird. Gleichwohl ist diese Seele, welche eine Vorstellung ist, also genauer gesprochen, die Vorstellung dieser Seele oder diese Seele als Vorstellung der Intelligenz der „Inhalt“ des Grabsteins, des nicht ohne die Leistung der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz ‚daseienden‘ Zeichens dieser Seele. Der Inhalt, die Seele, die Bedeutung eines Zeichens à la Grabstein muß nicht unbedingt die Vorstellung der Seele des Verstorbenen sein. So hat auch etwa ein von einer nymphomanischen Atheistin einem in seiner Jugendkraft verstorbenen gladiatorenhaften Liebhaber gesetzter nichtchristlicher Grabstein eine Vorstellung zum Inhalt, zur Seele, zur Bedeutung; allerdings wird das wohl nicht gerade die Vorstellung der unsterblichen Seele dieses Mannes sein. Andere Beispiele für das nichtsprachliche Zeichen sind Kokarde und Flagge. Der Inhalt, die Seele, die Bedeutung einer bestimmten Kokarde oder einer bestimmten Flagge ist die Vorstellung einer bestimmten Nation. So kann eine Nation ‚in‘ ihrer Flagge verunglimpft werden. Die als zeichenmachende Phantasie arbeitende Intelligenz kann gemäß dem zuletzt zitierten Satz ihren Vorstellungen, und das heißt, allen ihren Vorstellungen, ein bestimmtes Dasein aus sich, das heißt, aus der Intelligenz, geben. Sie benötigt dazu Stoff, „Materie“ (§ 458) der „Anschauung“ (ibid.). Das Hauptbeispiel Hegels für das Zeichen ist das Sprachzeichen, dem er den weitaus überwiegenden Teil seiner zeichenphilosophischen Ausführungen widmet, auf das ich aber, wie oben erwähnt, hier nicht näher eingehe. Bei den Sprachzeichen ist das Stoffproblem beim Zeichenmachen so gelöst, daß der Körper, dessen Intelligenz als Sprachzeichen machende Phantasie arbeitet, den von der Intelligenz benötigten Stoff in Form von Ton, Lautmaterie produziert. Anders ist es bei dem nichtsprachlichen Zeichen; da ist die Anschauung oder, wie es präziser heißt, die Materie der Anschauung (cf. ibid.) „ein Aufgenommenes … oder Gegebenes (z.B. die Farbe der Cocarde u. dgl.)“ (ibid.). Deren, der Materie, im angegebenen Beispiel der Farbe eigentümlichen Inhalt „tilgt“, wie es bei Hegel heißt, die Intelligenz und gibt ihr, der Materie, der Farbe, einen anderen Inhalt zur Bedeutung und Seele, sie gibt, wie es im Zusatz zum § 457 hieß, dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung der Seele. Bleibt das ‚Tilgen‘ zu klären. Die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz tilgt den eigentümlichen Inhalt der Materie. Das ist bei der Farbe der Kokarde schwer verständlich, da der eigentümliche Inhalt einer Farbe, der getilgt werden soll, gar nicht erst angegeben werden kann, es sei denn, man könnte sich dazu hinreißen lassen, das von Hegel in seiner „Naturphilosophie“ angegebene „Symbolische“ der Farben zu akzeptieren: „daß Gelb die heitere, edle, in ihrer Kraft und Reinheit erfreuliche Farbe ist: Roth Ernst und Würde, wie Huld und Anmuth ausdrückt: Blau sanfte und tiefe Empfindungen“ (§ 320 Zusatz). Bei einer Flagge ist er schon eher anzugeben; denn eine Flagge besteht nicht nur aus Tuchfarben, sondern auch aus Tuch. Der eigentümliche Inhalt der Materie Tuch kann darin bestehen, daß etwa schwarzes Tuch dafür gilt zu wärmen, weißes Tuch dafür, die Sonnenstrahlen zu reflektieren und somit zu kühlen. Vollends klar wird das von der als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitenden Intelligenz vollzogene bzw. zu vollziehende Tilgen des eigentümlichen Inhalts der Anschauung im Vergleich mit der Arbeit, die die Intelligenz als symbolisierende Phanta- Die Pyramide 183 sie leistet. Wie oben gezeigt, ist die als symbolisierende Phantasie arbeitende Intelligenz nämlich auf den eigentümlichen Inhalt der Anschauung, die sie zum Symbol macht, angewiesen. Im Beispiel des Adlers war es die selbständige Bedeutung der Anschauung, nämlich des Adlers, welche selbständige Bedeutung darin besteht, daß er dafür gilt, stark zu sein, die es der als symbolisierende Phantasie arbeitenden Intelligenz ermöglichte, die Anschauung Adler zum Symbol für die Vorstellung der Stärke Jupiters zu machen. Einen solchen eigentümlichen Inhalt einer Anschauung - im Beispiel die selbständige Bedeutung des Adlers - auf welchen die als symbolisierende Phantasie arbeitende Intelligenz gerade angewiesen ist, tilgt die als nichtsprachliche Zeichen machende Phantasie arbeitende Intelligenz und gibt der Anschauung eine fremde Bedeutung zur Seele. So kann der Adler dann auf einem Hinweisschild zum Zeichen für ein Naturschutzgebiet, in dem übrigens kein Adler zu leben braucht, gemacht werden. Im § 458 sagt Hegel über die Anschauung, deren Materie z.B. die Farbe der Kokarde ist, eine solche Anschauung „ist ein Bild, das eine selbständige Vorstellung der Intelligenz als Seele, als seine Bedeutung in sich empfangen hat. Diese Anschauung ist das Zeichen.“ Nimmt man eine Kokarde als ein durch die Komposition der Farben geschaffenes Bild, so bedeutet dieses Bild im Fall der Kokarde nicht etwa so etwas wie - wenn man einmal das vorher erwähnte Symbolische der Farben heranzöge - z.B. ‚Freude über tiefempfundene Huld‘ (Gelb - Blau - Rot), sondern eine selbständige Vorstellung, im Fall der Kokarde z.B. die eines Staates. Die Bedeutung, die Seele dieses Bildes, als das die Kokarde aufgefaßt werden kann, ist nicht mehr, wie im Fall des Symbols, jene erwähnte spezielle Freude, sondern eine nach Tilgung des symbolisch relevanten ‚eigentümlichen Inhalts‘ der Farbkomposition in sie von der Intelligenz hineingelegte fremde und ‚selbständige‘, d.h. von dem eigentümlichen Inhalt der Farben unabhängige Vorstellung. Entsprechend habe ich vorher vorgeführt, daß das Adlerbild, das Hegel ausschließlich als Symbol für die Stärke Jupiters behandelt, zum Zeichen für ein Naturschutzgebiet werden kann. Damit ist gesagt, daß ein Bild, dasselbe Bild, qua Symbol eine andere Funktion hat als qua Zeichen. Bei einem Bild, gleichgültig, ob von der symbolisierenden oder von der nichtsprachliche Zeichen machenden Phantasie - übrigens nicht ohne die von Hegel, weil er das in seiner Anthropologie (cf. bes. § 401) bereits klar gemacht hat, hier nicht mehr erwähnte Mitarbeit des Körpers, dessen Phantasie sie ist - geschaffen, gibt, wie es im § 456 heißt, ein ‚subjektiver Gehalt‘ sich „in“ einem „Stoff“, der „von dem Gefundenen der Anschauung herkommt“, „ein Daseyn“. Etwas genauer muß es allerdings heißen, daß nicht etwa der subjektive Gehalt sich ein Dasein gibt, sondern vielmehr die als Phantasie arbeitende Intelligenz einem subjektiven Gehalt in einem Stoff, der von dem Gefundenen der Anschauung herkommt, ein Dasein gibt. Dieses Dasein des subjektiven Gehalts ist das Bild, genauer, der subjektive Gehalt ist im daseienden Bild, dessen Gehalt er durch die Arbeit geworden ist, da. So ist die Vorstellung der unsterblichen Seele eines bestimmten Pharaos in einer bestimmten Pyramide da. So ist die Vorstellung der Stärke Jupiters in dem frei fliegenden oder gefangengehaltenen oder gemalten oder aus irgendeinem Stoff geformten Adler da. Während aber bei der Arbeit der Intelligenz als symbolisierender Phantasie ein Stoff - das kann auch ein Tier, eine Pflanze, ein Fluß, ein Ding etc. sein - gefunden werden muß, der, wie wir gesehen haben, einen einer bestimmten Vorstellung entsprechenden, ‚eigentümlichen Inhalt‘ hat, an den die vom Menschen hineinzuarbeitende Vorstellung sozusagen ‚anschließen‘ kann, kann bei der Arbeit der Intelligenz als nichtsprachliche Zeichen machender Phantasie irgendein Stoff willkürlich gewählt und zu etwas gemacht, im Normalfall verarbeitet werden, das vorher so noch nicht da war oder überhaupt noch nicht da war und somit auch in keinem noch Dietrich Gutterer 184 so uneigentlichen Sinne eine Seele hatte. So haben die Ägypter Steine genommen und zu einer Pyramide als Zeichen der unsterblichen Seele eines Pharaos verarbeitet. Das Zeichenhafte einer Pyramide besteht in der Durchdringung des Stoffes, aus dem sie auch besteht, durch die Vorstellung der unsterblichen Seele eines Pharaos, welche Vorstellung ihrerseits die Seele der Pyramide ist, aus der sie in dem Sinne auch besteht, daß sie ohne diese sie durchdringende Seele nicht das wäre, was sie ist. Symbol wie nichtsprachliches Zeichen überhaupt sind Stoff mit Seele, die die menschliche Intelligenz hineingearbeitet hat. Während aber das Symbol nicht zuletzt dadurch charakterisiert ist, daß es einen ‚eigentümlichen Inhalt‘, der der als Bedeutung hineinzuarbeitenden Vorstellung entspricht, hat und behält, ist das nichtsprachliche Zeichen nicht zuletzt dadurch charakterisiert, daß ihm ein, wie es bei Hegel hieß, anderer Inhalt, eine fremde Bedeutung als Seele eingearbeitet ist, und zwar entweder, wie im Fall des Adlers, der zum Hinweisschild umgearbeitet wird, nicht ohne Tilgung seines eigentümlichen Inhalts oder, wie im Fall der Pyramide, gleich durch Schaffen von etwas Nochnichtdagewesenem. Damit ist das Zeichen etwas von der Intelligenz - ich füge hinzu: und dem Körper - des Menschen Geschaffenes der Art, die sonst nur von Göttern oder, in Kulturen mit monotheistischer Religion, von Gott Erschaffenem zuerkannt wird. Jetzt versteht man auch den empathischen Klang in jenem lapidaren Satz Hegels, den ich zu Beginn zitiert habe. Weil der Mensch im Zeichen etwas Beseeltes geschaffen hat, und zwar, jedenfalls in vielen Fällen, in dem vollen Sinne, daß er nicht nur den Stoff dieses Beseelten durch physische Arbeit gestaltet oder umgestaltet, sondern auch die Seele dieses Beseelten, die ja eine von der menschlichen Intelligenz geschaffene ist, und beides, Stoff und Seele, ineinsgearbeitet hat, weil er also im Zeichen etwas geschaffen hat, dessen Erschaffung er nur seinen Göttern bzw. seinem Gott zugetraut hatte, muß das Zeichen für etwas Großes erklärt werden. Literatur Gutterer, Dietrich 1986: „Die Bedeutung von Hegels erstem zeichentheoretischen Hauptsatz für seine Charakterisierung des künstlerischen Bildes“, in: Paetzold (ed.) 1986: 115-129 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 6 1952: Phänomenologie des Geistes. Sämtliche Werke. Neue kritische Ausgabe vol. V, ed. Johannes Hoffmeister, Hamburg: Felix Meiner Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1961: Philosophische Propädeutik. Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, vol. 3, ed. Hermann Glockner, Stuttgart-Bad Cannstadt: Fromann Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1965: System der Philosophie. Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, vol. 8, ed. Hermann Glockner, Stuttgart-Bad Cannstadt: Fromann Paetzold, Heinz (ed.) 1986: Modelle für eine semiotische Rekonstruktion der Geschichte der Ästhetik, Aachen: Rader