eJournals Kodikas/Code 39/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2016
393-4

Jenseits der Relevanzphrase

121
2016
Christoph Rauen
kod393-40217
K O D I K A S / C O D E Volume 39 (2016) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Jenseits der Relevanzphrase Was Selbstreflexivität in den Literatur- und Kunstwissenschaften leisten kann Christoph Rauen (Kiel) This article deals with recent scholarly contributions concerning the topic of selfreflexivity. It argues that it is right to criticize tendencies to overgeneralize the concept of self-reflexivity and thereby rob it of its significance, while still profiting from its prestige as an indicator of modernity. However, this argument should not be used against theoretical and systematical approaches that naturally and rightfully try to conceive of self-reflexivity in a more general way. Also, it is misleading to claim that deficits of the current practice of analyzing self-reflective artefacts are caused by a lack of theoretical specifications and subcategories that allow for a differentiated analysis. Furthermore, not solely foregrounded or functionally defined instances of self-reflexivity deserve scholarly attention. As recent research shows, structural and latent forms are often very promising subjects of inquiry, too. In fact, they lie at the very heart of literature, the arts, and culture. 1 Immer richtig, immer wichtig? Von Passepartouts und imposanten Begriffen Die Diskussionen im Rahmen der Tagung, aus der dieser Text hervorgegangen ist, machten eines ganz deutlich: Die Verwendung der Kategorie ‘ Selbstbezüglichkeit ’ in den Kulturwissenschaften löst zunehmend Unbehagen aus. Ein Grund dafür ist, dass sie in Forschungsbeiträgen und Hausarbeiten mittlerweile fast allgegenwärtig wirkt, während der mit ihr erzielte Erkenntnisgewinn abzunehmen scheint. Als besonders problematisch wird das empfunden, wenn unreflektierte Wertungen hinzukommen. Darauf geht ein 2015 publizierter Aufsatz ein: ‘ Selbstreflexiv ’ gilt als Gütesiegel gehobener Komplexität. Ausweis eines ästhetischen Mehrwerts, die nicht-künstlerischen Artefakten fehlen und mit deren Hilfe beliebige Objekte sowohl kunstfähig wie wissenschaftswürdig werden können. [. . .] Dabei genügt sich die Feststellung dieser Eigenschaft oft selbst so sehr, dass die Frage, was denn qua Reflexivität an Erkenntnis oder ästhetischer Komplexität gewonnen wird, gar nicht mehr gestellt zu werden braucht (Geulen/ Geimer 2015: 521 f.). Nun kann man blinde, weitgehend nutzlos gewordene Routinen und begriffliches Imponiergehabe gar nicht genug kritisieren. Wem fallen nicht zahlreiche Seminargespräche und Aufsätze ein, auf welche die erhobenen Vorwürfe zutreffen? Außerdem ließe sich die Liste der Monita mühelos um weitere Punkte ergänzen, z. B. um die Praxis, das jeweils tatsächlich vorliegende Ausmaß an Selbstbezüglichkeit zu übertreiben und den Befund zur Aporie zuzuspitzen, weil diese bekanntlich Aufmerksamkeit zu generieren vermag. Wohl deswegen stößt man immer wieder auf Aussagen wie die, ein Film oder Text sei ‘ ausschließlich auf sich selbst bezogen ’ , häufig begleitet von ebenso spektakulären zeitdiagnostischen Trendaussagen wie: “ advertising is no longer about products and services but about advertising ” (Nöth 2011: 200). Oder, in etwas ausführlicherer Fassung: The comic book is no longer about the comedies or tragedies of everyday life, but about making and reading comic strips. The theoretical separation of the levels in the hierarchy of language, metalanguage, and meta-metalanguage is disturbed by conflation, nesting, or mirror projections of the higher into the lower levels (Nöth 2011: 214). Meistens halten solche Behauptungen einer näheren Prüfung kaum stand, und es erweist sich, dass statt des beschworenen referentiellen Kurzschlusses eine Kombination aus auto- und heteroreferentiellen Bezügen vorliegt (der besagte Comic z. B. handelt, neben dem Anfertigen von Comics, auch vom urbanen Single-Leben). Bis hierher handelt es sich um missbräuchliche Verwendungsweisen, die für sich genommen nichts über den potentiellen Nutzen des verwendeten Konzeptes aussagen. Geulen/ Geimer (2015) machen vor allem die zu große Allgemeinheit und praktisch universelle Einsetzbarkeit der Kategorie ‘ Selbstreflexivität ’ dafür verantwortlich, dass deren Aussagekraft häufig gegen Null tendiere. Auf welchen Fall, so fragen sie, die Probe auf die unterscheidende Kraft und Signifikanz des fraglichen Begriffes machend, träfe der Befund ‘ Selbstbezüglichkeit ’ denn nicht zu? Denn wenn Selbstreflexivität [. . .] eine Eigenschaft und ein an Texten oder Bildern nachweisbares Merkmal darstellt, dann müsste man diese Eigenschaft nicht nur komplexen Werken zuschreiben, man müsste sie ebenso auch anderen, weniger komplexen Werken abschreiben können - also etwa postulieren, dieses oder jenes Gemälde eines akademischen Salonmalers des 19. Jahrhunderts besitze das Potenzial, seine eigene Gemachtheit zu thematisieren, definitiv nicht oder dieses Werk von Sophie Calle sei in hohem Maße selbstreflexiv, ein anderes Werk derselben Künstlerin hingegen schon etwas weniger. Wo genau wären die Kriterien für eine solche Skala aber zu finden? (Geulen/ Geimer 2015: 525 f., Hervorh. im Original). Richtig ist daran sicherlich, dass einem kaum Medien, Kunstformen oder Genres einfallen, die in den letzten Jahrzehnten nicht im Zeichen von Selbstreflexivität beschrieben und analysiert worden wären, von Popmusik, Malerei, Computerspielen und Comics über Film und Architektur bis hin zu Rollenspielen und Pornographie (Wolf 2009), um nur einige Beispiele zu nennen. Und auch in historischer Hinsicht wurde der Anwendungsbereich des Konzeptes beträchtlich ausgeweitet. Dies führt einerseits dazu, dass die Praxis, Perioden wie Romantik 1 und Postmoderne 2 durch Hinweis auf eine oft nicht näher erläuterte Affinität zur 1 Meier (2013: 229) spricht nicht mehr von Selbstreflexivität schlechthin als Differenzkriterium dieser Epoche, wie man das früher häufig lesen konnte, sondern formuliert etwas vorsichtiger, dass unter den romantischen Romanen keiner auf beständige Selbstthematisierung verzichte. 2 Die Aussage “ [t]he new trend since postmodernity has been that artists have begun to reflect programmatically about art in their art works ” (Nöth 2011: 200) lässt sich, wie jeder mit Kunst- und Literaturgeschichte 218 Christoph Rauen (Kiel) Selbstreflexion zu charakterisieren und darin ein distinktives Merkmal im Verhältnis zu anderen Epochen zu erblicken, mit einigem Recht als unzureichend kritisiert wird, ohne dass sie deswegen freilich zum Erliegen käme. Andererseits wird dadurch immer unklarer und fragwürdiger, ob und inwiefern sich Selbstreferenz überhaupt dafür eignet, literar- und kunstgeschichtliche Charakteristika zu erfassen. Hinzu kommt der Anreiz, die fragliche Auszeichnung historisch besonders weit zurückliegenden Epochen und/ oder aus westlicher Sicht besonders exotischen Kulturen zu verleihen und diese kontraintuitiv als modern zu beschreiben, weil Selbstreflexivität mit dieser Eigenschaft nach wie vor verknüpft wird. Und wer will es denn mit unmodernen Gegenständen zu tun haben? Altphilologen, Mediävisten und andere gelegentlich auch schon mal als Alteritätsforscher Etikettierte haben hier leichtes Spiel, denn natürlich sind und können ihre Gegenstände genauso reflexiv sein (Geulen/ Geimer 2015: 525). 2 Modelle und formalsystematische Bestimmungsversuche vs. Einzelforschung und Selbstreflexivität als Differenzqualität Offenbar haben die angesprochenen Probleme mit dem Verhältnis von formalsystematischen Definitionen und Typologien auf der einen und deren praktischer Verwendung im Rahmen der Analyse bestimmter Gegenstände auf der anderen Seite zu tun. Während erstere legitimerweise vor allem an einem schlüssigen Konzept von Selbstreferenz interessiert sind, das mehr oder weniger allgemein ausfällt und sich synchron wie diachron auf eine Fülle von Gegenständen beziehen lässt, streben letztere danach, den Informationsgehalt ihrer Aussagen im Gegenteil durch möglichst spezifische Einordnungen zu erhöhen. Deswegen zeichnet sich eine analytisch brauchbare Typologie durch Differenziertheit aus. Daran herrscht aber, ganz anders als die Autoren des zitierten Beitrags meinen, keineswegs ein Mangel. Wo finden sich Kriterien und Skalierungen der Selbstreferentialität, fragen sie; nun, eine mittlerweile fast fünfzigjährige, mit Namen wie Gérard Genette, Lucien Dällenbach, Werner Wolf und Michael Scheffel verbundene Forschungstradition hat davon reichlich hervorgebracht. Die Herausforderung besteht umgekehrt darin, aus dem hochgradig differenzierten Angebot jeweils geeignete und zielführende Instrumente auszuwählen. Dafür muss man die entsprechenden Vorschläge freilich erst einmal zur Kenntnis nehmen. Mit Blick auf die historische Dimension des Themas ist zu ergänzen, dass auch hier die relativ große Reichweite eines relativ basalen, allgemeinen und auf viele Fälle zutreffenden Begriffs von Selbstreferenz kein Hindernis für spezifische analytische Aussagen darstellt, sondern vielmehr die Voraussetzung dafür bildet, verschiedene Epochen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt in den Blick nehmen und vergleichen zu können. Man sollte nicht hinter die von zahlreichen historischen Einzelstudien bestätigte Auffassung zurückgehen, dass Autothematismus ein “ periodisch wiederkehrendes Phänomen ” (Hempfer 1982: 132) darstellt und sich durch “ transhistorische Konstanz ” (Zaiser 2009: 189) auszeichnet, dabei aber im Kopf behalten, dass die “ jeweils spezifische Ausprägung ” dieser Beschäftigte weiß, durch zahlreiche Belege werkinterner programmatischer Selbstreflexion aus früheren Epochen widerlegen. Jenseits der Relevanzphrase 219 Konstante von wechselnden historischen Kontexten, unter anderem “ von der Geschichtlichkeit des literarischen Systems abhängt, in dem es sich vollzieht ” (Hempfer 1982: 132; cf. Schmeling 1987: 88 f.). Die wenn, dann nur vordergründig plausible Forderung danach, anzugeben, wann definitiv nicht von Selbstbezüglichkeit die Rede sein könne, ist gut gemeint, impliziert bei näherem Hinsehen aber eine binäre Einteilung, die unterkomplex ist und literarischen und künstlerischen Gegenständen nicht gerecht wird. Realistisch und produktiv ist es hingegen, Autoim Verhältnis zu Heteroreferenz zu diagnostizieren und dieses Verhältnis als polar strukturiertes und skalierbares Kontinuum zu begreifen. Nichts spricht dagegen, dabei ein im Kern sehr allgemeines und deswegen extensives Konzept zugrunde zu legen, wie es etwa hier geschieht: Im Gegensatz zu Heteroreferenz bezeichnet Selbstreferenz (oder Autoreferenz) in Literatur und anderen Medien alle möglichen Bezüge, die innerhalb eines literarischen oder medialen Systems auftreten können, und zwar entweder, indem Elemente dieses Systems oder das System insgesamt auf sich selbst bezogen sind, oder so, dass ein Element des Systems auf ein anderes (ähnliches oder identisches) desselben Systems rekurriert. Wie der selbstreferentielle Satz ‘ Dies ist ein deutscher Satz ’ zeigt, kommt Selbstreferenzialität häufig im Verein mit Heteroreferenz ( ‘ deutsch ’ ) vor. Daher sollte, wie so oft bei typologischen Varianten, auch bei Hetero- und Selbstreferenz (einschließlich der Metaisierung) nicht von einer klassifikatorischen Opposition ausgegangen werden, sondern von einer bipolaren Skala, die ein Mehr oder Weniger an Übergangs- und Mischformen beinhaltet (Wolf 2007 a: 31 f.). Es bringt deshalb nichts, eine Art Nullstufe der Selbstreferenz einzufordern. Vielmehr sind verschiedene Komplexitätsniveaus (und, in Abhängigkeit davon, Verbreitungsgrade) zu unterscheiden, auf denen Selbstreflexivität angesiedelt sein kann. Entsprechend setzen verschiedene Disziplinen und Forschungsrichtungen das Phänomen bereits auf einer sehr elementaren Ebene menschlicher Kommunikation an, am bekanntesten vielleicht Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, derzufolge Einzelkommunikation, “ sonst würde sie so gar nicht vorkommen ” , immer in größere kommunikative Zusammenhänge eingebunden und “ in den Verstehensmöglichkeiten und Verstehenskontrollen eines Anschlußzusammenhangs weiterer Kommunikation rekursiv abgesichert ” ist (Luhmann 6 1996: 199). Luhmann spricht von “ basaler Selbstreferenz ” und meint damit, dass ein Kommunikationsprozess “ aus Elementen (Ereignissen) bestehen muß, die durch Einbeziehung ihres Zusammenhanges mit anderen Elementen desselben Prozesses auf sich selbst Bezug nehmen ” (Luhmann 6 1996: 199). Im gleichen Zusammenhang führt er aus, dass Selbstreferenz als metakommunikative Verständigung über Sendung und Erhalt von Mitteilungen realisiert werden könne, sei es mittels Sprache 3 oder nonverbal (z. B. durch ein Nicken). Derartige Rekursionsphänomene sind bereits in sehr einfachen Sozialordnungen nachzuweisen und dienen im weiteren Verlauf der kommunikationsgeschichtlichen Evolution komplexeren selbstreferentiellen Formen als Basis, wobei komplex hier wertfrei gemeint ist und vor allem ‘ voraussetzungsreich ’ bedeutet. Die komplexeren Formen also treten nicht etwa an die Stelle der simpleren, älteren, sondern integrieren diese und nehmen sie auf eine 3 Hier setzt Jakobsons (1960: 356) Konzept der metalingualen Verständigung an: Unstimmigkeiten zwischen Kommunikationspartnern, etwa in Bezug auf die Bedeutung bestimmter Äußerungen, lösen metakommunikative Klärungsversuche aus und leiten damit eine Differenzierung in Objekt- und Metasprache in die Wege. 220 Christoph Rauen (Kiel) spezielle Art in Anspruch (Luhmann 6 1996: 199). Lässt man sich auf die Voraussetzungen dieses Modells ein, wird man nicht bestreiten können, dass alle Kommunikation selbstreferentiell strukturiert ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen auch Ansätze auf semiotischer Grundlage: Every act of communication [. . .] has something self-referential at its root since communication is not only the transmission of a message but also communication about communication. Together with the message, every communicator conveys a self-referential metamessage that indicates so to speak, “ I am communicating ” (Nöth 2011: 205) 4 . Es sei noch einmal betont, dass eine solche Situierung des Phänomens an der Wurzel von Kommunikation dem weit verbreiteten und auch von dem oben zitierten Autorenduo am Leben gehaltenen Vorurteil widerspricht, Selbstreflexivität bedeute hohe Komplexität bedeute kultureller Wert. In den Fällen, in denen die kommunikations- und gesellschaftsgeschichtliche Entwicklung tatsächlich komplexere, voraussetzungs- und vor allem auch informationsreichere Formen von Selbstbezüglichkeit hervorgebracht hat, scheinen diese vor allem dazu zu dienen, anspruchsvollere Verständigung über die Modi, Inhalte und Probleme von Kommunikation zu ermöglichen und funktional stärker ausdifferenzierte Kommunikationszusammenhänge gezielt einzurichten und zu steuern (Luhmann 6 1996: 199, 210). Dieser Entwicklungsschritt ist auf Sprache angewiesen, denn erst “ Sprache sichert Reflexivität im Sinne einer jederzeit vorhandenen, relativ problemlos verfügbaren, nicht weiter erstaunlichen Möglichkeit, den Kommunikationsprozeß auf sich selbst zurückzubeziehen ” (Luhmann 6 1996: 211). Wie es sich damit genau verhält und welche besonderen Leistungen das Speichermedium Sprache speziell für ausdifferenzierte Kommunikationsweisen wie Literatur bereit hält, soll an späterer Stelle thematisiert werden. Vorerst sei nur darauf hingewiesen, dass die aus soziologisch-kommunikationstheoretischer Perspektive vollzogene Unterscheidung zwischen eher einfachen und eher komplexen, informationsreicheren Formen von Selbstreferenz über eine Entsprechung auf Seiten der kunst- und literaturwissenschaftlichen Forschung verfügt; hier unterscheidet man ein “ bloßes systeminternes Verweisen ohne Implikation oder Thematisierung einer selbstreferentiellen Aussage und ein auf systeminterne Phänomene bezogenes Bedeuten ” (Wolf 2007 a: 33, Hervorh. im Original.). Bei dem Paar Verweisen/ Bedeuten handelt es sich um Begriffe von sehr unterschiedlicher Reichweite, denn unter das Verweisen als a-semantische Form der Selbstbezüglichkeit fallen z. B. auch Reflexivpronomen als Formen grammatischer Rückbezüglichkeit (Wolf 2007 a: 32), die praktisch überall zu finden sind, wo Sprache zum Einsatz gelangt. Hier wird noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, in Einzelanalysen die Extension des verwendeten Konzeptes von Selbstreflexivität gegenstandsadäquat und erkenntnisfördernd einzustellen. Will man in Erfahrung bringen, worin sich ein bestimmtes literarisches Bezugssystem in puncto Selbstreflexivität von anderen Systemen unterscheidet, ist es selbstverständlich unzureichend, sich dabei auf ein zu allgemein gewähltes Merkmal wie die erwähnte grammatische Rückbezüglichkeit zu beschränken, das sich in 4 Es stellt sich die Frage, wie sich heutige medienspezifische, hochkonventionalisierte Formen von Selbstreferenz wie zum Beispiel Senderlogos, Jingles und Hinweise wie ‘ Das waren die Nachrichten ’ in TV, Web und Radio (cf. Nöth 2011: 206) zu den beschriebenen, aller Kommunikation inhärenten Formen von Metareferentialität verhalten. Jenseits der Relevanzphrase 221 beiden Fällen nachweisen lassen wird. Ähnliches gilt für den Hinweis darauf, ein mediales Objekt stelle seine Medialität (Artifizialität, Konstruiertheit . . .) aus, der in dieser Allgemeinheit ebenfalls praktisch immer in einem gewissen Maß zutrifft. - Doch es bleibt dabei: Aus alledem lässt sich kein prinzipieller Einwand gegen einen formalsystematisch definierten Begriff von Selbstbezüglichkeit ableiten, der sich auf eine “ Fülle von Phänomenen ” (Wolf 2007 a: 32) beziehen lässt. 3 “ Wer mag, redet halt über Funktionen . . . ” Funktionalismus als Signifikanz- Garantie? Häufig stößt man auch auf die Empfehlung, nicht lediglich nach Formen und Modi selbstreferentieller Phänomene zu fragen, sondern auch und vor allem nach ihren Funktionen. Doch auch der Funktionsbegriff ist nicht davor gefeit, als beliebig einsetzbare Floskel zu fungieren, oder, wie Rüdiger Zymner es einmal rhetorisch formuliert hat: “ Wer mag, redet halt über Funktionen und trifft damit immer irgendeinen Nagel auf den Kopf ” (Zymner 2013: 75). Dem lässt sich entgehen, wenn man Funktion im Sinne der nachweislichen Eignung eines Werkes oder Werkelementes verwendet, Zusammenhänge mit anderen Elementen des gleichen Werkes oder mit dessen (kultureller, historischer usw.) Umwelt zu stiften, einschließlich der anvisierten (nicht: tatsächlich erzielten) Wirkung auf den Rezipienten und abgesehen von etwaigen Intentionen auf Produzentenseite (Fricke 1997: 643). 3.1 Illusionsstörung als Beispiel Dementsprechend wurde immer wieder nach werkinternen und rezeptionsbezogenen Funktionen von Selbstbezüglichkeit gefragt, etwa im Rahmen narratologischer sowie dramen- und fiktionstheoretischer Ansätze, wobei häufig die potentielle illusionsstörende Wirkung autoreferentieller Verfahren in den Mittelpunkt gestellt wurde. Ansgar Nünning (2004: 40) z. B. hat repräsentative Werke der neueren englischen Romangeschichte anhand ihres Illusionsstörungspotentials unterschieden und dabei eine Skala zugrunde gelegt, die sich zwischen diesen Polen erstreckt: Um den einen gruppieren sich Funktionen erzählerischer Autoreferentialität wie Authentifizierung des Erzählten, Kohärenzverstärkung oder auch Stärkung des Kontaktes zum Leser, die, wenn überhaupt, dann ein geringes Störungspotential aufweisen. Dieses fällt in der Regel größer aus, wenn selbstbezügliches Erzählen zur Unterstützung didaktischer und komisierender Strategien eingesetzt wird, und es erreicht Spitzenwerte, wenn die Zielsetzungen parodistischer, poetologischer oder metafiktionaler Art sind. Am anderer Ende der Skala findet sich schließlich eine dezidiert anti-illusionistische Verwendungsweise selbstbezüglichen Erzählens. Bei diesem und vergleichbaren Modellen ist freilich zu bedenken, dass man es in der Praxis für gewöhnlich mit Kombinationen von Funktionen zu tun hat, wobei es typischerweise zu wechselseitigen Verstärkungen und Abschwächungen kommt (Nünning 2004: 47). Außerdem spricht der Umstand, dass ein und dasselbe formal bestimmte Merkmal, in diesem Fall eine bestimmte Erzähltechnik, je nach Kontext sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen kann, grundsätzlich gegen ein allzu striktes “ form-to-function-mapping ” (Gymnich/ Nünning 2005: 10). 222 Christoph Rauen (Kiel) 3.2 Kulturelle Funktionen Auch zu den auf großflächigere mediengeschichtliche Kontexte bezogenen Funktionen von Autoreferenz liegen eine Reihe von Ausarbeitungen vor. So diskutiert Werner Wolf im Einleitungsaufsatz zum Sammelband The Metareferential Turn in Contemporary Arts and Media (2011) verschiedene Erklärungsansätze, die sich dem Verhältnis zwischen werkübergreifenden medial-selbstreferentiellen Strukturen und geschichtlichen Problemlagen widmen (cf. auch Zaiser 2009: 28 f. u. Zymner 2013: 78). In unserem Zusammenhang ist besonders relevant, dass sich diese Ansätze hinsichtlich der Reichweite ihres Geltungsanspruches in gewissen Grenzen typologisieren lassen, auch wenn externe Funktionen, gerade in historischer Sicht, aufgrund ihres konstitutiven Kontextbezuges nur bedingt verallgemeinerbar und systematisierbar sind. 5 So lassen sich zum Beispiel eher langfristige Verhältnisse zwischen Medienprodukten und ideen-, medien-, kultur- und sozialgeschichtlichen Kontexten, deren Korrelation nicht auf bewusste Anpassungsstrategien zurückzuführen ist, von gezielten Versuchen unterscheiden, auf kurzfristige Herausforderungen und Anreize in den Umwelten von Mediensystemen zu reagieren (Wolf 2011: 32). Was letztere angeht, hat man es häufig mit Konjunkturen und Rückkopplungsschleifen ungefähr in der Größenordnung von Dekaden zu tun, etwa wenn englische Romane der Nachkriegszeit gegen die Prädominanz eines Realismus zu Felde ziehen, der seinerseits einen Gegenentwurf zum Erfolg experimentell-selbstreferentieller Schreibweisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt hatte. Interessanterweise fragt Wolf auch nach dem Einfluss, den die intensive wissenschaftliche und kunstkritische Beschäftigung mit Selbstreferentialität und der damit verbundene Prestigegewinn dieser Kategorie auf die künstlerische Praxis ausgeübt haben könnten. Ist es Zufall, dass unter den Autoren metafiktionaler US- Romane der 1960er bis 1980er Jahre überproportional viele Literaturwissenschaftler zu finden sind (Wolf 2011: 32 f.)? Auch die zunehmende Verwendung autoreferentieller Techniken im Unterhaltungsbereich wird angesprochen und versuchsweise damit erklärt, dass der gute Ruf von Selbstreferenz dazu genutzt werde, dem Vorwurf der Seichtigkeit zu entgehen. Dass dieser Punkt recht ausführlich besprochen wird, spricht übrigens gegen den oben referierten Verdacht, auf Seiten der Wissenschaft sei man blind für die Wertungsimplikationen des Themas. Des Weiteren geht Wolf auf den Zusammenhang zwischen Medienwandel und Selbstreferenz ein, wobei unter anderem der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Bedeutungszuwachs von Mediennutzung im Alltag großer Bevölkerungsteile in den Blick kommt. 6 Dieser habe zu einer wachsenden Sensibilität für die konstruktiven und medialen Aspekte des jeweiligen Realitätsverständnisses geführt, ebenso wie zu einer verschärften 5 Wolf selbst (2007: 59) schätzt die Spielräume für Typologisierungen, was die “ Erforschung von Funktionen der Metaisierung in verschiedenen Medien ” angeht, pessimistischer ein: “ Hier aber versagen Typologisierungen, denn Funktionen, zumal im Raum der Geschichte, bilden ein notorisch offenes Paradigma, das sich der Systematisierung entzieht. ” 6 Siehe auch Mertens (2010: 33), der narrative Selbstbezüglichkeit als Reaktion auf die durch Medienwandel bedingte Veränderung von Rezeptionsgewohnheiten thematisiert. Gottfrieds Tristan antworte, so Mertens, auf die Etablierung von Schriftlichkeit, während Fieldings Tom Jones auf neue Lesekonventionen reagiere. Cf. dazu auch Toepfers (2013) Rezension. Im Tristan spiele außerdem die literarische Bezugnahme auf andere Medien und Kunstformen eine große Rolle, etwa auf meisterliches Beherrschen des Kunsthandwerks, worin eine implizite Auseinandersetzung mit spezifisch literarischen Techniken zu erkennen sei. Jenseits der Relevanzphrase 223 Skepsis gegenüber einer simplen Gegenüberstellung von vermittelter und unvermittelter (authentischer) Realität (Wolf 2011: 27). Erwähnung findet auch die bekannte These, zunehmende Ausdifferenzierung und Autonomisierung hätten auf der Ebene des Kunstsystems insgesamt zu einem erhöhten Bedarf an Kriterienreflexion geführt (Wolf 2011: 30) und auf der Ebene einzelner Künste zu intensivierter Reflexion von Nachbarkünsten, wobei im 20. Jahrhundert vor allem die Zunahme intermedialer Stilanleihen auffalle, etwa der bildenden Kunst bei der Photographie (Wolf 2011: 27). In diesem Zusammenhang werden auch Überlegungen zur Neuordnung der Medienlandschaft während der letzten Jahrzehnte und den daraus resultierenden Konkurrenzverhältnissen zwischen verschiedenen Medien angestellt, z. B. zwischen Literatur einerseits und Photographie und Film andererseits. Literatur- Produzenten tendieren laut den von Wolf referierten Studien dazu, sich in puncto Mimesis einem direkten Leistungsvergleich mit den visuellen Medien zu entziehen und stattdessen auf eigene Stärken zu setzen, vor allem die Fähigkeit zur reflexiven Offenlegung von Konstruktivität und Medialität (Wolf 2011: 33). Wie in vergleichbaren Studien zu diesem Thema spielt der Zusammenhang zwischen dem Alter von Medien und Genres auf der einen und dem Ausmaß und der Intensität ihrer Selbstthematisierung auf der anderen Seite eine große Rolle, wobei Wolf die verbreitete Annahme, mit der Zeit nehme die Reflexion generell zu, zu Recht in Frage stellt: Die Literaturgeschichte kennt einige Beispiele für Pionierwerke, die scheinbar aus dem Stand ein ganzes Spektrum von Selbstbespiegelungstechniken entwerfen, wohl nicht zuletzt, weil es nötig ist, das Publikum mit den Gebrauchsmöglichkeiten eines neuen und unbekannten Genres bekannt zu machen (Wolf 2011: 27). Man denke an den Aufstieg des Romans und die Rolle, die der Don Quijote dabei spielte. Die früh entwickelten Instrumente der Selbstbespiegelung werden dann Teil des Repertoires der Gattung und stehen Autoren späterer Zeiten zur Verfügung, die sie weiter ausbauen oder demonstrativ darauf verzichten können, etwa im Namen einer realistischen Programmatik (cf. Wolf 2011: 38). Auch Rainer Zaiser hat sich mit dem Zusammenhang zwischen der Entstehung von Gattungen und den Varianten der Selbstthematisierung beschäftigt und an der Gelehrtenkomödie und dem Pastoraldrama der Renaissance demonstriert, wie fehlende Verankerung im antiken Gattungssystem und der aristotelischen Poetik zu einem Legitimationsdefizit führt, das durch werkimmanente Gattungsreflexion kompensiert wird, sozusagen an der dafür eigentlich zuständigen Traktaktliteratur vorbei (Zaiser 2009: 30 f.). Eingehend thematisiert Wolf die These einer Korrelation zwischen gesteigerter Selbstbezüglichkeit und historischen Phasen, die sich durch hohen ästhetischen Formverschleiß auszeichnen. Seit den späten 1960er und vermehrt seit den 1980er Jahren wurde u. a. von Umberto Eco die Annahme vertreten, die zeitgenössische Tendenz zur Metareferentialität sei darauf zurückzuführen, dass die Innovationskraft des Modernismus weitgehend erschöpft sei, aber nach wie vor ein allgemeines Originalitäts- und Neuheitsgebot gelte (Wolf 2011: 31). Eine darauf reagierende (mittlerweile ihrerseits historisch gewordene) Bewältigungsstrategie bestehe darin, verbrauchte Muster trotzdem weiterzuverwenden und das Fragwürdige daran von einer Metaebene aus kenntlich zu machen, um so den Vorwurf der Einfallslosigkeit und Rückständigkeit vorwegnehmend zu entkräften (cf. auch Wolf 2007 b). 224 Christoph Rauen (Kiel) 3.3 Metalepsen in der Bibel? Anachronistische Irrwege der Selbstreferenz- Forschung Ein Sonderproblem der kultur- und literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Selbstreflexivität, das die Kontextabhängigkeit der funktionalistischen Perspektive eindrücklich vor Augen führt, betrifft Forschungen zu Themen wie Metalepsen, paradoxes Erzählen und andere künstlerische Verwendungsweisen repräsentationslogischer Inkonsistenz, die auf selbstbezüglichen Strukturen beruhen (cf. Klimek 2010). In den letzten Jahren zeichnet sich eine Tendenz ab, Phänomene dieser Art bereits in vormodernen, zum Beispiel mittelalterlichen und antiken Texten nachzuweisen (Eisen/ Möllendorf 2013). Es ist aber fraglich, ob zu den entsprechenden Zeiten die epistemologischen Voraussetzungen gegeben waren, die für gewöhnlich als konstitutiv für die aufgezählten Phänomene angesehen werden. Dazu zählt vor allem eine eher strikte, an die neuzeitlichen Wissenschaften und ihren empirisierten Wahrheitsbegriff gekoppelte Unterscheidung zwischen der Kommunikation von nachweisbaren Fakten und von künstlerischen Erfindungen. Erst das Gebot einer strengen Separierung beider Bereiche schafft die Möglichkeit, gezielte metaleptische Grenzüberschreitungen durchzuführen, um damit Aufmerksamkeit zu binden, Adressaten zu vexieren, latente kulturelle Imperative und Denkgewohnheiten zu beleuchten sowie komische oder unheimliche Wirkungen zu erzielen usw. Für Zeiten und Kulturräume, in denen diese Konventionen so nicht galten (cf. Moers 2013), kommen Kategorien wie Metalepse deswegen nicht ohne Weiteres in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn sich Artefakte finden, die in formaler Hinsicht Ähnlichkeit mit modernen metaleptischen Strukturen aufweisen (Wolf 2013 a: 130), wie dies bei Leser- und Zuschauerappellen der Fall sein kann. Eine ausführliche Behandlung dieses Problemzusammenhangs, für den das historische Verhältnis zwischen Repräsentations-, Illusionierungs- und Paradoxierungstechniken, dem Konzept der Fiktionalität und verschiedenen Formen und Funktionen von Selbstbezüglichkeit zentral ist, 7 kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen. 4 Selbstreferenz und ästhetische Semantik 4.1 Geschichten vom Pferd: Einbettungsstrukturen und Vergegenständlichungen Stattdessen will ich abschließend auf einen weiteren literaturwissenschaftlichen Bereich zu sprechen kommen, für den Selbstbezüglichkeit relevant ist. Als Garantie eines aussagekräftigen, nicht beliebig einsetzbaren Begriffs von Selbstreferenz gilt häufig, dass man sich auf markierte und/ oder ungewöhnliche, kognitive Aktivität auslösende Formen von Selbstreferenz zu konzentrieren habe. Das mag zunächst einleuchtend klingen, erweist sich aber bei näherer Prüfung als fragwürdige Orientierungshilfe, denn es lässt sich keine überzeugende Begründung für die Behauptung finden, dass eher latente und/ oder strukturelle Formen von Selbstreferenz per se kein lohnenswertes Aufgabengebiet darstellen. In der aktuellen Forschung findet sich ein Beitrag, der das Gegenteil eindrücklich bestätigt, indem er Selbstbezüglichkeit als Strukturelement eines langfristigen kulturgeschichtlichen Prozesses begreift. Katja Mellmann (2014) hat einen Aufriss der Kom- 7 Auf Homer zurück geht Scheffel 2007, während Friedrich 2009 sich auf das 18. Jahrhundert konzentriert. Jenseits der Relevanzphrase 225 munikations-, Kunst- und Literaturgeschichte vorgelegt, innerhalb dessen gerade die elementaren und deswegen ubiquitären Erscheinungsweisen von Selbstreferenz zentrale Funktionen erfüllen. Sie entwirft einen Basis-Literaturbzw. Basis-Kunst-Begriff, der die Kluft zwischen Moderne und Tradition überbrücken soll, ähnlich wie das in der Vergangenheit bereits mit Unterscheidungen wie erhaltenswerte und ephemere (Pettersson 2006: 7) oder alltägliche und alltagsenthobene (Eibl 1971: 1102) Kommunikation versucht worden ist. Das dabei konturierte Literaturverständnis ist einerseits so breit angelegt, dass darunter auch “ systemhafte[] Konfigurationen ” (Mellmann 2014: 98) und kommunikative Praktiken wie “ Anbetung ” , “ Beschwörung ” oder “ Anrufung ” (Mellmann 2013: 71) fallen, ebenso Textsorten wie “ Ahnenregister, Gebete, Traktate, Deklamationsübungen, Poplyrics oder ein[] wissenschaftliche[r] Projektantrag ” (Mellmann 2014: 99). Zugleich ist es differenzierungsfähig genug, um den jeweiligen historischen Besonderheiten der darunter subsumierten Kommunikationsweisen gerecht zu werden. Damit soll verhindert werden, dass Literatur- und Kunstkonzepte jüngeren Datums, die beispielsweise auf Begriffen wie Fiktionalität, uneigentliche Rede, Literarizität oder Verfremdung beruhen (cf. Mellmann 2014: 99 f.), unkritisch auf vormoderne Zeiten projiziert werden, ganz zu schweigen von einer anachronistischen Verwendung des im 18. Jahrhundert geprägten Kollektivsingulars und “ Hochwertabstraktums ” (Zymner 2013: 9) Literatur bzw. Kunst. In diesem theoretischen Zusammenhang erweist sich Selbstreferenz als besonders nützlich, insoweit damit inhaltlich variabel besetzbare Metaisierungs- und Einbettungsstrukturen bezeichnet werden können, die eine Differenzierung von Meta- und Objektebene mit sich bringen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die metakommunikativen Rahmungen und Adressierungen der fraglichen Kommunikationsakte, durch die kommunikative Besonderheiten und Erkennungsmerkmale hervorgehoben werden. Auf diese Weise lassen sich alle kommunikativen Ereignisse, welche eines oder mehrere gemeinsame Merkmale aufweisen, zu einer Einheit zusammenfassen. Hier kommt die bereits angesprochene sprachliche Dimension von Selbstreflexivität ins Spiel, denn mittels Sprache kann die metakommunikative Verständigung über bestimmte Kommunikationsmodi vergegenständlicht werden. Ein Beispiel: Fragt in einer oralen Kultur der Hüter der Traditionen den Bittsteller: “ Was für eine Geschichte willst du hören? ” , und dieser antwortet: “ Eine Geschichte vom Pferd. ” , dann liegt eine solche Vergegenständlichungsleistung vor. Die erzählte Geschichte selbst ist natürlich ebenfalls Kommunikation, aber entscheidend ist, dass auf diese narrative Kommunikation metasprachlich referiert werden kann, sie also nicht nur selbst Kommunikation, sondern zudem potentieller Redegegenstand ist und dieser Redegegenstand in einer für beide Gesprächspartner erwartbaren Form angesprochen werden kann (Mellmann 2014: 99). Es geht mit anderen Worten um sprachliche Verfestigung, kulturelle Tradierbarkeit und Institutionalisierung mittels kognitiver Rahmenkonzepte wie ‘ Geschichten vom Pferd ’ , ‘ Ahnenregister ’ , ‘ Kriminalroman ’ , ‘ Roman ’ , ‘ Literatur ’ , welche über besondere Strukturen, Inhalte, Modi und Funktionen des jeweils gerahmten Kommunikationsgeschehens informieren, eingeschlossen das erforderliche körperliche und geistigeVerhalten der Teilnehmer. Zu diesen Rahmenkonzepten zählen außerdem ‘ Fiktion ’ , ‘ ästhetische Illusion ’ und ‘ Kunst ’ , die nahelegen, dass es nicht um bloße Informationsübermittlung oder Handlungsanweisung geht, sondern um Versorgung mit Kontemplations- und Reflexionsvorlagen, die dem 226 Christoph Rauen (Kiel) Vergnügen oder der Erbauung dienen, die sich auf Subtexte und verborgene Lehren absuchen oder eigensinnig weiterdenken lassen (Mellmann 2013: 79). Wichtig vom Standpunkt eines modernen Kunst- und Fiktionsverständnisses sind dabei vor allem metakommunikative Signale, die anzeigen, dass man sich von den dargebotenen Repräsentationen ‘ illudieren ’ lassen solle, was bedeutet, unter Wahrung einer rationalen Distanz daran teilzuhaben und sich dazu physisch, nicht aber kognitiv und emotional passiv zu verhalten. 8 Selbstreflexivität im Sinne der Möglichkeit, sich auf eine Differenzierung von Objekt- und Metabzw. Rahmen- und Binnenebene zu stützen, ist dabei unverzichtbar, um das Kommunikationsgeschehen mit den nötigen Gebrauchsanweisungen zu versehen und das Vorwissen über die betreffenden Kommunikationskonventionen zu aktivieren. 9 Dabei ist es auf dieser Stufe der Modellbildung zweitrangig, ob es sich um einen professionalisierten Umgang mit solchen Kommunikationsweisen oder ein wenig ausdifferenziertes, z. B. spielerisches Verhalten im Alltag (Wolterstorff 1980: 233) handelt. Sekundär ist auch, inwiefern solche preface-Funktionen 10 sprachlich oder textuell Gestalt annehmen, als intrakompositionale (cf. Wolf 2013 a: 128, 130) oder paratextuelle Rahmungen in der Form einer Vorrede oder Gattungsbezeichnung im Titel etwa (cf. Dembeck 2007: 11). Als automatisierte kognitive Situationsdeutungen spannen sie einen Erwartungshorizont auf und wirken zurück auf die von ihnen gerahmte kommunikative Praxis. Von historischem Interesse ist u. a. die Frage, unter welchen Bedingungen im Kern simple Funktionen wie das Anzeigen von Autorschaft oder Gattungszugehörigkeit zu umfangreichen, intellektuell anspruchsvollen Reflexionen ausgebaut werden, wie das im 17. Jahrhundert auf dem Gebiet der Romanvorrede der Fall war (Dembeck 2007: 54). Dieser Vorgang trug dann zur Erweiterung künstlerischer Möglichkeiten bei, indem Vorreden fiktionalisiert und als Herausgeberfiktionen in das ästhetische Formenspiel des Haupttextes einbezogen wurden, um so die übliche Hierarchisierung von Rahmen- und Binnentext zu überspielen (Konrad 2015: 4). 4.2 Metaisierung, ästhetische Semantik und Normativität Wenn Kommunikationstypen wiederholt in gleicher Weise adressiert und damit zu gesellschaftlichen Institutionen ausgebaut werden, kann sich eine eigens darauf bezogene Konzeptgeschichte entwickeln und in der Folge mehr und mehr verselbständigen. Mit Blick auf ästhetische Kommunikation sei auf ein für Neugermanisten einschlägiges Beispiel verwiesen, die im Rahmen der westlichen Moderne besonders wirkmächtige idealistische Kunst- und Literaturkonzeption des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, wie sie exemplarisch Schiller in Über die ästhetische Erziehung des Menschen umreißt. Die Möglichkeiten einer weitgehenden Abkopplung metakommunikativer Konzeptualisierungen von der kommunikativen Praxis werden hier weidlich ausgeschöpft. Dabei funktioniert Schillers Kunstbegriff nicht empirisch oder deskriptiv, sondern als “ engagierte Reflexion 8 Siehe auch Wolf (2013 b: 14 - 16) zu Illudierung als komplexer Mischung von Engagement und Distanz, sowie Zipfel (2013: 43) zum “ Sich-Einlassen[. . .] auf das Spiel einerseits und [. . .] Spielbewusstsein[. . .] andererseits ” . 9 Dazu mit Blick auf Fiktionalität: Zipfel 2013: 59. 10 Für Wolterstorff legt die Preface-Funktion vor allem nahe, dass zum eigentlichen Kommunikationsgeschehen eine Fiktionshaltung (fictive stance) einzunehmen sei: “ It ’ s as if every work of fiction were prefaced with the words ‘ I hereby present that . . . ’ or ‘ I hereby invite you to consider that . . . ’” (1980: 233). Jenseits der Relevanzphrase 227 über [. . .] Wirkungsmöglichkeiten ” der Kunst, die sich gleichwohl “ als eine Wesensbestimmung der Kunst ” versteht (Matuschek 2012: 403). Er dient vorrangig der Kommunikation von Hoffnungen darauf, dass Kunst zunächst dem einzelnen, dann mittelbar auch der Gesellschaft zu “ Vollkommenheit oder Freiheit oder Glückseligkeit ” (Matuschek 2012: 400) verhelfen könne, was durch eine bloße Änderung der äußeren Machtverhältnisse nach Art der Französischen Revolution nicht zu erreichen sei. Aufgrund einer hochgradigen Abstrahierung und Normativisierung von Rahmenkonzepten vermag es der entsprechende, ausdrücklich “ gegen die Erfahrung ” (Matuschek 2012: 403, Hervorh. im Original) gebildete Begriff, den Anspruch zu erheben und teils auch durchzusetzen, für Literatur und Kunst überhaupt zu gelten, ganz unabhängig davon, was faktisch an Kunst produziert und rezipiert wird. Metadiskurse dieser Art transzendieren kunstsystemspezifische Probleme, reagieren auf übergreifende gesellschaftliche Problemlagen und können ihrerseits zu wirkmächtigen historischen Faktoren avancieren, die z. B. die Bildungsinstitutionen und die staatliche Subventionspraxis nachhaltig beeinflussen. Diese bekannte, hier nur schlaglichtartig beleuchtete Entwicklung zeigt ferner, dass sich Intension und Extension des Rahmenkonzeptes Kunst in vergleichsweise kurzer Zeit grundlegend wandeln können. Anders als in der eben erwähnten idealistischen Phase hatte das frühe und mittlere Aufklärungsjahrhundert noch großen Wert auf eine hinreichende Korrespondenz zwischen Literaturbegriff und kommunikativer Praxis gelegt, Literatur meinte “ die komplette Überlieferung (historia litteraria) ” (Mellmann 2014: 100, Hervorh. im Original), einschließlich einer Vielzahl gelehrter Diskurse wie “ Geschichtskunde, Altertumskunde, die Philologien, Philosophie, Kunstkritik und alle rhetorischen Gattungen ” (Matuschek 2012: 412). Geht man noch weiter hinter den um 1800 stattfindenden konzeptuellen Vereinheitlichungsschub zurück, so zeigt sich, dass visual, verbal, and acoustic arts for a long time were not seen as three facets of one and the same phenomenon. Similarly, different poetic text types were not necessarily considered different ‘ genres of poetry ’ , or different musical forms different ‘ genres of music ’ , respectively. Rather, humans have long been content with open lists of traditions, styles, and exemplars. The quest for systematic genre categories is an utterly recent development in Western societies. And, interestingly, the emergence of a cultural concept ‘ art ’ did not at all start as an umbrella-term for aesthetic behaviours but rather for a quite diverse range of cultural activities and erudite traditions. The so called liberal arts in antiquitiy and medieval times, for example, still compromised elements that are not included in our concept of the arts today, like logic and mathematics. And until very recently, even the arts in a narrower sense did not exist as arts but as defined conventions within specific social contexts like religion (cathedral architecture, devotional tableaus, sacred music), politics (courtly ceremonies and pastimes), or education (rhetoric, school drama) (Mellmann 2013: 78, Hervorh. im Original). Literarische und ästhetische Semantiken unterliegen demnach einem erheblichen historischen Wandel und können nacheinander sehr unterschiedliche kommunikative Praktiken umfassen. Umgekehrt ordnen vergangene Epochen Praktiken, die wir heute mit Kunst assoziieren und dadurch in enger Nachbarschaft zu bestimmten anderen Praktiken verorten, unter Umständen anderen Feldern zu: [W]e might well call Shakespeare ’ s or Molière ’ s plays ‘ art ’ , for in today ’ s categories they are; but we should be aware that for their first audiences they were not. Shakespeare ’ s and Molière ’ s 228 Christoph Rauen (Kiel) contemporaries were just ‘ going to the Globe ’ or ‘ attending a theatrical presentation for the society of la cour et la ville ’ , both of which had very specific socio-semiotic implications (some of them perhaps even being identical with today ’ s implications of the ‘ art ’ -concept), but did not bear any apriori relations to, for instance, playing the lute, reading a novel, or attending the king ’ s ballet. (Mellmann 2013: 78 f., Hervorh. im Original) 5 Schluss Die zuletzt gegebenen Beispiele verdeutlichen, in welchen für die Kunst- und Literaturwissenschaften zentralen Bereichen das Thema Selbstreferenz heute relevant sein und fruchtbar gemacht werden kann, auch jenseits der Analyse von Einzelwerken. Es ging mir insgesamt darum, die aktuell zu vernehmende Kritik an der Verwendung der Kategorie Selbstreflexivität zu prüfen, um berechtigte Forderungen nach einer aussagekräftigen und reflektierten Anwendung zu unterscheiden von allzu pauschalisierenden Hinweisen auf Mängel, die auf mangelnder Kenntnis des reichhaltigen Angebotes an begrifflich differenzierten Systematisierungsvorschlägen zu basieren scheinen. Außerdem wollte ich auf wichtige aktuelle Arbeitsfelder wie zum Beispiel die Konzeptgeschichte des Literarischen hinweisen, für die Selbstreflexivität als Strukturelement eine wichtige Rolle spielt, die aber bei der vorherrschenden Fokussierung der Diskussion auf Selbstreflexivität als Differenzqualität erst gar nicht in den Blick kommen. Bibliographie Dembeck, Till 2007: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Texte im 18. Jahrhundert. (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul), Berlin: De Gruyter. Eibl, Karl 1971: “ Ästhetische Rolle. 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