Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
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2018
411-2
Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas
71
2018
Hans Krah
kod411-20125
K O D I K A S / C O D E Volume 41 (2018) · No. 1 - 2 Gunter Narr Verlag Tübingen Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas Hans Krah (Passau) This paper examines how interfaces between texts, media and knowledge are established, by taking the examples of medial adaptations presenting the story of the Spartan king Leonidas. It focuses especially on the perpetuation of knowledge and the appropriation of existing source material. It takes three different aspects into consideration: 1. The relation between text and knowledge and the distinction between an ‘ epistemic ’ and a ‘ configurative ’ reference. 2. The text which is transformed into another medium and the status of such adaptations. 3. The approach to the knowledge generated by media and its ideological relevance concerning meaning, interpretation and attribution. 1 Gegenstand und Erkenntnisinteresse Frank Miller, der als Comiczeichner vor allem durch seine Graphic Novel-Reihe Sin City bekannt geworden ist, legte 1999 den Comic 300 vor, der in seinem durchaus aufwändigen Format eher an einen opulenten Bildband als an einen herkömmlichen Comic erinnert. 1 Untergliedert ist der Band in die fünf Kapitel “ Honor ” , “ Duty ” , “ Glory ” , “ Combat ” und “ Victory ” , wodurch zum einen ein textinterner Geschehenszusammenhang aufgerufen wird, der des Kampfes aus Gründen der Ehre und der Pflicht, zum anderen mit diesem Geschehenszusammenhang und dessen kommentierender Zusammenfassung durch die Titel auf Bekanntes Bezug genommen wird. Das letzte Kapitel “ Victory ” markiert diese Referenz durch den sich darin artikulierenden scheinbaren Widerspruch deutlich: 300 bezieht sich in seiner präsentierten Geschichte auf ein kulturell tradiertes Geschehen, das Wissen um Leonidas. Millers Text soll im Folgenden den Nukleus von Texten bilden, mit denen der Umgang mit solchen Wissensmengen beleuchtet werden soll, die sich durch unterschiedliche Texte konstituieren, die zum einen auf einen gemeinsamen Stoff Bezug nehmen (wie hier eben 1 Es handelt sich um ein Hardcover-Querformat mit den Maßen 25,5 cm x 32,5 cm; auch die Kolorierung (die von Millers damaliger Frau Lynn Varley ausgeführt ist) trägt dieser Opulenz Rechnung. Das Buch ist unpaginiert und wird im Folgenden ohne Seitenverweise zitiert, wobei Textteile einer Sprechblase jeweils in eigene Anführungszeichen gesetzt werden. exemplarisch auf Leonidas) und zum anderen dadurch auch (potentiell) untereinander interagieren. 2 Fokussiert werden sollen dabei (i) zum einen Schnittstellen im Geflecht von Wissen, Formatierungen von Wissen und dessen Funktionalisierung in Texten, (ii) zum anderen Schnittstellen zwischen dem in unterschiedlichen Medien adaptierten Textwissen und (iii) zum Dritten Schnittstellen zwischen textueller Bedeutung und durch Paratexte gesteuerte Rezeption, wodurch wiederum weitere Fortschreibungen forciert werden. 2 Schnittstellen I - Formationen: Wissen und Texte 2.1 Leonidas als Exempel Bezug genommen wird bei dem Leonidas-Wissen bekanntermaßen auf eine Episode aus den Perserkriegen im antiken Griechenland. Der Spartanerkönig Leonidas konnte mit nur 300 Spartiaden und anderen verbündeten Poleis im Engpass der Thermopylen 480 v. Chr. das zahlenmäßig weit überlegene Heer des Perserkönigs Xerxes am Einmarsch in Griechenland aufgrund der strategischen und topographischen Lage des Ortes drei Tage lang behindern, bis die Griechen durch Verrat und der dadurch ermöglichten Umgehung ihrer Stellung diese räumen mussten. Leonidas und seine Spartiaden, die sich nicht zurückzogen, wurden bis auf den letzten Mann in der Schlacht getötet. Es geht um eine militärische Niederlage, die sich aber angesichts der im Jahr darauf, 479 v. Chr., erfolgten Siege von Salamis und Plataiai, bei denen die Perser besiegt und endgültig zurückgeschlagen werden konnten, und der Deutung der Motivation für das Ausharren als spartanisches ‘ Gesetz ’ , als heroische Untergangsinszenierung instrumentalisieren ließ und sinnstiftend sowohl (i) für die Gemeinschaft als auch (ii) für das Individuum wie (iii) für die Relation von Individuum und Gemeinschaft funktionalisiert werden konnte: “ Victory ” also doch. Am Ort des Geschehens wurde eine Gedenkstätte errichtet und erinnert ein in eine Tafel im Boden graviertes, Simonides von Keos zugeschriebenes Epigramm an die Spartaner. Da sie zudem vielfältig ‘‘ archiviert ’’ wurde (zu nennen ist insbesondere Herodot, der das Geschehen im siebten Band seiner Historien aufgreift), konnte diese Episode ins kulturelle Wissen eingehen. Der Comic reiht sich ein in eine lange Tradition der medialen Überlieferung. Wie Anuschka Albertz 2006 in ihrer Studie Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von derAntike bis zur Gegenwart darlegt, sind die antike Schlacht und die mit ihr verbundenen Konnotationen von Heldentum nicht primär national ausgerichtet, sondern aufgrund des kulturellen Abstands mit einer bestimmten Abstraktheit versehen, die es zum einen erlaubt, die Konstellationen von ‘ eigen ’ und ‘ fremd ’ , Gemeinschaft und Individuum, Tradition und Exzeptionalität sowie Gleichheit und Elitarismus mit spezifischer Semantik zu füllen, und die zum anderen als kohärentes symbolisches Sinnangebot für Vergleiche verschiedenster Couleur geeignet ist. Dementsprechend klassifiziert Albertz diesen Gegenstand nicht als kollektive Identität konstituierenden Mythos, sondern spricht von einem Exempel im Sinne der klassischen 2 Der hier verwendete Wissensbegriff orientiert sich an dem von Michael Titzmann eingeführten, grundlegenden Konzept des kulturellen Wissens und baut darauf auf; siehe etwa Titzmann 1999 und 2017 a. 126 Hans Krah (Passau) Rhetorik (cf. Albertz 2006: 14 - 24), wobei sich dieses Exempel hauptsächlich in Historiographie, der Redepraxis und der sozialen Praxis im Totenkult niedergeschlagen hat. Vor dieser Folie haben sich, wie Albertz ausführt, verschiedene Nationen dieses Stoffes zu unterschiedlichen Zeiten bemächtigt. In der Neuzeit gab es einen ersten Rezeptionshöhepunkt in Frankreich zurzeit von Revolution und Empire, dem ein zweiter Höhepunkt in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgt (cf. ibid.: 26 f.), der sich aus einer Tradition speist, die im frühen 19. Jahrhundert vor allem mit einigen Dramen einsetzt 3 und die mit Friedrich Schillers Übersetzung des Epigramms von Simonides auf einen prominenten Bezugspunkt referieren kann. Aus Schillers 1795 verfasster Elegie stammen die Verse: Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke, Eurer Taten Verdienst meldet der rührende Stein: “ Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl. ” 4 Dieses literarisch nobilitierte Sprachzeichen diente in seinem ersten Teil, also “ Wanderer, kommst du nach Sparta ” , und in seinem letzten, “ wie das Gesetz es befahl ” , als autorisierte Zeugenschaft, mit der sich semiotisch kulturelle Praktiken legitimieren ließen, indem Wissenskontexte, auf die verwiesen werden konnte, abgerufen wurden. Auch Millers Comic integriert diesen Spruch explizit: “ Go tell the Spartans, passerby: ” “ That here, by Spartan law, we lie. ” Exemplarisches Heldentum, wie Albertz es für den Leonidas-Stoff setzt, funktioniert nur dann, wenn im jeweiligen kulturellen Kontext eine Deutungslinie der ‘ historischen ’ Vorkommnisse in der Überlieferung dominant und grundsätzlich antikes Bildungswissen vorhanden ist; ein Vergleich setzt, um argumentativ wirken zu können, Wissen voraus. Dieses Wissen wurde vor allem durch Schulbildung vermittelt, insbesondere über das humanistische Gymnasium. Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts dürfte dieser Wissenskontext als kanonisiertes Schulwissen das Verstehen dieser Referenz gesichert haben (cf. Albertz 2006: 344). 5 2.2 ‘ epistemisches ’ vs. ‘ konfiguratives ’ Wissen Der insgesamt sehr gut argumentierenden geschichtswissenschaftlichen Arbeit von Albertz ist allerdings eine literaturbeziehungsweise textwissenschaftliche Perspektive, die eine Differenzierung hinsichtlich verschiedener Textsorten und Kommunikationsformen einbezieht, entgegen zu halten bzw. sie ist um eine solche zu erweitern. So sehr Albertz ’ Ergebnisse für Historiographie, Redepraxis und sozialer Praxis zutreffend sein dürften, so sehr muss, zumindest seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, für die Literatur, als ‘ Exemplum ’ ästhetischer Kommunikation, ein eigener Status reflektiert werden. 3 Einige dieser Werke seien genannt: 1812, Franz von Holbein: Leonidas; 1814, Wilhelm Blumenhagen: Die Schlacht bei Thermopylä; 1822, Joseph von Auffenberg: Die Spartaner, oder Xerxes in Griechenland; 1822, Karl von Toussaint: Leonidas bei Thermopylä / Todtenfeier für Leonidas; 1834, Anton Kaspar: Leonidas. 4 1800 in Der Spaziergang umbenannt; cf. Schiller (1795: Vers 95 - 98). 5 Für die Zeit nach 1945 konstatiert Albertz, dass dieses Wissen nicht mehr vorhanden ist, so dass sie nun für die Rezeptionsgeschichte von “ unspezifischen Linien ” (cf. Albertz 2006: 356) spricht. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 127 Hierbei erscheint es sinnvoll, zwei verschiedene Formen von Referenzbeziehungen und damit zwei unterschiedlich grundierte Wissensformationen zu differenzieren. Im Kontext des Verhältnisses von Text und Wissen ist zu unterscheiden (i) zwischen einer Verwendung, bei der der Bezug in seiner ‘ epistemologischen Referenz ’ , wie sie im kulturellen Wissen gespeichert ist, aktualisiert wird und demgemäß solches Wissen zum Verstehen der Textsemantik benötigt wird, und (ii) der Verwendung, die ich als ‘ konfigurative ’ benennen möchte, bei der zusätzlich und vorwiegend durch den Text selbst für diese Referenz Wissen generiert - und damit selbst Allgemeinwissen geschaffen wird. Im einen Fall dienen Wissenselemente als kulturelle Propositionen 6 dem Verständnis dessen, was der Text bedeuten soll, im anderen Fall werden sie selbst einem textuellen Semioseprozess unterzogen. Als prominentes Beispiel einer epistemischen Verwendung sei auf Hermann Görings Thermopylenrede zum 10. Jahrestag der Machtergreifung am 30. 1. 1943 verwiesen, in der er dem deutschen Volk mit “ Wanderer, kommst du nach Deutschland. . . ” die Niederlage von Stalingrad verkündet. Neben der Tatsache, dass in dieser Wissensformation überhaupt erst und nur die eigene militärische Lage vermittelt wird, wird diese damit zugleich in den Konnotationsraum von Erfüllung militärischer Pflicht, ehrenhaftem Untergang durch Kampf (statt elendem Verhungern), Rettung des Abendlandes (statt Invasion) und zukünftigem Endsieg gestellt (cf. Albertz 2006: 360). In ästhetischer Kommunikation können beide Praktiken vorkommen, eine epistemische Bezugnahme wie eine konfigurative, auch in Zeiten, in denen institutionalisierte Imagologien den Diskurs organisieren. Und auch im ersten Fall, dies sei betont, kann diese Referenz als Zeichen für unterschiedliche semantische Ausrichtungen eingesetzt sein, je nachdem, welcher Deutungsvariante gefolgt und welche Auslegung abgerufen wird, wobei diese dann historisch-kulturellen Kodierungen folgen. So etwa, wenn in Frankreich Leonidas mit revolutionär-republikanischem Wissen versehen ist oder zur NS-Zeit damit aristokratische und rassische Konnotationen konglomeriert und diese damit synthetisiert werden können oder im Totenkult auch noch nach 1945, wenn durch die Fokussierung “ wie das Gesetz es befahl ” militärische Pflichterfüllung und damit implizit individuelle Exkulpation betont werden (cf. Albertz 2006: 331). Ästhetische Kommunikation kann sich dieses Wissens bedienen, muss aber in dieser Form der Aneignung, also des epistemischen Bezugs, und damit einer Tradierung und Archivierung nicht aufgehen. Beispiele für Texte, die primär einen solchen epistemischen Bezug etablieren, finden sich nach 1945 wie etwa Bölls Erzählung Wanderer, kommst du nach Spa. . .(1950) oder Jandls Thermopylen-Gedicht (1957), sie finden sich früher wie etwa Bürgers Gedicht Die Tode (1793), wenn Leonidas im Sinne Albertz ’ als Exempel für den besten aller möglichen Tode fungiert: Für Tugend, Menschenrecht und Menschenfreiheit sterben Ist höchst erhabner Mut, ist Welterlöser=Tod: Denn nur die göttlichsten der Heldenmenschen färben Dafür den Panzerrock mit ihrem Herzblut roth. 6 Zum Begriff und zur Begriffsverwendung siehe Titzmann: 2017 a: 81 - 85. 128 Hans Krah (Passau) Am höchsten ragt an ihm die große Todesweihe Für sein verwandtes Volk, sein Vaterland hinan. Drei hundert Sparter ziehn in dieser Heldenreihe Durchs Thor der Ewigkeit den Uebrigen voran [Hervorhebung H. K.] [. . .]. (cf. Bürger 1796: 256) Aber auch Texte, die nicht nur eine Referenz installieren, um diesen Wissensbezug für die eigene textuelle Semantik und Argumentation zu funktionalisieren, Texte also, die Leonidas nicht primär als kulturelles Zeichen verwenden, mit dem ein Verweisungszusammenhang geschaffen wird, sondern diese Referenz durch den Text neu und eigenständig konfigurieren, gibt es nicht erst in jüngster Zeit. 2.3 Beispiele konfigurativer Bezüge: Leonidas-Dramen im frühen 19. Jahrhundert Bereits die Leonidas-Dramen im frühen 19. Jahrhundert gehen in ihren Semantiken nicht darin auf, über das Leonidas-Exempel Ausdruck der napoleonischen Befreiungskriege oder des griechischen Freiheitskampfes zu sein, auch wenn dies auch eine Dimension der Texte sein kann oder in Einleitungen explizit darauf verwiesen wird. Sie verhandeln dabei und darüber hinaus auch Weiteres: zentrale Parameter (spät-)goethezeitlicher literarischer Konstellationen, wie etwa die Fragen nach Autonomie, Kausalität, dem Status des exzeptionellen Individuums oder der Problematik konfligierender Wertesphären. Nicht umsonst vermerkt Albertz bezüglich dieser Dramen, dass die “ Aneignung in Deutschland politisch diffus ” blieb (cf. Albertz 2006: 213). 7 Die Texte sind in ihren Semantiken an ihre Produktionszeit gebunden und referieren darauf, d. h. die textuellen Befunde sind jeweils auf diesen kulturellen Kontext zu beziehen, aber anders als in anderen Textsorten steuern ästhetische Texte als Medien kultureller Selbstvergewisserung zu solchen Exempeln weitere Vorstellungen bezüglich kultureller Paradigmen und Mentalitäten bei, erzeugen als ‘ Bild von Wirklichkeit ’ selbst erst Imagologien des Wünschenswerten. Solche Konfigurationen lassen sich dabei bereits an der Figuration, den jeweiligen Figurenkonstellationen der Texte, und den sich daraus ergebenden Semantisierungen und Fokussierungen nachzeichnen, wie kurz an einigen Beispielen angedeutet und illustriert sein soll. Auch wenn Leonidas, Xerxes und Ephialtes (der Verräter) zum festen Bestandteil der Akteure gehören (oder gehören müssten), kann die jeweilige konkrete Umsetzung doch äußerst verschieden sein. So entfällt etwa in Joseph von Auffenbergs Drama Die Spartaner, oder Xerxes in Griechenland von 1822 die Rolle von Gorgo, der Ehefrau von Leonidas, zugunsten einer Schwester, Olympia, die aus Liebe zu ihrem Verlobten in der Schlacht mitkämpft, freilich gefangen genommen wird und sich nur durch einen von Leonidas empfangenen Dolch durch Freitod selbst vor drohender Vergewaltigung bewahren kann. Hier ist es Xerxes als psychisch problematisierte Person, anhand der ein Konflikt verhandelt wird: Xerxes ist einerseits durch die Vergangenheit, das Erbe seines Vaters, belastet, andererseits dadurch, 7 Zu den zentralen Paradigmen der Dramen der Zeit cf. Krah 1996 und Kainz und Krah 2009. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 129 dass er einen Sieg durch Verrat nicht für sein Helden- und Personenkonzept als angemessen empfindet. In Franz von Holbeins Leonidas von 1812 sind es weniger die (ideologisch) eindeutigen Männer wie Leonidas, seine Spartaner oder die Athener, die im Vordergrund stehen und den Gedanken eines gemeinsamen Vaterlands vertreten, und auch weniger Xerxes, der in einer eigentümlich ambivalenten Semantik einer Projektion Napoleons entspricht, als vielmehr die Frauen Gorgo und Artemisia. Beide vertreten eigene Ansichten und beide sind als Kämpferinnen aktiv an der Schlacht beteiligt, was ihnen im Gegensatz zu Olympia bei Auffenberg (noch) nicht negativ angekreidet wird (auch wenn Gorgo in Gefangenschaft gerät, führt dies nicht zu den Konflikten, um die es bei Auffenberg geht). Beide Frauen agieren aus ihrer Wertschätzung von individueller, leidenschaftlicher Liebe heraus und gelangen durch die Narration zwar zur Einsicht, dass eine solche Liebe und der aus einer solchen resultierende Hass nicht der höchste Wert sein kann, beide werden aber nicht abgewertet oder narrativ sanktioniert, sondern beiden wird für ihre Position durchaus Verständnis entgegengebracht. Ähnlich ergeht es Ephialtes, der den Verrat als treuer Sklave Leonidas ’ begeht, da er im Konflikt zwischen dieser individuellen Treue und dem Eid steht, den er seinen Eltern geschworen hat, nämlich die Heloten für das von den Spartanern an ihnen begangene Unrecht zu rächen. Auch dies wird allgemein akzeptiert und da Ephialtes dies explizit und direkt kommuniziert, wird ihm verziehen und er kann und darf ehrenvoll Selbstmord begehen. In Karl von Toussaints Leonidas bei Thermopylä von 1822 wird fast ausschließlich auf einer kollektiven Ebene argumentiert, was etwa daran zu sehen ist, dass Xerxes als Figur nicht auftritt und die Hauptprotagonisten als “ Freunde, Brüder, Amphiktyonen ” (cf. Toussaints 1822: 2), also als gemeinsamer Rat auftreten. Insbesondere zeigt sich dies daran, dass es keinen Verräter mit dem Namen Ephialtes gibt, sondern der Verrat durch die Thebaner kollektiv verübt wird. Demgemäß ist es hier der Gegensatz von Verrat und Treue und der Umgang damit, der im Fokus verhandelt wird, etwa mit der Figur der Elina, die den Verrat ihres Verlobten verrät, oder des Gesandten Osroe, der als Perser den Verrat der Thebaner negativ bewertet, oder allgemein mit Leonidas, der als von den Göttern vorbestimmtes Opfer für Griechenland sein Verhältnis zu Griechenland darlegt. Die Schlacht selbst steht nicht im Vordergrund, sondern wird auf den letzten zwei Seiten des Textes abgehandelt. DieseThematik setzt sich dann in Toussaints Todtenfeier für Leonidas (ebenfalls 1822) fort, indem es hier um den die Thermopylenschlacht überlebenden und heimkehrenden Spartaner Elates geht, der damit also gegen das Gesetz verstoßen hat, der aber, im Namen (des toten) Leonidas, reintegriert wird und eine zweite Chance erhält. Im Übrigen wird hier bei Toussaint bezüglich der Gegnerschaft zu Xerxes eine Position eingenommen, die die Möglichkeit eines friedlichen Nebeneinanders mit Handelsbeziehungen prinzipiell einschließt und nicht das Fremde von vornherein ideologisch ablehnt. Diese Griechen halten sich dann auch explizit an das Völkerrecht, was den Umgang mit dem persischen Gesandten betrifft (cf. hierzu Abschnitt 3). 130 Hans Krah (Passau) 3 Schnittstellen II - Adaptionen: Text und Medien Wissen wird nicht nur durch Bezug zu textexternen Wissensformationen transportiert, sondern insbesondere auch durch textuelle Fortschreibungen, seien dies adaptive, intermediale Formen oder transmediale (wobei letzterer Fall mit der Dominanz von konfigurativem Wissen einhergehen dürfte). 8 Im Kontext von Leonidas sei diesbezüglich die Beziehung von Millers Comic und dessen Verfilmung 300 von Zack Snyder (2007) herausgegriffen, zumal für Film und Comic 300 eine Art symbiotisches Verhältnis deklariert wird: Der Film setze werkgetreu die Ästhetik des Comics um. “ Viele Bilder sind exakt dem gezeichneten Original nachempfunden, ganze Dialogteile wurden Wort für Wort übernommen ” , so ist zu lesen. 9 Die folgende Vorstellung von Comic und Film orientiert sich an der Fragestellung, wieweit eine solche Referenz, die sowohl in den Paratexten zum Film als auch in den mehr oder weniger seriösen Kritiken über den Film eine nicht unwichtige Rolle in der Argumentation spielt (siehe Abschnitt 4), gehen kann und welche Schlüsse tatsächlich daraus gezogen werden können. Für einen Vergleich von Vorlage, Millers Comic, und Adaption, Snyders Film, werden im Folgenden der (medial bedingte) Discours, die (textuell konstruierte) Histoire und das (kulturell geprägte) Dispositiv einer Betrachtung unterzogen. 3.1 Discours - Film und Comic: grundlegende mediale Gegebenheiten Betrachtet man einzelne Panels des Comics und vergleicht diese mit der Mise en Scène des Films, 10 dann sind Ähnlichkeiten offensichtlich. Die Aussage “ Viele Bilder sind exakt dem gezeichneten Original nachempfunden ” trifft auf einer Oberflächenebene durchaus zu. Der filmische Discours scheint dem Comic tatsächlich zu entsprechen und dies scheint im Film durch Auffälligkeiten und Besonderheiten, die ihn von anderen Filmen auf der Ebene des Discours unterscheidbar machen, auch betont zu werden. Die Abb. 1 bis 3 sollen dies illustrieren: Zentrale Beispiele für Einstellungen, die sich an den Comicbildern orientieren, sind anhand der (durch den Film hinaus berühmt gewordenen) ‘ Das ist Sparta ’ -Episode zu sehen, bei der der persische Abgesandte in Sparta durch Sturz in den Brunnen getötet wird, anhand des gerahmten Blicks des Leonidas aus seinem Helm heraus und anhand des toten Leonidas in Mitten der Spartaner. 8 Cf. hierzu einführend Decker 2016. 9 Cinema.de 2007; so auch der Tenor insgesamt bei DiLullu 2007. 10 Die Beschreibungskategorien für den Film als audiovisuellen Format, basierend auf der filmischen Einstellung, folgen der Darstellung in Gräf et. al. 2017, diejenigen für den Comic, aufbauend auf der Panelstruktur, orientieren sich an McCloud 2001; zum Einstieg in die Comicanalyse sei darüber hinaus auf Abel und Klein 2016, Dittmar 2008 und Schüwer 2008 verwiesen. Zum Medienbegriff und seinen Aspekten aus semiotischer Perspektive c.f. einführend Krah 2017 b. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 131 Abb. 1 a: Film, ‚ Das ist Sparta ’ Abb. 1 c: Comic, ‘ Das ist Sparta ’ Abb. 1 b: Film, ‘ Das ist Sparta ’ Abb. 1 d: Comic, ‘ Das ist Sparta ’ Auch wenn dieser Befund gegeben ist, so kann dies allerdings nicht zu der Annahme führen, dass solche ‘ originalgetreuen ’ Übernahmen die Semantik des Films determinieren müssten, also damit eine irgendwie geartete Identität von Film und Comic zu beweisen wäre. Solche Befunde sind zudem zunächst im Kontext der jeweiligen Medialität zu sehen und damit geht einher, dass die transportierte Bedeutung des quasi Übernommenen changiert. Für den Discours in seinem durch das Medium bedingten strukturellen Geflecht gilt, dass ‘ Gleiches ’ noch lange nicht das ‘ Gleiche ’ sein muss. Ausgehend von dem toten Leonidas (Abb. 3 a und b) kann konstatiert werden: (i) Zu sehen ist hier bereits auf der Ebene der Mise en scène, dass diese Bilder die Zeichnungen des Comics selbst nur als Vorlage verwenden, um daraus ‘ Gemälde ’ zu machen. Dieser Medienwechsel innerhalb der Bildenden Kunst geht damit einher, dass diese ‘ Gemälde ’ deutliche Anleihen an spezifischen Genremalereien nehmen, beim Schlachtgemälde etwa und bei der Christus- (oder zumindest christlichen Märtyrer-)Ikonografie. 11 11 Ähnlich erkennt dies auch Herwig 2010: 69. 132 Hans Krah (Passau) Abb. 2 a: Film, ‘ Blick aus Helm ’ Abb. 2 b: Comic, ‘ Blick aus Helm ’ (ii) Dies korreliert damit, dass sich das Format ändert und das Abgebildete durch seine Größe auf der Leinwand monumental erscheint. Da das Gezeigte zudem nicht mehr in einen Panelzusammenhang auf einer Seite oder auf einer Doppelseite eingebunden ist, erscheint es singulär-repräsentativ und verweist damit über sich und seine Einbindung in den Geschehenszusammenhang hinaus. Es wird, nur mehr durch den Filmrahmen an sich gerahmt, zum autonomen Kunstwerk innerhalb des Kunstwerks. (iii) Am Beispiel des toten Leonidas lässt sich des Weiteren zeigen, dass hier nicht einfach nur das Bild übernommen ist, sondern im Film durch einen Zoom weg von Leonidas erst sukzessiv das gesamte Ensemble entfaltet wird. Mit der daraus resultierenden Fokussierung auf Leonidas wird nicht nur die Relevanz des Protagonisten unterstrichen, sondern dieser durch die Kameraführung auch als Ausgangspunkt und Zentrum dieses Ensembles ausgewiesen. Damit wird über das im Bild semantisch-ideologisch Dargestellte hinaus - der schöne Tod inmitten der Seinen - eine zusätzliche argumentativ-rhetorische Dimension installiert. In der Zeichnung, die statisch ist und deren Signifikanten und Zeichenäquivalente simultan vorhanden sind, ist dies so nicht zu leisten. (iv) Der Zoom vermag zudem auf die generelle Qualität der Bilder im Film zu verweisen, durch die sich diese vom Bild im Comic grundsätzlich unterscheiden. Aufgrund der Medialität handelt es sich prinzipiell, auch wenn wie im Beispiel des toten Leonidas das Bild durch eine lange Verweildauer statisch sein kann, um bewegte Bilder. So trivial dies sein mag, es bedeutet auch, dass die Länge des Wahrnehmungsvorgangs nicht durch individuelle Rezeption gesteuert werden kann, sondern vorgegeben ist, wie dies auch für die Abfolge der einzelnen Zeichen und die Auswahl dessen gilt, auf was der Blick gelenkt wird. Letzteres gilt zwar (im Normalfall) auf der Ebene der Panels (in ihrerAbfolge) ebenso im Comic, nicht aber für das, was innerhalb eines Panels dargestellt ist. Hier ist analog einem Bild die Visualität durch Simultanität organisiert und dies bedeutet, dass alle in einem Panel enthaltenen Zeichen zunächst gleich wichtig oder gleich unwichtig sind. 12 12 Cf. zu den Grundlagen des Bildes Titzmann 2017 b. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 133 Abb. 3 a: Film, ‘ der tote Leonidas ’ Abb. 3 b: Comic, ‘ der tote Leonidas ’ (v) Damit ist einerseits eine andere Strategie der Relevantsetzung gefordert, damit können andererseits Daten hinsichtlich ihrer informativen Relevanz in einem Bild ‘ versteckt ’ sein. In 300 ist dies etwa an der Nacktheit der Spartaner zu sehen. Während im Comic Nacktheit in einzelnen Bildern vorhanden ist, ohne dass dies thematisiert wird oder werden müsste, käme einer männlichen Nacktheit im Film durch das kontinuierlich bewegte Bild eine andere Relevanz zu. Dementsprechend sind aufgrund der anderen strukturellen Eigenschaften des Mediums die Spartaner im Film immer bekleidet. (vi) Dies korreliert natürlich auch damit, dass sich dies zudem vor der Folie der Veränderung von gezeichneten Körpern zu Realkörpern vollzieht. (vii) Hier lässt sich zudem die Eigenständigkeit der einzelnen Panels gegenüber der Abfolge von Einstellungen im Film verdeutlichen, die eben keinen gleichartigen kohärenten Zusammenhang ergeben müssen oder nicht primär hinsichtlich eines solchen interpretiert werden. Im Comic stört es eben nicht, wenn die Spartaner in manchen Panels nackt, in anderen nicht nackt sind. Im Film würde dies aufgrund fehlender Kohärenz (die in diesem 134 Hans Krah (Passau) Fall aufgrund kultureller Tabuisierungen zudem sehr offensichtlich wäre) zumindest Irritationen verursachen. Panels und ihr Verhältnis zueinander sind nicht mit der Abfolge von Einstellungen gleichzusetzen. Ihre Größe kann variieren, die Grenze zwischen ihnen ist als sogenannter ‘ Rinnstein ’ explizit markiert. 13 Auch ihre Anordnung muss nicht notwendig linear ausgerichtet, sondern kann selbst partiell dem Prinzip der Simultanität geschuldet sein und damit einer Freiheit der Lesebzw. Rezeptionsrichtung. (viii) Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Bilder im Film nicht nur durch ihren nachzeitigen Ablauf gekennzeichnet, sondern auch gleichzeitig mit anderen Informationskanälen kombiniert sind. 14 So transformiert sich bei der Übernahme von sprachlichem Text aus den Schriftteilen des Comics dieser medial ins Mündliche und Auditive, wodurch diesem Text nun eine eigene, andere mediale Qualität inhärent ist, gerade auch was Aspekte von Emotionalisierung und Inkorporierung anbelangt. Solche Soundeffekte spielen im Film eine große Rolle bei der affektiven Involvierung. Stimmlage und Sprechweise eines Voice over-Erzählers und Zeitpunkte, wann die Stimme zu hören ist, verändern und beeinflussen die semantisch-ideologische Relevanz der vermittelten Informationen erheblich. Dabei sind in 300 Sprechanteile und Soundwords, also die visuell durch Signifikanten als Signifikate vermittelten Geräusche, ins Auditive übertragen und werden nicht als Sprechblasen und Soundwords auf der visuellen Ebene des Films wiedergegeben, wie dies in anderen Comicverfilmungen durchaus der Fall ist. 15 Auf diese Variante, die im Medium Film deutlich den intermedialen Bezug, eine Comicverfilmung zu sein, indizieren würde, wird in 300 verzichtet. In 300, so kann resümiert werden, sind es gerade die auditiven Kanäle Musik, Ton und Sprache - deren Zusammenspiel und deren Interaktion mit den Bildern - , die die vielbeschworene Bildgewalt erst mit konstituieren. So verdanken sich die Teile des Films, die zu eigenen ‘ Ikonen ’ geworden sind - die “ Das ist Sparta ” -Episode, die Knie-Episode und der Wurf auf Xerxes, die Einbettung in den Erzählrahmen - , als diese Ikonen gerade der filmischen Umsetzung, also der Verbindung der Bilder mit dem Ton, der spezifischen Bewegung der Bilder und dem Schnitt. Da die Bilder im Film prinzipiell, material medial, bewegte sind, ist eine grundsätzlich andere Zeitregie möglich. Gerade diese filmisch indizierte Abfolge und der Umgang mit Zeit, die nicht auf den Comic zurückgehen, sind es, die für den Film 300 im Einsatz von slow motion, Zeitraffer und Zeitdehnung, einen spezifischen Rhythmus vorgeben, der neben der Mise en Scène wesentlich zur Ästhetik der textuellen Zeichen beiträgt. Die dem Film eigene Ästhetik, die sich angeblich der Vorlage des Comics verdankt, ist also eine genuin filmisch konstruierte. Dass durch diese genuin filmischen Möglichkeiten auch ein eigener Point of View installiert wird 16 und ganz eigene Strategien der Involvierung einhergehen und damit auch die jeweiligen Semantiken zudem in einen eigenen rhetorischen Rahmen zu verorten sind, 13 Zu Begriff und Relevanz des ‘ Rinnsteins ’ und seinen Implikationen cf. McCloud (2001: 68 - 101). 14 Der Discours des Films und der Discours des Comics weisen deutliche Unterschiede auf, wie bereits bisher ausgeführt. Wenn Herwig (2010: 65) davon ausgeht, dass Film und Comic verwandte Medien seien (und ähnlich strukturiert sind), dann ist dies deutlich undifferenziert und greift gerade in diesem Kontext zu kurz. 15 So etwa in Batman hält die Welt in Atem (Batman, USA 1966, Leslie H. Martinson). 16 Siehe zum Erzählrahmen noch Abschnitt 4.2. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 135 sei hier bereits angemerkt, bevor im nächsten Kapitel diese Semantiken selbst - in ihrem Bezug zur Vorlage - Gegenstand der Analyse werden. 3.2 Histoire - Differenz trotz Ähnlichkeit: Spezifika der Filmsemantik Die spezifisch filmisch konstruierte Ästhetik korreliert mit einer spezifisch filmisch modellierten Semantik. Die Semantik des Films bestimmt sich trotz übernommener Elemente nicht aus diesen Übernahmen, sondern daraus, wie diese Übernahmen in einem neuen Gesamtsystem eingebunden sind und wie sie dort mit anderen Elementen interagieren. Dieses neue filmische Gesamtsystem konstituiert sich im Vergleich zum Comic auch aus Modifikationen und Adjunktionen, also Hinzufügungen, die in keiner Weise auf den Comic zurückgehen. 17 Zudem sind auch Übernahmen zu interpretieren; denn auch sie hätten nicht vorgenommen werden müssen. Wenn sie es sind, dann repräsentieren sie Vorstellungen, die zum eigenen, neuen Konzept passen. Dass sie im Film erscheinen, ist also nicht selbstverständlich (und unhinterfragbare Gegebenheit), sondern beruht auf einer Wahl, wie bewusst oder weniger bewusst diese auch sein mag. Dies kann an solchen Beispielen vergegenwärtigt werden, bei denen es gerade zu keiner direkten Übernahme gekommen ist, im Unterschied zu Beispielen auf einer vergleichbaren Ebene, wo dies der Fall ist. Wie etwa bei den Figuren. So ist Xerxes in seiner Physiognomik übernommen, Dilios, der Erzähler, gerade nicht (Abb. 4 a und b). Abb. 4 a: Film, ‘ Dilios ’ Abb. 4 b: Comic, ‘ Dilios ’ Xerxes als übergroßer, gepiercter und damit Fremdheit indizierender Freak passt also weiterhin in das Konzept, ein etwas korpulenter, wenig athletisch aussehender Geschichtenerzähler nicht. Dilios wird im Film zum Rahmenerzähler und damit deutlich aufgewertet, gleichermaßen zur vermittelnden Norminstanz wie zum Krieger-Nachfolger von Leonidas. 17 C.f. zur Vorgehensweise und zu den Begrifflichkeiten, die auf Michael Schaudig Bezug nehmen, Krah 2006. 136 Hans Krah (Passau) Beides, so ist zu schließen, bedarf in der Ideologie des Filmes einer bestimmten Physiognomik, die der ursprüngliche Dilios nicht aufweist. 18 Alle diese Faktoren, Übernahmen, Modifikationen, Hinzufügungen usw., setzen die übernommenen Elemente in einen neuen Bezugsrahmen und verändern damit deren Wertigkeit, Funktion und Bedeutung. Einige der zentralen Veränderungen und die semantischen Implikationen, die damit einhergehen, seien im Folgenden vorgestellt. Zunächst sei ein Blick auf die Figurenkonstellationen von Film und Comic geworfen, die sich sehr ähneln, für die aber doch feine Unterschiede auszumachen sind. Im Film wie im Comic erscheinen sowohl Leonidas als auch Xerxes als Monolithen, die nicht in soziale Strukturen eingebunden sind, sondern über solchen stehen. Xerxes stellt dabei den negativen Gegenentwurf dar, der der Konzeption von Leonidas Kontur und Integrität verleiht. Leonidas wird durch die gesellschaftlichen Strukturen Spartas in seinem Weitblick behindert und eingeschränkt, einen Weitblick, den er legitimer Weise hat, so die zugrundeliegende Semantik in beiden Medien. Im Comic hat er diesen Weitblick autokratisch aus seiner Person heraus. Im Film dagegen erhält Leonidas Legitimität (zusätzlich) dadurch, dass er diachron in eine Familie eingebunden ist. Was er von seinem Vater hat, gibt er seinem Sohn weiter. 19 Der Vater ist im Comic visuell nicht präsent, einen Sohn gibt es im Comic nicht. 20 Handlungsrelevant wird im Film Gorgo, die Ehefrau Leonidas, die als Mutter und liebende Ehefrau aufgewertet wird und der ein ‘ eigener ’ Opponent zugeordnet ist, den es im Comic nicht gibt: den Spartaner Theron, durch den sich der Verrat des Ephialtes doppelt und spiegelt. Diese Veränderungen bezüglich der Figurenkonstellation korrelieren mit einer Veränderung auf der Ebene der Handlung. Der Film etabliert einen vollständig neuen zweiten Handlungsstrang, der im Comic nicht vorkommt oder auch nur implizit angedacht wäre: Das Kampfgeschehen bei den Thermopylen alterniert mit den Heimatepisoden um Gorgo, den Verräter Theron und den Bemühungen Gorgos, in Sparta Unterstützung für Leonidas zu erhalten. Dieser zweite Handlungsstrang dient, so lässt sich resümieren, (i) einer (inszenierten) Darstellung und Aufwertung der Frau als emanzipiert und eigenständig handelnd, er dient (ii) gleichzeitig dazu, Leonidas als liebenden Ehemann zu semantisieren, der sein Handeln auf Frau und Familie ausrichtet, um so seine Attribuierung als positiven Helden zu forcieren. Millers Vorlage ist von einer solchen zweiten Front wie von einem solchen Familiendenken vollständig frei. Leonidas Mutter wird nicht thematisiert, Gorgo spielt keine Rolle. Die pseudoemanzipatorische Aufwertung der Frau wie die familiäre Einbindung in die auf Liebe 18 Nur am Rande sei angemerkt, dass auch die Figur des Leonidas leichten Veränderungen ausgesetzt ist; während sie im Comic eher hager visualisiert ist und älter wirkt, etwa 40 - 50jährig, ist sie im Film deutlich in Richtung Virilität verjüngt. 19 Die diachrone familiäre Einbettung verbleibt auf einer Ebene des ideologischen Einflusses und der einmal getätigten Ausrichtung, die die Konstanz der Person katalysiert. Sobald Leonidas initiiert und damit König ist, verschwinden die Eltern (ganz gemäß dem goethezeitlichen Initiationsmodell) aus der dargestellten Welt. 20 Angedeutet wird nur, dass es in der Nacht vor dem Aufbruch zu den Thermopylen einen intensiven Sexualverkehr zwischen Gorgo und Leonidas gegeben hat (Gorgo: “ This explains your enthusiasm last night. ” , wobei sich das “ This ” auf die Tatsache bezieht, dass der Aufbruch zu den Thermopylen von vornherein als ‘ Himmelfahrtskommando ’ konnotiert ist), der offenbar der Zeugung eines solchen Sohnes dienen soll. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 137 basierenden Kleinfamilie mit Stammhalter gibt es in der Vorlage nicht. Hier ist Gorgo auf wenige Panels reduziert. Familie als Wert, über den auch nur diejenigen verfügen, die sich diesen Wert durch ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Denken verdient haben, ist eine Vorstellung, die nur der Film bedient und zelebriert, nicht der Comic. Diese Abweichung von der Vorlage ist schließlich (iii) im neuen kulturellen Kontext der Filmproduktion zu sehen: Mit dem Aufbau einer Heimatfront reagiert der Film auf Mentalitäten, die sich im Zuge von 9/ 11 Bahn brechen. Mit Theron wird die generelle Gefahr der Infiltrierung durch das Fremde im Eigenen betont. Letztlich - und die obigen Punkte zusammenfassend - ist dieser Strang im Kontext einer konventionellen Hollywood- Dramaturgie (siehe Abschnitt 3.3) zu sehen, der also trotz Comicvorlage Tribut gezollt wird. Eine weitere, nuancierte Änderung, in der sich die bereits beschriebenen im filmischen Discours im Detail manifestieren, lässt sich anhand der ‘ Das ist Sparta ’ -Episode zeigen. Im Film wie im Comic ist sie eine der zentralen, wirkmächtigen Episoden, im Comic bildet sie den Abschluss des ersten Kapitels “ Honor ” . Sosehr sich diese Episode in den Bildern gleicht, so sehr ist sie im Film auch mit neuen semantischen Implikationen versehen. Im Comic sind es die Panels von zwei Seiten, in denen das Geschehen dargestellt wird (Abb. 1 c und d). Zu sehen ist, wie Leonidas mit seinen Männern und den persischen Gesandten durch eine engere Häuserzeile und die spartanische Öffentlichkeit zum offenen Platz mit der Brunnenöffnung geht, in die dann die Perser mit dem Ausspruch “ Das ist Sparta ” gestoßen werden. Mehr gibt es hier nicht zu sagen oder zu begründen. Im Film dagegen ist bei dieser Episode Gorgo anwesend und wird diese Episode insbesondere in einen Argumentationsrahmen gestellt. Auch wenn dies nicht verbalisiert wird, so wird dies durch filmsprachliche Mittel eindeutig ausgedrückt. Bedient wird sich hierzu des sogenannten Point of View-Shots, eine bestimmte Konstellation der Schnittfolge, durch die im Film die Möglichkeit besteht, eine subjektive Kamera zu installieren, das Geschehen also aus der Perspektive einer Figur zu zeigen und das Gezeigte als Wahrnehmung dieser einen Figur auszuweisen. Etabliert werden in der Episode also subjektive Perspektiven, ein Blick wird gezeigt, dann das, worauf geblickt wird. Im gegebenen Kontext ist diese perzeptive Dimension dazu funktionalisiert, der bevorstehenden Aktion einen Rahmen zu geben und mit diesem Rahmen zu deuten. Blickkonstellationen und Blickfolgen erlauben es, einen größeren Zusammenhang zu erkennen, in den das Antizipierte zu integrieren ist, und so den ‘ eigentlichen ’ Hintergrund für die Tat zu verstehen: Bevor Leonidas den persischen Gesandten in den Brunnen hinabstößt, imaginiert er selbst durch den Blick auf den Raum Sparta den Grund, warum er es tut, blickt dann auf Mütter und Kinder und versichert sich schlussendlich durch einen Blick auf Gorgo des Einverständnisses seiner Frau, die durch ihr Nicken zustimmt. Derart wird bewusst gemacht, für wen die Tat erfolgen muss: 21 für die Heimat, für die Familien, für die jüngere Generation; für die Nachfolger, für die es gilt, das Eigene zu bewahren (Abb. 5 a - g). 21 Diese Sequenz dient Herwig (2010: 69 f.) dazu, die Frage zu diskutieren, ob es sich bei Leonidas und Gorgo um ein “ gleichberechtigtes Herrscherpaar ” handle und mit ihnen das Konzept einer romantischen Liebe vorgeführt werde. Diese Fragen scheinen mir nicht zielführend zu sein, da sie ausblenden, dass es um eine filmische Konstruktion geht, die in einem ganz spezifischen argumentativen Kontext situiert ist. 138 Hans Krah (Passau) Abb. 5 a bis 5 g: filmische Point of View-Struktur Wie in der ‘ Das ist Sparta ’ -Episode zudem deutlich wird, gibt es auch Veränderungen bezüglich der räumlichen Ausgestaltung der dargestellten Welt. Wenn Leonidas seinen Blick auf Sparta schweifen lässt, sieht er nicht Stadtarchitektur, sondern kultivierte Natur. Neu gegenüber dem Comic sind in der Diegese die wogenden Getreidefelder, die blickmächtig den Hintergrund entscheidender Szenen bilden und dabei exklusiv mit dem Sparta Leonidas ’ in Verbindung stehen. Imaginiert wird damit, dass Grundlage der Existenz dieser fruchtbare Boden ist, nicht etwa der Handel (mit Fremden). Konnotativ wird mit diesen Bildern durchaus eine Blut- und Boden-Ideologie anzitiert, die, wie man weiß, ihre historischen Wurzeln hat. 3.3 Die Dispositive (Hollywoodblockbuster-)Film vs. Comic Die Befunde auf Discourswie Histoireebene lassen sich mit einer weiteren medialen Dimension verbinden, dem jeweiligen Dispositiv. Im Kontext der Medialität ist neben der medialen Oberflächenebene ein weiterer medialer Unterschied ausschlaggebend und kommen generelle Wissensbestände zum Tragen: Bei Comic und Film handelt es sich um unterschiedliche Dispositive, um Medien, die jeweils anderen kulturellen Gesetzmäßigkeiten und Wahrnehmungssemantiken unterliegen. Diese Dimension betrifft damit die kulturelle Relevanz und den kulturellen Status von Texten aufgrund ihres medialen Formats. Dies lässt sich nicht nur an der bereits aufgezeigten Adjunktion des zweiten Handlungsstrangs zeigen, in der Überführung des Comics zur Hollywoodkonvention, sondern auch (und vor allem) an ‘ kleinen ’ Veränderungen des Übernommenen. Aussagekräftig ist hierfür etwa folgende, im Film neu hinzugefügte Teilsequenz: Auf dem Weg zu den Thermopylen treffen die Spartaner im Film wie auch im Comic auf Daxos und dessen Arkadier, um dann, nur im Film, vor Erreichen der Thermophylen, einer Gräueltat der Perser ansichtig zu werden. Alle Bewohner einer Ansiedlung sind grausam ermordet, ihre Leichen rituell arrangiert in einen Baum gehängt, das Land brennt, nur ein Kind überlebt Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 139 und kann als Bürge für das Geschehene fungieren. “ Sie kamen aus der Dunkelheit ” , 22 teilt es mit. Zunächst ist offensichtlich, dass sich diese Sequenz in ihrer visuellen Umsetzung wie in ihrem Inhalt filmhistorischer Versatzstücke bedient, die konnotativ aufgerufen werden: Mindestens Aliens (1986) und The 13th Warrior (1999) werden in spezifischen Teilen anzitiert. 23 Gestützt wird damit eine Semantisierung des Gegners, die diesen als eigentlich nicht-menschlich, nicht individuell agierend, als prinzipiell unbegreiflich und ontologisch grausam setzt. Wozu bedarf es aber dieser Sequenz, zumal sie die Logik der Handlung eigentlich etwas konterkariert: Denn wenn die Perser bereits hier im Hinterland eingedrungen sind, wozu dann noch den Engpass der Thermopylen verteidigen? Hier sind mediale Unterschiede ausschlaggebend, die verdeutlichen, dass es sich bei Comic und Film um andere Dispositive handelt, um Medien, die aufgrund anderer kultureller Gesetzmäßigkeiten und Wahrnehmungserwartungen anderen Restriktionen unterliegen. Der Film, so lassen sich diese Befunde deuten, hält sich an eine bestimmte Dramaturgie, die mit dem Status des Films als zwar massenmedial einerseits, dabei aber ‘ kollektivformatiert ’ andererseits zusammenhängt (was es für den Comic nicht braucht). 24 Dem Hollywoodfilm ist als Medium ein Abgleich mit dem, was sich kulturell als ideologische Normalität eingependelt hat, eingeschrieben: Kurz vor dieser Gräuelsequenz wird vorgeführt, wie die persischen Abgesandten in Sparta getötet werden: Das ist - zwar - Sparta, das entspricht aber nicht dem Völkerrecht. Im Film wird diese letztlich doch völlig unmotivierte Gewalt zu plausibilisieren versucht. So bereits innerhalb dieser Sequenz, wenn, wie beschrieben, durch die Schnitttechnik und die Point of View-Struktur deutlich gemacht wird, dass dies für die Kinder und mit Billigung seiner Frau geschieht. Leonidas versichert sich des Einverständnisses und scheint zu reflektieren, seine Tat ist damit keine willkürliche, spontane, affektive, unberechenbare. Zudem wird im Anschluss mit dieser neuen Sequenz auf der narrativen Ebene der ‘ empirische ’ Beleg und die Rechtfertigung nachgeliefert, die rückwirkend diese Handlung als einzig plausible erscheinen lässt und in ihrer Verhältnismäßigkeit bestätigt. Die Dämonisierung der Perser als nicht-menschlich erfüllt in ihrer evidenten und symbolischen Form genau diese Funktion - mit diesen Persern kann nicht verhandelt werden, was Leonidas in seiner Weitsicht schon wusste. Sein Handeln geschah aus Fürsorge für sein Volk, dies dokumentiert sich hier. 22 Timecode 00: 30: 25. 23 In beiden Filmen geht es um den Kampf mit einem Gegner, der entweder per se nicht-menschlich ist (die Aliens) oder in seiner Inszenierung und seinen Merkmalen als übernatürlich, nicht menschlich erscheint (die Wendol). Im Vergleich mit dem Eigenen repräsentiert dieser Gegner jedenfalls immer das Fremde schlechthin, zu dem es keine Verbindung gibt (so erscheinen die Wendol als bärenartige, prähistorische, kannibalistische, aggressive Wesen, die in Höhlen hausen und mit dem Nebel und damit einer Konturlosigkeit und Unfassbarkeit in Verbindung gebracht werden). Für Aliens lässt sich zudem, neben den düsteren Atmosphären und den insgesamt durch die Filme vermittelten semantischen Anspielungen, mit der Sequenz, in der die Crew die vermissten Siedler zusammengepfercht und eingesponnen als Wirte der Aliens in einer Art Nest finden, eine Referenz auf der Ebene des Discours erkennen. 24 Zum Film als Hollywoodfilm siehe überblicksartig Krah 2017 c: 316 - 320. 140 Hans Krah (Passau) Das Comic-Dispositiv braucht diese Ausrichtung auf eine gemeinsame Wertebasis nicht. Leonidas handelt hier, wie er handelt - ohne dass diese Position innerhalb eines solchen ideologischen Geflechts des normal und im Konsens Nachvollziehbaren abgesichert werden müsste. Im Film dagegen dient Leonidas ’ Denken nur für Frau und Kind gerade dazu, einen Wertehorizonts zu installieren, der den Rahmen bildet, innerhalb dessen und mit dessen Hilfe andere Handlungen und Einstellungen relativ dazu ethisch interpretiert werden können. Im Comic ist das, mediengebunden, nicht notwendig für die Geschichte. Hier kann sich Leonidas auch ganz autokratisch explizit gegen Demokratie aussprechen: So antwortet er, als Stelios mit “ we are with you, sire, to the death ” bekräftigt, dass die Spartaner hinter Leonidas stehen, mit: “ I didn ʼ t ask. Leave democracy to the athenians, boy ” . Ein Dialogteil, der im Film nicht übernommen wird; stattdessen geht hier nur der “ boy ” -Anteil ein und wird eine antidemokratische Haltung über die Metaphorisierung seiner Spartaner als “ Kinder ” euphemistisch verbrämt und normalitätskonform kaschiert. Im Dispositivkonzept ist enthalten, welchen Stellenwert ein Medium in seiner Gesellschaft hat und welche Reichweite damit seine Konzepte entfalten können. 25 Als Leitmedium hat Film eine deutlich andere, größere Distribution als der Comic, also eine andere Wahrnehmbarkeit und Wirksamkeit, was sich etwa auch in dem Segment ‘ Verarbeitung ’ zeigt, wenn es mit der Filmkritik eine eigene, letztlich institutionalisierte Sparte gibt (im Gegensatz einer ‘ Comickritik ’ , die sich in Nischen findet oder im Netz eigene, spezialisierte Strukturen ausbildet, aber damit allerdings wenig allgemein wahrgenommen wird). Gewalt ist demgemäß auch nicht gleich Gewalt - Medienprodukte als Adaptionen nur hinsichtlich ihrer Inhalte in Bezug zu setzen und zu vergleichen, das greift zu kurz. 4 Schnittstellen III - Ideologien: Medien und Wissen Als 2007 Zack Snyders Film 300 als einer der erfolgreichsten Filme des Jahres in die Kinos kam, 26 war damit nicht nur ein weiterer Text gegeben, der die Schlacht an den Thermopylen zum Gegenstand hat, sondern zudem einer, der kontrovers diskutiert wurde. 27 Während die einen ihn hinsichtlich seines ideologischen Gehalts ablehnten, feierten die anderen ihn geradezu ob seiner Ästhetik als “ werkgetreue Comicverfilmung mit überwältigender Optik und kunstvoll stilisierten Kampfszenen ” (cf. Cinema.de 2007) und verteidigten ihn vehement gegen ‘ Anfeindungen ’ , wozu als ein zentrales Argument gerade der Sachverhalt bemüht wurde, dass es sich um eine Comicverfilmung handle: 25 Dies ist selbstverständlich eine variable Größe, die historischen Änderungen unterworfen und im Einzelfall zu reflektieren ist, etwa wenn Texte bestimmter Formate eine gesellschaftliche Relevanz erhalten, die ihrer dispositiven Bindung nicht entspricht (etwa Skandal über Comic). Cf. zu diesem Kontext allgemein Decker 2017, insbesondere das zur Semiosphäre Ausgeführte (ibid.: 437 - 441). 26 In den USA spielte der Film 210 Millionen US Dollar ein und erreichte Platz 10 der Jahrescharts, cf. Herwig (2010: 59). 27 Hier soll diese Diskussion nicht im Einzelnen nachvollzogen oder dargestellt werden, da es im Folgenden um die aus diesen Texten abstrahierbaren und verallgemeinerbaren Argumente gehen wird. Tagespolitische Kurzschlüsse (Irakkriegsprojektion und direkte Analogie ‘ Sparta = USA ’ ) bleiben ebenso ausgespart. Zu einem Überblick über diese Diskussion sei auf den Wikipedia-Eintrag zum Film 300 verwiesen, stellvertretend für eine kritische Position cf. Suchsland 2007. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 141 Wenn man schon den Vorwurf faschistoider Blut-und-Boden-Sudelei erheben wollte, müsste man ihn ebenfalls der Vorlage von Frank Miller anlasten, womöglich auch der Erstverfilmung der Schlacht an den Thermopylen von Rudolph Maté (cf. Cinema.de 2007) Der Film 300 sei also, so eine zentrale Argumentationslinie, ein Text, dessen ideologische Ausrichtung vorgegeben ist. Der Medienwechsel an sich dient als Argument, den inkorporierten ideologischen Gehalt zu entschuldigen, was zudem durch das quasi symbiotische Verhältnis, das deklariert wird, unterstützt wird. Bevor näher auf diesen paratextuell evozierten Diskussionskontext eingegangen wird, soll zunächst kurz die im obigen Zitat angesprochene und argumentativ eingebettete Erstverfilmung, der Film The 300 Spartans von 1962 in der Regie von Rudolph Maté, in ihrer Semantik skizziert werden. 4.1 Exkurs: die Verfilmung von 1962 Zu Rudolph Matés Verfilmung Der Löwe von Sparta (The 300 Spartans) ist zunächst anzumerken, dass sie im Sinne des konfigurativen Wissens ihre eigene Leonidas-Geschichte entwirft. Über diejenigen Gemeinsamkeiten hinaus, die sich durch das epistemische Wissen ergeben, weist sie keine weiteren mit Snyders oder Millers Version auf, insbesondere keine gemeinsame semantische Struktur. Dies zeigt sich en détail gerade an der jeweiligen Verwendung epistemisch überlieferter Topoi: So findet sich die auf Herodot zurückgehende Episode, dass der Himmel durch die Pfeile der persischen Bogenschützen verdunkelt wird, sowohl 1962 als auch 2007 (und 1999), 28 jeweils aber in ganz anderen diegetischen Handlungszusammenhängen. Während diese Episode 1962 den Tod der Spartaner verursacht ( “ finish them with arrows ” , heißt es etwas lapidar von Xerxes, was dann auch wenig spektakulär inszeniert umgesetzt wird), also den Endpunkt markiert, 29 ist sie bei Snyder / Miller zu Beginn derAuseinandersetzung mit den Persern zeichenhaft in Szene gesetzt und zeigt, wie wenig eine solche Masse den Spartanern etwas ausmachen kann. Der Angriff bleibt vollständig folgenlos. Insgesamt kann die Leonidas-Geschichte von Maté in ihren Semantiken historischkulturell ‘ eingenordet ’ werden: Sie ist im Kontext des Ost-West-Konfliktes zu sehen. Wie dies konkret modelliert ist und welche Paradigmen dabei wie involviert sind, ergibt sich aus der spezifischen textuellen Verfasstheit. Bereits über das Figureninventar lassen sich Aussagen bezüglich implizierter Welt- und Wertvorstellungen ermitteln. So ist auffällig, dass Leonidas in seiner Heldenrolle begrenzt ist und diese insbesondere durch die Gegenüberstellung mit Themistokles konturiert wird, so dass Leonidas hier nur die Rolle eines Soldaten und Kriegers (und Befehlsempfängers), nicht die eines Staatsmanns und Politikers zukommt. Das Heldenkonzept zeichnet sich wesentlich durch Bündnistreue aus, i. e., Leonidas und die Spartaner sind hierarchisch integriert und untergeordnet. Sie stehen an dem Platz, an den sie gestellt werden und leisten ihren Beitrag. Der zukünftige Sieg ist 28 Der darauf replizierende Ausspruch: “ Dann werden wir im Schatten kämpfen ” (Herodot), wird nur bei Snyder und Miller aufgegriffen. 29 Timecode 01: 47: 04. Leonidas ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, alle anderen sind aber bereit, mit ihm und für ihn in den Tod zu gehen. Sie verweigern die Herausgabe des Leichnams, obwohl ihnen der freie Abzug für diesen Fall zugesagt wird. Impliziert ist damit ein anderes Konzept von Führerschaft, als es sich im Verhältnis von Führer und Geführte bei Snyder artikuliert. 142 Hans Krah (Passau) aber Themistokles als Planer des Ganzen, durch den die Griechen zu einer Front geeinigt werden, bei Salamis vorbehalten. Die Beziehungen der griechischen Polis untereinander lassen sich mit der unangefochtenen Führerschaft von Athen sehr deutlich auf das Verhältnis der USA zu den westlichen Verbündeten projizieren. Demgemäß spiegeln die Perser die (sowjetische) Gefahr aus dem Osten wider. Xerxes ist dabei nicht der übermächtige Gegner und Alleinherrscher, sondern als eigentlich schwächlich und ohne eigene Linie gekennzeichnet, dies vor allem, da er sich von einer Frau, Artemisia, beeinflussen und verführen lässt. Durch die Konfiguration von Ephialtes artikuliert sich eine spezifische Konzeption des Verrats. Ephialtes wird in seiner Relevanz als Verräter entwertet, insofern er nicht Spartaner, sondern Ziegenhirte ist, den Verrat nicht aus eigenem Wissen begehen kann, sondern nur durch Belauschen seines spartatreuen Ziehvaters und er eben nur angenommenes Kind ist und eigentlich fremd; dieses Fremde im Wesen bleibt dann eben auch trotz Sozialisierung erhalten. Eigen und fremd können nicht vereint werden. Außerhalb von Familie zu stehen ist hier bereits Zeichen von Delinquenz. 30 Ähnliches gilt für eine dominante Frau, die den Mann nur negativ beeinflussen kann; in diesen Aspekten lassen sich anthropologische Ideologeme im Kontext der 1950er Jahre erkennen. Neben diesen Semantiken ist vor allem zentral, dass die Diegese in einen Erzählrahmen integriert ist, der zeitlich in der Gegenwart der Textproduktion situiert ist. Eine sonore, männliche Voiceover-Stimme, die über das Wissen der 1960er Jahre verfügt, leitet in das Geschehen ein, indem sie über den Ort des Geschehens informiert und dessen Bedeutung vorgibt: “ This is the story of a turning point in history [. . .] when 300 greek [! ] warriors fought here to hold with their lifes their freedom - and ours ” (cf. Timecode 00: 00: 35 - 00: 00: 47). Visuell wird dabei auf den Gedenkstein und dessen Inschrift fokussiert, dieser wird am Ende des Films wieder aufgegriffen, die Inschrift nun auditiv vorgetragen, der weitere Verlauf der Perserkriege mit den Siegen von Salamis und Plataiai mitgeteilt und vor dem visuellen Hintergrund eines Reliefs des aufgebahrten Leonidas, das mit marschierenden Spartanern, wie sie im Film gezeigt wurden, überblendet wird, Resümee gezogen: “ But it was more than a victory for Greece, it was a stirring example for free people throughout the world ” (cf. Timecode 01: 48: 25 - 01: 48: 32). Gerade die Figuration von Leonidas und das dadurch implizierte Konzept eines Führers wie die textinterne Anbindung an die Gegenwart und die dadurch gegebene Funktionalisierung des Vorgeführten als historische Geschichte, die aber explizit auf die eigene Zeit bezogen wird und die Relevanz für ‘ uns ’ hat, quasi als Vermächtnis, zeigen, dass sich dieser Text von den Versionen sowohl von Miller als auch von Snyder grundsätzlich unterscheidet und gerade bezüglich seiner Normaussagen und seines ideologischen Gehalts ganz anders konzipiert ist. Letztlich, trotz aller konfigurativen Aneignungen im Text, wird 30 Auch wenn auch hier Familie als Paradigma relevant ist, so unterscheidet sich dies doch grundlegend von der Semantik dieses Paradigmas, wie sie in Snyders 300 konzipiert ist. Während hier, 1962, im Prinzip jeder, auch Xerxes, in familiäre Beziehungen eingebunden ist und dies als Selbstverständlichkeit die nicht thematisierte Norm der Weltvorstellung ist (umso markierter ist Ephialtes ’ Status), ist Familie in 300 ein Wert, über den nur diejenigen verfügen, die sich diesen Wert durch ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Denken verdient haben. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 143 durch den Rahmen und die Voice over-Stimme deutlich, dass Leonidas hier, ganz im Sinne Albertz ’ , als Leonidas-Exempel fungiert: Vorbild zu sein “ for free people ” . 4.2 ‘ Dann werden wir im Schatten kämpfen ’ - Cineasten unter sich Wie aus dem bisher Ausgeführten hervorgegangen sein sollte, ist eine Sichtweise, die jeden ideologischen Gehalt des Films und dessen Relevanz leugnet, wissenschaftlich betrachtet nicht haltbar und in gewisser Weise nur als naiv zu bezeichnen. Eine solche Sichtweise entspricht allerdings einer Vorgehensweise, die vehement verteidigt wird, üblich zu sein scheint und eine breite Anhängerschaft um sich zu scharen versteht. Insofern ist sie selbst als dieses Phänomen im Kontext von Wissen zu situieren und aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, etwas genauer auf dieses sich hier artikulierende Allgemeinwissen über ästhetische (Medien-)Produkte einzugehen. Argumentiert wird dabei, so lässt sich zusammenfassen, vor der Folie einer überholten, 31 aber immer noch virulenten Vorstellung, derer sich in populären und halbwissenschaftlichen Diskursen bedient wird: Ästhetik (wie immer diese gefasst wird) und Ideologie schließen sich aus (wobei auch der jeweilige Ideologiebegriff wenig reflektiert wird und sich maximal nur auf eine Oberflächenebene bezieht). Basierend auf dieser fundamentalen Negation resultieren dann Ausschlusslogiken, die der Exkulpierung eines als positiv deklarierten Textes dienen, wobei die Frage, warum es eine solche Exkulpierung überhaupt braucht, eher sozialpsychologischer Art wäre und hier nicht gestellt werden soll. Neben dem Rekurs auf die Intention Snyders, die als Absicht einer getreuen Comicverfilmung postuliert wird, 32 bezieht man sich auf den Text, wobei als Rechtfertigung vor allem zwei Faktoren herangezogen werden: der Status als Adaption und der Status als Fiktion (siehe hierzu noch unter 4.3). Hinzu kommt, in etwas elaborierteren Kontexten, ein dritter Faktor, der Status als Text. Zur ‘ Logik der Intention ’ soll nur kurz angemerkt werden, dass Intention, also Absicht, und Realisierung einer solchen Absicht, also das konkret vorliegende Medienprodukt, zwei völlig unterschiedliche Gegenstände darstellen und verschiedene Ebenen betreffen; dies sollte sich seit Ed Wood auch bei Cineasten herumgesprochen haben. Wenn also dennoch 31 Überholt auch deshalb, da dieses Denken schon den Umgang mit Veit Harlan prägte, cf. hierzu Krah 2009, wo diese Problematik auf zehn Punkte pointiert wird (ibid.: 69 - 73), die im Einzelnen auch hier wieder greifen. Zu einer ästhetischen Texten gerecht werdenden Differenzierung bezüglich des Ideologiebegriffs cf. zusammenfassend Krah 2017 d. 32 So insbesondere cf. DiLullu 2007, die hierzu auf die Intention Snyders zurückgreift. Dies korreliert zudem mit den digitalen Besonderheiten des Films, auf die auch insgesamt als Qualitätskriterium abgehoben wird. Aufgrund der medientechnischen Innovation bei der Produktion wird der Film als “ Meilenstein der digitalen Filmkunst ” (cf. Cinema.de 2007) gefeiert. Dass solche technischen Neuerungen schnell zur Gewohnheit werden und durch die Gewöhnung schnell ihren Effekt verlieren, mag im konkreten Fall erst aus der Distanz heraus erkennbar sein, gilt grundsätzlich aber für alle solchen Errungenschaften im Laufe der Filmgeschichte und wäre vorhersehbar gewesen. 144 Hans Krah (Passau) darauf kapriziert wird, 33 dann liegen andere Beweggründe vor als es Erkenntnisgewinn wäre, Marketingaspekte etwa. Solche mögen ihre Rechtfertigung in der Filmindustrie haben, dürfen dann aber nicht unreflektiert als Argumente für textbasierte Fragestellungen herhalten. Der Status als Adaption meint die Logik: Da der Film auf dem Comic beruht, muss auch die Ideologie (also insbesondere die Gewalt) auf der Vorlage beruhen - und damit spielt diese im Film und für den Film keine Rolle mehr. Das eigene Medienprodukt ist über das Original automatisch exkulpiert. Dass dem definitiv nicht so ist, sollten die bisherigen Ausführungen deutlich gemacht haben, zumal sich die Frage der Relevanz nicht dadurch erübrigt, wenn ein Element übernommen ist. Denn auch dann ist dies keine Notwendigkeit, sondern beruht auf eigener Wahl und Entscheidung. Die Freiheit, in der Adaption ein Ideologem zu übernehmen oder nicht, ist immer gegeben, sodass Kritik in einem solchen Fall zwar zu spezifizieren und zu modifizieren, nicht aber davon ausgenommen wäre. Um sich vor Ideologie zu exkulpieren, werden Veränderungen angeführt, die der Film vorgenommen hat und die die durch den Comic gegebenen Sachverhalte relativieren würden. 34 Der Film sei also weniger ideologisch negativ behaftet als der Comic, so lässt sich dann konstatieren. Dabei operieren diese ‘ Logiken ’ mit Befunden, die nicht tatsächlich Ausgangspunkt einer Interpretation werden, sondern nur dazu dienen, die bereits vorgefasste Meinung zu bestätigen. Oberflächlich wird also am Text und mit ihm argumentiert, eigentlich werden Einzelbefunde nur als rhetorisches Material funktionalisiert. So wird erkannt, dass die Erzählsituation insofern verändert ist, 35 als das Vorgeführte von Dilios erzählt wird. Weil das Vorgeführte seine Geschichte ist, sei damit eine rein subjektive Sicht gegeben und wären sämtliche Ideologeme relativiert, da sie sich nur der subjektiven Einstellung von Dilios verdanken. Diese Folgerung lässt sich aus den Textbefunden aber nicht ziehen. Denn Dilios wird nicht als unzuverlässiger Erzähler oder gar als psycho- 33 Wobei zudem anzumerken wäre, dass Snyder diese Absicht dann wohl offensichtlich nicht erreicht hat. 34 So etwa cf. Gennari 2013. Dass diese Argumentation dann etwas in Konflikt gerät mit der zumeist gleichzeitig bemühten Intention und Werktreue, wird nicht bemerkt oder geflissentlich verschwiegen. 35 Cf. Gennari 2013, der ebenso die Veränderung der Informationsvergabe bezüglich der eugenischen Ausrichtung Spartas anführt. Im Comic wird diese, die Selektion der Neugeborenen und Tötung bei Abweichung, in einigen Panels vermittelt, die im Kontext von Ephialtes ’ Gespräch mit Leonidas um Aufnahme unter die 300 situiert sind. Im Film werden diese Informationen in die Exposition vorangestellt. Ob und wie dies zu einer Relativierung der Spartaner beitragen könnte, sei hier nicht ausdiskutiert. Durch das Voranstellen wird jedenfalls fokussiert, dass die spartanische Ordnung so aufgebaut ist. Der Aspekt, dass dies eine generelle Regel ist, wird dadurch expliziter. Wer sich auf die Spartaner einlässt, muss sich auch auf diese Regel einlassen. Durch die vorgeführte Handlung bleibt aber auch deren Plausibilisierung erhalten: Diese Maßnahme mag zwar eine drastische Maßnahme sein, sie rechtfertigt sich aber durch das Gemeinwohl, denn anhand von Ephialtes sieht man, was passiert, wenn von dieser Regel abgewichen wird (und Eltern ihre individuellen Interessen über das Gemeinwohl stellen). An Ephialtes, der durch seine hyperbolische Behinderung als Buckliger nicht nur körperlich ausgegrenzt ist, sondern dieses Außensein zudem symbolisiert, zeigt sich in evidenter Weise die Berechtigung der Eugenik Spartas: Wird ein solches Kind nicht bei der Geburt ausgesondert, wird es zum Verräter, so der abduktive Kurzschluss. Der Schutz der Heimat hat Vorrang vor Individualität, so abstrahiert erscheint diese Regel weniger grausam und verdeutlicht nur, dass der Staat Maßnahmen ergreifen muss, die unverständlich und unmenschlich erscheinen, es von einer höheren Warte aber nicht sind, sondern ihren Sinn und ihre Berechtigung haben (dass sich hierin NS-Ideologeme spiegeln, muss wohl nicht eigens hervorgehoben werden). Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 145 pathologischer inszeniert oder als Figur, die gerne erzählt, so dass es um Geschichten um ihrer selbst willen gehen würde. Stattdessen geht diese Veränderung mit anderen einher, wobei die Figur Dilios insgesamt aufgewertet, durch Sympathielenkung zum positiven Bezugspunkt und in ihrer Funktion verändert wird. Ein auffälliger Unterschied bezüglich des Erzählens ist etwa, dass im Film innerhalb der Diegese keine Geschichten erzählt werden, wie dies im Comic Dilios tut. 36 Der Akt des Geschichtenerzählens und die Bewertung von Geschichten sind im Comic durchaus Thema, was eine selbstreflexive Betrachtung des Comics ermöglicht: So, wie im Comic erzählt wird, so ist auch der Comic eine weitere Erzählung. Im Film dagegen gibt es nur eine Geschichte und im Film ist alles integriert in diese eine, in sich geschlossene Geschichte. Dieser Erzählakt (und damit der Film an sich) ist zudem in einen spezifischen Kontext gesetzt, den vor der Schlacht von Plataiai, in die Dilios in der Nachfolge von Leonidas die Spartaner führt. Das Erzählen selbst hat also die ideologische Funktion die Kampfbereitschaft zu steigern. Doch auch dies relativiert das Erzählte nicht. Denn ob Dilios etwas berichtet, was eventuell nicht stimmt, da er es nicht kennen kann, 37 oder er es nur ausschmückt zum Zweck der Kampfesmotivation, ist irrelevant, da es nicht im Text thematisch ist: An keiner Stelle wird diese Art des Geschichtenerzählens als Geschichtsfälschung oder als rein subjektive Fantasie gesetzt. 38 Im Gegenteil: So, wie durch die Veränderung der Erzählsituation die Geschichte nicht als subjektiv ausgewiesen, sondern gerade durch diese Subjektivität autorisiert wird, so ist auch ihr Status als Geschichte nicht abhängig von einem Bezug zu einer vorgelagerten Realität. Die Geschichte wird zum Mythos und ist in dieser Funktion wichtiger als eine Realität, die der Geschichte vorausgegangen sein könnte, da sie erst durch die Geschichte (zur hierarchisch wichtigeren) medialen und symbolischen Realität wird. Gerade ihr Status als identitätsstiftender Mythos ist relevant, was als Konstruktion durchaus zu hinterfragen wäre, was der Film selbst aber gerade nicht macht: Dilios wird vom professionellen Geschichtenerzähler zum Ausnahmeerzähler der einen, kollektive Identität stiftenden Geschichte. Der Mythos wird im Film zelebriert, aber nicht thematisiert oder gar dekonstruiert. Letztlich relativiert sich durch die neue Erzählsituation nicht nur nicht das Vorgeführte, sondern damit wird zudem eine Homologie zur eigenen Medialität aufgebaut: Auch der Film 300 erzählt eine Geschichte, für die er für sich in Anspruch 36 Eingeführt wird dieses Geschichtenerzählen immer explizit durch eine eigene Sprechblase ( “ Dilios spins his stories ” ), der dann jeweils eine mit dem Thema und eine mit der Bewertung folgt: Zunächst “ The one about the boy ” , mit der Bewertung “ Our favourite story ” , dann “ His story about the olympics ” , kommentiert mit “ not his best ” und “ The story of Marathon ” , “ A perfect choice ” . Am Ende wird dies wieder aufgegriffen mit “ Captain Dilios spins his stories ” , “ The one about the hot gates ” . Diese wird zwar als “ His best story ” tituliert, aber damit wird auch deutlich, dass die Thermopylen eine von mehreren Geschichten aus einem Repertoire ist. 37 So etwa der abschließende Heldentod der Spartaner und die diesen einleitende Sequenz, wenn Leonidas nur scheinbar vor Xerxes kniet, um dadurch eine bessere Position für seinen Speerwurf zu arrangieren, denn zu diesem Zeitpunkt ist Dilios schon zurückgeschickt. Aber auch bei anderen gezeigten Episoden, Ephialtes und Xerxes betreffend oder die Heimatepisoden, kann Dilios nicht Augenzeuge gewesen sein. 38 Stattdessen bestätigt es sich in Teilen. Wenn Dilios etwa von solchen hyperbolischen Kämpfern erzählt und sie imaginiert, dann unterscheiden sich diese in ihrer Körperlichkeit nicht wesentlich von denen, die der Geschichte lauschen. Durch die Akteure auf der Rahmenebene bestätigt und beglaubigt sich also das Mitgeteilte. 146 Hans Krah (Passau) nehmen kann, dass sie, gerade in derArt der Erzählung durch den Film, diesen Status ebenso hat. So sehr es im Einzelnen zutreffen mag, dass der Comic 300 in Teilen reaktionärer ist als der Film 300, so sehr ist dies im Rahmen des Dispositivs zu sehen, wodurch der kulturelle Stellenwert solcher Ideologeme und von Gewalt entscheidend anders zu werten ist. Im Comic kann Gewalt aufgrund seines anderen Dispositivcharakters eben auch Gewalt sein, zumal dem Comic als rein visuellem Medium der Zeichenstatus seiner Zeichen und damit eine zu erbringende Dekodierungsleistung in stärkerem Maße eingeschrieben ist als anderen Medien, und er durch das Fehlen rhetorischer insinuatio als Medium bezüglich seiner vermittelten Botschaften per se distanzierter ist. Film hebt diese Distanzierung auf, etwa wenn er um Erklärungen bemüht ist (etwa bezüglich Leonidas und Ephialtes und warum Ephialtes nicht mitkämpfen kann). 39 Damit werden die inkorporierten Inhalte aber nicht grundsätzlich relativiert, sondern nur normalisiert. Zudem sind durch die audiovisuellen Möglichkeiten des Bewegtbildes (cf. 3.1) und die dramaturgischen Strategien des Hollywoodfilms Involvierungsmöglichkeiten gegeben, durch die die Rezipierenden argumentativ wie suggestiv vereinnahmt werden und Botschaften als eigene angeeignet werden können. 40 4.3 Paratextuelle Aneignung vs. textuell gestütztes Wissen - ein Fazit Die bisherigen Befunde seien abschließend einem Resümee unterzogen und auf den aufgeworfenen Fragenkomplex um die Bewertung des ideologischen Inhalts bezogen. Deutlich geworden sein sollte, dass die stoffliche Vorgabe nicht verantwortlich für die textuelle Semantik und die darin transportierte Ideologie im Sinne einer Wert- und Normenvermittlung ist. 41 Wenn in neueren Texten etwas als einfach strukturiert, konservativ und archaisch daher kommt, dann ist dies nicht aufgrund einer Tradition zu begründen. Auch wenn beiden 300-Texten die Referenz auf Leonidas zu Grunde liegt, sagt diese epistemische Bezugnahme nichts über die Semantik eines konkreten Textes aus, der sich dieses Wissens bedient, da diese von den Faktoren Kulturalität, Medialität und Textualität abhängt. 42 Über diese Parameter kann aus dem verwendeten Material konfigurativ neues ‘ Wissen ’ geschaffen werden - wie an der Fülle der Leonidas-Adaptionen in den verschiedenen Kulturen und Medien zu zeigen ist. Dies gilt dann im Speziellen auch für das Verhältnis von Comic und Verfilmung, für das die unterschiedliche Medialität von Comic und Film die Grundlage einer unterschiedlichen Textausprägung liefert und die zudem durch den modellbildenden Charakter eines jeden Textes eine eigene semantischideologische Ausrichtung erhalten kann. 39 Begründet wird derAusschluss Ephialtes nicht damit, dass er kein Kämpfer wäre, sondern damit, dass er durch seine Behinderung nicht im Kollektiv kämpfen kann. Dass dieser Schutz des Kollektivs als oberste Norm nur als Erklärung fungiert und in der Dramaturgie des Films gerade nicht eingelöst wird, diese sich also nach anderen Paradigmen ausrichtet, wird deutlich, wenn man die konkreten Kampfszenen betrachtet: Überwiegend gezeigt und gerade hervorgehoben werden solche Kampfszenen, bei denen nicht das spartanische Kollektiv kämpft, sondern sich exzeptionelle Einzelkämpfer durch geradezu exzeptionelle Kampfschritte hervortun. 40 Cf. hierzu Wagner 2014, die solche Strategien am Beispiel der Arenadramaturgie aufzeigt. 41 Cf. Anm. 41. 42 Cf. hierzu grundlegend Krah 2017 a. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 147 Zudem sind Aussagen über die in Texten transportierten Semantiken von konkreten Rezeptionsakten und den dort vorgenommenen Deutungen und Bewertungen zu unterscheiden. Solche Rezeptionsakte können durchaus auf Daten beruhen, die auf textuellen Wirkfaktoren basieren, die also durch den Text gestützt und forciert sind oder zumindest von diesem veranlasst werden. Hierbei spielt auch der jeweilige Wissenshorizont, mit dem die Textstrukturen abgeglichen werden, eine Rolle. Für die Beziehung von Film 300 zu Comic 300 ist zu konstatieren, dass (i) dieser Bezug im Film selbst aktualisiert ist und aufgerufen wird - und damit das Wissen um diesen Bezug selbst zu einem in die Interpretation einzubeziehenden Wissenselement gehört. Gerade die meisten ‘ Verteidiger ’ des Films 300 argumentieren mit solchen Wissensmengen, über die in der Rezeption verfügt werden und vor deren Folie das Gezeigte sich selbst relativieren würde, so dass sich eine Diskussion darüber hinaus erübrigt. Argumentiert wird, dass, auch wenn etwa die Interpretationsmöglichkeit faschistischen Gedankenguts einzuräumen ist, gleichzeitig dies aber als unrealistische Interpretation zu dekodieren sei, da es im Lichte eines “ völlig überzogenen Heldentrash im Comicstil ” (cf. Stagge 2007) daherkomme. Damit wird eine durchaus relevante und zu diskutierende Fragestellung bezüglich der ermittelten Textsemantiken aufgerufen: Sind diese überhaupt ernst zu nehmen oder nicht selbst bereits in ihrer Ideologie gebrochen, da erkennbarer Weise übertrieben oder per se übertrieben, da eben in einem bestimmten Genre, dem Comic, verfasst? So werden auch Analogien bemüht, wie etwa 300 müsse wie eine Oper, “ wie Kabuki oder ein griechisches Drama ” gesehen werden, die diese Argumentation stützen sollen. 43 Dem ist in diesem konkreten Fall (ii) entgegenzuhalten, dass dieses Verhältnis und der Bezug zum Comic gerade durch dem Dispositiv Film geschuldete Realitätseffekte gekennzeichnet ist und durch diese überlagert wird. Denn trotz der Stilisierung auf der Discoursebene versucht der Film dennoch, solche Realitätseffekte zu erzeugen. Dies lässt sich insgesamt anhand der Dramaturgie aufzeigen, im Speziellen daran, auf Sprechblasen, Soundwords oder die ebenso comicspezifischen ‘ Grapheme ’ als Zeichenverweise auf akustische, olfaktorische oder kinesische Dimensionen zu verzichten. Auch für die auf der Darstellungsebene figurierten Konzepte von Körperbildern und Körperinszenierungen trifft dies zu. Seien diese noch so sehr ans Hyperbolische grenzende perfekte Idealkörper, sie sind als solche über Models und Werbung im Allgemeinwissen verankerte Wissensbestandteile der ‘ Realität ’ und weniger von Comicanimation und Cartoon. Ein Bruch mit Realitätsvorstellungen ist dadurch nicht indiziert. Die Comicreferenz dient (iii) also gerade nicht dazu, Distanz und Künstlichkeit zu signalisieren und darüber als wahrnehmungsleitendes Paradigma Selbstreflexivität den eigenen Strukturen und Semantiken gegenüber zu initialisieren. Schon eher lässt sich der Bezug zum Comic (iv) stattdessen selbst innerhalb des skizzierten Kontextes des filmischen Dispositivs situieren und hier funktional integrieren: Rechtfertigungen für das Dargestellte lassen sich nicht nur durch hinzugefügte Motivationen auf der Histoireebene generieren, sondern auch dadurch, dass das Dargestellte als 43 Cf. von Törne 2007. Die Aussage stammt vom interviewten Snyder selbst. Wem dieser Wissenshorizont dann allerdings unterstellt werden darf, und ob er nicht Spezialwissen einer kleinen elitären Gruppe von Kritiker- Cineasten darstellt, sei hier dahingestellt. 148 Hans Krah (Passau) eigentlich nicht filmisch, sondern ‘ nur ’ übernommen postuliert wird. Wenn der Film sich als Comic setzt, versucht er also weniger, an den medialen Möglichkeiten des Comics zu partizipieren, sondern er tarnt und immunisiert sich und seine Ideologeme damit. Das epistemische Wissen um Leonidas wie um die Verfilmung eines Comics fungieren also als Träger, um konfiguratives Wissen zu generieren, und zugleich dazu, diesen Prozess selbst wieder zu kaschieren, da die dabei erzeugten Wissenselemente als bereits tradierte ausgegeben werden (können). Der Comic fungiert als Ideologiekaschierung. Auch wenn also die Beobachtung selbstverständlich richtig ist, dass es nicht um Geschichtswirklichkeit geht, um Realität, sondern um Fiktion, sei es als opulente Oper oder pathetischer Actionfilm, heißt dies nicht, dass sich diese Formen nicht per se einer Analyse ihrer Semantik entziehen. Unbestritten ist, dass diese Formen als ästhetische Kommunikation einer anderen Pragmatik der Rezeption unterworfen sind als Formen, die einen Anspruch auf Adäquatheit erheben. Nur: Auch für diese Formen (wie für Fantasy, Horror oder hybride Spielarten des Fantastischen, denen man 300 wohl zuordnen darf ) gilt, dass ‘ Realität ’ in den Medien grundsätzlich nie identisch mit unserer (Alltags-)Realität, sondern stets eine mediale Konstruktion mit einem eigenen Realitätsstatus ist. Solche Wirklichkeitskonstruktionen machen abstrakte ‘ Realität ’ erst sozial wahrnehmbar und kommunizierbar. Sie prägen das für wahr gehaltene Wissen und regeln die Speicherung und Verbreitung solchen Wissens - sei es WissenschaftsoderAlltagswissen, seien es Wert- und Normvorstellungen oder auch latente Deutungsmuster von ‘ Welt ’ . Solche Weltentwürfe finden sich gleichermaßen in auf Authentizität und Historizität angelegten Formaten des Dokumentarischen wie in Leonidas-Konfigurationen jeglicher Provenienz - wie sich auch beide gleichermaßen potenziell auf reale Denk- und Handlungsmuster einer Gesellschaft auswirken können. 5 Ausblick: Wissensfortschreibungen Für Snyders 300 lässt sich festhalten, dass das dort konfigurierte Wissen selbst wieder zum epistemischen Wissen geworden ist, auf das auf die eine oder andere Weise Bezug genommen wird. Snyders 300 ist als Text zum Zeichen und Wissenselement geworden und hat Zeichen ausgebildet und ist zu solchen Ikonen komprimiert worden (neben zentralen Episoden wie der ‘ Das ist Sparta ’ -Episode fungieren als solche etwa die Spezifik der Abb. 6: “ Caution - This is Sparta ” Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 149 Erzählstimme und der slow motion-Bewegungsabläufe oder die Spartanerkörper), so dass andere Texte diese für ihre Bedeutungspotentiale konfigurativ nutzen können. So rekurriert das in Abb. 6 dargestellte Schild auf die ‘ Das ist Sparta ’ -Episode, wobei zum einen der Bezug über einen kondensierten Text hergestellt ist, dessen Status als Zeichen deutlich ist und herausgestellt wird, zumal er auf das bereits existierende Zeichensystem Piktogramm übertragen und projiziert wird. Durch die inhaltliche Parallelisierung zu Gebäudereinigung und Rutschgefahr wird das Merkmal Banalität erzeugt. Zudem wird bereits durch die Medialität als Warnzeichen auf einen habitualisierten Kontext verwiesen und dem Ereignis ‘ Sparta ’ durch die evozierte Alltäglichkeit und mögliche Wiederholbarkeit seine Außergewöhnlichkeit abgesprochen. Da dieser Text als Text insofern ‘ funktionslos ’ ist, als er nicht in gegebene mediale Kontexte eingebunden ist, lässt er sich als Paratext und Reaktion auf den Film beschreiben. Solche Fortschreibungen lassen sich als Eigen- und als Fremdreferenzen bestimmen. Als Eigenreferenz ist die filmische Fortsetzung 300: Rise of an Empire (2014) zu sehen, die Parodie Meet the Spartans von 2008 44 ist an der Schnittstelle von Selbst- und Fremdreferenz zu situieren, da durch die Persiflage zwar fremde Semantiken enthalten sind (und die eigenen dominieren), dennoch aber durch das Genre der referentielle Textbezug aufrechterhalten bleibt. Zwei Beispiele von Texten, die sich den Film 300 als Fremdreferenz zu eigen machen, sind die South Park Folge Les Bos (Staffel 11/ 6, 11. 4. 2007) und der Kurzfilm United 300 (2007, Andy Signore). United 300 kann als kondensierte Parodie charakterisiert werden, 45 insofern das Geschehen übersetzt und mit einem anderen amalgamiert wird und dabei auf einen Teil des Geschehens fokussiert, auf den räumlichen ‘ Engpass ’ . Dieser Raumbezug ist nur auf abstrakter Ebene gegeben, konkretisiert im Gang in einem Flugzeug, und wird durch die dort anachronistischen Spartaner in ihren originalgetreuen Kostümen und ihre imitierte Körperlichkeit und Gestik wieder direkt an die Ikone 300 rückgebunden. Die Verbindung der Leonidas-Geschichte mit einer Flugzeugentführung, die durch den Titel auf den Film United 93 und damit auf die mediale Verarbeitung historischen Geschehens (9/ 11) verweist, verdeutlicht in dieser hyperbolischen Inszenierung von patriotischem Heldenmut die ideologische Stoßrichtung des Textes: In United 300 wird letztlich die zitierte Semantik im neuen Kontext wieder rückgebunden an die sie hervorbringenden kulturellen Diskurskonstituenten. In South Park wird das Leonidas-Geschehen als Modell genutzt, als Folie eines aussichtslos scheinenden Kampfes gegen eine Übermacht. Eigentlich geht es um den Versuch der Übernahme der titelgebenden Lesbenbar “ Les Bos ” durch den Inhaber eines Kneipenimperiums, wodurch sich Mrs. Garrison als transsexuelle Lesbe veranlasst sieht, den Lesben diese Bar als ihre Heimat zu erhalten und die Übernahme zu verhindern, etwa dadurch, dass die Lesben die anrückenden Handlanger vom (als Engpass fungierendem) Eingang der Bar zurückdrängen. Diese abstrakte Ebene ist (wie bei United 300) explizit 44 Der Titel nimmt, sowohl im Original als auch in der deutschen Übersetzung, Bezug auf den Film Meet the Parents/ Meine Braut, ihr Vater und ich, womit das martialische Kampfgeschehen auf die (nicht weniger ideologische) ‘ romantische Komödie ’ rückgebunden und die patriarchale Hardcore-Struktur beider Genres offensichtlich wird. 45 Der Film wurde beim MTV Movie Award 2007 Gewinner in der Kategorie ‘ Beste Parodie ’ . 150 Hans Krah (Passau) rückgebunden an das 300-Wissen. So macht der Titel der Folge “ Les Bos ” bereits deutlich, dass auf Griechenland rekurriert wird. Zudem geht es um ein persisches Kneipenimperium, dessen Inhaber nicht nur Xerxes heißt, sondern in seiner Erscheinung vollständig dem 300- Xerxes nachgeahmt ist. Demgegenüber agiert Mrs. Garisson als Leonidas, wobei nicht nur ihre Führerschaft und die dabei praktizierte ideologische Einstellung sich unbedingt für die Sache der Bar einzusetzen diesen Vergleich evoziert, sondern dies insgesamt auch durch die Umsetzung von Bewegungsabläufen und auditiv durch Erzählerstimme und Soundeffekte imitiert wird. Auch hier wird also das Geschehen persifliert (nicht nur durch die Vermengung der Konflikte, sondern letztlich auch dadurch, dass sich das Ende von der Vorlage löst und ein Happy End dadurch erreicht wird, dass sich Xerxes als Frau entpuppt, die sich in der persischen Männerwelt eben nur als Geschäftsfrau behaupten kann, wenn sie sich als Mann tarnt), allerdings weniger als Kritik an Medienprodukten oder Diskussion von deren ideologisch-kulturellen Grundlagen, sondern im Kontext des South Park eigenen Konzepts, kulturelle Diskurse aufzugreifen und South Park-spezifisch zu vereinnahmen. Der Mehrwert gilt hier also dem eigenen Image. Solche Fortschreibungen als Reaktionen auf den ideologischen Gehalt und dessen Objekt-Prägnanz, also die Markiertheit auf der Oberflächenebene, die den Zeichenstatus erst konstituiert, müssen also nicht notwendig als Kritik fungieren. Motivation solcher Referenz innerhalb ästhetischer Kommunikation kann sicher auch Kritik sein, eine solche ist aber immer funktional bezüglich der Textsorte zu sehen. Eine solche Fortschreibung erlaubt eine eigene Aneignung des in 300 konfigurierten Leonidas-Wissen, die auch darauf abzielen kann, im medialen Kontext die Deutungshoheit zu übernehmen und am Diskurs um dieses Wissen zu partizipieren und damit etwa auch Aufmerksamkeit für den eigenen Text zu erzeugen, solange jedenfalls dieses Wissen virulent ist. 46 Durch solche Bezugnahmen wird jedenfalls weniger Leonidas als Leonidas-Exempel fortgeschrieben, als dieser in populärkulturelle Diskurse integriert. Wie es sich mit der Halbwertszeit dieses Wissens verhält, bleibt abzuwarten. 47 Bibliographie Abel, Julia und Christian Klein 2016: “ Leitfaden zur Comicanalyse ” , in: Abel und Klein (eds.) 2016: 77 - 106 Abel, Julia und Christian Klein (eds.) 2016: Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler Albertz, Anuschka 2006: Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart, München: Oldenbourg Decker, Jan-Oliver 2016: “ Transmediales Erzählen. Phänomen - Struktur - Funktion ” , in: Hennig und Krah (eds.) 2016: 137 - 171 46 Zu konstatieren ist, dass der Film durch regelmäßige Wiederholungen in Fernsehprogrammen präsent bleibt (wobei eine paratextuelle Auseinandersetzung an den zeitlichen Horizont der Erstausstrahlung gebunden gewesen zu sein scheint und nicht wieder aufgegriffen wird). 47 Randnotiz: Im Finale von Masters of Dance am 10. 1. 2019 performte der Tänzer Sergey aus dem Team Julien im 3. Duell mit dem Thema Kampf innerhalb der Choreographie ‘ Gladiator ’ einen “ move aus 300 ” ; dies wurde in der Besprechung nach dem Showakt explizit erwähnt und der “ move ” (ein Ausfallschritt) dort wiederholt. Wissensfortschreibung und Vorlagenaneignung: das Beispiel Leonidas 151 Decker, Jan-Oliver 2017: “ Medienwandel ” , in: Krah und Titzmann (eds.) 2017: 423 - 446 DiLullu, Tara (2007): 300. The Art of the Film, Ludwigsburg: Cross Cult Dittmar, Jakob F. 2008: Comic-Analyse, Konstanz: UVK Gennari, Joshua 2013: Zack Snyders 300 - Kampf der Kulturen, unveröff. Seminararbeit, Passau Gräf, Dennis et al. 2 2017: Filmsemiotik. Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate, Marburg: Schüren Gutzkow, Karl 2009: Dramatische Werke, Band 1, hrsg. von Anne Friedrich und Susanne Schütz. Münster: Oktober Verlag Hammer, Erika & Edina Sándorfi (eds.) 2006: Der Rest ist - Staunen. Literatur und Performativität, Wien: Praesens Hennig, Martin und Hans Krah (eds.) 2016: Spielzeichen. 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