Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2018
413-4
Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs
121
2018
Simon Meier-Vieracker
kod413-40245
K O D I K A S / C O D E Volume 41 (2018) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs / In the Crosshairs: Metapragmatics and Semiotic Ideologies in Football Fan Discourse Simon Meier-Vieracker (Dresden) Abstract: In the winter of 2020, German football fans presented banners depicting entrepreneur Dietmar Hopp in crosshairs as part of protest actions. Subsequently, there was a controversial discussion, especially in the digital media, about the meaning and legitimacy of these banners. While the clubs and the media interpreted the crosshairs as a call for violence, the fans framed them as a merely symbolic act of resistance and protest. In this contribution, I analyse this metapragmatic discourse as expression and accomplishment of semiotic ideologies, that is people ’ s underlying assumptions of what signs are, what functions they serve and what interpretive frameworks are appropriate. It is argued that the protesting fans claim a reflexive reading of the crosshairs as a symbol of subversive fan practices themselves, which is indeed consistent with recent performancetheoretical accounts of fan culture. But still other fans contest this reading and emphasise the violent connotations of the crosshairs. Thus, the negotiation of semiotic ideologies also serves as a means of social positioning and processes of social inclusion and exclusion. Keywords: Football fans, metapragmatics, semiotic ideologies, invectivity, discourse analysis / Fußballfans, Metapragmatik, semiotic ideologies, Invektivität, Diskursanalyse 1 Einleitung Im Frühjahr Winter 2020 wurden gleich mehrere deutsche Fußballstadien zu Schauplätzen von Protestaktionen durch Fans, die eine intensive öffentliche Debatte nach sich zogen. Stein des Anstoßes waren die Schmähungen gegen Dietmar Hopp, den Unternehmer und Mäzen des Fußballclubs TSG 1899 Hoffenheim, der vielen Fußballfans als Symbolfigur des vielkritisierten kommerzialisierten Fußballs (cf. Duttler 2014) gilt. Auf großen, teilweise den gesamten Fanblock überspannenden Stoffbannern wurde Dietmar Hopp zum einen als “ Hurensohn ” adressiert, zum anderen wurde sein Konterfei in einem Fadenkreuz präsentiert und so in seiner Rolle als Zielscheibe der Kritik auch bildlich inszeniert. Die Aktionen zogen schon während der Spiele selbst Konsequenzen nach sich, indem sie zu Spielunterbrechungen und Ordnungsrufen durch die Stadionsprecher führten. Vor allem aber im Anschluss an die Spiele wurde äußerst kontrovers über die Aktionen und ihre (Il-) Legitimität, aber auch über ihre Sanktionierungen diskutiert. Dabei standen sich im Wesentlichen zwei Positionen gegenüber: Die eine, vor allem vertreten durch Verbände und Funktionäre, sahen in den Aktionen einen Beleg für zunehmende Gewalt in den Fankurven, gegen die entschieden vorgegangen werden müsse. Demgegenüber verteidigten die Fans ihre Aktionen als zwar provokante, aber als fankulturelle Praxis und legitime Form des Protests, die ihrerseits gegen die Sanktionierungsversuche durch die Verbände verteidigt werden müsse (cf. Gabler 2013). Was in dieser Debatte also kontrovers diskutiert wurde, war nicht zuletzt der semiotische Status der gezeigten Banner - und hier vor allem des Fadenkreuzmotivs. Welche Rolle spielt die Referentialität der Abbildungen für den kommunikativen Gehalt der Banner, inwiefern ist die Medialität und Lokalität der Abbildungen als Teil von Fanchoreografien von Belang und welche Deutungsrahmen sind deshalb für eine angemessene Beurteilung der Aktionen anzusetzen? Bewegen sie sich in dem für Fanpraktiken typischen invektiven Modus oder überschreiten sie bereits die Schwelle zwischen symbolischer und physischer Gewalt? Diese Fragen stehen im Fokus des vorliegenden Beitrags. Sie sollen jedoch weniger aus einer unbeteiligten Außenperspektive gestellt und beantwortet werden. Vielmehr soll gezeigt werden, wie diese normativ aufgeladenen Fragen im Diskurs der Beteiligten selbst virulent werden, unter Rückgriff auf welche argumentativen Ressourcen sie bearbeitet werden und welche sozialen Positionierungen (cf. Spitzmüller 2015) damit verbunden sind. Die Fadenkreuzbanner und ihre metapragmatischen Thematisierungen werden somit als Ausdruck und Vollzugsform von “ semiotic ideologies ” (Keane 2018) gefasst, als “ people ’ s underlying assumptions about what signs are, what functions signs do or do not serve, and what consequences they might or might not produce ” (Keane 2018: 65). Der Begriff der semiotic ideologies ist dem Begriff der Sprachideologie im Sinne Silversteins angelehnt, den dieser definiert als “ any sets of beliefs about language articulated by the users as a rationalization or justification of perceived language structure and use ” (Silverstein 1979: 193). Anders als kognitive Spracheinstellungen im Sinne der Spracheinstellungsforschung sind Sprachideologien diskursive Größen, die also im Diskurs zum Ausdruck kommen und agonal verhandelt werden (cf. Woolard & Schieffelin 1994: 58). Zudem sind Sprachideologien gruppenbezogen, indem sie innerhalb von Gruppen entwickelt und weitergegeben werden und somit selbst Gruppenzugehörigkeiten indizieren können. Die Annahmen darüber, welche Varietäten etwa zu einer Sprache gehören oder auch nicht gehören, welche Gebrauchsweisen legitim sind oder auch welche Gattungen und Textsorten typisch für bestimmte Kollektive sind (cf. Milani & Johnson 2010: 4), weisen Sprechende bestimmten Gruppen zu und grenzen diese voneinander ab. Deshalb können auch die sprachreflexiven Diskurse über solche sozialen Indizes bestimmter Sprachgebräuche zur sozialen Positionierung und Distinktion genutzt werden. In Analogie hierzu richtet sich bei der Analyse von semiotic ideologies der Blick also auf metapragmatische Diskurse über Zeichen und Zeichenpraktiken in bestimmten Kollektiven. Es interessieren die hier verhandelten Vorstellungen darüber, was in diesen besonderen sozialen Kontexten Zeichen sind, welche Funktionen sie haben und welche Deutungsrahmen angemessen sind. Und diese Aushandlungen, so die Überlegung, gehen mit sozialer Ordnungsstiftung, aber auch -dynamisierung einher (cf. Ellerbrock et al. 246 Simon Meier-Vieracker (Dresden) 2017: 4). Am Beispiel der metapragmatischen Diskurse um die Fanproteste mit den Fadenkreuzbannern, in denen sich die Fans gegenüber den Verbänden positionierten, andere Fans aber auch die Legitimität der Aktionen abermals mit semiotischen Überlegungen anzweifelten, lässt sich die Funktion von semiotic ideologies im Detail analysieren. Dies gilt umso mehr, als die metapragmatischen Diskurse über die Fadenkreuzbanner vor allem im Netz geführt wurden und somit der Analyse zugänglich sind. Im Folgenden werde ich zunächst einen Überblick über semiotische Forschungen zu Fußballfankommunikation im Stadion geben, die in jüngerer Zeit meist performanztheoretisch perspektiviert sind und besonders das reflexive, selbstreferentielle Moment fankultureller Praktiken betonen. Am Beispiel der Fanproteste mit den Fadenkreuzbannern und der Begleitkommunikation im Netz werde ich dann zeigen, dass eben diese Selbstreferentialität auch von den Fans selbst in Anschlag gebracht wird und die dabei zum Ausdruck kommenden Annahmen über Bedeutung und Funktion fankultureller Symbole in Opposition zu denen der Vereine und Verbände gesetzt werden. Abschließend werde ich auf erweiterte Anschlusskommunikation im Netz eingehen, in der die semiotic ideologies der für die Protestaktionen verantwortlichen Fans kritisch kommentiert und somit soziale Ein- und Ausschlüsse innerhalb der Fanszenen verhandelt werden. 2 Fußballstadien als semiotische Räume Fußballstadien sind mehr als einfach nur Stätten, an denen Fußball gespielt und geschaut wird. Die Zuschauenden auf den Tribünen sind nicht nur passiv Rezipierende, und insbesondere die Fans in den Stadien sind aktiv an der Konstitution des Kommunikationsereignisses Fußball beteiligt. Wie Burkhardt in einem überblicksartigen Aufsatz zu Fankommunikation im Fußballstadion zeigt, hat sich das Stadion längst zu einem “ durch und durch semiotischen Raum gewandelt ” , in dem sich Fankultur auf “ semiotisch sehr vielfältige Weise Ausdruck verschafft ” (Burkhardt 2009: 176). Von Fangesängen, Sprechchören und Anfeuerungsrufen wie auch nonverbalen akustischen Zeichen wie Klatschen und Pfeifen über Kleidung und Körperbemalung bis hin zu Fahnen und Bannern reichen die Ausdrucksformen, derer sich Fans und hier besonders die organisierten Fangruppen bedienen. Burkhardt selbst ist dabei vor allem an den semiotischen Produkten, ihrer Inventarisierung und den Möglichkeiten ihrer sprechakttheoretischen Klassifikation interessiert. Dabei unterscheidet er bei Spruchbändern unter anderem zwischen der stimulierenden, solidarisierenden, moralisierenden oder auch beleidigenden Intention, die mittels der Spruchbänder verfolgt wird (cf. Burkhardt 2009: 186 - 192). Ganz unabhängig von den Schwierigkeiten, die sich für die wissenschaftliche Analyse bei der Zuschreibung von Intentionen immer stellen, gerät bei einer derartigen produktzentrierten Analyse aber die praktische Einbettung der untersuchten Texte in die räumlich und zeitlich situierten Fanpraktiken tendenziell aus dem Blick (cf. Spitzmüller 2013: 253). Demgegenüber haben sich verschiedene Forschungsansätze aus einer performanztheoretischen Perspektive der semiotischen Produktivität von Fußballfans in den Stadien zugewendet und diese im konkreten Handlungsvollzug untersucht. Einen interaktionstheoretischen Ansatz verfolgt etwa Winands (2015), der ausgehend von ethnographischen Beobachtungen die sequentiellen wie auch räumlich sozialen Interaktionsordnungen Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 247 rekonstruiert, in die die fantypischen Ausdrucksformen eingelassen sind. Dabei greift Winands auf die in der Soziologie im Allgemeinen und der Fanforschung im Besonderen verbreitete Theatermetaphorik zurück (cf. Schwier & Schauerte 2009), die den Performancecharakter besonders betont. Gerade in der räumlichen Konstellation des Stadionrunds (cf. Bromberger 1995: 306 f.) sind die Fans auf den Tribünen nicht nur Zuschauende des Spielgeschehens auf dem Platz, sondern selbst Darsteller, die sich immer auch wechselseitig beobachten und so gemeinsam das Ereignis, an dem sie teilnehmen, selbst mit hervorbringen (cf. Spitzmüller 2013: 251). Vor allem bei so genannten Fanchoreografien, die etwa Hauser (2019) einer semiotischen Analyse unterzieht, drängt sich eine theatermetaphorische und performanztheoretische Beschreibung auf. Der Aufführungscharakter der besonders auf Sichtbarkeit abzielenden Choreografien äußert sich in einer doppelten Beteiligungsrolle der Ausführenden, die Darstellende und Publikum zugleich sind. Das Stadionrund, das den Choreografien gleichermaßen als Bühne und Zuschauerraum dient, wird in einer Art semiotischer Aneignung zum Bestandteil von Fanpraktiken selbst (cf. Hauser 2019: 132). Semiotische Räume sind Stadien also nicht nur in dem Sinne, dass in ihnen Zeichen platziert und rezipiert werden, sondern indem sie durch performatives Zeichenhandeln konstituiert werden. Dass sich derartige performanztheoretische Deutungen in den letzten Jahren etablieren konnten, hat auch mit einem Wandel des Stadionpublikums zu tun, der sich in erster Linie mit der Ultra-Bewegung verbindet (cf. Duttler & Haigis 2016). Gegenüber anderen Fangruppen wie etwa Hooligans sind für Ultras erlebnis- und gemeinschaftsorientierte Praktiken des Supports kennzeichnend, die sich in aufwändigen und oft auch ästhetisch anspruchsvollen Inszenierungen ausprägen. Gerade die Ultras zelebrieren einen “ Kult der Sichtbarkeit und feiern sich selbst ” (Schwier & Schauerte 2009: 429), und sie setzen hierfür vielfältige semiotische Ressourcen wie Schwenkfahnen, Doppelhalter und Transparente sowie Bengalos ein. Die Bedeutung all dieser Ressourcen ist indes stets lokal gebunden. Sie folgen gruppenspezifischen Codes (cf. Gabler 2013; Claus & Gabler 2017) und sind zu beschreiben als “ kulturelle Insignien oder Symboliken, die innerhalb des besonderen Raumes des Stadions Anwendung finden ” (Winands 2015: 90) und hier Ritualfunktionen entfalten. Ganz in diesem Sinne weist auch Spitzmüller in seiner graphosoziolinguistischen Analyse fußballfankultureller Praktiken auf die Lokalität der performativ gebundenen Ausdrucksformen der Ultras hin. Die Deutung eines Banners etwa setzt “ Wissen um den Ort, an dem es kommunikativ eingesetzt wird ” (Spitzmüller 2013: 252) wie auch um die dort üblichen Rituale voraus, auf die die Banner reflexiv verweisen. In ihrer ritualhaften Performanz weisen die Fanpraktiken und ihre Symbole mithin ein hohes Maß an Selbstreferentialität auf (cf. Duttler 2014: 375). Die These der Selbstreferentialität der fankulturellen Praktiken, die an allgemeine Performanztheorien anschlussfähig ist (cf. Scharloth 2009: 238; Bauman & Briggs 1990: 73), ist vor allem mit Blick auf das Geschehen in den Stadien entwickelt worden. Allerdings findet durch Prozesse der fortschreitenden Mediatisierung das Stadiongeschehen seine Fortsetzung und Rahmung im digitalen Diskurs. Die auf Sichtbarkeit abzielenden Aktionen mit Banner und Choreografien werden im Netz dokumentiert und weiterverbreitet (cf. Winands 2015: 185) und in diesem Zuge auch reflektiert und - mal affirmativ, mal kritisch - kommentiert. Gerade die Protestaktionen werden zudem typischerweise durch Stellung- 248 Simon Meier-Vieracker (Dresden) nahmen der verantwortlichen Fangruppen auf Blogs und anderen digitalen Medien begleitet. Und wie im Folgenden zu zeigen sein wird, geht es hierbei häufig um den Status der Stadien als semiotische Räume, der im Fandiskurs selbst ausgehandelt wird. Dies kann einerseits als konsequente Fortsetzung der Selbstreferentialität fankultureller Praktiken beschrieben werden, indem der Fandiskurs eben reflexiv wird. Andererseits öffnet sich der digitale Diskurs für erweiterte Publika, die sich an der metapragmatischen Reflexion über die Stadien als semiotische Räume durchaus kritisch beteiligen können. Die semiotic ideologies, gerade hierauf verweist der Terminus der Ideologie (cf. Woolard & Schieffelin 1994: 58), werden in der digitalen Anschlusskommunikation diskursiv umkämpft. Am Beispiel der Protestaktionen mit den Fadenkreuzbannern lässt sich das detailliert zeigen. 3 Das Fadenkreuz: Symbol des Widerstands oder Aufruf zur Gewalt? Die Fadenkreuzbanner, die im Zuge der Protestaktionen im Februar 2020 gezeigt wurden, waren nicht die ersten und einzigen ihrer Art. Insgesamt sind Fadenkreuze ein verbreitetes, wenn auch stets umstrittenes Motiv auf Fanbannern, indem etwa gegnerische Vereinswappen mit Fadenkreuzen übermalt werden. Die Darstellung von Dietmar Hopp im Fadenkreuz weist eine besondere Traditionslinie auf, die in das Jahr 2008 zurückreicht. Damals traf der selbsterklärte Traditionsverein Borussia Dortmund erstmals auswärts auf die gerade aufgestiegene, wegen der hohen Investitionen des Unternehmers Dietmar Hopp als ‘ Retortenclub ’ kritisierte TSG 1899 Hoffenheim. Im Fanblock der Gäste aus Dortmund wurde ein Banner gezeigt, das ein schwarz-weiß gehaltenes Porträt Dietmar Hopps in einem roten Fadenkreuz zeigte, untermalt mit dem Schriftzug “ HASTA LA VISTA HOPP ” . 1 Borussia Dortmund entschuldigte sich offiziell für den Vorfall und bot Unterstützung bei den polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen anlässlich des als Aufruf zur Gewalt gegen Dietmar Hopp gedeuteten Banners an. Zudem erstattete Hopp Anzeige wegen Beleidigung. Auch in den folgenden Jahren kam es bei Begegnungen zwischen Dortmund und Hoffenheim regelmäßig zu Protesten gegen Dietmar Hopp, meist mit der Schmähung als “ Hurensohn ” , die dieser ebenso regelmäßig zur Anzeige brachte. Dies gab den Dortmunder Fans nur Anlass zu neuen Schmähungen, welche jedoch die juristischen Ahndungen in die Schmähungen reflexiv aufnahmen und metadiskursiv aufluden. Besonders deutlich wurde das im September 2018 beim Auswärtsspiel von Borussia Dortmund in Hoffenheim. Die Dortmundfans präsentierten ein riesiges Fadenkreuzbanner einschließlich der Bildunterschrift “ HASTA LA VISTA HOPP ” , nun aber ergänzt durch ein Spruchband mit der Aufschrift “ Strafverfahren & Hausverbot wegen beleidigenden Gesängen? Was soll die Scheiße, du Hurensohn? ” (s. Abb. 1). Das Banner zielt offenbar darauf ab, die Passung juristischer Urteils- und Sanktionsformen auf die fantypische Praxis beleidigender Gesänge insgesamt in Frage zu stellen. Diese Infragestellung wird durch die Beschimpfung “ du Hurensohn ” noch verstärkt, und zwar in doppelter Hinsicht. Einerseits wird der ableh- 1 Es handelt sich hierbei offenbar um ein Filmzitat aus Terminator 2, wo der Ausspruch “ Hasta la vista, baby ” unmittelbar der finalen Zerstörung des gegnerischen Roboters vorausgeht. Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 249 nenden Haltung Nachdruck verliehen, andererseits wird genau die Anrede gewählt, die Gegenstand der kritisierten juristischen Schritte war. Das kritisierte Verhalten wird also erneut provoziert. Abb. 1: Fanbanner von Dortmundfans beim Auswärtsspiel gegen Hoffenheim am 22. 9. 2018 (https: / / www.schwatzgelb.de/ artikel/ 2018/ unsa-senf/ das-kreuz-mit-dem-fadenkreuz) Die TSG 1899 Hoffenheim stellte sich in der Folge demonstrativ vor Dietmar Hopp und rief in einem offenen Brief dazu auf, all jenen entschieden entgegen zu treten, die “ mit unverhohlenem Hass und Hetze bis hin zu einem Mordaufruf nicht nur die Werte des Fußballs verraten, sondern eindeutig gegen Recht und Gesetz verstoßen ” . 2 Der metadiskursive Charakter der Plakate als gezielt provokant formulierte Kritik an juristischen Urteilsformen für fankulturelle Praktiken wurde ausgeblendet. Stattdessen wurden mit “ Hass ” und “ Hetze ” Unwertwörter aus dem politischen Diskurs aufgegriffen, und vor allem wurde das Fadenkreuz in sozusagen literaler Lesart als Mordaufruf gedeutet - eine Deutung, der sich im Übrigen auch viele redaktionelle Medien anschlossen, indem sie etwa von Hass-Bannern sprachen. 3 Eine an die idiomatischen Wendungen jmd. ins Fadenkreuz nehmen oder ins Fadenkreuz geraten anschließende Interpretation, die der konzeptuellen Metapher argument is war (cf. klassisch Lakoff & Johnson 2003: 4) folgend eine übertragene 2 https: / / www.ruhrnachrichten.de/ bvb/ bvb-wie-konnte-die-fehde-mit-dietmar-hopp-so-eskalieren-1500225.ht ml [10. 12. 2020] 3 https: / / www.mz-web.de/ sport/ fussball/ hoffenheim-spricht-von - mordaufruf - bvb-entschuldigt-sich-fuer-ha ss-banner-der-fans-31335376 [10. 12. 2020] 250 Simon Meier-Vieracker (Dresden) Deutung ansetzen würde, kam für die Vereine bei der bildlichen Darstellung des Fadenkreuzes offenbar nicht in Frage. Eben diesen offenen Brief thematisierten Dortmundfans daraufhin in ihrem Blog schwatzgelb.de. In einem Artikel mit dem Titel “ Das Kreuz mit dem Fadenkreuz ” wird zunächst die unmittelbare Vorgeschichte in Erinnerung gerufen - mehr als 30 laufende Beleidigungsklagen gegen Dortmundfans durch Dietmar Hopp - und das Fadenkreuzbanner als ‘ intensive Kommentierung ’ eben dieser juristischen Vorgänge gerahmt. Und in direkter Reaktion auf den offenen Brief heißt es weiter: Natürlich nahm die TSG diesen Ball gerne auf und schwadronierte in Form eines offenen Briefes von Geschäftsführer Dr. Peter Görlich über einen “ Mordaufruf ” und forderte “ Haltung und Integrität ” , um ein “ grundsätzlich respektvolles, tolerantes und faires Miteinander ” zu beschützen. Dabei wird dem Autoren vermutlich selbst klar gewesen sein, was für ein Quark es ist, die Banner als Aufruf zum Mord fehlzuinterpretieren. Vor zehn Jahren wurde in Mannheim von einem Fan ein Doppelhalter mit genau diesem Motiv gezeigt, das ebenfalls mit einem Stadionverbot belegt wurde. Dass man dieses Motiv jetzt im XXL-Format zeigte, ist eher als Selbstzitat aus der Fanszene heraus mit der Message “ Du kriegst uns nicht mundtot ” zu verstehen. Wenn das Ganze dann auch noch, mit Sicherheit nicht ganz zufällig, per Wortwahl in die Richtung der aktuellen Generaldebatte in der Gesellschaft gedrückt wird, indem man auf Haltung und Toleranz pocht, dann ist man auch dort von verbaler Abrüstung weit entfernt. 4 Nicht nur wird die Glaubwürdigkeit des offenen Briefs etwa durch das abwertende Redeverb schwadronieren in Zweifel gezogen. Auch wird die gesamte Deutung des Fadenkreuzes als Mordaufruf als bewusste Fehlinterpretation gerahmt. Das Fadenkreuz sei stattdessen als “ Selbstzitat aus der Fanszene heraus ” zu deuten und habe deshalb auch eine metadiskursiv gebrochene Bedeutung als demonstrative Auflehnung gegen die Versuche, die Fans in ihren spezifisch fankulturellen Praktiken zum Schweigen zu bringen. Hinter dieser Selbstreferentialität des Fadenkreuzes als spezifisch fankulturelles Symbol tritt in der Darstellung der Fans sein gewaltaufrufender Charakter vollständig zurück. Selbst die invektive Funktion der Banner, die durch die Verwendung des Schimpfwortes Hurensohn offensichtlich ist, wird metadiskursiv überlagert. Der Konflikt eskalierte schließlich abermals im Winter 2019/ 20, als Dortmundfans im Gästeblock in Hoffenheim erneut Schmähplakate u. a. mit der Aufschrift “ Hurensohn ” präsentiert hatten und der Deutsche Fußballbund (DFB) einige Wochen später alle Dortmundfans für zwei Jahre von Auswärtsspielen in Hoffenheim ausschloss. Dies wurde von Fans in Dortmund und anderswo als ‘ Kollektivstrafe ’ gewertet, ein Sanktionsmittel, das seit vielen Jahren Streitpunkt zwischen Fans und Verbänden ist. Der DFB hatte sich zwar einige Monate zuvor gegen Kollektivstrafen ausgesprochen, sie nun aber, so die Wahrnehmung der Fans, kurzerhand wieder eingeführt. In Reaktion auf diese als Affront empfundenen Kollektivstrafen fanden die eingangs genannten Protestaktionen in verschiedenen Stadien statt. Den Anfang machten Ultras von Borussia Mönchengladbach, die nun ihrerseits ein Fadenkreuzbanner präsentierten, ergänzt durch ein Spruchband mit derAufschrift: “ Hurensöhne beleidigen einen Hurensohn und werden von Hurensöhnen bestraft ” . 4 https: / / www.schwatzgelb.de/ artikel/ 2018/ unsa-senf/ das-kreuz-mit-dem-fadenkreuz [8. 12. 2020] Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 251 Abb. 2: Fanbanner von Gladbachfans beim Heimspiel gegen Hoffenheim, 22. 2. 2020 (https: / / www. faszination-fankurve.de/ fotos/ fanfotos_fussball/ deutschland/ borussia_moenchengladbach/ s aison20192020/ liga_23/ 200.jpg) Die drei Instanzen des Schimpfwortes Hurensohn wurden dabei farblich mit Vereinsfarben hinterlegt und so in ihrer Adressierung spezifiziert, die sich so auflösen lässt: “ Hurensöhne [Dortmundfans, mit denen die Gladbacher eine lange Fanfeindschaft hegen] beleidigen einen Hurensohn [Dietmar Hopp] und werden von Hurensöhnen [DFB] bestraft ” . Auch hier wird also, wenn auch anspielungsreich und voraussetzungsreichen Codes folgend, das Fadenkreuz in einen metadiskursiven Kontext gestellt, der die Sanktionierung von Beleidigungen als unangemessen rahmt. Wie schon im oben besprochenen Fall zeigten die offiziellen Reaktionen aber zunächst in eine andere Richtung: Es kam zu einer Spielunterbrechung und zu einer Ansage durch den Stadionsprecher, der in Gedenken an die Opfer der rassistischen Terroranschläge von Hanau wenigeTage zuvor zur Mäßigung aufrief. Eben diese Kontextualisierung wiesen später Fanvertreter: innen scharf zurück. Auf Twitter etwa schrieb die Fanhilfe Mönchengladbach: Nochmal: - Banner war (grob formulierte) Kritik an #Hopp, dem #DFB und der Strafe diese Woche. - Fadenkreuzgrafik ist das Symbol, wegen derer die Strafe gegen #bvb ausgesprochen wurde. - Stadionsprecher stellte das alles falsch in einen Kontext mit Hanau. #bmgtsg 5 5 https: / / twitter.com/ FanhilfeMg/ status/ 1231247594279637003 [8. 12. 2020] 252 Simon Meier-Vieracker (Dresden) Nochmals deutlicher wird in einem Reply auf einen Tweet formuliert, der den Wikipedia- Eintrag zu Fadenkreuz zitiert und damit den jagdwaffentechnischen Frame aufgerufen hatte: Ignoriert halt leider nur die Tatsache, dass die Grafik nicht ein bloßes Fadenkreuz, sondern eine Anspielung auf die Dortmunder Aktion war, die diese Woche für die Kollektivstrafe sorgte. 6 Das Fadenkreuz wird also seiner Lesart als referentieller Bezug auf den Akt des Zielens mit einer Schusswaffe entzogen, indem es zum einen als “ Symbol ” und zum anderen als “ Anspielung ” gerahmt wird. Aufschlussreich ist die Charakterisierung ex negativo “ nicht ein bloßes Fadenkreuz ” , in der die Vorstellung einer zusätzlichen metadiskursiven Aufladung deutlich zum Ausdruck kommt. Der pragmatische Gehalt des derart angereicherten Banners wird als “ (grob formulierte) Kritik ” präzisiert und die durch den Stadionsprecher vorgenommene Kontextualisierung als “ falsch ” zurückgewiesen. Einige Tage später publizierte die verantwortliche Ultragruppierung Sottocultura eine Stellungnahme auf ihrem Blog, welche die vorgebrachten Argumente wiederholt und dabei auch ausdrücklich auf das Fadenkreuz eingeht: Das Fadenkreuz haben wir in allererster Linie wegen der Anspielung auf den o. g. Dortmunder Fall gewählt. Wir sehen darin jedoch auch nicht ansatzweise das, was daraus gemacht worden ist. Für uns ist es lediglich eine Symbolik der Ablehnung - vergleichbar mit einer Verbotsschild-Symbolik oderÄhnlichem. Für uns stellt es keinen Unterschied dar, ob das Hoffenheimer Wappen oder Hopps Konterfei als Symbol für das kommerzielle Konstrukt im Fadenkreuz dargestellt ist. Einen tatsächlichen Aufruf zur Gewalt, gar Mordaufruf oder diskriminierenden Inhalt verbinden wir damit definitiv nicht. 7 Das Fadenkreuz wird auch hier als “ Anspielung ” gerahmt und als “ Symbolik derAblehnung ” ausgegeben, die mit Verbotsschildern verglichen wird - also mit einem auch in anderen Protestkontexten eingesetzten oder genauer: einem aus obrigkeitlichen Normierungskontexten für Protestaktivitäten kreativ entwendeten und umgedeuteten (cf. autonome a. f. r. i.k.a gruppe/ Blissett/ Brünzels 2012: 30 f.) Piktogramm. So werden abermals Fanpraktiken und hier vor allem Fanproteste als relevanter Interpretationsrahmen eingebracht. Zudem wird auch das Konterfei Dietmar Hopps zu einem letztlich austauschbaren Symbol für etwas ungleich Abstrakteres erklärt. 8 Die zum Ausdruck gebrachte Ablehnung richte sich gegen das “ kommerzielle Konstrukt ” , das metonymisch durch Hopp repräsentiert wird. Die Formulierung im Fadenkreuz, so lässt sich folgern, sei somit in der übertragenen Bedeutung zu verstehen, wie sie in den oben bereits genannten idiomatischen Wendungen zum Tragen kommt. Das Beispiel führt somit besonders deutlich vor Augen, wie in den konfligierenden Deutungen der Banner insbesondere ihr Zeichenstatus agonal verhandelt wird. In welchen Kontexten diese Zeichen stehen und welche Kontexte in ihre Interpretation eingehen sollen und welche nicht, ist ebenso strittig wie die Frage, welche Rolle das ikonisch Dargestellte bei 6 https: / / twitter.com/ FanhilfeMg/ status/ 1231253724238110720 [8. 12. 2020] 7 https: / / sottocultura.de/ hoffenheim-heimspiel/ [8. 12. 2020] 8 Tatsächlich sind in anderen Aktionen auch Vereinswappen im Fadenkreuz gezeigt worden, so etwa das DFB- Wappen beim Spiel des 1. FC Nürnberg gegen Hannover 96 am 6. 3. 2020: https: / / www.faszination-fankurve. de/ images/ news/ 1583611150.jpg [9. 12. 2020] Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 253 der Bedeutungskonstitution spielen soll. Die verantwortlichen Fans versuchen vor allem die vorangehenden Konflikte um Fanproteste und ihre Sanktionierungen als Deutungsrahmen einzubringen und geben den Fadenkreuzen somit eine selbstreferentielle, auf die eigene Fanpraxis bezogene Lesart, in der das Motiv der Fadenkreuze metaphorisch gebrochen ist. Die Vereine und Verbände - und in der Folge auch zahlreiche redaktionelle Medien - hingegen gehen vom Dargestellten aus, deuten es als Aufruf, das Dargestellte in die Tat umzusetzen, und sehen dies als Symptom einer insgesamt kritikwürdigen Entwicklung gesellschaftlicher Verrohung. Beide Akteursgruppen stellen die Fadenkreuze in eine Reihe mit anderen Diskursereignissen, aus der sich ihre Zeichenhaftigkeit speist, doch sind dies jeweils Reihen unterschiedlichen Typs. Die Fans verweisen auf fandiskursinterne Reihen, welche Anspielungsoptionen generieren, während die Vereine und Verbände auf gesamtgesellschaftlich relevante Ereignisse Bezug nehmen, von denen die Anschläge in Hanau ein besonders drastisches Beispiel abgeben. Die in Mönchengladbach begonnenen Proteste setzten sich in der Folgewoche auch in anderen Stadien fort. Besonders skandalträchtig war das Auswärtsspiel des FC Bayern in Hoffenheim. Bayern-Ultras präsentierten ein großes Banner mit der Aufschrift “ Alles beim Alten: Der DFB bricht sein Wort - Hopp bleibt ein Hurensohn ” , woraufhin das Spiel zuerst unterbrochen und dann als bloßer freundschaftlicher Trainingskick fortgesetzt wurde. Mit der Formulierung “ Hopp bleibt ein Hurensohn ” wird bereits deutlich gemacht, dass hier ein länger andauernder Diskurs fortgeschrieben wird, und auch in der begleitenden Stellungnahme schreibt die verantwortliche Ultragruppierung Red Fanatics, dass es sich um “ einen eindeutigen Bezug zu dem sanktionierten Spruchband der Dortmunder ” 9 gehandelt habe. Aber auch das Fadenkreuz war in anderen Stadien zu sehen, so etwa in derAlten Försterei des 1. FC Union Berlin am Tag nach dem gerade beschriebenen Spiel des FC Bayern. Die Ultragruppierung Hammer Hearts zeigte ein Fadenkreuzbanner ergänzt durch ein “ Hurensohn “ -Spruchband, dem zusätzlich noch ein weiteres Banner mit der Aufschrift “ Mehr auf hh04.de ” beigegeben war. Unter dieser URL findet sich der Blog der Ultragruppierung, auf dem schon während des Spiels die erklärende Stellungnahme zu lesen war. Darin heißt es unter anderem: Die subkulturell geprägte Variante von Kritik an Dietmar Hopp, dem sogenannten Hurensohn, und seinen Auswüchsen wird inhaltlich zur Morddrohung stilisiert, weil ihn ein Fadenkreuz ins Visier nimmt? [. . .] Anstatt daraufhin jedoch die Verhältnismäßigkeit in Frage zu stellen oder gar die Entwicklungen im deutschen Profifußball, stürzt sich die Allgemeinheit wohl lieber auf die letzte Bastion eines einstigen Volkssports, nämlich die organisierte Fanszene. Weil sie laut, frech und oft provokativ auf Missstände aufmerksam macht. Der Doppelhalter, der vor wenigen Minuten auf der Waldseite zu sehen war, ist keine Morddrohung. Er ist aber ganz klar provokant und kritisiert eine Person und eine stetige Entwicklung. Heute steht er jedoch vor allem entgegen schleichender Zensur und für die Ausdrucksfreiheit in den Kurven. 10 Die Deutung des Fadenkreuzes als Morddrohung wird als überzeichnende Stilisierung kritisiert, welche die subkulturelle Prägung dieses Zeichens verkenne. Seine Bedeutung oder, in den Worten der Stellungnahme selbst, das, wofür das Zeichen steht, sei die “ Zensur ” 9 https: / / redfanatic-muenchen.com/ cms/ stellungnahme-spruchband/ [8. 12. 2020] 10 https: / / www.hh04.de/ 2020/ 03/ freie-meinung-im-fadenkreuz/ [9. 12. 2020] 254 Simon Meier-Vieracker (Dresden) fankultureller Praktiken und eine Beschränkung der Ausdrucksfreiheit - eine Beschränkung, die gerade durch den Gebrauch eines tabuisierten und sanktionierten Symbols unterlaufen und damit metadiskursiv kommentiert wird. Die gesamte Aktion wurde am darauffolgenden Tag auch im Blog textilvergehen.de thematisiert. Der Blog, der sich als fannahes Informationsmedium zum 1. FC Union Berlin sieht, dabei jedoch auch die Ultra-Positionen aus einer eher distanzierten Perspektive betrachtet, trug die verschiedenen Stimmen zurAktion zusammen und kommentierte selbst insbesondere auch das Fadenkreuzbanner. Natürlich kann man es geschmacklos, bedrohlich und falsch finden, einen Menschen in einem Fadenkreuz darzustellen. Aber man verfehlt das Thema, wenn man dieses Plakat isoliert betrachtet. Denn der Ultragruppe, die es im Stadion gezeigt hat, geht es nicht um Dietmar Hopp. [. . .] Es geht um eine Solidarisierung mit anderen Fans und Fanszenen, die für dieses Motiv und die Beleidigung Hurensohn, die an jedem Wochenende in Bundesligastadien an Fangruppen gerichtet wird, von den Sportgerichten des DFB und der regulären Justiz verfolgt wurden. Man darf so viel Differenzierung verlangen, einen Unterschied dazwischen zu sehen, dieses Motiv tatsächlich zu verwenden, und es zu zitieren. 11 Obgleich hier deutlich verhaltener geurteilt wird, ist das Argument doch ähnlich wie in den Stellungnahmen der Ultras: Das Fadenkreuz sei in erster Linie zitiert worden und müsse auch in den gleichsam mitzitierten Zusammenhang der juristischen Verfolgung einer unter Fans eigentlich weit verbreiteten Praxis der Beleidigung gestellt werden. In der geteilten Ablehnung der Sanktionierungen durch den DFB, in der die Person Dietmar Hopp nur noch als ferner Auslöser präsent ist, erscheint als der eigentliche pragmatische Gehalt des Fadenkreuzes die “ Solidarisierung ” der juristisch verfolgten Fanszenen. Auch hier wird also in der Einordnung der Fadenkreuzbanner der besondere Zeichenstatus angesichts der Serialität der Zeichen betont, die - ganz im Sinne des Theorems von der Selbstreferentialität performativer Handlungen - das konkret Dargestellte in den Hintergrund rücken lässt. 12 4 Soziale Differenzierungen in der digitalen Anschlusskommunikation Im vorigen Kapitel habe ich gezeigt, wie die Protestaktionen in den Stadien selbst von einem metapragmatischen Diskurs im Netz begleitet werden, in dem bereits die verantwortlichen Fangruppen selbst die Aktionen rahmen und kommentieren und dabei in gezielter Opposition zu anderen Deutungen den semiotischen Status der gezeigten Banner verhandeln. Hinzu kommt, dass die auf Sichtbarkeit hin angelegten Protestaktionen mit Bannern und somit visuellen Zeichen über die präsentische Wirkung vor Ort hinaus dafür gemacht sind, auch in der medialen und hier vor allem der digitalen Dissemination mit ihren vernetzten Öffentlichkeiten dauerhaft sichtbar zu sein (cf. boyd 2014: 11). Am Beispiel der Aktion der Union-Fans, die einen Link in ihr Banner integrierten, zeigt sich besonders deutlich, dass von vornherein mit digitalen Rezeptionswegen gerechnet wird. Dass sich die 11 https: / / www.textilvergehen.de/ 2020/ 03/ 02/ proteste-gegen-kollektivstrafen-und-unterschiedliche-meinun gen-wir-lassen-uns-nicht-spalten/ [9. 12. 2020] 12 Das Beispiel zeigt auch, dass die von Burkhardt (2009) vorgeschlagenen sprechakttheoretischen Klassifikationen von Spruchbändern zu starr sind. In ihrer konkreten Performanz können Spruchbänder mit beleidigender Funktion zugleich der Solidarisierung dienen. Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 255 Banner als Bilder im Netz weiterverbreiten, wird einkalkuliert und lässt die Aktionen auch zu einer Form digitaler Bildproteste werden (cf. Schankweiler 2019), die eben aus der Archivierung und Weiterverbreitung der zunächst flüchtigen Aktionen ihr Protestpotenzial schöpfen. Eine wichtige Rolle spielt etwa das Portal faszination-fankurve.de, wo Fotos der Fankurven gesammelt und von User: innen kommentiert werden können. Auch auf YouTube finden sich zahlreiche Mit- und Zusammenschnitte der Aktionen, welche durch die Rekontextualisierungen den Zitationszusammenhang, in dem die einzelnen Banner stehen, noch einmal deutlich herausstellen. Die im Digitalen dauerhaft verfügbar und sichtbar gemachten Stadionperformances stellen somit reflexive Bezugspunkte für Anschlusskommunikation bereit (cf. Greschke 2020: 413), an der sich über die verantwortlichen Fangruppen hinaus auch weitere Akteure am metapragmatischen Diskurs beteiligen können. Vor allem die medialen Affordanzen der digitalen Medien mit ihren Möglichkeiten der Kommentierung tragen hierzu bei. Der semiotische Status der Banner wird auch hier regelmäßig thematisiert. Dies geschieht in Teilen durchaus konform zu den Positionen der Ultras. Ausdrücklich wird etwa das Fadenkreuz mit der Bezeichnung “ Fadenkreuz-Symbol ” belegt, das in einem Kommentar als “ Symbol des Widerstandes im Kampf gegen Auswüchse des modernen Fußballs “ 13 gedeutet wird. Auf textilvergehen.de verweisen einige ausdrücklich auf die Redensart “ ins Fadenkreuz geraten ” , wegen der ein Fadenkreuz-Banner nur “ mit bösem Willen ” als Gewaltaufruf gedeutet werden könne. 14 Allerdings finden sich hier auch durchaus kritische Stimmen (cf. hierzu Winands 2015: 148), welche die von den verantwortlichen Fans so sehr betonte Selbstreferentialität entschieden zurückweisen. Ebenfalls im Kommentarbereich von textilvergehen.de heißt es, dass ein “ Verweis auf die Sprechweise ‘ ins Fadenkreuz nehmen ’ [. . .] hinfällig [ist] wenn es nicht gesprochen wird sondern als Bildmotiv genutzt wird ” . Den auf faszination-fankurve.de zusammengetragenen Stellungnahmen, welche die Deutung als Mordaufruf für unzulässig erklären, wird entgegengehalten: “ Also ein Plakat mit irgend einem Kopf mit einem Fadenkreuz davor ist kein Zeichen für Terror. . .? ” . Die von den verantwortlichen Ultragruppen so entschieden zurückgewiesene Kontextualisierung mit gesellschaftlichen Ereignissen jenseits des Fußballs wird von anderen Fans durchaus vorgenommen. Aufschlussreich ist etwa der folgende Beleg: Es tut mir leid, aber ohne diese Stellungnahme der o. g. “ Fan ” gruppierung ist nur eine Deutung diese Fadenkreuz-Banners möglich, vor allem bei dem, was ein paar Tage zuvor in Hanau passiert war! Warum muss man derart in Rätselsymbolik aggieren [sic! ], statt klar und deutlich seine Meinung kundtun, dann werden auch keine falschen Schlüsse gezogen. 15 Es ist der behauptete Symbolcharakter der Fadenkreuzbanner und die Überlagerung des vordergründigen Bedeutungsgehaltes durch die Symbolik, die hier zurückgewiesen und als undurchsichtige “ Rätselsymbolik ” kritisiert wird (cf. Winands 2015: 104). Dass diese symbolische Lesart von Fans eingebracht wurde, wird einerseits eingeräumt, andererseits 13 https: / / www.faszination-fankurve.de/ index.php? head=Kommentar-zu-beleidigenden-Plakaten-amp-eskalier ter-Debatte&folder=sites&site=news_detail&news_id=21509 [9. 12. 2020] 14 https: / / www.textilvergehen.de/ 2020/ 03/ 02/ proteste-gegen-kollektivstrafen-und-unterschiedliche-meinun gen-wir-lassen-uns-nicht-spalten/ [9. 12. 2020] 15 https: / / www.faszination-fankurve.de/ index.php? head=Gladbach-Ultras-nehmen-zu-Anti-Hopp-Aktion-Stel lung&folder=sites&site=news_detail&news_id=21502 [9. 12. 2020] 256 Simon Meier-Vieracker (Dresden) wird durch die Verwendung der distanzierenden Anführungszeichen eben der Fanstatus der Verantwortlichen in Zweifel gezogen. Ähnliches lässt sich auch in den Replies auf die oben genannten Tweets der Fanhilfe Mönchengladbach beobachten, wo es etwa heißt: “ [. . .] solche Spinner wollen wir in unserem Stadion nicht! Keiner teilt eurer Meinung geht woanders hin [. . .] Ihr seit [sic! ] keiner Borussen ” . 16 Solche Konkurrenzen darum, wer aus welchen Gründen als ‘ echter ’ Fan gelten kann, sind für den Fandiskurs insgesamt typisch (cf. Binroth 2004; Meier-Vieracker i. E.). Sie werden hier auf dem Wege der metapragmatischen Diskurse über den semiotischen Status und die angemessenen Deutungsrahmen fankultureller Ausdrucksformen ausgetragen. An dieser Stelle wird nun deutlich, dass und wie die in derartigen metapragmatischen Thematisierungen verhandelten semiotic ideologies zur sozialen Positionierung (cf. Spitzmüller/ Flubacher/ Bendl 2017) genutzt werden können. Zum einen beanspruchen Fans gegenüber den Vereinen, den Verbänden und auch den redaktionellen Medien spezifisch fankulturelle Zeichenpraktiken und -lesarten. Zum anderen aber wird eben diese Idiosynkrasie von anderen Fans in Zweifel gezogen, die sich durch die Zurückweisung der selbstrefentiellen Lesart von den Ultragruppierungen abgrenzen. Die Frage, welches die angemessenen Deutungsrahmen für die in den Fankurven präsentierten Zeichen sind, entscheidet nicht nur über die Bedeutung der Zeichen selbst, sondern auch über die Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit derjenigen, welche diese Deutungsrahmen für sich in Anspruch nehmen. 5 Fazit Thema des vorliegenden Beitrags waren die im Rahmen von Fußballfanprotesten präsentierten Fadenkreuzbanner und die sie begleitenden und sich an sie anschließenden metapragmatischen Diskurse im Netz. Wie ich gezeigt habe, wird im Diskurs über die Bedeutung und die Legitimität der Fadenkreuzbanner auch ihr semiotischer Status problematisiert. Die hierbei zum Ausdruck kommenden Vorstellungen über die Verfasstheit, die Funktion und die Deutungsrahmen der fankulturellen Zeichen habe ich mit Keane (2018) als semiotic ideologies gefasst, deren Aushandlung sich an diesem Beispiel im Detail beobachten lässt. Wie sich an den Stellungnahmen der verantwortlichen Fangruppen ablesen lässt, setzen diese die Selbstreferentialität der fankulturell gebundenen Zeichen relevant, wohingegen die Darstellungsfunktion der Zeichen in den Hintergrund rückt - eine Position, die eine theoretische Vorlage in performanztheoretischen Deutungen von Fanpraktiken findet. Wie sich an den erweiterten Anschlusskommunikationen sehen lässt, sind diese Lesarten aber nicht unumstritten. Sie können als zu voraussetzungsreich und zu idiosynkratisch zurückgewiesen werden. Damit aber können durch die Verhandlung von semiotic ideologies auch fankulturelle Ein- und Ausschlüsse und gruppeninterne Distinktionen vorgenommen werden. Im Spiegel des metapragmatischen Diskurses und der hier beobachtbaren zeichenideologischen Aushandlungen zeigen sich die semiotischen Räume der Stadien als viel fragmentierter, als die Bilder von die ganze Tribüne überspannenden Bannern zunächst glauben machen. 16 https: / / twitter.com/ DarthToKo/ status/ 1231287769764421632 [10. 12. 2020] Im Fadenkreuz - Metapragmatik und semiotic ideologies im Fußballfandiskurs 257 Literatur autonome a. f. r. i.k.a gruppe, Luther Blissett & Sonja Brünzels 2012: Handbuch der Kommunikationsguerilla. Wenn möglich, bitte wenden! , Berlin: Assoziation A Bauman, Richard & Charles L. Briggs 1990: “ Poetics and Performance as Critical Perspectives on Language and Social Life ” , in: Annual Review of Anthropology 19 (1990): 59 - 88 Binroth, Andreas 2004: “ Der ‘ wahre ’ Fan. ” , in: Schmidt-Lauber, Brigitta (ed.): FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins, Münster: LIT: 65 - 81 boyd, danah 2014: It ’ s complicated. 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