Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2018
413-4
Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation
121
2018
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Emilia Wojtkowska
Der Beitrag untersucht Formen des Ausdrucks von Emotion in der Medientextsorte Kunstkritik. Dazu werden zunächst die semiotischen und linguistischen Instrumente der Analyse vorgestellt und die Begriffe ästhetisches Urteil, ästhetische Erfahrung, ästhetisches Empfinden und ästhetisches Erleben semantisch voneinander abgegrenzt. Sodann werden das Konzept Emotion semiotisch und kognitionslinguistisch erläutert und die Kunstkritik textsortentypologisch eingeordnet. Schließlich werden die Konzeptualisierungen von Emotionen, die kommunikativen Strategien und das Emotionspotenzial in ausgewählten Kunstkritiken durch qualitative Inhaltsanalyse zu ermitteln versucht.
kod413-40281
K O D I K A S / C O D E Volume 41 (2018) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation / Art and Criticism, Emotion and Argumentation Zur semiotischen Konzeptualisierung von Gefühl in Kunstkritiken - ein Beitrag zur Medientextsortenanalyse / On the Semiotic Conceptualization of Emotion in Art Criticism - A Contribution to the Analysis of a Media Text Type Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) Abstract: The article examines forms of expression of emotion in the media text type art criticism. To this end, the semiotic and linguistic instruments of analysis are first introduced and the terms aesthetic judgment, aesthetic experience, aesthetic sensation, and aesthetic experience are semantically distinguished from one another. Then, the concept of emotion is explained in terms of semiotics and cognitive linguistics, and art criticism is classified according to types of texts. Finally, the conceptualizations of emotion, the communicative strategies, and the emotion potential in selected articles of art criticism are attempted to be determined through qualitative content analysis. Der Beitrag untersucht Formen des Ausdrucks von Emotion in der Medientextsorte Kunstkritik. Dazu werden zunächst die semiotischen und linguistischen Instrumente der Analyse vorgestellt und die Begriffe ästhetisches Urteil, ästhetische Erfahrung, ästhetisches Empfinden und ästhetisches Erleben semantisch voneinander abgegrenzt. Sodann werden das Konzept Emotion semiotisch und kognitionslinguistisch erläutert und die Kunstkritik textsortentypologisch eingeordnet. Schließlich werden die Konzeptualisierungen von Emotionen, die kommunikativen Strategien und das Emotionspotenzial in ausgewählten Kunstkritiken durch qualitative Inhaltsanalyse zu ermitteln versucht. Keywords: Art criticism, emotion, semiotics, cognitive linguistics, text type, media text, aesthetic judgment, aesthetic experience, aesthetic sensation, somatic reaction to aesthetic perception / Kunstkritik, Emotion, Semiotik, Kognitionslinguistik, Textsorte, Medientext, ästhetisches Urteil, ästhetische Erfahrung, ästhetisches Empfinden, ästhetisches Erleben 1 Einleitung Kunst- und Musikkritiken gehören zu jenen Presse-Textsorten, deren primär informierende Funktion nach verbreiteter Einschätzung nicht selten überlagert werde von subjektiven Werturteilen und affektiven Expressionen des Verfassers. 1 Sie stellen für die Medientextsortenanalyse daher eine besondere Herausforderung dar, insofern sie argumentierende Evaluationen und emotionale Reaktionen zu verschmelzen tendieren. Deshalb wollen wir im Folgenden Referenzen auf Emotionen in Kunstkritiken zu untersuchen, um die den sprachlich deskriptiven und argumentierenden Funktionen der Textsorte zugrundeliegenden emotionalen Motive und Impulse positivbzw. negativ-kritischer Bewertungen der jeweiligen Autoren freizulegen. Methodisch orientieren wir uns an semiotischen und kognitionslinguistischen Ansätzen, die wir auf ausgewählte Kritiken im Bereich der Bildenden Kunst anwenden. Dabei fragen wir zunächst, wie ästhetische Erfahrung, ästhetisches Erleben und Empfinden im ästhetischen Urteil zusammenwirken und rekurrieren dafür auf Ansätze der zeichentheoretisch argumentierenden Ästhetik in der Nachfolge von Peirce über Morris bis Dewey, einer Forschungstradition, in der Kunstwerke als sich in kontextuell (historischgesellschaftlich) situierten kommunikativen Prozessen konstituierende Artefakte betrachtet werden. Ästhetische Wahrnehmung (und Bewertung) wird damit zu einem Kommunikationsphänomen, zu einem ‘ Dialog ’ zwischen Werk und Betrachter, und damit diskursanalytischer Beschreibung zugänglich. Dieser Ausgangspunkt erlaubt es dann auch, Emotionen als komplexe Zeichen zu verstehen und hier in Prozessen ästhetischer Semiose zu betrachten. In derAbgrenzung von Ratio und Affekt, von Gedanke und Gefühl stellen wir im Sinne kognitionstheoretischer Überlegungen ihr wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis in Rechnung. Emotion fassen wir als “ komplexe, mehrdimensionale, subjektiv erfahrbare Kenntnis- und Bewertungskategorie ” auf (Schwarz-Friesel ²2013: 56), die auf die kognitiven Repräsentationen (hier) ästhetischer Kategorisierungen abhebt und damit zugleich als Vermittlungsinstanz figuriert zwischen ‘ inneren Handlungen ’ , wie Gerold Ungeheuer ([1990] 2020) die internen kognitivaffektiven Prozesse nennen würde, und sprachlichen Materialisierungen, die als deren An- Zeichen oder im Bühlerschen Sinne als ihr Symptom der Interpretation zugänglich und damit auch semiotisch und linguistisch analysierbar werden. Das Kunstwerk verstehen wir (i. S. v. Hess-Lüttich 2012) als komplexen ‘ Text ’ , der dem Kritiker zum Gegenstand seiner Beschreibung und zum Impuls seiner Bewertung wird. Sein Urteil unterliegt freilich den textsortentypologischen Usancen zufolge einer Rechtfertigungs- oder Begründungspflicht, die nicht in jeder Kritik überzeugend und für den Leser nachvollziehbar erfüllt zu werden pflegt. Damit wird sie zuweilen zum Auslöser weiterer Diskurse, die sich an der je individuellen Reaktion auf das in Rede stehende Kunstwerk einerseits und dessen Wahrnehmung in einer strittigen Kritik oder kontroversen Beurteilung andererseits entzünden. Vor dem bis hierher entfalteten theoretischen und methodischen Horizont gehen wir dann der Frage nach, wie Emotionen im Kunstdiskurs sprachlich vermittelt und welche 1 Nach dem altrömischem Rechtsgrundsatz “ Pronuntiatio sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigatur ” (Corpus Iuris Civilis Dig. 50, 16, 195) und im Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung (s. BVG-Personenstandsurteil 1 BvR 2019/ 16 v. 10. 10. 2017 gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und BGH-Personenbezeichnungsurteil VI ZR 143/ 17 v. 13. 03. 2018), aber auch in vager Erinnerung an dereinst noch gültige Regeln der deutschen Grammatik (cf. Glück 2020; Ruge 2021) möge das generische Maskulinum in diesem Beitrag Personen jedweden Geschlechts bezeichnen. 282 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) rhetorischen Mittel dafür genutzt werden. Anhand der qualitativen Inhaltsanalyse von zahlreichen Kunstkritiken ordnen wir diese nach drei Emotionskategorien, die wir als Zeichen im Sinne kultureller Codes reflektieren und als konventionelle Kategorisierungen negativer, positiver und ambivalenter Formen ästhetischen Ausdrucks deuten: Konzepte von Trauer, Furcht, Verzweiflung, Schrecken, Ekel usw. als negative Emotionskategorien z. B. bei (Kritiken über Bilder von) Munch, Bacon, Tanguy, Gerstl, Balthus, Gerhard Richter einerseits, von Leidenschaft, Lebensfreude, Magie als positive Emotionskategorien u. a. bei Kandinsky, Nolde, Klee andererseits und schließlich, drittens, ein Konzept von Melancholie als einer ambivalenten Emotionskategorie, der am Beispiel einiger Kritiken über Bilder von Lucien Freud, Anita Rée, Patrick Angus, Edward Hopper positiver wie negativer Sinn abgewonnen wird. Entgegen unserer Ausgangsvermutung bemühen sich die Journalisten und Kritiker überwiegend um sachliche Informationsvermittlung, sie geben Auskunft über die Künstler, ihre Stile und Techniken, die historisch-situative ‘ Rahmung ’ ihrer Werke, während sie ihre subjektiven Empfindungen und emotionalen Reaktionen durch verschiedene Legitimierungs- und Distanzierungsstrategien, immunisierende Formulierungen, argumentative Absicherungen, Referenzen auf Autoritäten, generalisierende Kollektiv- und Indefinitpronomina eher zu camouflieren als explizit auszustellen streben. Solche sprachlichen Strategien dienen dazu, durchaus subjektive Meinungen, Wertungen, Urteile mit einem Hauch von allgemein gültiger Evidenz zu versehen. Damit kann im Hinblick auf die von uns untersuchten Kritiken die verbreitete These, der darin überwiegende Diskurs sei maßgeblich durch die Vermittlung von Emotionen und subjektiven Evaluationen geprägt, eher nicht bestätigt werden. Selbst dort, wo sie in pejorativen Wertungen, meliorativen Kommentierungen, in Exklamativsätzen, Interjektionen, graphostilistisch auffälligen Interpunktionen zutage zu treten scheinen, erfüllen solche Stilmittel eher symbolisch-persuasive als symptomatisch-expressive Funktionen, d. h. Emotionen repräsentierende Referenzen auf Bildzeichen sind eher die Ausnahme. Eine Metakritik der Kritiken im Hinblick etwa auf die Frage, inwieweit die beobachteten sprachlichen Strategien der deskriptiv-informierenden, affirmativ-evaluierenden, immunisierend-argumentativen Kommentierungen überhaupt Raum lassen z. B. für klare ‘ Verrisse ’ und expressis verbis negativ wertende Urteile und deren Rechtfertigung durch Journalisten des Feuilletons, die für ihre emotionale Reaktion auf Kunstwerke als Personen einstehen, bleiben hier außer Betracht. Interessant wäre die Ergänzung der Studie um eine quantitative Analyse und die Ausweitung auf andere Arten von Kunstkritiken im Feuilleton, z. B. Musik- oder Architekturkritiken, um zu prüfen, ob sich unsere Befunde auch dafür würden bestätigen lassen. Im art Kunstmagazin (v. 07. 11. 2017) monierte die Kunstkritikerin Larissa Kikol, dass im aktuellen Kunstdiskurs intellektuelle Argumente, theoretische Konzepte und politische Bezüge viel zu sehr im Vordergrund stünden, weil nur sie dem Kritiker erlaubten, sich als Experte zu profilieren. DerAusdruck von Gefühlen oder Empfindungen sei da, bedauert sie, eher hinderlich: Wer heute auf einer Vernissage über Kunst und seine Gefühle spricht, läuft Gefahr als esoterischer Selbstfinder oder unkultivierter Nörgler abgestempelt zu werden - Kenner, Junggebliebene und Erfolgreiche argumentieren stattdessen mit Konzepten und politischen Aussagen. Gefühle sind Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 283 gefährlich, gerade dann wenn sie in Verbindung zu zeitgenössischer Kunst gesetzt werden (Kikol 2017). In diesem Insider-Diskurs dienten kunsttheoretische Konzepte und kunsthistorische Bezüge demnach der Abgrenzung nach außen und der Immunisierung der je eigenen Position. Sind die Kritiken also frei von Emotion und enthalten sich der Evaluation? Werden sie dem Anspruch vorgeblicher Neutralität gerecht? Verrät ihre Sprache nicht vielleicht doch etwas über eine emotionale Reaktion der Verfasser auf die Anschauung von Kunstwerken? Über den inneren “ Zusammenhang von Idee, Sprache und Realitätserfahrung ” (Nagl 1992: 86) kann vielleicht die Verbindung von semiotischer Theorie und kognitiver Linguistik Aufschluss geben, indem in einer Kunstkritik jeweils der triadische Bezug zwischen dem beschriebenen Kunstwerk (als dem Zeichenobjekt bzw. Referenten), der sprachlichen Form der Beschreibung (als dem Representamen) und den darin zum Ausdruck gebrachten Positionen und Gedanken (als den Interpretanten), das Emotionspotenzial sowie ihr semantischer Text-Welt-Bezug herauspräpariert wird. 2 Kunst als Zeichen “ Die einzigen Werte, die einem Kunstwerk Größe verleihen, sind emotionaler und sinnlicher Art ” , beharrte der Avantgarde-Künstler ‘ Hans ’ [ Johann Georg Albert] Hofmann kurz vor seiner Emigration in die USA 1932 (Harrison & Wood 1998: 444). Für ihn, dessen Werke die Nationalsozialisten da bereits als ‘ entartet ’ disqualifiziert hatten, war Kunst eine wichtige Quelle sinnlicher und emotionaler Erfahrung. Für andere ist sie, wie z. B. Andreas Mäckler 2000 zur Frage, was Kunst sei, neben ca. 1460 weiteren Antworten überliefert, “ eine Lüge, die uns die Wahrheit erkennen lässt ” (Picasso) und was sie ausmache, sei “ Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein ” (Adorno). Die Liste ließe sich von Polyklit und Platon bis Umberto Eco und Bazon Brock beliebig verlängern. “ Auf der Suche nach dem Ästhetischen ” wurde in dieser Zeitschrift (von Hess-Lüttich & Rellstab 2002) das Kunstwerk noch diesseits essentialistischer Wesensbestimmungen vorläufig als ‘ Text ’ im semiotischen Sinne bestimmt, auf den in öffentlichen Kommunikationsprozessen und gemäß definierbarer Kategorien als ästhetisches Objekt referiert wird. Solche Referenzen finden ihren Niederschlag insbesondere in der Medientextsorte Kunstkritik, die solche Objekte (z. B. mit John Dewey) als work of art bzw. als art product beschreibt und interpretiert (cf. Dewey 2 1995). Unser Interesse gilt hier also dem Verhältnis zwischen dem Kunstwerk als dem Referenten, dem sprachlichen Ausdruck seiner Beschreibung und Interpretation sowie den darin aufgehobenen Emotionskonzepten. Die Kategorie des ästhetischen Artefakts stellt demnach keine Konstante dar, sondern wird durch Akteure in Diskursen qua ‘ Rahmung ’ durch spezifische Kontexte (Galerien, Messen, Museen, Kunstgeschichten und -kritiken usw.) konstituiert (cf. Morris 1988: 91 f.; Derrida 1995: 25, 82). Diese Konstitutionsprozesse vollziehen sich intersubjektiv, im Gespräch der handelnden Akteure, ihrer Interpretationen als Zeichen des Interpreten, als Produkt der Summe ihrer Erfahrungen und der Bedingungen ihrer Existenz innerhalb einer bestimmten Kultur - und werden dadurch zum Gegenstand von (Meta-)Kommunikation (cf. Hess-Lüttich & Rellstab 2005: 282). Somit existiert ein Kunstwerk nur in einem “ Interpretationsprozess, den man ästhetische Wahrnehmung nennen kann ” (Morris 1988: 92), es ist m. a.W. als “ ein Zeichen 284 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) zu verstehen, das [. . .] seinerseits aus Zeichen zusammengesetzt ist, die eine komplexe Zeichenstruktur konstituieren ” (ibid.: 103). Die Wahrnehmung eines Objekts als eines ästhetischen ist das Ergebnis einer Interpretationsleistung, die in subjektiven Semioseprozessen Zeichen (das Denotat) über Zeichen (das Representamen) in Zeichen (Interpretanten) übersetzt. Wir betrachten Kunst also mit Umberto Eco (1993) als Kommunikationsphänomen, bei dem ästhetische Wahrnehmung einen “ interpretativen Dialog zwischen einem Kunstwerk und seinen Rezipienten ” initiiert (Schalk 2000: 17), der im Falle seines Gelingens zu einer Erkenntnisbeziehung zwischen Objekt und Rezipient führt, wobei zu dessen ‘ Offenheit ’ die “ Pluralität seiner Deutungen ” gehört, ein kreativer Prozess, der grundsätzlich unabgeschlossen ist (cf. Schalk 2000: 55). Ein ästhetisches Zeichen kann nicht “ losgelöst von den Signifikations- und Kommunikationsprozessen betrachtet werden, in denen es verwendet wird ” (ibid.: 101), denn es hat “ keinen Sinn an sich selbst ” (ibid.: 109), sondern erhält ihn erst durch seine Interpretation. Zeichen stehen “ in einem kontinuierlichen Zusammenhang mit weiteren Zeichen [. . .], die es wiederholen oder interpretieren ” , sie sind “ Zeichen für jemanden, sie werden rezipiert in Wirkungen, Gefühlen, Handlungen, das heißt in deutender, interner und externer Kommunikation ” (Nagl 1992: 39 f.). Rezeption und Interpretation von Kunst kann m. a.W. als Bildung von Interpretanten betrachtet werden, als stufenweiser Prozess der Bedeutungsbildung, indem er von der Perzeption eines Signifikats über eine vom Zeichen ausgelöste Wirkung zur Askription von Sinn führt. Es handelt sich beim Prozess der Kunstinterpretation um eine unendliche Zeichenkette über ‘ Werke in Bewegung ’ , deren Bedeutungsgenerierung “ sich gemäß konventioneller Codes vollzieht ” (cf. Eco 1977: 163; Fröhlich 2009: 162; Hess-Lüttich & Rellstab 2005: 253). Die elementaren Modi des Objektbezugs (Ikonizität, Indexikalität, Symbolizität) definieren nach Peirce, wie sich Zeichen auf Gegenstände und Sachverhalte beziehen, die sie bezeichnen (cf. Nagl 1992: 44). Ist das Zeichen dem Bezeichneten ähnlich, ist der Objektbezug (primär) ikonisch. Deshalb werden Werke insbesondere der Bildenden Kunst meist als ikonische Zeichenkomplexe aufgefasst. Freilich ist Similarität im Unterschied zur Repräsentation reflexiv, d. h. kein Ähnlichkeitsgrad ist hinreichende Bedingung für Repräsentation, weil sich immer Ähnlichkeiten zwischen Zeichen finden, erzeugen, konstruieren lassen, denn indem wir etwas repräsentieren, bringen wir es hervor (cf. Goodman 1995: 15 f.). Infolgedessen seien die sich im Wahrnehmungsprozess herausbildenden mentalen Bilder nicht als “ Abbilder der Realität [. . .], sondern als Produkte der menschlichen Einbildungskraft ” zu verstehen (Fröhlich 2009: 189). Aber auch in der Bildenden Kunst lassen sich indes symbolische und indexikalische Zeichen identifizieren, die im interpretativen Akt der Perzeption konstruiert werden. Auch in der Kunst sind die unterschiedlichen Modi der Objektreferenz mithin als in die Symbolstruktur der Sprache eingebettete Mischformen zu verstehen, die nicht anders als nur analytisch voneinander zu separieren sind. Die Wahrnehmung von Kunst, also auch die durch den ästhetischen Reiz ausgelöste emotionale Empfindung, wird durch die Symbolsprache immer schon mit geprägt: eine unmittelbare, nicht kategorisierte und unbezeichnete Gegenstandswelt, die erst “ in einem zweiten Schritt ‘ zu ’ den Zeichen gebracht ” werde (ibid.: 50), könne es nach Peirce nicht geben (cf. Nagl 1992: 50 f.). Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 285 3 Ästhetische Wahrnehmung, ästhetisches Urteil Aus dem antiken Begriff sinnlicher Anschauung, αἰσθητικός (aisth ē tikós) bzw. αἴσθησις (aísth ē sis, Wahrnehmung, Empfindung) leitet Alexander Gottlieb Baumgarten 1750 den Titel seines Hautwerkes Aesthetica ab, mit dem er eine “ Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis ” begründen will (Baumgarten [1750] 2009, § 1: “ A ESTHETICA [. . .] est scientia cognitionis sensitivae ” ), indem er das emotive Empfinden von Schönheit mit der kognitiven Praxis vernünftiger Erkenntnis zu verbinden strebt. Immanuel Kant knüpft in seiner Critik der Urtheilskraft (1790) daran an, ohne jedoch dessen metaphysische Begründung des überzeitlich Schönen zu übernehmen: Um zu unterscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung nicht durch den Verstand auf das Objekt zum Erkenntnisse, sondern durch die Einbildungskraft (vielleicht mit dem Verstande verbunden) auf das Subjekt und das Gefühl der Lust oder Unlust desselben. Das Geschmacksurteil ist also kein Erkenntnisurteil, mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann (Kant [1790] 1975: 279; 22 2015: 115). Die berühmte Kant ’ sche Formel von der “ Zweckmäßigkeit des Schönen ohne Zweck ” sah von der Nützlichkeit eines ästhetischen Objektes oder der essentialistischen Idee seiner Vollkommenheit ab, vielmehr liege sein einziger Zweck in ihnen selbst und damit in ihrer ästhetischen Einwirkung auf die Betrachter bzw. dessen Beurteilung und Kategorisierung des Objekts als eines ästhetischen. Das Geschmacksurteil ‘ schön ’ sei “ ohne Begriff ” auf etwas bezogen, was einem “ gefällt, was Wohlgefallen erregt ” (Waibl 2009: 129): “ Das Wohlgefallen, welches das Geschmacksurteil bestimmt, ist ohne alles Interesse ” (Kant 1975: 280; 22 2015: 116); es ist zwar subjektiv, aber nicht privat, sondern ein ‘ gemeinschaftliches ’ Urteil: Wenn man Objekte bloß nach Begriffen beurteilt, so geht alle Vorstellung der Schönheit verloren. Also kann es auch keine Regel geben, nach der jemand genötigt werden sollte, etwas für schön anzuerkennen. [. . .] Man will das Objekt seinen eigenen Augen unterwerfen, gleich als ob sein Wohlgefallen von der Empfindung abhinge; und dennoch, wenn man den Gegenstand alsdann schön nennt, glaubt man eine allgemeine Stimme für sich zu haben, und macht Anspruch auf den Beitritt von jedermann, da hingegen jede Privatempfindung nur für den Betrachtenden allein und sein Wohlgefallen entscheiden würde (Kant [1790] 1975: 294; 22 2015: 130). Das ästhetische Urteil ist also Kant zufolge zwar subjektiv und affektiv, enthält aber auch einen impliziten Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Der Geltungsanspruch dieses Urteils ist jedoch weder theoretisch begründbar noch empirisch belegbar, da es weder rationalisierbar, noch logisch, “ bloß nach Begriffen ” , und damit auch nicht nach dem Wahrheitsgehalt beurteilbar ist. Der Ausdruck eines ästhetischen Urteils manifestiert den subjektiven Geschmack und dessen Empfindung, ästhetische Erfahrung indes bleibt von “ den Bedeutungen und Begriffen eines kognitiven Weltverständnisses ” befreit (Lehmann 2016: 29). ‘ Erfahrung ’ ist bei Kant zwar ausschließlich empirisch orientiert, also naturwissenschaftlich erklärbar, aber es ist bei ihm auch von der “ reflektierenden Urteilskraft ” die Rede, die an “ das Paradigma der lebensweltlichen Gegenstandserkenntnis gebunden ” sei (ibid.). Ästhetische Erfahrung ist also als die Interpretation eines auf sinnlichen Reizen und Empfindungen basierenden Erlebnisses zu verstehen, das durch eine Art (körperlicher und 286 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) emotionaler) Distanz zum betrachteten Objekt gekennzeichnet ist (cf. ibid.: 23). Allerdings ist der Begriff ästhetische Erfahrung ambivalent, wie sich durch ein Wortprofil des Adjektivs ästhetisch auf der Basis des DWDS-Textcorpus zeigen lässt (www.dwds.de/ wp/ ästhetisch), das die Collocation ästhetische Erfahrung als eine der höchstfrequentierten, jedoch kaum signifikanten Verbindungen in überwiegend kunsttheoretischen Diskursen erweist - zum Beispiel in einer bürgerlich-liberalen Hamburger Wochenzeitung 2 : (a) Wir genießen den Affekt ästhetisch, bis er, wie jede ästhetische Erfahrung, abklingt, und vergessen dann gleich mit, was ihn ausgelöst hat (Die Zeit, 21. 11. 2017). (b) Das ist eine genuin ästhetische Erfahrung: Poesie ist das, was sich dem blanken Verstehen entzieht und dafür durch dunkle Schönheit weite Projektionsräume öffnet (Die Zeit, 23. 12. 2014). (c) Nur das Unabsehbare der ästhetischen Erfahrung birgt die Chance, sich auf ein neues Sehen einzulassen, vielleicht sogar auf neue Selbsterkenntnis (Die Zeit, 03. 05. 2012). (d) Hier geht es darum, eine zweite Welt aufzuschließen, in der die ästhetische Erfahrung mindestens so wichtig ist wie die kognitive (Die Zeit, 01. 07. 2010). Da eine kunsttheoretische Begründung dieser Collocation in den Presseartikeln fehlt, fungiert sie quasi als Antonym zur kognitiven Erfahrung wie in (b) und (d). In den Beispielen scheint die Spannungsdifferenz zwischen ästhetischer und kognitiver Erfahrung - wie in (b) ‘ das blanke Verstehen ’ , in (c) die ‘ neue Selbsterkenntnis ’ , in (d) die ‘ kognitive Erfahrung ’ - oder ‘ sinnlicher Erfahrung ’ im Sinne eines physiologischen Perzeptions- und Reaktionsprozesses - wie in (a) ‘ der Affekt ’ , in (c) ‘ das neue Sehen ’ - eher bekräftigt zu werden. Demgegenüber ist die Collocation ästhetisches Empfinden im selben Corpus seltener, aber auffälliger 3 : (e) Viel schwerer fällt mir das Altern an sich, wenn ich in den Spiegel gucke und merke, wie mir die Spannkraft und Energie abhandenkommen - das berührt auch mein ästhetisches Empfinden (Die Zeit, 13. 10. 2017). (f ) Die Jüngeren sind unbefangen und ihr ästhetisches Empfinden ist globalisiert: Mit seiner Mischung aus Niedlichkeit und Seriosität verkörpert der Spitz das von Japan ausgehende Kawaii-Ideal und hat deshalb beste Karten für die Rückeroberung der Welt (Die Zeit, 06. 05. 2017). (g) Sie stören eine Mitbewohnerin in ihrem ästhetischen Empfinden so stark, dass der dauernde Blick auf die Zwerge unzumutbar ist, entscheidet das Oberlandesgericht Hamburg (Die Zeit, 08. 06. 2016). 2 Das Textcorpus des DWDS (www.deds.de/ r) wird hier für den Vergleich von Lexemen und Collocationen auf das Teilcorpus der Zeit eingegrenzt (das Corpus umfasst Texte von 1946 bis 2018 und besteht aus 1'212'177 Dokumenten bzw. 30'486'836 Sätzen oder 563'306'517 Tokens). 3 Häufigkeitswerte im Verhältnis zu ihrer Salienz: 308 Vorkommnisse bei Salienz 8,5 zu 541 Vorkommnissen mit Salienz 7,0 der ästhetischen Erfahrung laut Wortprofil auf www.dwds.de/ wp/ ästhetisch sowie 121 Ergebnisse für ästhetische Erfahrung und 77 Ergebnisse für ästhetisches Empfinden in den Corpusbelegen auf www.dwds. de/ r [27. 06. 2018] Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 287 Im Gegensatz zur Collocation ästhetische Erfahrung wird ästhetisches Empfinden in allen möglichen Kontexten gebraucht - meist in Verbindung mit Possessivpronomen (was die Subjektivität dieses Empfindens unterstreicht) - und verbindet expressis verbis das ästhetische Urteil mit emotionaler Perzeption und körperlichen Sinnesmodalitäten wie ‘ das Sehen ’ in (e) und (g) bzw. ‘ das Aussehen ’ in (f ). Wenn die moderne Hirnforschung solche somatischen Reaktionen auf ästhetische Zeichen ( ‘ das Empfinden ’ ) heute mit modernen Messtechniken empirisch zu erfassen und auszuwerten sucht, spricht sie von ästhetischem Erleben, das sie in Form von Empfindungswerten und Gehirnaktivitäten experimentell vermessen zu können hofft, um damit einen Beitrag zur Empirisierung der Ästhetik zu leisten (cf. Pöppel 1993: 227; Lehmann 2016: 104). Um etwa die Frage zu beantworten, ob und (wenn ja) wie sich das ästhetische Urteil als emotional-physiologisches Erleben intersubjektiv nachweisen lässt (cf. Silvia 2005; id. 2009; Kuchinke et al. 2009), verbinden Martin Tröndle und Wolfgang Tschacher in ihrem interdisziplinären Projekt ‘ eMotion - mapping museum experience ’ neue experimentelle Erhebungs- und Darstellungsmethoden (z. B. Armbänder mit einer Trackingtechnologie, die u. a. Pulsschlag und Hautleitwert der Museumbesucher misst) mit sozialwissenschaftlichempirischen Erhebungen (Tröndle & Tschacher 2012). Dabei werden die quantitativ erhobenen Daten durch individualisierte Befragungen zum ‘ ästhetischen Erleben ’ ergänzt. Damit meinen die Autoren durch Kunstwerke evozierte Emotionen (wie fröhlich, überrascht, verärgert, bedrückt etc.), ästhetische Bewertungen (wie schön, rührend, künstlerisch, anspruchsvoll, eminent) und allgemeine Beurteilungen (wie dominant, anregend, positiv, exponiert, berühmt etc.) erfassen zu können (ibid.: 99). Aus den Evaluationen lassen sich nach ihrer Auffassung die Kategorien der fünf Haupteigenschaften der Betrachtung eines Kunstwerkes extrahieren, die Auskunft darüber geben, ob ein Kunstwerk zufriedenstellend, schön, technisch, kompositorisch oder inhaltlich beeindruckend sei. Wenn ein Kunstwerk den Betrachter überrascht oder zum Lachen reizt (Kategorie ‘ Überraschungseffekt/ Humor ’ ), ihn ängstigt, traurig oder wütend macht ( ‘ negative Emotionen ’ ), ihm dominant-stimulierend erscheint ( ‘ Dominanz ’ ), er es als kontextuell angemessen exponiert empfindet ( ‘ kuratorische Qualität ’ ), erlaube das ein intersubjektiv prüfbares und diskursiv begründbares Urteil über die ästhetische Qualität des Kunstwerks (cf. Tschacher et al. 2012). Indem die Studie beim Abgleich der quantitativen und qualitativen Daten signifikante Zusammenhänge zwischen physiologischen Variablen und ästhetisch-emotionalen Bewertungen aufdeckt, liefert sie einen empirisch gestützten Hinweis darauf, dass ästhetisches Empfinden bzw. Erleben in der Betrachtung von Kunst sich auch physiologisch niederschlägt. Auch wenn Ästhetik, Kunstrezeption und -interpretation nicht auf die Messwerte von ‘ Reizempfängern ’ reduziert werden kann, bietet der durch individualisierte Befragungen hergestellte Zusammenhang zwischen der beobachtbaren Kunstrezeption (als einer Tätigkeit) und dem (als ‘ innere Handlung ’ ablaufenden) ästhetischen Erleben sowie den anschließend sprachlich kommunizierten Bewertungen interessante Anhaltspunkte für die argumentative Rechtfertigung ästhetischer Urteile. 288 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) 4 Emotion als Zeichen - Ratio und Affekt 4.1 Gedanke und Gefühl Wenn Kunstkritiker auf Kunstwerke referieren, operieren sie im Spannungsfeld zwischen rationalen und affektiven Handlungsfeldern, ihre Kritiken beanspruchen einerseits (da ‘ realitätsabbildend ’ ) Objektivivität, andererseits sind sie (durch ihre ‘ realitätskonstruierende ’ Funktion) subjektiv infolge der individuellen, nicht objektivierbaren Wahrnehmungsprozesse, die sich in einer Objektbeschreibung niederschlagen: Bei einem Bild wie ‘ Early Sunday Morning ’ liegt die Bedeutung in den langen Schatten, dem Sonnenlicht auf flachen rötlichen Mauersteinen, dem Streifen fast wolkenlosen Himmels, den gelben, durch Schatten unterteilten Fensterläden und dem Ladenzeichen der Friseure, dem barber pole, dessen leichte Neigung auf dieser streng geradlinigen Leinwand den sonderbaren Effekt hat, dass die Straße bergab zu verlaufen scheint, von links nach rechts ( John Updike in: Die Zeit, 27. 05. 2004). Indem John Updike hier auf Edward Hoppers berühmtes Bild ‘ Early Sunday Morning ’ referiert, stellt er eine individuelle Beziehung zwischen sich und dem Objekt her, deren Ausgangspunkt immer der Standpunt des Betrachters ist. Wie er das Objekt (das Bild) sprachlich beschreibt (re-konstruiert), hängt von seinen kognitiven, affektiven und verbalen Kompetenzen ab. Seine Sicht auf das Bild integriert er in sein ‘ Weltwissen ’ , die auf ihn treffenden optischen Reize lösen (bottom-up) interne Aktivierungs- und Elaborationsprozesse aus, die (top-down) seinem sprachlichen Handeln die ‘ Perspektive ’ verleihen. Das ihm vorgeschaltete ‘ innere Handeln ’ ist also zugleich kognitiv und emotiv geprägt. Für den interaktionstheoretisch inspirierten Ansatz stellen Kognition/ Ratio und Emotion/ Affekt zwei autonome, aber interdependente Systeme dar, die “ zahlreiche, wechselseitige Interaktionen aufweisen [und] auf denselben fundamentalen Prinzipien der Gedächtnisspeicherung und Aufmerksamkeitssteuerung beruhen ” (Schwarz-Friesel 2 2013: 117). Auch das oben zitierte Beispiel enthält bei genauer Betrachtung beides: einerseits die kognitiven Prozesse der sensorischen Verarbeitung des angeschauten Bildes, der Reflexion des Gesehenen, des Abgleichs mit schon gespeichertem Wissen usw., andererseits die subjektiven Kommentierung des Wahrgenommen in den Attribuierungen wie “ leichte Neigung auf streng geradliniger Leinwand ” , was einen “ sonderbaren Effekt ” habe. “ Die langen Schatten ” , “ das Sonnenlicht auf flachen rötlichen Mauersteinen ” , “ der Streifen fast wolkenlosen Himmels ” , die “ gelben, durch Schatten unterteilten Fensterläden ” wird kein Betrachter in exakt derselben Weise wahrnehmen wie Updike, aber die Attribute wecken beim Leser Assoziationen, die qua Sprache jene vom Autor intendierte Stimmung evoziert, die ihn (den Leser) seine Vorstellung des Bildes generieren lässt, selbst wenn er es noch nie gesehen hat. Der ‘ Eindruck ’ , den der Leser durch die Beschreibung gewinnt, ist durch die Sprache des Autors konstituiert, und nur sie ist als Ausdruck von dessen ästhetischer ‘ Empfindung ’ rationaler Analyse durch Dritte zugänglich. Die in Deskription und Evaluation (Perspektivierung) aufgehobene Vermittlung der Einstellung des Kritikers ist mithin ein zugleich kognitiver und emotiver Prozess. Ein ähnliches Problem stellt sich beim Versuch der Abgrenzung von Gedanke und Gefühl: beides basiert auf kognitiven Prozessen (Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung) und dient als Erkenntnis- und Bewertungskategorie. Der Unterschied liegt jedoch Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 289 in der kognitiven Kontrolle und Evokation emotionaler Zustände und Prozesse, die als subkognitive neurophysiologisch im limbischen System verankert und an somatische Erregungs- und inhärente Instinktprogramme gekoppelt sind. Gedanken lassen sich propositional repräsentieren oder semantisch analysieren; das ist bei Gefühlen allenfalls über die Metaebene sprachlicher Objektivation (etwa in Lexikoneinträgen) möglich (cf. ibid.: 98 f.). Emotion als Kategorie des Wissens dient dazu, erlebte, erfahrene oder angeborene Zustände als eine Art Muster abzuspeichern, um diese nach Bedarf und Situation zu aktivieren. Dank ihrer Bewertungsfunktion lassen sich innere oder äußere Sachverhalte einschätzen und beurteilen. Emotionale Einstellungen basieren also einerseits auf kognitiven Repräsentationen und den darauf aufgebauten Einschätzungen und Urteilen, andererseits determinieren sie die Kategorisierungs-, Entscheidungs- und Handlungsprozesse und wirken sich auf die im Gedächtnis gespeicherten mentalen Repräsentationen und kognitiven Schemata aus; ohne kognitive Prozesse kommen Emotionen gar nicht zustande, die ihrerseits das rationale Handeln begleiten, gar steuern und Denkprozesse auslösen oder umgekehrt von diesen ausgelöst werden können (cf. ibid.: 82 ff., 110 ff.). Nun ist die Semantik von Gefühl nicht etwa identisch mit der von Emotion, wie der Vergleich des Satzes “ Ich hab ’ das Gefühl, dass xy ” mit dem Satz * “ Ich hab ’ die Emotion, dass xy ” anschaulich macht. Gefühle sind als individuell und bewusst erlebte, subjektiv interpretierte Emotionen zu verstehen, die nach ihrer (De-)Codierung an eine Bewertung bzw. ein Urteil geknüpft sind, m. a.W. “ subjektive Bewertungen bewusst wahrgenommener Emotionszustände ” , die sprachlich codierbar und verbal manifestierbar sind (ibid.: 80). Uns interessieren hier in erster Linie die im Text auffindbaren Emotionskategorien und Emotionspotenziale in den Bewertungen sowie Emotionskonzepte als die in einem Kotext konstruierten, sprachlich manifestierten Konzeptualisierungen von Emotionen, um aufzuspüren, wie Emotion als eine Art Vermittlerin zwischen der inneren Handlung (in den intern ablaufenden affektiv-kognitiven Prozessen) und derAußenwelt (als Reaktion in Form von sprachlichen Äußerungen) fungiert. 4.2 Emotion als Symptom, Signal und Symbol Wer unwillkürlich Emotionen ‘ zeigt ’ , erlaubt dem, der sie wahrnimmt, Schlüsse auf ‘ innere Handlungen ’ im Sinne von Reaktionen auf Anlässe, auf interne oder externe Umstände oder Prozesse; sie fungieren dann als Indices, als An-Zeichen oder Symptome innerer ‘ Zustände ’ . Wer Emotionen zu zeigen intendiert oder sie (z. B. als Schauspieler) inszeniert, sendet sie als Signale an den oder die Kommunikationspartner, um ihnen etwas über sich mitzuteilen. Charles Sanders Peirce zählt Emotionen zur Zeichenstruktur des Interpretanten und widerspricht damit der seinerzeit vorherrschenden naturalistisch orientierten Empfindungstheorie, die Emotionen dem physiologischen System zuordnet (cf. Beeson 2008: 141). Bei ihm steht dagegen die Kognition im Vordergrund, die Gefühle, Bewertungen und auch Handlungsimpulse erst definiert und damit eine Art mentaler Kommunikation mit der äußeren Gegenstandswelt entstehen lässt: “ Every phenomenon of our mental life is more or less like cognition. Every emotion, every burst of passion, every exercise of will, is like cognition ” (CP 1.376, Peirce 2 1960: 199). Im Anschluss an die berühmte Triadizität formaler Konstanten der Objekterfahrung (firstness, secondness, thirdness) bei Peirce (CP 1.23 - 1.25, CP 1.530 - 1.539, in: Peirce 290 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) 2 1960: 7 f., 280 ff.) beschreibt Ludwig Nagl (1992: 52) das, was “ sinnlich rezipiert werden kann ” als Qualizeichen (cf. CP 1.533, Peirce 2 1960: 281), als Möglichkeitsraum für weitere Zeichenrelationen und die Interpretation basaler Sinnesqualitäten (Freude, Trauer, Schmerz) und präsentischer Empfindungen (z. B. der Farbe ‘ blau ’ oder ‘ rot ’ , cf. Nagl 1992: 98). Deren Verwirklichung im Sinne von hard facts bzw. actual facts (CP 1.525, CP 1.418, Peirce 2 1960: 278), wird als Sinzeichen des hic et nunc als Stimmung Erlebten oder als Farbton Wahrgenommenen repräsentiert, das als ein interner “ Zusammenstoß mit dem Außen ” durch die kognitive Wahrnehmung und deren Bewertung (perceptual judgement, CP 5.181, Peirce 2 1960: 112 f.) oder aktiv als Erlebnis “ in einer Willenshandlung ” zustande kommen kann (Nagl 1992: 95). Wahrnehmung und Handeln sind damit Voraussetzung für die Erfahrung der secondness. Die kognitive Synthese leistet die thirdness als Vermittlungsinstanz, die “ ein Erstes und Zweites über ein Drittes zueinander in Beziehung ” setzt (Hess-Lüttich 2016: 194): “ The third is thought in its role as governing Secondness. It brings the information into the mind or determines the idea and gives it body. It is informing thought, or cognition ” (CP 1.538, Peirce 2 1960: 284). Währenddessen werden die Objekte aus der Gegenstandswelt als mentale Bilder (die Zeichenobjekte) mit Hilfe von Symbolzeichen der Sprache (der Zeichenträger) über einen bewusst ablaufenden, emotional-kognitiven Akt mittels Deutungen und Urteilen (Interpretanten) zu einem Ganzen zusammengeführt. Emotionen werden in Zeichenprozessen hervorgebracht und kommuniziert, die sich den semiotischen Kategorien der Symptom-, Symbol- und Signalfunktion zuordnen lassen (cf. Schiewer 2014: 92). Die Relation zwischen (Zeichen-)Sender, (Zeichen-)Empfänger und den vermittelten bzw. empfangenen Gegenständen und Sachverhalten als Referenten hat bekanntlich schon das berühmte Organonmodell Karl Bühlers (1982: 28) anschaulich zusammengefasst: indem ein Sprecher Sachverhalte beschreibt, verbalisiert und an einen Empfänger richtet (Darstellung, Ausdruck, Appell), stellt er das intentional Gemeinte symbolisch dar, was zugleich als Symptom (als Anzeichen) seiner Verfassung/ Einstellung und für den Adressaten als Signal figuriert. Danach lassen sich Emotionen dann als Symptome auffassen, wenn deren Kommunikation “ expressive Qualitäten ” aufweist, der Sprecher oder Autor also seine eigene Befindlichkeit oder Einstellung, seine Gedanken und Gefühle direkt oder indirekt ausdrückt oder beschreibt und damit sich selbst in den Focus stellt (cf. Schwarz-Friesel 2 2013: 136). Symbolisch an der Emotion ist mithin dessen sprachlicher Ausdruck, sei es in konventionalisierten Text- und Dialogsorten wie Gratulationen, Danksagungen, Beileidsbekundungen, Kondolenzbriefen, sei es in rhetorischen Tropen und Figuren wie Metaphern, Exklamationen, Ellipsen, Iterationen usw. Emotion als Signal zielt auf die Beeinflussung des Adressaten und seine Einstellung oder Wahrnehmung etwa durch bestimmte kommunikative Strategien der Persuasion, Perspektivierung, Emotionalisierung etc. Noch in der oberflächlich sachlichsten Darstellung sind expressive Qualitäten auszumachen, die sich in Dialogkonstellationen je spezifisch entfalten, d. h. je nachdem wie die Dialogpartner die Bedeutung der vermittelten Sachverhalte (für sich) bewerten, m. a.W. besitzt jeder Text “ neben seinem Referenzpotenzial nicht nur ein kognitives Inferenzpotenzial, sondern auch ein Emotion(alisierungs)potenzial ” (Schwarz-Friesel 2 2013: 41). Dabei ist im Hinblick auf die Manifestation von Emotion zwischen Ausdruck und Thematisierung von Emotionen zu unterscheiden (cf. Schiewer 2014: 91). Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 291 Bei der Thematisierung von Emotionen wird das eigene Erleben und Empfinden, sofern und soweit es erkannt und reflektiert ist, verbal benannt und beschrieben, meist durch sog. ‘ Gefühlswörter ’ , also Lexeme, mit denen man einzelne Emotionen oder “ erlebnisrelevante Ereignisse und Sachverhalte ” bezeichnet (cf. Schiewer 2014: 91). Linguistische Untersuchungen konzentrierten sich bei der Analyse des Gebrauchs von Gefühlswörtern auf die Bestandsaufnahme, Klassifizierung, Wortfeldanalyse und die semantische Abgrenzung bestimmter Emotionsklassen als Hyperonyme und Hyponyme (von Nomina wie Freude, Liebe, Glück, Ärger, Angst, Furcht, Verzweiflung bzw. Verben wie hassen, lieben, trauern, freuen und Adjektiven wie traurig, glücklich, wütend) sowie die Zuordnung semantischer Merkmale und Konnotationen (cf. Schwarz-Friesel 2 2013: 144 f.). Symptomfunktionen für den Ausdruck von Gefühlen können auch Interjektionen (ach, oh), Exklamativsätze, pejorative oder meliorative Konnotationen, Schimpf- und Kosewörter, Diminutivsuffixe (Engelchen, Schätzchen), Komposita wie Superstar, Farbenexplosion, Adjektive wie knallbunt, bildschön), Interpunktionsformen (Ausrufezeichen, Fragezeichen, Auslassungspunkte), Abtönungen durch Modalpartikeln (endlich, leider, doch, eben etc.) sowie die vielfältigen Formen somatisch-physiologischer Expressivität übernehmen. Je nach Kontext und Konstellation enthält praktisch jede Äußerung Emotionspotenziale, kann jede Bewertung, Stellungnahme oder Beschreibung emotionale Einstellungen (als Symptom, Signal oder Symbol) widerspiegeln und, ob beabsichtigt oder nicht, Gefühle hervorrufen. Die Emotionspotenziale und Intensitätsgrade einer Äußerung variieren also abhängig von emotionsbezeichnenden Lexemen, syntaktischen Konstruktionen und kommunikativen Strategien. Die unterschiedlich codierten Emotionskategorien lassen sich oft erst in komplexeren satzübergreifenden Textstrukturen identifizieren. Weil eine strikte Trennung von Emotion und Kognition kaum möglich ist, sind nicht nur die Gefühle explizit thematisierenden, sie bezeichnenden oder beschreibenden Äußerungen als deren Manifestation zu betrachten, sondern auch die damit einhergehenden reflektierenden, kommentierenden und evaluativen Komponenten, die über ihre Symbolfunktion “ den inneren Zustand des Sprechers ausdrücken ” (ibid.: 147). 5 Sprechen über Kunst 5.1 Kunst als Text Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen, darum scheint es eine Thorheit sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen; doch indem wir uns darin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zu gute kommt. Johann Wolfgang v. Goethe 4 Ein Objekt als Kunst wahrnehmen heißt eine Zeichenrelation herstellen zwischen Künstler, Werk und Betrachter. Das ist in Anlehnung an Nelson Goodman ein zugleich affektiver und kognitiver Akt in einer Art dialogischer Konstellation: “ Sowohl Abbildung als auch 4 Johann Wolfgang von Goethe 1993: Sprüche in Prosa. Sämtliche Maximen und Reflexionen, 1.238, vol. 13, Frankfurt am Main: Deutscher Klassikerverlag, 39. 292 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) Beschreibung sind an der Formung und Charakterisierung der Welt beteiligt; und sie interagieren miteinander wie auch mit der Wahrnehmung und dem Wissen ” (Goodman 1995: 48). Ein solcher Dialog setzt voraus, dass die daran Beteiligten (Künstler und Betrachter, Kunstkritiker und Leser/ Hörer) über ein geteiltes Symbolrepertoire verfügen, das ihnen erlaubt, sich über die involvierten Zeichenrelationen zu verständigen: die Bedeutung eines Bildes etwa bedarf der Sprache, um sich mitzuteilen; über es zu sprechen heißt ihm eine Bedeutung zuschreiben, um je seinen Sinn zu erfassen und zu kommunizieren. Man kann diesen mehrdimensionalen Semioseprozess mit Hilfe des Bühlerschen Modells etwa so veranschaulichen (Abb. 1): Abb. 1: Sprechen über Kunst (frei nach Bühler 1934, 1965, 1982) In diesem Semioseprozess stellt der Betrachter des Kunstwerks - hier verstanden als Zeichenkomplex, also “ ein strukturiertes Gewebe oder Geflecht von Elementen (Zeichenträgern nicht unbedingt nur einer Materialität), die nach den Regeln der Syntaktik einander zugeordnet werden ” (Hess-Lüttich 2016: 196) - (Sinn-)Zusammenhänge zwischen Zeichen, Zeichenträgern und Interpretanten her, indem “ er von einem Teil des Kunstgegenstandes zum anderen fortschreitet, auf gewisseTeile als auf Zeichen anderer Teile reagiert und so aus den Teilreaktionen eine Gesamtreaktion (und somit einen einheitlichen Wahrnehmungsgegenstand) aufbaut ” (Morris 1988: 101). Der Interpret ordnet die in dem betrachteten Objekt wahrgenommenen Zeichen ihren Bedeutungen zu, deutet und bewertet sie und leitet daraus ihre ästhetisch-emotionale Wirkung ab: “ Sehen heißt, einige wesentliche Merkmale des Objekts erfassen - die Bläue des Himmels, den Schwung eines Schwanenhalses, den Glanz eines Metalls, die Geradheit einer Zigarette ” (Arnheim 1965: 30). Jede Wahrnehmung ist mit ihrer Bewertung und damit zugleich mit Empfindungskategorien wie schön, hässlich, verstörend, unangenehm etc. verknüpft, die in der Wahrnehmungspsycho- Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 293 logie auch als “ emotionale Begleiterscheinungen ” registriert werden (cf. Schuster 2000: 123). Kunst als Text verstanden bedarf zu seiner Realisierung einer Materialität, die als Medium fungiert und die Grundlage für dessen Form und Substanz bildet. Sie wird nach Peirce durch die firstness repräsentiert und ist als Qualizeichen potenzielle Quelle sinnlicher Wahrnehmung und unmittelbarer Gefühle, was ihre Wirkung und Erinnerung verstärkt. Die vom Künstler z. B. in seinem Bild verwendeten Materialien, seine Anordnung der Farben, seine Führung des Pinselstrichs sind das, was Peirce die tones genannt hat und was die Bedeutung des Bildes mit ausmacht: Linien drücken also die Art und Weise aus, in der die Dinge aufeinander und auf uns einwirken, die Art, in der die Dinge sich in ihrem Zusammenwirken gegenseitig fördern oder sich beeinträchtigen. Aus diesem Grund sind Linien geschlängelt, aufrecht, schräg, gekrümmt, erhaben; aus diesem Grund scheinen sie in der unmittelbaren Wahrnehmung moralische Ausdruckskraft zu besitzen (Dewey 2 1995: 119). Die tones aktivieren mentale Konzepte beim Betrachter, die Farbtöne und ihre Anordnung etwa beeinflussen seine Stimmung, seine Gefühle; manch einer empfindet sie nicht nur als hell oder dunkel, sondern auch als kalt oder warm, laut oder leise, was auf Synästhesien zwischen den Sinnesmodalitäten schließen lässt (cf. Schuster 2000: 79); nicht selten lösen sie unbewusste Assoziationen aus, Erinnerungen an bestimmte Erfahrungen, erlebte Situationen; zuweilen figurieren sie auch als Symbole konventionalisierter Zuordnungen von Farbe und Emotion (gelb für Neid, grün für Hoffnung, rot für Liebe, grau für Melancholie, blau für Trauer etc. - cf. Heller 1994: 13). Die Bildrezeption ist zwar, wie erwähnt, sowohl datengeleitet und reizgesteuert (bottomup) als auch wissensorientiert (top-down), aber die Wahrnehmung ihrer Bedeutung und deren Interpretation ist, woran schon Ernst H. Gombrich (1994: 12) erinnerte, nur da möglich, wo sie feste “ Anhaltspunkte ” in der Bildsyntax bietet, nur dann also, wenn die Form des Objekts, die Farben, Helligkeitsgrade, Konturen ‘ erkannt ’ und kategorisiert werden. Die möglichen Leerstellen, die gaps eines Werkes werden durch konzeptuelle Elaboration, durch kognitive Ergänzung gefüllt und evozieren neue Assoziationen zwischen dem Gesehenen und dem bereits Bekannten. Das individuelle Weltwissen, die persönlichen Erfahrungen, die kognitiven, affektiven und sprachlichen Kompetenzen des Betrachters werden in das Gesehene gleichsam ‘ hineinprojiziert ’ : “ Die verschiedenen und verschieden aufgebauten Dramen von Linien, Kurven und Winkeln spielen sich nicht im Marmor oder in der Farbe ab, durch die dem Betrachteten Gestalt verliehen wird, sondern einzig und allein in uns selbst ” (Dewey 2 1995: 121). Empirische Untersuchungen mithilfe von eye-tracking-Verfahren konnten zeigen, wie die Erfassung eines Bildes der eines schriftlichen Textes gleicht, wie sich scanpaths und Blickmuster herausbilden, die zwischen hierarchisch aufgebauten Bildelementen zuerst Verknüpfungen konstruieren und aus den nicht mehr zerlegbaren Bildteilen ein Gesamtbild herstellen, denen die semantischen Deutungen zugeordnet werden (cf. Schreiber 2010: 105 f.). Aus dem Gesehenen wird ein Ganzes organisiert, indem “ logische Analogien zwischen Sinn und Erscheinung ” geschaffen und “ durch Nähe und Ähnlichkeit aufeinander bezogen werden ” (Arnheim 1989: 29), oder die Bedeutungsorganisation verläuft umgekehrt 294 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) vom Bild zu den Bildelementen, “ vom Ganzen zu den Teilen hin ” (Schmitz 2011: 31). Jedenfalls bedarf es anders als ein Schriftstück nicht der linearen, sequenziellen Lektüre und bleibt damit in seiner Ausdrucks- und Darstellungsfunktion als Medium für präzise Informationsübermittlung der Sprache unterlegen (cf. Gombrich 1984: 138 ff.). Die berüchtigte Laienfrage - “ Was will der Künstler uns damit sagen? ” - ist also bestenfalls metaphorisch, denn die ‘ Sprache ’ des Bildes bleibt semantisch unterdeterminiert und erlaubt anders als bei sprachlichen Mitteilungen allenfalls die Aktivierung von Bedeutungspotentialen durch gegebene ‘ Rahmung ’ (Derrida) und subjektive Zuschreibung (cf. Stöckl 2011: 49). Unabhängig von seiner ‘ syntaktischen Dichte ’ , seiner realitätstreuen Darstellung, seiner strukturellen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit kann ein Bild selbst da nicht als ‘ wahr ’ oder ‘ falsch ’ bezeichnet werden, wo es reale Gegenstände, Personen, Situationen oder Handlungen ‘ zeigt ’ oder optische Täuschungen enthält, denn der Erkenntniswert von Bildern wird nicht propositional gewonnen: sie stellen Sachverhalte dar, können sie aber nicht prädikativ beschreiben, sie vermitteln etwas, ohne es mitzuteilen (cf. Gabriel 2010: 23 f.). 5.2 Kunstkritik als Textsorte Aufgabe der Kunstkritik ist die “ Deutung und Bewertung von Werken der Kunst, besonders der zeitgenössischen ” (www.dwds.de/ kunstkritik [10. 09. 2018]). In ihr wird das Verstehen des angeschauten Kunstwerks sprachlich. “ Sprachform und Sprachgestus sind Ausdruck einer Wahrnehmung und der Vorstellung dessen, was ein Werk und dessen Wahrnehmung im Betrachter bewirken sollen bzw. tatsächlich bewirken und wie der subjektive Eindruck verallgemeinerungsfähig werden kann ” (Söntgen 2016: 136). Die allgemeine Textsortendeklaration Kunstkritik fungiert im weiteren Sinne als Hyperonym für Kritiken in den diversen Sparten der Kunst (Literatur, Theater, Musik, Plastik, Filmkunst, Videokunst etc.), im engeren als Hyponym für Rezensionen zu Werken der Bildenden Kunst (cf. zum Folgenden Thim-Mabrey 2016). Ihr Ziel ist gemäß ihrer deklarativen und informativen Funktion die Interpretation und Einordnung des Geschauten, ihr Zweck dessen Beurteilung und Bewertung. Als journalistische Textsorte ist sie Teil öffentlicher Kommunikation und ihrer publizistischen Mediensubsysteme. Ihr Anlass ist i. d. R. ein temporal und lokal situiertes aktuelles Ereignis wie die Eröffnung einer Ausstellung, eine Retrospektive, eine Aufführung, eine Kunstperformance. Der Verfasser einer Kunstkritik bürgt für deren Qualität, sein Renommee als Experte entscheidet über deren Verbreitung, seine sprachliche Kunstfertigkeit über die Anerkennung seines Urteils und Einflusses. Der Kunstkritiker ist Vermittler und Richter, Deuter und Übersetzer, sein Wort hat Gewicht im Kunstdiskurs, in dem ihm als normativer Instanz potentielle Macht zufließt. Im Unterschied zum Kunstwissenschaftler muss der Kunstkritiker nicht notwendigerweise durch die Kraft seines Arguments überzeugen, ihm fällt vielmehr die Aufgabe zu, das interessierte Publikum über den Künstler, sein Werk und dessen Kontext zu informieren, das vielleicht Unverstandene seiner Schöpfung verstehbar zu machen, ihren ästhetischen Rang kritisch zu würdigen, sein Lob oder Verdikt aus dem Beschriebenen heraus zu rechtfertigen. Indem er dies tut, verweist er zugleich auf sich selbst zurück als Experte, als Kunstkenner mit scharfem Auge und sicherem Urteil, und etabliert oder festigt damit seinen Status im sozialen Rahmen öffentlicher Kunstkommunikation. Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 295 Die evaluative Funktion des Textes erschließt sich dabei oft indirekt und implizit aus der deskriptiven, sie verrät sich zuweilen erst durch oberflächlich kaum merkliche stilistische Abtönungen (im Partikelgebrauch), durch die diskrete Verflechtung sachlicher Beschreibung und subjektiver Meinung, zeigt sich im kaum kaschierten Anspruch allgemeiner Gültigkeit des Urteils, das indes Ergebnis individueller Wertung ist, die von Emotion nicht immer frei ist. Manche reflektieren diese Ambivalenz auf einer Metaebene des Textes, andere stellen die dem Genre inhärente Problematik des ästhetischen Urteils unbekümmert in Abrede. Und alle sehen sich verwiesen auf dessen Wandelbarkeit, das sich normativer Festlegung entzieht und nur Immanuel Kants “ subjektive Allgemeinheit ” ästhetischer Wertung zum Grunde hat: Es kann keine objektive Geschmacksregel, welche durch Begriffe bestimmte, was schön sei, geben. Denn alles Urteil aus dieser Quelle ist ästhetisch; d. i. das Gefühl des Subjekts, und kein Begriff eines Objekts, ist sein Bestimmungsgrund. 5 6 Kunstdiskurs: Fragen und Methoden Nach den begrifflichen Abklärungen und theoretischen Einordnungen wollen wir nun anhand einer Pilotstudie zur qualitativen Inhaltsanalyse eines Corpus ausgewählter Kunstkritiken danach fragen, wie Argumentation und Emotion im Kunstdiskurs sprachlich verschränkt werden, ob (und wenn ja wie) das Geflecht deskriptiver, informativer, evaluativer, emotiver Funktionen sich analytisch entwirren lasse, welcher rhetorischen Verfahren sich die Verfasser dabei bedienen, welche positiven, negativen oder ambigen Gefühlskonzepte sich darin ausmachen und unterscheiden lassen. Das ‘ größte Kunstmagazin Europas ’ ist nach eigener Einschätzung mit einer verkauften Printauflage von ca. 28 ’ 000 Exemplaren die im Hamburger Verlag Gruner & Jahr monatlich erscheinende Zeitschrift art Kunstmagazin (art) - auch wenn das mit ihr konkurrierende Berliner Magazin für Kunst und Leben Monopol, das der (in der gediegenen Charlottenburger Fasanenstraße residierende) Verlag Res Publica herausgibt, mit seiner Verkaufsauflage von 45 ’ 000 Heften wirbt. Das art Kunstmagazin ist vornehmlich der Gegenwartskunst gewidmet und publiziert aus jeweils aktuellen Anlässen (wie Vernissagen, Projekte, Finissagen, Eröffnungen) Kunstkritiken, Berichte, Reportagen, Interviews und Essays zu allen möglichen Gattungen wie Malerei, Architektur, Fotografie, Plastik, Design, Hypermedien, Videokunst, Performance. Den Jahrgängen 2016 bis 2018 haben wir im Zufallsverfahren durchschnittlich fünf Kritiken pro Ausgabe entnommen und das daraus entstandene Corpus zum Zwecke des Vergleichs erweitert um Artikel aus seriösen überregionalen Tages- und Wochenzeitungen - wie Süddeutsche Zeitung (SZ), Frankfurter Rundschau (FR), Der Tagesspiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Die Zeit und Der Spiegel - derselben Jahrgänge. Bei regionalen Ereignissen wurden ggfs. auch Lokalzeitungen einbezogen (z. B. Badische Zeitung, Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, Märkische Allgemeine, Potsdamer Neueste Nachrichten, Rheinische Post). Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Beiträge 5 Kant, Immanuel [1790] 1975: Critik der Urtheilskraft, Berlin und Libau: Lagarde & Friedrich, in id. Werke, ed. Wilhelm Weischedel, Darmstadt: Wiss. Buchges. 10 vols., vol. 8: 233 - 620 hier 313. 296 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) hinsichtlich ihres Umfangs, Aufbaus und Schwerpunktes war ihnen der referentielle Bezug auf Kunst, Künstler oder Kunstwerk bzw. auf jeweils aktuelle Ereignisse wie Ausstellungseröffnungen, Retrospektiven, Neuerscheinungen, Jubiläen gemeinsam. In den Texten werden die relevanten Emotionskategorien als type-Konzepte (z. B. Freude) identifiziert, denen spezifischere token-Konzepte (wie Spaß, Lachen, munter) zugeordnet werden, wobei wir im Sinne der kognitiven Linguistik und Semiotik natürlich zwischen Emotionen als mentalen Repräsentationen im Langzeitgedächtnis und ihren sprachlichen Manifestationen unterscheiden (ohne dies hier freilich graphostilistisch, etwa durch Majuskeln, jeweils voneinander abzugrenzen). Der Klassifikation bestimmter Gefühls- und Empfindungswörter oder auch als emotiv codierter Textpassagen dient eine linguistische Textanalyse mit Blick auf die semantische Distribution dieser Lexeme, wobei sich insbesondere das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart (DWDS) und dessen Wortprofil und Referenzcorpus als nützlich erweist. Den damit extrahierten Belegen für Emotionskonzepte werden in einem zweiten Schritt jeweils ein Emotionswert negativ, positiv und neutral oder ambivalent zugeordnet, um die sprachlichen Mittel und Strategien zu beschreiben, die darin ihren Ausdruck finden. Aus den 158 nach Emotionsklassen codierten und qualitativ ausgewerteten Texten wird schließlich ein Querschnitt gebildet, der die unterschiedlichen Emotionskonzepte, aber auch die Vielfalt der Strategien und sprachlichen Mittel zum Ausdruck von Emotionen und zur Vermittlung von Einstellungen veranschaulicht. Die folgende Zusammenfassung der Ergebnisse will zugleich die ermittelten Emotionskategorien als Zeichen im Sinne kultureller Codes innerhalb des hier repräsentierten Ausschnitts aus dem Zeichensystem reflektieren. 6 7 Emotionskategorien im Kunstdiskurs 7.1 Negative Emotionen: Trauer, Furcht, Verzweiflung Wer über die ‘ Zeichen des Schönen ’ spricht, übersieht nicht selten ihr Vermögen, gerade auch dem Hässlichen ästhetische Form zu geben, das Leid und das Tragische, die Abgründe und die Krankheiten, das Ausgesetzt- und Hineingeworfensein des Menschen suggestiv ins Bild zu setzen (cf. Hess-Lüttich & Rellstab 2002). Francis Bacons Werke etwa werden im Kunstmagazin art nicht zufällig unter dem Titel “ Am Abgrund der Malerei ” erörtert (in art 10/ 2016). Aber wer über Emotionen in der Kunst spricht, denkt oft zuerst an den Expressionismus, in dem der Ausdruck von Emotionen als zentrale Aufgabe der Kunst und ihr wichtigstes Thema gilt. Die Genrebezeichnung dafür wurde von dem Kunsthistoriker Wilhelm Worringer schon 1911 ins Deutsche übernommen. Expressionismus wird zwar meist mit Begriffen wie Subjektivität, Gefühl, Individualität, Empfindung in Verbindung gebracht, aber das dazugehörige Adjektiv expressionistisch als Bezeichnung einer der maßgeblichen Stilrichtungen in der Bildenden Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts ist keineswegs deckungsgleich mit dem Lexem expressiv (cf. Gerhardus & Gerhardus 6 Zu Corpus, Codierung und Auswertung der Daten s. deren vollständige Dokumentation in Wojtkowska 2019; aus Gründen der Umfangsbegrenzung begnügen wir uns hier mit dem Einzelnachweis aller Belege durch Kurzverweis auf die jeweils datierte Ausgabe der Zeitschrift, in der die zitierten Kunstkritiken erschienen sind. Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 297 1976: 19 ff.). Vom Realismus hebt sich der Expressionismus zwar durch die expressive Ausdrucksstärke seiner Bildsprache und ihre subjektive Darstellungsweise erkennbar ab, aber das gab es auch schon bei Künstlern davor und gibt es danach erst recht immer wieder, allenfalls mag die Anteilnahme des Betrachters stärker in Anspruch genommen sein, wie Oskar Kokoschka mit Blick auf Edvard Munch beharrt: “ Expressionismus ist Gestaltung des Erlebnisses, solcherart mittelbar und Botschaft vom Ich zum Du. [. . .] Expressionismus lebt nicht im elfenbeinernen Turm, er wendet sich an den Nächsten, den er erweckt ” (Kokoschka 1953: 23). Edvard Munchs Der Schrei gilt ja bekanntlich als das Beispiel sowohl expressionistischer als auch expressiver Kunst schlechthin (cf. Zaloscer 1985: 11). Vom Künstler selbst sind dazu eine Reihe eigener Zeugnisse überliefert, in denen er von Zuständen ‘ bebender Angst ’ berichtet, einen ‘ Schauer von Traurigkeit ’ , das ‘ Gefühl der Trauer ’ , das ‘ unendliche Geschrei der Natur ’ oder den ‘ gellenden Schrei des blutroten Himmels ’ beschreibt (ibid.: 104). Mit dem düsteren Bild sucht er offenbar all diesen belastenden Gefühlen zugleich Ausdruck zu verleihen. Der Schrei, ein Symptom der Verzweiflung und des namenlosen Entsetzens, wird im Bild durch die Form einer gesichts- und geschlechtslosen Figur personifiziert, deren Inneres dem Kritiker nur metaphorisch zugänglich wird: “ Das ist kein Gesicht mehr, sondern nur noch das grauenhafte Gefäß des Schreiens. Alles gerinnt zu Entsetzen; doch Erde und Himmel schwingen jetzt mit in den Wellen der Verzweiflung, die endlich ihre Starrheit durchbrochen hat und zum Schrei geworden ist ” (Gerlach 1955: 38). Bis heute vermag der Wegbereiter des Expressionismus mit seinem Werk und dessen Themen die Betrachter zu berühren. Sein Einfluss wirkt in der neo-expressionistischen Malerei immer noch nach, in manchen Bildern der Jungen Wilden etwa, die dann oft mit Epitheta wie ‘ heftig ’ oder ‘ obsessiv ’ bewertet werden (cf. Kempas 1980; Adriani 2003). Motive der Angst und des Todes, Gefühle der Einsamkeit, Trauer und Verzweiflung begegnen einem immer wieder, auch in den Bildern des schon erwähnten Francis Bacon, der seine Figuren ‘ isoliert ’ und ‘ entstellt ’ , deren Konturen er ‘ verwischt ’ und ‘ deformiert ’ (art 10/ 2016: 30, zu Abb. 2): (1) Verquirlte Personen liegen in entleerten Räumen oder schreien vor sich hin. Ein schreiender Papst sitzt, wie der Schreibtischmörder Eichmann in Jerusalem, in einem Glaskasten; zwei nackte Männer tun etwas auf einem Bett; im Arm eines Mannes steckt eine Injektionsspritze. Der Künstler lässt auch sich selber nicht aus: Er malt seinen Kopf verzogen, asymmetrisch [. . .] (art 10/ 2016: 33). Bacon wolle in seiner Bildern “ nicht das Äußere einer Gestalt wiedergeben ” , sondern “ sondern tiefere Empfindungsbereiche erkunden, quasi in die Körper eindringen ” , um so “ die Intensität des Lebens zu erfassen ” (ibid.: 30). Mit solchen Deklarativa verweist der Kritiker auf den beim Betrachter vermuteten (bzw. ihm unterstellten) intensiven Eindruck (der ihn “ auf geradezu brutale Weise zum Voyeur ” werden lasse) und lenkt über die Perspektivierung über die Person des Künstlers zugleich von seiner eigenen Befindlichkeit ab. Bacon stelle an der Grenze zur Abstraktion Menschen dar, die aussähen “ wie Tiere ” , wie “ lebende Leichname ” , wie “ Puppen aus Fleisch und Blut, die mit ihren Gliedermaßen nicht zurechtkommen ” (ibid.: 33). Die ‘ Entstellung ’ und ‘ Verstümmelung ’ des Menschen wird als prekäre Abweichung von der Norm markiert: 298 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) (2) Das vornehmliche Thema Bacons ist immer der Mensch, wenn man seine Ausgeburten noch Menschen nennen darf. Tatsächlich bleiben seine Schöpfungen trotz aller Verformung immer Menschen, wenn auch Untermenschen, gleichsam die Quintessenz dessen, was es an Menschen Grauenerregendes gibt (Zaloscer 1985: 142). (3) Wenn man vor so einem Bild steht, vor diesen schreienden, sich windenden Figuren, ist man berührt (art 10/ 2016: 30). Bacons Bilder aktivieren Emotionen des Schreckens und Ekels, was sich in der Kritik (2) dann in pejorativen Nomina niederschlägt ( “ Ausgeburten, Untermenschen und Grauerregendes ” ), oder auch des Mitleids, das den im Indefinitpronomen man versteckten Betrachter immerhin “ berührt ” . Die persönliche Reaktion der Kritiker wird indes durch unpersönliche Konstruktionen und Passivumschreibungen sprachlich sofort wieder relativiert. Sie distanzieren sich gleichsam von ihren eigenen Befunden, indem sie diese durch das Deklarativum in der 3. Person Singular ( “ Bacon wollte ” dies, “ Bacon versuchte ” jenes) generalisieren und auf den Leser oder Betrachter projizieren. Aber noch in der unpersönlichsten Beschreibung ist die emotionale Wirkung der Bilder aufzuspüren. Sie werden - wie die zitierten Nomina, aber auch die Adjektive, Adverbien, Partizipialkonstruktionen verraten ( “ verstümmelt, entstellt, schreiend, windend ” ) - mit Blut und Gewalt assoziiert, mit Leichen und Verletzten, mit menschlichem Leiden und deformierten Körpern. Suggestive Bilder wie die von Munch oder Bacon enthalten also Emotionspotentiale, die von den Kritikern nachempfunden und reflektiert werden, für die sie aber eine Art ‘ subjektiver Allgemeinheit ’ beanspruchen, wozu sie neben den schon erwähnten sprachlichen Strategien gern auch das kollektive wir in Position bringen, das den Leser gleich mit einschließt: (4) Wir blicken wie aus leichter Untersicht auf eine unwirtliche, kahle Gegend, braungrau, rechts wabert es blauweißlich, wie aus einem Aschenbecher, über Sand oder Geröll (Frankfurter Rundschau 11. 12. 2017). Gemeint ist hier das Bild Je suis venu comme j ’ avais promis, adieu (Abb. 3) des Surrealisten Yves Tanguy, in dem die “ organisch-gewölbten Formen ” einen anderen Kritiker an “ wimmelnde Mikroben ” gemahnen (Berliner Morgenpost 08. 12. 2017). Wie oft im Surrealismus wird das realistisch Wiedererkennbare dekonstruiert durch das Rätselhafte, was neue Konnotationen evoziert, sur-reale Traum- und Gefühlswelten zulässt, das iconisch Gegenständliche in geheimnisvoll Unwirkliches verwandelt - “ amorph und gegenständlich Abb. 2: Francis Bacon 1962: Three Studies for a Crucifixion, Tryptichon Tafel 2 (Öl auf Leinwand) Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 299 zugleich ” (Tagesspiegel 25. 12. 2017). Viele Kritiker suchen der Wirkung mit Adjektiven wie rätselhaft, mysteriös, seltsam gerecht zu werden, ohne sich auf Genaueres festzulegen, was sprachlich in generös eingestreuten Modalpartikeln (irgendwie, vielleicht, gleichsam) zutage tritt. (5) Vielleicht ist es ja die von Menschen schwer erreichbare Hochebene einer Kraterregion. Oder aber ein leerer wüster Strandstreifen. Links ragt ein schwärzlicher Kegel, einem riesigen Räucherstäbchen gleichend, in den dunkelblauen Abendhimmel (Frankfurter Rundschau 11. 12. 2017). Die Stimmung wirkt auf den Kritiker düster, bedrohlich, schwärzlich-finster, insgesamt eher pessimistisch, fast apokalyptisch, der Sandstreifen ist leer und wüst, was an den zweiten Satz der Genesis in der Übersetzung Martin Luthers erinnert: “ Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe ” (1. Mose 1, 1). 7 (6) Das markante Gebilde ist umzingelt von grauen und schwarzen Rauchschwaden und kunstvoll quellendem, sich kringelndem Qualm. Halb am Boden, halb in der Luft ziehen sich lineare Spuren, fast wie Kondensstreifen eines Geschosses oder Flugkörpers. [. . .] Links oben im Bild sieht man einen Kegelberg, einen noch schlafenden Vulkankrater, der dem schwarzen Gebilde vorn im Bild beim Rumoren und Ausbrechen gelassen zuzugucken scheint (Frankfurter Rundschau 11. 12. 2017). Etwas merkwürdig Bedrohliches geht von dem Bild aus, das Rumoren des Vulkans, der jederzeit ausbrechen kann, verstärkt durch Nominalphrasen, Attribute, Alliterationen (der noch [! ] schlafende Vulkan, die Kondensstreifen eines Geschosses, die grauen und schwarzen Rauchschwaden, der kunstvoll quellende, sich kringelnde Qualm) - all das erzeugt eine unbestimmte Unruhe, deren Empfindung der Kritiker dem Leser zu vermitteln sucht. Die “ geografische oder topografische Verortung ” der Landschaft, “ so verwirrend wie suggestiv ” und “ ebenso subtil wie brutal ” (ibid.), gibt Hinweise, verleitet zu Annahmen, bleibt aber vor allem rätselhaft und offen. Dem kann man sich sprachlich nur mit Metaphern nähern, mit vagen Vergleichen, mit Wie-Relationen, mit Antithesen, denn: “ Alles ist möglich [. . .] bei diesem Protagonisten des imaginierenden Stils [. . .] ” (ibid.). Viele Kritiker lassen sich auch durch die Biographie des Malers inspirieren, wenn sie dessen Werk beschreiben, sie übertragen das Narrativ eines etwa ‘ kurzen, aber intensiven Abb. 3: Yves Tanguy 1926: Je suis venu comme j ’ avais promis, adieu [Ich bin gekommen, wie ich versprochen hatte, Adieu] (Öl auf Leinwand) 7 Hervorhebungen emotionaler Konzepte in den Belegen durch Kursivierung sind - soweit nicht anders vermerkt - von uns (EHL & EW). 300 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) Künstlerlebens ’ auf dessen Werk - wie exemplarisch im Falle von Richard Gerstl, dessen Geschichte “ derart unerhört, derart unfassbar, ja skandalös ist, sie hätte längst verfilmt werden sollen! ” (art 03/ 2017: 57); er war “ der erste Wiener Expressionist, der erste Wiener Wilde, unangepasst, revoltierend, genial ” (ibid.), er war der “ Anti-Klimt ” und “ ein freier Radikaler ” (Weltkunst 22. 02. 2017), “ ein großer Maler ” und “ tragischer Fall ” (Die Welt 26. 02. 2017). In Exklamativsätzen, Evaluationen und Enumerationen seiner Eigenschaften werden zugleich sein Leben und Werk beschrieben und ineinander verwoben: (7) Nackte Frau, sitzend. Herbst 1908. Knapp hundert Jahre später weiß man, wer die Frau ist. Damals hat man es nicht wissen sollen. Damals hat ihr der Maler das Gesicht zugemalt. Dann hat er sich ein Messer in den Bauch gerammt und elend, wie er war, gleich noch erhängt (Die Welt 26. 02. 2017). Gerstls Sitzender weiblicher Akt (Abb. 4) wird in dieser Kritik aus der Welt (7) in kurzen dynamischen Sätzen, Ellipsen, Anaphern, Parenthesen mit seiner tragischen Liebesgeschichte verknüpft, die expressive Beschreibung seines Suizids (Messer in den Bauch gerammt, elend, sich erhängt) steigert die Dramatik des Bildes des ungenannten Modells mit dem camouflierend zugemalten Gesicht. Auch hier wird der kundige Betrachter das Aktbild von Mathilde Schönberg unweigerlich mit der Erinnerung an die unglückliche Liebe und den Tod des Künstlers assoziieren. Es korrespondiert mit anderen seiner Werke, die im Wissen um seine heikle ménage-à-trois zwischen ihm und den Eheleuten Schönberg zusätzlich emotionale Brisanz gewinnen. Wer etwa “ an Gerstls letzte Bilder denkt, an diese unglaublich aufgelöste Malerei, die ihre Figuren - Gruppenbildnis mit Schönberg - wie im bunten Rausch zerfließen lässt ” (Die Welt 26. 02. 2017) und die Personen “ wie mit Säure übergossen aussehen lässt ” (FAZ 01. 03. 2017), wie “ eine gestische Orgie, die auch über die Gesichter fegt - eine Auslöschung beinahe, unter dicken Farbschlieren ” (ibid.). Auf dem Bild Familie Schönberg (Abb. 5) sehe man die “ extreme, radikale Kunst ” wie “ Explosionen aus Farben und Formen ” , “ alles löst sich auf [. . .] nur die roten Haarschleifen der auf dem Schoss Abb. 4: Richard Gerstl 1908: Sitzender weiblicher Akt, Tempera auf Leinwand Abb. 5: Richard Gerstl 1908: Familie Schönberg, Öl auf Leinwand, Ausschnitt Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 301 sitzenden Tochter reißen wie zwei Wunden die wüsten Farbverkrustungen auf ” (art 03/ 2017: 61). “ Die Deformationen Mathildes [. . .] hallen wider wie Schreie um Aufmerksamkeit ” (FAZ 01. 03. 2017). Die Beschreibungen der Bildzeichen, die Metaphern und Vergleiche ziehen indirekt Parallelen zwischen Werk und Leben, verweisen (durch Nominalphrasen wie bunter Rausch, Explosionen) subtil auf die leidenschaftliche Beziehung und ihr tragisches Ende (alles löst sich auf, zwei Wunden). Auch sein letztes Bild (Selbstbildnis als Akt) wird in den Kritiken wieder mit denselben emotiven Konzepten des dramatischen Scheiterns, der ausweglosen Selbsttötung verbunden, der Künstler stelle sich “ allein und nackt und existenziell gescheitert ” dar, “ als geschundener Körper, den Blick verschattet ” (art 03/ 2017: 61), “ ziemlich allein und radikal isoliert ” (Die Welt 26. 02. 2017), “ nackt, abgemagert, sein Geschlecht im Zentrum des Bildes ” (FR 23. 02. 2017). Was bleibt, ist das “ dramatische Vermächtnis eines Einzelgängers ” (FAZ 01. 03. 2017), eine “ Mischung aus radikalem Künstlertum und radikaler Liebe ” (art 03/ 2017: 61), “ das Drama eines kurzen Lebens, gespielt in heftiger Malerei ” (Weltkunst 22. 02. 2017). Emotionalisierung durch Hyperbeln, Steigerungsformen und Exklamationen - als ginge es in erster Linie um die Biographie des Künstlers und weniger um seine Kunst. Aber auch ein weniger expressiver Stil kann durchaus verstören und biographische Fragen aufwerfen. Ein berühmtes Beispiel dafür sind gewiss die Bilder von Balthus, die immer wieder Anlass zu heftigen Kontroversen waren und immer noch sind: so sorgte zuletzt die Aufforderung, sein Bild Thérèse rêvant (Abb. 6) aus dem New Yorker Metropolitan Museum zu entfernen (s. SZ 06. 12. 2017), für einigen Aufruhr in den Medien. Es sind vielleicht die semantischen Leerstellen, die gaps, die zu subjektiver Deutung reizen und die Phantasie des Kritikers beflügeln, selbst dann, wenn er biographische Belege schuldig bleiben muss. Darstellungen von pubertierenden, teils entblößten Mädchen, halbe Kinder noch, wecken Verdacht, manche wittern, durch aktuelle Fälle pädophilen Missbrauchs Abb. 6: Balthus 1938: Thérèse rêvant [Thérèse, träumend], Öl auf Leinwand 302 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) sensibilisiert, heimlich Pornographisches, mindestens Sexistisches. Balthus ’ Bilder “ irritieren ” , meint ein wachsamer Kritiker, weil “ sie stark erotisch aufgeladen ” seien (NZZ 01. 09. 2018). (8) Diese Bilder sind von einem besonderen Fluch verfolgt. [. . .] In zarten Pastellfarben gehalten, haftet seinen tagträumerischen Gemälden von sich lümmelnden Halbwüchsigen der Odem des Verbrechens an. Ja, Balthus ging früh einen Pakt ein mit dem Bösen (NZZ 01. 09. 2018). Meist wird das heikle Thema diskret umkreist, Andeutungen, Euphemismen, Metaphern, Anspielungen, Insinuationen lassen dem Leser Raum für unbehagliche Assoziationen und bedenkliche Gefühle. Es sei “ eine bedrohlich unvertraute Erotik [. . .], die mit dämonischer Wucht beschworen wird [. . .] voller Laster und Leidenschaft ” (NZZ 01. 09. 2018). Da ist das schlechthin Böse nicht weit (Verbrechen, Teufelsbeschwörung): des Meisters Kunst “ verstört, weil sie sich dem Bösen verschrieben hat ” (ibid.). Und dieses “ Böse blickt uns in vielen seinen Bildern entgegen ” (ibid.). Offenbar erschrecken manche Kritiker ein wenig vor ihren eigenen Gedanken, sie fürchten vielleicht “ das lauernde Ungeheuer ” in sich selbst, wenn sie beim Betrachten “ der gleichgültig abgewandten Haltung von Thérèse rêvant, die den Blick fast schon zwingend zwischen die geöffneten Schenkel lenkt ” (ibid.), ein leiser Schauder überkommt angesichts einer “ amoralische[n] Kunst ” , der es gelinge, uns “ unsere Angst vor menschlichen Leidenschaften und seelischen Abgründen vor Augen zu halten ” (ibid.). Es ist kein Zufall, dass die ursprüngliche Überschrift dieser NZZ-Kritik ( “ Fürchtet euch ruhig vor diesem Maler ” ) abgeändert wurde zu dem Titel “ Balthus ’ Bilder sind eine Bedrohung ” . Das Tabu wird beredt beschwiegen, wie wenn es dadurch zu bannen wäre, was eher zurückweist in die Zeit der Magie als in die der Aufklärung. Hier geht es also immer um beides: das ästhetische Erleben und das emotionale Empfinden des Betrachters. Gilt das auch für seine Wahrnehmung abstrakter Kunst ohne die figurativen Anhaltspunkte, die seine Gefühle durch Vergleiche, Assoziationen, Konnotationen lenken könnten? Und gilt es auch, wenn er nichts wüsste über die Biographie des Künstlers oder davon absähe? Offenbar ja, denn in den untersuchten Kritiken von abstrakten Bildern des Malers Gerhard Richter finden sich emotive Kategorien zuhauf. Richters Birkenau (2014) beispielsweise rief beim art-Kritiker “ starke Emotionen ” hervor, er sieht darin “ Spuren der gegenständlichen Welt versteckt ” und wie “ sich Schwarz düster über die Bildflächen, unterbrochen von grünen, weißen, roten Schlieren zieht ” (art 02/ 2016: 97, Abb. 7). Er weiß freilich, dass dem Bild “ Fotografien aus dem Konzentrationslager Ausschwitz- Birkenau ” zugrundeliegen und sieht in dem “ hohe[n] Potenzial dieser Abstraktion ” eine Möglichkeit, “ das Unbeschreibliche, das Nichtdarstellbare abzubilden ” , indem die “ unter Farben verborgenen Schichten [. . .] so Raum für Gedanken und Emotionen ” schaffen - “ eine ganz starke Stimmung, die ins Melancholische geht ” (ibid.). Sähe der unbefangene Betrachter das alles ohne die Kontextualisierungshinweise und das Wissen über Thema und Vorlage des Bildes? (9) Die als Vorlage dienenden vier Fotografien, die ein unbekannter Häftling 1944 in dem größten NS-Vernichtungslager gemacht hat, befinden sich seit vielen Jahren im Atlas. [. . .] 2013 übertrug Richter die Motive auf vier Leinwände (art 02/ 2016: 97). Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 303 Abb. 7: Gerhard Richter 2014: Birkenau (Öl auf Leinwand) Die expliziten Hinweise auf das Konzentrationslager Ausschwitz-Birkenau und “ das größte NS-Vernichtungslager ” verfehlen ihre Wirkung nicht, automatisch erinnert man die Shoah und verbindet das Bild emotional mit Massenmord, Vernichtung, Menschheitsverbrechen, die jede Vorstellung sprengen. Da können die erwähnten “ starken Emotionen ” kaum ausbleiben. Es bedarf aber der Deutung, um sie hervorzurufen, wobei die Begriffe oft eher unscharf bleiben, abstrakt, um Sachlichkeit bemüht, ohne indes damit Wertungen auszuschließen, die sich dann allerdings in Nomina wie Negation oder Verben wie zerstören semantisch verbergen und allenfalls über die damit konnotierten mentalen Konzepte oder types (der Zerstörung, Verneinung, Radikalität, Ablehnung) erschließbar sind: (10) Negation, Unschärfe, Fertiges wieder zerstören, Gesagtes revidieren - das sind Richters Prinzipien (Der Spiegel 30. 06. 2018). In anderen Fällen fungiert das unpersönliche Pronomen es als abstraktes und kaum greifbares Subjekt, das durch Verben zum dynamisch-unberechenbaren Akteur wird (11): (11) In Richters Gemälden gibt es keine Linie, und die Konturen lösen sich auf. Es strudelt, wirbelt, schwebt. Es schichtet und verdichtet sich, reißt auf und schließt sich wieder in den scheinbar gegenständlichen, den fotorealistischen ebenso wie in den verschwommenen, sphärischen und den völlig gegenstandslosen Bildern (FR 08. 02. 2017). (12) Seine riesigen, digital generierten Streifenbilder flimmern und verschwimmen vor den Augen des Betrachters (Der Spiegel 30. 06. 2018). (13) “ Das Geheimnisvolle und Mystische an der Kunst von Gerhard Richter hat mich immer begeistert ” , sagte sie. Ein Mann aus Birkenwerder (Oberhavel) schwärmte: “ Das Bild springt in mich als Zuschauer hinein, wenn ich es anschaue ” (Märkische Allgemeine 21. 10. 2018). 304 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) In (12) richtet sich der Fokus des Kritikers auf die Materialität des Werkes, auf seine Oberfläche, Farbe oder Größe, auf die Bildsyntax, die (qua firstness) unmittelbar auf den Betrachter wirken, dessen affektive und kognitive Reaktion dazu keiner zusätzlichen Kontexthinweise bedarf. Er kann die Bilder mit all seinen Sinnen ‘ empfinden ’ und ‘ verstehen ’ , auch ohne dafür analytische Begriffe zu finden (13). 7.2 Positive Emotionen: Leidenschaft, Lebensfreude, Magie Wie die Bildsyntax ihre Semantik beeinflusst, lässt sich insbesondere an dem veranschaulichen, was Peirce die tones nannte und hier vor allem eine expressive Farbgebung betrifft, die ihre Wirkung auf Kritiker (und deren Interpretation eines Bildes) selten verfehlt. Die “ kräftigen ” oder auch “ explosiven ” Farben, schreiben sie, übten eine “ große Kraft ” aus, sie verrieten etwa eine “ emotionale Reaktion des Künstlers auf dramatische Sequenzen ” (SZ 18. 10. 2018) oder bedeuteten ein “ stummes Leiden ” (SZ 30. 09. 2018). Das jeweilige Farbspektrum, die Abtönungen und Schattierungen können als Symbol, Symptom und Signal zugleich fungieren. Werden sie in einem Kunstwerk als Referent identifiziert, generieren sie als Representamen eine zusätzliche Sinndimension. So heißt es etwa mit Blick auf Picassos Entwicklungsphasen (14) oder Cy Twomblys Lepanto-Zyklus (15): (14) Das Durchschimmern des Farbspektrums zwischen Rosa und Rostbraun in den Jahren danach geht mit den neuen Sujets [. . .] einher, die das stumme Leiden im vereinsamenden Blau allmählich verdrängt (SZ 30. 09. 2018). (15) Ein wahres Feuerwerk in Rot, Gelb, Türkis und Blau, ein Farbenrausch, der sich ungebremst über die riesige Leinwand ergießt (art 01/ 2017: 42). Die Bedeutung der Farben prägt auch den Namen der Stilrichtung, die durch den Vergleich der “ Malerei mit mystischem Gesang ” (NDR 07. 09. 2018) Farblyrismus oder orphischer Kubismus (nach einer Idee von Guillaume Apollinaire, der damit die Arbeiten seines Freundes Robert Delaunay präziser beschreiben wollte: s. Delaunay 1983: 146): “ Die Orphisten befreiten Farbe und Form aus ihrer abbildenden Funktion und erkannten ihnen Eigenbedeutung zu [. . .]. ‘ Wenn sich das Licht ganz ausdrücken kann, wird alles farbig. Die Malerei ist im Grunde leuchtende Sprache ’ , so Delaunay ” (Badische Zeitung 01. 12. 2017). Das Licht und die Farbe wirkten “ direkt auf die Empfindung des Betrachters ” ein und kreierten die “ poetische und erhabene Seite der Kunst ” (ibid.). Die erste umfassende Präsentation des Orphismus in Deutschland trug denn auch den synästhetisch treffenden Titel “ Die Stimme des Lichts ” (Delaunay, Apollinaire und der Orphismus, 02. 12. 2017 - 02. 04. 2018 im Wilhelm- Hack-Museum zu Ludwigshafen). Manche Kritiker schreiben den Farben besondere Kräfte zu, sie hätten die Macht, direkt auf den Betrachter einzuwirken und ihr Empfinden zu beeinflussen. Es gebe freudige, warme, optimistische, kalte, düstere Farben, manche würden schreien, andere seien still und leise: “ Und ebenso, wie das physische Gefühl der Kälte des Eises, wenn es tiefer eindringt, andere tiefere Gefühle erweckt und eine ganze Kette psychischer Erlebnisse bilden kann, so kann auch der oberflächliche Eindruck der Farbe sich zu einem Erlebnis entwickeln ” , meinte Wassily Kandinsky ( 10 1973 a: 59), der Farben eine “ gewaltige Kraft ” zuschrieb und ihnen in seiner Farbtheorie bestimmte Bedeutungen, Assoziationen, Auswirkungen auf alle Sinne der Betrachter zuordnete (cf. auch Kandinsky 7 1973 b). Seine Abstraktion sei eine der Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 305 Emotionen, sie vermöchte den Betrachter unmittelbar zu ‘ berühren ’ (Abendblatt 04. 12. 16). Sobald die Farbe selbst in den Vordergrund rückt, dominiert sie auch die Bildbeschreibung: da wird sie zu einer ‘ Naturgewalt ’ , zu einem Akt der ‘ Gewalt ’ , sie ‘ durchdringt ’ , ‘ überwältigt ’ , ‘ glüht ’ bis zum ‘ Explodieren ’ , wie bei Emil Nolde, dem “ Farbenstürmer ” (art 08/ 2017: 116), dessen “ ätherisch verlaufende Aquarelle so dicht von Pigmenten durchdrungen ” (Weltkunst 08/ 2017: 5) seien, dass man die “ derben, aufgelösten Pinselstriche der ekstatischen Farbströme ” verfolgen könne (Weltkunst 08/ 2017: 42 f.). (16) Den Klang erweckt Kandinsky durch ein gelbes Farbfeld, das am linken Bildrand beginnt, aufsteigend nach oben ausströmt und fast die gesamte rechte Bildhälfte einnimmt. Dynamisch zieht es die menschlichen Gestalten mit sich, lässt manche mit dem Gelb verschmelzen, darin aufgehen. Die Leuchtkraft der Farbe entwickelt einen Sog, der auch rund 100 Jahre später noch den Betrachter von Kandinskys Gemälde erfasst und mit sich fortreißt (art 07/ 2018: 90, Abb. 8). (17) Farbfreudige Sommertrunkenheit schlägt dem Besucher ebenso entgegen wie der Tusch des selbstbewussten kalligrafischen Pinselschwungs, die Verknüpfung starrer Geometrien, die beim längeren Schauen zu tanzen beginnen, oder verborgene Naturkräfte, die als unheimliche Fantasiewesen über die Leinwand huschen (Potsdamer Neueste Nachrichten, 22. 06. 2018, anlässlich der Ausstellung “ Vom Expressionismus zum Informel ” im Potsdamer Barberini Museum). Kandinsky suchte in seiner ästhetischen Theorie und künstlerischen Praxis eine Verbindung zwischen Farbenlehre und Musik: “ Im allgemeinen ist also die Farbe ein Mittel, einen direkten Einfluss auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt ” (Kandinsky 10 1973: 64). “ Sehen heißt Hören ” lautete denn auch folgerichtig der Titel des Berichts über eine Kandinsky-Ausstellung im Berliner Tagesspiegel (v. 16. 12. 2016), und ein anderer Kritiker meinte im Deutschlandfunk (am 04. 12. 2016) Kandinsky wolle “ durch Farbe und Form die Seele des Betrachters zum Klingen bringen ” . ‘ Starke ’ Farben finden in vielen Texten ihre verbale Entsprechung in ausdrucksstarken Verben und dynamischer Syntax: Die “ Leuchtkraft der Farbe ” entfalte “ einen Sog ” , heißt es in (16), und reiße den Betrachter fort, der die ‘ Symphonie ’ der ‘ expressiven Farbklänge ’ durch synästhetisches Empfinden in sich aufnimmt. Die Kritiker bewerten Kandinskys Farben als stark, kräftig, kraftvoll, ausdrucksstark, explosiv, wuchtig und wuchernd, als lebendig und leidenschaftlich, die gefühlte Energie und Dynamik, Vitalität und Lebensfreude überträgt sich auf den Leser, er sieht Abb. 8: Wassily Kandinsky 1911: Impression III (Konzert) (Öl auf Leinwand) 306 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) nicht nur, er fühlt die “ farbfreudige Sommertrunkenheit ” , die “ Geometrien, die beim längeren Schauen zu tanzen beginnen ” und “ über die Leinwand huschen ” (17). Metaphern wie ‘ Sog ’ (16) oder Personifikationen der “ verborgene[n] Naturkräfte [zu] unheimliche[n] Fantasiewesen ” (17) erwecken die Farben “ zum Leben ” , lassen sie ‘ tanzen ’ und ‘ huschen ’ und Mitgestaltern werden. Die ‘ Farbexplosionen ’ sind hier keine bedrohlichen Naturgewalten, sondern wuchernde ‘ Naturkraft ’ (17), die Freude und Dynamik verströmt. Sie können aber auch Spannungen erzeugen, Irritationen und Überraschungen auslösen oder sogar widersprüchliche Doppelbindungen (Code-Paradoxien im Sinne der double bind theory von Gregory Bateson und Paul Watzlawick, cf. Watzlawick et al. 12 2011), wenn das Dargestellte im Kontrast zur Farbpalette steht: (18) Fraglos ist Bacon ein schwieriger Maler. [. . .] Er greift zu Farben, ein starkes Rosa etwa, ein grau getöntes Ocker, die man in einem anderen Zusammenhang ohne weiteres Pink oder Beige nennen würde: Modefarben also, denen ein Maler im Allgemeinen aus dem Weg geht. [. . .] Wände können lila angestrichen sein, Türen schwarz. Aber gerade das Mondäne dieser Räume unterstreicht nur, als Kontrastprogramm, den Schrecken, der hinter Schickem lauern kann (art 10/ 2016: 33). Die Farben sind also nicht nur Ausdruck der Stimmung, sie sind zugleich Darstellung der Emotionen und Signal an den Betrachter: so wird aus der Bildsyntax Emotionssemantik, aus Farbe und Fläche Raumgestalt und Phantasma: Kritiker übersetzen “ Landschaften, die aus der Farbe leben ” (Rheinische Post 14. 10. 2018) in die Materialität der Sprache, um den Farben ihren Ausdruck und den dabei erzeugten Interpretanten ihre Bezeichnungen zu geben. (19) Die nüchternen Bauten wirken magisch und entrückt, wie Zeugnisse einer geheimnisvollen Zwischenwelt (art 02/ 2016: 84). Die Magie wird in den von uns untersuchten Kritiken auffällig häufig bemüht und nährt den Verdacht, damit etwas Irrationales, Unsagbares zu etikettieren und sich dessen sprachlich präziserer Bezeichnung zu entziehen: Magie ist ein viel bemühtes Wort, das meistens eine gewisse Ratlosigkeit verdeckt. Aber wie soll man es anders nennen, wenn ein Film einen Zauber hat, ein Rätsel in sich birgt? Wenn Bilder in der Erinnerung eine magische Leuchtspur hinterlassen? (Die Zeit 27. 04. 2017). Abstrakte Kunst hat in ihren höchsten Momenten, bei Malewitsch, bei Mondrian, bei Fontana, bei Serra, bei Reinhardt, bei Kelly, bei Louis, bei Rothko vor allem, etwas Magisches, fast Heiliges (Die Zeit 05. 12. 2017). Die Analyse der Kookkurrenzen des Nomens Magie und des Adjektivs magisch im untersuchten Corpus ergibt jedenfalls eine weitgehend positive Wertung der damit beschriebenen Empfindung. Der so oft beschworenen Magie wohnt das Moment des Unbegreiflichen inne (oder nur des nicht Begriffenen? ), sie übersteigt die Grenze des Verstandes, des rational Verstandenen und Durchschauten vielleicht auch, und öffnet den Raum für ‘ Geborgenheit und Imagination ’ , für ‘ Fragezeichen und Auslassungspunkte ’ , für ‘ Mythos und Aura ’ etwa in den Bildern von Katrin Heichel (Abb. 9): (20) Unter ihrem Pinsel bekommen selbst Bretterstapel [. . .] eine mythische Aura. [. . .] [D]as hängt meist damit zusammen, dass sie diese Szenerien effektvoll meist in ein nächtliches Licht taucht. [. . .] Dunkelheit nicht als Bedrohung, sondern als Zustand der Geborgenheit und Imagination (art 08/ 2017: 34). Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 307 (21) Es ist die Kombination von geradezu brachialen Auslöschungen und Motivüberblendungen mit Pflanzenwelten, flackernden Himmeln oder spiegelnden Wasserflächen, die Vlamings Gemälden ihre sinnliche Sogwirkung verleiht. Menschliche Gestalten tauchen auf und verschwinden, immer wieder überschrieben von Schatten, Schlieren oder gestischen Momenten (art 08/ 2017: 30). Um einem Bild sein ‘ Geheimnis ’ zu entlocken, wird gern das Magische, Mystische, Mythische, Mysteriöse, Traumhafte und Imaginäre, das Faustisch-Phantastische bemüht, was dem Leser jede Freiheit lässt zu empfinden, was immer ihm dabei in den Sinn kommt. Weniger sein Verstand wird damit angesprochen als sein Gefühl, Kandinskys synästhetischer “ Zaubertanz ” der Sinne, der auch auf die abstrakte Kunst von Paul Klee zu passen scheint, etwa sein Gerüst eines Neubaus (Abb. 10). (22) Zu sehen ist ein zartes Gerüst aus Linien und Strichen. Dahinter verschwimmen Farben im Nichts (art 03/ 2018: 55). Abb. 10: Paul Klee 2016: Gerüst eines Neubaus (Mischtechnik) Von Magie oder magischer Stimmung ist also vergleichsweise oft die Rede, und die assoziative Verbindung mit Konzepten des Rätsels oder des Zaubers ist da nicht fern. Damit ist meist die Wahrnehmung von etwas Sonderbarem, Übernatürlichen oder Irrationalen gemeint, das als Indiz für etwas Erwünschtes, Erträumtes oder Erhofftes figuriert oder als Abb. 9: Katrin Heichel 2016: Lichtung (Öl auf Leinwand) 308 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) Ausdruck eines Gefühls der Bewunderung, einer Faszination, die aus den gaps, den Leerstellen eines Kunstwerks erwächst und neue Emotionen weckt: (24) Die weißen Kuben der Häuser, die sich eng verschachtelt an steile Häuser drängen, setzte sie in Bildern von eigentümlich magischer Stimmung um (art 10/ 2017: 50). In der Kombination von Kühle und Genauigkeit, von Detail und Verfremdung erinnern die Stadtansichten von Anita Rée (Abb. 11) mit ihren “ märchenhaftexotischen Mauern, Felsen und Treppen ins Nirgendwo, Veduten einer Welt außerhalb der Zeit, Zwischenreiche aus Erinnerung und Hoffnung, zwischen magischem Realismus und intensiv beobachteter Sachlichkeit ” (Deutschlandfunk 06. 10. 2017) in der Tat an Konzepte des ‘ magischen Realismus ’ , in der Wirkung aufgrund derselben Farbpalette ähnlich wie ihre Selbstportraits, die von der Kritik als “ melancholisch verschattet, kühl modelliert, in blau-grauem Pastell, doch in sichtlich energetischer Spannung ” (ibid.) beschrieben werden. Das schlägt zugleich die Brücke zum zwiespältigen Konzept der Melancholie, von der nun die Rede sein soll, denn die Leere, Stille, Ortlosigkeit, Ausgesetztheit deuten auf eine ‘ Welt außerhalb der Zeit ’ , die Raum lässt für Nachdenklichkeit und Kontemplation. Als “ Orte der Stille ” , “ leere Szenarien, in melancholisches Grau getaucht ” und “ imaginäre Rückzugsorte ” (art 02/ 2016: 85) bieten sie “ die Fernblicke in die Unendlichkeit, vielleicht sogar in geistige Sphären jenseits des schnöden Hier und Jetzt ” (ibid.). 7.3 Ambivalente Emotionen: Melancholie In der Temperamentenlehre des Hippokrates gilt die Gemütsverfassung der Melancholie ( μελαγχολία , melancholía) als eher negativ bewertete Emotion, die oft in Verbindung mit Wörtern wieTrübsinn, Schwermut, Depression, Bedrücktheit, Freudlosigkeit, Wehmut oder Weltschmerz gebraucht wird (cf. Boerner 2015). In der Kunst scheint das nach unseren Befunden jedoch so eindeutig nicht. Der vielfach auf Sigmund Freud ([1917] 1975) zurückgehende Zusammenhang von “ Trauer und Melancholie ” lässt sich jedenfalls in dieser Sphäre nicht ohne weiteres belegen; vielmehr ergibt die Collocationsanalyse des Wortprofils ein differenzierteres Bild, wonach das Lexem oft mit Attributen wie bitter-süß, zart, schön, sanft, sehnsüchtig, heiter u. ä. spezifiziert wird, vor allem in den Kritiken des Feuilletons, was zunächst Karl Krolows These zu bestätigen scheint, dass “ die Kunst voller Melancholie ” stecke (Krolow 1990: 9), aber auch, dass sie trotz negativer Konnotationen des Zweifels oder Schmerzes durchaus als positive Empfindung gedeutet werden kann. Wir haben daraufhin geprüft, in welchen Zusammenhängen das Lexem Melancholie im Bereich der Bildenden Kunst auftaucht, welche Zuschreibungen es erfährt und mit welchen Abb. 11: Anita Rée 1922 - 25: Weiße Nussbäume (Öl auf Leinwand) Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 309 Emotionskategorien, Konzepten, Symbolen und Zeichen dieser Gemütszustand in den untersuchten Texten in Verbindung gebracht wird. (i) Er komponierte Bilder von magischer Schönheit, aber auch voll düsterer Melancholie: Caspar David Friedrich, einer der bedeutendsten Landschaftsmaler (NDR 26. 01. 2017); (ii) Edvard Munch beschäftigte sich in zahlreichen Werken mit dem Thema Melancholie, die er bevorzugt als einsame Person am Strand darstellte (Wiener Zeitung 10. 11. 2017); (iii) Die Selbstporträts sind meist in düsteren Farben gehalten, sie vermitteln ein Gefühl von Melancholie und Isolierung (Monopol 26. 10. 2017); (iv) Magischer Realismus Italiens: Existenzielle Melancholie (Tagesspiegel 17. 10. 2018). Die Beispiele zeigen die semantische und emotive Komplexität eines Begriffs, der sich eilfertiger Rubrizierung unter ein negatives oder positives Emotionskonzept entzieht. Daher haben wir dafür eine eigene Kategorie der Ambivalenz in Anschlag gebracht, wie sie sich exemplarisch in der beinahe lyrischen Beschreibung eines berühmten Bildes von Lucien Freud zeigt: Girl with a White Dog (Abb. 12): (25) Steht man vor Girl with a White Dog, fällt es schwer, der jungen Frau, die Lucian Freud in diesem Bild porträtiert, ins Gesicht zu schauen. Abwesend blickt Kitty, Freuds erste Ehefrau, aus dem Halbschatten ins Leere. [. . .] Aber es scheint so, als sehe der Hund etwas entgegen, während im Kopf der Frau ein unangenehmer Erinnerungsfilm abläuft. Im darauffolgenden Jahr ließen Lucian und Kitty Freud sich scheiden. Kitty war schwanger, als sie ihrem Mann Modell saß. Weiß man das, macht einen die helle Fülle der Brust vollends melancholisch. [. . .] Die beiden Wesen sind physisch aufs Engste miteinander verbunden. Dass sie einsam seien, weil ihre Innenwelten keinen Kontakt miteinander hätten, das ist eine vom Bedeutungshunger des Betrachters befeuerte Projektion (Die Welt 06. 03. 2015). Abb. 12: Lucien Freud 1951/ 52: Girl with a White Dog (Öl auf Leinwand) Auf den Betrachter wirkt das Bild insofern melancholisch als es für ihn emotionale Konzepte der Einsamkeit, Leere, Abwesenheit, unangenehmen Erinnerung aufruft, die dem Leser mit entsprechenden Adjektiven und Adverbien, Nominal- und Präpositionalphrasen nahegelegt und durch biographische Zusatzinformationen (Schwangerschaft, Scheidung) unter- 310 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) mauert werden. Es sind im Wortsinne ‘ gemischte Gefühle ’ , die mit der Melancholie einhergehen, Trauer ist darin und Rührung, der Blick ist zugleich ins ortlos Ferne gerichtet und ins Innere. Die Verbindung zwischen der (in manchen Kritiken) als schonungslos, brutal, illusionslos, nüchtern oder naturalistisch bewerteten Bildsyntax und den schemenhaft blass dargestellten Menschen als Zeichenobjekten kennzeichnet auch die Bilder des früh an Aids verstorbenen Amerikaners Patrick Angus, der den Alltag schwuler Männer in New York mit ebenso einfühlsamem wie schonungslosem Blick festzuhalten suchte. Seine u. a. von Edward Hopper beeinflussten Bilder zeugen von Melancholie und Einsamkeit, von Voyeurslust und Sehnsucht, von Vereinzelung im Gedränge der Körper. (26) Junge Männer mit reizvollen Körpern, aber doch ohne jede Idealisierung, wie sie sonst meist in schwuler Kunst zu finden ist, Männer nackt auf ihrem Bett, beim Liebesspiel oder in einer Bar. Sie stehen einfach herum, sitzen zu Hause oder im Club, spazieren im Park, sie sind am Strand, auf der Straße, im Auto, ganz entblößt oder mit heruntergezogener Hose, immer auf der Suche nach neuen Sexpartnern. Die ewige Jagd nach dem Abenteuer, glücklich sieht nie jemand aus; Melancholie und Tristesse, aber auch eine zerbrechliche Zartheit liegen über den Bildern. Die tägliche Sehnsucht nach Liebe und sexueller Erfüllung, das Hamsterrad aus Sehnsucht, Hoffnung, Erfüllung und Enttäuschung. Die Isolation des Einzelnen in der Masse, zumal wenn er einer Minderheit angehört, das Schicksal des modernen Stadtmenschen, vor dem er selbst im orgiastischen Getümmel nicht entfliehen kann (Weltkunst 19. 03. 2018). Abb. 13: Patrick Angus 1984: Boys Do Fall in Love (Acryl auf Leinwand) Hier stehen alle Komponenten der komplexen Emotion nebeneinander, Geilheit und Überdruss, Routine und Tristesse, Hoffnung und Enttäuschung. Determinansphrasen ( “ die ewige Jagd ” , “ die tägliche Sehnsucht ” “ das Hamsterrad aus [. . .] ” , “ die Isolation des Einzelnen ” ) akzentuieren als indirekte Anapher für Melancholie das schon feststehende Schicksal der Protagonisten, assertive Propositionen mit Fokuspartikeln ( “ Glücklich sieht nie jemand aus ” ) deuten auf Resignation hin und Depression, expressive Adjektiv- und Präpositionalphrasen ( “ junge Männer mit reizvollen Körpern ” , “ das orgiastische Getüm- Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 311 mel ” , “ [entblößt oder] mit heruntergezogener Hose ” ) zeichnen ein naturalistisches Bild. Es steht in widersprüchlicher Spannung zu den zugleich aufgerufenen Ingredienzien der Hoffnung auf Liebe, der Sehnsucht nach Gesprächen, und fügt sich damit in das ambivalente Narrativ von roher Schonungslosigkeit und ‘ zerbrechlicher Zartheit ’ , Schönheit und Genauigkeit, von Sensibilität und Desillusion. Die Bewertungen gelten der Bildsyntax (in Malstil und -technik) und der Bildsemantik und rücken die Sinnlichkeit wieder ins Zentrum: (27) Angus ’ Malerei ist manchmal eine Spur zu ruppig, rau und expressiv, doch in der lakonischen Art, wie er seine Motive setzt, eine reine Augenweide. Seine Serien von wunderbaren, farbstarken Landschaften und seine zahlreichen Porträts sind von überwältigender Schönheit (Deutschlandfunk Kultur 01. 12. 2017). Abb. 14: Patrick Angus 1990: Hanky Panky (Acryl auf Leinwand) Die Melancholie steht für ein wenig “ Licht im Dunkeln ” , das dabei hilft, “ durch Wahn zum Sinn ” (Wiener Zeitung 12. 11. 2017) zu kommen, als Schwermut steht sie auch für den Mut, sich der Einsamkeit zu stellen und dem Schmerz entgegenzutreten, um darin auch Schönheit und Selbstgefallen zu erkennen. Dabei stößt man nicht nur auf die Düsterkeit der dunklen Farben, sondern auch auf Pastelltöne einer “ kühlen, fast unterkühlten Farbgebung ” - wie bei dem “ Meister der Melancholie und Einsamkeit ” Edward Hopper (Der Tagesspiegel 07. 05. 2009), dessen Werke “ für die Betrachter bei aller Traurigkeit immer auch ein großes Trostpotenzial ” (Frankfurter Rundschau 15. 11. 2018) bieten. Die Melancholie also als “ Frohsinn und Trübsinn ” zugleich (Wiener Zeitung 12. 11. 2017) scheint genau das Spannende und Rätselhafte - das kantisch Erhabene - in der Kunst widerzuspiegeln: Das “ innigliche Gefühl für die Schönheit und Würde der menschlichen Natur und eine Fassung und Stärke des Gemüts ” (Kant [ 1 1764] 1975: 839). Es sei der Schwermut verwandt, einer “ sanften und edlen Empfindung ” , die den Betrachter, mehr noch als die Schönheit, “ nicht allein reizen, sondern, indem sie ihm zugleich Bewunderung einflößt, rühren ” muss (ibid.: 312 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) 840). Dabei scheint diese widersprüchliche, schwer definierbare und kaum kategorisierbare Melancholie - sowohl in dieser Untersuchung, als auch in der Kunst allgemein - den Vorrang gegenüber allen anderen (ästhetischen) Empfindungen zu haben, denn “ alle Rührungen des Erhabenen haben mehr Bezauberndes an sich als die gaukelnden Reize des Schönen ” (ibid.). Abb. 15: Edward Hopper 1959: Excursion into Philosophy (Öl auf Leinwand) 8 Schlussfolgerungen Das Interesse unserer Untersuchung gilt der Medientextsorte Kunstkritik, in der Kunst (hier die Bildende Kunst) zum Auslöser für Deutungs- und Interpretationsprozesse wird, in denen Sprache als Representamen für das Bildhafte und das Konzeptionelle steht und dadurch als Vermittler zwischen beidem fungiert. Die Texte dienen dabei als Medium der Übersetzung zwischen Kunst und ihrer Wahrnehmung, wie sie sich in den mentalen Kategorien in Form von Gedanken, Meinungen, emotionalen Einstellungen und Urteilen der Kritiker als den Verfassern der Bildbeschreibungen und -interpretationen sprachlich niederschlägt. Erwartungsgemäß dominiert darin die informative Textfunktion, was sich vor allem auf die Person des Künstlers, seine Biografie, seine Technik und den Kontext des jeweils besprochenen Werkes bezieht. Damit bieten die Texte einen Rahmen, der das jeweilige Bild als Kunst und den Maler als Künstler im Kontext des Kunst-Marktes verortet und den Anlass für eine kritische Auseinandersetzung rechtfertigt (s. Hess-Lüttich & Rellstab 2005: 272; cf. auch Hausendorf & Müller 2016: 9): (28) Gerhard Richter ist der teuerste deutsche Maler - und der, der am schwierigsten zu fassen ist (Spiegel 30. 06. 2018). (29) Er gilt als rätselhaft und unnahbar. Über kaum einen Weltstar der Malerei weiß man so wenig wie über Cy Twombly (art 01/ 2017: 26). Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 313 Die referentiellen Nominalphrasen mit spezifizierten Attributen liefern den Lesern neben kontextuellen Hinweisen zugleich mehr oder weniger explizite evaluative Zuordnungen. Diese Doppelfunktion wird i. d. R. mittels indirekter Anapher elaboriert, die Propositionen dergestalt mit einer Bewertung versieht, dass schon der Name eines Künstlers als Hyperonym für sein Werk figurieren kann. Häufig auftretende Adjektive wie rätselhaft, unnahbar, schwierig, teuer, talentiert erlauben den Rückschluss darauf, wen bzw. was der Kritiker als wertvoll, interessant, bemerkenswert usw. betrachtet. Die als neutrale Fakten präsentierten Informationen transportieren indes zugleich subjektive Einstellungen und emotionale Empfindungen. Da sie als solche nicht ohne weiteres auf Akzeptanz zählen können, nutzen die Autoren meist kommunikative Strategien, die der (vermeintlich) rationalen Legitimation des Urteils dienen. Derlei suggestive Narrative in argumentativem Gewande lassen sich freilich erst diskursanalytisch erschließen. Das Emotionspotential verbirgt sich etwa in den Referenzen auf die jeweilige Künstlerpersönlichkeit, in denen biographische Daten so selegiert bzw. perspektiviert werden, dass sie ein kohärentes Portrait von Künstler und Werk als konzeptionell stimmige Einheit ergeben. So etwa in einer Kritik der Arbeiten des 2003 verstorbenen indischen Malers Bhupen Khakhar, der sich, von David Hockney maßgeblich beeinflusst, zu einem wichtigen Mitglied der Baroda-Gruppe entwickelte und dem die Tate Modern Gallery im November 2016 eine Retrospektive seines Werkes widmete, die anschließend auch in Berlin (Deutsche Bank KunstHalle) gezeigt wurde: (30) Seine Liebhaber waren oft ältere, einfache Männer, um die er sich rührend kümmerte (art 11/ 2016: 83). (31) Seine seltenen Ausflüge in die Heterosexualität sind wenig überzeugend. Die homosexuellen Szenen sind dagegen intim und voller Zärtlichkeit (art 11/ 2016: 84). Etliche Autoren der Kritiken unseres Corpus verbinden kommunikative Strategien der Legitimation des subjektiven Urteils mit solchen der Distanzierung von der eigenen subjektiven Position. Diese Kombination ist auch andernorts als Strategie der Selbstimmunisierung erprobt. Ihr dienen die dafür tauglichen sprachlichen Mittel wie generalisierende Formen kollektiverArtikel und Pronomina (wir sehen hier. . ., der Betrachter glaubt . . ., die Museumsbesucher empfinden . . ., man hat das Gefühl . . ., es erscheint einem als ob). Eigene Meinungen, Wertungen, Gefühle und Beobachtungen sollen damit eine Evidenz suggerieren, die eigentlich erst durch Befunde und Belege argumentativ zu rechtfertigen wäre. Beliebt ist auch die Berufung auf Autoritäten, am besten noch untermauert durch Authentizitätsbeweise wie die Selbstkommentierung durch den Künstler oder die Eigenwerbung des Kurators, sprachlich meist manifestiert in direkten Zitaten, Referenzen und Deklarativen (er versuchte, sie meinte, XY schrieb, damit wollte er sagen; “ David Hockney: ‘ Ich weiß, dass ich recht habe ’” , art 03/ 2017). Neben die informative Funktion der Medientextsorte tritt so eine deklarative hinzu. (32) Die Modelle in Kris Knights Porträts haben etwas Entrücktes, Mystisches, Erhabenes, das gleichzeitig zerbrechlich wirkt (art 01/ 2016: 100). Die eigene Bewertung kann auch durch Vergleiche und Verben relativiert werden, die auf eine als objektiv unterstellte Wirkung hinweisen (etwas wirkt wie . . ., erscheint als . . ., sieht 314 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Emilia Wojtkowska (Berlin) aus wie . . .), aber subjektive Ausdrucksformen vermeiden, was aber zugleich Spielraum lässt für alternative Wertungen und Wahrnehmungen. Unsere Ausgangsvermutung bezüglich expliziter Thematisierungen von Emotion ist durch solche Beobachtungen indirekter Sprachstrategien demnach zu differenzieren. Emotionale Ausdrucksformen im Sinne von Symptomen, wie sie sich zuweilen in Interpunktionen, Interjektionen und Exklamativsätzen manifestieren, bilden eher die Ausnahme. Insofern fungieren sie überwiegend als Signale der Vermittlung ästhetischer Maßstäbe und persuasiver Interpretationsleitlinien an den Adressaten. Insofern und insoweit bestimmte Emotionskategorien als solche gekennzeichnet werden, etwa durch Attribute wie zärtlich, sehnsüchtig, traurig, abwesend, melancholisch usw., bezogen jeweils auf spezifizierte Zeichenobjekte, wirken sie als Symbole. Emotionsbezeichnende Lexeme mit ihrer darstellenden Funktion und ihrem deskriptiven Symbolwert (trauriges Lächeln, erlöschender Blick, freudige Farbentänze) konstituieren so eine direkte Relation zwischen Zeichenobjekten und Interpretanten (cf. Schwarz-Friesel 2 2013: 144). Aber während die Autoren der Kritiken explizite Referenzen auf Bildzeichen mittels Gefühlswörtern lieber vermeiden, favorisieren sie auf das Werk bezogene Narrative, die weniger Bildals vielmehr Situationsbeschreibungen darstellen, was eine subjektivevaluative Perspektivierung camoufliert, wie im folgenden Beispiel aus einer Kritik anlässlich einer expressionistischen Ausstellung von Arbeiten Max Beckmanns in Bremen ( “ Welttheater ” ): (33) Es kann sehr kalt sein in den Bildern von Alex Katz: Dürre Äste ragen in den frostigen Himmel, kahle Baumstämme werfen lange Schatten in den Schnee. Und selbst die Frauen frieren in grauen Mänteln auf grünem Grund [. . .] (art 12/ 2018: 109). (34) Gleich kippt das Bild, gleich fällt der Akrobat in die Tiefe, stürzen die Tänzer übereinander, reißen sich die Tiere in der Manege los (art 10/ 2017: 120). Was bei einer analytischen Durchsicht aller Kritiken im Corpus auffällt, ist - unabhängig von jeweiliger Stilrichtung und Epoche - die bemerkenswerte Rekurrenz einer Kategorie, die im Hinblick sowohl auf Bildsyntax als auch Bildsemantik in allen drei hier besprochenen (positiven, negativen, ambivalenten) Emotionskonzepten auftaucht: die sich in Attributen wie rätselhaft, eigentümlich geheimnisvoll, magisch, mystisch, mysteriös, merkwürdig bedrohlich ausweisende Kategorie des Geheimnisses oder des Rätsels. In den rätselhaften Pinselstrichen, geheimnisvollen Landschaften, mysteriösen Gestalten, Symbolen, Blicken oder Gesten, in der orphischen Farbgestaltung, mystischen Bildsprache oder wundersamen Komposition liegt den Kritikern zufolge offenbar die Essenz der Kunst verborgen, ein gewisses Etwas, das den Betrachter wahlweise fesselt, berührt, fasziniert, zum Nachdenken zwingt. Die Kategorie des Rätselhaften verweist auf das Unlösbare und Unsagbare hin, auf die Schwierigkeit, Kunst zutreffend in präzise Worte zu fassen. Diese “ sprachliche Unschärfe ” signalisiere “ eine Bedeutungsdrift des Gegenstandes, der über vermeintlich klare und eindeutige Benennungen oft nicht mehr zu fassen ” sei, meint Stefan Lüddemann (2016: 240; cf. id. 2004). Dieselbe ‘ sprachliche Unschärfe ’ scheint das alltägliche Sprechen über Gefühle zu charakterisieren, ein Problem, das umso schärfer hervortritt, wenn von Gefühlen in der Wahrnehmung von Kunst und ihrer Beschreibung die Rede ist. Kunst und Kritik, Emotion und Argumentation 315 Noch gravierender droht es in den Neuen Medien hervorzutreten, wenn die Verfasser kunstkritischer Blogs ihre Aufgabe nicht mehr primär in der Information, Beschreibung, Einordnung und Bewertung sehen, sondern in der identitätspolitischen Durchsetzung gruppenbezogener Normen und Richtwerte. Das in jüngster Zeit zu beobachtende Phänomen des “ review bombing ” (bislang noch vornehmlich in der Filmkritik) ist eine Strategie, mit der Interessierte mittels eines Shitstorms vernichtender Verrisse den Erfolg eines Kunstwerks oder eines Künstlers zu verhindern trachten, das oder der nicht in ihr Weltbild passt. Den Vorgeschmack auf solche Versuche, den kulturellen Diskurs zu beeinflussen (und möglichst zu dominieren) lieferten bereits zu Beginn der 90er Jahre die Kampagnen von homophoben Evangelikalen und reaktionären Vereinen (wie The American Family Association) in den USA, durch die sie die Wanderausstellung von Werken des amerikanischen Künstlers Robert Mapplethorpe in einer Retrospektive unter dem Titel The Perfect Moment zu verhindern suchten. Ihre manichäisch befeuerte Bilderstürmerei im Gewande emotional aufgeladener ‘ Kunstkritik ’ richtete sich nicht nur gegen den unterdessen verstorbenen Künstler, sondern auch gegen Kuratoren und Museumsdirektoren, die ihn auszustellen wagten. Kaum weniger gefährlich ist die umgekehrte Gefechtsformation in kunstkritischen Posts, die Kritikern oder Kritikerinnen sich selbst ein Urteil bilden zu können absprechen über Künstlerinnen und Künstler, die nicht dasselbe Geschlecht, dieselbe Hautfarbe oder sexuelle Orientierung haben wir er oder sie. Solche identitätspolitischen Ab- und Ausgrenzungen bedrohen die professionelle Kunstkritik im Namen missverstandener political correctness im Kern. Die Kunstkritik kann dieses Problem vielleicht auch nicht lösen, aber die Kunstwissenschaft und die kritische Diskursanalyse sollten sich des Themas annehmen. Denn es ist die Sprache, die den Zugang sowohl zur Zeichenwelt der Kunst wie zu der von Emotionen sichert. 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