Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2018
413-4
Sprechakttheorie - eine Bestandsaufnahme
121
2018
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Rawa Ouachem
1969 erscheint bei Cambridge University Press das für Philosophie wie Linguistik gleichermaßen einflussreiche Buch Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language von John Searle. Zum 50. Jubiläum widmet sich ein Narr Studienbuch der Bedeutung dieses sprachtheoretischen Ansatzes und seinem Einfluss auf die Linguistik. Das Buch wird herausgegeben von Simon Meier, Lars Bülow, Frank Liedtke, Konstanze Marx und Robert Mroczynski und trägt den Titel 50 Jahre Speech Acts. Bilanz und Perspektiven. Es ist 2019 bei Gunter Narr in Tübingen erschienen als dritter Band in die Reihe Studien zur Pragmatik; es präsentiert neuere Forschungsfragen und Anwendungsfelder, die sich mit verschiedenen Aspekten der Sprechakttheorie befassen und bietet Studierenden der
Linguistik nicht nur einen soliden Überblick, sondern auch manche Anregungen für die weitere Forschung.
kod413-40359
K O D I K A S / C O D E Volume 41 (2018) · No. 3 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen Review Article Sprechakttheorie - ein Bestandsaufnahme / Speech act theory - a survey Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Rawa Ouachem (Monastir) Abstract: In 1969, Cambridge University Press published a book entitled Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language by John Searle. To mark the 50th anniversary, a Narr study book is devoted to the significance of this approach to language theory and its influence on linguistics. The book is edited by Simon Meier, Lars Bülow, Frank Liedtke, Konstanze Marx, and Robert Mroczynski and is entitled 50 Years of Speech Acts. Balance and Perspectives. It is published in 2019 by Gunter Narr in Tübingen as the third volume in the series Studien zur Pragmatik; it presents recent research questions and fields of application dealing with different aspects of speech act theory and offers students of linguistics not only a solid overview but also some suggestions for further research. 1969 erscheint bei Cambridge University Press das für Philosophie wie Linguistik gleichermaßen einflussreiche Buch Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language von John Searle. Zum 50. Jubiläum widmet sich ein Narr Studienbuch der Bedeutung dieses sprachtheoretischen Ansatzes und seinem Einfluss auf die Linguistik. Das Buch wird herausgegeben von Simon Meier, Lars Bülow, Frank Liedtke, Konstanze Marx und Robert Mroczynski und trägt den Titel 50 Jahre Speech Acts. Bilanz und Perspektiven. Es ist 2019 bei Gunter Narr in Tübingen erschienen als dritter Band in die Reihe Studien zur Pragmatik; es präsentiert neuere Forschungsfragen und Anwendungsfelder, die sich mit verschiedenen Aspekten der Sprechakttheorie befassen und bietet Studierenden der Linguistik nicht nur einen soliden Überblick, sondern auch manche Anregungen für die weitere Forschung. Keywords: John L. Austin, John Searle, Speech Acts, Speech Act Theory, Linguistics, Philosophy of Language / John L. Austin, John Searle, Sprechakte, Sprechakttheorie, Linguistik, Sprachphilosophie Vor einem halben Jahrhundert erschien bei der Cambridge University Press ein Buch, das den vergleichsweise unspektakulären Titel trug: Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language. Es sollte nicht nur die Sprachphilosophie maßgeblich beeinflussen, sondern auch die Linguistik, namentlich die Linguistische Pragmatik. Sein Autor war der junge amerikanische Philosophieprofessor John Searle, der im Rahmen eines Rhodes-Stipendiums von 1952 bis 1959 am Christ Church College der University of Oxford studiert und dort die später legendären Vorlesungen seines dortigen Lehrers John Langshaw Austin gehört hatte, die später unter dem Titel How to do things with words in einem schmalen Büchlein zusammengefasst wurden, das zuerst 1962 erschien. Seine Studien in Oxford schloss John Searle 1959 mit der Promotion ab und erhielt sofort eine Professur an der angesehenen University of California at Berkeley, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte. Zehn Jahre nach seiner Berufung publizierte er sein Buch, das Wissenschaftsgeschichte schreiben sollte. Aus diesem Anlass haben sich die Herausgeber entschlossen, Beiträge zur Wirkung dieses Werkes und zur kritischen Auseinandersetzung mit dem theoretischen Ansatz in dem hier zu besprechenden Sammelband zu bündeln, der aus einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft Linguistische Pragmatik hervorgegangen ist, die im März 2019 an der Universität Bremen stattfand; insofern ist es bemerkenswert, dass es Verlag, Autoren und Herausgebern gelungen ist, den Band noch im selben Jahr herauszubringen. In ihrer Einleitung stellen die Herausgeber den Ansatz kurz vor, würdigen seine Rezeption und Fortentwicklung, vor allem seine Bedeutung für die Linguistische Pragmatik. Dann diskutieren sie die neueren Entwicklungen der Sprechakttheorie und deren Potential für die pragmalinguistische Theoriebildung und empirische Anwendung. Schließlich stellen sie die zwölf Beiträge kurz vor. Ein Autorenverzeichnis gibt 17 Adressen derer an, die an dem Band mitgewirkt haben. Er wird eröffnet von Sven Staffeldt mit seinem Beitrag “ SAT(T? ) - Ein Verwirrspiel in drei Akten ” , in dem er sich mit kritischen Einwänden gegen die Sprechakttheorie (SAT) auseinandersetzt und zu dem Schluss kommt, dass sie ihre Bedeutung auch für die empirische Datenanalyse nicht verloren habe (S. 27 - 53). Insbesondere schaut er sich zwei aktuelle der Pragmatik gewidmete Ausgaben der Zeitschrift Der Deutschunterricht daraufhin an, ob und inwieweit SAT für die Untersuchung authentischer Sprachdaten fruchtbar gemacht werden könne und stellt fest, dass sie in den dort versammelten Beiträgen praktisch gar nicht vorkommt. Angesichts dieser Befunde plädiert er dafür, deduktive und induktive Ansätze miteinander im Sinne einer integrativen Pragmatik zu verschränken. Im zweiten Beitrag über “ Vormoderne Sprechaktanalysen als Herausforderung für die moderne Sprechakttheorie ” bemüht sich der Mitherausgeber Simon Meier verdienstvollerweise um die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung des Ansatzes und vermag anhand von historischen Analysen von Sprechakten (wie Versprechen oder Drohen, Tadeln oder Verbieten) zu zeigen, dass einigen wesentlichen Merkmalen der modernen Sprechakttheorie bereits lange vor Searle in den Werken vormoderner Autoren (wie Hobbes, Pufendorf, Zedler u. a.) die gebotene Aufmerksamkeit zuteil wurde (S. 55 - 75). Freilich übersieht er auch nicht die Unterschiede: während sich die früheren Ansätze an objektiven Gesetzmäßigkeiten orientierten, gehe es in der Sprechakttheorie um die Formulierung von Regeln und die Klassifikation von Sprechhandlungen sowie deren Begründung durch Präferenzen und Interessen. Im darauf folgenden Kapitel “ Sprechhandlung und Aushandlung ” fragt Frank Liedtke nach der Integration interaktionslinguistischer Konzepte in die Sprechakttheorie und diskutiert die Kritik an deren Grundannahme, dass “ ein Sprechakt gelungen [sei], wenn die kommunikative Intention erkannt [werde], mit der er vollzogen wurde (S. 77 - 101, hier S. 77). Diese Fixierung auf die Sprecherintention blende den interaktiven Charakter einer Redekonstellation ebenso aus wie den Aspekt der Beziehung zwischen den Gesprächspartnern. Ihrem kooperativen Handeln werde Searles Definition nicht gerecht, denn die 360 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Rawa Ouachem (Monastir) Bedeutung einer Äußerung sei nicht ausschließlich aus der Absicht des Sprechers zu gewinnen, sondern entstehe erst im Gespräch. Gleichwohl möchte der Verf. auf zentrale Begriff wie Sprecherintention oder Illokution nicht verzichten und schlägt vor, sie um das Konzept der ‘ kollektiven Intention ’ (oder ‘ Wir-Intention ’ ) zu erweitern, um den von den Gesprächspartnern gemeinsam und kooperativ hergestellten Sinn von Äußerungen erfassen zu können. Allerdings unterliege das Konzept der ‘ Wir-Intention ’ gewissen Einschränkungen, sobald man es auf die Sprechaktperformanz(en) anwenden wolle. Auch Leonard Kohl schlägt in seinem Beitrag “ Sprechakte in der Interaktion - auf dem Weg zu einer interaktionalen und empirischen Sprechakttheorie ” vor, die Sprechakttheorie durch eine gesprächslinguistische Komponente zu ergänzen, um sie für die empirische Analyse dialogförmiger Verständigung fruchtbar zu machen, freilich ohne dafür das Konzept der Sprecherintention aufzugeben (S. 103 - 128). Anhand von Gesprächsdaten aus authentischen Whats-APP-Chats sucht der Verf. zu zeigen, wie die Teilnehmer an den Chats gemeinsam illokutionäre Kräfte aktivieren. Damit will er sowohl die theoretische Reichweite als auch das methodische Instrumentarium der Sprechakttheorie erweitern, um sie auch in der Gesprächsanalyse anwendbar zu machen. Rita Finkbeiner beginnt ihren Beitrag unter dem Titel “ Expressive Sprechakte revisited ” mit einem Überblick über die Expressiva und ihre Charakterisierungen in verschiedenen Ansätzen ihrer Klassifikation, wobei sie sowohl ältere als auch neuere Ansätze zur Ordnung und Beschreibung expressiver Sprechakten einbezieht (S. 129 - 151). Ausgehend von Searles Kriterien der Sprechaktklassifikation - illokutionärer Witz, psychischer Zustand, Anpassungsrichtung - diskutiert die Verf. die im Hinblick auf die wesentliche Regel, die Aufrichtigkeitsregel und die Regel des propositionalen Gehalts bestehenden Probleme und erörtert am Beispiel des Sprechakts ‘ sich verabschieden ’ das Verhältnis zwischen expressiven Sprechakten und expressiver Bedeutung. Schließlich lädt die Verf. dazu ein, den Zusammenhang zwischen expressiven Ausdrücken und expressiven Sprechakten genauer zu untersuchen, um den Begriff der ‘ Expressivität ’ auf semantischer und pragmatischer Ebene besser zu verstehen. Ausgehend von der Diskussion zweier Beispielsätze, die weder strukturell voneinander zu unterscheiden sind noch im Hinblick auf ihre semantische Struktur, gehen Daniel Gutzmann und Katharina Turgay in ihrem Beitrag mit dem Titel “ Fiktionale Aussagen als Assertionen? Grenzen der Searle ’ schen Sprechaktklasse ” davon aus, dass es sich bei fiktiven und realen Aussage um zwei verschiedene Arten von Aussagen handle (S. 153 - 180). Bei solchen Äußerungen werde nicht etwa wie bei der ‘ Assertion ’ im Sinne von Searle der gleiche Sprechakt vollzogen, sondern zwei unterschiedliche Sprechakte, auch wenn sie dieselbe sprachliche Form aufweisen mögen. Ausgehend von Searles ursprünglicher Definition der Assertion zeigen die Verf. zunächst, dass fiktionale Aussagen nicht der Klasse der Assertionen zu subsumieren seien und entwickeln dann Argumente für Ihren an Robert Stalnakers Begriff des ‘ Common Ground ’ (der sich auf Akzeptanz statt auf Glauben stützt) orientierten Vorschlag, die sogenannten schaffenden fiktionalen Aussagen als ‘ Deklarationen ’ aufzufassen und die beschreibenden fiktionalen Aussagen als ‘ Assertionen ’ zu betrachten. In seinem Beitrag “ Intentionalität und Äußerungsbedeutung ” setzt Tilo Weber sich mit “ zwei gegensätzliche[n] Positionen im Licht der Searle-Derrida-Debatte ” auseinander, die Sprechakttheorie - ein Bestandsaufnahme 361 sich an Searles These entzündete, dass eine Äußerungsbedeutung von der Intention des Sprechers abhänge, und seit 1977 zunächst vor allem in der Zeitschrift Glyph ausgetragen wurde (S. 181 - 201). Jacques Derrida hatte die These von der Intentionalität sprachlicher Bedeutungen grundsätzlich in Frage gestellt, woraufhin Searle sie vehement zu verteidigen suchte. Dabei schenkten sich die Kontrahenten nichts, sie formulierten ihre Kritik und Gegenkritik so hart wie schonungslos, was dazu führte, dass die Debatte von Beobachtern als “ aggressiv, gewalttätig, feindselig ” (S. 182), auch als polemisch und verwirrt wahrgenommen wurde. Es kam nicht zu einer wirklich vertieften Sachdiskussion und die Debatte brach schließlich ab. Interessant ist die Analyse der darin vorgetragenen Positionen, durch die der Verf. die Beziehung zwischen Argumentationsstil und theoretischer Position der Kontrahenten aufdeckt und eine genauere Rekonstruktion von Derridas kritischer Auseinandersetzung mit Searles Intentionalismus und Searles Erwiderung darauf anstrebt. Dadurch neigt der Verf. zu der Annahme, dass Derrida an einigen Stellen seiner Kritik durchaus Recht hatte, was aber nicht bedeuten solle, dass der Zusammenhang zwischen Intentionalität und Bedeutung völlig zu negieren sei. Joschka Briese stellt unter dem Titel “ Intentionalität ohne Intentionalismus? ” den “ Entwurf eines sprachgebrauchs- und zeichenbasierten Konzepts von Denk- und Handlungsfähigkeit ” vor, der für das Konzept einer prozessual-diskursiven Intentionalität plädiert, das von der grundsätzlich sozialen und zeichenvermittelten Natur der Äußerung einer Absicht ausgeht und damit die klassische Annahme einer vorgängigen Intention vermeidet (S. 203 - 226). Brieses Modell der diskursiven Intentionalität verbindet dabei die Theorie der inferenziellen Semantik von Robert B. Brandom mit der zeichentheoretischen Konzeption von Thomas L. Short und bettet in seinem Modell der Intentionalität sprachliche Äußerungen in ihren sozialen und diskursiven Kontext ein. Nach einer fundierten Kritik am Intentionalismus entwickelt der Verf. auf der Grundlage aktueller Sprachtheorien ein sprachgebrauchs- und zeichenbasiertes Konzept von Intentionalität, das für linguistische Analysen nutzbar gemacht werden kann und die Modellierung von Aushandlungsprozessen sprachlicher Bedeutung erlaubt. In ihrem anschließenden Beitrag über das komplexe “ Verhältnis von Satztyp- und Illokutionstypinventaren ” werfen Hans-Martin Gärtner und Markus Steinbach einen “ Blick auf kognitive Ansätze ” und suchen dabei die Sprechakttheorie mit der kognitiven Linguistik und der Grammatikforschung zu verbinden (S. 227 - 247). Im ersten Teil ihres Beitrags stellen die Verf. die Satztyp- und Illokutionstyp-Inventare von John Searle (1976) und von Dietmar Zaefferer (2001) vor, um dann das Verhältnis von Satztyp und Illokution in der kognitiven Linguistik zu diskutieren, wobei sie sich insbesondere mit dem ‘ kognitivistischen ’ Ansatz von William Croft (1994) auseinandersetzen, den die Verf. trotz einer Reihe von Kritikpunkten als einzigen umfassenden Vorschlag zur Fundierung von Satztyp- und Illokutionstyp-Inventaren innerhalb der kognitiven Linguistik betrachten. Aus ihrer Kritik leiten sie schließlich einen Modifikationsvorschlag ab, der die Affinität des sog. BDI-Modells (belief-desire-intention-psychology) mit den psychologischen Einstellungen von Searles Aufrichtigkeitsbedingungen für Illokutionstypen herausarbeitet. Am Beginn seines Beitrags mit dem Titel “ How cool is that! Ein neuer Sprechakt aus Sicht der Grammatik-/ Pragmatik-Schnittstelle ” hebt Andreas Trotzke zunächst die Beziehung zwischen Sprechakt und Satztyp hervor und die besondere Rolle der Modalpartikeln in der 362 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Rawa Ouachem (Monastir) Indikation einer Illokution im Deutschen (S. 249 - 268). Ihn interessieren hier die sogenannten ‘ W-Konfigurationen ’ im Englischen im Vergleich zum Deutschen. Am Beispiel von ‘ Pseudo-Fragen ’ wie How cool is that! im Englischen und der entsprechenden Version im Deutschen Wie geil ist das denn! zeigt der Verf., dass und inwiefern affirmationsorientierte Pseudo-Fragen (affirmation-oriented pseudo-questions) eine Subklasse der Exklamationen bilden und dass man auf der Basis bestimmter illokutionärer Indikatoren - wie einerseits Modalpartikeln (im Deutschen) bzw. andererseits interrogative Syntax (im Englischen) - eine Unterscheidung in der Sprechaktklasse der Exklamativa treffen kann durch wie Merkmale wie [+Adressaten-Orientierung] und [-Adressaten-Orientierung]. Pawel Sickinger setzt sich in seinem Beitrag über “ Sprechakte als prototypisch strukturierte Überkategorien sprachlicher Problemlösungen. Eine Rekonzeptualisierung über das Konzept der communicative tasks ” mit dem Problem der Abgrenzung zwischen Sprechakttypen auseinander und unterbreitet aus der Perspektive der anglistischen Pragmatik und der Angewandten Linguistik Vorschläge für eine Rekonzeptualisierung der Sprechakttheorie an, die einige Schwierigkeiten mit dem Sprechaktkonzept und seiner Operationalisierung zu beheben geeignet sein könnten (S. 269 - 292). Anhand einer kleinen Fallstudie dazu geht der Verf. zunächst auf das Problem der Sprechakt-Kategorisierung ein und entwickelt zwei Ansätze zu dessen Lösung, nämlich einerseits ein Kategorienmodell, das Sprechakte als Prototypenkategorien im Sinne der kognitiven Linguistik zu konzipieren erlaubt, andererseits den Einzug einer zusätzlichen Klassifizierungsebene unter den Sprechakten. Dabei geht es um die Klasse bzw. Ebene der sogenannten ‘ communicative tasks ’ , die er nicht als Gegenentwurf zum Sprechaktkonzept verstanden wissen will, sondern nur als Kategorien unterhalb der Ebene der Sprechakttypen. Abschließend präsentiert der Verf. noch einmal seine Argumente für den theoretischen und den praktischen Mehrwert seiner vorgeschlagenen Lösungsansätze in den Bereichen der Varietätenpragmatik und der pragmatischen Kompetenz. Wie sieht das wohl aus, wenn jemand wie Donald Trump, der für seine hemmungslos amoralischen Tweets berüchtigte (und glücklicherweise Ende 2020 nach einer Amtsperiode abgewählte) Präsident der USA, im digitalen Medium Twitter sein Beileid bekundet? Neugier weckt daher der aktuelle Beitrag “ Too little, too late - Der Sprechakt K ONDOLIEREN auf Twitter durch Donald Trump ” von Astrid Tuchen, der den Band abrundet (S. 293 - 317). Die Verf. erörtert zunächst den Sprechakt ‘ Kondolieren ’ aus der theoretischen Perspektive, bevor sie sich dann im empirischen Teil ausgewählten Kondolenz-Tweets von Donald Trump widmet, die sie einer eingehenden Inhaltsanalyse unterzieht. Sie will damit bestehende Lücken in den nach ihrer Ansicht immer noch unterspezifizierten Untersuchungen zum Sprechakt ‘ Kondolieren ’ schließen. Indem sie sich intensiver mit der Frage nach der Anwendbarkeit der Sprechakttheorie auf Texte im neuen Kommunikationsmedium Twitter befasst, vermag sie zu zeigen, wie Erkenntnisse der Sprechakttheorie für die Analyse von Sprechhandlungen auch in digitalen Kontexten fruchtbar gemacht werden kann. Gestützt auf Beispiele aus ihrem Corpus arbeitet sie die von Trump bevorzugten Textbausteine heraus und fragt beispielsweise, ob und inwieweit sein Tweet zum Tode des angesehenen republikanischen Senators John McCain als im Sinne der Textsorte Kondolenzschreiben ‘ gelungen ’ beschrieben werden kann oder als ‘ misslungen ’ eingestuft werden muss. Ist die Frage mit dem Instrumentarium der Sprechakttheorie zu beantworten? Sprechakttheorie - ein Bestandsaufnahme 363 Um das zu entscheiden, betrachtet die Verf. den Begriff ‘ Kondolieren ’ aus verschiedenen Perspektiven und exponiert die sprachliche Handlung ‘ Kondolieren ’ einmal als rituelle Sozialhandlung und einmal als medien- und textsortentypologisch spezifizierten Sprechakt. Dabei richtet sie ihren Blick zum einen inhaltsanalytisch auf den Akt der Beileidsbekundung, auf die Rolle des Sprechers und seiner Adressaten (Hinterbliebene? Öffentlichkeit? ) sowie auf die Ursachen des Ablebens (natürliche Todesursache? Gewaltakt? Amoklauf ? Naturkatastrophe? ), zum anderen auf die Bewertungen des Kondolenztweets (gelungen? misslungen? ) durch die User des Mediums. Insgesamt bietet der Sammelband einen guten Überblick über die Möglichkeiten und aktuellen Ansätze der Auseinandersetzung mit Grundannahmen der Sprechakttheorie und deren Potential in der anwendungsorientierten Pragmatik. Zugleich wird in den Beiträgen deutlich, wie die klassische Sprechakttheorie durch neue methodische Impulse aus der Diskurslinguistik, der kognitiven Linguistik und der Corpuslinguistik ergänzt und erweitert werden kann und damit neue Aktualität zu gewinnen vermag. Dadurch eröffnet er auch Studierenden, gezielt eingeführt durch die konzise Einleitung der Herausgeber, einen guten Einstieg in ein nach wie vor ertragreiches Forschungsfeld. Literatur Austin, John L. 1962: How to do things with words, Oxford: Clarendon Hess-Lüttich, Ernest W. B. (ed.) 2014: Semiotik und Sprachphilosophie / Semiotics and the Philosophy of Language (= Special Issue of K ODIKAS / C ODE . An International Journal of Semiotics 36.3 - 4 [2013]), Tübingen: Gunter Narr Meier, Simon, Lars Bülow, Frank Liedtke, Konstanze Marx & Robert Mroczynski (eds.) 2019: 50 Jahre Speech Acts. Bilanz und Perspektiven (= Studien zu Pragmatik 3), Tübingen: Gunter Narr Ouachem, Rawa 2018: Explizit performative Äußerungen im Deutschen und Arabischen: Eine kontrastive Studie, Tunis: Diss.phil. (unter d. Leitung v. Ernest Hess-Lüttich) Universität Carthago Searle, John L. 1969: Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge: Cambridge University Press Searle, John L. 1976: “ A Classification of Illocutionary Acts ” , in: Language in Society 5.1 (1976): 1 - 23 Zaefferer, Dietmar 2001: “ Deconstructing a Classical Classification: A Typological Look at Searle ’ s Concept of Illocution Types ” , in: Revue Internationale de Philosophie 217 (2001): 209 - 225 364 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) & Rawa Ouachem (Monastir)