eJournals Kodikas/Code 41/3-4

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2018
413-4

Jochen A. Bär 2015: Hermeneutische Linguistik. Theorie und Praxis grammatisch-semantischer Interpretation. Grundzüge einer Systematik des Verstehens, Berlin/München/Boston: Walter de Gruyter, 864 pp., 154,95 €, ISBN 978-3-11-040511-8

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2018
Ernest W. B. Hess-Lüttich
kod413-40373
in einer Reihe von Büchern und in vielen Einzelstudien entwickelten) Argumentation für die Neuorientierung der von ihm anvisierten Allgemeinen Semiotik, zu der das hier vorgelegte Buch eine Fülle von Anregungen bietet. Den Rezensenten hat aufgrund der Analysen konkreter Beispiele vor allem der Mittelteil der ‘ Angewandten Semiotik ’ fasziniert, aber er empfiehlt auch, die Anstrengung der Lektüre des theoretisch anspruchsvollen dritten Teils nicht zu scheuen, weil er überkommenes (und bequemes) Schubladendenken, wie es zuweilen in hermeneutischen versus formalen Ansätzen zutage tritt, zu überwinden geeignet erscheint. Literatur Adorno, Theodor W. [1963] 1997: “ Fragment über Musik und Sprache ” , in: id.: Gesammelte Schriften, vol. 16: Musikalische Schriften I-III, Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 251 - 256 Behr, Michael 1983: Musiktheater. Faszination Wirkung Funktion, Wilhelmshaven: Heinrichshofen Faltin, Peter 1985: Bedeutung ästhetischer Zeichen. Musik und Sprache, Aachen: Rader Hess-Lüttich, Ernest W. B. 2008 a: “ Tristan: Sprachliche Komposition und musikalische Bedeutung. Vier Variationen des Themas in Oper/ Theater, Novelle, Film und Fernsehen ” , in: Michael Szurawitzki & Christopher M. Schmidt (eds.) 2008: Interdisziplinäre Germanistik im Schnittpunkt der Kulturen. Festschrift für Dagmar Neuendorff, Würzburg: Königshausen & Neumann, 371 - 382 Hess-Lüttich, Ernest W. B. 2008 b: “ Benjamin Britten ’ s Opera Death in Venice. The Language of Music, Gaze, and Dance ” , in: Jürgen E. Müller (ed.) 2008: Media Encounters and Media Theories, Münster: Nodus, 171 - 184 Hess-Lüttich, Ernest W. B. 2009: “ Intermediale Übersetzung: Sprache und Musik ” , in: Ernest W. B. Hess-Lüttich & Joachim Warmbold (eds.) 2009: Empathie und Distanz: Zur Bedeutung der Übersetzung aktueller Literatur im interkulturellen Dialog, Frankfurt am Main: Peter Lang, 43 - 73 Wildgen, Wolfgang 1994: Process, Image, and Meaning. A Realistic Model of the Meanings of Sentences and Narrative Texts (= Pragmatics and Beyond, New Series No. 31), Amsterdam: John Benjamins Wildgen, Wolfgang 2013: Visuelle Semiotik. Die Entfaltung des Sichtbaren. Vom Höhlenbild bis zur modernen Stadt, Bielefeld: tarnscript Wildgen, Wolfgang 2018: Musiksemiotik. Musikalische Zeichen, Kognition und Sprache, Würzburg: Königshausen & Neumann Jochen A. Bär 2015: Hermeneutische Linguistik. Theorie und Praxis grammatischsemantischer Interpretation. Grundzüge einer Systematik des Verstehens, Berlin/ München/ Boston: Walter de Gruyter, 864 pp., 154,95 € , ISBN 978-3-11-040511-8 Mehr als 15 Jahre habe er daran gearbeitet, bekennt Jochen A. Bär im Vorwort zu seinem opus magnum über Hermeneutische Linguistik - und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen. Der Heidelberger Germanist versteht sich als ‘ Kulturlinguist ’ . Er hat nach seinem Examen an der Arbeitsstelle Frühneuhochdeutsches Wörterbuch des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg gearbeitet und nebenbei seine Doktorarbeit über die Sprachreflexion in der deutschen Frühromantik geschrieben, die dort von Oskar Reichmann betreut wurde. Bei ihm habilitierte er sich schließlich auch mit dem vorliegenden voluminösen Werk, das ihm (neben seinen anderen Arbeiten) alsbald den Ruf auf eine Professur für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Vechta eintrug. Es erhebt den Anspruch, einen kulturwissenschaftlich integrierten Ansatz zur Explikation der Recent Readings - Reviews 373 Semantik des Deutschen auf allen systematischen Ebenen vom Morphem bis zum Diskurs zu formulieren und ‘ Bedeutung ’ aus einem einzigen Prinzip abzuleiten: dem Verweis sprachlicher Zeichen auf sprachliche Zeichen, was ein wenig an die (hier freilich nicht zitierten) Studien über Charles W. Morris erinnert, die der Philosoph und Semiotiker Achim Eschbach einst zusammengetragen hat: “ Zeichen über Zeichen über Zeichen ” (Eschbach ed. 1981). Von diesem Ausgangspunkt her entwickelt der Verfasser dann ein komplexes Regelwerk zur Interpretation sprachlicher Äußerungen, das in seiner Gesamtheit eine empirisch fundierte und semantisch orientierte Grammatik der neuhochdeutschen Schriftsprache zwischen 1750 und 1950 darstellen soll. In skeptischer Äquidistanz zu Positionen, die wie die referentielle Semantik Bedeutung sprachlicher Zeichen in den von ihnen bezeichneten Gegenständen vermuten oder aber in deren mentalen Repräsentationen wie die mentalistische Semantik, möchte Bär Bedeutung zeichentheoretisch begründen und allein aus der Relation sprachlicher Zeichen zueinander ableiten. Sie verweisen nicht einfach aufeinander, sondern tun dies nach bestimmten Regeln. Diesem komplexen Regelwerk ist der Autor auf der Spur. Deshalb widmet er - nach einer ausgreifenden Einführung in seine Thematik und sein Interesse an einer Historischen Semantik - zwei umfangreiche Kapitel der Bestimmung des sprachlichen Zeichens und seinen Arten im Gefüge von Wörtern und dessen Verflechtungen. Neben der Historischen Semantik motiviert ihn vor allem die Konstruktionsgrammatik, über die Grenzen zwischen Semantik und Grammatik nachzudenken. Wem dabei die Semantik im Hinblick auf Ausnahmen und Sonderfälle nicht spezifisch genug erscheint, wird durch die Grammatik mit einer Überfülle an Untergliederungen, etwa bei den Propositionsgefügen mit der weit überdurchschnittlich differenzierten Typologie von Genitivattributen (Kapitel 6: S. 643 - 713), mehr als entschädigt. Insofern lassen sich die Kapitel 4 und 5 zu konkreten Gliedergefügearten und konkreten Zeichenarten auch als Nachschlagewerk lesen einerseits zu semantikogrammtischen Formen kollokativer Determination, wie sie in derAnwendung auf das Corpus interpretativ genutzt wurden (S. 194 - 371), andererseits zu Arten von Wortelementen (Grammative, Semantive), von Wortarten (Verben, Substantiven, Adjektiven, Artikel, Pronomina, Partikeln), von Wortgruppen und Wortverbünden (S. 372 - 642). Wer dann immer noch nicht erschöpft ist und den Überblick behalten hat, kann sich noch inspirieren lassen von den terminologisch ehrgeizigen Überlegungen zu Möglichkeiten der Unterscheidung semantischer Relationen im Kapitel 7 (714 - 748), die dankenswerterweise S. 738 ff. noch einmal im listenförmigen Überblick zusammengestellt werden für den Fall, dass sich nach dem “ terminologischen Bacchanal ” (S. 717) beim wohlwollenden Leser ein Gefühl leichter Übersättigung einstellen sollte. Wer es nicht schon geahnt haben sollte, kann jetzt wissen: sprachliche Verstehensprozesse sind komplex, komplexer jedenfalls “ als sich mit den Mitteln einer basiszeichenzentrierten relationalen Semantik nachweisen ließe ” (S. 749). Hervorzuheben ist die durchgehende Rückbindung der Darstellung an die (literarischen) Quellen als der empirischen Grundlage aller typologischen Anstrengung. Zu fragen wäre allenfalls, ob sich der Verfasser - wie auch ein Blick in das Verzeichnis der herangezogenen Sekundärliteratur bestätigt - durch seine nahezu ausschließliche Orientierung an Ansätzen der ‘ Heidelberger Schule ’ um Oskar Reichmann den Horizont nicht ein wenig zu sehr einschränken lässt und sich damit den Blick verstellt auf alternative Ansätze der 374 Ernest W. B. Hess-Lüttich (Berlin/ Kapstadt) Grammatikographie, die sich aus der Textlinguistik, Pragmatik, Rhetorik oder Diskurstheorie haben anregen lassen (cf. z. B. Weinrich 2005; Müller 2018; Bücker 2021). Literatur Bücker, Jörg 2021: “ Gesprächsgrammatik: Entwicklung - Konzepte - Methoden ” , in: Hess-Lüttich (ed.) 2021: 173 - 193 Eschbach, Achim (ed.) 1981: Zeichen über Zeichen über Zeichen. 15 Studien über Charles W. Morris, Tübingen: Gunter Narr Götze, Lutz & Ernest W. Hess-Lüttich 4 2002: Grammatik der deutschen Sprache, Gütersloh: Bertelsmann Hess-Lüttich, Ernest W. (ed.) 2021: Handbuch Gesprächsrhetorik, Berlin/ Boston: Walter de Gruyter Müller, Marcus 2018: “ Diskursgrammatik ” , in: Ingo Warnke (ed.) 2018: Handbuch Diskurs, Berlin/ Boston: Walter de Gruyter, 75 - 103 Weinrich, Harald 3 2005: Textgrammatik der deutschen Sprache (unter Mitarbeit von Maria Thurmair, Eva Breindl & Eva-Maria Willkopp), Hildesheim/ Zürich/ New York: Olms Jens Loenhoff & H. Walter Schmitz (eds.) 2015: Telekommunikation gegen Isolation. Kommunikationswissenschaftliche Studien aus einem Modellprojekt in einer Klinik, Wiesbaden: Springer, 392 pp., 69,99 € , ISBN 978-3-658-10645-4 Als die Essener Kommunikationswissenschaftler ihren Sammelband unter dem Titel Telekommunikation gegen Isolation herausbrachten, konnten sie nicht ahnen, welche Assoziationen das Thema in den Jahren der Corona-Pandemie auslösen sollte, in denen Videokonferenzen täglich durchlittene Praxis und soziale Isolation vielfach geteilte Erfahrung werden sollten. Mit ihren interaktionsanalytischen Projekten zur Untersuchung der Videokonferenz als eigenständiger Kommunikationsform, mit denen sich die Essener Forscher seit der Jahrhundertwende in Büchern und Beiträgen zu Wort melden, sind sie nicht nur im Hinblick auf Fragestellungen und Erkenntnisinteressen ihrer Zeit voraus, sondern setzen in kritischer Auseinandersetzung mit anderen (etwa konversations- und gesprächsanalytischen) Ansätzen auch in begrifflicher und methodischer Hinsicht Maßstäbe. In dem nun vorgelegten Band geht es um die Erträge eines kommunikationswissenschaftlich-medizinischen Modellprojekts, das der Analyse von Videokonferenzen krebskranker Kinder gewidmet ist, die wegen der Gefahr von Infektionen monatelang auf der Isolierstation verbringen müssen und mit dem Medium versuchen, Kontakt zu ihren Eltern, Freunden und Familien zu halten. Den acht Kapiteln von Thomas Bliesener, Tino Minas, Daniela Rudzinski und Angelika Wirtz stellen die Herausgeber Jens Loenhoff und H. Walter Schmitz eine unbedingt zur Lektüre empfohlene Einleitung voran, in der sie nicht nur einen überaus gut informierten Überblick über den Forschungsstand der Videokonferenzforschung geben, in die sie ihre Projekte zugleich einbetten und sie durch eigene Akzente bereichern, sondern auch eine wissenschaftshistorisch fundierte Kritik an dem seit einiger Zeit erhobenen Anspruch der linguistischen Gesprächsforschung formulieren, die Multimodalität direkter und technisch vermittelter Kommunikation entdeckt und in ihr methodisches Instrumentarium integriert zu haben. Zu Recht erinnern die Autoren an die bis in die Antike zurückreichende Tradition Recent Readings - Reviews 375