eJournals Kodikas/Code 42/1

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/516
2024
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Berlin als ‘Text’

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2024
Ernest W. B. Hess-Lüttich
Was sind urbane Diskurse? Die Frage nach dem ‘Wie’ urbaner Kommunikation zielt auf deren (sozio)kulturelle Verfasstheit im Schnittfeld von Diskursforschung und Semiotik, Stadtökologie und Stadtsoziologie. Welche Ansätze können in einem interdisziplinären Forschungsdesign zur Anwendung kommen, um die Diskursbedingungen urbanen Wandels und dessen demokratischer Legitimation zu verbessern? Das folgende Kapitel stellt dazu einige solcher Ansätze semiotischer, urbanologischer, ökologischer, linguistischer Provenienz vor, die einen inter- und multidisziplinären Zugang für die ‘Lektüre’ urbaner Räume als ‘Texte’ bieten.
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1 Berlin als ‘ Text ’ Ein interdisziplinärer Zugang Abstract: Sustainable Urban Planning is to be understood as a communicative process, which interlinks city architecture, technology, city district management and social infrastructure of neighbourhoods. The focus on sustainability brings up the question, under which discourse conditions architects, city planners interact with other urban actors, citizens, local administrators and politicians in order to successfully implement urban renewal and take into account which cultural heritage should be preserved. Looking at the style of discourse in such urban communication processes brings also its socio-cultural conditions and modalities into focus. Which are the most promising approaches, which could contribute to such an interdisciplinary enterprise? The following chapter presents some such approaches of semiotic, urbanistic, ecological and linguistic provenance, which offer an interand multidisciplinary approach to the ‘ reading ’ of urban spaces as ‘ texts ’ . Zusammenfassung: Was sind urbane Diskurse? Die Frage nach dem ‘ Wie ’ urbaner Kommunikation zielt auf deren (sozio)kulturelle Verfasstheit im Schnittfeld von Diskursforschung und Semiotik, Stadtökologie und Stadtsoziologie. Welche Ansätze können in einem interdisziplinären Forschungsdesign zur Anwendung kommen, um die Diskursbedingungen urbanen Wandels und dessen demokratischer Legitimation zu verbessern? Das folgende Kapitel stellt dazu einige solcher Ansätze semiotischer, urbanologischer, ökologischer, linguistischer Provenienz vor, die einen inter- und multidisziplinären Zugang für die ‘ Lektüre ’ urbaner Räume als ‘ Texte ’ bieten. Keywords: Sustainability, urban planning, urbanity, urban ecology, urban sociology, spatial turn, ecosemiotics, urban language Schlüsselbegriffe: Nachhaltigkeit, Stadtplanung, Urbanität, Stadtökologie, Stadtsoziologie, Raumwissenschaft, Ökosemiotik, Stadtsprache 1.1 Motivation Wer sehenden Auges durch eine Stadt flaniert, nimmt pausenlos eine Fülle von Informationen auf und interpretiert sie meist automatisch zur Orientierung im Raum und zur Einordung seiner soziokulturellen Prägung. Ursprünglich angeregt einerseits durch der ‘ Neuen urbanen Qualität ’ gewidmete Forschungsprojekte, die vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurden und deren Ergebnisse und Empfehlungen in zwei Büchern zusammengefasst wurden (Sulzer et al. eds. 2015; Wehrli-Schindler et al. eds. 2015), die anhand konkreter Beispiele neue Wege zur nachhaltigen Entwicklung urbaner Räume aufzuzeigen suchen, andererseits unter dem Eindruck der Berichterstattung zu seit geraumer Zeit anhaltenden Kontroversen über große Bauvorhaben in Berlin - wie die Debatten über den Willy-Brandt-Flughafen BER als in Zukunft einzigem Flughafen der Hauptstadt und die Nutzung seine Vorgänger Tempelhof, Tegel, Schönefeld; den Umgang mit der Gentrifizierung traditioneller Quartiere wie Kreuzberg, Friedrichshain oder Prenzlauer Berg; den Streit über angemessenes Gedenken in Formen öffentlicher Memorialkultur; den langen Weg zum Wiederaufbau des Stadtschlosses und seine künftigen Funktionen; die anhaltende Skepsis gegenüber dem Neubau des umstrittenen Museums der Moderne im Zentrum des Berliner Kulturforums nach Entwürfen von Herzog & de Meuron ( “ Kulturscheune ” mit dem Charme einer “ Lagerhalle von Aldi ” ); die heftigen Diskussionen um neue Moscheen, die Bedrohung historisch gewachsener Subkulturen durch multikulturelle Herausforderungen wie in Neukölln; oder den Konflikt zwischen dem Bedürfnis der Bewahrung historischer Stadtkernstrukturen und ökonomisch begründeten Nutzungsdesideraten, Planungs- und Entwicklungshorizonten, um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen - möchte ich in diesem Band den Ursachen für den Befund misslingender öffentlicher Kommunikation über solche Projekte sowie der Frage nach den diskursiven Bedingungen der Möglichkeit einer partizipativen Stadtentwicklung nachgehen. Dazu gilt es verschiedene einschlägige Forschungsstränge zusammenzuführen mit dem Ziel, daraus so etwas wie einen Wegweiser durch eine transdisziplinär höchst disparate Forschungslandschaft zu entwickeln, damit die vielbeschworene ‘ neue urbane Qualität ’ im Einklang mit den davon betroffenen Bürgern erreicht werden kann und nicht im Dickicht widerstreitender Interessen aller beteiligten Akteure erstickt wird. Ein Ausgangspunkt ist dabei die These, dass die alltägliche Lebensqualität in der Stadt in Zukunft nicht nur von architektonisch und ökonomisch interessanten Bebauungskonzepten und Profit generierenden Umbauplänen bestimmt sein wird, sondern wesentlich von einer ökologisch und kulturell integrierten Stadtentwicklung, die einerseits das kulturelle Erbe (z. B. die städtebauliche Denkmalpflege) und den Umgang mit Altbaubeständen berücksichtigt, aber andererseits auch die betroffenen Akteure mit dem Ziel gesellschaftlicher Akzeptanz von notwendigen Neuerungsprozessen diskursiv beteiligt. Moderne Konzepte urbaner Planung, die zugleich energietechnisch nachhaltig sind und energiepolitisch anspruchsvollen Vorgaben folgen (Stichwort: ‘ energetisch-ökologischer Stadtumbau ’ ), ohne historisch gewachsene bauliche Strukturen und soziale Milieus zu zerstören, tragen dem insofern Rechnung als sie das methodische Bewusstsein aller beteiligten Akteure für die Komplexität der dabei involvierten kommunikativen Prozesse zu wecken suchen, um ökologische Stadtentwicklung mit der Dynamik ‘ neuer urbaner Qualität ’ verbinden zu können. Dies stellt auch den Diskursforscher vor die Herausforderung, die kommunikative Infrastruktur im öffentlichen Diskurs über urbanen Wandel in allen seinen Dimensionen zu untersuchen. Deshalb will ich hier den interdisziplinär ehrgeizigen Versuch unternehmen, programmatisch verschiedene Fachtraditionen und Forschungsstränge miteinander ‘ ins Gespräch ’ zu bringen, die in jüngerer Zeit innerhalb ihres jeweiligen Segments Aufmerksamkeit heischen, meist ohne jedoch voneinander genauere Notiz zu nehmen, geschweige ein methodisch integriertes Instrumentarium zu entwickeln, das einem so komplexen Prozess 8 Berlin als ‘ Text ’ wie der zugleich ökologisch nachhaltigen und sozial (möglichst) konfliktfreien Stadtplanung gerecht zu werden verspricht. Zu den hier einschlägigen Diskursfeldern gehören neben (und vor) den eher technischen Disziplinen der Bauingenieurwissenschaften, der Geotechnik, der Energiewirtschaft, der Stadtplanung und -verwaltung usw. nach dem sog. spatial turn (cf. Günzel 2020) z. B. die Raumwissenschaften, die Ökosemiotik, die Stadtsprachenforschung der Linguistik und die Milieuforschung der Stadtsoziologie. Bevor wir also konkrete Beispiele städtischer Transformationsprozesse in den Blick nehmen, müssen wir - nach dem geflügelten Wort des großen britischen Sprachwissenschaftlers Michael A. K. Halliday ( “ before starting social semiotic research, there is so much background to be filled in ” ) - in einem solchen interdisziplinären Gespräch die innerdisziplinären Positionen kurz vorstellen, um die Leser und Leserinnen für den notwendigen Polyperspektivismus einer solchen Diskursanalyse hinreichend zu sensibilisieren. 1 Ich beschränke mich für die primär methodisch interessierten und diskursanalytisch motivierten Zwecke dieses Bandes zunächst exemplarisch auf die drei Bereiche der Raumwissenschaften, der Ökosemiotik und der Stadtsprachenforschung, bevor ich ein Programm zur Analyse urbaner Diskurse am Beispiel energetischer Stadtumbauprozesse entwerfe und danach in sieben Kapiteln exemplarisch den Blick auf einige der oben genannten Berliner Debatten und aktuellen Kontroversen in der deutschen Hauptstadt richte (man könnte auch etliche weitere lokalpolitische Konflikte thematisieren, etwa solche um die Stadtautobahn, die Immobilienspekulation in traditionellen Arbeiter- und Studentenvierteln wie den Wedding oder Kreuzberg, die Flüchtlingsunterkünfte und deren Standorte, die Frage nach der Zukunft des Internationalen Kongress-Zentrums ICC u. v. a., was aber den Rahmen des hier vorgegebenen Umfangs eines Heftes überdehnen würde). 1.2 Raumwissenschaften Nach diversen linguistic turns, pragmatic turns, iconic oder visual oder pictorial turns, performative turns, cultural turns, postmodern turns, postcolonial turns, medial turns etc. (cf. Münker 2009: 18 f.; cf. Bachmann-Medick 2007) wurde bekanntlich der spatial turn ausgerufen, von dem sich seither etliche Disziplinen epistemische Befruchtung erhoffen. Einen nützlichen Überblick bietet der zuerst 2009 von Stephan Günzel bei Suhrkamp herausgebrachte Band über Raumwissenschaften, der die Bedeutung des Raumbegriffs in den verschiedensten Fächern auslotet, alphabetisch geordnet von der Ästhetik und Architektur über Ethnologie und Mathematik bis zur Soziologie und Theologie. In der Einleitung skizziert der Herausgeber knapp die Vorgeschichte der (lange ausschließlich euklidischen) Raumwissenschaft seit Kant und erinnert zu Recht an die psychologischen 1 Nach dem altrömischem Rechtsgrundsatz “ Pronuntiatio sermonis in sexu masculino ad utrumque sexum plerumque porrigatur ” (Corpus Iuris Civilis Dig. 50, 16, 195) und im Einklang mit der geltenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (s. BVG-Personenstandsurteil 1 BvR 2019/ 16 v. 10.10.2017 gem. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und BGH-Personenbezeichnungsurteil VI ZR 143/ 17 v. 13.03.2018) sowie den Empfehlungen des Deutschen Rechtschreibrates (v. 26.03.2021), aber auch in vager Erinnerung an dereinst allgemeinverbindliche Regeln der deutschen Grammatik und stilistischen Form, möge in diesem Band die generisch gebrauchte maskuline Form personeller Gruppenbezeichnungen fortan Personen jedweden Geschlechts bezeichnen. Raumwissenschaften 9 und physiologischen “ Ansätze zur empirischen Rückbettung des Apriorischen ” (Günzel ed. 2009: 7), etwa eine vergessene Arbeit von Friedrich Carl Fresenius über Die psychologischen Grundlagen der Raumwissenschaft aus dem Jahre 1868 oder den 1870 von Hermann von Helmholtz gehaltenen Vortrag Ueber den Ursprung und die Bedeutung geometrischer Axiome. Dies nur zur Absicherung gegen den stets wohlfeilen Vorwurf des bloß Modischen. Auch in meinem eigenen (in dem genannten Band leider nicht vertretenen) Fach Germanistik hat das ‘ Raum-Paradigma ’ seine Wirkung bekanntlich nicht verfehlt. Die dort so gern gebrauchte Metapher vom ‘ Text als Raum ’ wirft in der Tat texttheoretische Fragen auf, die vor allem in narratologischem Zusammenhang schon seit längerem erörtert werden und die Auswirkungen auf weitere textwissenschaftliche Ansätze zeitigen. Begriffe wie ‘ Textraum ’ , ‘ literarische Kartierung ’ , ‘ Mapping ’ , ‘ literarische Topographie ’ , ‘ Heterotopien der Literatur ’ etc. werden freilich nicht selten als begriffliche Konzepte aus anderen Disziplinen adoptiert, die z.T. in ganz anderen terminologischen Netzwerken operieren. Dabei haben sich schon allerlei Neben- und Unterströmungen herausgebildet, die z. B. besonders auf die technischen und kulturellen Repräsentationsweisen von Räumlichkeit abheben (topographical turn) und die ihrerseits nicht zu verwechseln seien mit jenen Bemühungen, die sich auf die Beschreibung literarischer Räume und räumlicher Strukturen in ästhetischen Produkten richten (topological turn). Für solche Versuche wurden wie immer in den historisch informierten Textwissenschaften etliche Vorläufer namhaft gemacht (von Lessing über Karlfried v. Dürckheim bis zu Ernst Cassirer und Otto F. Bollnow). Gegenüber solchen (außer bei Lessing) meist eher subjektzentriert-phänomenologischen Ansätzen fasst der im Westen lange ignorierte Begründer der Tartuer Schule des Strukturalismus, der Kultursemiotiker Jurij M. Lotman, den symbolischen Raum der Literatur bereits als Resultat kulturell bestimmter Zeichenverwendungen auf: indem er ein analoges Verhältnis narrativer Texte als ‘ abstrakter Wirklichkeitsmodelle ’ zum jeweiligen ‘ Weltbild ’ einer bestimmten Kultur sieht, überträgt er sein semantisches Raummodell in einen pragmatischen, eben ‘ kulturhistorisch-lebensweltlichen ’ Kontext (cf. Lotman 1974). In der Sprachwissenschaft hat Winfried Nöth bereits früh den Text als Raum semiotisch zu konzipieren vorgeschlagen (cf. Nöth 1994; cf. Hess-Lüttich 1998). Er spürte den Text- Raum vor allem im Metapherngebrauch auf und fand eine Fülle von Beispielen für die von ihm so genannte Geometrie und Topographie des textuellen Raumes. Seine Befunde dienen ihm als Beleg der Hypothese vom kognitiven Ursprung solcher sprachlichen Ausdrücke der Orientierung im Raum (cf. Schmauks 2002). Tatsächlich hat die kognitive Semantik die bemerkenswerte Häufung räumlicher Metaphorik im Sprachgebrauch des Alltags auf die biologische Bedeutung der Orientierung des Menschen in seiner unmittelbaren Umwelt im Prozess des Spracherwerbs zurückgeführt (Lakoff 1987: 269 - 292). In ihrem Buch über Raum, Raumsprache und Sprachräume hat die Nöth- Schülerin Karin Wenz (1997) den Ansatz weiterverfolgt und ist der Frage nachgegangen, welche semiotischen Beziehungen zwischen Raumkognition und textueller Raumrepräsentation bestehen (cf. id. 2009). Aus methodisch-begriffssystematischem Interesse habe ich vor einigen Jahren an anderer Stelle die heute in so vielen Disziplinen verbreitete Raummetaphorik über die Disziplingrenzen hinaus zu ihren Ursprüngen in den raumbezogenen Geowissenschaften 10 Berlin als ‘ Text ’ zurückverfolgt und in kritischer Absicht die Veränderungen des Raumbegriffs von der traditionellen Geographie bis zur aktuelleren Kulturgeographie summarisch nachgezeichnet (Hess-Lüttich 2011). Auch die Verräumlichung sozialer Sachverhalte (und deren Visualisierung) und die Übertragung dieses Ansatzes auf andere Wissensbereiche geriet dabei in den Blick. Im Versuch einer Synthese sollten mögliche Berührungspunkte zwischen literarischen (bzw. literatur- und texttheoretischen) und kulturgeographischen Raumkonzepten sondiert und die Prämissen für ein zeitgenössisches Verständnis von ‘ Raum ’ im Zeichen der Spannungsbalance von ortlosen medialen Netzen und lokaler Identitätsbehauptung profiliert werden, um schließlich literarische Texte als Medien kulturspezifischer Codierungen und als Symbolisierung von ‘ Raum ’ zu exponieren. Denn das Erkenntnis-Potential einer Kooperation zwischen kulturgeographischen und literarischen Topographien scheint bislang ebenso wenig ausgeschöpft wie das einer semiotischen Integration topologischer Relationen in (literarischen) Texten als modellbildenden Systemen (im Sinne Jurij Lotmans), die als abstrakte (ästhetische) Wirklichkeitsmodelle auf das Weltbild einer jeweiligen (hier: urbanen) Kultur verweisen. Konsequenter verfolgt der topologische Ansatz in der Tradition der Tartuer Schule das Programm, gleichsam ‘ oberhalb ’ traditioneller Disziplingrenzen geowissenschaftliche Kartierung und literarische Fiktion als Wirklichkeitsmodelle jeweiliger Kulturen mit den in ihnen geltenden signifikativen Relationen zu interpretieren. Im Zeichen der zunehmenden Komplexität einer multidimensional vernetzten Welt gewinnen die Lotmanschen Impulse unverhofft eine neue Aktualität für den Dialog zwischen Natur- und Kulturwissenschaft, zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft, insofern z. B. literarische Texte als Medien kulturspezifischer Selbstauslegung gelesen werden können und als Zeugnisse veränderter (und veränderlicher) Raumwahrnehmungen, etwa beim Verständnis der Rolle von Metropolen in Literatur und Film (cf. Hess-Lüttich et al. eds. 2010). 1.3 Ökosemiotik In Zeiten des Klimawandels und der ‘ Energiewende ’ , zu der sich die Regierung in Deutschland unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Fukushima (2011) schließlich durchgerungen hat, bei einer zugleich sich zunehmend nachdrücklich artikulierenden Kritik lokaler Interessengruppen an den Konsequenzen bei den Kosten erneuerbarer Energien (Sonne, Wind, Wasser, Biomasse) und für den energetischen Stadtumbau, ist ökologische Konfliktkommunikation eine Notwendigkeit für die beteiligten Gruppen und Disziplinen, denn misslingende Kommunikation zwischen den Beteiligten kann die ökologisch notwenigen Maßnahmen gravierend behindern oder gar verhindern. Was in meinem Band über Eco-Semiotics (Hess-Lüttich ed. 2006) auf die Umweltkommunikation in interkulturell-institutioneller Hinsicht (Medien) und auf die Entwicklungskommunikation in interkulturell-interpersoneller Hinsicht (Dialog) bezogen wurde, kann nun für die Stadtplanung fruchtbar gemacht werden. Hier wie dort geht es um die sorgfältige Diskursanalyse interfachlich und inter(sub)kulturell hochspezifischer kommunikativer Konstellationen mit dem Ziel der Veränderung und möglichst Verbesserung ihrer diskursiven Praxis. In der Gruppenkommunikation solch heterogener Konstellationen ist die Gefahr von Missverständnissen erheblich, da Interes- Ökosemiotik 11 sengegensätze, (Fach-)Sprachunterschiede und (Sub-)Kulturkontraste, regionale Divergenzen im Gebrauch von Sprache, Zeichen und Ritualen die Verständigung erschweren. Transdisziplinäre und transkulturelle Verständigungsfähigkeit ist hier in besonderer Weise gefordert, zu deren theoretischen Reflexion, empirischen Beobachtung und fruchtbaren Anwendung oder Vermittlung die Diskursforschung mit ihren zahlreichen interdisziplinären Anschlussstellen durchaus beizutragen vermag. In Analogie zu den längst etablierten Zweigen der Soziolinguistik, der Psycholinguistik, der Patholinguistik, der Ethnolinguistik usw. hat sich nun in den vergangenen Dekaden die Ökolinguistik mit eigenem Profil zu etablieren versucht. Wie immer in solchen Fällen schlug ihr zunächst das geballte Misstrauen derer entgegen, die auf dem Boden des Bewährten nur wieder ein modisches Schlagwort witterten. Deshalb habe ich in meiner Einführung zu dem besagten Band über Eco-Semiotics sicherheitshalber noch einmal an die lange Tradition erinnert, in der der amerikanische Skandinavist norwegischer Abstammung Einar Haugen vor über vierzig Jahren den Begriff der Ökologie - der Jenaer Biologe Ernst Haeckel hatte bekanntlich 1866 “ Oecologie ” als “ Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt ” definiert - erstmals auf die Sprache bezog und Sprachökologie als “ the study of interactions between any given language and its environment ” (Haugen 1972: 325) systematisch zu untersuchen vorschlug. Bis heute jedoch wird die Fachbezeichnung Ökolinguistik, die sich daraus entwickelte, nicht eindeutig gebraucht. Unter dem griffigen Titel wird durchaus Unterschiedliches subsumiert, wie etwa Alwin Fill in seinen zahlreichen Arbeiten zum Thema herausgearbeitet hat (Fill 1998; cf. Hess-Lüttich 2006: 12). Auf die mittlerweile zahlreichen Verzweigungen der Ökolinguistik will ich hier nicht noch einmal eingehen, sondern knüpfe an jene Ansätze an, die zunächst aus außersprachlich-ökologischen Interessen erwuchsen und sich den Auswirkungen des Sprachgebrauchs auf das ökologische Gleichgewicht der Natur widmen, um etwa den Zusammenhang zwischen sprachlicher und ökologischer Biodiversität präziser als bislang gelungen zu profilieren. Diese Ansätze gilt es jedoch zu einer methodisch anspruchsvoll instrumentierten Ökosemiotik zu erweitern und auszubauen, in deren Rahmen die transdisziplinäre Erforschung der zeichenhaften Wechselbeziehungen zwischen Organismen und deren Umwelt ihren systematischen Ort fände (cf. auch Trampe 2000). Die Geschichte dieses Erkenntnisinteresses, das sei wiederum den Skeptikern gegenüber ‘ neumodischer ’ Terminologiebildung versichert, reicht natürlich weit hinter Peirce zurück (cf. Nöth 1996): es hat seinen Ursprung vielleicht schon in der hippokratischen Medizin (Böhme 1996), mindestens aber in der mittelalterlichen Scholastik (Thomas von Aquin), setzt sich fort in der Signaturenlehre der Renaissance (Paracelsus) und wirkt fort über Peirce hinaus etwa in den ökosemiotischen Modellen der “ Umweltlehre ” Jakob von Uexkülls (Thure v. Uexküll 1998) oder in den Funktionskreisen der “ Semiotischen Ökologie ” des Berner Psychologen Alfred Lang (1998). Von dort nun ließe sich eine Brücke zurück zu soziologischen und systemtheoretischen Modellierungen von Ökologischer Kommunikation schlagen, wie sie Niklas Luhmann ( 5 2008) mit seiner Ausdifferenzierung von Funktionssystemen vorgestellt hat, ein Ansatz, der Trampe (1990) seinerzeit zu seiner Forderung nach einer ‘ Ökologischen Linguistik ’ inspiriert hat. Erst von einem solchen Fundament aus lassen sich nun die eingangs gestellten Fragen nach den kommunikativen Bedingungen der Implementierung 12 Berlin als ‘ Text ’ von umstrittenen Projekten der (z. B. energetischen) Stadterneuerung (urban renewal) als ökosemiotische stellen und das grenzüberschreitende Gespräch zwischen den beteiligten Experten und Interessengruppen diskursanalytisch untersuchen. 1.4 Stadtsprachenforschung Die Stadt als Kommunikationsraum und damit linguistisches Objekt im engeren Sinne wurde (nach einigen dialektologisch motivierten Vorläufern) erst in den 1970er Jahren (wieder-)entdeckt. Mit der Entwicklung der Soziolinguistik wuchs das Interesse am Varietätenspektrum des Sprachgebrauchs in zunächst areal definierten, dann auch sozial differenzierten Räumen. Es richtete sich anfangs vor allem auf die dialektalen Varietäten im ländlichen Raum, in dem die Dialektologie deren reinste Ausprägungen suchte. Aber schon bald kam auch der urbane Raum mit seinem ungleich größeren Varietätenreichtum in den Blick. Dessen Komplexität wiederum erforderte ein ganz anderes Methodenarsenal als es die traditionelle Dialektologie selbst in ihren avancierteren Ansätzen zu bieten vermochte. Nach methodisch richtungsweisenden Impulsarbeiten von Joshua Fishman, William Labov oder Lesley Milroy gewann die Stadtsprachenforschung im Schnittfeld von Soziolinguistik und Ethnographie der Kommunikation, von Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung, von Sprachwandel- und Jugendsprachforschung zunehmend als eigenes Untersuchungsfeld Profil (s. bereits den frühen Forschungsbericht von Dittmar & Schlieben- Lange 1982: 9 - 86). Allerdings lag der Schwerpunkt bei den frühen Arbeiten eher bei phonologischen Variablenkorrelationen (Labov) oder varietätengrammatischen Modellen (Dittmar). Diese Perspektive schien mir methodisch ausgefeilt und linguistisch befriedigend, aber diskursanalytisch zu eng, um der Komplexität von Strukturen kommunikativer Verständigung im urbanen Raum auch nur annähernd gerecht zu werden. Deshalb hatte ich schon in meinem Buch über Angewandte Sprachsoziologie (Hess-Lüttich 1987) gefordert, Stadtsprachen als mit Hilfe von gruppensoziologischen Kategorien zu ordnende Interaktionsnetzwerke zu beschreiben (ibid.: 68 - 72). Damit wollte ich in Orientierung an John J. Gumperz einerseits und Michael A. K. Halliday andererseits ethnographische und soziosemiotische Analysemethoden zu einer polyperspektivisch-multifaktoriellen Diskursanalyse urbaner Kommunikation unter Einschluss ihrer symbolisch-subsprachlichen Ausdrucksformen integrieren. Diesem Anspruch wurde im deutschsprachigen Raum vor allem das von einer Arbeitsgruppe des Instituts für deutsche Sprache (Mannheim) durchgeführte Projekt Kommunikation in der Stadt modellhaft gerecht (cf. Kallmeyer 1994; id. 1995), in dem das Sprachverhalten von ausgewählten multikulturellen Einwohnergruppen (Einheimische, Zugezogene, Migranten, Ausländer) in bestimmten Quartieren Mannheims über Jahre hinweg dokumentiert wurde. Die Untersuchung des daraus entstandenen Corpus fokussierte auf die konkreten Prozesse sprachlicher Verständigung in verschiedenen Konstellationen als auch auf die Kommunikationsnetzwerke, in denen sie stattfinden. Methodische Voraussetzung dazu ist die Berücksichtigung der Gliederung des sozialen Lebensraumes der Menschen in der Stadt und damit von anthropologischen und sozialpsychologischen Ansätzen zur Erforschung solcher Netzwerke. Mit der Gumperzschen Differenzierung zwischen ‘ social setting ’ , ‘ social situation ’ und ‘ social event ’ wird der Zusammenhang Stadtsprachenforschung 13 zwischen diskursiven Prozessen und territorialem Raum relevant, innerhalb dessen sie sich vollziehen. Daran und an darauf aufbauende Ansätze der modernen Stadtsprachenforschung (cf. Stienen ed. 2006; Krefeld ed. 2008; Löffler & Lorenz eds. 2010) kann unsere Fragestellung anknüpfen, indem sie untersucht, welche Rolle das Verhältnis von Schauplatz, Anlass und Interesse beim Prozess der Gruppenbildung spielt, welche Normvorstellungen und Wissensbestände, kollektive und individuelle Spracheinstellungen der Gruppenmitglieder für ihre Verständigung, ihr Selbstbild und ihre Abgrenzung von anderen Gruppen bedeutsam sind und inwiefern sich das alles semiotisch manifestiert in gruppentypischen Kommunikationsformen, Diskursmustern und Argumentationsroutinen. Gerade im Zeichen der Flüchtlingsdebatten seit 2015/ 2016 mit den darin kontrovers diskutierten Fragen der (sprachlichen, sozialen, beruflichen, politischen) Integration von Menschen aus anderen Sprach- und Kulturregionen werden solche komplexeren Ansätze bedeutsam. Dies gilt auch für die Forschungsprojekte zur Untersuchung der Mehrsprachigkeit in urbanen Räumen oder die Beobachtung der Entwicklung sog. ‘ fremdkultureller Parallelgesellschaften ’ in Metropolregionen (z. B. in Neukölln, im Wedding etc.: cf. Hess-Lüttich 2015). 1.5 Urbanitätsforschung (Urban Studies) Die bis hierher vorgestellten Strömungen können nun mit in das einfließen, was man disziplinsystematisch schon seit einiger Zeit Urban Studies nennt, um der Tendenz zu fachlicher Gebietsbildung und akademischer Etablierung wissenschaftssoziologisch Rechnung zu tragen. In ihrem Rahmen können die an technischer Innovation und urbanen Planungsprozessen beteiligten Akteure (wie Ingenieure, Energieversorger, Architekten, Stadtplaner, Kommunalpolitiker, Bürgerinitiativen, Mieter- und Verbraucherverbände) nicht nur für die ökonomischen, juristischen, politischen Implikationen ihres Handelns, sondern eben auch für dessen soziale, kulturelle, sprachliche, historische und (nicht zuletzt) ethische Prämissen sensibilisiert werden. Die Beobachtung der Entwicklung von Metropolen mit ihren gegenläufigen Tendenzen zur Expansion und Fragmentierung bietet sich für eine diskursanalytisch integrierte Fragestellung wie der unseren nach den kommunikativen Infrastrukturen in (technologischen) Innovationsprozessen (wie z. B. dem energetischen Stadtumbau) in besonderer Weise an, weil im Zeichen des Klimawandels und im Zuge des Nachhaltigkeitsdiskurses seit dem letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts der Bedarf an einer Verbindung von technologischer Innovationspolitik, politischer Steuerung, sozialer Praxis und ethischer Rechtfertigung immer offensichtlicher geworden ist (cf. Hess- Lüttich 2007; id. 2021). Dem trägt eine Entwicklung innerhalb der ursprünglich vornehmlich quantitativökonomisch ausgerichteten Urban Studies Rechnung, in der die oben genannten (sozialen, kulturellen, sprachlichen, historischen) Kategorien zunehmend Gewicht gewinnen, weil ‘ Nachhaltigkeit ’ ohne Mitwirkung der von den (technischen) Veränderungen Betroffenen kaum zu erzielen ist. Gesine L. Schiewer (2013: 203 - 219; id. 2021: 645 - 666) misst diesen neuen (methodisch sowohl quantitativ als auch qualitativ operierenden) Ansätzen insofern besondere Bedeutung bei, als sie Städte als physischen Raum mit je spezifischen urbanen Infrastrukturen und als sozio-politische Lebensräume in den Blick nehmen. Dabei sind die 14 Berlin als ‘ Text ’ internationalen Unterschiede zwischen europäischen Stadttypen mit ihren historisch gewachsenen Stadtkernen mit entsprechender Verdichtung der Infrastrukturen (compact cities, Mobilität, Quartiermanagement) und den polyzentrischen Mega-Cities in manchen Schwellenländern mit ihren Fragmentierungstendenzen in physischer, ökonomischer, sozialer Hinsicht (slums, gated communities, ethnical segregation etc.) enorm. Deshalb ist ihre interdisziplinäre Erforschung vor neue epistemologische Herausforderungen gestellt. Diesen Herausforderungen suchen die diskursanalytischen Ansätze der Urban Studies dadurch gerecht zu werden, dass sie den sozialen Divergenzen, objektiven Interessenlagen und kulturellen sowie sprachlichen Voraussetzungen der Akteure einerseits und den Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten urbaner Planung und politischer Steuerung andererseits gleichermaßen Rechnung tragen. Entsprechend weit ist ein Forschungsrahmen zu stecken, der Urbane Kommunikation als komplexen, historisch und kulturell spezifischen Aushandlungsprozess beschreibt. Um modern-nachhaltige Stadtplanung (urban planning) überhaupt noch zu ermöglichen, argumentiert Schiewer (loc.cit.), muss die Kakophonie der Stimmen beteiligter Akteure zu einem konsensorientierten Dialog führen, in dem über öffentliche und private Prämissen und Interessen, soziale und ökonomische Zielsetzungen, annähernd rational verhandelt werden kann. Dabei müsste ein solches kollaborativ orientiertes Dialogmanagement den Zusammenhang von Machtkonstellationen, Interessenlagen und Planungsdesideraten jederzeit im Blick behalten, denn natürlich ist die Unterstellung einer Symmetriekonstellation der Diskurspartner (im Sinne des Habermas ’ schen rationalen Diskurses) in der Praxis Fiktion. Ein Dialogmanagement im hier beschriebenen Sinne muss also mit Albrechts & Denayer (2001: 372) davon ausgehen, dass Stadtplaner “ engage in discourse, conversation, negotiation and persuasion with several groups in society which tell different stories ” . Sie haben also nicht nur unterschiedliche Interessen, sondern sie teilen nicht einmal dieselben Wissensbestände und Wertorientierungen, ihre Weltsicht, d. h. ihre Interpretation von Wirklichkeit differiert, was nach Albrechts & Denayer (2001: 372; cf. Schiewer 2013: loc.cit.) dazu führt, dass [. . .] public discourse suffers from the implicit divergence, because societies like ours have political mechanisms only for resolving conflicting interests, not for conflicting views of reality. Because the mechanisms for dealing with conflicting world-views, discourse communities are lacking (and because in discourse, we mainly stick to our own group and the language we ‘ understand ’ ), we only seldom notice that perceptions and not only interests in society differ markedly [Hervorh. v. mir, EHL]. Der Befund ist alles andere als trivial, wie wir täglich an den zentrifugalen Kräften beobachten können, die heute gesellschaftliche Diskurswelten auseinandertreiben. Wenn in manchen politischen, religiösen oder ideologischen Diskursen oft nicht einmal mehr die Einigung über die gemeinsame Wahrnehmung objektiv gegebener Zahlen, Daten, Fakten oder Sachverhalte möglich ist, über die sich dann in der Sache immer noch argumentativ trefflich streiten lässt, geraten die Grundfesten demokratisch verfasster Gemeinwesen ins Wanken. Denn dann werden jene ‘ Basisregeln kommunikativer Interaktion ’ verletzt, die Verständigung überhaupt erst ermöglichen (Schütz 1971; id. 1974; Cicourel 1975; Ungeheuer 1987; id. 1990/ 2020). Urbanitätsforschung (Urban Studies) 15 1.6 Energetisch-ökologischer Stadtumbau und kommunikative Infrastruktur Die bis hierher entwickelten forschungsgeschichtlichen und begriffssystematischen Vorannahmen können nun anhand konkreter Aufgabenstellungen illustriert werden. Zu den städtebaulichen, architektonischen und ingenieurtechnischen Herausforderungen der programmatischen Stadt im 21. Jahrhundert gehört mit fachübergreifender Relevanz die Entwicklung neuer regenerativer Energiekonzepte, die das Ziel einer Reduktion der Treibhausgase bei gleichzeitiger Emanzipation von fossilen und nuklearen Energieträgern unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit verfolgt (cf. Nerdinger & Wolfrum eds. 2009). Darüber besteht nach der politischen Grundsatzentscheidung über die sog. ‘ Energiewende ’ nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima und angesichts des sich zunehmend beschleunigenden Klimawandels in Deutschland inzwischen weitgehend Konsens (mit den üblichen Ausnahmen am rechten Rand des politischen Spektrums), auch in weiten Teilen der Europäischen Union, nachdem die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Green Deal skizziert hat, leider nicht im gleichen Maße im Rest der Welt, wie die noch nicht problemadäquaten Ergebnisse der jährlichen Klimakonferenzen ebenso zeigen wie die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Zukunft der Nutzung nuklearer Energiequellen oder das ungelöste Problem der Endlagerung nuklearer Abfälle. Wenn nun aber zentral gesteuerte, monofunktionale Top-Down-Modelle in der Praxis städtischer Entwicklung immer häufiger scheitern (Haffner 2004), scheint es erfolgversprechender, nachhaltige Stadtplanung (sustainable urban planning) im Sinne der bislang entfalteten Prämissen als kommunikativen Prozess aufzufassen, der Städtebau, technologische Entwicklung, Wohnen und die Sozialstruktur der Stadt als vernetzt begreift. Insofern stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen alle jeweils direkt Beteiligten unter den oben genannten urbanen Akteuren miteinander ‘ ins Gespräch ’ kommen können. Mit den Formen, Strukturen und Funktionen ihrer Verständigung rücken auch ihre soziokulturellen Prämissensysteme in den Blick und damit zugleich auch die historischen Rahmenbedingungen (Baubestand, Denkmalschutz, Milieuschutz etc.). Unsere Fragestellung greift das neue Interesse an ‘ Architekturkommunikation ’ auf (Fischer & Delitz 2009) und sucht zu klären, welche Konversationsmaximen für neue urbane Qualität durch Vermittlung, Moderation und Integration erfolgversprechender sind als die bisherige Praxis. Das Ziel ‘ neuer urbaner Qualität ’ ist nicht nur die Entwicklung von ökologisch nachhaltigen Bebauungs- oder Umbaukonzepten, sondern auch eine sowohl sozial, historisch und kulturell sensibilisierte als auch demokratisch legitimierte partizipative Stadtentwicklung mit dem Ziel der gesellschaftlichen Akzeptanz notwendiger Innovationsprozesse. Dies kann am Beispiel des energetisch-regenerativen Stadtumbaus - also der Entwicklung städtebaulicher Konzepte, die innovative Konzepte der Schonung von Energieressourcen unter zunehmender Nutzung erneuerbarer Energien (renewable energy) von vornherein berücksichtigen - im Blick auf aktuelle urbane Diskurse, postmoderne Lebensmodelle und kontrovers geführte Debatten über solche Großbauprojekte veranschaulicht werden, deren Kosten (und ggfs. Kostenentwicklungen) von politischen Entscheidungsträgern gegenüber ihren Wählern durch plausible Gründe zu rechtfertigen sind. 16 Berlin als ‘ Text ’ Zu den zentralen urbanen Kommunikationsaufgaben wird daher die Vermittlung von politisch-sozialen Notwendigkeiten, technischen Möglichkeiten und individuellen Bedürfnissen betroffener Akteure zählen. Die Untersuchung kommunikativer Infrastrukturen stellt daher eine Ergänzung der Analyse von Stadtentwicklung dar im Hinblick etwa auf Materialforschung und Energiebedarf, wenn davon auszugehen ist, dass die fossil-nuklear versorgte Stadt als Auslaufmodell gilt. ‘ Neue urbane Qualität ’ erscheint mithin als Aufgabe der kommunikativen Koordination unterschiedlicher Interessengruppen mit durchaus disparaten Prämissen, Interessen und Wertesystemen. Wenn ‘ neue urbane Qualität ’ auch als sozialer Prozess verstanden wird, kann die Partizipation von Bürgern an städtebaulichen Entscheidungen als Gegengewicht zu Tendenzen sozialer Fragmentierung wirken. Der städtische Raum ist dabei im Sinne des eingangs entwickelten Raumbegriffs (Abs. 1.2) im weiten Sinne nicht nur als unmittelbar physisch kohärenter Raum zu verstehen, sondern er ist sozial konstituiert und medial potentiell ubiquitär und muss daher kommunikativ erschlossen werden, wenn er für die Vereinbarkeit komplementärer Lebensstile und die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt (ihrem Quartier) relevant werden soll. Es geht mit anderen Worten darum, außer den naheliegenden Faktoren architektonischtechnischer und ökonomisch-finanzieller Machbarkeit auch solche der sozialen Akzeptanz der Innovation und der kulturellen Codierung des baulichen Bestandes zu berücksichtigen, also um die Produktion von konsensuellem Wissen im Dialog der Akteure, in europäischem Kontext übrigens nicht zuletzt ein Gebot der demokratischen Verfasstheit städtischer Kommunen. Vor dem Hintergrund von ‘ Ökologie ’ als Marketingstrategie kann freilich auch ein vermeintlich erreichter Konsens über die ökologische Zukunft von Städten durchaus strittig bleiben, zumal der habituelle ökologische Lebensstil einer urbanen Mittelschicht im Zusammenhang von Migration und demographischem Wandel keineswegs als repräsentativ gelten kann. Deshalb muss ein grundlegender Wandel von Energiesystemen mit einem grundlegenden Wandel des Bewusstseins vom Zusammenhang von Energie- und Ressourcenverbrauch einhergehen, eine Kommunikationsaufgabe par excellence. Unsere Leitfragen zielen, zusammenfassend, demnach (i) auf die kommunikativen Strukturen, die die gesellschaftliche Präsenz urbaner Energiekonzepte der Zukunft bestimmen, (ii) auf die Akteure in diesen Strukturen bzw. Netzwerken, (iii) auf ihre Interessenlagen und ihren Zugang zur öffentlichen Wahrnehmung in einer Stadt, (iv) auf die Bedingungen einer positiven (oder ggfs. negativen) Wahrnehmung der ökologischen Stadt als Resultat kommunikativer Aushandlung und medialer Vermittlung. Der Vermittlung als diskursivem Wissenstransfer kommt also besondere Bedeutung zu. Aus der Fülle diesbezüglich negativer Erfahrungen in der Vergangenheit müssen nun die richtigen Schlüsse gezogen und defizitäre Strukturen bisheriger Verläufe urbaner Kommunikation kritisch freigelegt werden. Die Stadt mit positiver Energiebilanz und die Stadt mit aktiver Partizipation ihrer Einwohner sind das gleichrangige Ziel, weil ökonomische Produktivität und soziale Kohäsion einander bedingen. Die ökonomistische Reduktion des Nachhaltigkeitsbegriffs zu einer bloßen Marketingstrategie könnte durch eine Ergänzung von Stadtplanungsdiskursen um Perspektiven der Sozial- und Kommunikationswissenschaften überwunden werden. Energetisch-ökologischer Stadtumbau und kommunikative Infrastruktur 17 Die theoretischen Vorgaben dafür liegen längst auf dem Tisch. Auf der Agenda stehen sowohl die Kommunikation in der Stadt als auch über die Stadt (Warnke 2011; Gerhard & Warnke 2011). Das Konzept der ‘ neuen urbanen Qualität ’ im hier verstandenen Sinne verknüpft Bau- und Raumplanung mit kommunikativer Infrastruktur (Schrenk et al. eds. 2013) und Stadtentwicklung in der Balance von Innovation und Identität (Ivanisin 2006). Urbanität ist danach nicht nur ein Produkt baulicher Gestaltung, sondern auch der Synthese von Erfahrungsmustern der Akteure und ihrer Wahrnehmung von ‘ Lebensqualität ’ im städtischen Raum (cf. Löw 2001; id. 2008; id. 2018). In der Tradition des sozialen Interaktionismus ließe sich schärfer profilieren, wie geteiltes Wissen durch kommunikatives Handeln produziert und Bauplanung dynamisch ausgehandelt wird (cf. Christmann 2004; Matthiesen 2008; Berking 2008). Stadtentwicklung bedarf der öffentlichen Debatte, deren Dynamik sozialer und medialer Kontrolle unterliegt (Stichworte: demographischer Wandel, Sprachwandel, Veränderung der Lebensformen, Lokalmedien etc.) und in gesellschaftliche Entwicklung eingebettet bleibt (Stichworte: Heterogenität, Migration, Multilingualität, Marginalisierung, Gentrifizierung, Ghettobildung etc.). Auch methodisch ist der Boden längst bereitet für die Analyse der kommunikativen Netzwerke städtischer Akteure (z. B. in der modernen Stadtsprachenforschung, s. o. Abs. 1.4) ebenso wie für die Abhängigkeit energetischer Nutzung von sozialen Sphären und technischen Parametern (Genske et al. 2010). Die Wechselwirkung der Handlungslogiken von Medien und Institutionen auf der Makroebene, der lokalen Akteure auf der Mesoebene und ihrer interpersonalen Netzwerke auf der Mikroebene (Gruppenbildungen und Sprachlandschaften, s. u. Abs. 3.2) kann so zum Gegenstand empirischer Beobachtung werden, etwa durch die Erhebung von Diskurscorpora zum energetischen Stadtumbau mittels leitfragenbasierter Interviews mit Planern, Bürgerinitiativen, Interessenvertretern sowie der linguistischen Analyse einschlägiger Berichterstattung in den Medien. Die im Rahmen einer Mehr-Ebenen-Analyse (z. B. nach D IMEAN : cf. Warnke & Spitzmüller 2008; Spitzmüller & Warnke 2011) qualitativ und quantitativ auszuwertenden Corpusdaten aus Gesprächsprotokollen und Textquellen böten gewiss neue Einsichten in die individuelle und öffentliche Wissenskonstitution zum Thema ‘ neue urbane Qualität ’ (würden aber den vorgegebenen Rahmen dieses Essays sprengen). Die Verbindung von Stadtplanung und Architektur mit Sozial-, Sprach- und Kommunikationswissenschaften kann damit einen wichtigen Beitrag leisten zur empirischen interdisziplinären Raumwissenschaft, der auch einen unmittelbar praktischen Nutzen hätte, insofern er den Aufbau von transdisziplinärer Expertise für Stadt- und Quartierspolitik erlaubte, die empirisch fundiertes Grundlagenwissen für Regierungs- und Verwaltungsentscheide in der Energieentwicklung bereitstellt für nachhaltige Raum- und Nutzungsplanung im Städtebau. Anhand von sieben kurzen Skizzen - die als Diskursimpulse figurieren, nicht als Resultate empirischer Untersuchungen - sei der hier vorgeschlagene interdisziplinäre Ansatz im Folgenden exemplarisch illustriert. 18 Berlin als ‘ Text ’