eJournals Kodikas/Code 42/1

Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/516
2024
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Die Schloss-Debatte

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Ernest W. B. Hess-Lüttich
Anlässlich des 30. Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung 2020 sucht das Kapitel eine ebenso lange währende kontroverse Debatte um die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses in der historischen Mitte der Stadt zu rekonstruieren. Dazu wird ein kurzer Blick auf die wechselvolle Geschichte des Bauwerks seit Mitte des 15. Jahrhunderts geworfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an der Stelle des geschichtsträchtigen Ortes der in der DDR-Bevölkerung populäre ‘Palast der Republik’ errichtet, der nach der Wiedervereinigung aufgrund von baulichen Mängeln rückgebaut werden musste, was die Kritiker politisch deuteten und dagegen argumentierten. Die anschließende Debatte über die Varianten der Vorschläge zur Wiederbebauung – Sanierung des SED-Palastes, moderne Architektur oder Wiederaufbau des Preußenschlosses – und der kontrovers diskutierten Konzepte zur Nutzung des ‘Humboldt-Forums’ sind Gegenstand der Analyse.
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7 Die Schloss-Debatte Vom Palast der Republik zum Humboldt-Forum Abstract: On the occasion of the 30th anniversary of German reunification 2020, the chapter seeks to reconstruct a both long and controversial debate about rebuilding the Berlin Castle in the historical centre of the city. Thus, a brief look is taken at the eventful history of the building since the middle of the 15 th century. After the Second World War, the ‘ Palace of the Republic ’ , popular among the GDR population, was built on the site of the historically significant site. After reunification, it had to be dismantled due to structural defects, which critics interpreted politically and argued against. The subsequent debate on the variants of the proposals for reconstruction - renovation of the SED palace, modern architecture or rebuilding of the Prussian castle - and the controversially discussed concepts for the use of the ‘ Humboldt Forum ’ are the subject of the analysis. Zusammenfassung: Anlässlich des 30. Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung 2020 sucht das Kapitel eine ebenso lange währende kontroverse Debatte um die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses in der historischen Mitte der Stadt zu rekonstruieren. Dazu wird ein kurzer Blick auf die wechselvolle Geschichte des Bauwerks seit Mitte des 15. Jahrhunderts geworfen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an der Stelle des geschichtsträchtigen Ortes der in der DDR-Bevölkerung populäre ‘ Palast der Republik ’ errichtet, der nach der Wiedervereinigung aufgrund von baulichen Mängeln rückgebaut werden musste, was die Kritiker politisch deuteten und dagegen argumentierten. Die anschließende Debatte über die Varianten der Vorschläge zur Wiederbebauung - Sanierung des SED-Palastes, moderne Architektur oder Wiederaufbau des Preußenschlosses - und der kontrovers diskutierten Konzepte zur Nutzung des ‘ Humboldt-Forums ’ sind Gegenstand der Analyse. Keywords: Berlin Palace, Hohenzollern residence, Palace of the Republic, GDR People ’ s Chamber, Humboldt Forum, colonialism, freedom and unity monument Schlüsselbegriffe: Berliner Schloss, Hohenzollernresidenz, Palast der Republik, Volkskammer der DDR, Humboldt-Forum, Kolonialismus, Freiheits- und Einheitsdenkmal 7.1 Zum Gedenken an 30 Jahre Schloss-Debatte Was haben die Berliner Großprojekte Flughafen und Humboldt-Forum gemein? Die never ending story ihrer immer wieder verschobenen Eröffnungen. Auch für 2020 wurden sie wieder einmal angekündigt. Aber immer kam etwas dazwischen. Am 03. Oktober 2020 feiert Deutschland 30 Jahre Wiedervereinigung. Ebenso lange währt nun auch die Debatte über die Wiedererrichtung des preußischen Stadtschlosses zu Berlin. Sie ist damit eine der am längsten anhaltenden Architektur-Debatten der Gegenwart. “ Das Berliner Schloss spaltet die Stadtgesellschaft ” , schreibt Jens Bisky in seiner voluminösen Biographie einer großen Stadt (Bisky 2019: 879). Dabei ist die Entscheidung schon vor geraumer Zeit gefallen, nämlich kurz nach der Jahrtausendwende. Eigentlich sollte in dem riesigen Gebäude, das am Ende 682 Millionen Euro kosten wird und damit zu einem der teuersten Kulturbauten Deutschlands überhaupt avanciert, längst das Humboldt-Forum eingezogen sein und mit den inzwischen kontrovers diskutierten ethnologischen Sammlungen aus Dahlem längst Besucher aus aller Welt anziehen. Nun soll es 2021 aber wirklich soweit sein, wenn auch in Etappen: Im Juli beginnt man mit einer sehenswerten Ausstellung zur Geschichte Berlins; zum Herbstbeginn kommen Teile der außereuropäischen Sammlungen und Exponate aus dem Museum für Asiatische Kunst hinzu. Auch wenn noch viele Räume leer stehen, will man mit der offiziellen Eröffnung nicht länger warten: Ende September 2021 gibt es einen Staatsakt, der Bundespräsident spricht, die Staatsministerin für Kultur ist auch dabei, aber nun wird die ursprünglich stadt- und architekturhistorisch akzentuierte Diskussion des Gebäudes um postkoloniale Perspektiven auf seinen Inhalt erweitert. Anlass genug, nach dem Blick auf die ‘ Flughafen-Debatte ’ (Kap. 2) auch einen auf die ebenso langlebige ‘ Schloss-Debatte ’ zu werfen. Galt die öffentliche Diskussion im Falle des neuen Flughafens (neben dessen Standort und den zahllosen technischen Problemen) unter anderem auch der Frage der künftigen Nutzung der bisherigen Flughäfen (Tempelhof und Tegel im Westen, Schönefeld im Osten der Stadt), so wurde im Falle des Stadtschlosses nicht minder erbittert darum gerungen, nach dem Fall der Mauer zunächst den Abriss des asbestverseuchten DDR-Palastes der Republik und dann den schon 1990 von Joachim Fest in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vorgeschlagenen Wiederaufbau des Berliner Schlosses zu verhindern oder zu unterstützen (cf. Schug ed. 2007). Diese Mediendebatte wurde bereits bald nach der Entscheidung des Deutschen Bundestages 2002 für den Wiederaufbau in Monographien und Sammelbänden dokumentiert und muss hier nicht erneut rekonstruiert werden (cf. Hennet 2005; Ribbe ed. 2005). Aber seither riss die Debatte nicht ab, sondern weitete sich aus auf die Gestaltung des Schlossplatzes insgesamt und auf die Frage, wie und wofür das Schloss optimal genutzt werden könne. Doch zunächst ein kurzer Blick zurück, um dem Leser die vielerorts dokumentierte historische Entwicklung des Gebäudes im Schnelldurchlauf zu vergegenwärtigen und der aktuellen Debatte damit die nötige historisch informierte Tiefenschärfe zu verleihen. 7.2 Von der preußischen Wehrburg zum Neubau des Hohenzollernschlosses Mit der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Städte Berlin und Cölln wird 1443 unter der Regentschaft des Kurfürsten Friedrich II der Grundstein für die Residenz der Hohenzollern gelegt, eine wehrburgartige Anlage, deren genaues Aussehen nicht sicher überliefert ist und die um 1538 zugunsten eines neuen Renaissanceschlosses fast vollständig abgetragen wird. Um das Schloss mit den Jagdgründen des Tiergartens zu verbinden, werden ab 1646 Straßen gen Westen angelegt, womit es zum Mittelpunkt der rasch wachsenden Stadt wird. Als Kurfürst Friedrich III sich 1701 in Königsberg (als Friedrich I) zum König krönt und damit Von der preußischen Wehrburg zum Neubau des Hohenzollernschlosses 67 Kurbrandenburg zum Königreich Preußen wird, verlangt die neue Würde ein etwas repräsentativeres Gehäuse. Unter der Bauleitung von Andreas Schlüter entsteht ein barockes Stadtschloss, auch die Fassaden zum Lustgarten, der Schlossplatz und das Schlüter-Portal gehen auf seine Entwürfe zurück. Der neue Schlossbaumeister Johann Eosander v. Göthe erweitert den Bau dann ab 1706 noch einmal erheblich (und setzt sich mit dem Eosander- Portal ein prachtvolles Denkmal). Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I geht es etwas bescheidener an, lässt aber die Lücke zwischen Schlüterhof und Eosander-Portal schließen. Die Schlosskapelle wird 1853 mit einer Kuppel gekrönt. Mit der Reichsgründung 1871 wird das Schloss kaiserliche Residenz, eine Häuserzeile auf der “ Schlossfreiheit ” wird abgerissen, um dort Platz zu schaffen für das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal (Abb. 43). Abb. 43: Berliner Schloss nach der Reichsgründung Abb. 44: Das Schloss nach dem Krieg 1945 Nach dem Weltkrieg und der Abdankung des Kaisers wird der Bau während der Weimarer Republik und im sog. Dritten Reich dann genutzt als Kunstgewerbemuseum, Mensa, Wohnraum, Studentenhilfe, Theatermuseum und Ausstellungshalle und manches mehr (Abb. 44). Im Februar 1945 brennt das Schloss nach einem Luftangriff auf das Stadtzentrum schließlich bis auf den Nordwestflügel aus. Weniger aus bautechnischen als aus ideologischen Gründen wird es auf Beschluss der SED-Regierung 1950 unter Missachtung aller Proteste gesprengt und der dadurch freigewordene Platz in Marx-Engels-Platz getauft und für Kundgebungen der Partei und als Parkplatz genutzt. Als Nachfolger von Walter Ulbricht veranlasst Erich Honecker als Erster Sekretär des ZK der SED den Bau eines vom Architektenkollektiv um Heinz Graffunder konzipierten Neubaus, der als Sitz der Volkskammer und als Kulturhaus dient. Damit soll der ‘ Palast der Republik ’ (PdR), dessen Dimensionen ihm bald den Spottnamen ‘ Palazzo Prozzo ’ eintragen, zum politischen und kulturellen Kristallisationspunkt der Arbeiterbewegung werden. Viele Bürger der DDR erinnern neben den SED-Parteitagen vor allem die Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Ausstellungen, Theateraufführungen, Modenschauen, Hochzeiten und dergleichen. Familien treffen sich den Restaurants des Hauses, Jugendliche in der hauseigenen Diskothek oder an der Bowlingbahn. Die Erinnerung daran trägt in der Nachwendezeit ab 1990 viel zu dem nostalgisch verklärten Image des Hauses bei vielen Bürgern bei, vor allem solchen, die zu DDR-Zeiten der SED bzw. nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 ihrer Nachfolgerpartei nahestehen. 68 Die Schloss-Debatte Abb. 45: Palast der Republik 1986 Abb. 46: Palast der Republik 1987 Diese ist es denn auch, die zunächst den Protest gegen den Rückbau des Gebäudes anführt, der durch die krebserregende Asbestkontamination und aufgrund statischer Probleme unausweichlich scheint. Im wesentlichen stehen drei Optionen zur Wahl: Erhalt des PdR, moderner Neubau, Wiedererrichtung des Schlosses. Eine unabhängige Expertenkommission empfiehlt schließlich mit nur einer Gegenstimme die Rekonstruktion der historischen Mitte Berlins. Der Deutsche Bundestag entscheidet sich nach mehreren Architekturwettbewerben 2003 für den Abriss des PdR und den Wiederaufbau des Schlosses. Es soll als ‘ Humboldt-Forum ’ die Sammlungen der Dahlemer Museen außereuropäischer Kulturen, die Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie die wissenschaftshistorischen Sammlungen der Humboldt-Universität beherbergen. 7.3 Das Humboldt-Forum in der Diskussion Gegen diese Grundsatzentscheidung wurden von vielen Seiten Einwände hervorgebracht, der Petitionsausschuss des Bundestages allein hatte 880 Eingaben zu behandeln, die er verwarf. Die Gegenseite der Befürworter suchte ebenfalls Anhänger zu mobilisieren und für die Akzeptanz des Schlosses zu gewinnen. Einige der wesentlichen Argumente in der Kontroverse ließen sich in folgender Tabelle zusammenfassen: Pro Contra Ein modernes Gebäude könne die Lücke zwischen den historischen Bauten im Zentrum nicht füllen. Mit zeitgenössischen Nutzungskonzepten lasse sich die alte Baustruktur nicht verbinden. Das Schloss habe eine wichtige Funktion für das deutsche / europäische Geschichtsgedächtnis, es diene als Brücke zur Vergangenheit. Das Schloss repräsentiere eine monarchische politische Ordnung und sei einer republikanischen Demokratie nicht mehr angemessen. Das Schloss bilde den Kern des Berliner Zentrums, es halte die Mitte zusammen. Das Schloss tilge die historischen Brüche im urbanen Raum und es negiere die DDR-Epoche. Das Schloss verspreche zur touristischen Attraktion zu werden und ziehe international Besucher an. Eine authentische Rekonstruktion des Schlosses sei unmöglich, die Kopie werde zum Disneyland. Das Humboldt-Forum in der Diskussion 69 Besonders der von dem Hamburger Kaufmann Wilhelm v. Boddien gegründete ‘ Förderverein Berliner Schloss ’ trat in der Debatte von Beginn an mit z.T. spektakulären Aktionen hervor wie der semiotischen Simulation der Schlossfassaden durch Stoffbahnen als Zeichen für die Dimensionen des geplanten Baukörpers, was zur Veranschaulichung des Vorhabens und zur Spendenbereitschaft beitragen sollte. Nach Jahren mit verschiedenen Zwischennutzungen wurde für die Gestaltung des Schlosses Ende 2007 ein weiterer Architekturwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 158 Büros beteiligten; von ihren Entwürfen schafften es 30 in die zweite Auswahlrunde, in der eine Jury aus 14 Preisrichtern sich schließlich für den Vorschlag des italienischen Architekten Franco Stella aus Vicenza entschied, der neben drei barocken Fassaden eine nach Osten gewandte moderne Ansicht vorsah, an der sich freilich auch wieder heftiger Streit entzündete, der bis heute anhält. So wird Stellas Fassade mit einem Gewerbebau am Nordbahnhof verglichen, um nur einen der schmeichelhafteren Kommentare herauszugreifen. Stellas Architekten-Kollegen kritisierten die zahllosen Vorgaben des Wettbewerbs, der ihre Kreativität beschneide. Abb. 47: Berliner Schloss Westfassade (© SHF / Christoph Musiol) Abb. 48: Berliner Schloss Ostfassade (© SHF / Foto (Zuschnitt): Christoph Musiol) 70 Die Schloss-Debatte Auch in der Berliner Bevölkerung überwog anfangs die Skepsis. Noch viele Jahre nach der Grundsatzentscheidung für das Humboldt-Forum sprachen sich laut einer Umfrage der (freilich in dieser Frage nicht ganz neutralen) Berliner Zeitung (BLZ) im Sommer 2010 angeblich 80 % der Berliner dagegen aus (Aulich & Höhn 2010; Zylka 2010). Eine Diskursanalyse einschlägiger Artikel in den online-Ausgaben der BLZ und der Süddeutschen Zeitung (SZ) aus demselben Zeitraum bildet das gesamte Spektrum der Kontroverse ab. So kritisierte die BLZ etwa, dass die Vorgabe der Barockfassaden zu Grundrissen führe, die für Bibliotheken oder Ausstellungen unbrauchbar seien und fragte, ob das Konzept überhaupt in eine moderne und ökologisch nachhaltige Zeit passe (Bernau 2010), während die SZ an die konkreten Aufgaben und baulichen Herausforderungen erinnerte, die vor lauter Symboldebatten in den Hintergrund zu treten drohe (Seibt 2010). Die Fördervereine rüsteten derweil publizistisch auf, organisierten Ausstellungen und Diskussionsrunden, gaben Bücher, DVDs und eigene Zeitschriften heraus (wie das Berliner Extrablatt, dessen 93. Ausgabe im April 2020 erschien). Mit der sachlichen Aufklärung und Fülle der Informationen wuchs denn auch die Zustimmung zu dem Projekt (proportional zu dessen Kosten). Anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedereinigung resümiert die FAZ in einer Sonderbeilage zu ihrer Ausgabe Nr. 230 v. 02.10.2020, dass wohl “ über keinen anderen Symbolort seit 1989 so heftig gestritten ” worden sei wie über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses (Maak 2020). Doch immer noch halten sich Zustimmung und Ablehnung, Identifikation und Skepsis die Waage. Die einst schönste Fassade, die nach Osten zur Spree hin, sehe nun aus wie ein “ monumentales Abluftgitter ” (ibid.), und das Humboldt-Forum sei ideologisch zwischen die Fronten geraten. Dies spielt auf den Streit zwischen Mitgliedern der Expertenkommission wie Bénédicte Savoy einerseits und den Vorgängern des neuen Generalintendanten Hartmut Dorgerloh (Neil MacGregor, Herman Parzinger, Horst Bredekamp) andererseits an, bei dem es u. a. um das Verhältnis der Ethnologischen Sammlungen zum Kolonialismus und die Frage der Restitution afrikanischer Objekte geht. Von denen bekommt der Besucher allerdings kaum etwas zu sehen, allenfalls ein bis drei Prozent des Bestandes, der Rest (schätzungsweise eine halbe Million Artefakte) verstaubt in den Depots (cf. Papp 2021; Rauterberg 2021). Um sie dreht sich nun der anhaltende Streit: wie schon das Schloss als anachronistisches Zeichen imperialer Machtansprüche des versunkenen Deutschen Reiches gelesen werden müsse, so sei nun dessen museale Möblierung ein Zeichen für kolonialistische Raffgier und arrogante Indifferenz gegenüber den Erben der ursprünglichen Schöpfer in Afrika und Asien. Wie gelangten die zahllosen, oft wertvollen Objekte aus China, Tibet, Nepal, Indien, Sri Lanka, Ozeanien, aus Namibia, Nigeria, Benin und anderswoher in Zeiten des Kaiserreichs in deutschen Besitz? Wird deren Erwerbsgeschichte in der Provenienzforschung prüfbar offengelegt? An den berühmten Benin-Skulpturen aus Nigeria etwa oder an dem Luf-Boot aus Papua Neuguinea entzündet sich exemplarisch ein Konflikt zwischen verschiedenen Parteien, der entlang unübersichtlicher Frontlinien (zwischen Vertretern der Herkunftsländer, Museumsdirektoren, Archivaren, Kuratoren, Provenienz- und Restitutionsforschern, Aktivisten wie der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy oder dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer) in den Spalten der Feuilletons und schnell geschriebenen Sachbüchern ausgetragen wird und der einer eigenen Aufarbeitung bedarf (cf. Aly 2021; Hauser-Schäublin 2021; Savoy 2021). Es Das Humboldt-Forum in der Diskussion 71 steht zu hoffen, dass die kontroversen Debatten den Blick auf die einzigartigen Objekte nicht gänzlich verstellen, sondern diskursanalytisch nüchtern aufgearbeitet und in den Kolonialismus-Diskurs eingebettet werden. Dabei sind weitere Auseinandersetzungen rund um das Schloss bereits in vollem Gange. Anhaltenden Streit gibt es z. B. auch um die Kuppel und ihr Kreuz mit einer von der Apostelgeschichte und dem Brief an die Philipper inspirierten Inschrift des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV (1853): “ Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. ” Jens Bisky irritiert, dass gerade jene semiotisch aufgeladenen Teile des Bauwerks mit besonderer Sorgfalt rekonstruiert worden seien, die, wie er in Anlehnung an des Königs Sprachgebrauch schreibt, den “ Ludergeruch der Reaktion ” verströmten (Bisky in der SZ v. 22.05.20). Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters begrüßt als Bauherrin das Kreuz als Zeichen für Nächstenliebe und Weltoffenheit, der Kultursenator Klaus Lederer kritisiert es als religiös besetztes Zeichen, das alles konterkariere, wofür das Humboldt- Forum im Sinne seiner Namenspaten stehe, für Humanismus, Aufklärung, Gleichwertigkeit der Menschen und Kulturen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland mischt sich ein und empfiehlt, die Zeichen der drei abrahamitischen Religionsgemeinschaften gemeinsam aufzunehmen. Diese und viele andere Stimmen der Kontroverse stellt der Berliner Tagesspiegel in seiner Ausgabe v. 29.05.2020 zusammen (Schulz 2020). Heftiger geht es in den sogenannten Sozialen Netzwerken zu, in deren Untiefen wir hier jedoch nicht folgen wollen. Ein anderes Beispiel für die öffentlichen Diskussionen im Zusammenhang mit dem Streit ums Schloss ist das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das an die Stelle des Kaiser-Wilhelm- Nationaldenkmals vor dem Gebäudekomplex treten soll und das die Berliner vox populi ‘ die Einheitswippe ’ getauft hat. Auch an dessen Zeichensprache entzündet sich die Debatte, an der zahlreiche Kultur- und Medienschaffende teilnehmen, die den Standort in offenen Briefen infrage stellen, weil er den kosmopolitischen Anspruch des Humboldt-Forums existenziell in Frage stelle. Eine quellensatte Zusammenstellung kritischer Kommentierungen findet sich unter: https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Freiheits-_und_Einheitsdenkmal [Abruf 09.10.2020]. Die Bruchlinien der Kontroverse verlaufen nicht unbedingt entlang der Parteigrenzen, obwohl das Thema politisch brisant ist. Politiker jeder Couleur äußern sich für und wider die “ Bundesbanane ” , wie das Denkmal auch verspottet wird. In den Feuilletons tobt der Streit mindestens so lange, bis es errichtet sein wird und die Bevölkerung und die Besucher sich dazu verhalten können. Noch scheint deren Mehrheit eher skeptisch: einer Umfrage von Infratest dimap im Mai 2017 zufolge hätten 58 % der Berliner lieber die historischen Kolonnaden rekonstruiert gesehen als sich durch den “ Politkitsch ” der Wippe “ verschaukeln zu lassen ” (Bisky 2015). Was aussehe wie eine “ surreal überdimensionierte Obstschüssel ” , so Niklas Maak in seinem eingangs zitierten Rückblick auf die Schlossdebatte anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung, solle zum Ausdruck bringen, dass Menschen zusammen wie 1989 etwas bewegen können (eben die Wippe zu neigen); das Zeichen könne aber “ auch so gelesen werden, dass es immer, wenn in Deutschland zu viele Leute in eine Richtung laufen, mit dem Land bergab geht ” (Maak 2020). Und weil unten im Kupfergraben dazu noch eine Badeanstalt eingerichtet 72 Die Schloss-Debatte werden soll, fügt er spöttisch hinzu: “ Oben spielt man Preußens Gloria, in der Mitte werden die Leute verschaukelt, unten gehen die einfachen Leute baden: Vielleicht ist Berlin am Ende hier ja doch, ganz unfreiwillig, ein vielsagendes Selbstporträt gelungen ” (ibid.). Abb. 49: Freiheits- und Einheitsdenkmal nach dem Entwurf von Milla & Partner Das Humboldt-Forum in der Diskussion 73