Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
826
2024
422-4
Annamária Fábián & Igor Trost (eds.) 2018: Sprachgebrauch in der Politik. Grammatische, lexikalische, pragmatische, kulturelle und dialektologische Perspektiven, (= Reihe Germanistische Linguistik 319), Berlin / Boston: de Gruyter 366 pp., 129,95 €, ISBN 978-3-11-063772-4 (hardcover)
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2024
kod422-40355
schon droht die Gegenbewegung von klerikaler (evangelikaler) und politisch reaktionärer Seite (AfD usw.) die so mühsam errungenen Rechte wieder zu gefährden, verbale Aggressionen (hate speech) häufen sich, die Zahl homophober Übergriffe und Gewalttaten (hate crimes) gegen Schwule steigt. Wie schnell eine Liberalisierung auch wieder rückgängig gemacht werden kann, zeigt sich in autoritär regierten Staaten selbst innerhalb der EU (Ungarn, Slowakei), die sich damit über europäisches Recht hinwegsetzen. Wachsamkeit bleibt also geboten, und Huneke liefert dafür gute Argumente. Literatur Beachy, Robert 2015: Das andere Berlin. Die Erfindung der Homosexualität - eine deutsche Geschichte 1867 - 1933, München: Siedler Federl, Fabian 2017: “ Tagesgeschäft Schwulenverfolgung ” , in: Zeit online v. 06.08.2017, im Internet: http: / / www.zeit.de/ gesellschaft/ zeitgeschehen/ 2017-07/ homosexualitaet-paragraf-175-schwulenverfolgung-richter-klaus-beer [06.08.2017] Hess-Lüttich, Ernest W. B. 2017: “ Queer Spaces. Ein Stadtviertel im Zeichen des Regenbogens: Subkultur in Schöneberg ” , in: Peter Handler, Klaus Kaindl & Holger Wochele (eds.) 2017: Ceci n ’ est pas une festschrift. Texte zur Angewandten und Romanistischen Sprachwissenschaft für Martin Stegu, Berlin: Logos, 293 - 310 Möllers, Christoph 2017: “ Was heißt Ehe für alle? ” , in: Die Zeit 28 v. 06.07.2017: 37 Annamária Fábián & Igor Trost (eds.) 2018: Sprachgebrauch in der Politik. Grammatische, lexikalische, pragmatische, kulturelle und dialektologische Perspektiven, (= Reihe Germanistische Linguistik 319), Berlin / Boston: de Gruyter 366 pp., 129,95 € , ISBN 978-3-11-063772-4 (hardcover) Dieser von Annamária Fábián und Igor Trost zusammengestellte Band versammelt die überarbeiteten Vorträge zu einer Tagung, die bereits Ende 2015 in Passau stattfand, die aber nichts von ihrer Aktualität verloren haben und viele Facetten politischen Sprachgebrauchs behandeln. Insofern eignet sich der Band gut als eine Ergänzung zu den gängigen Einführungen in die Politolinguistik. Das Buch gliedert sich in vier Teile. Den ersten Teil nimmt ein Grundsatzartikel von Manfred Michael Glauninger ein, der die “ Politizität von Sprache als Zeichen ” exponiert, womit der Autor “ eine (meta-)semiotische Perspektivierung ” politischen Sprachgebrauchs vorschlägt, um das Spektrum einschlägiger Untersuchungsansätze einerseits zu erweitern und diesen andererseits ein theoretisch integratives Fundament zu verleihen. Der zweite Teil ist der Funktion grammatischer Einheiten im politischen Sprachgebrauch gewidmet. Zunächst fragt Ludwig M. Eichinger, ob es überhaupt so etwas wie eine “ Grammatik der politischen Sprache ” gebe. Diese Frage diskutiert er anhand von Mustern und Schemata in parlamentarischen Reden und kommt dabei zu dem Schluss, das politische Rede zwar über bestimmte grammatische Präferenzen verfüge, die sich aus der Funktion und kommunikativen Praxis ergäben, aber man angesichts ihrer Heterogenität von einer textsortenspezifischen ‘ Grammatik ’ im engeren Sinne nicht sprechen könne. Igor Trost dagegen weist in seinem Beitrag über “ Modalpassivische Konstruktionen in Regierungserklärungen der deutschen Bundesregierungen ” typische Muster einer coverten Modalität Recent Readings - Reviews 355 auf, die das Agens verschleiern, womit die Redner die Intransparenz bezüglich klarer Verantwortlichkeiten in Kauf nehmen oder sogar bewusst befördern können. Annamária Fábián hat sich jene berühmte Bundespressekonferenz der Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschaut, in der diese die Zuhörer durch entsprechende persuasive Strategien (u. a. mit dem Satz “ Wir schaffen das! ” ) davon zu überzeugen suchte, dass und wie das Flüchtlingsproblem zu lösen sei. In einem weiteren, gemeinsam mit Anja Enzensberger verfassten Beitrag über “ Sprachliche Konstruktionen der Einheit durch Substantive ” kann Fábián am Beispiel der Neujahrsansprache 2015/ 16 von Angela Merkel zeigen, wie mittels der Verwendung von bestimmten Eigennamen und Personalpronomina kollektive Identitäten und ihre Abgrenzung von anderen Großgruppen hergestellt werden können. Richard Ingham nimmt in seinem Aufsatz über “ The syntax of foregrounding and backgrounding in English Civil War political discourse ” die seinerzeit aktuelle Brexit-Debatte in Großbritannien zum Anlass und Ausgangspunkt für die Herleitung historischer Muster persuasiver Argumentation seit dem englischen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert, wie sie sich im Briefwechsel des Königs (Charles I) und dem Parlament niedergeschlagen haben und nun auch wieder in der Brexit-Kontroverse wiederfinden lassen. Stefanie Ullmann hat sich die Reden von Politikern zum sog. ‘ Arabischen Frühling ’ angehört und verbindet in ihrer methodisch interessanten (auch quantitativ unterfütterten) Studie grammatische Analyse mit kritischer Diskursforschung, um subtile Strategien politischer Manipulation zu entlarven und damit den diskursiven Wert bestimmter grammatischer Strukturen auszuweisen. Der dritte Teil des Buches versammelt Beiträge zur Funktion morphologischer, lexikalischer und stilistischer Einheiten im politischen Sprachgebrauch. Am Beispiel von Redebeiträgen zu einer Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag analysiert Hans-Werner Eroms Stilfiguren wie “ Syllogismen und Belehrungen ” und deren unterschiedliche Gewichtung bei Rednern der Regierung einerseits und der Opposition andererseits. Thomas Niehr plädiert in seinem Beitrag über “ Schlagwörter ” für eine Differenzierung des Schlagwortbegriffs und die empirische Analyse seines Vorkommens in größeren Corpora. (Er selbst hat ein solches Corpus von 123 Bundestagsdebatten zwischen 1964 bis 2014 zusammengestellt und darin mehrere Funktionen der Schlagwortverwendung gefunden). Als Politikwissenschaftler interessiert sich Ralf Thomas Göllner für die Wirkung des (ursprünglich positiv auf Vielfalt zielenden) Multikulturalitätsbegriffs im Migrationsdiskurs und diagnostiziert dessen zunehmende Degradierung zu einem herabsetzenden Kampfbegriff ( “ Multikulti ” ) in der politischen Auseinandersetzung. Um Remotivierungsprozesse geht es Rüdiger Harnisch in seiner Beobachtung der Verwendung von “ Partizipien als meliorisierende Ersatzkonstruktionen für personenbezeichnende Derivata ” zum Beispiel bei der Substitution der Bezeichnung für ‘ Flüchtlinge ’ durch ‘ Geflüchtete ’ , was er auch gendersprachlich als Vorteil empfindet (ohne freilich zu bedenken, dass damit nicht nur der Rechtsbegriff ‘ Flüchtling ’ außer Betracht gerät, sondern auch eine Verharmlosung einhergehen kann, weil das Partizip Perfekt etwas bezeichnet, das abgeschlossen, vergangen und damit überwunden ist, während Flüchtlinge durch ihre traumatischen Fluchterfahrungen oft ein Leben lang geprägt werden - cf. Kossert 2020). Um Flüchtlings- und Zuwanderungsdiskurse und ihren Wandel im Laufe der Nachkriegszeit geht es auch Fabian Kreußler und Martin Wengeler, wenn in ihrem Kapitel “ Von 356 Ernest W. B. Hess-Lüttich Heimatvertriebenen, Armutsflüchtlingen und Refugees ” die Rede ist, deren Bedeutungsveränderungen sie im Mediendiskurs seit den 1950er Jahren sie nachspüren. Im Grunde könne jedes Wort politisch gebraucht werden, meint Jörg Kilian in seinem Beitrag über “ Politische Semantik, interkulturelle ‘ Hotwords ’ und didaktische Sprachkritik ” , und damit im politischen Streit auch Konfliktpotential entfalten, etwa wenn es - wie im Falle der (von Heringer so genannten) ‘ Hotwords ’ , die mit der Kultur eines Landes assoziiert werden, - interkulturelle Missverständnisse hervorrufen könne. Einen Blick ins benachbarte Frankreich werfen Sandra Issel-Dombert und Marie Serwe und unterziehen unter dem Titel “ Quo vadis, Front National? ” das Parteiprogramm der französischen Rechtspopulisten einer kritischen Analyse, die ähnliche antagonistische Diffamierungsstrategien nachweist, wie wir sie auch von den deutschen Rechtspopulisten her kennen. Der vierte Teil des Buches ist der Untersuchung der Funktion von Varietäten und Identitätskonstruktionen im politischen Sprachgebrauch gewidmet. Der aus Ungarn stammende Erfurter Linguist Csaba Földes hat Zeitungen der deutschsprachigen Minderheit in Ungarn durchgesehen und darin sprachliche Strategien ausgemacht, die der kollektiven Identitätsbildung und Selbstvergewisserung dienen. Eine ähnliche Funktion haben der Beobachtung von Pascale Erhart zufolge die Reden elsässischer (Lokal-)Politiker in Funk und Fernsehen, die (z. B. im Regionalsender France 3 Alsace) Volksabstimmungen in ihrem Sinne zu beeinflussen suchen, indem sie mit ihrem Dialektgebrauch ein Gemeinschaftsbewusstsein der angesprochenen Gruppen stiften. In Wien konstatiert Peter Ernst mit seinem Beitrag “ Von ‘ politischer Sprache ’ zu ‘ politischer Aussprache ’” eine regional bzw. dialektal, aber auch ideologisch begründete Abweichung im Sprachgebrauch der Nazis von der standardsprachlichen Norm. Ein kurzes Kapitel über den politisch begründeten “ Benennungswandel vom Amselfeld zur Republik Kosovo ” von Vjosa Hamiti und Blertë Ismajli rundet den Band ab und zeigt auf, wie aus dem Toponym ‘ Kosovo ’ ein Demonym wird, das der Identitätskonstruktion dient und schließlich zum Staatsnamen (mit schwankender Genuszuschreibung) auch in deutschen Medien avanciert. Das Buch ist in seiner thematischen Vielfalt zur Ergänzung der politolinguistischen Monographien zu empfehlen. Nota bene: Die verantwortliche Herausgeberin Annamária Fábián ist jüngst auch mit einer verdienstvollen Edition über The Representation of REFUGEES and MIGRANTS in European National Media Discourses from 2015 to 2017 hervorgetreten, die in der von ihr gemeinsam mit Igor Trost und anderen betreuten Buchreihe Linguistik in Empirie und Theorie / Empirical and Theoretical Linguistics erschienen ist und auf die hier ausdrücklich verweisen sei, weil sie einen nützlichen Überblick bietet über die Verwendung der beiden Begriffe in den österreichischen, belgischen, französischen, deutschen, britischen, indischen, polnischen, serbischen, spanischen, schwedischen, türkischen Mediendiskursen. Literatur Annamária Fábián (ed.) 2023: The Representation of REFUGEES and MIGRANTS in European National Media Discourses from 2015 to 2017. A Contrastive Approach (Corpus Analysis), Berlin: Metzler/ Springer Kossert, Andreas 2020: Flucht. Eine Menschheitsgeschichte, München: Siedler Recent Readings - Reviews 357
