Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4
Zeichentheoretische Grundlagen
0303
2025
Joschka Briese
Die Antwort auf die Frage, wie wir Verhalten als soziale Handlung konstituieren und sich das Konzept der diskursiven Intentionalität in sozial-normativen Praktiken etabliert, kann nur über einen elaborierten Zeichenbegriff gelingen. Dieses Kapitel stellt daher den semiotischen Pragmatismus nach Charles S. Peirce vor, der die zeichentheoretischen Grundlagen der folgenden Überlegungen bereitstellt. Es stehen nicht nur die phänomenologischen und pragmatistischen Grundlagen sowie verschiedene Zeichenaspekte und -relationen im Mittelpunkt. Im Rahmen einer linguistischen Pragmatik ist insbesondere die Gliederung entlang einer kognitiven Semiotik relevant sowie ihrer irreduziblen Einbettung in eine kontinuierliche Semiose und Zeichenkonstitution.
kod451-40022
K O D I K A S / C O D E Volume 45 (2022) · No. 1 - 4 Gunter Narr Verlag Tübingen 2 Zeichentheoretische Grundlagen Abstract: The answer to the question of how we constitute behavior as social action and how the concept of discursive intentionality is established in social-normative practices can only be achieved through an elaborated concept of signs. This chapter therefore introduces Charles S. Peirce's semiotic pragmatism, which provides the sign-theoretical foundations for the following considerations. The focus is not only on the phenomenological and pragmatic foundations as well as various aspects and relations of signs. In the context of pragmatics, the formation along cognitive semiotics and its irreducible embedding in a continuous semiosis and sign constitution is particularly relevant. Zusammenfassung: Die Antwort auf die Frage, wie wir Verhalten als soziale Handlung konstituieren und sich das Konzept der diskursiven Intentionalität in sozial-normativen Praktiken etabliert, kann nur über einen elaborierten Zeichenbegriff gelingen. Dieses Kapitel stellt daher den semiotischen Pragmatismus nach Charles S. Peirce vor, der die zeichentheoretischen Grundlagen der folgenden Überlegungen bereitstellt. Es stehen nicht nur die phänomenologischen und pragmatistischen Grundlagen sowie verschiedene Zeichenaspekte und -relationen im Mittelpunkt. Im Rahmen einer linguistischen Pragmatik ist insbesondere die Gliederung entlang einer kognitiven Semiotik relevant sowie ihrer irreduziblen Einbettung in eine kontinuierliche Semiose und Zeichenkonstitution. Keywords: Charles S. Peirce, semiotic pragmatism, cognitive semiotics, signs, semiosis Schlüsselbegriffe: Charles S. Peirce, Semiotischer Pragmatismus, Kognitive Semiotik, Zeichen, Semiose Eine der zentralen sprach- und zeichentheoretischen sowie -philosophischen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts ist wohl das irreduzible Verhältnis von Zeichen und Bedeutung, welches sich z. B. im Verhältnis von Signifikant und Signifikat wiederfindet. Während der Ferdinand de Saussure der Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft bzw. dessen Schüler Charles Bally und Albert Sechehaye noch Signifikant und Signifikat strikt trennen, entwickeln sich im Laufe des 20. Jahrhunderts Denktraditionen, die die Irreduzibilität des Zeichens zu restaurieren suchen. So zeigt z. B. Jacques Derrida (1983), dass das transzendentale Signifikat im Strukturalismus nicht nur ohne Signifikant denkbar zu sein scheint, sondern kritisiert auch dessen logozentrische Konsequenzen, welche dem Signifikat eine hierarchische Übergeordnetheit zuweisen, anstatt sich dem gesamten Zeichen zu widmen. Das Verhältnis zwischen Signifikant und Signifikat ist aber nicht nur in der Sprachphilosophie reflektiert, sondern auch in der Sprachwissenschaft aufgearbeitet worden. Exemplarisch hierfür sind z. B. Arbeiten von Thomas Metten (2014), Ludwig Jäger (z. B. 1975, 2018 a), Christian Stetter (2005) und Jan Georg Schneider (2008). Aber auch diskurslinguistische Untersuchungen z. B. von Johannes Angermüller (2007 b) heben die genuine Einheit des Zeichens bzw. von Signifikant und Signifikat hervor. Daher kann die Explikation dieses Verhältnisses nicht mehr als Desiderat der Sprachwissenschaft betrachtet werden, auch wenn verschiedene Untersuchungen und Arbeiten doch unterschiedliche Facetten dieses Verhältnisses hervorheben. Stattdessen steht heutzutage vielmehr die Frage im Mittelpunkt, ob sich die Semiotizität der Sprache auf Bedeutung bzw. Semantik beschränkt oder ob sie auch Sprachgebrauchskategorien und damit auch die linguistische Pragmatik zu erfassen hat. In der hier vertretenen sprachpragmatischen Perspektive, in welcher die Unterscheidung von Semantik und Pragmatik eher einen wissenschaftsheuristischen Wert zur Sprachdeskription hat, gilt die irreduzible Relation nicht nur für das Verhältnis von Semantik (Bedeutung) und Semiotik (Zeichen). Auch pragmatische, sozial-normative und handlungstheoretische Aspekte der Sprache und des sprachlichen Handelns müssen sich mithilfe semiotischer Betrachtungen, wenn nicht gänzlich erklären, doch zumindest spezifizieren lassen: keine linguistische Pragmatik also, die nicht auch semiotisch und semiosisch ist. Diese These der Irreduzibilität des Verhältnisses von Performanz und Zeichen findet z. B. bei Charles S. Peirce einen Vorläufer und soll im Weiteren nicht nur skizziert, sondern auch begründet werden, indem u. a. dessen Zeichentheorie vorgestellt wird. Dass Sprache im Allgemeinen auch zeichenhaft ist, darüber sind sich sprachbezogene Disziplinen weitestgehend einig. Selbst Disziplinen, die Sprache eher als Nebenprodukt kognitiver Prozesse verstehen, erkennen der Sprache eine basale Zeichenhaftigkeit zu. Allerdings unterscheiden sich die semiotischen Prämissen in unterschiedlichen Disziplinen und auch in der Sprachwissenschaft kursieren unterschiedliche Zeichenbegriffe, welche in den jeweiligen Untersuchungen nicht notwendigerweise expliziert oder theoretisch reflektiert werden. Eine Pluralität an Zeichenbegriffen innerhalb der Linguistik ist dabei nicht nur selbstverständlich, sondern auch wünschenswert. Dennoch sollten die verwendeten Zeichenbegriffe benannt, beschrieben und ggf. illustriert werden, da unterschiedliche Zeichendefinitionen auch zu unterschiedlichen hermeneutischen wie empirischen Erkenntnissen führen. Vor einer Interpretation, Rekonstruktion und Modellierung eines Zeichenbegriffs müssen nicht nur die erklärten Ziele der Theorie, sondern auch die grundlegenden erkenntnistheoretischen Annahmen expliziert werden, um einen angemessenen Zeichenbegriff zu implementieren. Grundlegende Annahme der hier vertretenden Zeichentheorie ist, dass die Wirklichkeit zeichenhaft strukturiert und prozessiert ist und Zeichen nicht nur von ZeichennutzerInnen verwendet werden. Zeichen haben also eine wirklichkeitskonstitutive 1 Funktion. Gleichzeitig muss sich das Zeichenmodell im Rahmen einer linguistischen Pragmatik bewähren und eine gebrauchsbasierte Perspektive ermöglichen. Sowohl 1 Der Begriff der Wirklichkeitskonstitution grenzt sich vom Begriff der Wirklichkeitskonstruktion insofern ab, dass er zunächst auf die Trend- und Kampfvokabel soziale Konstruktion verzichtet (cf. hierzu Hacking 1999) und gleichzeitig nicht-semiosische Elemente als kodeterminierende Aspekte zur Konstitution akzeptiert. Insbesondere im Rahmen der sprachlichen Wirklichkeitskonstitution werden dem Effektbereich der Sprache von kausalen Prozessen Grenzen gesetzt. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 23 diese pragmatische Perspektive als auch die wirklichkeitskonstitutive Funktion lassen sich in der Zeichentheorie Charles S. Peirces wiederfinden. Deshalb sollen im Folgenden sowohl die phänomenologischen als auch erkenntnistheoretischen Prämissen der Semiotik Peirces expliziert werden, um anschließend einen Zeichenbegriff vorzustellen, der innerhalb einer linguistischen Pragmatik und kognitiven Semiotik angewandt werden kann. Durch ihre lange Tradition ist die Zeichentheorie Peirces nicht nur bereits vielfach interpretiert und präsentiert worden, sondern ist auch in vielen Aspekten bereits in die deutschsprachige linguistische Theoriebildung eingegangen (cf. z. B. schon Stetter 1979). Insofern muss gerechtfertigt werden, inwiefern sich die hier stattfindenden Darstellungen der Peirce'schen Zeichentheorie von anderen Zusammenfassungen unterscheiden bzw. warum entsprechende Erklärungen dieser Zeichentheorie auch heute noch notwendig sind. Dies hat insbesondere drei Gründe: Erstens ist die Zeichentheorie Peirces keineswegs eindeutig hinsichtlich ihrer erkenntnistheoretischen wie ontologischen Annahmen. Vielmehr beanspruchen unterschiedliche Traditionen und Schulen für sich, dass Peirce ihre theoretischen Positionen stützen würde. Abseits einer Diskussion der Legitimität der Inanspruchnahme, welche im Rahmen der Peirce-Forschung z. B. in der Zeitschrift Transactions of the Charles S. Peirce Society ausführlich dokumentiert ist, ist es doch für die Arbeit notwendig, (direkt oder indirekt) einer spezifischen Peirce-Interpretation zu folgen bzw. diese für die entsprechenden Reflexionen und Überlegungen anzuerkennen, um keine widersprüchliche Theorie zu entwickeln. Insofern stellen die folgenden Abschnitte und Kapitel nicht den Zeichenbegriff Peirces dar, sondern denjenigen, den der semiotische Pragmatismus aus den Schriften Peirces expliziert hat. Der semiotische Pragmatismus scheint mit einer linguistischen Pragmatik insgesamt nicht nur kompatibel zu sein, sondern hebt die sozial-normativen und kognitiven Aspekte sprachlicher und diskursiver Praktiken prominent hervor. Zweitens ist das theoretische Vokabular und Inventar Peirces begrifflich nicht selbstverständlich und muss nicht nur erläutert, sondern auch in ein entsprechendes Verhältnis zum theoretischen Vokabular der Arbeit gesetzt werden. Insofern ist die Beschreibung des theoretischen Vokabulars auch Arbeit am Begriff selbst und muss sich in der weiteren Theoriebildung als praktisch und theoriefördernd erweisen. Die Etablierung des theoretischen Vokabulars hat neben seiner Erklärung insbesondere die Funktion, die expliziten semiotischen und semiosischen Aspekte der Sprachtheorie zu markieren. Insofern ruft das Vokabular Peirces in seiner weiteren Verwendung im Rahmen dieser Arbeit auch immer ein zeichentheoretisches Register auf und verweist damit auf den kategorialen Rahmen der Argumentation. Drittens, und das gilt nicht nur für die Darstellung der Zeichentheorie Peirces, sondern auch für Darstellungen von Theorien und theoretischen Aspekten generell, soll die Explikation des semiotischen Vokabulars Missverständnissen vorbeugen, die die Interpretation der semiotischen Aspekte der Sprachtheorie betreffen. Indem Begriffe wie Zeichen, Signifikanz, Bedeutung, Semiose oder Inferenz mithilfe von Peirce erklärt werden, schließt es, so hoffe ich, einige mögliche Interpretationen eines Zeichenbegriffs aus, die mit der hier vertretenen theoretischen Position womöglich inkompatibel sind. Die folgenden Kapitel sind also weniger für Peirce-Experten geschrieben oder versuchen gar, einen Beitrag zum Verständnis der Schriften Peirces zu leisten. Vielmehr steht ein 24 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen funktionales und explikatorisches Interesse im Mittelpunkt, welches die Stätte für die weitere Theorie bereiten soll und ggf. Peirce-Interessierten einen Einblick in dessen Zeichenbegriff geben kann. 2.1 Triadomanie 2 - Einführung in den semiotischen Pragmatismus Eine Interpretation und Rekonstruktion der Zeichentheorie von Charles S. Peirce sieht sich gleich zu Beginn mit zwei eklatanten Schwierigkeiten konfrontiert, die durch die entsprechende theoretische Rahmenentscheidung zu unterschiedlichen Zeichenkonzeptionen führen können: die Fülle an Schriften und deren prozesshafter Modus sowie die Positionierung und Rezeption dieser von unterschiedlichen Denktraditionen wie Teildisziplinen der Semiotik. Die Schriften Peirces sind nicht nur umfangreich, sondern liegen zudem nicht in vollständiger Fassung vor. Das Peirce Edition Project an der Indiana University-Purdue University Indianapolis wertet die Manuskripte und Mitschriften weiterhin aus und rekonstruiert ihre Inhalte. Erschwerend kommt hinzu, dass Peirce selbst keine vollständige Monographie verfasst hat, sondern sich dessen theoretische Fragmente auf unterschiedliche Artikel, Lexikoneinträge, Briefe und Vorlesungsmitschriften verteilen. Nichtsdestotrotz ist das bisherige Schriftenverzeichnis umfangreich und bietet einen ausführlichen Fundus an Zeichendefinitionen sowie deren unterschiedlichen Aspekten. Die fragmentarischen Schriften zeichnen sich außerdem durch einen prozesshaften Modus aus, der die unterschiedlichen Artikel Peirces in einen historischen Denkzusammenhang und eine dynamische Theoriebildung stellt. Im Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat Peirce seine theoretischen Begriffe nicht nur nuanciert verändert, sondern teilweise vollständig verworfen und ersetzt bzw. er nutzt Termini auf unterschiedliche Weise. Dazu kommt, dass Peirce erst ab ca. 1903 eine ausgearbeitete Zeichentheorie vorgelegt hat, die für die linguistische Pragmatik nutzbar ist (cf. Rellstab 2008: 341 f.). Insofern lassen sich insbesondere dessen Schriften ab dem 20. Jahrhundert zur Modellierung eines Zeichenbegriffs heranziehen. Trotzdem ist eine Lektüre und Interpretation seiner frühen Schriften unerlässlich, da Peirce dort nicht nur den Grundstein für seine theoretischen Begrifflichkeiten gelegt, sondern Ideen skizziert hat, die er in den folgenden Jahren nicht mehr (in dieser Form) aufgegriffen hat. Diese sind aber trotzdem für die Theoriebildung dieser Arbeit relevant, insbesondere dann, wenn es um eine Erklärung der kategorialen Grundpositionen und -relationen geht (cf. Kapitel 15.3), welche u. a. auf Peirces I-THOU-IT-Paradigma beruht, welches er zwischen 1859 und 1861 skizziert hat (cf. W1: 45 f., 530). Neben der Editionslage sowie den verschiedenen Zeichendefinitionen Peirces stellt insbesondere die wissenschaftliche Rezeption der Schriften eine Forderung an die theoretische Konzeption des Zeichenbegriffs. Ebenso wie andere Wissenschaftsdisziplinen wird auch die Semiotik von Paradigmenwechseln erfasst, sodass auch die Schriften Peirces aus einem hegemonialen Paradigma heraus interpretiert werden. Dieser dominante 2 Mit diesem selbstironischen Ausdruck bezeichnet Peirce (cf. DAVT) seine eigene Forschungsperspektive (cf. auch Spinks 1991). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 25 Denkstil (cf. z. B. Fleck 1980) scheint mir in der zeitgenössischen Peirce-Rezeption der semiotische Realismus zu sein, dessen Vertreter (z. B. Deely 2007, 2009, Houser 2016, Stjernfelt 2007, 2014) die Objektdimension des Zeichens fokussieren. 3 Der semiotische Realismus ist auf mehrfache Weise reizvoll. Als Abgrenzung von einem semiotischen Idealismus (cf. hierzu Savan 1983), welcher Objekte eines Zeichenprozesses als vorwiegend artifiziell versteht, thematisiert der semiotische Realismus die Widerständigkeit der Realität und bindet sie als wesentliches Zeichenkorrelat in die Zeichenprozesskonzeption ein. Insofern setzt er nicht nur einem beliebigen Zeichenprozess vonseiten des Objektes, sondern auch dem semiotischen Idealismus eine Grenze (zur Debatte von semiotischem Idealismus und Realismus cf. z. B. Parker 1994, Short 1994). Gleichzeitig ist insbesondere in zoo- und biosemiotischen Forschungsparadigmen ein semiotischer Realismus insofern zielführend, als dass Zeichenprozesse analysiert werden können, ohne sozial-normative und kulturelle Aspekte berücksichtigen zu müssen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass z. B. Vinicius Romanini und Eliseo Fernández die Zeichentheorie Peirces als “ extreme realism ” (2014 a: 3) bezeichnen. 4 Für einen Zeichenbegriff, der die sozial-normative, diskursive und konstitutive Kraft von Zeichenprozessen im Rahmen von linguistischen Praktiken explizieren soll, ist ein semiotischer Realismus allerdings weniger zielführend. Deshalb orientiert sich die folgende Interpretation, Rekonstruktion und Modellierung der Zeichentheorie an den Zeichenbegriffen, die sich innerhalb der linguistischen Pragmatik an Peirce orientiert haben (cf. z. B. Scherer 1984, Schneider 1975, 1992, Stetter 1999, 2005). Anstatt sich in das Konfliktfeld des semiotischen Realismus und Idealismus zu begeben, folgt diese Rekonstruktion des Zeichenbegriffs den Prämissen des semiotischen Pragmatismus (cf. z. B. die Beiträge in Wirth 2000, Frank 2008), welcher Kräfte von Zeichen an deren Gebrauch bemisst. Damit wird der Begriff der Realität und Objektdimension, welcher in der gesamten Semiotik verhandelt wird (cf. die Beiträge in Oehler 1984), nicht negiert (zum Realitätsbegriff im semiotischen Pragmatismus cf. Oehler 1998), sondern als spezifischer Zeichenaspekt begriffen, der innerhalb von Zeichengebrauchssituationen gewisse Effekte und Wirksamkeiten entfalten kann. Anstatt den Zeichenbegriff von der Natürlichkeit oder Künstlichkeit des Objektes her zu konstituieren, nimmt die Pragmatische Maxime von Charles S. Peirce, welche besagt, dass Kräfte von Zeichen und Zeichenprozessen sich an deren praktischer Relevanz bemessen, eine wesentliche Funktion der Zeichenkonstitution ein und ersetzt gewissermaßen die Objektzentriertheit des semiotischen Realismus. Im Folgenden wird deshalb der Zeichenbegriff Charles S. Peirces aus der Perspektive des semiotischen Pragmatismus vorgestellt. Die hier vorgestellte Konzeption des Zeichens erklärt nicht nur Kräfte sprachlicher Zeichen, sondern erfasst auch Zeichenprozesse, die nicht genuin sprachlich sind. Damit wird nicht nur die Zeichenhaftigkeit der gesamten 3 T. L. Short (1994: 243) definiert den semiotischen Realismus als “ doctrine that signs can signify what neither they nor their interpreters create, that the objects signified by at least some signs exist independently of their being signified. ” 4 Auf die radikalere Form des semiotischen Realismus, den ikonischen Realismus, welcher nicht nur die Objektdimension, sondern auch eine spezifische Objektrelation (Ikonizität) betont, soll hier nicht eingegangen werden (cf. aber z. B. Champagne 2014, 2018, Stjernfelt 2007, zur Kritik am ikonischen Realismus cf. z. B. Pape 2009). 26 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Wirklichkeit postuliert, sondern gleichzeitig eine Systematik in der Semiose positioniert, welche auch handlungstheoretische Aspekte involviert und ein Verhältnis zu anderen Zeichensystemen eröffnet. Der theoretische Überschuss, der im Rahmen der Interpretation des Zeichenbegriffs entsteht, zeigt also an, inwiefern den systematischen und gebrauchstheoretischen Aspekten der Sprache semiotische Grenzen gesetzt werden, sodass andere Zeichensysteme auch andere Funktionen übernehmen, z. B. in multimodaler Kommunikation. Theoretisch betrachte ich den Zeichenbegriff Charles S. Peirces im Folgenden zunächst aus zwei Perspektiven, die zwar nicht genuine Zeichenaspekte sind, aber dennoch an der Konstitution des Zeichens teilhaben: Mithilfe der universalen Kategorienlehre Peirces und den phaneroskopischen Kategorien beschreibe ich nicht nur eine Klassifikation der Wissenschaften, welche die Logik der Semiotik wissenschaftstheoretisch platziert. Auch Zeichenstrukturen lassen sich mit den universalen Kategorien analysieren, da sie die universalen Strukturen aller Zeichen erfassen können. Diese eher phänomenologische Perspektive auf Zeichen erfüllt zwar noch nicht die Prämissen des semiotischen Pragmatismus, der von Zeichen- und nicht Phänomenereignissen ausgeht, aber die universalen Kategorien ermöglichen dennoch eine grundlegende Darstellung der Strukturen im Sinne der Semiotik: Anstatt von einem Konsekutivverhältnis von Phänomenen und Folgezeichen auszugehen, ermöglichen die phaneroskopischen Kategorien die phänomenologischen Strukturen im Zeichen bzw. in Zeichenereignissen und -prozessen zu analysieren. Diese phänomenologische Perspektive ergänze ich anschließend um die Pragmatische Maxime Peirces, welche das Grundprinzip des semiotischen Pragmatismus bildet. Diese Maxime, die sowohl eine wissenschaftstheoretische Prämisse darstellt, aber auch die Dynamik von Zeichen erklären soll, bestimmt nicht nur interne Zeichenkonstitutionen, sondern strukturiert auch externe Zeichenprozesse und -relationen mit. Während die phaneroskopischen Kategorien also die universale Struktur von Zeichen beschreiben, etabliert die Pragmatische Maxime ein allgemeines Prinzip und Kriterium, welches versucht, Interpretierbarkeit und Dynamiken des Zeichens zu erklären. Während phaneroskopische Kategorien und Pragmatische Maxime im engeren Sinne nicht zeichenhaft sind, sondern die Zeichenhaftigkeit erst konstituieren, lässt sich mit deren Hilfe allerdings ein Zeichenbegriff darstellen, der im Rahmen der weiteren Theoriebildung immer wieder herangezogen wird. Hierzu werden die Zeichenaspekte Repräsentamen, Objekt und Interpretant, die zentrale Begriffe des semiotischen Vokabulars Peirces sind, eingeführt und anschließend in ein Verhältnis gesetzt, um auch ihre relationalen Strukturen zu erklären. Daher werde ich die Zeichenaspekte nicht nur binnendifferenzieren, sondern auch Begriffe wie Medialität, Signifikation, Referenz, Repräsentation und Inferenz, die die verschiedenen Kraft- und Effektverhältnisse des Zeichens erfassen, beschreiben. Denn diese strukturieren nicht nur das Zeichen intern mit, sondern zeigen auch, dass sich Zeichen nur in Relation zu anderen Zeichen konstituieren und verstehen lassen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 27 2.1.1 Universale Kategorienlehre - Grundlagen einer Phänomenologie des Zeichens Wie erscheint uns die Welt? 5 Und wie ereignet sie sich für zeichenbegabte, sinnliche und/ oder normsensible Wesen? Für Charles S. Peirce liegt die Antwort in der Zeichenhaftigkeit der Wirklichkeit. Es gibt keine Ontologie an sich, die der Erfahrung vorausgeht, denn “ [u] nsere Lebenswelt ist nicht die Wirklichkeit der Dinge, wie sie an sich selbst sind, sondern eine durch Zeichen erschlossene und gedeutete, verstellte und entstellte, in jedem Fall geprägte Welt ” (Oehler 2000: 13). Eine Hinführung zu dieser These findet sich in Peirces Klassifikation der Wissenschaften. Dessen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie fokussiert insbesondere die Philosophie, klassifiziert aber auch andere Wissenschaften, die hier allerdings nicht behandelt werden sollen. Als entdeckende Wissenschaft neben Mathematik und Idioskopie ist die Philosophie diejenige, die sich mit der Erkenntnis von Wahrheiten in der alltäglichen Erfahrung beschäftigt (cf. PLZ: 39 f.). Peirce unterteilt die Philosophie in mehrere Teilklassen und zeichnet gleichzeitig den Erfahrungsprozess von Wissenschaftlern sowie des erkennenden Subjekts nach (cf. PLZ: 39 f., Pape 1989: 17): 6 1. Phänomenologie 2. Normative Wissenschaften a. Ästhetik b. Ethik c. Logik i. Spekulative Grammatik ii. Kritik iii. Methodeutik 3. Metaphysik Die Auflistung folgt dabei einer inhärenten Logik, die die Beziehungen der philosophischen Wissenschaften markiert: Metaphysik ist nur in Rückgriff auf die normativen Wissenschaften möglich, während sich diese der Phänomenologie bedienen müssen (cf. PLZ: 40). Die Phänomenologie geht deshalb den anderen philosophischen Wissenschaften voraus, sodass sich die Kategorien der Phänomenologie auch in den Folgewissenschaften - für diese Arbeit insbesondere in der Semiotik, aber auch der linguistischen Pragmatik - niederschlagen. Logik muss in dieser Auflistung als zeichenhafte Disziplin verstanden werden, denn da “ alles Denken mittels Zeichen vollzogen wird, kann man die Logik als die Wissenschaft von 5 Um Missverständnisse bereits zu Beginn zu vermeiden: Peirce würde einer Subjekt-Welt-Dichotomie widersprechen, denn es geht semiotisch, wie noch zu argumentieren ist, um eine Relation dieser beiden Relata und um die Bedingungen ihrer Konstitution. Damit ist nicht nur die Welt respektive die Wirklichkeit zeichenhaft, sondern auch das Subjekt selbst (cf. Colapietro 1988), welches der Wirklichkeit vermeintlich entgegentritt. 6 Eine ausführliche Klassifizierung der Wissenschaften findet sich bei Peirce (SEM2: 199 f.). Da sich diese Arbeit aber mit Logik, Semiotik und Kognition im Sprachgebrauch beschäftigt, soll die weitere Klassifikation hier ausgeklammert werden. 28 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen den allgemeinen Gesetzen der Zeichen betrachten (PLZ: 42). 7 Logische Relationen müssen außerdem nicht nur nach ihrer Zeichenhaftigkeit befragt werden, sondern implizieren außerdem phänomenologische Kategorien, die sich im logisch-semiotischen Ereignis sedimentieren. Semiotik und Phänomenologie sind demnach zwar unterschiedliche Disziplinen, ergänzen sich aber in wesentlichen Bereichen des wissenschaftlichen sowie alltäglichen Erkenntnisprozesses (cf. dazu auch Waldenfels 2014). Zur Phänomenologie nach Peirce gehören “ die Arten von Elemente[n], die im Phänomen universell gegenwärtig sind, wobei mit Phänomen alles gemeint ist, was zu irgendeiner Zeit auf irgendeine Weise gegenwärtig ist ” (PLZ: 40; Hervorh. im Original). Peirce, der in seinem Spätwerk von Ausdrücken bzw. Begriffen wie Phänomenologie und Phänomen Abstand nimmt und entsprechende Disziplin bzw. entsprechendes Konzept Phaneroskopie und Phaneron nennt, 8 entwickelt hier bereits einen phaneroskopischen Universalismus: Objekte und Ereignisse, die dem erkennenden Subjekt entgegentreten, haben einen universellen Erfahrungskern, der sich kategorial erfassen und theoretisch modellieren lässt. Der Peirce'sche Erfahrungsbegriff setzt dabei allerdings nicht bei experimentellen und introspektiven Erfahrungsräumen an, sondern ist durch die Erfahrbarkeit im Alltag bestimmt. Jedes Individuum, welches der Wirklichkeit, hier zunächst verstanden als Menge aller Phänomene, begegnet, kann als Theoretiker und Forscher Erfahrungen machen und Erkenntnisse sammeln. Das Phaneron ist dabei die ursprünglichste phänomenale Erkenntniskategorie, die sich dem erkennenden Individuum präsentiert. Es bezeichnet “ alles, was zum Inhalt irgendeiner geistigen Tätigkeit werden kann, gleichgültig wie unvollständig und widersprüchlich ” (Pape 1989: 25). Die Gemeinsamkeit aller Erfahrung, die sich durch das Phaneron bezeichnen lässt, bildet damit den Grundsatz der phänomenologischen Semiotik Peirces. Das Phaneron repräsentiert dabei die Möglichkeit eines konkreten Zeichenprozesses. Es kann sich aber nicht konkret im Denken ereignen, denn sonst wäre es schon zeichenhaft und semiotisiert. Zugleich bedingt und strukturiert es das Zeichen und den Zeichenprozess mit. Diese sehr vage Definition des Phanerons erläutert Peirce mithilfe seiner phaneroskopischen Kategorienlehre, die universelle Erfahrungskategorien erhebt, welche allen Erfahrungen des Geistes eigen sind. 9 Diese Kategorien sind irreduzibel, denn als “ Bestandteile des Phanerons ” (PLZ: 52; Hervorh. im Original) sind sie als Kombinationen Teil jedes Erfahrungs- und damit auch Zeichenprozesses. So schreibt Peirce (PLZ: 55): Nach Meinung des Verfassers gibt es drei universale Kategorien. Da alle drei stets gegenwärtig sind, ist es unmöglich, eine reine Idee von irgendeiner von ihnen zu haben, die absolut von den anderen unterschieden ist. Ja, selbst so etwas wie ihre ausreichend klare Unterscheidung kann nur das Ergebnis langen und anstrengenden Forschens sein. Sie können als Erstheit, Zweitheit und Drittheit bezeichnet werden. Erstheit ist das, was so ist, wie es eindeutig und ohne Beziehung auf irgend etwas anderes ist. Zweitheit ist das, was so ist, wie es ist, weil eine zweite Entität so ist, wie sie ist, 7 Wie Pape (2000: 21) ausführt, schließt Peirce in den Begriff der Logik sowohl Erkenntnistheorie als auch Wissenschaftstheorie ein. Peirces Begriff der spekulativen Grammatik (cf. dazu auch Bellucci 2017) hingegen kann als Semiotik im engeren Sinne übersetzt werden, während sich die philosophischen Disziplinen der Kritik und Methodeutik in Argumentationstheorie und Methodenlehre übertragen lassen. 8 Damit grenzt er sich außerdem von der transzendentalen Phänomenologie (cf. Husserl 2009) ab. 9 Die Erfahrungskategorien geht auf den 1867 erschienenen Artikel “ Eine Liste der Kategorien ” (Peirce 2000 a: 147 f.) zurück. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 29 ohne Beziehung auf etwas Drittes. Drittheit ist das, dessen Sein darin besteht, daß es eine Zweitheit hervorbringt. Es gibt keine Viertheit, die nicht bloß aus Drittheit bestehen würde. (Hervorh. im Original) Diese Abstraktionen der alltäglichen Erfahrungswelt sind Universalien, die sich analytisch erfassen lassen. Zunächst ist erkennbar, dass diese drei Kategorien nicht unabhängig voneinander existieren. Sie stehen miteinander in Verbindung, sodass hier bereits auf einer vorsemiotischen Ebene ein phaneroskopisches Faktum zu erkennen ist: Relationalität als “ die elementare Form aller Erfahrungen und des Denkens ” (Pape 2004: 83). Aufgrund dieser Relationalität ist Erstheit die wohl am schwierigsten zu erfassende phaneroskopische Kategorie. Peirce gibt als Beispiel die Erfahrung bzw. Vorstellung von Röte an, um Erstheit zu erklären. Die Vorstellung von Röte ist eindeutig, denn sie besitzt eine Qualität. Zwar ist Röte im Erfahrungsprozess nur anhand eines Farbkontrastes, einer Differenz, vorstellbar, doch tangiert diese zweitheitliche Differenz eben nicht die Qualität der Erstheit an sich. Es ist konstitutiv für die Erfahrung, dass sich die Vorstellung von Qualitäten auf die Möglichkeit eines Eigentlichen bezieht. Erstheiten sind keine wahrnehmbaren, sondern aus der Erfahrung abgeleitete Einheiten, weil phänomenale Wirklichkeit ohne Differenz nicht wahrnehmbar ist (und diese Differenz sich in Zweitheit verwirklicht). Dennoch müssen sie als Möglichkeiten der Erfahrungen phänomenologisch angenommen werden. Es “ erscheint ” , so Peirce, “ in der Tat unleugbar, daß solche Möglichkeiten existieren und daß sie, obwohl sie keine Existenzen sind, nicht Nichts sind. Sie sind Möglichkeiten und nichts weiter ” (PLZ: 57; Hervorh. im Original). Existenz entsteht erst, wenn eine Differenzrelation zweier Relata vorhanden ist. Die Erfahrung dieser Existenz beruht dabei auf einer kategorialen Zweitheit, welche zwei Erstheiten in eine genuine Relation zueinander führt. Genuine Relationen sind authentische Relationen, weil die Relata der genuinen Relationen in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander stehen. Zweitheitliche Erfahrungen ereignen sich dabei auf unterschiedliche Weise, lassen sich aber über ihre phaneroskopische Struktur erklären. Deshalb ist es auch möglich, spezifische Beispiele für Zweitheit zu geben, die auf Erfahrungen beruhen: Jemand versucht, eine Tür zu öffnen, setzt seine Hand an die Klinke und drückt diese herunter, um damit eine physikalische Kraft auf die Tür wirken zu lassen. Die Erfahrung des Widerstandes der Klinke bzw. der Tür ist eine Erfahrung der Zweitheit. Es ist die Erfahrung, dass etwas Zweites oder Anderes, was nicht das Selbst ist, einem gegenübertritt und in Relation zu einem steht. Zweitheit ist das “ Gefühl der Reaktion zwischen Ich und Nicht-Ich ” (PLZ: 55; Hervorh. im Original). Paradigmatisch für Zweitheiten sind neben Differenz- und Distanzrelationen insbesondere Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Während erstere auf Unterschiedsbzw. Raumverhältnissen beruhen, zeichnen sich Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge durch Zweitheit aus, die sich in unmittelbaren Folgeverhältnissen von etwas und einem anderen etwas beschreiben lassen. Erstheit als qualitative Möglichkeit und Zweitheit als relationale Existenz sind phaneroskopisch allerdings nicht hinreichend, um Phänomenbereiche der Erfahrung ausführlich zu erfassen. Erst über das Konzept der Drittheit lassen sich Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse auch als dynamische Prozesse, die nicht in unmittelbaren Folgeverhältnissen stehen, erklären. Während sich Erstheit und Zweitheit gewissermaßen raumzeitlich vor kognitiven Prozessen ereignen, findet sich Drittheit dort, wo z. B. 30 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Kognition und/ oder Verhalten zwei Erstheiten zu einer Zweitheit zusammenbringt. Diese Relation besteht im Gegensatz zur Zweitheit aber nicht genuin, sondern ist degenerierbar bzw. degenerativ, weil sie durch ein Gesetz 10 (cf. PLZ: 57 f.) oder ein “ Medium ” (SEM1: 431) konstituiert wird. Degenerierbare bzw. degenerative Relationen zeichnen sich dadurch aus, dass das Verhältnis zwischen ihren Relata nicht unmittelbar und damit nicht authentisch ist, sondern über eine weitere Instanz vermittelt wird und sich erst über die Involviertheit dieser konstituieren kann. Auf Drittheit beruhen sowohl arbiträre Relationen und ihre Relata, also z. B. konventionelle Aspekte sprachlicher Zeichen, aber auch institutionalisierte, ritualisierte, normierte oder habituelle Verhaltensweisen. Drittheitliche Relationen lassen sich weder auf eine zweitheitliche Relation reduzieren noch sind sie selbst ein Relatum, welches in einer zweitheitlichen Relation steht. Weil Drittheit vielmehr die Voraussetzung ist, damit eine spezifische zweitheitliche Relation zustande kommen kann, ist sie eine Bedingung der Möglichkeit zur Konstitution quasi-zweitheitlicher Relationen: Weil es Drittheit gibt, kann es besondere, von der Drittheit abgeleitete zweitheitliche Relationen geben. Mithilfe von Drittheit, Zweitheit und Erstheit lassen sich die phaneroskopischen Erfahrungsstrukturen analysieren. Helmut Pape (cf. 1989: 76) stellt diese universalen Kategorien dar und markiert neben dem Wesen der jeweiligen Relationen und der Seinsweise auch die Beziehungen zwischen den universalen Kategorien: Kategorie Seinsweise konstitutive Relation Erstheit ist enthalten in: Reale Möglichkeit Relationen der Inhärenz Zweitheit ist enthalten in: Existenz Genuin dyadische Relationen Drittheit Realität Universal kontinuierliche Relationen Tab. 1: Charles S. Peirces universale Kategorien nach Pape (1989: 76) Drittheit impliziert demnach Zweitheit, während diese wiederum Erstheit enthält. Die universalen Kategorien strukturieren sich demnach untereinander, wobei keine auf die anderen reduziert werden kann. Mithilfe der phaneroskopischen Kategorienlehre lassen sich somit nicht nur Zeichenerfahrungen und -prozesse grundlegend erklären, sondern sie strukturieren universale Kategorien Objekt-, Ereignis- und Kognitionsrelationen wesentlich mit. Die wissenschaftstheoretischen Darstellungen Peirces und dessen phaneroskopische Kategorienlehre dienen also der Erklärung von Erkenntnisprozessen einerseits, aber auch der Differenzierung verschiedener Phänomentypen andererseits. Die Wissenschaftsklassifikation Peirces zeigt, dass Semiotik als Wissenschaft, aber auch semiotische bzw. semiotisch fundierte Theorien auf phänomenologischen bzw. phaneroskopischen Aspekten gründen (müssen). Die universalen Kategorien, welche verschiedene Formen von Phäno- 10 Das Konzept Gesetz verweist bei Peirce nicht auf juristische Praktiken, sondern basiert auf Normen, Konventionen und Regeln, die sich explizit wie implizit in den Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Interpretations-, Handlungs- und Verhaltensweisen sedimentieren bzw. durch diese entstehen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 31 menen bzw. Phanera erklären sollen, dienen dann der Deskription von Phänomenbzw. Zeichenerfahrungen. Erstheit (als bloße Möglichkeit), Zweitheit (als relationale Existenz) und Drittheit (als stiftende Instanz eines z. B. habituellen, normierten, konventionalisierten bzw. regulierten Zeichenkontinuums) sollen der Erfassung verschiedener Phänomentypen dienen. Für die vorliegende Arbeit sind sowohl die wissenschaftstheoretischen wie auch phänomenologischen Reflexionen Peirces äußerst relevant und bilden sowohl wissenschaftstheoretisch, argumentativ, aber auch theoriebildend eine fundamentale Struktur der folgenden Kapitel. Wenn sich Semiotik (und auch eine semiotisch fundierte linguistische Pragmatik) im Sinne der Wissenschafts- und Erkenntnisklassifikation Peirces in den normativen Wissenschaften wiederfindet, dann folgt daraus, dass sich sprachliche Zeichen und Zeichenprozesse auch immer nach ihren universalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit befragen lassen können. Es geht also um die Erfassung der universalen Kategorien in Zeichen und Zeichenprozessen. Die Darstellung der phaneroskopischen Kategorien dient dann nicht nur der Differenzierung von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen in Semiosen, sondern schlägt sich auch unmittelbar in der spezifischen Theoriebildung dieser Arbeit nieder. Alle Aspekte der Sprachtheorie und Theorie diskursiver Praktiken, welche ich mithilfe von Zeichenprozessen zu erklären suche, involvieren auch die Differenz von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen, wie sie die universalen Kategorien beschreiben. Zur Veranschaulichung ihrer Relevanz können exemplarisch drei Aspekte der folgenden Theoriebildung ausgewählt werden, welche in der Analyse notwendigerweise auf universale Kategorien bzw. phaneroskopische Kategorienlehre zurückgehen: (1) Insbesondere diskursive Intentionalität bzw. die kraft intentionaler Verben gestifteten intentionalen Relationen lassen sich nicht nur mithilfe der Peirce'schen Relationslogik beschreiben, sondern involvieren ein komplexes Netzwerk an universalen Kategorien. Damit können nicht nur unterschiedliche Relationen analysiert, sondern auch die Etablierung von sozialen Normen in diskursiven Praktiken und Formen der Transitivität dargelegt werden (cf. Kapitel 12.2.2). (2) Die Semiose der Behauptung, welche die zentrale sozial-kommunikative Zeichenhandlung der Theorie dieser Arbeit darstellt, basiert nicht nur auf universalen Kategorien, wenn deren propositionale Struktur dargestellt wird, sondern sie eröffnet im Rahmen verschiedener inferenzieller Relationen auch die Etablierung der universalen Kategorien zur Analyse von Inferenzen (cf. Kapitel 14.2). (3) Die Zeichenpositionen, die das phänomenologische Gerüst für Triangulationsprozesse, aber insbesondere für die Etablierung von diskursiven Rollen bzw. deren zeichenpositionierten Instanziierungen Lokutor, Allokutor (zusammen Interlokutoren) und Delokutor bilden, basieren in ihrer (epistemischen) Perspektive, aber auch in ihrer diskursiven Autorität auf den universalen Kategorien, indem diese mit sozialnormativen Aspekten diskursiver Praktiken (wie Festlegungen und Berechtigungen) verbunden werden (cf. Kapitel 15.3). Insofern dient die phaneroskopische Kategorienlehre im Folgenden immer wieder als Mittel zur Charakterisierung von Erfahrungs- und Wahrnehmungsgehalten und -prozessen in Semiosen, wenn es um die Theoriebildung und die Etablierung des zentralen Vokabulars zur Analyse diskursiver Praktiken geht. 32 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen 2.1.2 Pragmatische Maxime - Prinzipien von Überzeugung, Zweifel und Handlung Dass es sich bei Peirces phaneroskopischer Kategorienlehre nicht um eine Analyseperspektive handelt, die vor Zeichenereignissen und -praktiken ansetzt, sondern sich in diesen verwirklicht, lässt sich insbesondere dann nachvollziehen, wenn erklärt wird, in welchem Verhältnis sie zu Peirces pragmatistischem Prinzip, der Pragmatischen Maxime, steht. Neben den universalen Kategorien unterstützt dieses Prinzip dabei, die epistemischen sowie semiotischen Prozesse von Kognition, Verhalten und Handlung, so wie sie Peirce beschrieben hat, nachvollziehen zu können. Während die Kategorien die Struktur der phänomenalen Seinsweisen erfassen, dient Peirces Pragmatische Maxime der Etablierung eines wissenschaftlichen bzw. erkennenden Denkens und zeigt die Flexibilität seines Zeichenbegriffs auf. Peirce (S1: 339) formuliert seine Pragmatische Maxime folgendermaßen: Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffs des Gegenstandes. Diese Formulierung verweist sowohl auf die methodologischen Prämissen der wissenschaftlichen Gemeinschaft als auch auf die Erkenntnispraxis im Denken eines jeden Individuums. Überzeugungen und andere kognitive Gehalte 11 werden nicht nur in der Wissenschaft generiert, sondern insbesondere in alltäglichen Erfahrungspraktiken. Auch wenn der Wissenschaft nach Peirce (S1: 312) ein erkenntnistheoretisches Spezifikum zukommt, führen auch andere Erkenntnispraktiken zu Überzeugungen. Kognitive Gehalte werden durch die Pragmatische Maxime allerdings nicht an sich betrachtet, sondern nur in Bezug auf die Verhaltensweisen, die sie motivieren. Kognitive Gehalte erlangen demnach nur dann erkenntnistheoretische und/ oder handlungspraktische Relevanz, wenn sie in einer Beziehung zu Verhalten bzw. Interpretation stehen. Überzeugungen sind dabei auf zweierlei Weise Motivation für Handlung, Verhalten bzw. Interpretation. Einerseits dienen sie als Erkenntnishintergrund der Kumulation weiterer kognitiver Gehalte. Überzeugungen leiten als System des Für-Wahr-Haltens bestimmte Handlungen an, da diese in logische Kognitions- und Handlungssequenzen eingebettet sind und werden. Sie sind als Prämissen und Konklusionen in Praktiken eingebunden. Andererseits sind Überzeugungen per definitionem falsifizierbar und motivieren so zur Untersuchung bzw. Forschung angezweifelter Überzeugungen. Hierfür führt Peirce den Begriff des Zweifels ein, der als “ unangenehmer und unbefriedigender Zustand ” (S1: 300) dazu motiviert, die eigenen Überzeugungen zu untersuchen und anschließend zu revidieren bzw. zu bestätigen, also in eine alltägliche Forschungspraxis einzutreten. Das Wechselspiel von manifester Überzeugung und Zweifel ist dabei potenziell unabgeschlossen, denn auch eine überprüfte Überzeugung kann wieder angezweifelt werden. Dennoch beeinflusst die aktuale Überzeugung sowohl die Erkenntnis selbst als auch die handlungspraktischen 11 Peirce vertritt einen pragmatistischen Überzeugungsbegriff. Überzeugungen sind demnach durch Zweifel erlangte Verstehenshypothesen, welche in Hypothesenbildungs- und Erkenntnisprozessen (induktiv, deduktiv, aber insbesondere abduktiv) hergestellt werden bzw. in diesen ihre Relevanz entfalten. Überzeugungen und andere kognitive Gehalte müssen weder bewusst sein, noch sind sie auf psychologische oder neuronale Korrelate reduzierbar (cf. Kapitel 2.1.3.3). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 33 Konsequenzen. Erkenntnis- und handlungspraktisches Potenzial korrelieren dabei und lassen sich nicht voneinander trennen. Der Ausdruck “ praktisch ” verweist dabei auf die Handlungskonsequenzen, die Überzeugungen signifizieren, doch sind die Handlungen selbst “ ein Mittel und nicht unser Ziel ” (S1: 356). Die Pragmatische Maxime darf demnach nicht als Zweckorientierung missverstanden werden, da sie sich ganz auf die Handlung selbst fokussiert. Laut dem Pragmatismus ist “ das Denken letztlich ausschließlich auf das Handeln anzuwenden - auf das gedachte Handeln ” (S1: 356; Hervorh. im Original). Überzeugungen existieren zwar nicht ausschließlich für Handlungen, sondern dienen auch der Beruhigung des Denk- und Erkenntnisprozesses. Trotzdem sind Überzeugungen an Handlungen beteiligt bzw. lassen sich Handlungen bezüglich ihres kognitiven Gehalts und dessen Folgegehalten untersuchen: Für “ den Pragmatizismus besteht das Denken in der lebendigen Umwandlung von Symbolen durch Schlußfolgerungen; und der Bedeutungsgehalt der Symbole liegt demzufolge in konditionalen allgemeinen Entschließungen zum Handeln ” (S1: 357). Peirce entwirft mit der Pragmatischen Maxime damit nicht nur eine Forschungsperspektive, sondern auch die Grundlagen einer kognitiven Handlungstheorie, die zwischen Überzeugung und Handlung oszilliert. Diese Relation zwischen Überzeugung und Handlung lässt sich allerdings nur semiotisch erfassen, ein Aspekt, der in der Pragmatischen Maxime implizit bleibt. Gerhard Schönrich hat deshalb eine semiotische Version der Pragmatischen Maxime formuliert, die die semiotischen Aspekte der Maxime hervorhebt, indem sie das semiotische Vokabular Peirces verwendet. Somit kann die Pragmatische Maxime als Grundsatz für zeichen-, handlungs- und sprachtheoretische Forschung dienen, die sich an der Grenze von Semiotik, Kognition und Pragmatik bewegt: Überlege, welche Interpretanten wir dem Objekt des Zeichens zuschreiben; dann ist die Antizipation dieser Interpretanten das Ganze unseres Zeichens des Objekts. Jede Semiose ist also eine Realisierung der Pragmatischen Maxime; sie fordert zu nichts anderem auf, als in den Prozeß der Zeicheninterpretation einzutreten. 12 (Schönrich 1990: 100) In dieser Formulierung einer eher Semiopragmatischen Maxime zeichnet sich nicht nur die Beziehung zwischen Handlung, Überzeugung und Zeichen ab, sondern tritt der Prozess der Zeicheninterpretation in den Vordergrund, sodass die jeweiligen Relata und Relationen, die an diesem Prozess beteiligt sind, untersucht werden müssen. Zusammenfassend erweitert die Pragmatische Maxime also das Verständnis des Zeichenprozesses, indem es diesen aus der Perspektive der praktischen Konsequenz einrahmt. Die Maxime dient sowohl der wissenschaftlichen Perspektive auf den Forschungsgegenstand als auch der Dynamik des Zeichenprozesses, der Zeichenhandlung und der Zeicheninterpretation selbst. Sie bildet, indem sie die Relevanz der praktischen Konsequenzen hervorhebt, außerdem das Gegenstück zu den universalen Kategorien. Während diese die phänomenale Grundstruktur des Zeichens beschreiben, ist die Pragmatische Maxime vollends in Handlungs-, Zeichen- und Interpretationspraktiken involviert. Ein Zeichen- 12 Da Zeichen und Interpretation miteinander zusammenhängen, kann man auch folgende zeichen- und interpretationsphilosophische Formulierung wählen: “ Die Pragmatische Maxime besteht [ … ] in dem Vorschlag, die semantischen Merkmale fraglich gewordener Zeichen über diejenigen möglichen Handlungen zu bestimmen, die mit dem Gegenstand, von dem das Zeichen handelt und auf den es sich bezieht, ausgeführt werden dann. Dieser Prozeß ist Peirce zufolge wesentlich ein Interpretantenprozeß. ” (Abel 2002: 377) 34 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen begriff, der sowohl phänomenale Struktur als auch praktische Konsequenzen berücksichtigt, flottiert also zwischen diesen und greift auf beide zurück. Auch wenn die Pragmatische Maxime in der folgenden Theoriebildung nicht weiter ausgeführt bzw. differenziert wird, so wird sie doch immer wieder implizit aufgenommen und verstetigt damit ihre Gültigkeit. Dies gilt insbesondere (1) für die Dynamik von Inferenzen und inferenziellen Prozessen, die sowohl bei Peirce, aber auch bei Brandom eine zentrale Funktion einnehmen. Während Peirce allerdings die Aktivität des Zeichens mithilfe der Pragmatischen Maxime beschreibt, so bleibt eine Prinzipienbeschreibung von Brandom diesbezüglich aus. Peirce und Brandom tendieren dazu, inferenzielle Prozesse mithilfe des Konditionals zu erklären, sodass die Pragmatische Maxime auch für Brandoms Inferenzialismus gelten kann, wie sich zeigen wird (cf. Kapitel 4). (2) Die Pragmatische Maxime ist außerdem grundlegend, um das Konzept der Semiose und den Zeichenaspekt des Interpretanten bei Peirce nachzuvollziehen. Insofern dient die Darstellung der Pragmatischen Maxime auch der Vorbereitung der Erklärung des Peirce'schen Zeichen- und Zeichenprozessbegriffs (cf. Kapitel 2.1.3). (3) Die Beziehung zwischen Überzeugung und Handlung, die sich in einem Verhältnis praktischer Konsequenz befindet, wird sich außerdem bei Reflexionen zu Brandoms Handlungstheorie nochmals genauer entfalten, denn diese basiert ebenfalls auf dieser Beziehung und interpretiert die Handlung nicht aus der Perspektive des kognitiven Gehalts, sondern aus deren Konsequenzen im Rahmen diskursiver Praktiken. Insofern kann auch hier die Pragmatische Maxime, die das Verhältnis von Überzeugung und Handlung analysierbar macht, den Übergang von z. B. propositionalem Gehalt und Performanz fundieren (cf. Kapitel 8.3). 2.1.3 Zeichen - Semiotik der Erfahrung, Kognition und Handlung Mittels universaler Kategorien und Pragmatischer Maxime lässt sich nun Peirces Verständnis von Zeichen und Zeichenprozessen nachzeichnen. Die universalen Kategorien finden sich nicht nur in der phänomenalen Struktur der Erfahrung wider, sondern auch auf der Ebene des Denkens (kraft Zeichen). Dieses ist, so Peirce, drittheitlich und es “ ist die genuine Drittheit, die dem Denken sein Wesen verleiht ” (PLZ: 58). Da Erstheit und Zweitheit an drittheitlichen Prozessen beteiligt sind, sind sowohl Erstheit, Zweitheit und Drittheit Kategorien des Denkens und beziehen sich in einer kognitiv-semiotischen Dimension aufeinander. Zentrales Moment dieser Dimension ist das Zeichen, welches zwar phaneroskopisch bestimmbar und durch die Pragmatische Maxime beeinflusst ist, sich auf beides aber nicht reduzieren lässt. Ein Zeichen ist “ etwas, das für einen Geist für ein anderes Ding steht ” (SEM1: 188), schreibt Peirce, ohne dass diese Defnition sich auf aliquid stat pro aliquo reduzieren lässt, wie sich zeigen wird. Diese erste Begriffsbestimmung lässt bereits die drei wesentlichen Aspekte des Zeichens erscheinen. Erstens gibt es ein Zeichenmittel 13 , das Repräsentamen, zweitens steht dieses in einer Objektrelation zu einem Objekt und drittens werden Repräsentamen und Objekt kraft z. B. kognitiver, 13 Ich werde die Ausdrücke Repräsentamen und Zeichenmittel synonym verwenden, wobei der Ausdruck Zeichenmittel sowohl die materiellen als auch die medialen Aspekte des Repräsentamens hervorheben soll. Materialität und Medialität sind wesentlich Merkmale des Repräsentamens, sodass es sich durch seine Stofflichkeit einerseits von Signifikanten Saussures unterscheidet und andererseits durch die mediale Prozesshaftigkeit sich nicht auf Repräsentation reduzieren lässt. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 35 interpretativer und/ oder habitueller Prozesse, in Form von Interpretanten, zusammengeführt. Bereits diese triadische Relation zwischen Zeichenmittel, Objekt und Interpretant lässt sich phaneroskopisch erklären: A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object. The triadic relation is genuine, that is its three members are bound together by it in a way that does not consist in any complexus of dyadic relations. That is the reason the Interpretant, or Third, cannot stand in a mere dyadic relation to the Object, but must stand in such a relation to it as the Representamen itself does. Nor can the triadic relation in which the Third stand be merely similar to that in which the First stands, for this would make the relation of the Third to the First a degenerate Secondness merely. The Third must indeed stand in such a relation, and thus must be capable of determining a Third of its own; but besides that it must have a second triadic relation in which the Representamen, or rather the relation thereof to its Object, shall be its own (the Third's) Object, and must be capable of determining a Third to this relation. All this must equally be true of the Third's Thirds and so on endlessly; and this, and more, is involved in the familiar idea of a Sign; and as the term Representamen is here used, nothing more is implied. A Sign is a Representamen with a mental Interpretant. Possibly there may be Representamens that are not Signs. Thus, if a sunflower, in turning towards the sun, becomes by that very act fully capable, without further condition, of reproducing a sunflower which turns in precisely corresponding ways toward the sun, and of doing so with the same reproductive power, the sunflower would become a Representamen of the sun. But thought is the chief, if not the only, mode of representation. (CP 2.274, Hervorh. im Original) Repräsentamen als Erstheitliches, Objekt bzw. Objektrelation als Zweitheitliches und Interpretant als Drittheitliches sind im Zeichen miteinander verbunden und ereignen sich nur miteinander. Jegliche Trennung der Zeichenelemente ist demnach analytisch. Gleichzeitig darf die triadische Relation des Zeichens nicht als determiniert begriffen werden. Ganz im Sinne Manfred Franks (1984: 552 f.) 14 sollte das englische determinate eher mit motiviert übersetzt werden, um ein kausales Verständnis von Zeichen und Zeichenprozessen zu vermeiden. Die Relation zwischen kognitiven und semiotischen Prozessen als motivierte Relation zu verstehen, ermöglicht es, die Interpretation, die am Zeichenprozess notwendigerweise beteiligt ist, mitzudenken, ohne sich auf spezifische Qualitäten der Relation festzulegen. Denn motivierte Relationen umfassen kausale, normative, institutionelle, habituelle, bewusste und unbewusste Prozesse. Inwiefern Repräsentamen, Objekt bzw. Objektrelation und Interpretanten sich im Zeichen unterscheiden und welche zeichentypologischen Konsequenzen sich daraus ergeben, soll deshalb im Folgenden erklärt werden. Dazu werden die verschiedenen Zeichenaspekte vorgestellt und beschrieben, wobei berücksichtigt werden soll, dass die Beteiligung von universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime dabei stets implizit bleibt, aber doch mitgedacht werden muss. Bei der Vorstellung der Zeichenaspekte werden 14 So schreibt Frank (1984: 552 f.) “‘ Bestimmt ’ heißt hier in bezug auf die neue Zeichen-Synthesis, daß sie sich von ihrer Vorgängerin hat motivieren lassen. ‘ Motivation ’ nennt man eine Form von Begründung, die an ihren Grund sich nur anschließt, wenn sie ihn zuvor im Lichte einer Interpretation als Grund erschlossen hat, motiviert sind also Konsequenzen, die nicht blind nezessitiert, sondern die sich zu ihrem Anlaß (frei) verhalten. ” 36 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen nicht nur Binnenunterscheidungen getroffen, sondern es wird auch theoretisches Vokabular zur Analyse semiotischer Prozesse vorgestellt, sodass letztlich das Zeichen im Verhältnis zu universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime dargestellt werden kann. Diese Vorstellung des Zeichenbegriffs, der in den folgenden Kapiteln immer wieder implizit, aber auch explizit z. B. in der Analyse von sprachlichen Zeichen aufgegriffen wird, etabliert die grundlegende analytische Einheit, die für die theoretische Entwicklung von diskursiver Intentionalität, pragmatischen, sozial-normativen und diskursiven Signifikanzen sowie intentionalen Verben und ihren diskursiven Rollen relevant ist. 2.1.3.1 Ton, Token und Typ - Materialität und Medialität Zunächst soll sich erstheitlichen Zeichenaspekten zugewandt werden: Repräsentamen bzw. Zeichenmittel. Es umfasst als Zeichenaspekt nicht nur eine phänomenologische Struktur und ist kraft der Pragmatischen Maxime in Zeichenprozesse eingebunden, sondern lässt sich nur mithilfe eines theoretischen Vokabulars beschreiben, welches über die bisherige Deskription hinausgeht. Nicht nur Materialität und Medialität, sondern auch verschiedene Typen an Zeichenmitteln stelle ich im Folgenden daher vor. Um den Zeichenaspekt des Repräsentamens, des Zeichenmittels, nachvollziehen und verstehen zu können, ist es sinnvoll, zunächst Materialität und Medialität des Zeichens zu skizzieren und dann von der Materialität zur Medialität des Zeichens überzugehen. Es ist erst einmal überraschend, dass sich eine Sprachtheorie, die sich als genuin semiotisch versteht, auch auf Materialität und Medialität eingeht, denn Materialität ist im engeren Sinne keine Zeichenkategorie und auch Medialität begleitet Zeichenprozesse zwar, ist aber kein semiotischer, sondern eben ein medialer Prozess. Dennoch kann das Verhältnis zwischen Materialität und Medialität zeigen, wie etwas zum Zeichen wird, sodass die Beziehung zwischen Materialität, Medialität und Zeichenhaftigkeit hier zumindest angedeutet werden soll. Im Verhältnis von Materialität und Medialität entsteht das spezifische Zeichen, sodass es in Zeichenprozesse eintreten kann und sich gleichsam selbstständig macht. Die Motiviertheit des Zeichens und des Zeichenmittels gründet insofern in dessen Materialität, als jedes Zeichen selbst eine materielle Grundlage hat. Zeichenmittel weisen gewisse physische, biotische, chemische, lautliche, stoffliche und/ oder andere materielle Eigenschaften auf, die die sinnliche oder rezeptive Erfahrung und folglich auch die Wahrnehmung als Zeichenträger ermöglichen. Das Zeichen lässt sich zwar nicht auf diese materielle Struktur reduzieren, doch durchzieht es die Zeichenprozesse, da sich diese ohne materielle Struktur nicht ereignen könnten. So ereignet sich etwas, was im Zeichenprozess ein Wort werden kann, 15 zunächst als eine Lautfolge, die physische, akustische, tonale und artikulatorische Aspekte vereint. Diese zeitliche-räumliche Ausdehnung physikalischer Größen ist die Bedingung, dass etwas ein lautsprachliches Zeichen wird. Ähnlich verhält es sich bei graphischen Elementen, die zur Schrift werden können. Auch sie sind durch stoffliche Abhängigkeiten bestimmt, z. B. Graphit, Kreide oder andere pasten- oder pulverförmige Pigmente. Diese Stoffe ordnen sich zeitlich-räumlich zu Formen, die 15 Die grammatische Markierung des Futurs soll sich hier nicht auf temporale, sondern auf logisch-semiotische Folgerelationen beziehen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 37 dann kraft des Zeichenprozesses zum Buchstaben werden können (cf. auch S1: 200 f., Stetter 2005). Materialität ist aber nicht hinreichend, damit etwas zum Repräsentamen werden kann, denn wenn Zeichenmittel in Zeichenprozesse eintreten, werden sie vom stofflich-materiellen zum medialen Ereignis. In seinen späteren Schriften gibt Peirce eine weitere Zeichenmitteldefinition, die die Materialität des Repräsentamens erhält, aber um den Aspekt der Medialität ergänzt: Ich sage also, daß alles, unabhängig von seiner Seinsweise, ein Zeichen ist, was zwischen einem Objekt und einem Zeichen vermittelt, da das Zeichen sowohl durch das Objekt relativ zum Interpretanten bestimmt ist als auch den Interpretanten in Bezug zum Objekt derart bestimmt, daß es den Interpretanten aufgrund der Vermittlung dieses ‘ Zeichens ’ durch das Objekt bestimmt sein läßt. Das Objekt und der Interpretant sind also lediglich die zwei Korrelate des Zeichens; das eine ist das Antezedens, das andere das Konsequens des Zeichens. Da das Zeichen durch diese korrelativen Korrelate definiert wird, kann man außerdem mit Sicherheit erwarten, daß Objekt und Interpretant einander genau entsprechen. (SEM3: 253, Hervorh. im Original) Die Medialität des Repräsentamens, welche Peirce als Vermittlung beschreibt, bestärkt die korrelative Funktion von Objekt und Interpretant. Erst wenn das Stoffliche des Repräsentamens zum Medium wird, können Zeichenprozesse stattfinden. Die “ mediale Funktion ” des Repräsentamens, so Alexander Roesler (2003: 45), “ besteht darin, Zweites und Drittes in eine Relation zu bringen, die einerseits nur vom Medium angestiftet wird und andererseits nur über das Medium selbst verlaufen kann ” . Die Medialität des Repräsentamens besteht daher darin, “ einerseits den ‘ Gegenstand ’ durch die Relation, die es zu ihm unterhält, an etwas Körperliches ‘ anzubinden ’ und ihm damit andererseits - durch die weitere Relation, die es motiviert - eine ‘ feste ’ Bedeutung zu verschaffen, indem es ihn in eine Ordnung stellt und damit vergleichbar hinsichtlich allgemeiner Merkmale macht ” (ebd.). Das Repräsentamen zeichnet daher nicht nur eine Transformation der Materialität zur Medialität nach, sondern relationiert auch Interpretant und Objekt. Die Medialität des Zeichenmittels darf daher weder mit Repräsentation noch mit Signifikation verwechselt werden, denn die Relation der Repräsentation ist der Zeichenmittel-Objekt-Beziehung vorbehalten, während Signifikation die Relation zwischen Zeichenmittel und Interpretant bezeichnet (cf. Nöth 2011: 452) bzw. die Zeichenwerdung eines Zeichens markiert (cf. Kapitel 9.1). Die Medialität des Zeichenmittels bezieht stattdessen die Gesamtheit des Zeichenprozesses ein. Sie kann nicht auf mehrere dyadische Relationen reduziert werden, denn Medialität ist genuin triadisch. Diesen genuinen Charakter der Medialität veranlasst Peirce um 1906, vom Zeichenmittel als “ medium of communication ” (E2: 389) zu sprechen, um es ins Zentrum des Zeichenprozesses zu stellen. Materialität und Medialität begleiten also die Konstitution des Repräsentamens sowie des Zeichens und des Zeichenprozesses, doch Zeichenmittel selbst sind insbesondere in dessen drei Erscheinungsformen relevant: Qualizeichen, Sinzeichen und Legizeichen. Ein Qualizeichen, das erstheitliche Zeichenmittel, “ ist eine Qualität, die ein Zeichen ist. Es kann nicht wirklich als Zeichen fungieren, ehe es nicht verkörpert ist, doch die Verkörperung hat mit seinem Zeichencharakter nichts zu tun ” (PLZ: 123). Das Qualizeichen ist im Sinne der materiellen wie medialen Bedingungen des Zeichenmittels zwar nicht materiell und medial existent, doch ist dessen Erstheit nichtsdestotrotz konstitutiv. Es 38 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen ist materiell wie medial möglich. Damit unterscheiden sich Qualizeichen von kontingenten Mannigfaltigkeiten dadurch, dass sie durch die Möglichkeit des Ereignisses, der Signifikation und Repräsentation konstituiert werden. Was Qualizeichen also auszeichnet, ist “ eine positive Qualität, die als qualitative Möglichkeit zum Zeichen wird ” (Pape 1989: 286). Kurz: Qualizeichen sind mögliche Zeichen. Insbesondere in systematischen Zeichenzusammenhängen wie Zeichensystemen (hier vorwiegend Sprachsysteme) bleiben Qualizeichen allerdings keine reinen Möglichkeiten, sondern sie zeichnen sich kraft des Systems als bestimmte Möglichkeiten aus: Etwas ist als Zeichen möglich, weil es im Rahmen des jeweiligen Zeichensystems als mögliches Zeichen gilt. Diese qualitative Möglichkeit (des Zeichensystems) lässt sich auch als differenzieller Charakter des Zeichenmittels beschreiben, damit diese nicht nur für einzelne Zeichen, sondern auch für Zeichen in einem System gelten können. Während sich qualitative Möglichkeiten noch auf das individuelle Zeichenmittel reduzieren, ermöglicht der differenzielle Charakter eine Darstellung von Zeichenmitteln innerhalb eines Zeichensystems, welche über individuelle Zeichenmittel hinausgeht. Es ist anzunehmen, dass die positive Möglichkeit der Existenz, die noch keine Existenz ist, nur in Beziehung zu anderen Qualitäten denkbar und damit bereits implizit differenziell gegliedert ist. Dies besagt das Prinzip der Differenz. Qualizeichen haben qualitative Eigenschaften, weil es andere Qualitäten (des Zeichensystems) nicht besitzt, deren Negativität sich aus der Differenz zu anderen Qualizeichen konstituiert. Diese konstituierten negativen Eigenschaften des Qualizeichens stehen in einem Verhältnis der Noch-Nicht-Existenz zu ihren tatsächlichen Ereignisbedingungen. Sie sind systemlogisch kurz davor, sich zu ereignen, und stellen die Bedingung ihrer eigenen möglichen Existenz dar. Die Differenzialität der Qualizeichen ist dabei potenziell infinit, aber systematisch bedingt: Nicht jedes Qualizeichen bzw. nicht jede qualitative Eigenschaft des Zeichens ist tatsächlich auch jederzeit möglich. Die Bedingung der spezifischen Eigenschaften wird durch die jeweilige Menge an Differenzen des Zeichensystems bestimmt: Innerhalb einer Menge an Differenzen eines Zeichensystems Z bestimmt sich der Wert des Qualizeichens S 1 durch seine Qualität, die durch die Differenz zu den Qualizeichen S 2 , S 3 , S 4 , … S n konstituiert wird, wobei nicht alle Qualizeichen notwendigerweise systematisch bzw. systemintegriert sein müssen. Ein Beispiel: In einem konkreten Zeichensystem, welches sich durch farbdifferenzielle Qualizeichen S [ROT] , S [BLAU] und S [GELB] auszeichnet, ergibt sich folgende systematische Konstitution der Qualizeichen: Das Qualizeichen S [ROT] konstituiert sich in Differenz zu S [BLAU] und S [GELB] , sodass sich die Qualität von S [ROT] als Negativität bestimmt: S [ROT] ist - S [BLAU] & - S [GELB] . Sich als S [ROT] ereignen zu können, konstituiert sich also im Rahmen des Zeichensystems zunächst als Differenz und dann als qualitative Möglichkeit. Diese doch sehr abstrakte Darstellung des Qualizeichens, welches einerseits eine qualitative Zeichenmöglichkeit ist, aber auch mittels der durch Negativität bestimmte Differenz in einem Zeichensystem dargestellt werden kann, zeigt einen wesentlichen Aspekt des Zeichens: Ein konkretes Zeichenereignis ist bereits durch bestimmte Zeichenmöglichkeiten vorstrukturiert und ggf. sogar zeichensystematisch geformt. Qualizeichen nehmen damit in einer zeichensystematischen und differenziellen Betrachtung die erklärungsäquivalente Form von dem an, was Ferdinand de Saussure (2001: 132 f.) einen sprachlichen Wert genannt hat. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 39 Die Existenz (zweitheitlich) des Zeichenmittels (und damit eines Zeichens) geht aber über die qualitative Möglichkeit (erstheitlich) des Zeichenmittels hinaus. Zeichenmittel können sich (als Aspekt eines Zeichens) ereignen und sind dann aktuale Manifestationen möglicher Zeichenereignisse. Das Zeichenmittel ist damit zeitlich-räumlich situiert, sodass sich ein anderer Typ des Zeichenmittels zur Darstellung finden lassen muss. So schreibt Peirce: Ein Sinzeichen [ … ]ist ein aktual existierendes Ding oder Ereignis, das ein Zeichen ist. Es kann nur durch seine Qualität auf diese Weise sein, so daß es ein Qualizeichen oder vielmehr mehrere Qualizeichen einschließt. Doch diese Qualizeichen sind von besonderer Art und bilden dadurch ein Zeichen, daß sie aktual verkörpert sind. (PLZ: 123 f., Hervorh. im Original) Während Qualizeichen also rein qualitative Möglichkeiten sind und auch kraft des Differenzprinzips im Rahmen von Zeichensystemen ermittelt werden können, sind Sinzeichen ihre zeitlich-räumlichen Verkörperungen. Das Verhältnis zwischen Qualizeichen und Sinzeichen ist aber kein Isomorphieverhältnis, sondern es gilt auch für Sinzeichen das Prinzip der Differenz, zwar nicht vorrangig systematisch, aber doch wahrnehmungstheoretisch: Aktuale Zeichenereignisse können nur in Differenz zur Umwelt wahrgenommen werden. 16 Trotz der wahrnehmungstheoretischen Gültigkeit der Differenz für Sinzeichen gibt es ein Verhältnis zwischen qualitativen Möglichkeiten und Zeichenereignissen. Sinzeichen müssen sich bestimmten Qualizeichen zuordnen lassen. Sie realisieren die im Qualizeichen angelegten qualitativen Möglichkeiten. Zeichnet sich ein Qualizeichen z. B. durch seine Farbigkeit oder Formhaftigkeit aus, dann ist die konkrete Farbbzw. Formrealisation des Sinzeichens (z. B. rot und rund) die im Qualizeichen angelegte Zeichenmöglichkeit. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass ein Sinzeichen mehrere Qualizeichen in sich vereint, aber erst mit dem Sinzeichen kann tatsächlich behauptet werden, dass sich das Zeichen ereignet. Denn Sinzeichen sind singuläre Zeichen, die sich zeitlich-räumlich situieren. Ihren drittheitlichen Charakter erhalten Zeichenmittel erst mit dem Legizeichen. Ein Legizeichen “ ist ein Gesetz, das ein Zeichen ist. Ein solches Gesetz ist normalerweise von Menschen aufgestellt. Jedes konventionelle Zeichen ist ein Legizeichen (aber nicht umgekehrt). ” (PLZ: 124) Legizeichen sind also typische bis prototypische Zeichenmittel, welche trotz des kontinuierlichen Zeichenprozesses eine gewisse Konstanz aufweisen. Während Sinzeichen zeitlich-räumlich gebunden sind, handelt es sich bei Legizeichen um aus singulären Zeichenereignissen abstrahierte Zeichen. So bildet z. B. der Ausdruck “ Tisch ” neben seinen spezifischen zeitlich-räumlichen Realisationen in einer dynamischen Zeichenpraxis, welche Sinzeichen wären, ein Legizeichen, welches immer wieder aktiviert bzw. gebraucht werden und seine Effekte entfalten kann. 1906 nennt Peirce die Trichotomie von Quali-, Sin- und Legizeichen auch Ton, Token und Typ: Es ist gebräuchlich, den Umfang eines Manuskripts oder gedruckten Buches zu schätzen, indem man die Anzahl der Wörter abzählt. Auf einer [englischsprachigen] Seite finden sich ungefähr zwanzig the, und natürlich zählen sie als zwanzig Wörter. In einer anderen Bedeutung des Wortes ‘ Wort ’ jedoch gibt es nur ein Wort ‘ the ’ in der englischen Sprache, und es ist unmöglich, daß dieses 16 Die Gestaltpsychologie kennt dieses Phänomen unter den Begriffen der Figur-Grund-Relation und des Gesetzes der Prägnanz. 40 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Wort sichtbar auf einer Seite vorkommt oder von einer Stimme ausgesprochen wird, denn der Grund dafür ist, daß es nicht ein Einzelnes Ding oder Einzelnes Ereignis ist. Es existiert nicht, es bestimmt nur Dinge, die existieren. Ich schlage für eine solche, eindeutig Form den Ausdruck Typ vor. Ein Einzelnes Ereignis, das einmal geschieht und dessen Identität auf dieses eine Geschehen begrenzt ist, oder ein Einzelnes Objekt oder Ding, das an einem einzelnen Ort oder zu irgendeinem Zeitpunkt existiert, ein derartiges Ereignis oder Ding, das bedeutsam nur insofern ist, als es gerade dort und dann vorkommt, wo es vorkommt, geradeso wie dies oder jenes Wort auf einer einzelnen Zeile einer einzelnen Seite eines einzelnen Exemplars eines Buches, erlaube ich mir, Token zu nennen. Eine uneindeutig bedeutsame Eigenschaft wie zum Beispiel der Klang einer Stimme kann weder als Typ noch als Token bezeichnet werden. Ich schlage vor, ein solches Zeichen einen Ton zu nennen. Damit ein Typ verwendet werden kann, muß er in einem Token verkörpert werden, das ein Zeichen des Typs und dadurch des Objekts, das der Typ bedeutet, sein soll. Ich schlage vor, ein solches Token eines Typs die Instanz des Typs zu nennen. (SEM3: 145 f., Hervorh. im Original) Neben einer Veranschaulichung der drei Zeichenmitteltypen verweist Peirce zudem auf die Instanziierungen von Typen, welches die Kopplungen von Ton, Token und Typ nochmals expliziert. Typen ereignen sich als Token, sind dann aber weder reine Token noch Typen, sondern vielmehr Instanzen des Typs bzw. dessen Replika. Es gibt also eine Typ-Token- Relation, die diese Instanziierungen ermöglicht, sodass Typen zwar abstrakt bleiben, zugleich aber ein Verhältnis zwischen Zeichenereignissen und abstrahierten Typen hergestellt werden kann. Ein Resümee zum theoretischen Begriff des Repräsentamens: Sowohl Materialität und Medialität, aber auch die verschiedenen Typen des Repräsentamens (Qualizeichen, Sinzeichen und Legizeichen bzw. Ton, Token und Typ) ermöglichen nicht nur eine spezifische Analyse des Zeichenmittels in linguistischen und diskursiven Praktiken. Sie können auch erklären, warum eine materielle Instanz mittels der Medalität als Zeichen fungieren kann. Die Binnendifferenzierung von Ton, Token und Typ sowie deren Verhältnis muss insbesondere deshalb expliziert werden, weil so zwischen verschiedenen Typen an Zeichenmitteln unterschieden werden kann, was nicht nur argumentativ, sondern auch theoretisch höchst relevant ist: Es kann immer wieder darauf verwiesen werden, ob qualitative Zeichenmöglichkeiten, Zeichenereignisse oder Zeichenabstraktionen im Rahmen der Zeichen- und Sprachtheorie untersucht werden. Ton, aber insbesondere Token und Typ sind für die folgende Untersuchung insbesondere aus einem Grund wichtig. In der theoretischen Argumentation und Präsentation ermöglicht das Vokabular die Differenzierung zwischen möglichen, konkreten und abstrakten Zeichen, aber auch die Beschreibung ihrer Verhältnisse. Insbesondere bei der Analyse von den in inferenziellen Prozessen beteiligten sprachlichen Zeichen ist dies nicht nur notwendig, sondern es können damit auch die Verhältnisse in diskursiven Praktiken genauer erfasst werden. 2.1.3.2 Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität - Objekte und ihre Relationen Zeichenmittel sind in Typologie sowie in Materialität und Medialität ein zentrales Moment im Zeichenprozess, doch müssen Zeichen notwendigerweise auf etwas, ein Objekt, außerhalb des Zeichenmittels verweisen. Insofern ist es notwendig, sich auch den objektbezogenen Zeichenaspekten zuzuwenden. Dabei steht insbesondere deshalb das Verhältnis zwischen Zeichen und ihren Objekten im Mittelpunkt, weil dies u. a. erklärt, 2 Zeichentheoretische Grundlagen 41 warum spezifischen Objekten im Rahmen von diskursiven Praktiken bestimmte semantische und pragmatische Eigenschaften zukommen und über welche objektrelationalen Prozesse diese zustande kommen. Insofern zeichnet sich in der Darstellung des objektbezogenen Zeichenaspekts bereits implizit der Prozess der Wirklichkeitskonstitution ab. In der objektbezogenen Dimension des Zeichens lassen sich zwei Aspekte beschreiben, die miteinander zusammenhängen, aber erkenntnistheoretisch auseinandergehalten werden müssen: Objekt und Objektrelation. Während die Objektrelation die wohl bekannteste Zeichendimension Peirces ist, ist auch das Objekt (und deshalb auch dessen theoretische Konzeption) notwendigerweise am Zeichenprozess beteiligt. Es ist stetig virtuell im Zeichenprozess präsent und sollte daher ebenfalls theoretisch erfasst werden. Obwohl Peirce in der wissenschaftswie erkenntnistheoretischen Tradition Kants steht, verweist das Zeichenmittel nicht auf ein Ding an sich (z. B. Kant 1976: 42), welches a priori in der Welt existiert. Objekte 17 werden vielmehr im Zeichenprozess selbst als semiotisch relevante Instanzen gesetzt, sodass sie epistemisch keinen Vorrang erhalten: Erst wenn Zeichenmittel auf etwas, das Objekt, verweisen, dann kann das Objekt vermittelt zugänglich sein und im Rahmen von Zeichenprozessen seine Kraft entfalten und entsprechend auch analysiert werden. Peirce hebt so z. B. die Kritik, die Hegel bereits am Ding an sich geäußert hatte, auf und konstituiert die semiotischen Objektrelationen und deren Erkenntnisobjekte im epistemischen und semiotischen Prozess selbst. 18 Peirce führt deshalb zwei Objektbegriffe in die Theorie des semiotischen Erkenntnisprozesses ein: unmittelbares und dynamisches Objekt. Die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt ermöglicht es Peirce, dass einerseits zwischen erkennenden Zeichen und erkannter Wirklichkeit unterschieden werden kann, aber andererseits auch Objektrelationen möglich sind, die sich einem Abbildungsverhältnis entziehen. Gleichzeitig muss die Relation zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt nicht notwendigerweise gelingen, sodass auch fiktionale Objekte innerhalb dieser Objekttheorie möglich sind. Peirce unterscheidet seine Objektbegriffe folgendermaßen: Wir müssen nämlich das Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt und dessen Sein also von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, von dem Dynamischen Objekt unterscheiden, das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen. (SEM3: 145) 17 Peirce fasst unter Objekte alles, was wahrnehmbar, vorstellbar oder sogar unvorstellbar (cf. CP 2.230) ist, also Gegenstand des Denkens werden kann. In der zeitgenössischen Semiotik wird der (de)ontologische Status von Objekten insbesondere in Bezug auf Thomas von Aquin und John Poinsot wieder vermehrt diskutiert, wenn die Unterscheidung zwischen ens reale und ens rationale etabliert werden soll. Diese beiden Objektkategorien, die John Deely (2007: 33 f., 2009: 54 f.) auch thing und object nennt, beziehen sich auf die Unterscheidung von Seiendem, welches entweder unabhängig oder nur anhängig von geistigen Prozessen existiert. Aus der Perspektive einer linguistischen Pragmatik ist eine solche Unterscheidung zwar interessant, aber für die Analyse von sprachlichen Zeichen nicht förderlich, da eine ontologische Betrachtung der Objektqualitäten außerhalb des Kompetenzbereichs der Sprachwissenschaft liegt. Insofern sollte die hier angestrebte Unterscheidung zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekten, die sich eher auf den Erkenntnisprozess als auch eine Ontologie beziehen, hinreichend sein. 18 Hegel (cf. u. a. 1986 a: 37 f.) kritisiert das Konzept des Dings an sich, da es Teil des Erkenntnisprozesses und damit nicht außerhalb des Denkens zu konzeptualisieren sei. 42 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Objekte können (im Zeichenprozess) also einerseits von Zeichen repräsentiert werden und damit von der Repräsentation abhängig sein, aber andererseits auch ein repräsentiertes Objekt sein, welches auf die Zeichenkonstitution einwirkt. Die Diskrepanz zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt erklärt aber nicht nur die beiden Objektbegriffe Peirces, sondern auch das Verhältnis zwischen Darstellung (im Zeichen) und realem Objekt. Objektrelationen ermöglichen es, dass Zeichen, die unmittelbare Objekte darstellen, sich auf Objekte der Wirklichkeit beziehen können. Insofern dient das Verhältnis einerseits der Referenz- und Verweiskraft von Zeichen. Andererseits können dynamische Objekte, weil sie das Zeichen kodeterminieren und selbst semiotische Prozesse mitbestimmen, sich der Erkenntnis aufzwingen. Daher dienen die Objektbegriffe Peirces sowohl der Beschreibung der Darstellbarkeit der Wirklichkeit kraft Zeichen, aber auch der Möglichkeit, dass sich eine phänomenale Welt zeichenhaft ereignet. 19 Weil Objekte und Objektrelationen auch phänomenologisch strukturiert sind, gelten die phaneroskopischen Kategorien auch für Objekte und ihre Relationen. Nachdem die Darstellung der Zeichenmittel gezeigt hat, dass sich Repräsentamen im Sinne der universalen Kategorien als Erstheit analysieren lassen, sind Objekte und Objektrelationen (aus der Perspektive des gesamten Zeichens betrachtet) zweitheitlich strukturiert. Sowohl Objekte als auch Objektrelationen unterscheiden sich jedoch in ihrer Authentizität, können also auch hinsichtlich ihrer genuinen bzw. degenerativen Struktur betrachtet werden. Das unmittelbare Objekt ist im Zeichen dargestellt, konstituiert es also mit und gilt als degenerative Zweitheit. Es ist eine degenerative Zweitheit, weil es sich aus der genuinen Zweitheit des dynamischen Objektes ableitet: Weil es ein potenzielles dynamisches Objekt gibt, können unmittelbare Objekte im Zeichen repräsentiert werden. Das dynamische Objekt hingegen ist genuin zweitheitlich, da die “ brute force ” (CP 1.427) seiner Existenz das Zeichen hervorrufen kann. Dem dynamischen Objekt kommt damit die Rolle des Ortes der Zeichenevokation zu und agiert als Moment der präsemiotischen Welt, welches semiotische Erkenntnis vorstrukturiert. Gleichzeitig ist es aber selbst nicht Erkenntnisobjekt, sondern kann erst als unmittelbares Objekt im Zeichenprozess wahrgenommen werden. Durch seinen effektiven Einfluss auf die Zeichenkonstitution kann das dynamische Objekt auch “ [q]uasi-reales Objekt ” (SEM2: 288) genannt werden. Während der Unterschied zwischen unmittelbaren und dynamischen Objekten auf den ersten Blick nach einer erkenntnistheoretischen Perspektive auf Zeichenprozesse aussieht, ist diese Abgrenzung auch für diese folgende Untersuchung sowie für linguistische Theorien im Allgemeinen relevant. Es handelt sich dabei um nicht weniger als das Verhältnis zwischen Zeichen und Wirklichkeit bzw. Wirklichkeitsrepräsentation und -konstitution. Mit der Möglichkeit, dass dynamische Objekte Zeichen kodeterminieren können und z. B. kausale Prozesse Auswirkungen auf ihre Repräsentation haben, widerspricht Peirce radikalkonstruktivistischen Ansätzen, die allein die zeichenkonstruktive Dimension betrachten. Daher sollten auch objektbezogene und kausale Einflüsse auf 19 Peirces Erkenntnis- und Zeichentheorie erfasst also sowohl semiotische als auch präsemiotische Objekte. Unmittelbares und dynamisches Objekt sind die Grenze zwischen phänomenalem und semiotischem Objekt oder der Frage, wie etwas zum Gegenstand und Inhalt des Geistes werden kann (cf. hierzu insbesondere Husserl 2009: 411 f.). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 43 diskursive und linguistische Praktiken in ihrer Darstellung berücksichtigt bzw. die Möglichkeit ihrer Beteiligung zumindest nicht ausgeschlossen werden. Für die folgenden theoretischen Reflexionen zu einer linguistischen Pragmatik, die auf diskursiver Intentionalität gründet, ist die Differenz der Objektbegriffe auf vielerlei Weise maßgeblich an der Theoriebildung beteiligt. Jede theoretische Darstellung, die semiotische Prozesse zu beschreiben und zu analysieren sucht, sollte auch ein potenzielles dynamisches Objekt konzeptualisieren bzw. modellieren, um die Verweis- und Konstitutionskraft des Zeichens einerseits und die Möglichkeit der Kodetermination des Objekts andererseits aufzuzeigen. Der Objektbegriff wird hierzu entsprechend erweitert bzw. spezifiziert, weil er (ganz im Sinne Peirces) nicht nur Objekte im engeren Sinne, sondern auch z. B. Ereignisse und Verhalten umfasst, die im Zeichen dargestellt werden (können). Im Spezifischen findet sich das Verhältnis zwischen dynamischen und unmittelbaren Objekten auch in der Analyse der diskursiven Intentionalität wider, denn Intentionalitätstheorien müssen beantworten können, ob intentionale Objekte, auf die sich intentionale Prozesse und Relationen richten, reale (dynamische) oder epistemische bzw. semiotische (unmittelbare) Objekte sind. Auch hier helfen die Objektbegriffe Peirces, aber auch die Beschreibungen der Objektrelationen, um die Spezifik intentionaler Relationen und intentionaler Objekte darzustellen (cf. Kapitel 12.2 und 12.3). Neben Objekten beschreibt Peirce auch Objektrelationen von Zeichen. Er benennt Zeichen auch auf Basis ihrer Objektrelationen, wobei Ikon, Index und Symbol universale Kategorien in sich vereinen: Ikonische Zeichen sind erstheitlich, indexikalische zweitheitlich und symbolische drittheitlich beschaffen und dies spiegelt sich auch in ihrer Zeichenkonstitution wider. Ein ikonisches Zeichen, so Peirce (PLZ: 124), ist “ ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt lediglich aufgrund von Eigenschaften bezieht, die es selbst besitzt, gleichgültig, ob ein entsprechendes Objekt wirklich existiert oder nicht ” . Diese Eigenschaft, die ein ikonisches Zeichen aufweist, ist ein Ähnlichkeitsverhältnis zu seinem Objekt. Daher zeichnen sich ikonische Zeichen durch eine Ähnlichkeitsrelation zum Objekt aus. Ähnlichkeit als Eigenschaft impliziert allerdings, dass es eine Differenz zwischen ikonischem Zeichen und Objekt gibt, denn ansonsten wären Zeichen und Objekt identisch. Nur hinsichtlich spezifischer Aspekte weist das ikonische Zeichen Eigenschaften auf, die in einer Ähnlichkeitsrelation zum Objekt stehen. Neben den traditionellen Beispielen für ikonische Zeichen (Fotos, Gemälde etc.) weisen auch andere Zeichen ikonische Objektrelationen auf. Geometrische Figuren z. B. weisen sich (als Zeichen) durch ihre (ideale) ikonische Relation zu ihrem Objekt aus. Ein Kreis z. B. kann auf kreishafte Objekte deshalb verweisen, weil er die Eigenschaft hat, in einem Ähnlichkeitsverhältnis zu kreishaften Objekten zu stehen. Abseits von der Möglichkeit, ob (ideale) Kreise überhaupt existieren (können), gilt diese Objektrelation dennoch. Dies gilt auch für kartographische und metaphorische Zeichen. 20 20 Peirce (CP 2.277) unterteilt ikonische Zeichen abermals und führt die Begriffe Bild, Diagramm und Metapher ein, deren Objektrelationen zwar ikonisch sind, sich aber in ihrer Authentizität unterscheiden. Insbesondere bei der Metapher ist offensichtlich, dass sie zudem konventionelle Objektrelationen fordert. Die bild- und metapherntheoretischen Aspekte ikonischer Zeichen sollen an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Allein 44 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Ein indexikalisches Zeichen hingegen “ ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt bezieht, indem dieses Objekt faktisch auf es einwirkt ” (PLZ: 124). Indexikalische Objektrelationen bestimmen sich durch Kontiguität, die sowohl Kontaktals auch Folgerelationen mit einschließt. Indizes sind damit Hinweismarker und erscheinen in unterschiedlicher Form: Zeigefinger, welche Gefundenes signalisieren, Punkte auf der Haut, die auf Masern hindeuten, oder Rauch am Horizont, welcher auf Feuer hinweist, sind Indexzeichen, denn es gibt eine direkte Beziehung zwischen Zeichenmittel und Objekt. Die zweitheitliche Relation zwischen Zeichenmittel und Objekt ist demnach durch Kontakt bzw. Folgeereignisse bestimmt, welche zeitlich-räumlich situiert sind. Indexzeichen sind demnach häufig physisch bzw. kausal motiviert, wobei es innerhalb von normativen oder konventionellen Systemen auch Indexzeichen gibt, die allerdings andere objektrelationale Aspekte involvieren. Zentral ist, dass kraft des indexikalischen Zeichens das spezifische und zeitlich-räumlich situierte Objekt ermittelt werden kann. Symbolische Zeichen involvieren drittheitliche Objektrelationen. Ein Symbol “ ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt aufgrund eines Gesetzes bezieht, das gewöhnlich in einer Verbindung allgemeiner Vorstellung besteht, die dadurch in Kraft tritt, daß sie bewirkt, daß das Symbol als sich auf jenes Objekt beziehend interpretiert wird ” (PLZ: 125). Während die Beziehung zwischen Index und Objekt direkt motiviert ist, erfordern Symbole Regeln, Konventionen oder Normen, die die Zuordnung des Zeichenmittels zum Objekt bestimmen. Die symbolische Motivation des Zeichenmittels ist demnach allenfalls indirekt, da die regulierende Konvention die Bedingung der Objektrelation ist. Peirces Symbolbegriff erfasst damit eine spezifische Regulation einer dynamischen Objektrelation und nicht, wie andere Symboltheorien, die Gesamtheit der Zeichenpraxis oder die starre Zuordnung von Zeichen und Objekt. Symbolische Relationen bestimmen sich in normativen und/ oder konventionellen Prozessen. Symbolische Zeichen sind dabei nicht auf sprachliche Zeichen beschränkt (und auch diese sind nicht ausschließlich symbolisch), sondern auch andere Zeichen können sich symbolisch auf Objekte beziehen, wenn sie über normierte Objektrelationen verfügen, die sich nicht auf Ähnlichkeit oder Kontiguität reduzieren lassen. Das Verhältnis zwischen Objektrelationen und Zeichen verweist auf eine wesentliche Herausforderung der Typologie der Objektrelationen, wenn es um die Interpretation von Zeichenprozessen geht: Da Zeichen im Sinne der Pragmatischen Maxime verschiedene Gestalten annehmen und aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich interpretiert werden können, ist es sinnvoll, eher von ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichenaspekten zu sprechen und Substantivierungen wie Ikon, Index und Symbol weitestgehend zu vermeiden (cf. dazu z. B. Lenk 1993: 462). Zeichen können durchaus unterschiedliche ikonische, indexikalische und symbolische Zeichenfunktionen übernehmen und gleichzeitig kombinieren sich diese Objektrelationen zu Objektrelationskomplexen, die sich nicht auf genuine Objektrelationen reduzieren lassen. An sprachlichen Zeichen lässt sich dies veranschaulichen: Zwar handelt es sich bei Sprache um ein konventionelles Zeichensystem, doch sind spezifische Objektrelationen auch in zeitlichder Aspekt des Diagramms wird in Kapitel 5 und der Darstellung der Signifikanz des Denkens noch einmal aufgegriffen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 45 räumlichen Gebrauchssituationen eingebunden, die nicht vor dem Gebrauch bestehen. Im Sinne des semiotischen Pragmatismus ereignen sich Objektrelationen im Rahmen der durch die Pragmatische Maxime bestimmten Praxis, sowohl als Zeichen, aber auch als phaneroskopische Struktur, sodass auf spezifische Objekte auch je nach spezifischer Gebrauchssituation verwiesen wird. Paradigmatisch hierfür sind deiktische Zeichen, aber auch anderen sprachlichen Zeichen wohnt diese indexikalische Dimension inne. Eine trennscharfe Unterscheidung von ikonischen, indexikalischen und symbolischen Zeichenaspekten trägt eben solchen verzweigten Verweisstrukturen Rechnung und akzentuiert die Komplexität der tatsächlichen Objektrelationen. Im Sinne der semiotischen Erkenntnistheorie Peirces müssen neben den objektrelationalen Aspekten auch die zeichenhierarchischen Verhältnisse der Objektrelationen berücksichtigt werden. So argumentiert Peirce (cf. CP 2.276, 2.277, 2.320) z. B., dass es ikonische Zeichenaspekte gibt, die nur unter Anleitung einer konventionellen Systematik interpretierbar sind. Diese Hypoikone stehen in sedimentierten konventionellen Relationen zu ihren Objekten, welche als ikonische Relationen interpretiert werden. So zeichnen sich z. B. sprachliche Metaphern dadurch aus, dass sie eine Ähnlichkeitsrelation zwischen Quell- und Zieldomäne herstellen (ikonisch), obwohl die sprachlichen Zeichen selbst symbolisch auf ihre Objekte verweisen. Ähnliches gilt für Hypoindizes, die “ conventional devices for indexical representation ” (Hookway 2002: 99) sind und damit kraft konventioneller Relationen zeitlich-räumliche Kontiguität ermöglichen. Demonstrativpronomen z. B. sind zwar konventionell und symbolisch strukturiert, verweisen aber indexikalisch (im Gebrauch) auf ihre spezifischen zeitlich-räumlich situierten Objekte. Diese hierarchische Strukturierung von Bedingungsverhältnissen der Objektrelationen zeigt, dass Zeichen nicht nur hinsichtlich ihrer homologen, sondern auch ihrer disparaten Objektrelationen befragt werden können. Während eine Betrachtung der homologen Objektrelationen erfasst, welche objektrelationalen Aspekte ein Zeichen involviert, die sich (ikonisch, indexikalisch oder symbolisch) auf Objekte beziehen, kann eine Analyse der disparaten Objektrelationen zeigen, welche Objektrelation eine Bedingung der Möglichkeit anderer Objektrelationen ist. 21 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Objekte und Objektrelationen im theoretischen Vokabular des semiotischen Pragmatismus eine Möglichkeit bereitstellen, das Verhältnis zwischen im Zeichen dargestellten Objekten (unmittelbare Objekte) und ihren (möglichen) realen Objekten (dynamische Objekte) zu analysieren. Unmittelbare und dynamische Objekte erfassen dabei das Verhältnis zwischen phänomenalen und/ oder kausalen Prozessen einerseits und semiotisch repräsentierten Objekten andererseits. Die verschiedenen Objektrelationen spezifizieren das Verhältnis insofern, dass es hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit (ikonisch), Kontiguität (indexikalisch) oder Regelbzw. Gesetzmäßigkeit (symbolisch) untersucht werden kann. Die verschiedenen objektrelationalen Aspekte können dabei nicht nur in ihrer homologen Struktur analysiert, sondern auch in objekt- 21 Die Vielschichtigkeit des Verhältnisses von Zeichenmittel und objektrelationalen Kategorien nimmt zu, wenn noch Typ-Token-Relationen mit hinzugenommen werden (cf. hierzu das Schaubild von Deacon 1997: 87). Auf diese Ausführungen soll im Folgenden verzichtet werden. 46 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen relationalen und disparaten Hierarchien untersucht werden, wenn z. B. eine Objektrelation eine andere bedingt. Neben der bereits eingeführten Notwendigkeit der Darstellung der zwei Objektbegriffe Peirces für die Modellierung von semiotischen Prozessen einerseits und der theoretischen Reflexion zur diskursiven Intentionalität andererseits sind auch die verschiedenen objektrelationalen Aspekte und ihre potenziellen Hierarchien für die folgenden Betrachtungen notwendig: (1) Sprachsysteme, Sprachprozesse und sprachliche Zeichen lassen sich semiotisch keineswegs nur als Symbole darstellen, sondern involvieren das gesamte Repertoire an objektrelationalen Aspekten. Nicht nur deiktische Sprachzeichen, sondern auch z. B. Verben lassen sich nicht auf ihre symbolische Dimension reduzieren, sodass die verschiedenen objektrelationalen Aspekte immer wieder expliziert werden müssen, um zu zeigen, auf welcher Ebene des Verhältnisses zwischen Zeichen und Objekte, Ereignis bzw. Verhalten die Analyse, theoretischen Reflexionen und Argumente angesiedelt sind. Dies zeigt sich z. B. bei der Beschreibung und Modellierung der Semiose der Behauptung, welche neben der pragmatischen Signifikanz (Handlungskraft) auch eine phänomenale und objektrelationale Struktur aufweist, welche (neben den konventionellen Aspekten) sich über indexikalische und ikonische Objektrelationen auszeichnet (cf. Kapitel 14.2). (2) Im Besonderen ist auch der Unterschied zwischen Deixis und Indexikalität im Rahmen der Semiose der Behauptung relevant, wenn es um die Konstitution von diskursiven Rollen geht. Im Ereignis der Behauptung, so soll argumentiert werden, lassen sich die verschiedenen diskursiven Rollen, Interlokutoren einerseits und Delokutoren andererseits, auch dadurch erkennen, dass sie über unterschiedliche objektrelationale Qualitäten verfügen. Daraus folgend kann dann auch untersucht werden, aufgrund welcher objektrelationalen Qualität des Zeichens etwas (Objekt) kraft Zeichen im Rahmen diskursiver Praktiken als z. B. Sprecher konstituiert wird und über die notwendige pragmatische und diskursive Autorität verfügt, um an diesen Praktiken teilzunehmen (cf. Kapitel 15.2). (3) Die hierarchischen objektrelationalen Verhältnisse sind insbesondere dann relevant, wenn zwischen argumentativen, analytischen und deskriptiven Ebenen während der Untersuchung gewechselt wird: Selbstverständlich ist Sprache ein System von Symbolen und damit konventionell strukturiert, doch erklärt dies nicht die indexikalischen und ikonischen Objektrelationen spezifischer sprachlicher Zeichen. Insofern ist in jeder Analyse sprachlicher und diskursiver Prozesse der Aspekt der Konventionalität und Symbolizität involviert, doch muss dieser immer wieder expliziert werden. Er erklärt letztlich kaum etwas über die diskursiven Konsequenzen des Gebrauchs sprachlicher Zeichen in Interpretations-, Verstehens- und insbesondere wirklichkeitskonstitutiven Prozessen. 2.1.3.3 Begriff, Proposition und Inferenz - Kognitive Semiotik Zeichen umfassen nicht nur Zeichenmittel und Objekte bzw. Objektrelationen, sondern es muss deren Verhältnis auch zustande kommen. Um eine Objektrelation zwischen Objekt und Zeichenmittel herzustellen, erfordert es also eine weitere Zeichendimension, die die Erstheit des Zeichenmittels und die Zweitheit des Objekts ergänzt: Ein Interpretant 22 ist 22 Der Ausdruck Interpretant darf trotz seiner graphematischen Ähnlichkeit nicht mit Interpret übersetzt werden, denn die Zeichendimension des Interpretanten kann auch für Tiere, K. I. und andere nicht-diskursive Wesen 2 Zeichentheoretische Grundlagen 47 drittheitlicher Zeichenaspekt, führt Zeichenmittel und Objekt aber nicht nur zusammen, sondern differenziert auch die Zeichenpraxis aus, sodass sich Zeichen in weitere Zeichenprozesse eingliedern können. Während sich die bisherigen Erklärungen zum Verhältnis von Objekt und Zeichenmittel weitgehend auf eine isomorphe Etikettierungspraxis beschränkt haben, die jedem Objekt ein Zeichenmittel zuordnet, sind Zeichenprozesse im semiotischen Pragmatismus ohne Interpretanten nicht nur unmöglich, sondern Interpretanten garantieren auch vielfältige Interpretations- und Konstitutionsprozesse, die mithilfe einer Zeichentheorie beschrieben werden können. Nicht nur das Verhältnis von Objekt und Zeichenmittel, sondern auch der Prozess der Signifikation basiert nicht auf einem einfachen Zuordnungsverhältnis. Signifikation kann nicht auf ein repräsentationales Bedeutungsverhältnis (aliquid stat pro aliquo) reduziert werden, denn Interpretanten sind durch dynamische Zeichenbewegungen bestimmt, deren Prozessualität sich aus der Differenz zu anderen Interpretanten ergibt. Zwar erörtert Peirce den Interpretanten, indem er die Medialität des Zeichenmittels betont, sodass der Effekt des Zeichenmittels Zeichenprozesse erst ermöglicht, doch bedeutet dies nicht, dass sich auch der Zeichenprozess selbst allein kausal erklären lässt. So schreibt Peirce: I have already noted that the Sign has an Object and an Interpretant, the latter being that which the Sign produces in the Quasi-mind that is the Interpreter by determining the latter to a feeling, to an exertion, or to a Sign, which determination is the Interpretant. (CP 4.536) Das Zeichenereignis motiviert demnach den Interpretanten, wobei die Motivation je nach Interpretant kausal, affektiv, habituell, gewohnheitsmäßig, bewusst, unbewusst oder normativ sein kann. Aus den jeweiligen Effekten resultieren dann konsekutive Zeichenereignisse, die sich mittels Interpretanten in semiotische Folgeverhältnisse sortieren lassen. Ebenso wie die Dimension des Zeichenmittels und des Objekts und dessen Relationen muss auch die Dimension des Interpretanten in unterschiedliche Typen von Erkenntnisprozessen, kognitiven Prozessen und Effekten eingeteilt werden. Peirces Typologie erfasst mit den Begriffen unmittelbarer, dynamischer und finaler Interpretant einerseits den Interpretations- und Erkenntnisprozess, ermittelt aber mit den Konzepten der emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten zugleich spezifische Zeicheneffekte, die bei ZeichennutzerInnen motiviert werden. 23 Insofern ist die Analyse von Interpretanten entlang zweier Achsen ausgerichtet, die jeweils Aspekte des Zeichens erläutern sollen. Der Zeichenaspekt des Interpretanten soll also im Folgenden näher erklärt und dessen Relevanz für die folgenden theoretischen Reflexionen expliziert werden. Die Darstellung folgt dabei zwei theoretischen Bündeln, die verschiedene Facetten des Interpretanten gelten. So schreibt T. L. Short (1986: 98): “ An interpretant is not an interpreter. Instead, it is the particular thought, action, or feeling which interprets a sign. The formation of interpretants constitutes an interpreter, which in some case is a person. ” Interpretantenrelationen lassen sich vielmehr als z. B. semiotisch-kognitive Prozesse verstehen, die sich nicht auf Individuen reduzieren lassen (cf. z. B. Nesher 1990, Nöth 1994). 23 In den letzten Jahren sind einige systematische Interpretationen der Zeichentheorie Peirces erschienen (cf. z. B. Bellucci 2017; Short 2007; Stjernfelt 2007, 2014), die sich allerdings in ihrer Taxonomie der Interpretanten unterscheiden. Die Divergenz der Taxonomien lässt sich z. B. dadurch erklären, dass Peirce stets auch Arbeit am Begriff betreibt und sich seine Begriffe dadurch einerseits zwischen verschiedenen Texten verändern, andererseits er die Begrifflichkeiten in späteren Texten wieder aufgreift oder gänzlich verwirft. Um mich auf ein verlässliches theoretisches Vokabular zu stützen, orientiere ich mich deshalb in meiner Bestimmung der Interpretanten, insbesondere an der Interpretation T. L. Shorts (2007). 48 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen fokussieren: Die Momente in Interpretations- und Erkenntnisprozessen erklären, warum ein Zeichen überhaupt interpretiert werden kann und warum es in der Interpretation einen spezifischen semantischen Gehalt oder eine pragmatische, sozial-normative oder diskursive Signifikanz aufweist. Die theoretische Entwicklung setzt also bei der Entstehung und Kraftentfaltung von Zeichen an. Die verschiedenen Typen an Interpretanten hingegen versuchen, die verschiedenen Zeicheneffekte zu systematisieren und in ein Verhältnis zu stellen. Dabei scheinen zunächst die Interpretanten relevant zu sein, die an sprachlichen Prozessen unmittelbar beteiligt sind (logische Interpretanten), doch ermöglicht Peirces Typologie der Interpretanten, dass auch andere Zeicheneffekte (z. B. als Verhalten oder Handlung) im Rahmen von diskursiven Praktiken analysiert und in ein Verhältnis zu sprachlichen Zeichen gesetzt werden können. Die kognitive Dimension des Zeichenprozesses konstituiert sich und wird dann relevant, wenn Zeichenmittel und ein mögliches Erkenntnissubjekt kollidieren und damit Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse zustande kommen. Damit ein solcher Kontakt zwischen Zeichenmittel und Erkenntnissubjekt möglich ist, etwas also zum Zeichen werden und in Zeichenprozesse eintreten kann, muss notwendigerweise ein unmittelbarer Interpretant evoziert werden: Der Unmittelbare Interpretant ist das, was notwendigerweise hervorgebracht wird, wenn das Zeichen ein solches sein soll. Er ist eine vage mögliche Bewußtseinsbestimmung, eine vage Abstraktion. (SEM3: 244; Hervorh. im Original) Peirce bestimmt unmittelbare Interpretanten durch Möglichkeit und Vagheit. Damit markiert er die Erstheit des unmittelbaren Interpretanten, wenn er am Interpretations- und Erkenntnisprozess beteiligt ist. Unmittelbare Interpretanten sind also keine konkreten Zeichenbzw. Interpretantenereignisse, sondern eine abstrakte Kategorie zur Bestimmung möglicher z. B. kognitiver, affektiver und/ oder habitueller Strukturen und Prozesse (und weisen so gewissermaßen strukturelle Ähnlichkeiten zum Zeichenaspekt des Qualizeichens auf). Neben der Funktion der Möglichkeit verbindet Peirce mit unmittelbaren Interpretanten den Begriff der Vagheit. 24 Der Begriff der Vagheit impliziert bei Peirce eine Vagheitslogik, welche sich mit den “ conditions of production and determination of meaning ” (Engel- Tiercelin 1991: 1) beschäftigt. Während andere logische Modelle mit konkreten oder abstrakten Einheiten arbeiten, führt Peirce mit seiner Vagheitslogik ein diffuses Element in seine Zeichenlogik ein, welches spezifische Zeicheninterpretationen mitkonstituiert. Vagheit lässt sich weder mit spezifischen bzw. konkreten Bedeutungsgehalten noch mit abstrakten Bedeutungen gleichsetzen. Vielmehr markiert Vagheit die Logik der Interpretation des Zeichens selbst. Vagheit ist eine Bedingung, damit ein Zeichen bedeutungs- 24 “ Now it is of the essential nature of a symbol that it determines an interpretant, which is itself a symbol. A symbol, therefore, produces an endless series of interpretants. [ … ] But the direct interpretant of any symbol must be in the first stage of it be merely the tabula rasa for an interpretant. Hence the immediate interpretant of this vague Nothing was not even determinately vage, but only vaguely hovering between determinacy and vagueness; and its immediate interpretant was vaguely hovering between vaguely hovering between [sic! ] vagueness and determinacy and determinate vagueness or determinacy, and so on, ad infinitum. ” (E2: 322 f.: Hervorh. im Original, zum Konzept der Vagheit bei Peirce cf. auch Engel-Tiercelin 1991, Tiercelin 2019) 2 Zeichentheoretische Grundlagen 49 haft werden kann: Ohne den unmittelbaren Interpretanten können Zeichen damit nicht verstanden werden, weil er Möglichkeit und Vagheit von Interpretationsprozessen bereitstellt. Er funktioniert als Interpretierbarkeit des Zeichens selbst. Insofern ähnelt die Funktion des unmittelbaren Interpretanten der Funktion des unmittelbaren Objektes. Während die logische Darstellung des unmittelbaren Objektes garantiert, dass Phänomene in der Peirce'schen Semiotik zeichenhaft werden können, erfasst der Interpretations- und Erkenntnisaspekt des unmittelbaren Interpretanten die Interpretierbarkeit des Zeichens. Unmittelbare Interpretanten lassen sich demnach als vage Bedingungen spezifischer Signifikanzen, welche Peirce vereinzelt auch “ schema ” 25 (CP 8.314) nennt, beschreiben. Während sich unmittelbare Interpretanten noch durch Möglichkeit und Vagheit der kognitiven Realisation des Zeichenereignisses definieren lassen, sind dynamische Interpretanten aktuelle Zeicheneffekte, die durch Zeichenmittel in Kraft gesetzt werden: Der Dynamische Interpretant ist ein tatsächliches Ereignis, das tatsächlich aus dem Einfluß des Zeichens resultiert, und eine tatsächliche Bestimmung eines existierenden Geistes, sich durch den Zwang (force) des Zeichens in ein Zuordnungsverhältnis (correspondence) zu einem Objekt zu begeben. (SEM3: 224, Hervorh. im Original) Unmittelbare Interpretanten erfüllen sich mit dynamischen Interpretanten. Sie bestimmen das Zeichen (entgegen seiner vorherigen Vagheit) und sind damit eine spezifische aktuelle Interpretation des Zeichenmittels bzw. dessen Verhältnis zum Objekt (und erfüllt so einen möglichen Interpretanten), welches im Ereignis der Interpretation kognitiv-semiotisch präsent ist. Kraft seiner zweitheitlichen kategorialen Bestimmung sind dynamische Interpretanten selbst nicht typisierbar, sondern zeichnen sich durch zeitlich-räumliche sowie interpretative Differenzen aus. Dynamische Interpretanten sind die Interpretation dieses Zeichens. Sie sind eine konkrete Interpretation im Rahmen eines Zeichenprozesses. Neben der Interpretierbarkeit und dem aktuellen Interpretationsereignis des Zeichens erfordert Interpretation einen regelhaften Interpretationsprozess, der sich im finalen Interpretanten manifestiert. Peirce schreibt in einem Brief an Lady Victoria Welby: My Final Interpretant is [ … ] the effect the Sign would produce upon any mind upon which circumstances should permit it to work out its full effects. (SS: 110, Hervorh. im Original) Finale Interpretanten gehen über dynamische Interpretanten hinaus, da sie vollständige Zeichenrelationen und -konstellationen implizieren, die sich aus der Interpretation des Zeichens ergeben können bzw. unter idealen Umständen zustande kommen könnten. Finale Interpretanten stellen somit die idealen Zeicheneffekte eines Zeichens dar. Insbesondere in diskursiven Praktiken sind solche idealen Zeicheneffekte niemals vollständig erkennbzw. erfahrbar. Mehr noch: “ There is [ … ] no final confluence of interpretations. ” (Short 2007: 190) Es gibt nicht nur keine vollständige Interpretation eines Zeichens, sondern jedes Zeichen ist auch in weitere Zeichen- und Interpretationszusammenhänge eingebettet. Nichtsdestotrotz rahmen finale Interpretanten Interpretations- und Erkenntnisprozess insofern ein, dass sie Interpretation regulieren. Während unmittelbare Interpretanten Interpretation ermögli- 25 Der Begriff des Schemas, wie er von kognitiven Linguisten, Kognitionswissenschaftlern und Gestaltpsychologen verwendet wird (cf. z. B. Barsalou 1992, Bartlett 1932, Fauconnier 1994, 1997, Langacker 1987, 1991, 2002, Minsky 1988), ähnelt dem Verständnis Peirces. 50 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen chen, sind finale Interpretanten insofern restriktiv, dass sie die möglichen dynamischen Interpretanten eingrenzen und damit einen interpretatorischen Relativismus einhegen. Mithilfe der Darstellung von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten lässt sich nun der Interpretations- und Erkenntnisprozess nachzeichnen: Interpretationen sind bestimmt durch vage und mögliche Interpretationen (unmittelbare Interpretanten), mithilfe derer sich die Interpretierbarkeit des Zeichens erklären lässt, die aber auch die spezifischen Interpretationen mitstrukturieren. Spezifische Interpretationen (dynamische Interpretanten) sind konkrete Zeichen- und Interpretationsereignisse im Rahmen semiotischer Praktiken, die sich durch zeitlich-räumlich gebundene semantische Gehalte und/ oder pragmatische oder diskursive Signifikanzen erklären lassen. Das Streben zur gesättigten Interpretation, aber auch die weiteren interpretativen Effekte eines Zeichens (finaler Interpretant) bilden strukturell dann die weiteren Zeichenrelationen und -konstellationen, die ein Zeichen erzeugen kann, und stellen damit einen möglichen Kanon zur Interpretation von spezifischen Zeichen bereit. Die Analyse des Interpretations- und Erkenntnisprozesses ist für die Analyse von diskursiven Praktiken insofern wichtig, weil sie zeigt, dass Zeichen keineswegs immer konkrete Bedeutungen haben, sondern diese sich stets in Interpretations- und Erkenntnisprozessen erweisen müssen (und damit der Pragmatischen Maxime genügen). Das Konzept des unmittelbaren Interpretanten ist dann relevant, wenn es darum geht, warum ein Zeichen überhaupt als solches interpretiert wird (und so eine gewisse Signifikanz und Salienz aufweist). Außerdem kann eine theoretische Nachzeichnung des Interpretations- und Erkenntnisprozesses zeigen, dass Zeichen auf unterschiedliche Weise interpretiert werden und damit auch unterschiedliche Effekte entfalten können. Daher sollte bei der Betrachtung von sprachlichen Zeichen in diskursiven Praktiken stets das Verhältnis von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten berücksichtigt werden, um die möglichen Interpretationen einerseits und die konkreten, spezifischen (und vielleicht latenten) Interpretationen andererseits zu unterscheiden. Die Achse der unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten zeichnet zwar den Interpretations- und Erkenntnisprozess nach, erklärt aber noch nicht verschiedene Arten der Interpretation. Auf Zeichen können Erkenntnissubjekte schließlich unterschiedlich reagieren, z. B. durch emotionale Regungen, Verhaltensweisen oder sprachliche Äußerungen. Peirce erfasst mit dem Konzept des Interpretanten damit nicht nur z. B. sprachliche Bedeutung, sondern beschreibt verschiedene Typen von Interpretationseffekten ebenfalls, wenn er von emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten spricht. Diese Gliederung steht der Unterscheidung von unmittelbaren, dynamischen und finalen Interpretanten gewissermaßen gegenüber. Sie konkurriert nicht mit ihr, sondern ergänzt die verschiedenen Ebenen des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses um spezifische Typen von Interpretationseffekten. Emotionale Interpretanten sind affektive Empfindungen, Eindrücke und/ oder Gefühle, die kraft eines Zeichens evoziert werden. Beispielhaft nennt Peirce den Zeicheneffekt, den Musikstücke auf HörerInnen haben können: Thus, the performance of a piece of music is a sign. It conveys, and is intended to convey, the composer's musical ideas; but these usually consist merely in a series of feelings. If a sign produces 2 Zeichentheoretische Grundlagen 51 any further proper significate effect, it will do so through the mediation of the emotional interpretant[.] (CP 5.475) Peirce beschreibt hier emotionale Interpretanten, welche in einer erstheitlichen Empfindung bestehen. Es handelt sich hierbei eher um einen diffusen Eindruck, den das Zeichen auf das Erkenntnissubjekt hat, und nicht um ein konkretes oder gar ein rationalisierbares Verständnis des Zeichens. Emotionale Interpretanten lassen sich zwar im Rahmen der Zeichentheorie darstellen, müssen aber in diskursiven Praktiken keine diskursive Relevanz entwickeln, weil sie nicht unter den spezifischen Regeln der Praxis entstehen. Emotionale Interpretanten sind vielmehr unmittelbare Affekte, die keine kategoriale Unterscheidung zwischen Zeichen und Erkenntnissubjekt zulassen und damit eben erstheitlich sind. Energetische Interpretanten hingegen sind Interpretanten, die Verhalten auslösen. Weil sie zweitheitlich strukturiert sind, kann zwischen Zeichen und Verhalten kategorial unterschieden werden. Peirce veranschaulicht energetische Interpretanten am Beispiel eines Kommandos: Suppose, for example, an officer of a squad or company of infantry gives the word of commands, ‘ Ground arms! ’ This order is, of course, a sign. That thing which causes a sign as such is called the object (according to the usage of speech, the ‘ real, ’ but more accurately, the existent object) represented by the sign: the sign is determined to some species of correspondence with that object. In the present case, the object the command represents is the will of the officer that the butts of the muskets be brought down to the ground. (CP 5.473, Hervorh. im Original) Das Kommando bewirkt einen energetischen Interpretanten, welcher sich in der Niederlegung der Waffe zeigt (cf. auch CP 8.315), welches das evozierte Verhalten darstellt. Der energetische Interpretant ist der kognitive Prozess, der zur Befehlsbefolgung führt. Peirces Beispiel ist dabei nicht zufälligerweise in einem militärischen und damit stark institutionalisierten Kontext eingebettet. Die Reaktion auf den Befehl muss ad hoc geschehen, damit es sich um eine zweitheitliche und damit quasi-kausale Relation zwischen Zeichen und Folgeverhalten handelt. Der Kontext verhindert, dass der Befehl reflektiert wird (und damit im Rahmen einer rationalen Praxis drittheitlich strukturiert wäre). Das Verhalten muss unmittelbar auf das Zeichen folgen (und ist damit gewissermaßen antrainiert). Gleichzeitig reduzieren sich energetische Interpretanten nicht auf konventionalisierte Verhaltensweisen, sondern auch computationales, animalisches oder anderes Verhalten kann als kraft energetischer Interpretanten bewirkt gelten. Die von Peirce beschriebene Befehlsbefolgung der Soldaten ist eher ein degenerativer energetischer Interpretant, da die Befehlsbefolgung nur unter der Bedingung konventioneller (und hier sogar institutionalisierter) Zeichenprozesse möglich wird, während tierische oder maschinelle Tätigkeiten sich vielfach über ihre unmittelbare Reaktion auf einen Zeichenstimulus auszeichnen. Zeicheneffekte lassen sich aber nicht auf Affekte und/ oder Verhalten reduzieren. Insbesondere für eine Analyse von diskursiven und sprachlichen Praktiken ist eine Analyse mithilfe von emotionalen und energetischen Interpretanten nicht hinreichend, weil sich diese Praktiken nur kraft Normen, Konventionen und Regeln erklären lassen. Peirces Konzept des logischen Interpretanten beschreibt eben solche drittheitlichen Zeicheneffekte: Erst mit logischen Interpretanten setzen Denken, Logik und Rationalität ein und Zeichenpraktiken können sich diskursiv, narrativ, normativ und historisch entfalten. 52 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Entsprechend differenziert sich die Drittheit des logischen Interpretanten sowohl in ihrer begrifflichen Struktur als auch in ihren inferenziellen Relationen aus. 26 Weil logische Interpretanten nicht nur in der Semiotik Peirces, sondern auch für die hier erfolgende Modellierung und Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken äußerst relevant sind, sollen im Folgenden sowohl die unterschiedlichen strukturellen Ebenen von logischen Interpretanten einerseits (Rhema, Dicizeichen und Argument), aber auch die inferenziellen Strukturen andererseits (Deduktion, Induktion und Abduktion) vorgestellt werden. Entlang dieser begrifflichen, propositionalen und inferenziellen Strukturen lassen sich die semiotisch-kognitiven Prozesse erklären, die diskursive Wesen auszeichnen. Während Begriffe der inferenziellen Struktur wie Deduktion, Induktion und Abduktion in geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen vielfach verwendet werden, sind die Ausdrücke Rhema, Dicizeichen und Argument, wie sie Peirce verwendet, spezifisches logisches Vokabular. 27 Ein Rhema, welches Peirce auch Begriff nennt, ist ein erstheitlicher logischer Interpretant bzw. “ ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der qualitativen Möglichkeit ist, das heißt, es wird so verstanden, daß es die und die Art eines möglichen Objekts repräsentiert ” (PLZ: 125). Rhemata bzw. Begriffe beinhalten in ihrer modalen Struktur daher noch keine aktualisierten Eigenschaften, sondern diese müssen sich erst noch ereignen. Sie sind demnach frei flottierende Eigenschaftspotenziale, die sich jeglicher Wahrheits- und Angemessenheitsfunktionalität entziehen. Ein Begriff wie menschlich (F MENSCHLICH ) hat demnach noch kein korrespondierendes Objekt, welchem die Eigenschaft zugeschrieben werden kann bzw. welches über diese Eigenschaft verfügt. Ähnlich wie Qualizeichen oder unmittelbare Interpretanten, die sich ebenso wie Rhemata durch ihre erstheitliche Struktur auszeichnen, funktionieren auch Rhemata zunächst als logische, kognitive bzw. rationale Potenziale, die keine Ereignisstruktur aufweisen. Sie sind eben nicht zweitheitlich und 26 Ich lasse hier den Begriff des ultimativen logischen Interpretanten weg, der Peirces Zeichentheorie und Zeichenprozesse ergänzt. Ultimative logische Interpretanten sind selbst keine Zeichen im engeren Sinne (cf. Short 2007: 172), denn durch sie findet der Zeichenprozess realiter seinen Abschluss. Eben deshalb unterscheidet sich der ultimative logische Interpretant auch vom finalen logischen Interpretanten, welcher die ideale Zeichenbedeutung erfasst. Auch wenn im Zeichen- und Interpretationsprozess die ideale Zeichenbedeutung verpasst wird, können sich doch ultimative logische Interpretanten bilden (cf. Short 2007: 57 f.). Ultimative logische Interpretanten sind Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die sich aus logischen Interpretanten ergeben (cf. Short 2007: 173). Sie sedimentierten sich als spezifische Erfahrungsgewohnheiten, welche wiederum Handlungen, Erfahrungen, Zeichenkonstitutionen und -bedeutungen beeinflussen. Rosenthal (1990: 200) erfasst dies, wenn sie den Objektivitätscharakter des ultimativen logischen Interpretanten analysiert: “ The ultimate logical interpretant incorporates an objectivity as that which essential characteristics must apply and to which an indefinite number of non-essential characteristics may or may not apply, and it will cancel out as ‘ unreal ’ those characteristics which do not fit consistently within the range constituted by the perceptual unity. ” Was mal ultimativer logischer Interpretant war, kann aber wieder in inferenzielle logische Relationen eingebunden werden und in den Prozess der Zeichenbewegungen eintreten. 27 Peirce verwendet in seinen Publikationen unterschiedliche Ausdrücke, um die Trichonomie Rhema/ Dicizeichen/ Argument zu beschreiben. Fast jährlich verändert er das Vokabular zur Bezeichnung (cf. Short 2007: 232). Strittig ist, ob die unterschiedlichen Ausdrücke, die diese Trichotomie supplementieren, diegleichen, ähnliche oder unterschiedliche theoretische Konzepte bezeichnen. Im Rahmen dieser Arbeit ist es hinreichend, wenn allein eine Trichotomie der begrifflichen Struktur beschrieben wird. Gleichzeitig werden die Ausdrücke Rhema, Dicizeichen und Argument mit Begriff, Proposition und Inferenz synonym verwendet. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 53 damit keine Ereigniskategorie. Rhemata stellen vielmehr die kleinsten bedeutungs- und signifikanzpotenziellen Elemente von kognitiv-semiotischen Prozessen dar. Während die Erstheit der Rhemata die begriffliche Potenzialität darstellt, ereignen sich Zeichen zumindest in ihrer zweitheitlichen logischen Struktur, die Peirce Dicizeichen nennt: Ein [ … ] Dicizeichen ist ein Zeichen, das für seinen Interpretanten ein Zeichen der aktualen Existenz ist. Es kann deshalb kein Ikon sein, das für seine Interpretation, die sich auf aktuale Existenz bezieht, keinen Anhaltspunkt liefert. Ein Dicizeichen schließt notwendig als einen seiner Teile ein Rheme ein, indem dieses die Tatsache beschreibt, die zu indizieren das Dicizeichen interpretiert wird. (PLZ: 125) Dicizeichen involvieren zumindest ein Rhema, sind aber gleichzeitig nicht auf eine Kombination mehrerer Rhemata reduzierbar. In seiner ereignishaften Struktur erlangt das Zeichen eine indexikalische Objektrelation, sodass das Ereignis des Dicizeichens ermöglicht, diesem Wahrheitsbzw. Angemessenheitsfunktionalität zuzuerkennen. Erst durch den Bezug zur Objektwelt kann das Dicizeichen mit dieser verglichen werden, sodass z. B. der Wahrheitsgehalt einer Aussage beurteilt werden kann. Das Bedeutungspotenzial des Rhemas wird in Verhältnis zu den Objekten der Welt gesetzt. Diese doppelte semiotische Struktur des Dicizeichens, also Bezug zu Objekten der Welt und semantischer Gehalt, deren Bestandteile man auch Subjekt und Prädikat nennen kann, ermöglicht auch einen doppelten Objektbezug des Zeichens. Diese doppelte Struktur des Dicizeichens fasst Peirce folgendermaßen zusammen: Erstens: Es muß, um verstanden werden zu können, als aus zwei Teilen bestehend betrachtet werden. Von diesen ist oder repräsentiert der eine Teil, den man Subjekt nennt, einen Index von einem Zweiten, das unabhängig von seinem Repräsentiert-Sein existiert, während der andere Teil, den man Prädikat nennen kann, ein Ikon einer Erstheit (oder Qualität oder Essenz) ist und darstellt. Zweitens: Diese beiden Teile müssen als verbunden betrachtet werden, und das auf solche Weise, daß, wenn das Dicizeichen überhaupt ein Objekt hat, es (das Dicizeichen) ein Index einer Zweitheit sein muß, die zwischen dem Realen Objekt, das in einem repräsentierten Dicizeichen als ein zu Indizierendes dargestellt wird, und einer Erstheit subsistiert, die in dem anderen repräsentierten Teil des Dicizeichens als ikonisch Abzubildende dargestellt wird. (PLZ: 74, Hervorh. im Original) Die Struktur des Dicizeichens lässt sich als eine logische Grammatik der Subjekt-Prädikat- Struktur erfassen, die sich formallogisch als F(x) notieren lässt. F stellt dabei die Potenzialität des Rhemas dar, ist aber im semiosischen Ereignis selbst kein genuines Rhema mehr, da es bereits in einer zeichenhaften Relation zum Zeichenobjekt, der rhematischen Eigenschaft, steht (ikonisch). Prädikate sind damit semiosische Begriffe, prädikative Strukturen nur innerhalb propositionaler Strukturen möglich. Dicizeichen weisen neben ikonischen Qualitäten zudem zeitlich-räumliche Situierungen auf, die die prädikative Struktur beurteilbar machen. Zur Prädikation kommt etwas (x) hinzu, welches indexikalisch relationiert ist. Dieser Aspekt des Dicizeichens wird vom logischen Subjekt markiert. Es übernimmt die indexikalische Verweisstruktur, welche es ermöglicht, dass tatsächlich Objekte über spezifische Eigenschaften verfügen. Wesentliche semiotische Objektrelationen sind also die indexikalische Relation des logischen Subjekts sowie die ikonische Relation des Prädikats. 54 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Die Darstellung von Subjekt und Prädikation sowie deren indexikalischen und ikonischen Relationen reicht für die Bestimmung der Funktionalität des Dicizeichens jedoch nicht aus. Vielmehr ist die Relation zwischen Subjekt und Prädikat selbst ein Element des Dicizeichens. Würde die Relation selbst nicht bestehen, wäre die Erscheinung zweier willkürlicher bzw. zufälliger (indexikalischer bzw. ikonischer) Rhemata hinreichend, um Dicizeichen zu konstituieren. Vielmehr ist es die genuine Funktion der Dicizeichen, dass unterschiedliche Zeichenqualitäten kraft unterschiedlicher Objektrelationen auf dasselbe Objekt verweisen können. Und dies ist nur unter der Bedingung der Relation von Subjekt und Prädikat möglich. Insbesondere, wenn das Konzept des Dicizeichens bzw. der Proposition für die Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken nützlich sein soll, dann müssen nicht nur logisches Subjekt und Prädikat, sondern auch deren Relation berücksichtigt werden. Die Analyse von Propositionen bzw. propositionalen Gehalten gehört zum Standardrepertoire der Sprachphilosophie und Linguistik, nicht aber die Analyse der konstitutiven Kraft der Relation zwischen Subjekt und Prädikat. Insbesondere, wenn es um Signifikanz von Verben in diskursiven Praktiken geht, die Relationen stiftet und die Semiose von Behauptungen und anderer sprachlicher Handlungen konstituiert, wird die Funktion noch auszuführen sein (cf. ausführlich Kapitel 12.2). Argumente sind drittheitliche logische Interpretanten, die andere Funktionen als Propositionen übernehmen. Ein Argument ist “ ein Zeichen, dessen Interpretant sein Objekt mittels einer Gesetzmäßigkeit als ein darüber hinausgehendes Zeichen darstellt, nämlich mittels des Gesetzes, daß der Übergang von allen derartigen Prämissen zu derartigen Konklusionen zur Wahrheit tendiert ” (PLZ: 132). Kraft Argumenten werden Dicizeichen in inferenzielle Relationen eingegliedert, sodass die einzelnen Propositionen in semiotischen Inferenzprozessen entweder als Prämisse oder als Konklusion auftreten können. Ähnlich wie beim Verhältnis von Rhemata und Dicizeichen sind auch Argumente nicht auf eine Mehrzahl von Propositionen reduzierbar, sondern ist vielmehr die Relation zwischen diesen für Argumente ausschlaggebend. Relevant sind also die regulative Kraft und die objektrelationale Kongruenz 28 . Während Propositionen nach Wahrheits- und Angemessenheitskriterien beurteilbar sind, können die spezifischen Regeln (nach Peirce: Gesetzmäßigkeiten) erst in ihren inferenziellen Relationen bestimmt werden. Erst die regulative Kraft, die mindestens zwei Propositionen in Schlussprozessen zusammenführt, ermöglicht auch die spezifischen kontextuellen und situativen Bewertungen konkreter Propositionen. Neben inferenziellen Relationen zwischen Dicizeichen konstituieren Argumente außerdem Objektkongruenz. Kraft der regulativen Relation können die im Inferenzprozess involvierten Dicizeichen auf dasselbe Objekt verweisen bzw. dieselben Objekte in Relation setzen. Ähnlich wie die rhematische Objektkongruenz ermöglichen Argumente, dass die argumentativen Propositionen nicht willkürliche bzw. zufällige Objekte relationieren, sondern die unterschiedlichen Objektrelationen (z. B. die jeweilige 28 Ich verwende den Ausdruck der objektrelationalen Kongruenz bzw. Objektkongruenz, weil es sich um eine Qualität der Grammatik des Zeichens und nicht um Koreferenz handelt. Erst eine Objektkongruenz zweier Dicizeichen ermöglicht, dass auch dasselbe Objekt referiert wird. Objektrelationale Kongruenz ist die Bedingung, damit Koreferenz möglich ist. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 55 indexikalische Relation beider Propositionen) auf dasselbe Objekt verweisen. Insofern konstituiert sich in der Semiotik Peirces mit der kraft der argumentativen Struktur konstituierten Objektkongruenz auch Koreferenz. Diese Objektkongruenz ist für die folgende Analyse von diskursiven Praktiken insbesondere dann wichtig, wenn ich erkläre, warum spezifische semantische Gehalte und pragmatische, sozial-normative und diskursive Signifikanzen trotz einer zeitlich-räumlichen Dynamik konstant auf spezifische Objekte, Ereignisse und Personen angewandt werden können (cf. Kapitel 15.4). Peirce unterscheidet drei unterschiedliche Inferenzprozesse bzw. Argumente: Deduktion, Induktion und Abduktion. Diese Begriffe bezeichnen unterschiedliche Argumenttypen, die unterschiedliche Erkenntnisprozesse erfassen. Induktion, Deduktion und Abduktion sind hier nicht vorwiegend Begriffe einer wissenschaftlichen Methode, wie sie in wissenschaftstheoretischen und methodologischen Reflexionen verwendet werden. Die Ausdrücke dienen vielmehr der Darstellung von semiotisch-kognitiven Prozessen, die einer Interpretations- und Erkenntnislogik folgen. Demnach sind nicht nur Wissenschaftler, Forscher und Philosophen fähig, (angemessene) Inferenzen zu ziehen, sondern auch Gesprächsteilnehmer und andere Partizipanten sprachlicher Praktiken. Deduktionen zeichnen sich erkenntnislogisch durch ihre notwendige Folgeinferenz aus. Aus den prämissiven Propositionen (Ober- und Untersatz) konstituiert sich eine konklusive Proposition (Konklusion), wie Peirces Folgebeispiel zeigt (cf. CP 2.623): Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Die Konklusion (hier: Ergebnis) muss sich logisch aus den Prämissen (hier: Regel und Fall) ergeben. Das Inferenzverhältnis ist notwendig, wenn Regel und Fall anerkannt werden. Ohne die Tilgung von Regel und Fall ist das Ergebnis nicht anzweifelbar. Induktive Inferenzen kehren die Erkenntnislogik gewissermaßen um, indem von Fall und Ergebnis auf eine Regel geschlossen wird. Der Inferenzprozess des Bohnenbeispiels Peirces muss entsprechend umgeordnet werden, um induktive Schlüsse zu veranschaulichen (cf. CP 2.623): Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Bei induktiven Inferenzen ergibt sich die Konklusion ebenfalls aus ihren Prämissen, doch handelt es sich nicht um ein strenges Notwendigkeitsverhältnis. Regeln, die induktiv erschlossen werden, erklären, inwiefern Fall und Ergebnis in einem regelmäßigen Verhältnis stehen. Die induzierte Regel erklärt das geordnete Ereignis, welches in den Prämissen benannt wird. Alltags- und erkenntnislogisch implizieren induktive Inferenzen deshalb ein vages Moment, weil sich zwar notwendigerweise eine Regel aus den induktiven Prämissen ergibt, diese Prämissen sich aber aus einem spezifischen Erfahrungsraum ergeben. Alternative 56 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Prämissen und Propositionen können die konkludierte Regel anzweifeln (Induktionsproblem). Während Deduktion und Induktion bereits in der syllogistischen Logik von Aristoteles untersucht werden, führt Peirce einen dritten Schlussfolgerungsprozess in die Erkenntnislogik ein, welcher neue Erfahrungen, Überzeugungen und Hypothesenbildung in der Erkenntnispraxis ermöglicht: Abduktionen. Die konstitutive Kraft abduktiver Inferenzen liegt in einer Erzeugung neuer Propositionen, die sich nicht notwendigerweise aus den Prämissen ergeben. Vielmehr wird kraft des Abduktionsprozesses ein Erkenntnisüberschuss erzeugt, der sich als neue/ kreative Überzeugung (Konklusion) präsentiert und damit Hypothesen bildet. Auch das Bohnenbeispiel, welches bereits deduktive und induktive Inferenzprozesse veranschaulicht hat, kann abduktive Prozesse darstellen (cf. CP 2.623): Regel: Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß. Ergebnis: Diese Bohnen sind weiß. Fall: Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Aus den beiden Prämissen (Regel und Ergebnis) wird auf den aktuellen Fall geschlossen. Formal scheinen sich deduktive und abduktive Inferenzen deshalb zunächst nicht zu unterscheiden. Beide generieren aus einer Regel und einer Proposition eine andere Proposition. Abduktionen unterscheiden sich in zwei wesentlichen Aspekten von Deduktionen: Zeit und Überraschung. In abduktiven Inferenzen sind Ergebnis und Fall zeitlich differente Propositionen. Das Ergebnis wird im abduktiven Erfahrungsprozess wahrgenommen, während der Fall erklärt, warum das Ergebnis (unter der Regel) stattfinden kann. Damit findet/ fand der Fall zeitlich versetzt zum Ergebnis statt. Das Verhältnis von Fall und Ergebnis zeichnet sich also nicht allein durch eine formallogische Relation, sondern durch ein temporales Ereigniskonditional (Wenn x t0 , dann y t1 ) aus. Während der Informationsgehalt der Konklusion bei Deduktionen bereits in den Prämissen impliziert ist, ist das Ergebnis in abduktiven Inferenzprozessen überraschend bzw. unerwartet und muss mittels bisheriger Erfahrungen und/ oder Überzeugungen interpretiert werden. Somit ist die Überraschung selbst konstitutiv für die Erkenntnislogik der abduktiven Erfahrungspraxis: Eine überraschende Tatsache C wird beobachtet; aber wenn A wahr wäre, würde C eine Selbstverständlichkeit sein; folglich besteht Grund zu vermuten, daß A wahr ist. (VP: 129) Etwas Überraschendes ereignet sich. Die Erklärung dieses Sachverhaltes erfordert eine Prämisse, die aber nicht eingetreten sein muss, sondern kann. Es muss also erklärt werden, wie der Sachverhalt möglich ist, ohne die geltende Regel zu verletzen. Ein alltägliches Beispiel: Ich sitze morgens in der Küche und frühstücke. Pünktlich um 8 Uhr, wenn ich meinen Kaffee getrunken habe, klingelt normalerweise der Zeitungsbote und bringt mir meine Tageszeitung. Heute allerdings warte ich vergeblich. Es ist bereits 8: 30 Uhr und der Zeitungsbote ist immer noch nicht da. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 57 In einem solchen Szenario können abduktive Schlussprozesse den überraschenden Sachverhalt erklären. Logisch lässt sich das Szenario folgendermaßen notieren: Regel: Normalerweise bringt mir der Zeitungsbote um 8 Uhr die Tageszeitung. Ergebnis: Es ist 8: 30 Uhr und der Zeitungsbote hat noch nicht geklingelt. Fall: ? Um das Ergebnis (das Nichterscheinen des Zeitungsboten) zu erklären, muss eine Hypothese gebildet werden, die mir erklärt, unter welchem Fall die Regel erhalten bleibt. Der erklärende Fall ergibt sich nicht notwendigerweise aus Regel und Ergebnis, sodass als Konklusion viele Propositionen möglich sind: Der Zeitungsbote könnte die Zeitung in meinen Briefkasten geworfen haben, er könnte in einen Unfall verwickelt sein, der Verlag der Tageszeitung könnte Insolvenz angemeldet haben etc. Die Möglichkeiten der Hypothesenbildung sind dabei potenziell unbegrenzt, aber nicht willkürlich: Zur Erklärung des Sachverhalts wird die Hypothese gewählt, die plausibel erscheint (cf. Harman 1965). Dabei wird Welt- und Kontextwissen (also z. B. andere Überzeugungen) herangezogen, welches sich in anderen Zeichenprozessen sedimentiert hat und damit auch ein Zeicheneffekt vergangener Semiosen ist. Anschließend kann ich auf Spurensuche gehen und diese Hypothese bestätigen oder verwerfen, indem ich z. B. zum Briefkasten gehe und nachschaue oder mich bezüglich der Insolvenz des Zeitungsverlags erkundige. Solche Ad-hoc-Hypothesenbildungen sind nicht periphere Erkenntnismomente, sondern als Erklärung überraschender Sachverhalte fundamental für die Erfahrungspraxis. Der Übergang von möglichen Konklusionen (abduktiv) zu logischen Notwendigkeiten (deduktiv) geschieht dabei flüchtig, denn die “ Abduktion ist der Prozeß von Assoziationen in Abstraktionen und Implikationen ” (Wirth 1995: 408). Ereignisse der Wirklichkeit werden in Zusammenhänge gebracht und regulativ mit induktiven und deduktiven Inferenzen gerechtfertigt. Einfach ausgedrückt: Abduktion ist Hypothesenbildung. Strukturen und Funktionen, Verhaltens- und Handlungsweisen und Effekte zwischen Ergebnis und Fall werden erklärt. Hypothesen sind nicht exzeptionell wissenschaftlich, sondern erfassen Logiken, Rationalitäten und Erklärungsmuster, die in unterschiedlichen diskursiven Praktiken erscheinen. Ereignisse, die an bisherigen Überzeugungen zweifeln lassen, erfordern die Auseinandersetzung mit diesen. Abduktionen dienen deshalb zunächst dazu, in “ das verworrene Durcheinander gegebener Tatsachen eine nicht gegebene Idee einzuführen, deren einzige Rechtfertigung darin besteht, dieses Durcheinander in Ordnung zu bringen ” (NZ: 333). Mithilfe der Abduktion können nun entsprechende Tatsachen in ein Ordnungssystem eingegliedert werden. Zusammenfassend lassen sich die Eigenschaften von Deduktion, Induktion und Abduktion folgendermaßen zusammenfassen: Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative; Abduction merely suggests that something may be. (CP 5.171, Hervorh. im Original) Notwendigkeit (deduktiv), Operativität (induktiv) und (temporal-konditionale) Probabilität (abduktiv) sind damit die wesentlichen Eigenschaften, die Inferenzprozesse nach Peirce 58 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen aufweisen, und können so zur Untersuchung verschiedener Zeichenprozesse genutzt werden. 29 Die strukturellen Ebenen der logischen Interpretanten, aber auch ihrer inferenziellen Qualitäten differenzieren eine Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken aus, indem die inferenziellen Relationen in Zeichen- und Interpretationsprozessen mithilfe der verschiedenen Konzepte erklärt werden können. Peirce stellt ein semiotisches Vokabular bereit, welches die inferenziellen Relationen in Zeichen- und Interpretationsprozessen auf ihren unterschiedlichen Wirkungsebenen beschreibt, sodass sowohl begriffliche, propositionale, aber auch inferenzielle Aspekte untersucht werden können. Peirce nimmt in der Darstellung bereits inferenzialistische Theorien vorweg, die den Beitrag verschiedener logischer bzw. semiotischer Aspekte zu Inferenzen untersuchen. Peirces Konzept des Interpretanten, so hat sich gezeigt, lässt sich nicht auf rationale Interpretationen reduzieren, sondern umfasst eine Vielfalt an affektiven, verhaltensmäßigen, habituellen, kognitiven, bewussten, unbewussten und rationalen Zeicheneffekten und -kräften, die sich im Rahmen von Interpretations- und Erkenntnisprozessen entfalten können. Insofern ist es sinnvoll, die verschiedenen Aspekte des Interpretantenbegriffs Peirces noch einmal zusammenzufassen und für Interpretations- und Erkenntnisprozesse zu systematisieren. Interpretations- und Erkenntnisprozess Zeicheneffekte und -kräfte unmittelbar: Möglichkeit der Interpretierbarkeit des Zeichens (erstheitlich) dynamisch: aktuelles Ereignis des Interpretanten (zweitheitlich) final: idealer Zeicheneffekt (drittheitlich) emotional: Affekt bzw. Gefühl (erstheitlich) energetisch: Verhalten bzw. Tätigkeit (oder Handlung i. w. S.) (zweitheitlich) logisch: Logik, (schlussfolgerndes) Denken, Rationalität (drittheitlich) Rhema: Begriff (erstheitlich) Dicizeichen: Proposition (zweitheitlich) Argument: Inferenz (drittheitlich) Deduktion Induktion Abduktion Tab. 2: Typologie der Interpretanten 29 Notwendigkeit, Operativität und Probabilität sind nicht nur Eigenschaften sprachlicher Zeichen. Deduktion, Induktion und Abduktion sind universalsemiotisch, insofern, dass sich inferenzielle Prozesse auch bei der Wahrnehmung und Interpretation anderer (multimodaler) Zeichenprozesse nachweisen lassen. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 59 Die verschiedenen Ebenen des Interpretations- und Erkenntnisprozesses und die unterschiedlichen Zeicheneffekte und -kräfte lassen sich modellhaft für eine Analyse gegenüberstellen (Tab. 2). Zeichenprozesse involvieren damit einerseits unmittelbare, dynamische und/ oder finale Interpretanten, lassen sich aber gleichzeitig nach ihren emotionalen, energetischen und/ oder logischen Interpretanten befragen. Die verschiedenen Ebenen des Interpretations- und Erkenntnisprozesses und die unterschiedlichen Zeicheneffekte und -kräfte können sich in der Analyse insofern ergänzen, als dass sie unterschiedliche Facetten des Zeichenprozesses beleuchten. So kann z. B. eine Melodie hinsichtlich Interpretations- und Erkenntnisprozess und Zeicheneffekt und -kraft untersucht werden, um damit die spezifischen Zeichenmomente zu explizieren. So könnte sie im Moment der Aufführung auf der Achse dynamischer/ emotionaler Interpretant erklärt werden, während sie als Notation z. B. auf der Achse unmittelbarer/ emotionaler Interpretant dargestellt werden kann. Die Typologie der Interpretanten zeigt also, dass Erkenntnis- und Interpretationsprozess und Zeicheneffekte und -kräfte gemeinsam betrachtet werden können. Resümierend lässt sich unter dem Zeichenaspekt des Interpretanten, welcher neben dem Zeichenmittel und der Objektrelation respektive dem Objekt eine drittheitliche Zeichenkategorie darstellt, eine Vielfalt an Momenten, Ebenen und Aspekten des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses einerseits und den verschiedenen Zeicheneffekten und -kräften andererseits beschreiben. Unmittelbare, dynamische und finale Interpretanten erfassen, inwiefern ein Zeichen hinsichtlich seiner möglichen, aber von vagen Bedeutungseigenschaften (unmittelbarer Interpretant) in spezifischen Zeichenprozessen interpretiert werden kann (dynamischer Interpretant), obwohl jede Interpretation semiosisch weder hinreichend noch logisch abgeschlossen ist (finaler Interpretant). Die Zeicheneffekte und -kräfte, die Peirce mit den Konzepten der emotionalen, energetischen und logischen Interpretanten erläutert, umfassen z. B. affektive, habituelle und rationale Interpretationen und Reaktionen auf Zeichen. Dabei sind insbesondere, aber nicht nur logische Interpretanten für die Analyse von sprachlichen und diskursiven Praktiken relevant, weil diese die verschiedenen Ebenen von begrifflichen, propositionalen und inferenziellen Gehalten, Relationen und Prozessen analysieren können. Inferenzen nehmen dabei einen zentralen Aspekt im Rahmen von semiotischen Praktiken ein. Mithilfe von Deduktionen, Induktionen und Abduktionen lassen sich verschiedene (logische) Erkenntnis- und Interpretationsprozesse erklären, die auf Notwendigkeit, Operativität und Probabilität gründen und so z. B. Überzeugungen bestätigen oder Hypothesen (über die Wirklichkeit) bilden können. Für Untersuchungen wie diese, die an einer linguistischen Semantik-Pragmatik-Schnittstelle operieren und diskursive Praktiken zu analysieren suchen, ist der Zeichenaspekt des Interpretanten der wohl interessanteste, weil er Interpretationsprozesse, Bedeutungskonstitution und Signifikanzen darstellen kann. Insofern ist er auch für die folgende Theoriebildung maßgebend, auch wenn er als Ausdruck nicht immer explizit auftreten wird. Tatsächlich lassen sich Interpretanten weder auf semantische noch auf kognitive Aspekte reduzieren, was in den theoriebildenden Argumentationen in folgenden Aspekten nutzbar gemacht werden soll: (1) Interpretanten, insbesondere in ihrer inferenziellen Prozesshaftigkeit, finden sich (mit anderen theoretischen Implikationen) auch im normativen Inferenzialismus Robert B. Brandoms wieder, sodass mithilfe dessen Inferenzkonzepts die linguistischen und diskursiven Implikationen des Interpretantenkonzepts expliziert 60 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen werden können. Wenn also Inferenzen beschrieben werden, dann beruhen diese in der folgenden Theoriebildung immer auch auf Peirces Konzept des Interpretanten, weil dieses Konzept vor allem semiotische Aspekte von Inferenzen fokussiert. (2) Logische Interpretanten sind insbesondere deshalb interessant, weil sie, wenn man sie als Aspekte diskursiver Praktiken versteht, nicht nur begriffliche, propositionale und inferenzielle Gehalte, Prozesse und Relationen beschreiben können, sondern auch spezifische (normative und pragmatische) Signifikanzen inkorporieren. Insofern sind logische Interpretanten in Tätigkeiten und Handlungen involviert, sodass auch z. B. die Kraft von sprachlichen Handlungen mithilfe ihrer Struktur erklärt werden kann (cf. Kapitel 14). Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die verschiedenen sozial-kommunikativen Handlungen in diskursiven Praktiken untersucht werden. Ausgehend von der sprachlichen Handlung der Behauptung, wie sie Brandom analysiert hat, kann diese Handlung mithilfe der Semiotik Peirces, aber insbesondere dem Begriff des Interpretanten, als ein semiotischer Prozess beschrieben werden (cf. Kapitel 14.2). Dabei sind nicht nur Dicizeichen respektive Propositionen wichtig, sondern auch die inferenziellen Relationen, die die semantischen Gehalte und pragmatischen Signifikanzen in diskursiven Praktiken bestimmen. Insofern kann das Konzept des logischen Interpretanten spezifische Aspekte einer analytischen Sprachtheorie semiotisieren. Auch Rhemata bzw. Begriffe sind als semiotische Kategorie deshalb wichtig, weil sie semantische und pragmatische Aspekte von Zeichenpraktiken unterhalb der Satzbzw. Äußerungsebene erklären können. Insofern können Äußerungen nicht nur auf propositionaler, sondern auch auf subsentenzialer Ebene nach ihren semantischen Gehalten bzw. pragmatischen und normativen Signifikanzen befragt werden. (3) Bei der Modellierung der Semiose der Behauptung (und anderer sprachlicher Handlungen) kann mithilfe der Darstellung des Dicizeichens nicht nur auf die spezifische Relation zwischen Subjekt und Prädikat eingegangen und diese ausgeführt werden, sondern Peirces Beschreibung des Dicizeichens eröffnet gewissermaßen Raum für theoretische Reflexion und Argumentation. Weil er der Relation zwischen Subjekt und Prädikat eine konstitutive Rolle einräumt, kann ihre semiotische Struktur untersucht werden. In der folgenden theoretischen Reflexion werden deshalb (intentionale) Verben als Zeichen dargestellt, die sich nicht auf Subjekt-Prädikat-Strukturen reduzieren lassen, sondern Relationen konstituieren können, sodass ihre Signifikanz auch für die Konstitution der Semiose der Behauptung und ihrer Folgehandlungen relevant ist. Insofern lässt sich dank des Peirce'schen Dicizeichens (und des Behauptungsbegriffs Brandoms) eine linguistische Pragmatik erklären, die auf der Signifikanz von Verben gründet (cf. Kapitel 12 und 14). (4) Es sind aber nicht nur logische Interpretanten für die folgende Theoriebildung wichtig, sondern auch andere, z. B. energetische Interpretanten. Weil sich eine linguistische Pragmatik nicht nur über sprachliche, sondern auch über performative Aspekte auszeichnet, müssen handlungstheoretische Reflexionen erklären, warum Äußerungen Performanzen sind bzw. sein können. Einige Aspekte dieser Frage lassen sich mithilfe des Verhältnisses zwischen logischen und energetischen Interpretanten beleuchten, welches erklärt, inwiefern eine Tätigkeit (energetischer Interpretant) durch sprachliche, rationale und/ oder diskursive Aspekte (logische Interpretanten) strukturiert sein kann - kurz, warum Kommunizieren Handeln ist (cf. Kapitel 8, 9, 14 und 16). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 61 2.1.4 Zeichenkonstitution Nachdem nun nicht nur die verschiedenen Aspekte des Zeichens (z. B. Repräsentamen, Objekt und Interpretant), sondern auch ihre Effekt- und Kraftverhältnisse (z. B. Medialität, Signifikation und Repräsentation) vorgestellt und zum Erkenntnisinteresse der hier vorliegenden Arbeit (nämlich der Analyse von diskursiven Praktiken, der Konstitution von diskursiven Rollen und Verbsignifikanzen) in ein Verhältnis gesetzt wurden, soll nun Zeichenkonstitution beschrieben werden. Zeichenkonstitution ist ein ambiger Begriff (cf. hierzu z. B. Lange-Seidl 1981 b, 1981 c). Zwischen der Festlegung von Zeichen und Zeichensystemen sowie ihrer Verfasstheit oszillierend (cf. Lange-Seidl 1981 a) soll im Folgenden der Moment des Prozesses erklärt werden, welcher etwas als Zeichen interpretierbar macht. In diesem Moment wird etwas zum Zeichen, ist aber gleichzeitig wieder den dynamischen Zeichenprozessen unterworfen, die der Zeichengebrauch mit sich bringt. Insofern dient das folgende Kapitel einerseits der Zusammenfassung der bisherigen Darstellung des Zeichenbegriffs Peirces, bereitet aber gleichzeitig die Analyse von Zeichen- und Interpretationsprozessen vor, welche ebenfalls zur Konstitution von Zeichen beitragen. Die unterschiedlichen konstitutiven Prozesse und Relationen des Zeichens, die mithilfe des Vokabulars Peirces entwickelt wurden, stellen ein abstraktes Modell dar, welches zur Deskription und Analyse von Einzelzeichen und potenziellen Semiosen genutzt werden kann: Anhand der universalen phaneroskopischen Kategorien lassen sich zunächst grundlegende Seins- und Zeichenstrukturen ermitteln, die sich in mannigfaltiger Weise in den unterschiedlichen Erfahrungs-, Kognitions-, Handlungs- und Zeichenprozessen manifestieren. Dabei sind es nicht nur die unterschiedlichen Seinsweisen der Möglichkeit, Existenz und Realität, die die kategoriale Struktur des Zeichens bestimmen. Insbesondere Relata sowie dyadische und triadische Relationen nehmen eine wesentliche Rolle für die Konstitution von Zeichen sowie ihre Analyse ein. Diese Relationen können je nach Authentizität (genuin oder degenerativ) auf die unterschiedlichen Verstrickungen von erst-, zweit- und drittheitlichen Kategorien hinweisen. Neben den phaneroskopischen Kategorien wird das Zeichen von der Pragmatischen Maxime flankiert. Diese stellt nicht nur ein wissenschaftstheoretisches Prinzip und eine forschungspraktische Anweisung dar, sondern etabliert das Prinzip des semiotischen Pragmatismus in der Zeichenpraxis selbst, sodass sich die Zeichenfunktionalität am Zeichengebrauch und ihren Konsequenzen messen muss. Zeichen werden also nicht nur hinsichtlich ihrer universalen Kategorien analysiert, sondern auch hinsichtlich ihrer zeichengebrauchsspezifischen Interpretations- und Erkenntnisfunktionen und -zwecke. In der Amalgamierung von universalen Kategorien und Pragmatischer Maxime findet das Zeichen in diesem Modell seinen spezifischen Ort, sodass es mithilfe der Zeichenaspekte des Zeichenmittels, des Objektes respektive der Objektrelation und des Interpretanten analysiert werden kann. Ausgehend von der Erstheit des Zeichenmittels, welches sowohl materiale als auch mediale Aspekte involviert, lassen sich Möglichkeit, Ereignis und Regelhaftigkeit der Zeichenmittel systematisieren und mithilfe der Trias Ton, Token, Typ beschreiben. Die verschiedenen Typen von Zeichenmitteln lassen sich insbesondere dann auf die Analyse von diskursiven Praktiken anwenden, wenn Zeichen (explizit oder implizit) auftreten, die hinsichtlich ihrer Sprachsystematik sowie deren Genese beschrieben werden sollen. Insbesondere mit dem Verhältnis von Token und Typ lassen sich so Darstellungen 62 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen und Analysen vornehmen, welche die verschiedenen kategorialen Ebenen des konkreten Zeichenereignisses und des abstrakten Zeichentyps unterscheiden, aber doch deren systematische Beziehung erklären. Die Analyse des Zeichenobjektes ermöglicht es, nicht nur unterschiedliche Objektkategorien zu untersuchen (unmittelbare und dynamische Objekte), sondern auch die Relationalität zwischen Zeichenmittel und Zeichenobjekt zu erklären und damit die theoretischen Begriffe der Ikonizität, Indexikalität und Symbolizität einzuführen, welche unterschiedliche objektrelationale Qualitäten darstellen. Die Beschreibung der Objekte und Objektrelationen ist insbesondere dann für die Analyse von diskursiven Praktiken relevant, wenn es um wirklichkeitskonstitutive Zeichenprozesse geht. Weil Zeichen kraft ihrer Objektrelationen ihre Objekte gewissermaßen überlagern können, dient das theoretische Vokabular der Objekte und Objektrelationen auch der Unterscheidung von Repräsentation und Repräsentiertem. Neben der Darstellung von Zeichenmitteln, Objekten und ihren Relationen dient der Begriff des Interpretanten der Deskription der Drittheit des Zeichens (hier insbesondere im Rahmen von kognitiven Semiosen). Die theoretische Entwicklung des Interpretanten entfaltet sich einerseits entlang des Interpretations- und Erkenntnisprozesses (unmittelbare, dynamische und finale Interpretanten) und andererseits der Zeicheneffekte und -kräfte (emotionale, energetische und logische Interpretanten). Während die Logik des Interpretations- und Erkenntnisprozesses die Zeichenqualitäten von Interpretierbarkeit bis zum idealen Zeicheneffekt darstellt, gliedern sich Zeicheneffekte und -kräfte in vielfältige Klassen, deren drittheitlicher Typ (logischer Interpretant) nicht nur begriffliche und propositionale, sondern auch inferenzielle Zeichenprozesse analysieren kann. Das Vokabular der Interpretanten kann verschiedene semantische und pragmatische Prozesse in diskursiven Praktiken analysieren und semiotisch begründen. Insbesondere inferenzielle Prozesse, die an der Schnittstelle von Pragmatik und Semantik stattfinden und Signifikanz und relationale Struktur von intentionalen Verben kodeterminieren, stehen dabei im Mittelpunkt der Analyse. Die Zusammenfassung der Kräfte, Prinzipien, Kategorien, Relationen und Relata, die zur Konstitution des Einzelzeichens beitragen, beschreibt das, was in methodischer Reduktion als semiotisches Dreieck bezeichnet wird. Zwar scheint die Reduktion zunächst gerechtfertigt zu sein, doch verführt die hermetische Figur des Dreiecks dazu, das Zeichen selbst als vollendet zu begreifen. Zeichen sind im semiotischen Pragmatismus aber keine hermetischen Einheiten, sondern konstituieren sich nur im Verhältnis zu anderen Zeichen, wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird. Nichtsdestotrotz können Einzelzeichen auch dann analysiert werden, wenn nicht das gesamte semiosische Spektrum angenommen und modelliert wird. Um die Diskrepanz zwischen Einzelzeichen und Zeichenverhältnissen zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, zwischen einer internen und externen Zeichenperspektive zu unterscheiden. Erstere umfasst alle einzelne Zeichen betreffenden Aspekte (z. B. Kategorien, Pragmatische Maxime, Zeichenmittel, Objekt und Interpretant), während letztere die konstitutive Kraft zwischen verschiedenen Einzelzeichen in deren Prozess sucht. Aus einer internen Zeichenperspektive lässt sich ein Zeichen als konstituiert verstehen, wenn es im Rahmen von phaneroskopischen Kategorien und Pragmatischer Maxime über entspre- 2 Zeichentheoretische Grundlagen 63 chende Zeichenaspekte verfügt. Aus einer externen Zeichenperspektive hingegen werden Zeichen nur kraft Zeichen interpretiert (und konstituiert), sodass die dynamische Relationalität des Zeichens zu anderen Zeichen im Gebrauch ebenfalls konzeptualisiert werden muss: Aus der Perspektive eines historisch-diskursiven Zeichenprozesses sind Einzelzeichen damit unterbestimmt und können nur in transsemiotischen Relationen tatsächlich als konstituiert begriffen werden. 30 Weil die in diskursiven Praktiken involvierten Einzelzeichen nur im Verhältnis zu bisherigen Praktiken zu verstehen sind, muss die externe Zeichenperspektive ebenfalls berücksichtigt und modelliert werden. Sie erfasst die Dynamik und Konstitutivität der Semiose, die die verschiedenen Einzelzeichen in ein Kontinuum einbettet. 2.2 Semiose und Kontinuität des Zeichens Wie die Zusammenfassung der verschiedenen Zeichenaspekte und die Skizze der verschiedenen Zeichenperspektiven zeigen, erschöpft sich die Konstitution des Zeichens nicht in der Kombination von Zeichenmittel, Objekt und Interpretant. Sowohl eine interne als auch eine externe Zeichenperspektive sollte in einer theoretischen Reflexion berücksichtigt werden. Einzelne Zeichen können zwar aus einer internen Zeichenperspektive modelliert werden, doch erfassen Zeichenmodelle, die Zeichen als Summe von Zeichenaspekten begreifen, die dynamische und transformative Kraft des Zeichens kaum. Ein additives Zeichenverständnis (z. B. vertreten in Genz/ Gévaudan 2016: 39) unterschlägt, dass Zeichen im Zeichenprozess unterdeterminiert sind und dass Zeichen andere Zeichen erfordern, um interpretiert werden zu können. Zeichen erhalten ihren semantischen Gehalt und ihre Signifikanzen erst in Relation zu anderen Zeichen. 31 Dieses Interpretationsverhältnis zwischen Zeichen unterscheidet zeichendynamische Theorien von zeichenrepräsentativen Theorien, welche Zeichen allein aufgrund ihrer Einzelfunktion, zumeist Repräsentation, klassifizieren. Zeichendynamische Theorien hingegen erkennen in Zeichenprozessen die wesentliche konstitutive Funktion des Zeichens, sodass erst im Verhältnis von verschiedenen Zeichen etwas als Einzelzeichen (mit z. B. Bedeutung oder normativer Kraft) verstanden werden kann. Dieser zeichendynamischen Prämisse folgt auch die Semiotik Peirces, zumindest in der hier vertretenen Interpretation. Im Folgenden soll daher Semiose und Kontinuität des Zeichens beschrieben werden, um das Zeichen im Rahmen eines Zeichenprozesses erfassen zu können. Dabei ist es einerseits wichtig, das Verhältnis von Zeichen zu anderen Zeichen zu erfassen, aber auch deren Rückwirkung auf Pragmatische Maxime und universale Kategorien. Dabei zeigt sich, dass insbesondere der Begriff des Interpretanten eine Flexibilität besitzt, die es ermöglicht, ihn sowohl als zeichenimmanenten Aspekt, aber auch als dem Einzelzeichen äußerliches Folgezeichen zu verstehen. Entlang der verschiedenen Ebenen des Erkenntnis- und 30 Diese Unterbestimmtheit der Interpretation veranlasst T. L. Short (2007: 158), ein viertes Zeichenelement in die Zeichenkonzeption Peirces einzuführen, welche er P [purpose] nennt und dessen Funktion in der Semiose und damit auch temporalen Relationalität zu anderen Zeichen besteht. 31 Eine Möglichkeit der Modellierung zeigt z. B. Harendarski (cf. 2003: 112), der auf die traditionelle Darstellung eines semiotischen Dreiecks verzichtet und mehrere Zeichentriaden mittels signifikanter Assoziations- und Motivationsprozesse verfugt. 64 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Interpretationsprozesses kann dann außerdem begründet werden, warum das semiotische Kontinuum zwar potenziell unendlich ist, aber durch Zeichenpraktiken von Interpretationsgemeinschaften reguliert wird. Die Beschreibung der Semiose und Kontinuität des Zeichens eröffnet eine Perspektive auf die Analyse von sprachlichen Zeichen, die für die Anwendung einer Methode und das Verständnis der folgenden Argumentation fundamental ist: Selbst wenn einzelne Zeichen (später insbesondere Verben) analysiert werden, dann sind diesen die verschiedenen semantischen Gehalte und pragmatischen, diskursiven und normativen Signifikanzen nicht immanent, sondern müssen sich über verschiedene semiotische Relationen rekonstruieren lassen. Eine Theorie von sprachlichen Zeichen und ihrer konstitutiven Kraft in diskursiven Praktiken, die sich den Zeichenbegriff Peirces zu eigen machen, muss das Verhältnis von Zeichen im Prozess erklären, um es für die Analyse von Interpretations- und Kommunikationsprozessen zu gebrauchen. Ein hermetisches Verständnis des Einzelzeichens ist in der Zeichentheorie Peirces insofern ausgeschlossen, als dass die Relationalität des Zeichens im Zeichenprozess selbst angesiedelt ist. Etwas gibt sich erst als Zeichen zu erkennen, wenn es in einem Verhältnis zu anderen Zeichen steht. Insofern sind Einzelzeichen bereits eine analytische Abstraktion des semiotischen Kontinuums. Diese grundlegende Erkenntnis stellt Analysen wie theoretische Betrachtungen vor wesentliche Schwierigkeiten, weil jede zu analysierende Einheit bereits aus dem semiotischen Kontinuum herausgelöst ist und damit ihren genuin semiosischen Charakter verliert. Gleichzeitig findet jede Analysepraxis im Sinne des semiotischen Pragmatismus natürlich selbst im Rahmen eines semiotischen Kontinuums statt, sodass jede Analyse selbst Zeichen zu diesem hinzufügt. Insofern muss stets reflektiert werden, welche Zeichenaspekte tatsächlich in den jeweiligen diskursiven Praktiken stattfinden und welche z. B. auf Hypothesen der Analysierenden zurückzuführen sind. 32 Trotz dieser möglichen Schwierigkeiten hat die theoretische Begründung des semiotischen Kontinuums einen wesentlichen Vorteil gegenüber Ansätzen, die die Involviertheit von Analysierenden und/ oder die nicht hinreichende Explizitheit der zu analysierenden Einheiten zwar erkennen, aber daraus einen vorsichtigen Positivismus entwickeln: Weil sich auch implizite Zeichen des semiotischen Kontinuums im Rahmen von Zeichenpraktiken entwickelt haben, können diese mithilfe des semiotischen und semiosischen Vokabulars expliziert werden, sodass erklärt werden kann, welche impliziten Zeichen und Zeichenpraktiken zur Konstitution des spezifischen und aktuellen Zeichens beitragen, ohne dass vorsemiotische Konstrukte (wie z. B. Bedeutungsintentionen) angenommen werden müssen. Mithilfe des semiotischen Kontinuums und des entsprechenden Vokabulars lassen sich also auch kognitive Prozesse erklären und untersuchen. Kognitive Prozesse sind im Sinne des semiotischen Pragmatismus dann selbst implizit zeichenhaft, weil deren Gehalte und Signifikanzen in Zeichenpraktiken entstanden sind, sodass Kognition selbst auf impliziten Zeichen beruht, die z. B. für Interpretationen oder Handlungen sorgen. Durch deren interpretative oder performative Kraft können andere Zeichen verstanden und 32 Die Gesprächslinguistik hat sich dieses Problems ebenfalls angenommen und unter der Display-These (cf. z. B. Mroczynski 2014: 34 f.) zusammengefasst, begründet diese allerdings nicht semiotisch. 2 Zeichentheoretische Grundlagen 65 interpretiert werden. Verschiedene Elemente der Wirklichkeit werden damit letztlich erst im Verhältnis verschiedener Zeichen erzeugt. Die Beschreibung des semiotischen Kontinuums schlägt sich auch auf die Darstellung der universalen Kategorien nieder: Wenn ein Zeichen drittheitlich strukturiert ist, heißt dies nicht, dass dieses Einzelzeichen phänomenal gesättigt und damit im Rahmen der Semiose hermetisch ist. Auch Drittheit, so stellt z. B. David Savan (1986: 134 f.) in Bezug auf Peirce fest, konstituiert Wirklichkeit nicht allein, sondern erfordert weitere Drittheiten (als Zeichen), um sich zu konstituieren (cf. auch Schönrich 1990: 107 f.). Insofern muss eine Beschreibung der Semiose auch phänomenologisch im Verhältnis mehrerer Drittheiten ansetzen: Relationalität ist also nicht nur dem Einzelzeichen immanent (in der Relationalität von Zeichenmittel, Objekt und Interpretant), sondern ihm auch äußerlich (in der Relationalität von Zeichen zu anderen Zeichen). Neben der Relation von Drittheiten bzw. verschiedenen Einzelzeichen muss eine Beschreibung der Semiose aber auch die Zeitlichkeit des Zeichenprozesses berücksichtigen. Denn einzelne Zeichen sind Instanziierungen in einem semiotischen Kontinuum, welches eine temporale Dimension besitzt: [T]hought cannot happen in an instant, but requires a time, is but another way of saying that every thought must be interpreted in another, or that all thought is in signs. (CP 5.253) Zeitlichkeit und Interpretation sind im semiotischen Kontinuum miteinander verbunden. Weil Interpretationen und inferenzielle Prozesse bei Peirce in Beziehung stehen und Interpretationen letztlich nichts anderes sind als Inferenzprozesse, 33 gilt die temporale Dimension auch für Inferenzen. Um die Äquivalenz von Interpretations- und Inferenzprozessen nachzuvollziehen, muss der Doppelcharakter von Interpretanten berücksichtigt werden: Interpretanten sind nicht nur Drittheit des Einzelzeichens, welche sich in unterschiedlichen Qualitäten ereignet, sondern gleichzeitig selbst Zeichen, die andere Einzelzeichen in Semiosen einbinden. Diese Interpretanten entgrenzen also gewissermaßen das Einzelzeichen, indem sie auf andere Zeichen verweisen bzw. von diesen abhängig sind. Eine ähnliche Perspektive auf Zeichen- und Interpretationsprozesse findet sich auch in der Zeichen- und Interpretationsphilosophie Günter Abels (cf. insb. Abel 1993, 1999, 2004, Dirks/ Wagner 2018), in welcher sich pragmatische Interpretationsprozesse dadurch auszeichnen, dass “ Bedeutung, Referenz, Erfüllungs- und Wahrheitsbedingungen unseres Sprechens, Denkens und Handelns jeweils auf Situation, Zeit, Zweck, Kontext und Individuum bezogen sind; daß von einem Vorrang des Handlungsgesichtspunkts, der Ersten-Person-Perspektive, vor dem Zuschauergesichtspunkt, der Dritten-Person-Perspektive, ausgegangen wird; und daß der Sinn einer Interpretation selbst eine Interpretation ist ” (Abel 1993: 481). 34 33 So Uwe Wirth (2000 a: 137): “ Folgt man Peirce, so ist alles Denken eine kontinuierliche Interpretation von Zeichen, die zugleich Bestandteil eines Arguments sind - Interpretieren ist Schlußfolgern. ” 34 Günter Abels Zeichen- und Interpretationsphilosophie und Peirces Zeichentheorie weisen in vielen Aspekten Ähnlichkeiten auf, können aber insbesondere hinsichtlich der Verwendung des Interpretationsund/ oder Interpretantenbegriffs nur vorsichtig verglichen werden. Die verschiedenen Interpretationsebenen bei Abel umfassen nicht das vollständige Repertoire des Interpretanten bei Peirce, sondern Abel stützt sich ins- 66 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen Interpretationen sind laut Abel selbst nur kraft Zeichen möglich. Bei Abel findet sich außerdem eine Art Pragmatischer Maxime, wenn Zeichenhandlungen z. B. auf einen Zweck bezogen sind. Auch die Notwendigkeit der Betrachtung der Zeichen-Zeichen-Relation in der Analyse von z. B. diskursiven Praktiken wird betont. Die entsprechenden konsequenziellen Relationen und Interpretationen eines Zeichens in der Semiose müssen sich dabei den temporalen, teleologischen und kontextuellen Gegebenheiten anpassen. Insofern sind Zeichenprozesse nur mit der Perspektive des Erkenntnis- und Interpretationsprozesses modellierbar, die sich in der Ersten-Person-Perspektive manifestiert: Jedes Zeichen und jeder Zeichenprozess involviert in diesem Sinne Interpretation und wird durch diese mitbestimmt, weil sie weitere Zeichen hinzufügt. Entsprechend greifen Pragmatische Maxime, Zeichen und Interpretation ineinander, sind im Zeichengebrauch und -prozess untrennbar miteinander verschränkt und daher auch für diskursive Praktiken unhintergehbar: Der ursprüngliche und nicht noch einmal hintergehbare Charakter des In-der-Welt-seins ebenso wie das Funktionieren der symbolisierenden Zeichen können in ihren Vollzügen als interpretativ charakterisiert werden. Menschliches In-der-Welt-Sein wird nicht nachträglich auch noch, falls erforderlich, interpretiert, sondern es vollzieht sich intern als ein interpretatives Geschehen. (Abel 1999: 73, Hervorh. im Original) 35 Eben dieses interpretative Geschehen kraft Zeichen, die in semiotischen Relationen zueinander stehen, konstituiert die wesentlichen (insbesondere sozial-normativen) Welt- und Wirklichkeitsbeziehungen, die sich in einer interpretierenden Semiose ereignen. Neben der besonderen Zeichen-Zeichen-Relation, welche sich in der Doppelfunktion des Interpretanten verwirklicht, und der Zeitlichkeit des Zeichenprozesses ist das semiotische Kontinuum aber auch von der spezifischen Interpretationsgemeinschaft abhängig. Interpretations- und Zeichenprozesse sind zwar prinzipiell interpretativ offen, doch hat sich eben genau dieses Zeichen im Gebrauch ereignet (dynamischer Interpretant). Erst mit der theoretischen Annahme des finalen Interpretanten, welcher die regelhafte Dimension des Interpretations- und Erkenntnisprozesses konstituiert, zeigt sich, dass es eben nicht willkürlich ist, welches Zeichen und welche Interpretation sich tatsächlich ereignet hat. Der finale Interpretant dient, so könnte mit Hans Lenk (1993: 463) formuliert werden, “ im Kontext einer idealen Interpretationsgemeinschaft als Grenzwert einer ständigen, unendlichen Aufgabe der Interpretationsverbesserung ” und ist abhängig “ von einer Interpretationspraxis dieser Gemeinschaft, von den Deutungsaktivitäten der relevanten Interpreten und von der Fähigkeit dieser, die entsprechenden Beziehungen in dem Kontext interpretantenabhängig herzustellen ” (Lenk 1995: 122). besondere auf i. w. S. rationale Interpretationsprozesse (cf. dazu auch Briese/ Harendarski 2021). Nichtsdestotrotz betont auch Abel das irreduzible Verhältnis von Zeichen und Interpretation, welches in diesem Abschnitt hervorhoben werden soll. 35 Diese Unhintergehbarkeit von Zeichen und Interpretation ist ganz im Sinne Peirces. Zeichentheoretische Ansätze, die einem semiotischen Pragmatismus folgen, sehen den Ursprung der menschlichen Praxis in der Semiose, sodass auch Subjekt, Person und Individuum Zeichenkonstitute sind. Damit unterscheiden sie sich von Ansätzen, die z. B. die Unhintergehbarkeit beim Individuum selbst suchen (cf. z. B. Frank 1986). 2 Zeichentheoretische Grundlagen 67 Lenks Interpretation des finalen Interpretanten hebt insbesondere die Abhängigkeit von einer Interpretationsgemeinschaft hervor. Hinzuzufügen ist aber zumindest auch hier die temporale Dimension, die auch finale Interpretanten berührt. Helmut Pape, der den Begriff des finalen und logischen Interpretanten synonym verwendet, hebt eher diesen Aspekt hervor: Peirces Zeichenbegriff ist in zweierlei Hinsicht prozeßhaft: sowohl der Prozeß der Annäherung an das reale Objekt wie die Folge der Interpretanten verweist auf einen offenen, noch unbestimmten Bereich. Unbestimmte Objekte gibt es also in der Beziehung auf künftige Zeichenprozesse: Sie sind in ihrer Folge zeitlich so strukturiert, daß alles, was relativ zum Zeichen vergangen ist, zur Kategorie des Objekts gehört, und alles, was relativ zukünftig ist, durch den entwickelten Interpretanten verwirklicht wird, den Peirce 1907 als ‘ logischen ’ Interpretanten bezeichnet. (Pape 1989: 400 f.) Interpretative Zeichenpraktiken können daher (nach Lenk) als Gewohnheiten, Normen, Konventionen und Regeln einer Interpretationsgemeinschaft, aber auch (nach Pape) als zukünftige Interpretanten und Interpretationen verstanden werden. Diese beiden Aspekte des finalen Interpretanten ergänzen sich, weil sie Möglichkeit und Restriktion von Interpretation miteinander vereinen: Der finale Interpretant verweist auf mögliche zukünftige Interpretationen, aber gleichzeitig ist es die Interpretationsgemeinschaft, die Zeichenbedeutung und -interpretationen verifizieren, sanktionieren oder beurteilen kann, und damit als eine Art “ Widerstand der Wirklichkeit ” (Oehler 1994: 69) dient. Nicht jedes Zeichen und jede Interpretation ist in jeder Situation und jedem Kontext adäquat oder angemessen. Da die Semiose nur kraft Interpretations-, Zeichen- und Gebrauchsgemeinschaften möglich ist, sind auch diese es, die die normative Kraft und Bedeutung des Zeichens habituieren. So heißt es bei Tilman Borsche (1994: 118) dazu: Die Grenze der Interpretationsfreiheit ist nämlich immer die Verständlichkeit als die Möglichkeit der Vermittlung mit dem, was jeweils schon verstanden, anerkannt und in diesem Sinn fraglos gültig ist. Interpretationen und Handlungen sind immer Antworten auf Fragen, sie sind situations- und problembezogen, indem sie das gestörte Verständnis dessen, was ist, d. h. dessen, was verstanden war, zu heilen versuchen. Interpretationsfreiheit, hier eher Zeichenfreiheit, ist also bereits durch Interpretationsgemeinschaften, Semiosen und semiotisches Kontinuum mitstrukturiert. Zusammenfassend zeigt die Beschreibung der Semiose und Kontinuität des Zeichens, dass Einzelzeichen immer in Zeichenprozesse eingebunden sind und dieser daher bei der Analyse nicht nur berücksichtigt werden muss, sondern auch einen Großteil zur Konstitution des Zeichens beiträgt. Insofern ist es wichtig, das Einzelzeichen zunächst in seinem Verhältnis zu anderen Zeichen zu betrachten, um zu erwägen, welche Aspekte, Eigenschaften, Gehalte, Bedeutungen und/ oder Signifikanzen sich aus dem Einzelzeichen heraus ergeben und welche kraft anderer Zeichen diesem hinzugefügt werden. Zugleich gilt der Dimension der Zeitlichkeit eine besondere Aufmerksamkeit, weil diese einen wesentlichen Unterschied der Semiose zur Betrachtung des Einzelzeichens darstellt: Zeitlichkeit strukturiert Semiose insofern mit, als dass Zeichen sich stets auf Vergangenes, aber auch auf Zukünftiges beziehen. Weil Zeichen in der Semiose eine temporale Dimension besitzen, kann sich auch ihr zeitlicher Status verändern: Sie vergehen und sind damit vergangene Zeichen (und können dann z. B. als Objekte im Rahmen von Semiosen wieder 68 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen auftreten). Zeitlichkeit ist insofern auch ein Aspekt von Modell und Analyse, denn je nach zeitlicher Markierung verhalten sich die zu analysierenden Einheiten auch unterschiedlich: Was in einem Augenblick ein Zeichen ist, ist im nächsten keines mehr. In der Semiose und Kontinuität des Zeichens nimmt der Interpretant außerdem eine besondere Doppelfunktion ein. Er ist nicht nur Aspekt des Einzelzeichens (interne Zeichenperspektive), sondern kann auch selbst als Zeichen auftreten (externe Zeichenperspektive). Insofern zeigen Interpretanten, dass Zeichen in der Semiose stets unterbestimmt sind. Insbesondere der finale Interpretant nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Während er als Aspekt des Einzelzeichens noch ideale Zeicheneffekte und -kräfte beschreibt, entfaltet er in der Darstellung der Semiose sein vollständiges Potenzial. Finale Interpretanten richten sich einerseits auf zukünftige Interpretation, begrenzen aber gleichzeitig auch mögliche Inferenzen, indem sie den Grenzwert der Interpretationsgemeinschaft darstellen. Insofern setzt der finale Interpretant die Grenzen der Interpretation (und verrät dadurch auch etwas über die Normen einer Interpretationsgemeinschaft). Die Beschreibung von Semiose und semiotischem Kontinuum bildet für die vorliegende Arbeit nicht nur die Grundlage einer allgemeinen zeichendynamischen Perspektive auf deren Erkenntnisobjekte, also intentionale Verben und diskursive Rollen, sondern schlägt sich auch konkret in den theoretischen Reflexionen und der Modellierung nieder: (1) Inferenzen, wie sie mit Peirce, aber für sprachliche Zeichenprozesse auch mithilfe der Sprachphilosophie Brandoms modelliert werden, müssen nicht nur als zeichenhafte, sondern auch als zeichenprozesshafte Einheiten betrachtet werden. Insofern gelten die semiosischen theoretischen Prämissen des semiotischen Pragmatismus für jegliche Modellierung, sodass z. B. die zeitliche Dimension mithilfe von Zeitmarken hervorgehoben wird. (2) Auch wenn Inferenzen als zeichenhafte Prozesse verstanden werden, schlägt sich die Dynamik und Prozesshaftigkeit auch auf diejenigen Einzelzeichen nieder, die nicht als propositionale Einheiten zur Inferenzbildung (als Prämisse oder Konklusion) unmittelbar beitragen. Auch singuläre Termini, Prädikate und Relationen, also Zeichenelemente unterhalb der propositionalen Struktur, werden hinsichtlich ihres Beitrags zur Semiose und zum semiotischen Kontinuum analysiert. (3) Weil eben auch intentionale Verben (und die von ihnen evozierten diskursiven Rollen) Zeichen unterhalb der propositionalen Struktur sind, gilt die subsentenziale inferenzielle Gliederung auch für diese. Insofern lassen sich die Erkenntnisse der Beschreibung von Semiose und semiotischem Kontinuum auch in deren Modell darstellen: Subsentenziale inferenzielle Gliederung, so zeigt sich mithilfe von Peirce und Brandom dann, trägt zur Konstitution von Semiosen bei (cf. Kapitel 11). Insofern betrachte ich in den theoretischen Reflexionen dieser Untersuchung zwar Typen von Einzelzeichen, die unterhalb der propositionalen Struktur angesiedelt sind, doch schließt dies nicht aus, dass diese in die semiotischen, kontinuierlichen und sequenziellen Relationen und Prozesse der diskursiven Praxis eingebunden sind. Vielmehr ist die Darstellung dieser Relationen und Prozesse notwendig zum Verständnis ihrer Funktion in diesen diskursiven Praktiken. Die Darstellung des semiotischen Pragmatismus, der Zeichentheorie Peirces, aber insbesondere der Aspekte des Einzelzeichens und der Semiose und Kontinuität des Zeichens stellen die zeichentheoretischen Grundlagen der folgenden Arbeit dar, welche 2 Zeichentheoretische Grundlagen 69 immer wieder zum Verständnis herangezogen werden können, um die spezifischen semiotischen und semiosischen Facetten der sprachtheoretischen Reflexionen im Rahmen einer linguistischen Pragmatik nachzuvollziehen. Nun basiert diese Arbeit zwar auf semiotischen Prämissen und versteht sich als semiotischer Beitrag zur linguistischen Pragmatik und Analyse von diskursiven Praktiken, doch entwickelt sie keinen neuen Zeichenbegriff oder trägt wesentlich zum Verständnis von Semiose bei. Vielmehr steht ein sprachwissenschaftliches Interesse im Blickpunkt, wobei sprachliche Zeichen bisher nur peripher behandelt worden sind. Die Entwicklung dieser theoretischen Grundlagen soll nun nachgeholt werden, indem nicht Zeichen und Zeichenprozesse im Allgemeinen, sondern sprachliche Zeichen und Zeichenprozesse beschrieben werden. Insofern folgt nun der theoretische Schritt von den Grundlagen des Zeichens im Allgemeinen zum Fundament des sprachlichen Zeichens im Spezifischen. 70 I Zeichen- und sprachtheoretische Grundlagen
