Kodikas/Code
kod
0171-0834
2941-0835
Narr Verlag Tübingen
0303
2025
451-4
Diskurse Intentionalität, intentionale Reaktionen und intentionale Verben
0303
2025
Joschka Briese
kod451-40121
Die bisherigen Reflexionen zu zeichen- und sprachtheoretischen Grundlagen eines semiotischen und normativen Sprachpragmatismus, der das philosophische Fundament einer linguistischen Pragmatik bilden kann, umfassen allgemeine Prinzipien und Prozesse sprachlicher Zeichen. Eine linguistische Pragmatik allerdings, die die Signifikanz sozialer und diskursiver Normen von Praktiken an der Schnittstelle von sprachlichen Zeichen und Handlungen zu modellieren sucht, sollte ihre philosophischen und theoretischen Grundlagen auch auf ihre fundamentalen Begriffe anzuwenden wissen. Im Folgenden steht dabei der Begriff der Intentionalität im Mittelpunkt der Betrachtungen, welcher für eine linguistische Pragmatik einen Grundbegriff darstellt. Intentionalität bildet nicht nur für Handlungstheorien, sondern auch für diskursive und linguistische Praktiken eine wesentliche Heuristik, um Verhalten auf bestimmte Weise bzw. unter bestimmten Normen zu typisieren. Insbesondere im Bereich der Analyse kommunikativer Rollen (also SprecherIn, HörerIn etc.) und sprachlicher Handlungen ist der Begriff unerlässlich. Das folgende Kapitel steht unter folgender These: Diskursive Intentionalität - ein Begriff, den ich im Folgenden entwickeln werde - ist kein Merkmal des Geistigen (cf. Crane 2007), sondern eine Form der diskursiven Signifikanz von sprachlichen Zeichen (insbesondere Verben), die sich im Rahmen der diskursiven Praxis mithilfe von Zuschreibungen, Attribuierungen, Inskriptionen und Inaugurationen entfaltet. Als diskursive Heuristik und Emergenzeffekt dient sie sowohl der Konstitution von sprachlichen Handlungen (pragmatische Signifikanz) als auch der Konstitution von sozial-normativen Kommunikationsteilnehmern (später dann Interlokutoren und Delokutoren genannt) und deren Verantwortlichkeiten, Verpflichtungen, Sanktionsfähigkeiten und Handlungsbegründungen (normative Signifikanz). Da Intentionalität und begriffsähnliche Ausdrücke (insbesondere phänomenale Intentionalität, Intention, Absicht und Volition) nicht nur in verschiedenen Disziplinen und wissenschaftlichen Zusammenhängen unterschiedlich definiert, sondern teilweise auch synonym verwendet werden, soll zunächst der Erkenntnisgegenstand abgegrenzt werden. Denn es gibt eine wesentliche Differenz zwischen phänomenaler Intentionalität, welche vorwiegend in der Phänomenologie analysiert bzw. vorausgesetzt wird, und diskursiver Intentionalität, welche im Rahmen von sozial-normativen und diskursiven Handlungszusammenhängen eine Rolle spielt. Auch Intentionalität und Intention sowie Intentionalität und Volition bzw. Agentivität erfassen unterschiedliche Aspekte im Rahmen (der Darstellung) von Tätigkeitsbzw. Verhaltensanalysen. Erstere Unterscheidung, also von Intentionalität und Intention, betrifft die Konzeption von handlungstheoretischen Elementen einer linguistischen Pragmatik, während letztere, also von Intentionalität und Volition bzw. Agentivität, unterschiedliche Deskriptionsebenen von pragmatischen Prozessen und Ereignis- und Verbsemantik darstellen. Trotz des Versuchs, sowohl die erkenntnistheoretischen als auch die methodologischen Grenzen der Untersuchung der verschiedenen Begriffe aufzuzeigen, erweisen sich die verschiedenen Begriffe nicht nur in ihrer Differenz als konstitutiv, sondern weisen Strukturäquivalenzen zur diskursiven Intentionalität auf, die in eine Modellierung von intentionalen Verben einfließen können. Ist diskursive Intentionalität erst einmal definitorisch umrissen, muss sie in ihrer pragmatischen Tradition betrachtet werden. Insbesondere Gründungsväter der linguistischen Pragmatik wie John R. Searle und H. P. Grice haben einen Intentionalitätsbegriff II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 121 vertreten, welcher Intentionalität als notwendige Voraussetzung der Kommunikation versteht. Trotz vielseitiger Kritik an dieser kategorialen Voraussetzung von Intentionalität und Intentionen in diskursiven Praktiken gelten diese intentionalistischen Prämissen weiterhin in vielen Bereichen der linguistischen Pragmatik. Daher werden im Folgenden nicht nur die sprach- und handlungstheoretischen Annahmen der Gründungsväter präsentiert und exemplarisch bis in die heutige Theoriebildung verfolgt, sondern auch mithilfe verschiedener Kritiken am Intentionalismus ein Desiderat der diskursiven Intentionalität aufgezeigt. Mithilfe einer Interpretation der Sprach- und Zeichentheorien Robert B. Brandoms, T. L. Shorts und Ruth Millikans kann dieses Desiderat erfüllt werden, so die These. Robert Brandom bieten in seinem Werk nicht nur eine Abgrenzung zum Intentionalismus an und definiert Intentionalität im Rahmen ihrer Signifikanz in diskursiven Praktiken, sondern erklärt auch, wie diskursive Intentionalität in Praktiken entsteht. Trotz ausführlicher sprachphilosophischer Beschreibungen bleibt bei Brandom eine Analyse spezifischer Zeichen bzw. Zeichenkonfigurationen, welche für Emergenzeffekte diskursiver Intentionalität wichtig sind, aus. Insbesondere T. L. Shorts Analyse des Verhältnisses von Intentionalität und Signifikanz, aber auch dessen theoretische Entwicklung intentionaler Verben kann daher die Analyse diskursiver Intentionalität spezifizieren, indem konkrete Zeichenprozesse analysiert werden, die für die Zuschreibung bzw. Attribuierung von diskursiver Intentionalität zuständig sind. Neben der Analyse intentionaler Verben von T. L. Short kann aber auch Ruth Millikan zu dieser Spezifikation beitragen. Denn sie entwickelt nicht nur eine Theorie intentionaler Zeichen, sondern erfasst über die Beschreibung der Funktionen von intentionalen Ikons auch eine kooperative Ebene, die sich in die Analyse intentionaler Verben integrieren lässt. In einem Vergleich der verschiedenen Erklärungen der Intentionalität kann dann das theoretische Vokabular der Analyse der diskursiven Intentionalität zusammengefasst werden. Für eine linguistische Pragmatik reichen theoretische Darstellungen und Analysen, wie sie Brandom, Short und Millikan vornehmen, allerdings nicht aus, muss sich eine linguistische Pragmatik doch auf die Analyse sprachlicher Zeichen stützen. Daher folgt auf die Deskription diskursiver Prozesse und Praktiken eine Analyse der diskursiven Signifikanz intentionaler Verben. Hierzu etabliere ich die diskursive Signifikanz im Rahmen einer Abstraktionslogik, die sich von einer ontologischen Analyse des vom Verb beschriebenen Ereignisses löst. Dass diese Logik mit anderen (semantischen und pragmatischen) Verbanalysen kollidiert, zeigt sich, wenn anhand einer exemplarischen Beschreibung von Sprechaktverben, Kommunikationsverben, psychologischen Verben und phänomenologischen Intentionalitätsverben veranschaulicht wird, dass diese Analysen andere Strukturen und Prozesse von Verben untersuchen als die hier verfolgten. Nichtsdestotrotz finden sich auch hier strukturähnliche Elemente, die für ein Modell intentionaler Verben genutzt werden können. Dass intentionale Verben eine außerordentliche Logik aufweisen, kann anschließend auch die relationale Logik Charles S. Peirces aufzeigen. Die verschiedenen logischen Relationstypen lassen sich auf intentionale Relationen, die kraft intentionaler Verben konstituiert werden, anwenden. Nicht nur zeigt sich, dass intentionale Relationen eine irreduzible normative Dimension besitzen, sondern auch, dass Transitivität nicht auf 122 II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben intentionale Verben anwendbar ist, zumindest dann nicht, wenn nicht auch das holistische Verhältnis zu anderen Verben und der Involviertheit diskursiver Normen berücksichtigt wird. Mithilfe der inferenziellen und semiotischen Darstellungen von diskursiver Intentionalität und intentionalen Verben, aber auch der Logik der intentionalen Relationen kann dann ein Grundlagenmodell intentionaler Verben entwickelt werden, was eine Analyse dieser Verben in diskursiver Praxis erlaubt. Das Modell zeigt nicht nur, dass Verben eine intentionale Relation konstituieren, sondern auch, wie und welche Relata diese Relation evoziert. Das Grundlagenmodell ist allenfalls ein Fundament zur Analyse mannigfaltiger Verbpraktiken. Bereits bei der Integration von sozialen, kooperativen und kollektiven intentionalen Relationen wird sich zeigen, dass intentionale Verben sich nicht auf “ Subjekt- Objekt-Relationen ” reduzieren lassen und oftmals mehr als zwei Relata evozieren. Daher werden Analyseelemente ergänzt, die auch soziale, kooperative und kollektive intentionale Relationen erklären können. Außerdem wird die inferenzielle Gliederung intentionaler Verben veranschaulicht, sodass sowohl ihr Verhältnis zu anderen Verben, als auch ihre prämissiven und konklusive Beziehung zur diskursiven Intentionalität erfasst werden. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Verben (durch ihre signifikative Suffizienz) hinreichen, um jemandem Intentionalität zuzuschreiben, und welche Verben weitere Inferenzen erfordern, um diese zu attribuieren. Diese verschiedenen Darstellungen münden in einer Skizze einer linguistischen Verbpragmatik, welche einige exemplarische Analysen von intentionalen Verben enthält. Diese linguistische Verbpragmatik kann dann als Entwurf eines linguistischen Forschungsprogramms gelten, welches aus der Perspektive intentionaler Verben wesentliche Prozesse und Strukturen von diskursiven Praktiken analysiert. Eine erste Anwendung findet die linguistische Verbpragmatik dann nicht nur anhand exemplarischer Analysen, sondern auch in der Beschreibung von Zuschreibung, Attribuierung, Inskription und Inauguration, die als konstitutive Praktiken für Emergenz von diskursiver Intentionalität gelten können. II Diskursive Intentionalität, intentionale Relationen und intentionale Verben 123
